Auswahl: Übersetzer

790 Hübner, Hans (1877-1962)

Shakespeares Sonette in deutscher Sprache und italienischer Versform (Dresden: Dresdener Verlagsgesellschaft KG, 1949), o. S.

2. Aufl. 1950, 3. Aufl. bei Hinstorff, Rostock 1953 und 2. (4.) Aufl. ebda. 1956, je 196 S.

Vollständige Ausgabe: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154.

Mit Vor- und Nachwort und alphabetischem Verzeichnis der Überschriften sowie der Anfangszeilen; jedes Sonett erhält eigene Überschrift.

Nachwort:

Es gibt wohl keinen Gebildeten in Deutschland, der Shakespeare nicht als den größten Dramatiker aller Zeiten kennt und anerkennt, aber nur wenige wissen, daß er außer seinen 36 Dramen auch über 150 Sonette geschrieben hat, und kaum einer ahnt, daß diese Gedichte zu dem Schönsten, Tiefsten und Gedankenreichsten gehören, das Shakespeare geschaffen hat. Und so wurden sie auch von seinen Zeitgenossen gewertet, die ihn wegen seiner Sonette gerade den "honigzüngigen Dichter" nannten. Sie erfreuten die Leser, die damals an die Sonettenkränze ihrer Dichterheroen gewöhnt waren, während die Dramen in ihrer ganzen Größe und Monumentalität doch nur von dem engeren Kreise jener genossen werden konnten, die in der glücklichen Lage waren, des Dichters Globe-Theater in London zu besuchen. Man wundert sich heute immer wieder, daß der Autor solcher Dramen so wenig um seinen eigenen Nachruhm besorgt war, daß er sich gar nicht um die Herausgabe seiner Werke kümmerte – sie kursierten zu seinen Lebzeiten ja in jenen üblen Nachdrucken, die ihre Größe kaum ahnen ließen -, aber es mag sein, daß er das Liebesgeflüster Romeos und Julias und alle Ergießungen seines überreichen Herzens nicht der damals noch jungen Erfindung Gutenbergs anvertrauen wollte: sie könnten im Buchdruck erdrückt werden, fürchtete vielleicht der Sinnenfrohe, auf Schauen und Hören Eingestellte. Aber die Gedichte waren für Leser bestimmt, und sie wurden gelesen und so der große Erfolg ihres Dichters.
Wir stehen also hier vor der erstaunlichen Tatsache, daß jenes Werk Shakespeares, das zu seinen Lebzeiten so geschätzt wurde, jetzt in Deutschland, wo der Dichter heute populärer ist als in seiner Heimat, kaum bekannt ist.
Das liegt wohl am meisten daran, daß Schlegel und Tieck, die dem deutschen Volke den deutschen Shakespeare schenkten, diese Gedichte nicht in ihre Übersetzung aufgenommen haben.
Man sagt nicht zuviel, wenn man ihr Übersetzungswerk in die Reihe jener stellt, die dem deutschen Geist je eine neue Welt geschenkt haben: die Lutherische Bibel und die Vossische Homerübersetzung.
Schlegel und Tieck – und wenn man gerecht ist, muß man mit ihnen auch Tiecks Tochter Dorothea und ihren Mann, den Grafen Baudissin nennen – haben Shakespeare durch ihr Werk gleichsam noch einmal zur Welt kommen lassen, und diesmal als deutschen Dichter. so wunderbar ist es ihnen gelungen, Shakespeares Geist mit der deutschen Sprache zu vermählen, daß kein Unbefangener auf den Gedanken kommen könnte, eine Übersetzung zu lesen, wenn er ihre Übertragung vor sich hat. Es ist mit der Übersetzungskunst nicht anders als mit der Schauspielkunst: in ihrer idealen Höhe heben sie sich selbst auf. Die Schauspielkunst scheint in Wirklichkeit, die Übertragung Originaldichtung geworden zu sein. Hätten die Romantiker auch die Sonette übersetzt, sie wären gewiß heute Allgemeingut der Bildung wie Hamlet oder der Sommernachtstraum. Sie haben es leider nicht getan, und die es bisher versucht haben, haben andere Fähigkeiten, vielleicht auch andere Absichten dazu mitgebracht.
Es haben sich unter ihnen auch einige namhafte Dichter an die Arbeit gemacht. Hier ist in erster Linie Stefan George zu nennen. Aber bei der prononcierten Eigenart dieses Dichters war es nicht anders zu erwarten, als daß er die Shakespearischen Sonette in Stefan-Georgische übersetzte. Auch Dichter wie Bodenstedt und Paul Heyse haben in ihre glatten, allzu glatten Verse den Duft und die Leidenschaft Shakespearischen Geistes nicht einfangen wollen – oder können. Die Arbeit eines übersetzenden Dichters gleich der eines Malers, der ein fremdes Bild kopiert: seine künstlerische Individualität gibt ihm die Grundlage, aber auch eine gewisse Gefahr für die Wiedergabe der Kunst des anderen Künstlers.
Die meisten Übersetzer kamen natürlich von philologischer Seite. Das Kennzeichen ihrer Arbeit ist daher philologische Treue. Ihre Übersetzungen sind unentbehrlich und bilden die Grundlage jeder Verständigung über das Werk. Sie suchen jedes Wort, jedes Komma zu übersetzen, und es ist manchmal ergötzlich zu sehen, wie sie sich anstrengen, selbst einzelne schlechte Reime und fehlerhafte Jamben des Dichters wiederzugeben. Was herauskommt, ist eine getreue Nachbildung des Originals, im Werte schwankend zwischen einem Öldruck, eine Photographie und einem modernen Vierfarbenkunstdruck nach einem Bilde. Diese Nachbildungen können in bezug auf Größe, Farbe, Ausführung mit der Wirklichkeit des Originals völlig übereinstimmen. Aber ihnen gegenüber wird man sich an das Wort Schillers erinnern: "Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern."
Die Wahrheit aber ist der Geist des Werkes, aus dem heraus der Meister es schuf.
Bei aller Wertschätzung dieser Arbeiten: sie haben die Sonette dem Herzen der Leser nicht nahegebracht.
