Das Neueste aus dem Reiche des Witzes
als eine Beylage zu den Berlinischen Staats- und Gelehrten
Zeitungen
1751.
Monat October 1751
Das einzige Denkmahl, woraus man sich einen Begrif von der Artigkeit der
alten Römer, von ihren feinern Sitten, dem Geschmacke in ihren Ergötzungen,
dem Tone ihrer Gesellschaften, der Wendung ihrer zärtlichen Gesinnungen,
machen kan, ist des OvidsKunst zu
lieben. Hundert Werke werden uns jene Beherrscher der Welt als grosse,
mächtige und tugendhafte Geister schildern, dieses allein
schildert sie uns als Geister, welche empfunden, ihre Empfindungen
geläutert und die Natur zur schönen Natur ausgebildet haben.Von dieser Seite ist dieses Gedichte unschätzbar. Es hat eine andere Seite, die es weniger ist,
diejenige nemlich, auf welcher es seinem Titel widerspricht. Lehrte Ovid die Kunst zu lieben, er würde der
liebenswürdigste und unschuldigste Dichter seyn. Die
schamhafteste Jugend würde ihn lesen, und jener Trieb der Natur würde ein
Führer zur Tugend werden, da er bey denen, die ihn nicht zu ordnen wissen,
ein Verleiter zu den unsaubersten Ausschweifungen wird. Allein Ovid lehret die Wollust, jene
sinnliche, die ohne Zärtlichkeit des Herzens vom Genuß zum Genusse
schweift, und selbst in dem Genusse schmachtet.Verschiedene Neue scheinen den Widerspruch, welcher bey dem römischenGedichte zwischen dem Titel und
der Ausführung ist, eingesehen zu haben. Wie schwer ist es dasjenige gut zu
machen, was ein Ovid schlecht gemacht
hat! Jeder von seinen Nacheifrern hat sich ein besonder Lehrgebäude
von der Liebe gemacht. Des Italiäners Pietro
Michelearte degli amanti
ist eine Sammlung süsser Grillen und wortreicher Tändeleyen. Kan
auch ein Italiäner von der Liebe schreiben ohne zu platonisiren?
Die Maximen der
Liebe des Grafen von Bussy
sind lächerlich ernsthafte Stoßgebetchens, und was die kalte Frau von Lambert von dieser feurigen Leidenschaft
sagen will, sind metaphysischeGrübeleyen, die nach dem Hotel de
Rambouillet schmecken. Wo hin und
wieder ein Deutscher die Liebe zu seinem Gegenstande gehabt hat, da wird
man schwerlich mehr als schulmäßige Declamationes finden, welche die
Ohren füllen, und dem Leser nichts zu fühlen geben, weil die Verfasser
nichts gefühlt haben.Ein liebenswürdiger Franzose ist glücklicher gewesen. Bernard hat uns in seiner Kunst zu lieben ein Gedichte geliefert, welches
diesen Titel behauptet. Schon seit fünf bis sechs Jahren hat die Welt
unvollständige Abdrucke davon gelesen, und mit Vergnügen, so
unvollständig sie gewesen sind. Nur erst zu Ende des vorigen
Jahres hat man eine getreue, verbesserte und ganze Ausgabe erhalten. Wir
würden weniger berechtiget seyn ihrer hier zu gedenken, wenn sie in
Deutschland mehr bekant geworden wäre. Sollten wir glauben, daß ein
Auszug deswegen mißfallen sollte, weil hinter dem L auf dem Titel nicht
noch ein I stehet?
