In eigener Zählung; unterscheidet zwischen "persönlichen" und "dramatischen" Sonetten.
Der Band enthält außerdem ein Vorwort (S. 5-16) und eine Konvertierungstabelle (S. 173-176).
Vorwort (S. 5-16):
"Wir haben", sagt Steevens in der Vorrede zu seiner 1766 erschienenen Ausgabe Shakespeare's, "die Sonette nicht mit abgedruckt, da die strenge Parlamentsakte nicht wirksam genug sein möchte, denselben einen Leserkreis zu verschaffen." So abschätzig durfte man zu einer Zeit, wo der Ruhm unseres Dichters nach langer Verdunkelung wieder zu glänzen anfing, von diesen und seinen nicht-dramatischen Gedichten überhaupt reden. Freilich war ein solches Urtheil das gerade Gegentheil von dem, welches die Zeitgenossen Shakespeare's gefällt hatten, die, wo sie seiner gedenken, dessen kaum erwähnen, was er für die Bühne geschrieben, sondern ihn fast ausschließlich seiner lyrischen und epischen Gedichte wegen preisen; denn dieses Gedichte waren die einzigen, welche schon früh eine weitere Verbreitung durch den Druck erhalten hatten, während die Dramen, welche ein Eigenthum der Theatergesellschaften waren, lange nicht gedruckt wurden und deswegen jenem Theile des Publikums, welcher das Theater nicht besuchte, unbekannt blieben. "Venus und Adonis" erschien 1593, "Lucretia" ein Jahr später; von den Sonetten, die überhaupt nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt waren, finden wir die erste Erwähnung in dem zweiten Theile der "Republik des Witzes" von Francis Meres im Jahre 1598. Hier lautet die betreffende Stelle: "Wie man meint, daß die Seele des Euphorbius in Pythagoras lebe, so lebt die holde, sinnreiche Seele des Ovid in dem süßen, honigzungigen Shakespeare, wie seine Venus und Adonis, seine Lucretia, seine zuckersüßen (d. h. Liebes-) Sonette unter seinen vertrauten Freunden davon Zeugniß geben." Daraus sieht man, daß diese Sonette, welche nur für einen kleinen Freundeskreis bestimmt und gewiß nur in wenigen Abschriften vorhanden waren, auch Anderen, Fernerstehenden zu Augen gekommen sein mußten und daß sich ihr Ruf lange vorher verbreitet hatte, bevor sie im Druck erschienen. Dieses Letztere geschah erst im Jahre 1609, zu einer Zeit, wo Shakespeare London bereits verlassen hatte und nach Stratford zurückgekehrt war; er selbst war an der Herausgabe nicht betheiligt, ja wahrscheinlich geschah dieselbe sogar ohne seine Einwilligung. Konnte er doch auch eigentlich auf den größten Theil dieser Gedichte, wenn überhaupt auf eines, ein Eigenthumsrecht nicht beanspruchen, da sie, für bestimmte Personen verfaßt, alle schon früher in den Besitz dieser Personen übergegangen waren und somit dem Dichter nicht länger gehörten. Und dann war Shakespeare überhaupt sorglos in Betreff des weiteren Schicksals seiner Werke, nachdem sie ihren nächsten Zweck erfüllt hatten; erst sieben Jahre nach seinem Tode erschien eine Gesammtausgabe seiner Dramen, während bei seinen Lebzeiten nur einzelne hinter seinem Rücken von unberechtigten Händen herausgegeben worden waren, ohne daß er sich, so viel wir sehen können, darum bekümmert oder etwa darüber beklagt hätte.
