Text

Der "Hannibal" des Marivaux von G.E. Lessing übersetzt
|| [347]

Hannibal.

Nach Marivaux.

(K. Lessing erzählt in dem Leben seines Bruders (I. S. 62f.): Um den Winter über das Schauspiel frei besuchen zu dürfen, forderte er [Lessing] seinen Freund Herrn Weiße [] auf, mit ihm das einzige Trauerspiel von Marivaux, Hannibal betitelt, zu übersetzen. Jeder übernahm die Hälfte, und sie übersetzten es in gereimte Alexandriner, wie es dazumal die Theatermode wollte, als ein Trauerspiel so wenig ohne dergleichen Verse als ohne eine große rothe oder grüne Decke und Fischbeinröcke sein durfte. . . . . Es wurde auch aufgeführt; ob sie aber ihren Zweck erreichten, weiß ich nicht. Vermuthlich wohl, denn Lessing ergab sich immer mehr und mehr dem Theater. So hatte es Weiße [] selbst Lessing's Bruder erzählt. In der Vorrede zum 2. Bande des Theatralischen Nachlasses S. XXVIIf. hatte er es noch für ein eignes Stück seines Bruders gehalten. Er sagt hier: Sein allererster [tragischer Versuch] scheint mir wohl das Trauerspiel Hannibal zu sein, wovon ich den ersten, zweiten und vierten Aufzug von ihm fast ganz ausgearbeitet gefunden habe. Es ist in gereimten Versen, aber sehr wenig besser als die Reime, womit Sturm, Koppe, Grimm und Gottsched die französischen Trauerspiele auf den deutschen Bühnen damals geltend machten. Nicht ein Funken Genie, und Geschmack noch weniger! Er hielt es deshalb auch nicht der Mühe werth, das Fragment zu veröffentlichen, und die kritischen Herausgeber sind ihm darin gefolgt. Es erscheint also in unserer Ausgabe zum ersten Male nach dem Original unter den Breslauer Papieren.Ueber Marivaux vergleiche man unsere Lessing-Ausgabe, Th. VII. S. 534ff.Unter den Breslauer Papieren befindet sich ein Bogen mit dem bloßen Titel: Hannibal, ein Trauerspiel.)
|| [348]

[Hannibal.]

1

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Laodicea. Egina.

2 []

Egina


Und länger kann ich nicht von meinem Kummer schweigen,
Ich seh' die Thränenfluth aus Deinen Augen steigen.
Sprich, welch ein wicht'ger Fall, Prinzessin, quält Dich heut,
Beklemmt Dein banges Herz, gebiert Dir Traurigkeit?

[]

Laodicea


Egina, kennst Du Den, den Rom zu uns geschicket?

[]

Egina


Flaminius?

[]

Laodicea


Warum hab' ich ihn doch erblicket?
Ohn' ihn nähm' Hannibal itzt ruhig meine Hand.
O Rom! Rom! Deine Wahl bringt mir den Marterstand.
Geliebte, höre mich! Ich will, Dein Herz zu rühren,
Dich zum geheimen Quell von meinen Thränen führen.
Drei Jahre sind vorbei, seit eben der Flamin
Als Abgesandter hier beim Prusias erschien.
Dies war der erste Held, den ich aus Rom gesehen.
Ich glaubte, Königen, die nächst den Göttern stehen,
Weicht jeder Sterbliche, dem Kron' und Reich gebricht;
Doch da seh' ich beschämt: ein Römer weicht ihm nicht.
Ich sah, mein Vater selbst in seiner Königszierde
Verehrt' den Römer selbst und theilte seine Würde.
Und dieser Römer, ja, die Wahrheit sag' ich Dir,
Kam mir doch nicht erstaunt und nicht geschmeichelt für.
Bei dieser Achtung nun und höflichem Bezeigen
Fühlt' ich gerechten Stolz in meine Seele steigen.
Und daß mein Vater selbst, dies schien mir allzu hart,
An seinem eignen Hof des Römers Höfling ward;
Daß er, von Recht entblößt, den Muth verlieren sollte
Und nicht vor dem Flamin den Thron besteigen wollte.
Erröthend warf ich dann bei meiner Großmuth Ruh'
Nur Blicke voll Verschmähn dem finstern Römer zu.
|| [349]