1
Dieses neue Gedichte, welches aus sechs
Gesängen bestehet, lehret die Kunst die Liebe dem Wohlstande zu
unterwerfen, den Pflichten und den Sitten; doch ohne ihr Zwang anzuthun,
ohne ihr ihre Reitze zu nehmen, ohne sie Einschränckungen
auszusetzen, die sie vernichten; mit einem Worte, ohne von ihr zu
verlangen, daß sie keine Leidenschaft sey. Der Dichter hat sich nicht vorgesetzt die Natur zu ersticken, sondern
die Liebe zu lehren, wie sie ein ehrlicher Mann zu empfinden, und das
zärtlichste Frauenzimmer beyzubringen wünscht. Das ganze Werk
läuft auf den Lehrsatz hinaus: man kan sich durch nichts als durch gute
Eigenschaften beliebt machen.Wir wollen von Gesang zu Gesang gehen, um den Leser in Stand zu setzen den
Plan zu übersehen; und wollen hin und wieder kleine Stellen einrücken, um
ihn in den Stand zu setzen, von der Ausführung zu urtheilen.Der erste Gesang fängt sich mit der Entdeckung des Vorsatzes, und den
gewöhnlichen Anrufungen an. [↔] Ohne Lehrmeister lernt man lieben,
ohne Kunst seufzet das Herz; denn die Liebe ist eine Neigung, die die Natur einflößt. Aber dem Gesetze der Pflichten ihre schönen Flammen zu
unterwerfen, das widrige Schicksal zu erweichen, die Gunstbezeigungen
für den Preiß der Beständigkeit zu erkaufen, den Argwohn bleicher
Mitbuhler zu ersticken; dazu gehöret eine Kunst, dazu
gehören Lehrmeister und Regeln. Dieser Entwurf, hoffen wir, muß den
schärfsten Sittenrichter auf das Trockene setzen. Der Dichter weiß
von keiner Muse ausser von seiner Zulni, die Geliebte, deren
Reitz die Tugend borgen würde, wann sie sterblichen Blicken sichtbar
werden wollte.
Wende diese Augen auf mich, worinne dein Hertz sich bildet, wo
die Schamhaftigkeit wohnet, und die siegende Liebe lächelt. Ein
einziger deiner Blicke bringt jenes erhabene Feuer, jene göttliche
Flamme, die die Töne der ewigen Sänger beleben, in meine Seele. Sey
meine Muse. Wo soll ich eine zärtlichere finden? Komm führe
meine Hand, leihe meinem Liede deine Anmuth. Indem ich die Liebe
erhebe, singe ich dich, Zulni! — — Nunmehr
tritt der Dichter ins Feld. Er lehrt den
himmlischen Ursprung der Liebe, er lehrt, daß sie nach diesem Ursprunge,
das schönste Geschenk sey, welches das Schicksal auf die Menschlichkeit
fliessen lassen, er lehrt, daß sie nur durch die Vermischung mit unsern
Lastern tadelhaft wird; daß ihr alle Herzen den Zoll schuldig sind; daß sie
früh oder späte sich Meister davon macht; daß man die Zeit der
Empfindlichkeit, der Jugend dazu anwenden müsse; daß in der Welt eine
Person sey, welche das Schicksal uns zu lieben, und von uns geliebt zu
werden bestimmt habe.
Unsere Neigungen sind bestimmt, umsonst sind unschiffbare Meere
unüberwindliche Scheidemauern zwischen zwey jungen Herzen,
gebohren einander zu fesseln. Ein unvermutheter Augenblick bringt sie
zusammen. Wäre sie auch unter dem brennenden Himmelsstriche gebohren,
wo Phöbus die wilden Mexicaner bereichert; lebte sie auch auf
den gefrohrnen, wüsten und schrecklichen Bergen, um die sich der Scythe
und die Bäre streiten, auf den Bergen, den Gräbern der Welt, wo die
Naturerblasset; und der Himmel hat ihr die Beherrschung eurer
Wünsche vorbehalten; so wird nichts diese ewigen Rathschlüsse
hintertreiben. Nur, fährt der Lehrer der Liebe fort, muß man den
Augenblick erwarten; und sich nicht darinne zu betriegen, zeigt er welches
die Merckmahle der wahren Liebe sind. Von den Reitzen einer
jungen Schönheit ge blendet bleibt man bey dem ersten Blicke
unbeweglich, bezaubert. Das Herz fühlt die Annäherung der Liebe; die
Sinne werden verwirrt, die Stimme wird schwach; das Herz scheint sich
loszureissen, und dem Gegenstande nachzufolgen. Alles erneuert
dem Auge das Bild davon; alles mahlt euch seine Reitze, alles redet
euch von ihm. Abwesend betet ihr sie an; sie ist gegenwärtig und ihr
erbleichet. Eure gemeinsten Reden scheinen verworren; ihr drückt viel
aus und empfindet noch mehr. Zeigt sich einige Hoffnung, die Furcht
theilet sie. Furchtsam, ungewiß, voll von einer redenden Verwirrung,
fallen die Blicke nur zitternd auf sie. — — Ja
gewiß, dieser ist der bezaubernde Gegenstand, welcher euch zu gefallen,
gebohren ward. Und hat ein solches Schicksal unter so viel Reitze ein
für die Tugend gebildetes Herz verborgen, ist ihr Geist eben so groß
als ihre Schönheit, so liebt, so unterwerft euch ohne Murren.