Der Buchhändler Thomas Thorpe, bei welchem die Sonette im Druck erschienen, versah sie mit einer Widmung, deren absichtliche wie unabsichtliche Dunkelheit zu den verschiedenartigsten Vermuthungen Veranlassung gegeben hat. Er dedicirte nämlich das Büchlein dem "
only begetter " (einzigen Erzeuger) der Sonette, einem Mr. W. H., dem er alles Heil und jene Unsterblichkeit wünscht, welche von dem Dichter darin verheißen worden ist. Da man unter den Initialen W. H. – William Herbert (spätern Lord Pembroke) zu vermuthen allen Grund hatte, so galt dieser nach Mr. Boadens und Anderer Meinung für denjenigen, an welchen Shakespeare die Sonette gerichtet hatte, für den Veranlasser, "den Erzeuger" derselben. Dagegen wurde mit Recht das Alter William Herberts eingewendet, der zu der Zeit, als Meres der Sonette als schon in weiteren Kreisen bekannter Dichtungen rühmend erwähnt, nicht älter als 18 Jahre war, und doch vernünftigerweise nicht angenommen werden konnte, Shakespeare habe die Sonette an einen kaum halbwüchsigen Knaben gerichtet. Man suchte sich zwar damit zu helfen, daß man die Identität jener von Meres erwähnten Sonette mit den uns überkommenen anzweifelte, aber auch diese Annahme fiel durch zwei Sonette dahin, welche herausgerissen aus der (uns) vorliegenden Reihe schon 1599 durch Jaggard gedruckt wurden, und welche, da sie für sich keinen Sinn haben, auf diese Reihe hinweisen. Von anderer Seite wurde Graf Southampton als derjenige bezeichnet, an welchen die Sonette gerichtet seien, und dieser Meinung war man in letzter Zeit fast allgemein beigetreten, da sie von triftigen Gründen unterstützt wurde. Die Thorpe'sche Widmung mit dem irreleitenden "
begetter " bringt eine neueste Untersuchung mit dieser Annahme dadurch in Uebereinstimmung, daß sie dieses Wort für "
getter ", s. v. a. "
obtainer ", d. h. Erlanger, Verschaffer gesetzt sein läßt. Thorpe scheint, nach andern Proben, einen schwülstigen und altherthümelnden Stil und Ausdruck geliebt zu haben und der Sprachgebrauch erlaubte damals allenfalls noch die vollere Form des Worts. Aller Wahrscheinlichkeit nach erhielt er das Manuscript, nach dem er lange mochte geangelt haben und das für ihn von großem Werthe war, durch Lord Pembroke, dem Southampton, wie wir später sehen werden, das Büchlein mit den Sonetten geschenkt hatte. Der auf Lord Pembroke's Verhältniß zu Lady Rich zielenden Sonette wegen war es geboten, einen gewissen Schleier über das Büchlein und seine Beziehungen zu breiten, der nur von den Eingeweihtern durchschaut werden konnte. Deshalb die Initialen Mr. W. H. zu einer Zeit, wo William Herbert schon längst in den Titel eines Lord Pembroke eingetreten war.
Ich unterlasse es, ausführlicher darzustellen, auf wen alles die Sonette gedeutet, und was für Gründe für die verschiedenen Meinungen angeführt wurden. Die Ehre "der Erzeugerschaft" wurde außer Southampton und William Herbert bald einem Neffen Shakespeare's, William Harte (der doch erst 1600 geboren ist), bald einem Mr. Hughes, bald der Königin Elisabeth u. s. w. zuerkannt, aber immer blieb die Ansicht unbestritten, daß die Sonette in ihrer Gesammtheit als persönliche Gefühlsäußerungen Shakespeare's, sei es an einen Mann, sei es an ein Weib, oder (wie es dem oberflächlichen Blicke einleuchten mußte) die ersten 126 an einen Mann, die übrigen an ein Weib gerichtet, zu betrachten seien. Erst 1864 stellte Mr. Dyce die Vermuthung auf, daß Shakespeare die Sonette wahrscheinlich nur zur Belustigung seiner vertrauten Freunde verfaßt hätte, daß sie eine Fiction wären und, obgleich sie hin und wieder wirkliche Gefühle des Dichters aussprechen, doch auf Shakespeare's persönliche Verhältnisse nicht bezogen werden könnten, sondern als in einem angenommenen Charakter geschriebene, als dramatische angesehen werden müßten. Damit war einer gewiß richtigen Ansicht die Bahn gebrochen, und auf diesem Wege ist Mr. Gerald Massey in seinen neuesten Untersuchungen
10 rüstig fortgeschritten. Indem er das so lange mit sieben Siegeln verschlossene Buch der Sonette erschließt, vollzieht er eine Ehrenrettung seines unsterblichen Landsmannes, die jeden Verehrer des Dichters, ja jedes ehrliche Gemüth hoch erfreuen muß. Er wäscht den Schwan vom Avon von all dem Schmutze rein, mit welchem ein falsches Verständnis der Sonette ihn befleckt hat, und führt ihn aus dem von übelberathener Interpretation aufgerührten Sumpfwasser auf die klare Silberflut, sein wahres Element, zurück.