Jedoch das Schicksal — — ja, sein ungerechtes Fügen,
Will, daß sich Jedes Stolz soll für den röm'schen schmiegen!
Mein Blick, verachtungsvoll, fand irrend seinen Blick,
Und der schlug ohne Müh' den [seinigen] meinigen zurück.
Bis in des Herzens Grund fühlt' ich die Regung gehen;
[Ihn fliehen konnt' ich nicht, schw.] Schwach war ich, ihn zu fliehn, und schwach, ihn zu ersehen.
Ich zürnte nicht, als sich der schwache Zorn verlor,
Und meine Schwachheit selbst kam mir noch reizend vor.
Sein Stolz, der mich erzürnt, ward nun nicht mehr ermessen.
Mein Vater und sein Ruhm und Alles ward vergessen;
Ja, ich vergaß mich selbst; mein Thun, es zu gestehn,
War, den Flamin zu sehn, und ihn doch nicht zu sehn.
Und dies Bekenntniß nun, das ich erröthend thue,
Zeigt mein Geheimniß Dir, den Räuber meiner Ruhe.

[]

Egina


Dies stolze Römerherz, das Euer Herz entführt,
Ward zweifelsfrei von Euch doch wiederum gerührt.

[]

Laodicea


Ich weiß bis itzt noch nicht, ob ich ihn überwunden,
Doch forscht' ich, ob er nicht empfand, was ich empfunden,
Und ob sein Auge nicht mit mir von Liebe sprach.
Ich wünscht' es. Durch den Wunsch ward ich zum Forschen schwach.
[Ich glaubt' es.] Doch glaubt' ich's unterdeß. Und ist es zu vergönnen,
Daß wir uns auf den Schein in etwas stützen können,
So schien es, Freundin, mir, so lang er um uns war,
Sein Schweigen mache selbst sein Lieben offenbar.
Aus tausend Zeichen konnt' ich eben das [erkenn] ersehen,
Die, sagt' ich Dir sie auch, Du doch nicht kannst verstehen,
Und die, der Liebe Trug ist vielleicht Schuld daran,
Ich selber wohl [versteh] empfind', doch nicht erklären kann.
Flaminius ging fort, und wie ich leicht kann schließen,
Mocht' er selbst meine Scham und seinen Sieg nicht wissen.
Egina, ach — — mein Herz, wie viel erlitt es nicht,
[Eh es zur Ruhe] Um bald in Ruh' zu sein, die ihm noch itzt gebricht!
Umsonst kam die Vernunft, mich hülfreich zu entstricken.
Sie reizt die Liebe nur, anstatt sie zu ersticken.
Ich sah, durch sie gestärkt, wie toll mein Feuer wär',
Ich sah es voller Scham und liebte doch nur mehr.
Drum wollt' ich länger nicht der eiteln Hülfe trauen
Und hoffte mit der Zeit mich ruhiger zu schauen.
|| [350]

Die Zeit stand mir auch bei, doch da ich ruhig schien,
Erfuhr ich zitternde die Rückkunft des Flamin.
Sprich, Freundin, was ich thu', wenn für sein Wiederkommen
Der unglücksel'ge Brand noch hat verdeckt geglommen!
Wenn ich noch liebte! [Sprich] Ach, da mich die Furcht noch drückt,
Schmeichl' ich mir nur umsonst, die Flamme sei erstickt!
Warum könnt' ich sonst nicht der Seelen Unruh' wehren?
Und lieb' ich ihn nicht mehr, warum vergieß' ich Zähren?
Jedoch dem Hannibal versprach ich meine Treu',
Und selbst das Schicksal will, daß ich des Helden sei.
Zwar werd' ich sonder Gluth in sein' Umarmung eilen,
Doch hab' ich seinen Ruhm auch einst mit ihm zu theilen.
Mein Geist, mit reinem Stolz auf dieses Glück erfüllt,
Denkt, daß [derf] ein Held [doch wohl mehr als ein Liebster gilt] so viel als ein Geliebter gilt.
Ach! Sollte meine Gluth itzt wiederum erwachen,
Wird sie [mich nicht zur Braut] zum Opfer mehr als eine Braut mich machen.
Doch wäre meine Noth auch noch so groß und viel,
Gnug, ich vollzieh' das Band, das uns vereinen will!
[Und] Liebt' ich auch den Flamin ewig mir zur Beschwerden,
Egin', er hat mein Wort, ich will nicht untreu werden!

