Text

Fenix
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(Fenix. Karl Lessing (Theatralischer Nachlaß, II.S. XXVIIIf.; siehe oben unter Nr. 32) führt dieses Fragment unter den Entwürfen seines Bruders an. Doch scheint es eher das Bruchstück einer Uebersetzung, und zwar aus dem Französischen zu sein. Letzteres läßt sich schließen aus den Worten I. 1: Nisa. Ich bin ganz thöricht darauf, es zu erfahren. Dies klingt wie eine falsche Uebersetzung des französischen folle. Das Original haben wir nicht ermitteln können.Das Fragment erscheint hier zum ersten Male gedruckt.)

Fenix.

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Fenix, weinend. Estela, Nisa und Flora.

Estela

Stille Deine Thränen, Fenix, mäßige Deinen Verdruß und mache Deinen Augen nicht so viel Plage und Schmerz! Wann Du sie noch länger bei so viel Seufzern verstellest, so wird sich der Himmel beklagen, daß Du seinen Sternen übel begegnest. Sage mir, Muhme, Deinen Schmerz, lege Deine Plagen bei mir nieder! Siehe, wie eifersüchtig meine Liebe auf Deine Thränen ist! Bemerke Deinen Irrthum, daß Du Deine Bekümmerniß lieber im Weinen als in meinem freundschaftlichen ((?)) (Das Fragezeichen so bei Boxberger. LM geben hier einen anderen Text an, vgl. LM 3, S. 306.) Trost suchen lässest.

Fenix

Meine Plage, Estela, ist so groß, mein Schmerz,
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Muhme, ist so heftig, daß ich sogar eine Erleichterung des Uebels darinne gefunden habe, es Dir zu verhehlen. Es ist Vorsichtigkeit, nicht Härte, was mich zum Schweigen verdammet, und nichts zeuget mehr von meiner Neigung gegen Dich, als daß ich Dir mein Leiden nicht sage. Meine Liebe ist allzu aufmerksam auf die Deinige und mag Dir die Empfindung ihrer unglücklichen Schmerzen nicht entdecken, damit sie Dir das Mitleid erspare.

Estela

Es ist mehr eine Beleidigung als eine Gefälligkeit, daß Du mich von Deinem Unglücke ausschließest. Ich werde, Deine Plagen mit zu empfinden, Vasallin, Anverwandte und Freundin sein. Ist es ein Rath der Klugheit, sein Uebel zu entdecken, so sündigest Du darwider, wann Du länger gegen mich darmit zurückhältst. Ich kann Dir als eine dreifache Person mit tragen helfen.

Fenix

Deine Liebe, Estela, und Deine Sorgfalt ist ungemein verbindlich.

Estela

Sie wünschet nichts mehr, als daß Du Dein Herz bei mir ausschütten möchtest.

Flora

Nisa, worinne mag wohl das Uebel bestehen, das meine Gebieterin so heftig quälet?

Nisa

Estela

Gestehe mir also Deine Unruhe!

Nisa

Ich bin ganz thöricht darauf, es zu erfahren.

Flora

Und ich desgleichen.

Fenix

Wann ich Dir sie entdecken soll — —

Flora

Nun fängt sie an.

Nisa

Stille also, höre!

Fenix

So müssen wir allein sein. Entfernt Euch!

Nisa

Unser Zuhören hat also schon ein Ende?

Flora

Das verdrießt mich, daß ich's nicht hören soll.

Nisa

Komm! wir werden es doch wohl hernach erfahren.

(Nisa und Flora gehen ab.)

Andrer Auftritt.

Fenix. Estela.

Estela

Rede nun!

Fenix

So wird mein Unglück noch viel schwerer.

Estela

Dein Mund möchte es selbst gerne sagen — —

Fenix

Du willst also, daß ich's Dir erzähle?

Estela

Ich warte eben darauf.

