755 Geilinger, Max (1884-1948) ADB
"Schönheit und Dauer", in:
Englische Dichtung
. Übertragen von Max Geilinger (Frauenfeld: Huber und Co., 1945), 131 S., darin S. 7. Mit "Nachwort" (S. 127-128).
1 Sonett:18.
Nachwort (S. 127-128):
Eine Gedichtsammlung zusammenzustellen bleibt immer, mag es auch für den Herausgeber größte Freude sein, ein heikles Unterfangen. Selbst dann, wenn es sich um eigene Gedichte handeln würde, hemmte uns die Qual der Auswahl: Soll man jenen Gedichten den Vorzug geben, die wir selber als vollwertig empfinden, oder vielmehr den andern, die nach allgemeinem Dafürhalten als besonders bezeichnend gelten? Meist endet, soweit dies die Rücksicht auf den gewünschten Leser sowie wirtschaftliche Erwägungen zulassen, diese Qual der Auswahl mit einem mehr oder weniger korrekten Vergleich: man wählt sowohl das besonders Gute wie das mehr einmalig Charakteristische aus. Diese Lösung wird aber, wenn es sich um eine Sammlung aus den Werken zahlreicher Dichter handelt, entschieden schwieriger und geradezu dornenvoll, sofern es um eine Gedichtsammlung aus einer andern Sprache geht, da dann der Herausgeber selbstkeine freie Hand hat, sondern auf das angewiesen ist, was er an Übertragungen vorfindet.
"Nun, so übersetzt er selber alles das, was ihm als besonders wertvoll erscheint!" Das ist leichter gesagt als getan. Gibt es doch Gedichte höchsten Ranges, die sich als schwer übersetzbar erweisen oder bereits so gut wie möglich übersetzt sind, wie dies beispielsweise bei Shakespeares Sonetten der Fall ist! Im übrigen hat auch sonst der Übersetzer keine unbegrenzte Verfügungsgewalt, ist er doch weitgehend von der Gunst der Stunde abhängig, die ihm vielleicht einige Lieblingsgedichte verweigert und statt ihrer aus ihm unbekannten Gründen plötzlich das eine oder andere Gedicht dieses oder jenes Dichters nahebringt, ihn zu dessen Übertragung auffordernd.
Solch eine Sammlung übersetzter fremdsprachiger Lyrik wird daher ein für allemal für den Übersetzer weit bezeichnender sein als für die Literatur, der sie entnommen ward. So bringt beispielsweise die hier vorliegende Zusammenstellung englischer Gedichte fast keine Liebeslyrik, nicht etwa aus dem Grunde, daß diese in England nicht vollwertig vertreten wäre, sondern rein aus dem Gefühle heraus, daß für den Übersetzer keine innere Notwendigkeit vorlag, die in deutschen Landen bekannte Liebeslyrik noch um englische Dichtungen dieser Art zu vermehren. Mit andern Worten: Der Übersetzer sieht eben vor allem das, was ihm in der heimischen Literatur oder doch in seiner eigenen Dichtung zu mangeln scheint. So suchte der Herausgeber dieser Sammlung nicht zuletzt Gedichte von einer berauschenden Phantasie- und Sprachfülle wie die von Coleridge und Francis Thompson oder Gedichte, in denen antikische Vorstellungen nicht in rokokohafter Verniedlichung weiterleben, wie dies in der deutschen Literatur allzu häufig der Fall ist; aus diesem Grunde zogen ihn daher die Oden an den Abend und an eine griechische Urne von Collins und Keats besonders an; nicht zuletzt lockten ihn auch jene im Deutschen wenig gepflegten Gedichtformen, die nahe, aber doch diesseits der Grenze zum Lehrhaften stehn wie die weiträumigen großen Gedichte Robert Brownings.
Gewiß, manch einer mag die vorliegende Sammlung englischer Gedichte als durchaus willkürlich und daher mangelhaft rügen; es steht ihm aber nichts im Wege, Falsches auszubessern und Fehlendes selbst zu ergänzen; der Herausgeber dieser Sammlung wäre der letzte, ihm davon abzuraten und die Berechtigung solcher Bemühungen zu verneinen. Daher schließt er nun Nachwort und Buch mit jener Aufforderung, die in zwei schlichten Wörtchen am alten Berner Münster zu lesen ist, mit den zwei Worten:
"Mach's nach!", aber, möchte ich beifügen, "mach's besser!"
Der Übersetzer
Nachdruck:
Jürgen Gutsch, 'lesen, wie krass schön du bist konkret'. William Shakespeare. Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Hg und eingeleitet von Jürgen Gutsch mit einem Geleitwort des Bibliographen Eymar Fertig (Dozwil: Edition SIGNAThUR, 2003), S. 86. (=2085)
Sonett 18