[]

Egina


Hier kömmt er.

Andrer Auftritt.

Laodicea. Hannibal. Egina. Hamilcar.

[]

Hannibal


Wünsch' ich mir nicht ein zu großes Glück,
[Princeß] So höre mich anitzt auf einen Augenblick!
[Ich komme nicht hierher, durch Hoffnung zu] Die Hoffnung, die mich hält, macht mich nicht so verwegen,
Dir meiner Liebe Ziel in Seufzern auszulegen;
Denn wer sein Feu'r nicht [mit] mehr mit Unmuth rühmen kann,
Verberg' sie in sein Herz und denke nicht daran.
Was, das mir mehr geziemt, doch minder mich ergetzet,
Zwingt, daß ich mir mit Dir zu reden fürgesetzet.
Als Abgesandter kömmt Flamin von Rom herbei,
Doch weiß der König nicht, was sein Begehren sei.
Ich glaub', ich weiß es schon. — — — — — — — — — — — — —

|| [351]

Anderer Aufzug.

Erster Auftritt.

Flaminius. Flavius.

[]

Flavius


Der König kömmt noch nicht, und ich kann es nicht fassen,
Wie uns sein kühner Stolz kann auf sich warten lassen.
Und seit wann ward ein Held, dem der Senat geschickt,
Von Königen wie der mit mindrer Furcht erblickt?
Der Würden ohngeacht, womit Dich Rom beehret,
Verweilt doch Prusias, der sich nicht daran kehret?

[]

Flamin


Dem König rechne nicht den tollen Hochmuth an,
An den ein König nie auch nur gedenken kann!
Ich seh' hier allzu wohl die Kühnheit seines Freundes,
Des Neiders unsrer Ehr', des stolzen Römerfeindes.
Der König ginge nie von seinen Pflichten ab,
Wenn Hannibal nicht wär', der ihm den Anschlag gab.
Sein Stolz, durch Hannibal's Verwegenheit gerühret,
Vergißt, stolz auf den Thron, welch' Ehrfurcht uns gebühret.
Der Rang, den Hannibal ihm allzu sehr erhebt,
Hat kühnen Uebermuth in seiner Brust belebt.
Doch wird hier Hannibal in seiner Hoffnung fehlen;
Denn welcher König folgt nicht unsers Rom's Befehlen?
Der Flüchtling merkt es selbst aus der Erfahrung an,
Wie viel [sein] Rom's Götterspruch bei ihnen gelten kann.

[]

Flavius


Aus diesen Reden, Herr, erlaubet, daß man schließet,
Daß um den Artamen Ihr nicht blos kommen müsset,
Und daß der Krieg, mit dem ihn Prusias verstrickt,
Die kleinste Ursach sei, die Euch hieher geschickt.
Mein Argwohn will mir zwar bald das Geheimniß zeigen,
Doch glaub' ich, meine Pflicht, Flamin, ist, hier zu schweigen.

[]

Flaminius


Wär' ich vom Kummer frei, der mir im Herzen steckt,
Ich hätte Dir es, Freund, aus Freundschaft längst entdeckt.
Mein Zweck ist Hannibal. Und so viel sollst Du wissen,
Daß Prusias ihn wird an Rom ausliefern müssen.
Sieh, darum kam ich her! Was sonst noch möchte sein,
Betrifft alleine mich — —

|| [352]
[]

Flavius


Wie? Dich? Wie? Dich allein?