— — Allein wie oft widersetzen sich Geitz und
Hochmuth dem Fortgange der Liebe. Glückliche Zeiten der ersten
Welt, da ein König wenn er liebte, nicht seine Krone, sondern die
Heftigkeit seiner Liebe prieß! — — Hierauf beschreibt
der Dichter die Sprache der Augen, die erste Sprache der Verliebten, ihre
Gewalt und ihre Bequemlichkeit. Wo die Augen antworten, da ist das Herz
nicht taub. Doch jemehr eine Schöne nicht hintergangen zu werden wünschet,
desto mehr fürchtet sie es. Auf der Art des Angriffes beruhet das meiste;
ein Herz das man wohl angegriffen hat erobert man gewiß. Man verschaffe
sich eine erste Zusammenkunft; man drücke sich lebhaft und ungezwungen aus.
Eine übel aufgenommene Erklärung muß die Hofnung nicht benehmen. Gebt mehr auf das übrige Betragen der Schönen Acht, als auf ihre
Rede. Schreibt ihr, wenn sie zu sprechen unmöglich ist. Die Liebe war es
ja, welche die Kunst die Worte abzumalen und den Ton sichtbar zu
machen erfand. Nunmehr zeigt der Dichter,
was für Mittel anzuwenden sind, wann die Schöne hartnäckig darauf besteht,
unempfindlich zu scheinen. Er erläutert seine Lehre mit einem Beyspiele des
Herzogs von Nemours und der Prinzeßin von Cleves. Eine angenommene
Gleichgültigkeit lockt das geheimnißvolleste Herz aus. Was feste genug zu
seyn scheinet hält man nicht; man hält nur das, wovon wir fürchten, es
möchte uns entwischen. [↔] Die Glieder des zweyten Gesanges sind folgende. Die Gelegenheit ist oft der
Liebe vortheilhaft, man muß ihren schnellen Flug anzuhalten, ihr
zuvorzukommen und sie bey der Stirne zu fassen wissen. Der
Liebhaber und Soldat müssen geschwind seyn. — —
[↔] Folget überall den Schritten eurer Schönen; sehet nichts,
bewundert nichts, liebet nichts, als ihre Reitze. Die zärtliche Liebe
belohnt sich zuletzt und man gefällt dem Gegenstande, welcher
empfindet, daß man ihm gefallen will. Die Orte wohin man die
Geliebte vornehmlich begleiten muß, sind die Komödie, die Oper, die
Spatziergänge. Der Schauplatz ist den Wünschen der Verliebten
günstig und das Hertz zu erweichen bietet er glückliche
Augenblicke an. Durch ihre Teuschereyen macht die zaubernde
Scene ihren Betrug angenehm, schmeichelt, reitzet und bewegt etc.
— — AllzuliebenswürdigeGoßin
, bricht der
Dichter zum Schlusse dieser Materie aus, empfange hier den Preis, den dir tausend von deinen Reitzen
besiegte Liebhaber darbieten. Ja, die schmeichelnden Töne deiner
rührenden Stimme, deine Thränen, deine Blicke, deren Anmuth bezaubert,
schiessen überall siegende Pfeile der zärtlichsten Liebe ab. Sie
herrschet durch deine Augen; dir ist sie alle Herzen schuldig.
