"Shakespeares Sonette. Übersetzt von A. Neidhardt",
Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen
, Jg. 20 (1865), 381-390.
In der Reihenfolge: 17, 6, 18, 28, 32, 36, 38, 54, 71, 81, 88, 105, 112, 113.
"Sonette", in: Shakespeare's kleinere Dichtungen. Deutsch von Alexander Neidhardt (Berlin: Hofmann und Campe, o.J. [um 1870]), S. 1-81.
Vollständige Ausgabe: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154.
Der Band enthält außerdem: Vorwort (S. V-XIV), Fußnoten (hier Vergleiche zu Bodenstedt Übersetzung (=180) sowie Widmung: "Dem Verfasser der 'Insel der Heiligen' Herrn Julius Rodenberg zugeeignet"; darüber hinaus: Venus und Adonis, Tarquinius und Lucretia, Der verliebte Pilger und Liebesklage.
Einleitendes Vorwort (S. v-xiv):
Die Shakespeare'schen kleineren Dichtungen, die zuerst sehr spät in weitere Kreise drangen, waren lange Zeit und sind zum Theil noch immer Gegenstand verschiedner und entschiedner Controverse sowohl bezüglich des Inhaltes und Werthes, als auch, und dies gilt besonders von den Sonetten, bezüglich der Zeit ihrer Entstehung und ihrer Absicht. – Nur so viel scheint jetzt allgemein anerkannt bei Allen, die nicht befangen in einer falschen oder erheuchelten Prüderie, daß diese Dichtungen überreich an ausgesuchten poetischen Schönheiten, sowie daß sie auch darum einen ganz besonderen Werth haben, weil hier die Persönlichkeit des Dichters zu uns spricht; denn "die Macht und Weihe der Persönlichkeit ist es im letzten Grund allein, was den Kunstwerken ewiges Leben gibt." – Und wenn auch selbst noch in neuerer Zeit versucht worden, in allen von den Sonetten berührten Verhältnissen nur eine poetischen Fiction zu finden, so scheint eine solche Auffassung schon um deßwillen nicht zutreffend, weil einmal ganz allgemein wahrhaft künstlerische Producte immer und überall mehr oder minder des Substrates einer lebensvollen Wirklichkeit bedürfen, zum andern aber gerade Shakespeare ein viel zu realer Dichter und practischer Mensch war, als daß man sich zu ihm selbst in seinen jüngeren Jahren einer solchen gegenstandslosen Faselei versehen könnte. – Gervinus bemerkt in dieser Hinsicht sehr treffend: "Wenn aber diese Sonette wirklich vor andren auszuzeichnen sind, so sind sie es gerade nur dort, wo, und darum, weil ein warmes Leben aus ihnen spricht, reale Lebensverhältnisse durchschimmern." Der hauptsächliche Grund, hieran zu zweifeln und diese glänzenden Ergüsse eines tief bewegten Herzens als Fiction darzustellen, war ein wohlgemeinter, aber, wie uns dünkt, ein durchaus mißverstandner und verfehlter. Man wollte nämlich Shakespeare's Moralität dadurch retten, die anläßlich dieser kleineren Dichtungen vielfach und namentlich von Seiten der Bigotterie angegriffen worden war. Aber welch unfruchtbares Bemühen! Als ob ein wirklicher Dichter mit so ganz anders angelegten Verhältnissen des Geistes und des Herzens sich in dem ausgetretnen Geleise eines am Ende doch leider allzuoft nur äußerlich "moralischen" und fast immer tendenziös heuchlerischen Philsterthums bewegen müsse! Ja als ob er dies überhaupt nur könne und nicht vielmehr mit ganz anderem Maße gemessen werden müsse!