Es war natürlich, daß bei dem Mangel ausreichender und beglaubigter Nachrichten über das Leben unseres Dichters, bei der Schweigsamkeit seiner Zeitgenossen über ihn, bei dem gänzlichen Zurücktreten seiner Persönlichkeit in seinen dramatischen Dichtungen, das Auge seiner Verehrer sich vorzugsweise auf die Ergüsse seiner lyrischen Muse richtete, um aus ihnen das Geheimniß seines Lebens und seines innersten Wesens zu erklären; so mußte ein richtiges oder falsches Verständniß der Sonette nicht allein für den mindern oder größern Genuß an denselben von Bedeutung werden, sondern die weit wichtigere Folge haben, uns den Dichter selbst im rechten oder im falschen Lichte zu zeigen. Nun muß man gestehen, daß die Sonette es selbst dem wohlmeinendsten Beurtheiler unmöglich machten, des Dichters Bild in einem günstigen Lichte zu sehen, so lange man bei der Annahme verharrte, Shakespeare habe sie alle als einen Ausdruck seiner persönlichen Gefühle und Empfindungen an einen seiner vornehmen Freunde gerichtet, gleichviel ob dies nun Lord Southampton oder William Herbert (denn nur zwischen diesen beiden schwankte eigentlich die Wage) mochte gewesen sein. Man mochte deuten und deuteln so viel man wollte, blieb es eines reifen Mannes, eines hohen Geistes wie Shakespeare nicht immer unwürdig, sich einem unbärtigen Knaben so kuechtisch vor die Füße zu werfen? Waren die abscheulichen Deutungen ganz abzuweisen, welche unreine Seelen dem zärtlichen verliebten Tone gaben, den hier der Mann dem Jüngling gegenüber anschlug? Gab es einen Deckmantel für diese Heuchelei und Albernheit, mit welcher man den Dichter dem Freunde Vorwürfe machen sah über dessen Leichtsinn und Verirrungen, demselben Freude, der ihn doch von einer ganz andern Seite kennen mußte, da beide sich (wenn man recht las) in eine und dieselbe Geliebte freundschaftlich theilten, während des Dichters Frau und Kinder vergessen und verlassen in Stratford saßen? War es möglich, die Schamlosigkeit zu beschönigen, mit welcher der Dichter die Züge seines thörichten und sündhaften Lebens in honigsüßen Versen verewigte, mit gedankenloser Hand sein eigenes Schandbild malte, um es dann vor fremde Augen hinauszugeben? – Gewiß, so konnte es nicht sein; das war von dem Dichter des Hamlet, des Othello, von dem Schöpfer der Cordelia, der Julia, Hermione u. s. w. nun und nimmermehr anzunehmen. Und berechtigte denn irgend eine Nachricht, welche die Zeitgenossen unseres Dichters über ihn geben, zu solcher Annahme? Stimmen nicht alle darin überein, daß er ein Mann von sanfter Gemüthsart, ehrlich, offen, edelmüthig und liebenswürdig war? Selbst seine Feinde, deren auch er wohl, namentlich unter seinen Zunftgenossen hatte, greifen nirgends seinen Charakter an, wenn sie auch seine Erfolge als Dichter bemäkeln.