Glücklich, wer dich sehen kan, wer mit dir sprechen, wer dich hören
kan! Glücklich, wer dir gefallen kan! Glücklich den dein Mund mit einem
kostbaren Lächeln beglükt, wer sein Glück in deinen bewegten Augen
lieset! Empfange diese Verse, die die Liebe erzeugte. Ich singe ihre
Reitze und du machst sie bekannt. — —
Wenn wird unser deutschesTheater eine Goßinbekommen, welche einen Dichter in so süsse Entzückungen zu
versetzen fähig ist? — — Der zweyte Ort, wohin man der
Schönen folgen muß, ist die Oper, der Tempel der Liebe, wo sie alle Sinnen
aufbietet sie durch sich einzunehmen. Verliebte, strömet
in diese prächtige Schauspiele. Die allzeit siegende Liebe weiß da von
keinem Hindernisse, und alle vereinigte Künste bieten alle
Arten des Vergnügens an. Sucht ihn, redet ihn an, den Gegenstand eurer
Wünsche. Die schmeichelnde Harmonie der Lullischen Töne, welche die Liebe mit den Gesängen des Quinaut verband, wird sie ganz mit
einer schmachtenden Verwirrung erfüllen, und auf ihrem Munde werdet ihr
die Strenge erblassen sehen. Wenn Cadmus feyerlich die Treue schwört,
so werden ihre Augen euch eine ewige Liebe schwören. —
— Clio glänzet im Winter, Flora im Frühlinge; jede hat ihre
Zeit. Liebt die reizenden Betrügereyen der ersten, doch vergeßt nicht,
daß man auch der Natur ihre Augenblicke geben müsse. —
— Unter jenen wachsenden Lauben, wo die Götter des Lachens
herumflattern und Philomele durch zärtliche Klagen entzückt; da könnt
ihr dem geliebten Gegenstande eure zärtlichsten Gesinnungen durch eure
Augen erklären. Laßt eure Begierden in allen euren Bewegungen
lesen; alles entdecke an euch die heftigste Glut. Habt einen traurigen
Anblick, einen langsamen Gang. Suchet nichts als ihre Augen, fliehet
sie dann, und suchet sie wieder. Ueberall wird euch ihr Herz folgen,
und schalkhaft wird die Liebe sie ihre Zärtlichkeit verrathen
lassen. — — Hierauf weiset der Dichter, wie natürlich dem Frauenzimmer die Begierde zu
gefallen sey. Diese ist ihre erste und letzte Leidenschaft. Gleichwohl ist
es bey seiner Liebe unruhig. Diese Unruhe ihm zu benehmen, sie ihr bey
einer geheimen Zusammenkunft zu benehmen, da lasse der Liebhaber
seine Stärke sehen. Er finde sich zuerst an dem bestimten Orte ein; er
suche sie durch Versicherungen, durch Schwüre, durch Thränen zu gewinnen.
— — Sind Thränen nöthig sie besser zu
überzeugen, so lasset ganze Ströme derselben aus den Augen brechen.
Weinet! die zärtlichste Liebe ergötzt sich an Thränen, und ihre
süsseste Stille entstehet aus der Unruhe. Ihre theuersten Myrten sind
mit Thränen befeuchtet, und wer nicht weinen kan, kennet ihre Anmuth
nicht. — — Endlich siegt die Liebe und die Strenge
wanket. Die Zärtlichkeit flimmert in den schmachtenden Augen; die
Unbewegliche wird bewegt, und erkühnt sich nicht den Fuß aus der Falle
zu ziehen, die ihr gefällt. Erntet dann den ersten Genuß auf ihrer
zitternden Hand ein; ein Kuß redet ans Herz, denn er ist die Sprache
des Herzens. Liebe, umsonst flieht man dich! Alles empfindet deine
Gewalt, alles weichet deinen Reitzen; so gar das stolze
Gespenst, die eitle Weltweisheit. Kom, Kolossus von Rauch, siehe den
Hochmuth eines deiner größten Meister biegen, und lerne dich
kennen. Hierauf beschließt der Dichter
den zweyten Gesang mit der Erzählung der Liebe des
Cartes; die uns aber ein wenig trocken vorkommt. Sie hat zwar
ihren guten historischen Grund, da man weiß daß dieser Weltweise in Holland
eine Tochter, mit Namen Francine
gehabt hat: so wie Newton einen Sohn. Der einzige Punkt worinne der
Verfechter und der Vernichter des leeren Raumes vielleicht einander gleich
gewesen sind. [↔] Im dritten Gesange werden die Eigenschaften beschrieben, die ein Liebhaber
haben muß, wenn er gefallen will. Der Dichter
fängt mit einer doppelten Allegorie der lasterhaften und nichtigen, und der
weisen und dauerhaften Liebe an. Vor allen muß man sich bemühen den
Character des geliebten Gegenstandes zu erforschen. Seine Geliebte zu bezwingen, muß man aufmercksam ihr zu
gefallen, und von seinem Vorsatze ganz erfüllet seyn; nach
ihrem Geiste, nach ihrem Geschmacke muß man sich falten, dencken,
lieben, handeln wie sie, und sich ganz in sie
verwandeln.
Ist sie eine Schülerin der ernsten Weisheit, trägt sie in ihrem Herzen
ein langsames Feuer, welches sie bestreitet? Geht nicht allzukühn fort,
und schonet ihre Tugend. Vereinigt sie mit der Liebe einen
philosophischenGeist? Redet, den Malebranche in der Hand, nichts als Metaphysick. Tadelt sie?