Was dagegen die Frage über Entstehung und Absicht anlangt, so möge hier das "
adhuc sub judice lis est " gelten gelassen werden, obgleich die treffliche Entwickelung in Gervinus' Shakespeare jeden Zweck zu beseitigen und vollständig überzeugend scheint. – Für mich wenigstens ist sie das unbedingt. –
Einestheils nicht in der Lage, anderntheils nicht gemüssigt zu selbständiger Quellenforschung über diesen Gegenstand, habe ich mich daher auch hinsichtlich Beibehaltung der alten Reihenfolge Gervinus angeschlossen und zwar mit um so weniger Bedenken, als alle neuern Hypothesen die von ihm fast bis zur Evidenz nachgewiesenen Verhältnisse und Beziehungen nicht alteriren zu können scheinen und noch viel weniger die darauf gegründeten Betrachtungen und Schlüsse über Inhalt und Absicht zu entkräften vermögen. Es sei daher erlaubt, hier stat aller weitläufigen Erörterungen auf das genannte vortreffliche Werk und namentlich auf die Kapitel "Shakespeare's beschreibende Gedichte" und "Shakespeare's Sonette" zu verweisen. –
Auch läßt sich in der That nicht absehen, in wiefern durch eine willkürliche Abänderung – denn willkürlich bleibt sie immer – der alten Reihenfolge, die unter den Augen des Dichters selbst festgestellt worden zu sein scheint, der Genuß des Lesers erhöht oder einer besseren Würdigung und weiteren Verbreitung der Sonette Vorschub geleistet werden könne. –
Der Grund jenes Genusses ist ein durchaus innerlicher – er liegt einfach in Offenbarung ächt poetischer Schönheit – und diese wird durch die Reihenfolge nicht bestimmt oder alterirt, um so weniger, als man eine solche Zahl sich ähnlicher Ergüsse doch nicht in einem Zug von vorn bis hinten liest. Und was das in denselben uns vorgeführte Stück Leben betrifft, durch dessen richtiges Verständniß natürlich jener Genuß noch erhöht wird, so braucht auch in dieser Hinsicht nur an die treffliche Gervinus'sche Entwickelung erinnert zu werden, die in der alten Reihenfolge uns ein viel abgerundeteres, viel natürlicheres und darum auch viel mehr zum Herzen sprechendes Bild von einem wenn auch nur kurzen Lebensabschnitt des großen Dichters gibt, als irgend ein andrer Commentar es vermag.
Nach jener Darstellung sind die ersten 126 Sonette an den zur Zeit ihres Entstehens 21‒24 jährigen Grafen Southampton gerichtet, einen jungen Edlen von ausgezeichneter Begabung und geistiger Freiheit, zu welchem Shakespeare trotz dem damals so selten übersehenen Standesunterschied, und obgleich unser Dichter als Schauspieler einem geradezu verachteten Stand angehörte, in intimer freundschaftlicher Beziehung stand, ‒ ein Verhältniß, welches er gleichwohl aus Bescheidenheit und aus höchst achtbarer Rücksicht auf das Urtheil und Vorurtheil der Welt nicht öffentlich bekennen mochte.
Diese Freundschaft wurzelte, zum wenigsten auf Seiten Shakespeare's so tief, daß sie allen wechselnden Stimmung der Liebe χατ' έξοχήν unterworfen war, welch' erstere hiernach dem damals üblichen überschwänglichen Styl italienisirender Poesie gemäß auch einen fast nur der Liebe zukommenden Ausdruck fanden. –
Die letzten 28 Sonette sind an ein Weib gerichtet, das jedenfalls der Neigung des Dichters nicht würdig gewesen zu sein scheint, und auch sie greifen, wie Gervinus bemerkt, "in jenes Verhältnis zwischen dem Dichter und seinem jungen Freund ein."
–
Da Bodenstedt seine Bearbeitung auf die Sonette beschränkt hat, so wird gegenwärtige Uebersetzung, die auch die andern, von ächt dichterischer Schönheit und an Energie ihrer Darbildung so reichen Stücke umfaßt wohl als eine Vervollständigung betrachtet werden dürften. – Eine Rechtfertigung oder "Rettung" jener wird kaum verlangt werden; daher nur einige kurze Bemerkungen.
