155 Ploennies, Louise von (1804-1872) fADB
Britannia. Eine Auswahl englischer Dichtungen alter und neuer Zeit
. In's Deutsche übersetzt von Louise von Ploennies. Mit beigedrucktem Originaltext (Frankfurt a.M.: Verlag der Schmerber'schen Buchhandlung, 1843), S. 18/19-30/31.
In HAB vorhanden: M: Lq 713
Online verfügbar.
8 Sonette: 18, 22, 43, 44, 45, 46, 47, 73.
(in der Reihenfolge: 18, 22, 46, 47, 44, 45, 43, 73) dt./engl.
Die Gedichtauswahl wird in dieser Reihenfolge präsentiert und ist der Königin Victoria gewidmet. Dem Abschnitt mit Shakespeares Sonetten ist Miltons Gedicht "What needs my Shakespeare for his honor'd bones…" vorangestellt.
Preface/ Vorwort (S. XII/XIII – XXVI/XXVII)
Poesie ist das beglückende Kind jeder Zone, wenn sie auch in veränderter Höhe und Farbenglut sich entfaltet. Unter der pflegenden Hand der Bramanen wuchs sie in wunderbarer, geheimnißreicher Schönheit empor. Tiefe Weisheit ruhte in ihrem schimmernden Kelche. In dem mauerumschlossenen seltsamen China schießt sie in tausend eigenthümlichen gezackten Blättchen und Blütenspitzen auf; wie in seinem Perlen- und Kaiserthee ist ein lieblicher Duft darin verschlossen, und sie bedurfte nur des Zauberstabes eines Rückert, um in ihrem ursprünglichen Reize vor uns aufzublühen. In der Zone des Nordens hebt sie ihr sagenumrauschtes Haupt an einsamen Klippen und Gestaden. Selbst in dem rauhen Rußland, wo vor dem eisigen Scepter die lieblichen Kinder der Flora erstarren, sucht manchmal ihr in fremder Schönheit prangendes Haupt das Licht. Unter dem blauen Himmel Italiens, umrauscht von melodischen Wogen, geküßt von dem Hauche schmeichelnder Lüfte, sprießt sie überall in wilder Schönheit. Dort ist sie das Eigenthum des Landes und seiner Sprache, beide an sinnlicher Schönheit so reich. Kein Wunder, wenn diese wonnigen Keime, von dem belebenden Strahle seiner größten Geister berührt, sich in vollkommener Schönheit entfalten durften. Frankreich, die Heimath der Troubadours, ist noch immer das liederreiche Land feuriger Klänge. Die nationalen Gesänge eines Beranger, die glühenden excentrischen Dichtungen eines Victor Hugo, die seelenvollen Meditationen eines Alphonse de Lamartine schweben zauberisch über unsern schönen Rhein. Aber mehr als alle diese poetischen Blüten fremder Länder haben jene frischen, kräftigen Triebe, welche dem freien Boden Albions entsprossen, einen hohen Reiz für mich, weil sie dem Charakter meines eigenen Volkes und seiner tiefen reichen Poesie am nächsten verwandt sind. Es sind Zweige desselben Stammes, welche auf der grünen Insel, wo Gedanke und Wort sich fessellos gestalten dürfen, in einfacher, großartiger Ruhe erwachsen. Diese geistige Verwandtschaft Britannia's und Germania's zog mich schon früh zu der britischen Poesie hin, und es wurde für mich eine Aufgabe des höchsten Interesse's, die seelenvollen Züge Beider zu vergleichen. So entstand diese Sammlung englischer Gedichte mit deutschen Motto's, welche, vor der Hand auf einen Band beschränkt, eine, wie ich fühle, sehr unvollkommene Uebersicht der reichen Lyrik jener Insel gewährt. Dennoch wird es, wie ich hoffe, nicht uninteressant sein, ihrem Fortschritte zu folgen, und wenn auch in der Reihe der Sänger mancher fehlt, und die gegebenen Auszüge nicht vermögen, den Dichter in seiner ganzen Größe zu schildern, so werden sie doch für den Kenner gleichsam der Akkord, welche die reiche Symphonie in seiner Seele zu erwecken vermag. Andere dagegen, welchen die englische Lyrik ferner steht, werden diese Dichtungen immerhin durch die reine Kraft und Naturwahrheit, welche ihnen eigen ist, nicht ohne Theilnahme lassen. Die Poesie jener meerumspülten Insel ist, wie das Meer selbst, reich an wunderbarer Schönheit. Ich habe mich liebend hinein versenkt, und wenn ich jetzt freudig im Lichte meinen kleinen Gewinn entfalte, und ihn den Freunden der Poesie darbringe, so wird man hoffentlich nicht mit mir darüber rechten, daß ich nicht noch tiefer untertauchte, um reichere Ausbeute zu erringen.