Aber ließ man dies gelten, wie man es hätte sollen gelten lassen, so blieben die Sonette eben ein unentwirrbares Geheimniß, ein Buch voll unlösbarer Widersprüche! Nun, Massey hat dieses Geheimniß zu entwirren, diese Widersprüche zu lösen versucht, und ich will in dem Nachfolgenden kurz die Resultate seiner Forschungen wiedergeben, so weit mir dies zu einem allgemeinen und richtigen Verständnisse der in Rede stehenden Gedichte nothwendig zu sein scheint.
Danach sind die Sonette nur zum Theil als persönliche zu betrachten; der größere Theil derselben, die Massey mit dem Namen dramatische bezeichnet, sind aus der Seele anderer Personen heraus von Shakespeare gedichtet worden. Nach dieser Annahme ordnet er sie in verschiedene Reihen, wobei die bisher in den englischen Ausgaben angenommene Reihenfolge mehrfach verlassen wird. Die meisten der 154 Sonette verdanken ihre Entstehung dem innigen Verhältnisse, in welches Shakespeare seit dem Jahre 1591 zu dem Grafen Southampton getreten war; nur die letzten (nach unserer Ordnung von 127 – 152) stehen zu diesem in keiner Beziehung.
Henry Wriothesley, Graf Southampton, geboren 1573, hatte seinen Vater schon im achten Jahre verloren; seine Mutter vermählte sich in zweiter Ehe mit Sir Thomas Heneage, der den Posten eines Vice-Chamberlain der Königin bekleidete und als solcher zu den Schauspielergesellschaften, welche zuweilen auch bei Hofe oder anderswo vor der Königin spielten, in einer gewissen Beziehung stand. Der junge Graf, ein Edelmann von feurigem Geiste, liebenswürdigen Manieren, tapfer, freigiebig, offenherzig und von ehrenwerther Gesinnung, kam nach vollendeten Studien im Jahre 1598 nach London, wo er bald zu den fleißigsten Besuchern und eifrigsten Beschützern der theatralischen Vorstellungen gehörte, welche unter Shakespeare's Mitwirkung im Blackfriar- und Globe-Theater stattfanden. Lord und Dichter wurden so mit einander bekannt, und diese Bekanntschaft reifte bald zu herzlicher Freundschaft. Wenn man den Ton der Dedication, welche dem Gedichte "Venus und Adonis" vorangesetzt ist, mit dem vergleicht, welchen der Dichter in der Dedication anschlägt, mit der er ein Jahr später sein Gedicht "Lucretia" dem Grafen überreicht, so erkennt man deutlich, wie schnell die respektvolle Entfernung geschwunden ist und einem innigen Freundschaftsverhältnisse Platz gemacht hat. Noch vor der Publikation des erstgenannten Gedichtes, also etwa um das Jahr 1592, waren, nach Massey's Meinung, die Sonette begonnen worden, was aus dem Inhalte des ersten Sonettes hervorzugehen scheint. Der neun Jahr ältere Dichter betrachtete den liebenswürdigen Jüngling mit väterlichem Auge. Er sah ihn, den früh Verwaisten, den einzigen Sproß eines edlen Geschlechtes, den feurigen und noch haltlosen jungen Mann in das wilde Londoner Leben hineingestoßen, allen Verführungen des Hofes und der Stadt ausgesetzt; immer und immer wieder ermaht er ihn deshalb, sich zu vermählen, sich aus dem wilden Treiben in den Hafen einer stillen Ehe zu retten, sein Geschlecht fortzupflanzen und seine Jugend nicht zu vergeuden, sondern das einzige Mittel zu erwählen, durch das er der Zeit und ihrem Zahne trotzen könne (S. 2 – 18). Sein heißer Wunsch scheint in Erfüllung gehen zu wollen. Southampton faßt eine heftige Liebe für Elisabeth Vernon, eine Hofdame der Königin und Cousine des Grafen Essex. In wärmeren Farben schildert der Dichter