In Venus und Adonis ist die Liebe, wie wiederum Gervinus so schön sagt, "in Wahrheit ein Geist aus Feuer geschaffen", ‒ und "mit wie glänzenden Farben auch der Dichter das Bild dieser Leidenschaft gemalt haben möge, so ist er doch keineswegs in dem Wohlgefallen am Stoff seines Gemäldes in sinnlicher Befangenheit untergegangen… Strafend sagt Adonis der werbenden Göttin, sie solle nicht Liebe nennen, was die Vernunft zurückweise und das Erröthen der Scham vergesse." –
In dem Gedicht Tarquinius und Lucretia "liegt aber dieser reine Gedanke schon in dem Stoff selbst" – und dies wird keinem denkenden Leser entgehen. – Auch scheint hier der eigentliche Grund der wahren nachherigen Größe Shakespeare's schon seinen Schatten voraus zu werfen, indem unser Dichter diesem Stück "einen bedeutenden geschichtlichen Hintergrund gibt und einen Blick hinüber schweifen läßt in das Gebiet großer, folgenreicher Handlungen."
Die kleine Sammlung "zusammengestoppelter" Gedichte, die unter dem Titel "der verliebte Pilger" geht und mit dieser Ueberschrift eigentlich nichts zu schaffen hat, verdankt ihren Ursprung der Speculation eines Buchhändlers, der hierzu durch die erste Erwähnung der bis dahin nur in vertrauten Kreisen bekannten Sonette verleitet ward, und enthält einige Stücke, die notorisch nicht von unsrem Dichter herrühren.
Das Gedicht "Liebesklage" erschien gleichzeitig mit der ersten ordentlichen Publication der Sonette und zwar als Anhang dazu.
Der Grund warum die Sonette in gegenwärtiger Uebersetzung vorangestellt sind, obgleich die andern Stücke vor ihnen verfaßt worden, liegt einfach in ihrer größeren Bedeutung und ihrem höheren künstlerischen Werth, weßhalb diese allerdings willkührliche Verstellung wohl keinen ernstlichen Anstoß geben wird. –
* * * * *
Nach diesen kurzen, für den aufmerksamen Leser aber gewiß hinreichenden Andeutungen, sei es nun erlaubt, noch einige Bemerkungen über die von mir bei der Uebersetzung befolgten Grundsätze und die an eine tüchtige derartige Arbeit zu stellenden Anforderungen anzufügen.
Als erste,
sine qua non , muß natürlich in sachlicher Hinsicht vollständiges Verständnis für den Geist der Originaldichtung betrachtet werden, weil es ohne solches nicht möglich, den richtigen Ausdruck in der andern Sprache zu finden. – Wo dies Verständniß auch nur theilweise fehlt, da würden selbst genügende Leistungen in anderer Hinsicht nichts nützen können, am wenigsten bei gedankenreichen und wirklich guten Dichtungen, die aus einem Guß geflossen sind. –
Sodann ist vollständige Treue erforderlich, diese jedoch entfernt von einer
verbo tenus genauen Nachbildung. Einmal nämlich ist das Idiom zweier Sprachen niemals ganz gleich, denn in ihm liegt ja der eigentliche Charakter derselben, ‒ und wer daher z. B. in dem Eingang zu Byron's Giaur das "
enamoured of distress " mit "verliebt in Qual" übersetzen wollte, der würde dadurch beweisen, daß ihm jede Einsicht in das Wesen wahrer Treue fehle; zum andern ist in keinem Dichtwerk jedes Wort und jeder Gedanke von gleicher Wichtigkeit, sodaß hier nicht nur ab und zu gegeben werden darf, sondern daß ein gewisser Spielraum unbedingt erforderlich. Gibt es ja doch eine Menge von Wendungen, Bildern etc., die eben nur eine Ausschmückung bezwecken, und die somit durch ähnliche nicht blos ersetzt werden können, sofern letztere nur in Harmonie mit dem Tenor der Stelle, sondern statt deren sogar manchmal andere gewählt werden müssen, weil das Sprachidiom ein anderes und weil sonst für die nach Volkscharakter, Landesart und Sitte verschiedene Anschauungsweise des Lesers der eigentliche Zweck verfehlt werden würde.
Eine solche Latitude kann dagegen nicht gestattet sein, wo es sich um ganz bestimmte Ideen oder Empfindungen handelt, die an der ihnen angewiesenen Stelle einen ganz bestimmten Zweck zu erfüllen haben.