Wie tief aber Schlegel-Tiecks Dramenwerk im Herzen des deutschen Volkes verankertist, dafür gibt es keinen schöneren Beweis als diesen: Als nach der Zerstörung vieler Berliner Theater durch englische Bomben einige weniger ramponierte wieder eröffneten, taten sie es mit – Othello und Was ihr wollt. Erschüttert erkannt man hieraus die erhabene Größe Shakespeares – und des deutschen Kunstwillens und –schaffens: Selbst nach solchem Erlebnis konnte Shakespeare Trost bringen. Denn er ist ja nach dem schönen Hebbelwort
"so wenig Brite wie Jesus Christus ein Jude".
Er gehört der ganzen Welt mit seinen Dramen, - aber mit seinen Sonetten? Noch nicht.
Gibt es nun einen Weg, die Unterlassung der Romantiker in ihrem Übersetzungswerk heute noch nachzuholen? Nach dem vorher Ausgeführten müßte, wer es wagt, nicht zu sehr Philologe und nicht zu sehr Dichter sein, das heißt, er müßte frei sein von der Last philologischen Wissens und nicht allzu verliebt in sein dichterisches Können. Vielleicht käme er am besten aus einem ganz anderen Lager: etwa als ein Arzt, dem langjährige Erforschung der Natur und der menschlichen Seele das Auge geschärft hat für den psychologischen Inhalt dieser Dichtung in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit und Buntheit. Wie nahe Shakespeare den modernsten psychologischen Problemen steht, hat der deutsche Psychiater Hoche schon empfunden: "Sein Wissen um die dunklen Gänge der Seele ist erschreckend; er muß im Rate der Götter gesessen haben, als Menschen erschaffen wurden: sein Wirklichkeitsblick durchdringt alle Hüllen und dringt bis zu den verborgensten Gründen des Herzens."
Nicht als Philologe oder Dichter abgestempelt, nur als literarisch interessierter Arzt ging ich an die Arbeit, die Shakespearesonette so in der deutschen Sprache wiederzugeben, wie sie seinerzeit in der englischen auf die Zeitgenossen des Dichters gewirkt haben. Ich wehre mich entschieden und leidenschaftlich gegen die Auffassung, ich hätte eine neue Übersetzung geschaffen. Ihrer gibt es genügend gute, so daß es sinnlos wäre, ihnen eine neue nachzuschicken. Sie gleichen in ihren besten Ergebnissen jenen Abgüssen alter Kunstwerke, Statuen und Münzen, die wir heute in den Museen haben: sie gleichen in allen Details, Farbe, Größe den Originalen durchaus. Aber wir dürfen doch keinen Augenblick vergessen, daß diese Originale heute nur noch Reliquien, Mumien sind von Dingen, die einst vor Jahrhunderten in Verkehr und Leben standen und damals blink und blank und selbst sozusagen lebend waren. Das gilt in gewissem Sinne sogar für die Bilder der alten Meister, die etwa gleichzeitig mit den Sonetten entstanden sind. Die Rembrandtsche Nachtwache war, als sie gemalt wurde, kein Nachtbild, sondern das farbenfrohe Bild des Auszuges der Schützengilde. Das mystische Helldunkel Rembrandts ist die Edelpatina der Zeit, die jetzt auf dem Bilde liegt.
Und so muß, wer die Shakespearesonette so herrichten will, wie sie zu ihrer Zeit gewesen sind, sie so blank putzen, aufhellen, entdunkeln, wie es ein Bildrestaurator tun müßte, wenn man ihm einen so einmaligen Schatz wie ein Rembrandtbild anvertrauen könnte. Das mag seine Bedenken haben, aber bei tausendfach gedruckten Gedichten ist es erlaubt, ja von Zeit zu Zeit sogar unsere Pflicht, damit sie nicht unter dem Staub der Jahrhunderte allmählich in den prähistorischen Zustand der Papyri und Mumien hinabsinken.
Aufhellen, Entdunkeln war also meine erste Aufgabe. Dazu gehörte schon bei manchen Sonetten eine Änderung des Stils. Die Engländer des 16. Jahrhunderts waren es gewohnt, ihre sonettierenden Dichter – das Sonettschreiben war damals die große poetische Mode – in einem etwas preziösen, leicht verschnörkelten Stile reden zu hören, und sie liebten diesen Stil. Wir schätzen heute klarere Worte: so müssen zur Erreichung desselben Lustgefühls beim Lesen sprachliche Bilder geklärt, die manchesmal erdrückende Fülle der Worte gemindert werden. Man sieht hier schon meinen Weg und den des philologischen Übersetzers auseinandergehen: Er will das dunkel lassen, ich es klären. Mein Ziel: Jedes Gedicht soll beim ersten Lesen verständlich sein. Wenn man die Worte eines Gedichtes erst entknäueln muß wie die eines philosophischen Werkes von Kant, so ist der poetische Genuß schon unmöglich.
Neben der Sorge für die Herausarbeitung eines klaren Gedankens war bei der Übertragung noch die englische Sprachkürze zu beachten: Mit der englischen Sprache kann man durch gewisse wortsparende Konstruktionen mit der gleichen Wortzahl mehr ausdrücken als mit der deutschen Sprache. Da nun im Sonett die Silben- und damit eigentlich auch die Wortzahl durch die 14 Zeilen der fünffüßigen Jamben mit 14mal 10 bis 11 Silben festgelegt sind, so kann in die deutsche Form nicht alles hineingepreßt werden, was in der englischen enthalten war. So mußte ich denn bei meiner Arbeit, wie ein Gärtner bei der seinigen allzu üppige Ranken entfernt, manches fortlassen. Daß ich dann zur Deckung des Defektes und zur Erhaltung des Gleichgewichtes der Verse manches wieder aus eigenen Gedanken hineinpflanzen mußte, hat mir selbst manche schlaflose Nachtstunde bereitet. Darf ein Heutiger, fragte ich mich, mit dem Werke eines Verstorbenen, der sich nicht wehren kann, so umgehen? Die Philologen werden es mir schwerlich verzeihen, Shakespeare eher: denn er hat ja selbst oft Werke früherer Dichter in seine Hand genommen und durch seinen Geist gehen lassen. Möge es mir jetzt auch der deutsche Leser verzeihen, da ich es nur tat, um das dunkelste Werk des Dichters ihm näherzubringen!