Tadelt. Lobt sie? Lobt. Tanzet sie? Tanzet. Singt sie? Singet. Mahlt
sie? bewundert ihre Werke. Lieset sie euch ihre Verse? verschwendet die
Lobeserhebungen. — — Diese Erforschung der
Charaktere muß auf beyden Theilen seyn, und keines muß glauben, der
Verstellung berechtiget zu seyn. Wer tugendhaft ist der scheint es, und die
Verbergung der wahren Gestalt ist ein gewisser Beweiß von ihrer
Häßlichkeit. Man bestrebe sich also durch Verdienste liebenswerth zu
werden; aus der Hochachtung entspringt die Liebe; man habe die Gesinnungen
und die Aufführung eines Mannes, der die Welt kennet; man trotze nicht auf
äusserliche Vortheile, die nur von allzukurzer Dauer sind; man schmücke
seinen Geist mit dauerhaftern Reizen; man verbinde mit der Zärtlichkeit des
Witzes großmüthige Gesinnungen des Herzens; man fliehe das gezwungene
Betragen eines Stutzers; man sey gleichförmig in der Aufführung; man prahle
nicht mit Metaphysik und Versen, eine Prahlerey, die der üble Geschmack zu
rechtfertigen scheinet; man vermeide den lächerlich kostbaren Ton
der Neologisten; man sey kein Lustigmacher, der die geringsten Fehler auch
seiner Freunde anfällt; die Wahrheit wohne allezeit auf den Lippen; nie
komme ein Ausdruck in den Mund, der die Schamhaftigkeit roth macht und die
Unschuld zum Schaudern bringt; man halte sich zu Grossen, deren Umgang die
Schule der Tugend und Artigkeit ist. — — Hier ist der
Dichter gedoppelt ein Dichter; und die
Schmeicheleyen die er diesem und jenen französischen Hofmanne macht, den er
mit Namen nennt, sind nicht zu übersetzen. — — Doch die
Welt allein bildet einen vollkommenen Menschen nicht. Das Lesen der besten
Schriftsteller muß dazu kommen. La Fontaine,
Moliere, Racine, Regnard, Nericaut, La Chaussee, Gresset,
Chaulieu, Bernis, und wer sie sonst sind, die Mahler, welche Natur und
Kunst gebildet hat, die Helden der Gesinnungen, die das edelste Feuer
belebt! — — Hiebey vermeide man das französischeVorurtheil, die Nachbarn zu verachten. Es giebt gewisse
in ihre Sphäre so eingeschränkte Geister, die nur den Himmelsstrich
preisen, unter welchem sie gebohren sind, furchtsam ihren
Großältern nachschleichen und nur die Güter loben, die vor ihren Augen
wachsen. Für sie ist ausser Paris kein Genie anzutreffen, und das Chaos
fängt an, da wo sich Frankreich endet. Leget diesen närrischen
Hochmuth, den ihr mit der Milch eingesogen habt, ab. In den wildesten
Gegenden giebt es Pilpais. Der
abergläubischeSpanier, der selbstmörderischeEngländer haben Sitten
und Gaben. Erforschet ihren Geschmack und macht euch der Schätze zu
Nutze, welche die Natur andern Ufern vorbehält. —
— Dieses sind Lehren, welche kluge Franzosen ihren Landsleuten
noch unzähligmal wiederhohlen und unzähligmal umsonst wiederhohlen
werden. — — Nunmehr kommt der Dichter auf den Zweykampf, die Frucht des falschen Muths. Er
beschreibt alle schreckliche Folgen derselben, und will in einer kleinen
Geschichte lehren, wie vermögend ein Frauenzimmer sey, diese Raserey bey
Mitbuhlern zu unterdrücken. Auch diese Geschichte will uns im Ganzen nicht
gefallen. Wir wollen die Rede eines Frauenzimmers, die in voller Unschuld
ihre Liebe entdeckt, daraus hersetzen: Was empfindet man, was
will man, wenn man liebt? Belehre mich Zamor, warum mein zitternder
Geist, wenn ich mit dir rede, eine ihm sonst unbekannte Verwirrung
fühlt. Mein Herz zerfließt, wenn ich dich sehe. Seitdem dich ein Gott
in diese Insel führte, begleitet und entzückt mich dein Bild Tag und
Nacht. Der zärtliche Eindruck deiner geringsten Reden, wird
immer in mir neu, und scheint in mir zu leben. Gestern seufzete ich
deiner langen Abwesenheit wegen, als Dorival erschien. —
— Ach welcher Unterschied! Ich empfinde das nicht für ihn,
was ich für dich empfinde. — — In was für ein Gift
würde sich meine Liebe verwandeln, wenn Zamor nicht so sehr liebte, als
er geliebet wird.
