690 Wolff, Gustav (1865-1941) ADB
William Shakespeare: Sonnette
. Englisch und deutsch. Neue Verdeutschung von Gustav Wolff (München: Reinhardt, 1938), 163 S., darin S. 9-163.
Vollständige Ausgabe, zweisprachig: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154.
Mit "Vorwort" (S. 5-8).
Zweite, veränderte Auflage:
William Shakespeare: Sonnette
. Englisch und deutsch. Neue Verdeutschung von Gustav Wolff (München: Reinhardt, 1939), 163 S., darin S. 10-163.
Vollständige Ausgabe.
Zweisprachig, mit "Vorwort" (S. 5-8).
Vorwort:
So bekannt es ist, daß der Dramatiker Shakespeare auch Sonette geschrieben hat, so unbekannt sind diese Gedichte selbst geblieben, besonders in Deutschland, dem doch eine Vernachlässigung Shakespeares im Allgemeinen nicht vorgeworfen werden kann.
Daß die Sonette so vielfach herangezogen werden zu literarischen Diskussionen über "Shakespeare-Probleme", daß sie zu den gewagtesten Hypothesen über das Leben des Dichters herhalten, daß sie in der Bacon-, der Rutland- und ähnlichen "Fragen" eine große Rolle spielen, konnte nicht zur Erweckung eines wirklichen Interesses beitragen. Dasselbe gilt von den mannigfachen Deutungen und Wertschätzungen, über die das Publikum von den verschiedensten Seiten unterrichtet wurde.
Da man von Shakespeares Leben nicht allzuviel weiß, so haben viele, die es als ihre Aufgabe betrachteten, dieses Leben zu beschreiben, sich an diese subjektiven Gedichte geklammert, um alle möglichen Vermutungen über das Erdenwallen des Dichters aufzustellen. Die Fragen: sind die Sonette Phantasieprodukte oder Niederschläge wirklicher Erlebnisse? – sind speziell die angeredeten Personen poetische Figuren, oder sind es Menschen von Fleisch und Blut? – sind gewiß interessant, und sie wären es besonders, wenn wir sie beantworten könnten, wenn wir also wüßten, welche Schöne oder welche Häßliche die schwarze Dame war, wer die zum Ehebund gemahnte Mannesschönheit ist, ob dieser Freund der Lieferant (begetter) für den ersten Raubdruck war, ob er Pembroke oder Southampton hieß, oder ob gar, wie eine neueste Hypothese lautet, jener W. H. der Cambridger stud. med. William Harwey, der spätere Entdecker des Blutkreislaufes, gewesen ist. Aber die Beantwortung diese und verwandter Fragen hätte doch nur ein stoffliches Interesse und wäre ohne Beziehung zu der künstlerischen Bedeutung der Sonette. Diese kann nur von Dem erkannt werden, der die Gedichte ohne jedes Nebeninteresse auf sich wirken läßt.
Obwohl die Rechtfertigung einer neuen Übertragung nur durch sie selbst erbracht werden kann, so ist es doch wohl dem Verfasser gestattet, einige Grundsätze, die ihn bei der Arbeit geleitet haben, anzudeuten. Die größte äußere Schwierigkeit bildet für die Verdeutschung eines englischen Gedichtes die englische Sprachkürze. Zu ihrer Überwindung scheint es nur zwei Hilfen zu geben: unnatürliche Einschnürung der deutschen Sprache oder Opferung von Originalbestandteilen. Beide Wege sind aber bei Shakespeare besonders gefährlich. Der erste Weg droht, unter akrobatenhafter Sprachverrenkung ein unnatürliches Gebilde zu liefern. Der zweite opfert Fleisch und Blut vom Vorbild, und weil Shakespeares Schöpfungen, wie vielleicht bei keinem andern Dichter, Körper und Geist eine geschlossene Einheit bilden, so kann den Übersetzer das Streben nach leichten Sprachfluß verführen, ein Gedicht zu liefern, das zwar trivial-konventionelle Glätte aufweist, aber nicht allzuviel vom Hauch Shakespeareschen Geistes verspüren läßt. Aufgabe ist es also, hier zwischen Skylla und Charybdis einen leidlich gangbaren Pfad zu suchen, um jeweils das relativ schmerzloseste Opfer zu bringen.