jetzt die Anmuth, den Liebreiz des Grafen, vielleicht in der Absicht, daß diese Sonette von der Geliebten gelesen würden (S. 19 – 27). Er verheißt dem Freunde Unsterblichkeit (S. 28 – 33), und als auch andere Dichter, unter ihnen wahrscheinlich Marlowe, das Auge des Grafen durch ihre preisenden Lieder auf sich zu ziehen suchen, fühlt er einen Anflug von Eifersucht und verficht den einfachen Ausdruck seiner aufrichtigen Herzensliebe gegen den pomphaften Schwall ihrer künstlich gedrechselten Verse (S. 34 – 43). Alle diese Sonette sind persönliche, aber nun mag der Graf den Dichter aufgefordert haben, in seinem (des Grafen) Namen Sonette an Elisabeth Vernon zu richten, denn "die Gedanken werden ihm eingegeben", wie er uns sagt (S. 44). Es ist wahrscheinlich, daß diese dramatischen Sonette in eine Art Album geschrieben wurden, während Shakespeare seine persönliche Sonette wohl auf einzelne Blätter schrieb. Diese ersten an El. Vernon gerichteten Sonette athmen bei aller Glut der Liebe Schwermuth und Trübsinn, denn der Liebe des Grafen leuchtete kein günstiger Stern, vielmehr stieß sie bei der jungfräulichen Königin auf entschiedenen Widerstand. Diese weigerte sich, ihre Einwilligung zu der Verbindung zu geben, und als der junge Graf seiner Geliebten ihrer Meinung nach mit etwas zu großer Vertraulichkeit begegnet war, erzürnte sie so darüber, daß Southampton für einige Zeit den Hof meiden mußte. Nun folgen Jahre der Unruhe und der Widerwärtigkeiten, Trennung der Liebenden, Wankelmuth, Eifersucht bald von der einen, bald von der andern Seite, Reue, Wiederversöhnung. Nur drei persönliche Sonette (49 – 51) sind hier eingeschoben, da sie der Zeit nach, die sich aus dem Inhalte des ersten und dritten bestimmen läßt, hierher gehören; das zweite, welches unvollendet blieb, ist dem Grafen wohl nicht übergeben worden. In dem dritten (51) deutet der Dichter auf die nunmehr eingetretene Trennung vom Freunde hin und verspricht auch dem Entfernten singen zu wollen. Dann nimmt der Graf wieder das Wort (S. 52 – 64) und klagt der Geliebten, wie große Schmerzen und welche Seelenunruhe ihm die Trennung von ihr verursache. Dazwischen (65 – 67) redet abermals der Dichter zu dem entfernten Freunde, aber dann tritt eine neue Gestalt auf. Wahre oder falsche Gerüchte von dem Flattersinn des Grafen sind der Geliebten daheim zu Ohren gekommen; sie wähnt den Treulosen in den Fesseln ihrer Cousine und Jugendfreundin Lady Rich, der Schwester des Grafen Essex. In einem Selbstgespräch (S. 68) giebt El. Vernon ihrer Eifersucht Worte, dann macht sie dem flatterhaften Geliebten (S. 69 – 73), der verrätherischen Freundin, an welche sie dennoch alte Freundschaft und zwingende Rücksichten fesseln (S. 74 – 76), leidenschaftliche Vorwürfe. Der Dichter selbst hält den Verdacht für unbegründet (S. 77), und der Graf betheuert der zürnenden Geliebten seine unverminderte Liebe und ungebrochene Treue (S. 78, 79). Die dunkeln Wolken am Himmel der Liebenden verziehen sich, aber schon steigen neue herauf. Jetzt ist es Elisabeth Vernon, die dem Grafen Veranlassung zu Eifersucht giebt; mit bittern Selbstanklagen mischt der leidenschaftliche Liebhaber die Vorwürfe, die er seiner Braut macht (S. 80 – 85). So wechseln Sonnenschein und Regen; was der Vereinigung liebender Herzen im Wege steht, kann nicht hinweggeräumt werden; mehrere Jahre dauert dieses Hangen und Bangen. Unmuth über sein