Auswahl: Übersetzer

280 Tschischwitz, Benno (1828-1890)

Shakspere's Sonette . Deutsch von Benno Tschischwitz (Halle: G. Emil Barthel, 1870). XVIII, 156 S.)

Vollständige Ausgabe: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154.

Einleitung:

Das Sonett war bei den Engländern zu Shakspere's Zeit die beliebteste Form der sujectiv-lyrischen Dichtung. Aus Italien eingeführt, wurde es von namhaften Dichtern wie Wyat, dem Grafen Surrey. Watson. Philipp Sidney. Daniel. Henry Constable. Spenser und einer großen Anzahl weniger bekannter Schriftsteller gepflegt, unter denen sich nur Sidney an die strengere Form des Quatrains und seiner vier verschlungenen Reime, sowie der beiden Schluß-Terzinen hielt. Sammlungen von Sonetten waren in der Elisabeth-Zeit daher nichts Seltenes, denn sie entsprachen dem Geschmack des der italienischen Poesie vorzugsweise zugewendeten Zeitalters. So erschien 1592 die Delia, eine Reihe von 57 Sonetten von Daniel ; 1594 Constable's Diana, die bald von Spenser's 1595 veröffentlichten Amoretti, (88 Sonette), in den Hintergrund gedrängt wurde. Gleichwohl folgten auch dieser Sammlung die Idea's von Drayton , die sich durch angenehmen Tonfall und seine Stilistik auszeichnen, wenn auch der darin enthaltene Witz etwas geschraubt ist. Neben den Genannten nimmt Shakspere's Sonettensammlung eine hervorragende, auch von den Zeitgenossen als solche anerkannte Stellung ein. Wer diese Sammlung indessen veranstaltet und zum Druck befördert habe, ist nicht bekannt. Rührte sie vom Dichter selbst her, so würde sie gewiß eine sorgfältigere Auswahl und eine chronologisch richtige Anordnung erfahren haben, die beide an der ersten englischen und dann unverändert überlieferten Redaction vermißt werden. Die ersten 125 Sonette sind, wie ihr Inhalt ergibt, an einen jungen Mann von vornehmer Lebensstellung gerichtet; doch findet auch ein wenig geübter Blick, daß sie in sehr verschiedenen Zeiten, ja selbst nach mehrjährigen Zwischenräumen entstanden sein müssen. An einigen Stellen zeigt sich der Dichter diesem jungen Manne gegenüber als bereits in vorgerücktem Alter stehend (S. 22), so daß man zu der Annahme berechtigt scheint, er werde mit der Ausarbeitung zwar bereits um das Jahr 1597 begonnen, dieselbe aber bis gegen 1603 fortgesetzt haben, namentlich da sich zwischen Sonett 66 und dem berühmten Monolog in Hamlet (1597): "Sein oder Nichtsein," eine ganz auffallende Uebereinstimmung zeigt. Wahrscheinlich hat der Dichter dem Gegenstande seiner Liebe und Verehrung die Dichtungen zu verschiedenen Zeiten überreicht; wenigstens scheinen Sonett 100 und 101 darauf hin zu deuten. Daß der junge vornehme Freund fern von London weilte, geht deutlich aus Sonett 97 und 98 hervor; und ebenso lassen andere darauf schließen, daß die Innigkeit des mit so schwungvoller Begeisterung besungenen Verhältnisses durch verdrießliche Zwischenfälle bisweilen getrübt worden sei. (S. 110, 119, 120.) Daß jedoch der Besungene in der That den höchsten Ständen angehört haben müsse, geht nicht allein hervor aus der Andeutung des Dichters, es seien demselben auch von anderen Seiten poetische Huldigungen dargebracht worden, (S. 84, 85, 86) sondern auch aus dem mehrmals deutlich hervorgehobenen Abstande der beiderseitigen Lebensstellung, wie in Sonett 111 und 112.