[]

Flamin


[Ja. Itzt sind wir allein, ich kann] Weil Niemand um uns ist, darf ich mich Dir entdecken.
Noch kann uns Hannibal mit Recht viel Furcht erwecken.
Er flieht und ist besiegt. Doch er ist so besiegt,
Daß er den Römern nicht, dem Glück nur unterliegt.
Und hätt' er seinem Glück nicht selber widerstanden,
So läge Rom vielleicht itzt in Karthago's Banden.
Wie leicht wird nicht durch ihn ein König aufgebracht,
Der kühn sich wider Rom sein Schwert zu Nutze macht
Und des Senats Befehl mit mindrer Furcht verhöhnet,
Weil ihn ein Held beschützt, den Sieg und Ehre krönet!
Rom hätte dann die Müh', zum Strafen ihn zu ziehn,
Und dieser kann sie itzt durch Vorsicht noch entfliehn.
Durch eben diesen Feind, der sich hier [glücklich] sicher schätzet,
Ward unsrer Adler Heer sehr oft in Furcht gesetzet;
Durch ihn, dem unser Drohn nie Furcht und Muth geraubt,
Dem Rom ist, was es ist, nicht, was man fälschlich glaubt;
Sein Stolz, sein Ruhm, sein Haß, der unversöhnlich wüthet,
[Und] Ja selbst sein Unglück macht, daß Rom sich vor ihn hütet.
Und da vor Kurzem gar der Ruf bei uns entstand,
Laodicea sei ihm zum Gemahl erkannt,
Ward Rom dadurch betäubt und läßt, den Bund zu stören,
Bald nach Bithynien den Marsch des Heeres kehren
Und holt den Hannibal. Du weißt, wie der Senat
Die Könige verschmäht trotz ihres Thrones hat;
Doch giebt sein Stolz itzt nach — — —
— — — — — — —
Doch glaub indessen nicht,
Mein zärtlich Lieben sei zur Hindrung meiner Pflicht!
Rom redet itzt durch mich, dem hat es gut geschienen,
Sich gegen Prusias der Schärfe zu bedienen.
Es ist auch nöthig — —

[]

Flavius


Doch sprich, Herr, seit welcher Zeit
Fühlt Dein verwundtes Herz schon diese Zärtlichkeit?
Laodicea hat Dich doch wohl aufgenommen
Und gleichfalls ihre Gluth — —

[]

Flamin


Ich seh' den König kommen.
Schweig itzt und hüte Dich, daß Keinem wissend sei,
Was ich Dir itzt entdeckt aus wahrer Freundschaftstreu'!

|| [353]

Andrer Auftritt.

Prusias. Hannibal. Flaminius. Flavius.

[]

Prusias


Rom, das Dein Thun bemerkt — —
— — — — — — — — — — — — — —
Rom schicket mich zu Dir, damit ich die Gefahr,
Womit ihr Zorn Dir droht, Dir machte offenbar.
Noch will zu Land und Meer Dein Schwert nicht stille liegen
Und sucht den Artamen aufs Neue zu bekriegen.
Dies stehet Rom nicht an, so daß Dir der Senat
Es, im Vertrauen zwar, Herr, schon verboten hat.
Ein Römer hat es Dir geheim entdecken müssen,
Zu was Du Dich hierbei am Besten könnt'st entschließen,
Und daß er's gerne säh', wenn bei erregtem Zwist
Rom's Billigkeit und nicht der Krieg die Zuflucht ist.
Es könnte dieser Rath zwar gleich als Herr befehlen,
Jedoch nur mit Verdruß sieht man den Zwang ihn wählen,
Drum schwieg er noch bis itzt mit seinem Machtspruch still
Und glaubte Dich bereit, eh daß er spräch': Ich will!
Doch nun spricht er's durch mich; wirst Du Dich noch entbrechen?
Nach Deiner Antwort nur wird er Dein Urtheil sprechen.
— — — — — — — — — — — — — — —

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

Laodicea (allein).

[]

Laodicea


Welch froher Hoffnungsstrahl hebt den gefallnen Muth?
So heißt der König denn des Liebsten Flammen gut.
Er, der das Bündniß schloß, sollt' er es selber trennen?
Sollt' ich, vom Laster frei, Flaminen wählen können?
Vom Laster frei? O nein! Mein Wunsch ist Lasters gnung,
Der nach des Vaters Wort: Sei untreu! heimlich rung.
Schwör Deinen Wünschen ab, mein Herz! begreife wieder:
Ein solcher Wunsch schlägt mein' und seine Hoheit nieder!
Wen seh' ich? Hannibal?

|| [354]

Andrer Auftritt.

Laodicea. Hannibal.