Schicksal mag den Grafen endlich zu einem etwas leichtfertigen Lebenswandel getrieben haben, denn wir sehen den Dichter einen tadelnden Blick auf seine Umgebung, auf das, was er beginnt, werfen (S. 86 – 91). Ein heftiger Streit in den Vorzimmern der Königin zwischen Southampton und einem dienstthuenden Beamten, wobei es zum Handgemenge kam, zog dem Grafen die Ungnade der Königin und allgemeine Mißbilligung zu. Seine Entmuthigung und Zerknirschung darüber spricht er gegen El. Vernon aus (S. 92 – 94). Er muß England verlassen, und die nächsten Sonette (S. 95 – 97) schildern ihr seine Gefühle während dieser neuen Trennung. Aber auch der Dichter, der lange geschwiegen, tritt in dieser Zeit der Widerwärtigkeiten wieder zu dem Freunde heran, bald sich entschuldigend, bald sich für sein Schweigen strafend (S. 98 – 104). Noch einmal bekennt der Graf der Geliebten gegenüber seine Verirrungen, wirft schmerzliche Blicke auf sein ruheloses Treiben, versichert die Erwählte seines Herzens seiner aufrichtigen Reue, seiner unverminderten Glut (S. 105 – 113), und damit schließt das wechselvolle Drama dieser Liebe, welches der Dichter in den Sonetten sich vor unsern Augen hat abspielen lassen. Der Wunsch seines Herzens ist erfüllt, der Hauptzweck, den er bei der Abfassung der Sonette im Auge hatte, erreicht; der Bund zwischen den beiden ihm so theuren Wesen ist endlich geschlossen: "nichts hat die Vereinigung treuer Seelen hindern können." Das 114. Sonett ist ein Hochzeitsfeierlied.
Kurz nach dieser Zeit mögen Unglücksfälle uns unbekannter Art oder Krankheit den Dichter trüber als gewöhnlich gestimmt haben. Seine Gedanken drehen sich in den folgenden (persönlichen) Sonetten (S. 115 – 120) unablässig um den Tod; wir finden darin eine Entmuthigung, eine Lebensmüdigkeit ausgesprochen, wie wir sie uns an dem jetzt im kräftigsten Mannesalter stehenden Dichter sonst nicht erklären können. Vielleicht daß die Besorgniß um den geliebten Freund, den er sich immer tiefer in verzweifelte und unheilvolle Unternehmungen verstricken sah, diese trübe Stimmung erzeugte. Als Southampton zuerst an den Hof gekommen war, hatten die Gegner des Grafen Essex, wenn schon vergebliche, Versuche gemacht, den übermüthigen Günstling durch ihn zu verdrängen. Damals hatten sich die beiden Edelleute feindlich gegenüber gestanden, aber der Grund zur Feindschaft fiel hinweg, da Southampton weder nach der besondern Gunst der jungfräulichen Königin strebte, noch diese ein lebhaftes Interesse für den Jüngling blicken ließ. Vielmehr führte die Liebe zu Elisabeth Vernon, welche durch Verwandtschaft der Essexschen Familie so nahe stand und von dieser ganz abhängig war, den jungen Grafen Southampton bald zu Essex hin. Je größer die Hindernisse waren, welche der Eigensinn der Königin der Erfüllung seiner theuersten Wünsche in den Weg warf, je mehr er ihr deswegen zürnte, desto enger schloß er sich an Essex an, dessen Stellung zur Königin schon seit dem Jahre 1596 theils durch seine eigne Schuld, theils durch die Bemühungen einflußreicher Gegner unsicher geworden war. Southampton begleitete den ehrsüchtigen Günstling auf seiner Expedition nach den Azoren und später nach Irland, wo ihn dieser gegen den Willen der Königin zum Oberbefehlshaber der Reiterei machte, ein Amt, das die erzürnte Königin ihm sogleich wieder nahm. Als nun Essex im Jahre 1601 sich in wahnsinniger Verblendung hinreißen