Daß übrigens die fast leidenschaftliche Zuneigung des älteren Mannes zu dem Jüngeren in sehr zärtlicher Weise erwidert, daß der Bund durch wiederholte Besuche immermehr befestigt wurde, ist nach Sonett 34 als ausgemacht anzunehmen, wenngleich 36 schließen läßt, daß der Verkehr durch den Standesunterschied wesentlichen Einschränkungen unterworfen war. Auch mochte das Verhältniß durch manchen leichtsinnigen Streich des Jüngeren nicht selten Störungen erfahren haben (S. 70). Wenn jedoch die sociale Ueberlegenheit desselben ihn von jenen Freiheiten Gebrauch machen ließ, die dem Tiefergestellten gegenüber auch in andern Ländern dem Adelsbewußtsein selbst bis in die neueste Zeit gefolgt sind (Sonett 40, 41 und 42), so befriedigen die unser modernes Gefühl verletzenden Sonette zum Theil wenigstens ein historisches Interesse, da sie ein großartiger Beweis für die Macht des Privilegs und Standesvorrechts sind, die sogar in dem größten Menschen und Denker des Zeitalters wenigstens für einen Moment die Empfindungen der Selbstachtung zu trüben vermochten. Nur eine sehr kurzsichtige Auffassung kann den Dichter ausschließlich für einen Mangel verantwortlich machen, der bis in die Neuzeit den nicht privilegierten Ständen zur Last zu legen ist; und außerdem hätte Shakspere selbst sich nur über eine Indiscretion zu beklagen, die es wagen konnte, Dichtungen, die als Manuscripte nur für den engsten Kreis bestimmt waren, rücksichtslos der Oeffentlichkeit und Nachwelt zu übergeben; denn ganz unzweifelhaft hat der Dichter den Druck derselben werder gewünscht noch veranlaßt, sondern man hat wahrscheinlich wie bei vielen seiner Dramen, sich in furtiver Weise in den Besitz des Manuscriptes gesetzt.
Als der Buchhändler Thorpe die Sonettensammlung in seine Hände bekam, wurden im mit den eben besprochenen noch 26 an eine Frau gerichtete Sonette übergeben, und außerdem noch ein Gedicht in jambischen und zwar fünffüßigen Reimpaaren auf einen Knaben (126); und schließlich noch zwei Sonette allegorischen Inhalts, die auf die Macht Amor's gedichtet, und beinahe ganz gleichen Inhalts sind. Diese Discrepanzen hielten ihn jedoch nicht ab, die ganze Sammlung im Jahre 1609, also nach der Abreise des Dichters aus London, mit folgender mysteriösen Dedication erscheinen zu lassen: "Dem alleinigen Veranlasser dieser nachfolgenden Sonette, Herrn W. H. wünscht alles Glück und jene von unserm unsterblichen Dichter verheißene Unvergänglichkeit, der wohlwollende Herausgeber T. T." Diese Dedication hat die Kritik bis zum heutigen Tage vielfach beschäftigt, ohne sie jedoch zu befähigen, das Feld der Hypothese zu verlassen, und fest zu stellen, wer jener W. H. gewesen sei. Seit Drake's eingehender Abhandlung über Shakspere's Sonette (In Shakspere and his Times. London 1817. vol. II. p. 49ff. ) hat man sich gewöhnt anzunehmen, daß die ersten 125 Sonette dem jungen Grafen Southampton gewidmet gewesen seien, zumal da der Dichter demselben schon seine Epen "Venus und Adonis" und "Tarquinius und Lucretia" dedicirt hatte. Auf diese Persönlichkeit würde die Widmung des Buchhändlers auch ihrer Form nach gar nicht einmal passen; aber jeder Versuch, Uebereinstimmung in das Widersprechende zu bringen, führt zu gezwungenen Auslegungen und willkürlichen Hypothesen. Dieselben, so scharfsinnig sie auch sein mögen, können indeß nur eine sehr geringe Bedeutung für den Genuß der Dichtungen selbst haben; vielmehr sind es unablässig wiederholte Versuche, für das noch so wenig erforschte Leben des Dichters Momente aufzufinden, die der Darstellung irgend einen sichern