Auch dies gilt wieder ganz besonders für philosophische Dichter, wie Byron, bei welchem oft durch ein einziges Wort ein ganzer Ideengang repräsentirt wird, wie z. B. in dem Lied Medora's (Corsar, I. Ges.) durch das Wörtchen
virtue. Diese zweite Zeile der 4ten Strophe
"grief for the dead no virtue con reprove"
mit
"Gram um den Tod erlaubt ja die Natur"
zu verdeutschen, heißt einfach die ganze Pointe, den eigentlich maßgebenden Gedanken dieses wunderbar lieblichen Liedes ruiniren. – Medora's Liebe für Conrad war nämlich eine freie, durch kein äußerliches Band ge- oder entheiligte (beides richtig!), ihre Verbindung mit demselben eine sog. unerlaubte – und gerade hierauf spielt jenes eine Wort so unübertrefflich schön und zart an. – In so fern nämlich der Tod alle Schuld – wirkliche oder blos vermeintliche – sühnet, wird auch die Liebe Conrad's für sein verstorbenes Lieb nicht einmal von der Tugend getadelt werden können. – Dies einzige kleine Beispiel wird genügen, um zu zeigen, wie gerade derartige Verstöße und Versündigungen am Original zu den allerschlimmsten gehören. –
Wenn wir in Bezug auf das Sachliche noch einen weiteren Punkt berühren wollen, obgleich die beiden vorigen eigentlich Alles umfassen, so möge es der eines richtigen Gefühles für das Schickliche und Passende sein, welches bei Uebersetzungen von Dichtwerken nicht wohl ohne poetische Anlage und künstlerische Durchbildung des Uebersetzers gedacht werden kann, weil dieser sonst sich nicht in die Stimmung des Originals zu versetzen und dem Ausdruck gerecht zu werden vermag, namentlich wo dieser einen "freieren Schwung" nimmt. – Um auch hier die Sache durch ein Beispiel klar zu machen, verweisen wir auch die Einleitung zum Giaur, in welcher eine neuere Uebersetzung der Zeile
And trample brute – like o'er each flower"
mit
"Und stampft die Blume gleich dem Vieh"
verdeutscht!
Daß es aber selbst bei genügender Begabung in dieser Hinsicht nicht möglich, dem Original gerecht zu werden ohne genaue Kenntniß der Sprache, ohne Durchdringung des Geistes derselben, versteht sich ganz von selbst; denn was soll der Leser, der das Original nicht kennt, z. B. sich denken, wenn er von
"schwieriger Luft auf eis'gem Bergeshaupt"
liest, was eine Verdeutschung von
difficult air in dem Dialog Manfred's und der Alpenfee sein soll?
Was die Form, die äußere Darbietung anlangt, so kommt hier zunächst der Styl in Betracht. Dieser muß bei einem Dichtwerk nicht nur gut sein, sondern er muß sich auch als schön und ästhetisch darstellen. Daß hiernach alles Rohe, Triviale, Ordinäre von selbst ausgeschlossen ist, bedarf kaum einer besondren Erwähnung; denn wenn auch ein Dichtwerk, namentlich ein komisches, humoristisches, Situationen berühren mag, die nicht ganz frei von jenen Eigenschaften, so muß doch ihre Darbildung in solcher Art geschehen, daß sie dadurch gewissermaßen in anderm Licht erscheinen und nicht verletzen. Wer hiernach z. B. die Zeile
"
France got drunk with blood, to vomit crimes "
mit
Frankreich soff Blut, um Greuel auszuspeien"
übersetzen wollte, der würde kaum Anspruch darauf haben, ein "Erobrer fremder Dichtwerke für unsre Sprache" genannt zu werden. –
In gebundner Rede, in welcher sich die Poesie zu bewegen hat, kommt noch besonders die poetische Technik in Betracht, zu welcher vorzugsweise Vers und Reim gehören, und mögen hierüber einige kurze Bemerkungen erlaubt sein. –
Der Vers besteht in der bestimmten, gesetzmäßigen Rhythmik der Sprache, und beruht der poetische Rhythmus auf einer gewissen mathematischen Geltung der Sylben. –
Möge man jene Geltung nun als Quantität oder als Accent oder als Tonquantität oder als Betonung bezeichnen, so ist doch immer so viel gewiß, daß wesentliche Abweichungen davon überhaupt nicht, unwesentliche dagegen wenigstens nicht dem
bon plaisir gestattet sein können, weil sonst der Rhythmus gestört, die eigentliche Musik der Sprache vernichtet wird.