[↔] Der vierte Gesang fängt mit der Beschreibung des Nachttisches an. Bey diesem
sich einzufinden, doch erst alsdann, wann das Frauenzimmer die
Reitze des Gesichts in Ordnung gebracht hat, ist die Pflicht eines
Liebhabers. Der Nachttisch ist ein Tempel, der niemals ohne Dienst seyn
muß; ein Madrigal, eine Sinnschrift, ein Lied, ein Sonnet sind die
Lobgesänge, welche die Gottheit der Liebe daselbst preisen. Dieses führt
den Dichter auf die Macht der Poesie, auf ihren Ursprung, auf ihre Reize,
auf ihre Vorrechte. — — [↔] Weihet, Verliebte, dieser
bezaubernden Kunst einige Augenblicke, mehr euch beliebt zu
machen, als in die Klasse der Schriftsteller zu kommen. Sie weiß den
Eingang in das unwirthbarste Herz zu finden. Nicht Löwen, Felsen,
Sturmwinde hat man mehr durch sie zu erweichen, sondern allein die
Strenge des Herzens. — — Von der Poesie kömt er
auf die Vortheile des Schmauses, den Mittelpunkt der Aufrichtigkeit. Der
Schmaus bietet die zärtlichsten Geständnisse dar, und berechtiget sie; wie
sehr hilft er der Liebe, wann zumal Musick und Tanz ihn begleiten, diese
Kinder der Zärtlichkeit. — — Auch das Spiel
ist für Liebhaber. Die Munterkeit hat den Vorsitz, bey diesem lachenden
Streite, den das Schicksalentscheidet. Der Verdruß, die lange
Weile werden auf Flügeln der Zeit davon geschickt. Jeder Augenblick
bekömt eine neue Gestalt. Das Glück flattert herum, es drohet, es
lacht; die Hofnung strahlet und verschwindet; das Gold wächset und
vertrocknet. Doch wollt ihr den Augen derjenigen gefallen, welche euer
Herz beherrscht, so fliehet den Ruff eines Spielers von Profeßion. Das
Herz wird getheilt, eure Geliebte aber will es ganz besitzen. Hier
zeigt der Dichter, wie weit sich ein
vernünftiger Liebhaber in das Spiel einlassen müsse. Nie muß die Geliebte
darunter verliehren, die man beständig zu sehen, sich zu einer süssen
Gewohnheit machen muß. Diese allein entscheidet; man wird sich wesentlich,
und endlich sind es zwey Körper welche eine Seele belebt. Doch muß man
deswegen nicht den andern Umgang fliehen, und aus Liebe ein Menschen-feind werden. Man muß fortfahren seine Freunde zu besuchen
und sie zu schätzen. Hier schildert der Dichter das Lob der Freundschaft. Das geheime Vergnügen
einer zärtlichen Verbindung theile euern Tagen neue Anmuth mit. Bringet
der Welt eine geschmeidige Biegsamkeit davon her, und verbindet euch
die Gemüther durch einen willigen Um gang. Besonders erwerbt euch den
Schatz eines weisen Freundes, an dessen Werth weder Ehre noch Gold
kömmt. Er ist eine Quelle von Tugenden, die euch nützlich sind; er ist
eine leuchtende Fackel auf den dunkelsten Wegen; nach der Liebe ist er
das kostbarste Geschenke des Himmels. Bey ihm leget alle Geheimnisse
eurer Seele nieder, nur nicht die Geheimnisse eurer Liebe. Die
Verschwiegenheit ist eine der vornehmstenTugenden eines ehrlichen Mannes,
und der Dichter glaubt, daß sie besonders den Franzosen einzuschärfen sey.
Ein Vertrauter wird oft zum Mitbuhler, welches er durch das Beyspiel Heinrichs des IVten, des Ritters von Bellegarde und der Gabrielle Destrees erläutert. [↔] Fünfter Gesang. Ein geheimer verliebter Umgang hat seine Reize; doch weit
mehr Vergnügen geniessen Verliebte, die sich für den Augen der Welt lieben.
Dazu zu gelangen, muß man sich einen freyen Zutritt bey seiner Geliebten zu
verschaffen suchen, unter dem Titel eines Freundes; man muß die Charaktere
derjenigen zu erforschen suchen, die um ihr sind, und von welchen sie in
etwas abhanget. Hierunter gehören vornemlich die Vormünde. [↔] Predigt er, in einen Lehnsessel gekrümmt, schwach und
kolsternd, voller Galle gegen die jetzige Zeit, wider die Jugend und
ihre ausserordentliche Verschwendung? Setzt er seine Ehre und sein
höchstes Gut in das Gold, in welchem er schwimmt ohne es zu geniessen?