[]

Hannibal


Dies endlich ist die Zeit,
Wo Alles, Alles mir nichts als Beschimpfung dräut.
Beschimpfung! Götter! ach, durch dieses Wort erhitzet,
Vergönn, daß meinen Geist gerechter Stolz besitzet!
Prinzeß, bei der Gefahr, glaub' ich, steht mir es frei,
Ohn' daß ich eitel bin, zu sagen, wer ich sei.
Gedenke, wünsch' ich blos, gedenk einmal zurücke
An eines Kriegers Ruhm, verfolgt vom Ungelücke!
Und denkest Du an ihn, so wecke Deinen Geist,
Daß er verdoppelt itzt mir seine Großmuth weist!
Ich will nicht, daß Du Dich beim Vater sollst bemühen,
Das, was er mir beschwur, anitzo zu [erfül] vollziehen.
Er schwur mir schmeichelhaft das Glücke Deiner Hand.
Das war es, wo mein Herz sein schönstes Labsal fand.
Rom raubt mir ihn und Dich. Doch kann ich nicht entdecken,
Wie weit die Streiche sich, die man mir droht, erstrecken.
Belehr den Hannibal! denn nur von Dir allein
Kann er von ihrem Zweck hier unterrichtet sein.
Dein Wort, das uns verknüpft, beleget Dich mit Pflichten.
Sprich frei mit mir! In dem sind alle zu entrichten.
Bedenk, es ist Dein Herz der unverfälschte Freund,
Der von den Göttern mir noch hier gelassen scheint!
Rom giebt Dir einen Mann. Nicht? Sollt' ich nur noch wissen,
Was Rom vom Prusias noch mehr verlangen müssen!
Er flieht und scheuet mich. Und wie es mir [er] heut schien,
Der Bund, der uns vereint, ist eine Last für ihn.
Und ich gesteh' es Dir, der Vorsatz bringt mir Schrecken,
Den Furchtsamkeit und Drohn in ihm vielleicht erwecken.
Hielt' zarte Hoffnung nicht, hielt' Rom mich nicht zurück,
Rom, das verhaßte Rom, so sorgt' ich für mein Glück.
Sprich! fürchte nichts! Mein Mund hält Deine Huld verborgen,
Die großmuthsvoll für mich und meinen Ruhm will sorgen.
Sprich! Wer ist Dein Gemahl? Kann ich noch leben? Sprich!
Geht es auf meinen Tod? Wohl gut! Der rettet mich.

[]

Laodicea


Nein, lebe, Hannibal! Auch ich, ich kenn' die Ehre;
Wenn Dein Herz, das mich liebt, auch minder schätzbar wäre,
Dennoch entdeckt' ich Dir, wenn feindliches Bemühn
Auf Deinen Untergang und Schimpf gerichtet schien'.
|| [355]

Ja, da der Held sein Wohl in meine Hand gegeben,
Und da ich mich für ihn, für ihn verschwur zu leben,
So glaube, daß ein Herz, das so wie meines ist,
An Adel Deinem gleich, für Dich zu sein beschließt,
[Und daß es sich] Ja, es beschließt, an Muth selbst Dir nichts nachzugeben,
Wofern sich wider Dich ein Wetter sollt' erheben;
Und wenn der Tod allein Dich dafür schützen kann,
So zeig' ich Dir's gewiß mit nassen Augen an.
Doch meiner Thränen hat Dein Ruhm hier nicht vonnöthen;
Die Götter werden mich auch wohl davon erretten.
Und wenn des Schicksals Neid auch unser Band zerbricht,
Vergißt mein Vater doch sich und die Tugend nicht.
Ja, soll Rom's Tyrannei auch seine Großhmuth mindern
Und ihn mit List und Macht, Dir treu zu bleiben, hindern,
Sei nur nicht ungerecht, und trau dem Vater Du
Als die Verrätherei eh alle Laster zu!

[]

Hannibal


Wohl! Ich versteh' Dich schon. Die Hand, die mir gehöret,
Hat für ein Glied aus ihm das stolze Rom begehret.
Da sieh nun, wie Dein Wohl sich Rom zu Herzen nahm!
Doch sprich, ich bitte Dich, liebst Du den Bräutigam?
Mußt Du Dich itzt [für mich] vor mir im Mindesten nur zwingen?
Entdecke mir Dein Herz, ohn' mehr in Dich zu dringen!
Prinzessin, rede frei! Schätzt [ihr] man mich hoch? Wohlan!
Ich bin damit vergnügt, wenn man nicht lieben kann.