Nachdrucke:

"Poet als Seemann", in: "Es rauscht in unserm Lied das Meer." Eine Auswahl alter und neuer Meereslyrik. Hrsg. Horst Görsch (Berlin: Verlag der Nation, 1961), 368 S.; darin S. 261.

Sonett 80

Der Text ist der 3. Auflage der Gesamtübertragung auf S. 90 (1953) entnommen.

Ulrich Erckenbrecht, Shakespeare Sechsundsechzig. Variationen über ein Sonett. Gesammelt, hrsg. und kommentiert von Ulrich Erckenbrecht, 2., erw. Ausgabe (Kassel: Muri Verlag, 2001), S. 157. (=1110)

Sonett 66.

Jürgen Gutsch, 'lesen, wie krass schön du bist konkret'. William Shakespeare. Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Hg und eingeleitet von Jürgen Gutsch mit einem Geleitwort des Bibliographen Eymar Fertig (Dozwil: Edition SIGNAThUR, 2003), S. 90. (=2085)

Sonett 18

Zur Biographie:

Christa Jansohn, "'Damit die Rose Schönheit nie verdorrt': Christa Schuenkes neue Gesamtübersetzung der Shakespeareschen Sonette", Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 232 (1995), S. 316-334; insbes. Anm. 2.

Literatur:

Christa Schuenke, "'Rough winds to shake the darling buds of may'. Zu meiner Neuübersetzung sämtlicher Sonette von William Shakespeare, erschienen 1994 im Straelener Manuskripte Verlag", ShJb, 132 (1996), S. 150-160, bes. S. 155.

Käthe Stricker, "Deutsche Shakespeare-Übersetzungen im letzten Jahrhundert (etwa 1860-1950)", ShJb, 92 (1956), S.45-89; insbes. S. 83.

Siehe auch:

K280, K290, R130, L265