So rühmt seinen jetzigen und zukünftigen Reichthum, und heimlich
beklagt seine wirkliche Armuth. Oft bestimmt so ein Wütherich den
Gegenstand unserer Liebe dem Kloster, diesen dem ewigen Verdruß gewidmeten
Mauern, den Gräbern, welche eine rasende Schwärmerey gehölet hat, welche
die Reue, der Irrthum, die Tyranney bewohnen. Doch dieser Aufenthalt
ersticket die Heftigkeit der Leidenschaft nicht, und die Beständigkeit des
Liebhabers erlangt ihren Zweck. — — Bey vielen, weil
sie allzugewiß sind; daß sie geliebet werden, erkaltet die Liebe. Der zuversichtliche Medor verläßt sich auf seinen Sieg und wenig
bewegt von der Unruhe seiner Geliebten, betrachtet er mit einem heutern
Auge sein Glück. Als ein ruhiger Beherrscher eines ihm unterthanen
Herzen trotzt er ihrem Argwohne, und lacht über ihre
Beängstigung. Er höret ihre Klagen nicht, er sieht ihre Thränen nicht.
Bey ihr ist er abwesend; und redet sie mit ihm, so ist er
zerstreut; er betrachtet einen Ring oder ein Bild, er ruft seinen Hund,
er spricht mit ihm und streuchelt ihn. Aus seiner umwölkten Stirne
leuchtet eine stolze Verachtung; und wenn die Geliebte ganz
Feuer ist, so ist er ganz Eis. — — Doch muß man
auch nicht seine Liebe durch Ausschweifungen der Eifersucht zu beweisen
suchen; wohl aber kann man sich auf kurze Zeit entfernen, um die
Beständigkeit der Geliebten auf die Probe zu stellen. Eine allzulange
Abwesenheit ist das traurigste Unglück für Verliebte. Es zu lindern
schencke man sein Bildniß der Geliebten, und suche das ihre dafür zu
erhalten. Die Liebe so wohl als die Freundschaft erlaubt den Gebrauch der
Geschencke; diese aber müssen gewehlt seyn, und man muß mehr die
Empfindlichkeit der Schönheit als ihr Glück dabey zu Rathe ziehen. Erhält
man zum Gegengeschencke ein von ihren Haaren geflochtenes Armband; welches
kostbare Pfand der zärtlichsten Liebe! Das sicherste Mittel ohne
Nebenbuhler geliebt zu werden, ist eine gleiche ungetheilte Liebe
gegen die, von welcher man dieses Glück begehrt. Hier haben beyde
Geschlechter gleiches Recht; und dieses so wohl als jenes kann sich über
die Untreue des andern beklagen. Wie schädlich aber ist dabey eine
stürmende Eyfersucht! Nimmermehr wird diese ein Herz wieder zurück bringen,
welches nur durch Gefälligkeit und Anmuth von neuen gewonnen wird. Diesen
Satz erläutert der Dichter durch das Exempel
des ersten Franciscus Königs von Frankreich
und der zwey Herzoginnen von Etampe und
von Valentinois. [↔] In dem letzten Gesange nahet sich der Dichter dem glücklichen
Zeitpunkte, da die Liebe gekrönt wird. Er beschreibt die Besorgniß
der Geliebten durch einen völligen Genuß ihren Liebhaber allzusehr
zu sättigen, und in der That sind diese Gunstbezeigungen oft die Mörder
einer Leidenschaft, die die wohlgegründeste zu seyn schien; weil
sie meistentheils die Mängel auf beyden Theilen entdecken. Hier hat also
der Liebhaber seine ganze Kunst anzuwenden, jene Besorgniß zu zerstreuen,
und sein gutes Glücke mit Behutsamkeit weiter zu treiben. Lobt er seine
Gebieterin, so muß dieses Lob fein angebracht seyn. [↔] Lobet mit
Anmuth, und lobet mit Genauigkeit. Man wird unhöflich, durch allzuviel
Höflichkeit. Legt ihr keine Reize bey, von denen sie, Danck sey ihrem
Spiegel, weiß daß sie sie nicht hat. Bey der blassen Fanny
lobet nicht die blühenden Rosen; leihet ihr Schönheiten, allein ohne
die Sache zu übertreiben. Ein übertriebenes Lob ist
unschmackhaft, und man lacht drüber. Oft, euch zu erforschen, lobt sie