Ein Beweis für die Richtigkeit des Gesagten wird wohl darin gefunden werden können, daß keiner unsrer besseren Dichter sich einen wesentlichen Verstoß gegen den zu Recht bestehenden Sylben- und Wort-Accent gestattet. – Antispastische Rhythmen und derartige Abweichungen, wenn sie nur nicht an unpassender Stelle auftreten und nicht dem Ton des Verses zuwider sind, gehören natürlich nicht hierher.
Der Reim dagegen, welcher in dem Gleichklang der Wörter oder Sylben am Ende des Verses besteht, darf insofern als etwas minder Positives betrachtet werden, als jener Gleichklang nach ganz allgemeinem und so zu sagen ausnahmslosem Gebrauch nirgends als absoluter aufgestellt und als solcher von keinem unsrer deutschen Dichter, von den Olympiern bis zu den
diis minorum gentium herab, durchgeführt wird, mit alleiniger Ausnahme von Platen, welchem das Monopol zu Practizirung dieser poetischen Seiltänzerei daher getrost überlassen werden kann. – Ein solch allgemeiner
usus hat aber so viel Aehnliches mit einem Gesetz, das es zum wenigsten nicht unstatthaft sein kann, demselben zu folgen.
Aus diesem Allem erhellt nun unbestreitbar so viel, daß ein Verstoß in ersterer Hinsicht, gegen den zu Recht bestehenden Sylben- und Wort-Accent, für ein fein gestimmtes Gehör viel empfindlicher sein muß, als ein nicht ganz reiner Reim, bei welchem, mit der Beschränkung des "
est modus in rebus " von einem Fehler nicht die Rede sein kann.
In beiderlei Hinsicht ist der Uebersetzer, dem durch das zu bearbeitende Original überall Schranken gezogen sind, viel schlimmer gestellt als der Originaldichter, ‒
namentlich aber bezüglich des Reimes, weil hier auch Das ganz wesentlich, daß, so weit thunlich, überall, wo es wirklich darauf ankommt, (was allerdings noch lang nicht jedesmal der Fall ist) auch diejenigen Worte in den Reim gestellt werden, welche Träger des Hauptgedankens sind; ‒ es muß daher dem Uebersetzer allermindestens Das erlaubt sein, was dem Originaldichter nicht untersagt ist, weil man ihn sonst ohne jeden vernünftigen Grund auf Kosten anderer, wichtigerer Rücksichten, namentlich des Gedankens, beschränken würde.
Sodann möge mit besondrer Beziehung auf die Wahl der Reimworte noch bemerkt werden, daß die Stellung solcher Wörter, auf denen der "gedankliche Nachdruck" liegt, in den Reim nicht forcirt werden kann, ‒ und wenn eine Uebersetzung, um ein solches Wort in diese Stellung zu bringen, an hunderten von Stellen damit andre Worte als Reime paart, die in der ihnen gegebenen Verbindung Geschmacklosigkeit, Mißhandlung der Sprache oder gar Unsinn documentiren, dann wird ein so auffälliger Mißgriff wohl nicht als "besonders verdienstvoll" zu loben sein. –
So viel über die Form, obgleich noch manches Besondre zu sagen wäre
9 wenn hier überhaupt mehr als allgemeine Andeutungen gegeben werden könnten, und nun nur noch ein Wort über das Verhältnis zwischen dem Sachlichen und Formellen.