ließ, mit seinen bewaffneten Anhängern nach dem königlichen Palaste zu ziehen, um die Königin, wie er sagte, aus der Gewalt seiner Feinde zu befreien, schloß sich Southampton aus ritterlichem Freundschaftsgefühle dem tollkühnen Unternehmen an, obgleich er den unheilvollen Ausgang desselben voraussah. Essex büßte den unsinnigen Versuch mit seinem Leben, Southampton mußte in den Tower wandern, aus dem ihn erst der Tod Elisabeths wieder befreite. Auf diese Begebenheiten beziehen sich die letzten der Sonette, die an und für Southampton gedichtet sind. Der gefangene Graf bezeugt seiner Gemahlin die Unwandelbarkeit seiner Liebe, was auch das Schicksal über ihn verhänge (S. 121 – 123); Der Dichter gesteht, daß das Unglück, welches den Grafen betroffen, seines Herzens Glut noch gesteigert und geläutert habe (S. 124); als endlich mit der Thronbesteigung James I. die Stunde der Befreiung schlägt, segnet er den glücklichen, langersehnten Tag (S. 125). Und nun mit dem nächsten Sonette (126) stehen wir am Ende der Southampton-Reihe. Der Graf hat das Buch, in welches Shakespeare die Sonette für ihn geschrieben hatte, wie man vermuthen darf, an William Herbert geschenkt. Das mochte seine Gemahlin, deren Gabe an ihn dieses Buch einst gewesen war (siehe S. 91) gekränkt haben, und der Graf entschuldigt sich bei ihr.
Wenn die Sonette nach Massey's Angabe auf diese Weise geordnet und in persönliche und dramatische geschieden werden, so klärt sich allerdings alles Dunkle, was ihnen bis dahin anhaftete, auf, und mit dem richtigeren Verständniß wächst nicht allein ihre Schönheit, sondern das Bild des um ihretwillen so schwer angezweifelten Dichters tritt in wunderbarer Reine und Wärme aus ihnen hervor. Und können wir uns im ersten Augenblicke mit dem Gedanken auch nicht recht befreunden, daß der Dichter so seelenvolle, gemüthswarme Gedichte wie die dramatischen Sonette im Auftrage eines Andern verfaßt habe, so müssen wir erwägen, daß Shakespeare hierin doch nur einer allgemeinen Sitte seiner Zeit folgte, und daß ihm, dem unvergleichlichen Dramatiker, das Fühlen aus einem fremden Herzen heraus, wenn ich mich so ausdrücken darf, wohl etwas ganz Natürliches war. Aber ich meine, man würde die Genesis dieser Sonette denn doch zu roh fassen, wenn man annähme, Shakespeare habe sie eben in ganz bestimmtem Auftrage, so zu sagen auf Bestellung gedichtet. Gewiß, er folgte mit treuem Freundesblicke dem wechselnden Schicksale einer Liebe, deren glücklicher Ausgang seines Herzens innigster Wunsch war. In ununterbrochenem, vertrautem Umgange mit den Liebenden, mitfühlender Zeuge ihrer Leiden und Freuden, ihrer Irrthümer und Mißverständnisse, ihrer Reue und Versöhnung, was lag da näher, als daß er das Bild der wechselnden Lagen und Gemüthsstimmungen, in welchen er seine Freunde sah, in seinen Versen auffing und daß er, dem sich so leicht alles dramatisch gestaltete, sie selbst redend aufführte? Die Einrichtung eines Albums, in das die Gedichte eingeschrieben wurden und das sich in den Händen des Grafen befand, war gleichsam eine indirekte Aufforderung an den Dichter, es auch nicht leer zu lassen. Dem Liebesleben der jungen Leute lieh er seine melodische Stimme; sie fanden sich und was ihr Herz bewegte, gern in seinen Sonetten wieder, sie waren begierig, ja sie rechneten darauf, sich dort wiederzufinden, aber bestimmte Aufträge wurden dem Dichter schwerlich gegeben.