Da die Übertragung nicht nur ein deutsche Gedicht, sondern auch ein deutsches Sonett sein soll, so dürfen nicht alle Eigenheiten, die sich im englischen Sonett herausdifferenhziert haben, nachgeahmt werden ohne Berücksichtigung der Verschiedenheit dynamischer Werte im Sonett beider Sprachen. So entspricht die Bevorzugung des männlichen Versschlusses im englischen Sonett keineswegs einer gleichlaufenden deutschen Prävalenz. Auch die Zäsur hat in beiden Sprachen verschiedene Prädilektionsstellen. In solchen Dingen ist der Übersetzer nicht an das Original gebunden, denn er soll ja das fremde Kunstwerk nach der Gesetzlichkeit der eigenen Sprache wiedergeben. In einzelnen Fällen ist sogar bewußte Abweichung vom Vorbild anzustreben, z. B. bezüglich des Reimklanges.
Anders liegt die Sache mit den Klangassoziationen, Alliterationen und Wortspielen. Diese Formungen gehören zum Geiste der Shakespeareschen Sprache und bilden in den Sonetten noch mehr als in den Dramen ein akzessorisches Charakteristikum, dessen Übertragung zu erstreben ist, soweit sie zwanglos gelingt, und natürlich nur dann, wenn es sich um beabsichtigte, nicht um zufällige Bildungen handelt. Unreine Reime wie doting – nothing (Son. 20) oder better – greater (Son. 119) oder remember'd – tender'd (Son. 120) sind nicht etwa als vikariierende Assonanzen aufzufassen, sondern als zufällige Laxheiten, deren Nachbildung nur eine störende Künstelei bedeuten würde. Analoges gilt von den meisten, ausschließlich aus einsilbigen Wörtern zusammengesetzten Versen. Son. 147,13 oder 148,8 z. B. zeigen dies Bildung als eine Strukturzufälligkeit – wenn die Anwendung dieses biologischen Ausdrucks hier erlaubt ist –, dagegen ist die gleiche Bildung in Son. 65,11 zweifellos beabsichtigt, denn der Vers
Or what strong hand can hold his swift foot back?
bringt uns die Wucht des einförmigen Flügelschlags der Zeit zu fast sinnlicher Wahrnehmung. Entsprechendes gilt von Son. 12,1.
Shakespeares Sonette haben seit ihrer ersten Veröffentlichung bis heute die verschiedensten Wertschätzungen erfahren. Oft verurteilt von unreiner Prüderie, begrüßt von seiten gewisser abnormer Veranlagung, mit Rettungsversuchen bedacht von naiver Biederkeit, haben es diese Gedichte nicht ganz leicht gehabt, die fleckenlose Reinheit ihres menschlichen Empfindens und die Hoheit ihres künstlerischen Gehaltes zu objektivem Verständnis zu bringen. Zur Förderung dieses Verständnisses einen bescheidenen Beitrag zu liefern, ist die Absicht dieser Doppel-Ausgabe.
Basel, im Sommer 1938.
Gustav Wolff.
Nachdrucke:
Ulrich Erckenbrecht, Shakespeare Sechsundsechzig. Variationen über ein Sonett (Shakespeares Sonett Nr. 66 in 88 deutschen Translationen). Gesammelt, ediert und kommentiert von Ulrich Erckenbrecht (Göttingen: Muri Verlag, 1996), S. 197 (=1110).
Sonett 66
Jürgen Gutsch, 'lesen, wie krass schön du bist konkret'. William Shakespeare. Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Hg und eingeleitet von Jürgen Gutsch mit einem Geleitwort des Bibliographen Eymar Fertig (Dozwil: Edition SIGNAThUR, 2003), S. 78. (=2085)
Sonett 18
Literatur:
Delabastita, Dirk, "Shakespeare's Sonnets in Translation. A T.T:-Oriented Approach", Second Hand. Papers on the Theory and Historical Study of Literary Translation, ed. by Theo Hermanns. (Antwerp: ALW, 1985), S. 106-127.
Erckenbrecht, Ulrich, "Shakespeare, sein Sonett 66 und seine deutschen Translatoren", Shakespeare sechsundsechzig. Variationen über ein Sonett (Göttingen: Muri Verlag, 1996), S. 4-110, darin S. 96-97.
Rezensionen:
Wolfgang Keller, ShJb, 75 (1939), 150.
Wolfgang Keller, Zeitschrift für den neusprachlichen Unterricht, 40 (1941),. 140-141.
Käthe Stricker, "Deutsche Shakespeare-Übersetzungen im letzten Jahrhundert (etwa 1860 bis 1950)", ShJb, 92 (1956), S. 45-89, bes. S.83.