So gewiß es ist, daß Inhalt und Form niemals ganz unabhängig von einander sind, vielmehr sich gegenseitig bedingen, wie z. B. in Byron's Junger Harold der blos männliche Reim ganz wesentlich zu dem ernsten Gang dieser Dichtung beiträgt und daher auch den Uebersetzer verpflichtet, ebensowenig kann es bezweifelt werden, daß der Inhalt die Hauptsache ist. Diesem, dem poetischen Gedanken, gilt es demnach vor Allem gerecht zu werden, selbst wenn es nur (natürlich unter gehöriger Beschränkung) auf Kosten der Form geschehen könnte. – Und sicher kommen bei Uebertragung eines fremden Dichtwerkes, namentlich aus der einsylbigen englischen in die vielsylbige deutsche Sprache und wenn die Originaldichtung eine gedankenreiche ist, immer gar manche Fälle vor, in welchen entweder die Intgrität des Gedankens oder der Ausdruck desselben den Kürzeren ziehen muß. Für den verständigen Uebersetzer wird in solchen Alternativen so wenig als für den einsichtsvollen Leser ein Zweifel über die Wahl bestehen; denn so bestechend ein überall ganz glatter Fluß der Rede namentlich für den mit dem Original nicht Vertrauten, der nicht ahnet, was ihm vorenthalten bleibt, so wenig wird eine kleine Härte zum Vortheil der Integrität des Gedankens verurtheilt werden können, sofern sie nur nicht durch Nachlässigkeit verschuldet ist, während auf der andern Seite eine Corruption des Gedankens überall zurückgewiesen zu werden verdient. –
Voß' Uebersetzung des Homer ist nichts weniger als frei von solchen kleinen, ja mitunter recht fühlbaren Härten – gleichwohl ist sie bis jetzt noch unerreicht. "
Sunt delicta tamen quibus ignovisse velimus. "
Den vorentwickelten Hauptanforderungen habe ich nicht minder als in meiner Byron-Uebersetzung auch in nachstehender der kleineren Dichtungen Shakespeare's überall zu entsprechen gesucht. – Wenn ich mir dabei erlaube, in den Anmerkungen zu den Sonetten auf verschiedne Stellen der sonst so lobenswerthen Bodenstedt'schen Bearbeitung derselben zu verweisen und zu zeigen, wo und wie hier und da in wie mir scheint nicht statthafter weise von dem richtigen Weg abgewichen worden, und zwar sowohl bezüglich des Inhaltes als der Form (namentlich auch des Sylben- und Wort-Accentes) so lag mir dabei, wie ich versichern darf, nichts ferner als die Absicht der Bemäkelung einer Arbeit, die so vielfache Anerkennung gefunden hat; denn ich bin zu sehr eingedenk der Worte Byron's, dieses wahrhaft Gerechten, in einem Brief an Murray: "Ich glaube nicht, daß der Ruf eines Autores durch Bemäkelung der Verdienste andrer Schriftsteller gewinnen könne", ‒ Nichts, dies wiederhole ich, lag mir ferner, ‒ es geschah vielmehr nur vorbeugend und nicht ohne äußeren Anlaß dazu. –
Daß Arbeiten der vorliegenden Art mit den vielfachen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, weiß Jedermann, dem überhaupt ein Urtheil darüber zusteht, ‒ und wird hiernach keine so leicht Anspruch auf Tadellosigkeit erheben wollen; das aber sollte jede erwarten dürfen, daß kein Urtheil, namentlich kein vergleichendes, gefällt werde ohne gründliche Prüfung derselben ihrem ganzen Umfang und jeder Richtung nach bis auf Herz und Nieren, und zwar mit alleiniger Rücksicht auf die Sache; denn da Bücher so gut ihre Schicksale haben wie Menschen, so ist unbegründete üble Nachrede dort eben so wenig zu rechtfertigen als hier, ‒ von unverdienten Anpreisungen nicht zu reden.
Ohne jede andre Stütze, als die sich in meinen Arbeiten selbst vielleicht bieten möchte, und jede andre verschmähend sage ich mit Byron:
"Ich stand und steh' allein."
Und nun nur noch Eines:
Die Shakespeare-Sonette wurden von mir schon vor langen Jahren und zwar als Vorstudie zu meiner Byron-Uebersetzung bearbeitet, ohne jede Absicht auf Veröffentlichung. Wenn solche nun gleichwohl erfolgt, nachdem die Bodenstedt'sche Uebersetzung so viel Glück gemacht hat, dann müssen wohl besondre Gründe maßgebend gewesen sein, die der Leser vielleicht ahnen wird. – Um jedoch den Vorwurf der Unbescheidenheit vorzubeugen, wozu nichts dienlicher als eine gründliche Prüfung und eingehende Vergleichung, habe ich zu Erleichterung letzterer jeder Nummer die entsprechende bei Bodenstedt beigesetzt. Dies ist, wie ich denke,
fair play , ‒ und nun möge der Leser selbst urtheilen über Gegenwärtiges und Früheres. –