Anders scheint es sich nun allerdings mit den Sonetten zu verhalten, welche in meiner Uebersetzung unter 127 – 152 aufgeführt sind. Zu dem engern Freundeskreise, in welchem man die für und an den Grafen Southampton gedichteten Sonette kannte, gehörte außer Lord Essex und seiner Schwester Lady Rich auch der junge William Herbert, später Lord Pembroke. Dieser junge Mann, ein begeisterter Freund des Theaters, war bald, nachdem er, 18 Jahr alt, im Jahre 1598 nach London gekommen war, mit Shakespeare bekannt geworden. Er verliebte sich in die siebzehn Jahr ältere Lady Rich, die übereinstimmend als ein durch Geistesgaben hervorragendes Weib, von hoher und ungewöhnlicher Schönheit geschildert wird. Ihr Lebenswandel wird weniger gerühmt; die nächste Veranlassung zu den vielen Verirrungen, die ihr vorgeworfen werden, mochte die Verbindung mit einem ungeliebten Mann von gemeiner Gesinnung sein. Eine dieser Leichtfertigkeiten war das vorübergehende Verhältniß, in das sie zu dem jugendlichen William Herbert trat. Diesem hatte Southampton, wie oben gesagt, das Sonettenbuch wahrscheinlich geschenkt, und Herbert war ehrgeizig genug, zu wünschen, daß auch seine Liebe von unserm Dichter durch Sonette gefeiert werde. Shakespeare mag das Verlangen seines Gönners und Beschützers nicht haben zurückweisen können, aber er entledigt sich des ihm gewordenen Auftrags mit einem gewissen Humor; er spottet über den Unterschied der Jahre zwischen Herbert und Lady Rich, bekämpft Herberts Thorheit so gut er kann, und zeigt Lady Rich in ihrem wahren Charakter. Manche dieser Sonette (wie 138) sind ironisch gemeint; einige mögen vielleicht gar nicht von Shakespeare herstammen, sondern William Herbert, der selbst Dichter war, zuzuschreiben sein. Im 151. und 152. Sonette ist ein ernster, hochdichterischer Ton angeschlagen.
Die beiden letzten Sonette (153, 154) werden allgemein als weder zu der Southampton- noch zu der Herbert-Reihe gehörig angesehen. Sie können als Beweis gelten, daß Shakespeare mit der Herausgabe der Sonette nichts zu thun hatte.
Das sind in gedrängtem Auszuge die Resultate der Massey'schen Untersuchungen, durch welche über die bisher so bunt durch einander geworfenen Sonette ein überraschendes Licht verbreitet wird. Die Gründe, auf welche Massey seine Behauptungen stützt, sind natürlich aus vielem Detail aufgebaut, das den Lesern dieser Uebersetzung ferne bleiben muß. Er betrachtet die Sonette von ihrer formellen und stofflichen Seite, durchforscht die Lebensschicksale der Personen, zu welchen sie in Beziehung stehen, gruppirt und beleuchtet die zerstreuten und kümmerlichen Nachrichten über den Dichter auf das geschickteste, geht aber dabei überall auf den Geist zurück, der uns aus den großen dramatischen Dichtungen desselben entgegenweht, und indem er so überraschend neue Gesichtspunkte gewinnt, weiß er uns zu überzeugen. Ich enthalte mich denn, kleine Zweifel über Nebensächliches laut werden zu lassen, wo ich in allen Hauptsachen einverstanden bin und mich so dankbar bekennen muß für mannigfache Belehrung und endlich für einen Vorzug, der meiner Uebersetzung ganz zufällig durch die noch rechtzeitige Benutzung der Massey'schen Untersuchung zu Theil werden konnte. Möchte dieser Vorzug nicht der einzige sein, den man ihr zuerkennen wolle!
St. Petersburg.
F. A. Gelbcke