Reize an andern, die ihr der Himmel nicht beygelegt hat: Wie lebhaft
ist Iris! wie schöne ist Dorinde! Dieses ist ein heimlicher
Fallstrick, den euch ihre Furcht leget. Sagt also, daß ihre Reize
nichts rührendes haben, und treibt die List so gar, bis sie zu
verachten. Das Lob einer jeden andern hat das Ansehen einer
Critick. — — Den Unvollkommenheiten der geliebten
Person muß man vortheilhafte Namen geben. Hiezu hilft die Gewohnheit nicht
wenig, welche oft die Augen so verblendet, daß sie wirkliche Fehler für
Schönheiten ansehen. — — Doch wie eigensinnig, wie
wunderlich ist das Gemüth eines Frauenzimmers! Wie oft wenn man
sich ihrem Besitze am nächsten geglaubt hat, sieht man sich am
entferntesten davon! Diesen kleinen Wiederwärtigkeiten zu begegnen,
dahin zielen die letzten Lehren des Dichters. Man setze dem Eigensinne der
Geliebten Gefälligkeiten entgegen. Man bekenne, daß man Unrecht habe;
dieses ist allezeit das sicherste Mittel mehr als Vergebung zu erlangen.
Verliebte, die sich wieder vertragen, lieben sich allezeit zärtlicher, als
sie sich vorher geliebt haben; und wenn ja bey der Geliebten
Skrupel übrig blieben; sitzen ja noch Wolken des Mißtrauens auf
ihrer Stirne, und leset ihr in ihren Augen, daß ihr unruhiges
Herz befürchtet nicht geliebt zu werden; so schwöret ihr, daß eure
Seele sie anbete, und wiederholt diesen Schwur hundertmal;
benetzt ihre Hände mit Tränen, erhebet ihre Reitze, fallet ihr
zu Fusse, rufet den Tod an. Wo ist das grausame Herz das hierdurch
nicht sollte gerührt werden? Die Geliebte sucht die Verzweifelung
zu stillen, durch längstgewünschte Gunstbezeigungen. Hier kömmt es drauf
an, die Zeit sie einzuernten zu beobachten. Oft wird man in den süssesten
Augenblicken gestört, und alsdenn muß der Liebhaber sein Spiel zu
verstecken wissen. — — Der Dichter hat bisher den Verliebten nur kleine Schreckbilder
gewiesen; jetzt aber zeigt er ihnen ein wirkliches. Der geliebte
Gegenstand wird krank. Hier hat die Liebe ihre stärkste Probe
abzulegen; für die sie aber nur allzusehr belohnt wird, wann die Kranke
wieder hergestellet wird. Folgt sie der Stimme des Frühlings,
welche sie auf das Land ladet? Folget ihr dahin; da ist es, wo euch die
Liebe den schönsten Triumph vorbehält; da untersteht man sich alles, da
erhält man alles. — — Muse, hier
hemme deinen Lauf, und wag es nicht mit einem allzukühnen Blicke in das
Heiligthum zu dringen, wo das Opfer erblasset, und die Liebe es
betrachtet. Dieses Geheimniß verlangt die tiefste Verschwiegenheit. Laß
auf deiner Stirne, Muse, die Anmuth und Schamhaftigkeit verschwistert
prangen; fliege in den Himmel zurück; dein Weg ist vollendet.
— — Liebe, du lehrest mich deinen Dienst, und deine
Geheimnisse, die du in meinen Liedern niedergelegt hast. Deine
unsterblichen Myrten umkränzen meinen Frühling, ich sang dein Gesetz
der Welt, und hatte noch nicht zwanzig Jahre.Hiermit endet der Dichter seine Kunst zu lieben.
Zum Schlusse des Werks findet man noch ein Gedichte über den Tod seiner
Zulni, die er in dem ersten Gesange als seine Muse angeruffen hat. Dieses
Gedichte ist ungemein zärtlich und vielleicht ist mehr
Empfindung darinne, als in allen sechs vorhergehenden Gesängen; wovon wir
dem Leser das Urtheil überlassen wollen, da wir ihn gnugsam in den Stand
gesetzt haben, es fällen zu können.
1
L'art d'aimer, nouveau poeme en six
chants par Mr.****; edition fidele, et complette, enrichie de figures. á
Londres, aux depens de la compagnie. MDCCL. en 8.