Fenix

Höre also! Mein Vater, der König — — Aber ach!
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wie unrecht nenne ich ihn meinen Vater! Da er sich nicht so gegen mir erzeigt, ist es billig, daß ich ihn so heiße? Der König also, sag' ich, erbte dieses Reich von dem König Balarte, seinem Vater und meinem Großvater, aber mit einer so schweren, ungerechten und tyrannischen Bedingung, daß ich, wenn ich hätte wählen können, lieber auf den rauhesten Gebirgen sein Vasall hätte sein als sie annehmen wollen. Sie wurden nämlich eins, o Unglück! daß, wer nach ihm das Reich erben würde, wenn es eine Weibsperson wäre, sie den König von Athen, o welche Grausamkeit! heirathen sollte. Ich ward zu meinem Unglück geboren, und es gefiel dem Himmel, ehe ich noch das Licht dieses runden Weltgebäudes genau betrachten konnte, meine Wiege zu einem elenden Grabmale meines Lebens zu machen. Denn höre nur, liebste Muhme, doch daß mein Unglück Deine Zärtlichkeit nicht erschrecke; aus der Größe desselben wirst Du alsdann die Größe meines Schmerzes erkennen können! Der König von Athen, wie Du weißt, hat zwei Söhne; der eine ist Ramiro, der Erbprinz, und der Infant Fadrique ist der andere. Ramiro ward von allen Eigenschaften, die zu einem Prinz gehören, so entblößt geboren, daß er zu Athen die Verachtung der Großen, die Verspottung des Pöbels und die Schande seines Vaters ist. Denn der Himmel machte ihn so dumm und erschuf ihn so unwissend, daß er nicht einmal so viel weiß, als der rauheste Bauer wissen muß. Fadrique hingegen ist von so verwundernswürdigem Verstande, von so edler Gemüthsart, von so liebenswürdigem Naturell, daß ihn alle Vasallen mehr als seinen Vater vor ihren Herrn verehren. Es scheint, als wolle die Natur bei Erzeugung der jüngern Prinzen das, was ihnen an Macht abgeht, durch ihren innern Werth ersetzen. Nun sollte der König zwar dem Ramiro wegen seiner großen Unfähigkeit das Reich entziehen und es dem Fadrique als einen würdigen Lohn seiner vortrefflichen Eigenschaften erben lassen. Aber die Liebe verblendet ihn so sehr und macht, daß sich die Leidenschaft seiner so bemeistert, daß Ramiro der einzige Gegenstand seiner Zärtlichkeiten und Fadrique , o welche Grausamkeit! der Vorwurf seines Hasses ist. Zwar in dieser unbeständigen Welt ist es eben nichts Neues, daß das Gute verabscheuet und das Böse geliebt wird. Also will mich mit dem Ramiro, o Pein! mit dem Erben — — o schweres Leiden! des Atheniensischen Reiches — — welches Unglück! — — mein Vater, der König — — o unselige Noth! — — verbinden — — o wüthendes Schicksal! Die Tractate — — ach, empfindlicherSchmerz! — — sind schon geschlossen. Welche Grausamkeit!
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Er erwartet ihn alle Augenblicke, das Beilager zu feiern. Ja — — Begräbniß sollte ich es lieber nennen. Denn ich hoffe schon einig auf die bittere Hülfe des Todes. Und wenn ich überlege — — — o Betrübniß! daß ich meinen Willen werde von so einem unwissenden Menschen müssen unterdrücken lassen, — — — — o Qual! so gerathe ich in solche Verzweiflung, daß ich, wenn ich mich nicht vor dem Himmel fürchtete, mich selbst umbringen möchte.

Estela

Dein Vater kömmt.

Dritter Auftritt.

Der König. Der Herzog. Fenix. Estela. Bedienter.

Der König

Was fehlt Dir, meine Tochter?

Fenix

Ich wundre mich, daß Du Dich so fremde stellest, da Du doch meine Bekümmerniß weißt. Mehr will ((ich)) (Das "(ich)" scheint von Boxberger ergänzt. LM ergänzen das "ich" mit dem Hinweis, dass es in der Handschrift fehle. Vgl. LM 3, S. 309.) hier über meine Lippen nicht kommen lassen; doch erlaube mir, Deine Gegenwart zu vermeiden! Denn bei einer so heftigen Leidenschaft kann die Ehrfurcht nicht anders als in Gefahr sein.

Vierter Auftritt.

Der König. Der Herzog. Estela. Bedienter.

Der König

(beiseite)

Ich ergründe die Ursache ihres Schmerzes wohl!

Estela

Herr, sie könnte Dich beschuldigen — —

Der König

Halt inne, Estela, und gieb meinem Verdrusse durch Deine Klage nicht noch mehrere Kräfte! Es ist ein unwissendes Verfahren, wenn ein Versehen begangen ist, sich über die Folge desselben zu beschweren. Die Klugheit erfordert, sich vorzusehen, wenn ihm noch zu helfen ist; aber ist es einmal so weit gekommen, so ist es eine . . . . . 1


1 Hier hört das Fragment auf; offenbar sind früher noch mehr Fol.=Bogen vorhanden gewesen. - A. d. H.

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