Anhalt böten. Es ist wohl kaum fraglich, daß der Dichter sich in den meisten seiner Sonette an wirklich lebende Persönlichkeiten wende, doch kann dieser Umstand den poetischen Werth derselben nicht erhöhen; ja es muß ebenso zugegeben werden, daß der Dichter bei seinem lebhaft verfolgten Streben (S. 21 und 32) der Ueberschwenglichkeit seiner dichtenden Zeitgenossen eine maßvollere und reinere Kunstform entgegen zu setzen, ihn häufig genug zur Erfindung mancher Situation werde veranlaßt haben. Daß er die höchste Kunstfertigkeit darin suche, in immer neuen Worten ein und dasselbe zu sagen, d. h. sein Thema, die innigsten Freundschaftsbeziehungen durch die 125 Sonette unausgesetzt zu variieren, spricht er selbst an mehreren Stellen, namentlich S. 76 aus; es verdient daher wohl die von Alexander Dyce zuerst aufgestellte und dann von Gerald Massey weiter durchgeführte Behauptung Beachtung, daß in die eigentlich "persönlichen" auch eine erhebliche Reihe "dramatischer" Sonette eingewebt seien. Unter letzteren werden solche verstanden, die fingirte Situationen zur Voraussetzung haben. Wo sich die letzten von den ersten abgrenzen, das zu bestimmen, ist bei dem Mangel an Daten aus dem Leben des Dichters vollkommen unmöglich; der Hypothese und dem Spiel der Phantasie bleibt hier überall ein viel zu weiter Spielraum; doch wird man zugeben, daß grade dieser Umstand den Dichter vor all den Schlußfolgerungen schützen müsse, die diejenigen zum Nachtheil seiner sittlichen Würde ziehen, die in den besprochenen Situationen Thatsachen voraussetzen.
Von deutschen Uebersetzern haben Bodenstedt und Gelbcke zwar den Versuch gemacht, den einzelnen Sonetten in der ganzen Sammlung ihren sachlich und historisch bedingten Platz anzuweisen, d. h. in der Anordnung ihrer Arbeit von der herkömmlichen Folge abzuweichen. Wenn nun schon diese beiden Bearbeitungen, wie es gar nicht anders sein kann, nicht zusammenstimmen, so ist es mißlich, in einer Angelegenheit, bei der so Vieles von der subjectiven Ansicht abhängig bleibt, mit ähnlichen Veränderungen aufzutreten. Gewiß ist es besser, dem Leser die Freiheit zu lassen, nach der Lectüre den Zusammenhang eignem Ermessen gemäß herzustellen. Leugnen wird kaum Jemand, daß die überlieferte Reihenfolge oft im deutlichen Widerspruch stehe mit der Entstehungszeit des einzelnen Gedichtes; aber wer darf es noch wagen, sich in dieser Sache als Autorität geltend zu machen, da schon Bodenstedt in derselben nicht durchweg anerkannt worden ist?
Halle, October 1869.
B. T.

Nachdrucke:

Albert Ritter, "Die Sonette", in: Der unbekannte Shakespeare. Eine Auswahl aus Shakespeares Werken. Mit 16 Vollbildern in Kupferdruck (Berlin: Gustav Grosser, 1922), S. 262-278. (=530)

Sonett 50 (S. 269/270)

Ulrich Erckenbrecht, Shakespeare Sechsundsechzig. Variationen über ein Sonett (Shakespeares Sonett Nr. 66 in 88 deutschen Translationen). Gesammelt, ediert und kommentiert von Ulrich Erckenbrecht (Göttingen: Muri Verlag, 1996), S. 192. (=1110)

Sonett 66

Jürgen Gutsch, 'lesen, wie krass schön du bist konkret'. William Shakespeare. Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Hg und eingeleitet von Jürgen Gutsch mit einem Geleitwort des Bibliographen Eymar Fertig (Dozwil: Edition SIGNAThUR, 2003), S. 53. (=2085)

Sonett 18

Literatur:

Hermann Isaac, "Zu den Sonetten Shakspere's", Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 33 (1879), 177-200. (zu Sonett 139 und 140).