Ich bin bei der Auswahl dieser Gedichte, obgleich sie in chronologischer Reihenfolge erscheinen, doch besonders meinem Gefühle gefolgt, und meine Wahl ist darum meistens auf solche Dichter gefallen, deren Charaktere mir an und für sich anziehend waren. Der ritterliche Surrey, der mit der herrlichen Luft Italiens den liederreichen Geist Petrarca's einathmete, und in der vollen Kraft der Männlichkeit sein edles Blut auf dem Schaffot ausströmen mußte. Spenser, der Sänger der Feenkönigin, den all der heraufbeschworene Glanz einer Zauberwelt nicht vor Mangel und Elend schützte. Raleigh, der in die Lorbeern seiner glänzenden Siege die Blüten des Liedes schlang, den eine rastlose Sehnsucht nach den Schätzen der neuen Welt über die Wogen trieb, der Virginien entdeckte, und nach zwölfjähriger Gefangenschaft auf's Neue den transatlantischen Schätzen nachstrebte, und dessen achtundsechtzigjähriges Haupt die Muse nicht vor dem Beil des Blutgerüstes bewahren konnte. Sein kleines Gedicht: "die Nacht vor dem Tode" zeigt, mit welcher hohen Fassung er demselben entgegen trat. Marlowe, Shakspeare's Zeitgenosse, dessen interessante Gestalt uns Tieck in seiner schönen Novelle "Dichterleben" vorführte. Shakspeare, der König britischer Poesie, dessen reizenden Sonetten ich mit dem deutschen Gewande auch zugleich die deutsche Sonettenform geben zu dürfen glaubte. John Milton, der freisinnige, der unsterbliche Dichter des Paradieses, dessen geistiges Auge von einem Himmelsstrahl erhellt wurde, während sein irdischer Blick von der Nacht der Blindheit umhüllt war. Dryden, welcher seine Dichtung der heiligen Cäcilia weihte, die sie mit herrlichen Tönen vermählte. Pope, der in der unscheinbaren Gestalt einen so reichen Geist verschloß, gleich fähig, durch die geistreiche Sprache der Satyre, wie durch die glühenden Worte der Leidenschaft zu ergreifen. Hohn Gay, der liebenswürdige englische Fabeldichter, welchem Pope die ehrenvolle Grabschrift schrieb. Thomson, der fromme Sänger der Jahreszeiten, welche er sichtbar an uns vorüberschweben läßt; der voll stolzen Nationalgefühles das Lied: " Rule Britannia" sang, dem alle Wogen, welche sich an Albion's Strande brechen, mit Entzücken lauschen. Thomas Gray – wen erinnert nicht seine schöne Elegie an Mahlmann's Kirchhof zu Ottenseen? Goldsmith, dessen Ballade " Turn gentle hermit of the dale" alle Kinder in England auswendig wissen. Cowper, den ich im Grabe nicht höher zu ehren wußte, als indem ich die Zeilen unsers hochverehrten Uhland als einen frischen Zweig auf seine gefühlvolle Dichtung niederlegte. Robert Burns, der liederreiche Sänger des Hochlandes, dessen Genie bei Göthe eine ehrende Anerkennung fand, und dessen naive Liebeslieder mich so oft an die kleineren Dichtungen unsers großen Meisters erinnern. Wordsworth, der gemüthreiche, träumerische Wordsworth, der mit der Natur in geheimem Einverständnisse lebt, wie einst Numa mit der Nymphe Egeria. Coleridge, dessen schauerliche Phantasienuns Freiligrath in dem wunderbaren Gedichte: " The ancient Mariner" in deutschen Klängen vorüberführte, und dessen zartes Gedicht "Love" eine der Lieblingspoesieen seiner Landsleute ist. Walter Scott, der Beschwörer der Harfe des Nordens und versunkener Heldengestalten, der liebliche Sänger der "Dame vom See". Southey, dessen reiche Phantasie und blühende Sprache oft den Orient zur Scene wählte. Thomas Campbell, der anmuthige Dichter der Freuden der Hoffnung. Thomas Moore, welcher nicht nur der Stolz seines Vaterlandes ist, sondern welchem die Bewunderung Aller zu Theil wird, deren Seelen fähig sind, die Schönheiten des Genius zu empfinden, der liebenswürdige irische Anakreon, von welchem gesagt wurde, seine Seele sei ein von der Sonne getrennter Feuertheil, welcher seinem ursprünglichen Sitze des Lichtes und der Glut wieder zustrebe; der uns die holdselige Erscheinung "Lallah Rookh" sandte, um uns in eine Welt voll Liebe, Glanz und Entzücken einzuführen. Kirke White, der melancholische, schwärmerische Jüngling, über dessen bleiche Leidensgestalt sich die Muse liebend neigt, der in dem Strahle ihres Auges seine Qualen verklärt, und die rührende Ode: "An die Schwindsucht" dichtete. Lord Byron, dessen einsame Größe unser Herz mit schauerlicher Bewunderung erfüllt, welche keine Worte besser bezeichnen, als das deutsche Motto, welches ich für ihn wählte. Felicia Hemans, deren seelenvolle Poesieen der Strahl des Glaubens erhellt, wie ihr "Sonnenstrahl" Alles mit verklärendem Lichte berührt. Ihre Lieder haben mein Herz am tiefsten ergriffen, und wenn ich es gewagt habe, meine eigene Dichtung: "Was ist Poesie?" in's Englische zu übertragen, so ging dies nur aus dem lebhaften Wunsche hervor, meine warme Begeisterung für sie, ihrem eigenen Volke gegenüber, so lebendig als möglich auszusprechen. Auch Miß Landon, die liebliche Dichterin der "Improvisatrice", hat mich angezogen, wiewohl in anderer Weise. Ihr Reich, ob auch von dieser Welt, ist von reizenden Phantasieen, lieblichen Gefühlen und anmuthigen Erscheinungen belebt. Ihr unglückliches Schicksal wirft einen dunkeln, geheimnißvollen Schleier über ihr frühes Grab, auf welchem die Thränen ihrer Freunde nicht so bald trocknen werden. Barry Cornwall ist einer der ausgezeichnetsten Dichter des heutigen Enlands; sein "Marcian Colonna" und "Diego de Montilla" haben gerechte Anerkennung gefunden. Auch aus den reichen Dichtungen der Mrs. Sarah Norton, der Enkelin Sheridans', habe ich einige zarte Ranken genommen, die duftende Blume der "Nacht" und "das Kind der Erde." Noch viele Andere zogen mein Interesse an, und mir fallen dabei Göthe's Worte ein: "Welch schöner Himmel, Stern bei Stern, wer nennet alle Namen?" Schließlich wünsche ich, daß man die Begeisterung, welche diese Versuche in's Leben rief, nicht verkennen, und die reine Freude theilen möge, mit welcher ich diesen frischen Strauß geistesverwandter Blüten auf den Altar meines Vaterlandes niederlege.
Darmstadt, im März 1843.
Die Verfasserin.
Wiederabdrucke:
Georg Weber, Literar-historisches Lesebuch enthaltend Proben aus den bedeutendsten Literaturwerken aller Völker und Zeiten in Poesie und Prosa nach deutschen Uebersetzungen, gesammelt und mit des Verfassers "Lehrbuch der Weltgeschichte" und "Abriß der deutschen Litteraturgeschichte" in Beziehung gesetzt. 3. Theil, 1. Abtheilung (Leipzig: Wilhelm Engelmann, 1852), XII, 600 S.; darin S. 485-487.
4 Sonette: 18, 46, 44 und 43 von Louise von Ploennies.
Die Sonette 18 (v. 4), 44 (v. 1) und 43 (v. 12) enthalten abweichende Lesarten.
1 Sonett (25) in der Übersetzung von Gottlob Regis. (=50)
Jürgen Gutsch, 'lesen, wie krass schön du bist konkret'. William Shakespeare. Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Hg und eingeleitet von Jürgen Gutsch mit einem Geleitwort des Bibliographen Eymar Fertig (Dozwil: Edition SIGNAThUR, 2003), S. 44. (=2085)
Sonett 18