[]

Laodicea


Doch Dir gehört mein Herz, und Dir nur meine Liebe — —

[]

Hannibal


Doch ich nehm' [sie] es nicht an. Bei solchem Tugendtriebe
Will ich nicht, daß es sich der Pflicht zum Opfer weih'
Und für den edeln Zwang der Preis nur Marter sei.
Nein, Unvergleichliche, mein Recht leg' ich hier nieder
Und schenke Dir Dein Herz, das mir gehöret, wieder,
Dies klägliche Geschenk, das mir die Tugend gab.
Aus Großmuth nahm man mich, aus Großmuth steh' ich ab.
Dein Herz ist schon verschenkt, ich hab' es wohl gespüret.
Nun wohl! Es sei verschenkt! Es hat mir nicht gebühret!
Doch hätt' es mir gebührt, Prinzeß, gefiele Dir
Mein Herze für Dein Herz, wie Dein für meines mir,
Ich schenke für dies Glück, das ich nun aufgegeben,
|| [356]

Nicht meine Ruh' noch Müh' noch Muth noch Ruhm noch Leben.
Doch nun ist's nicht mehr Zeit. Ich würd' undankbar sein,
Nähm' mich den Trauertag noch süße Hoffnung ein.
Ich geh' zum Prusias, dem ich zu sagen brenne,
Daß seine Kleinmuth nun den Römern folgen könne.
Ich dring' in ihn, bis er mir den Verdacht erklärt,
Den mein gequältes Herz nicht ohne Grund vermehrt.
Jedoch, vielleicht werd' ich von eitler Furcht bekrieget,
Vielleicht ist's unser Band, was ihm am Herzen lieget.
Es sei nun, wie es sei! Ich leg' in Deine Hand
Mein Schicksal, das man ((sic)) Rom vielleicht schon zuerkannt.
Gesetzt, ich flöh'. Wohin? wo könnt' ich sicher leben?
Und fliehn, hieß' Rom das Recht, mich zu verfolgen, geben.
Das Laster wird nur kühn, wenn man sich ihm nicht zeigt.
Nun wohl, ich zeige mich; und es erschrickt vielleicht.
Ich mag das Uebrige nicht vom Geheimniß wissen,
Prinzessin, das ich Dir aus Deiner Brust gerissen.
Das Bündnis ist entzwei — —(Diese Zeile ist bei Lachmann/Muncker in den nächsten Auftritt gerückt und mit einer Fußnote versehen: Dritter Auftritt. Laodicea. [fehlt] in der Hs., in welcher hier ein neues Blatt beginnt; ebenso die letzten Verse des zweiten und die ersten des dritten Auftritts.] LM 3: S. 244.)

[Dritter Auftritt.](Ergänzt. Vgl. Boxberger 11.2: S. 332 und LM 3: S. 244.)


— — — — — — — — — — []

Flamin


Dem Himmel dank' ich dies,
Durch den Dein Vater sich der nahen Schand' entriß!
Er läßt den Hannibal doch auch wohl mit mir gehen?
Und hat der König auch auf meine Gluth gesehen?

[]

Laodicea


Flamin, was das betrifft, Dein Wünschen findet statt,
Wenn Deine Liebe Dich nicht selbst zur Hindrung hat.

[]

Flamin


Ich sie verhindern? ich?

[]

Laodicea


Laß Dir den Rest entdecken!
Das, was Dich hergebracht, will meinen Ruhm beflecken.
Bedenke, daß dem Held, den Rom von uns begehrt,
[Bedenke, sag' ich, daß dem Held ich erst gehört.] Daß diesem Helden ich vorhero zugehört.
Mein Wort ließ er zum Pfand der Sicherheit sich setzen,
Und drum verletzt man mich, wenn man ihn will verletzten.
Sein Recht auf mich wird zwar anitzt an Dich gebracht,
Doch ein= für allemal, er war mir zugedacht!
Sein Ruhm wird mir allzeit verehrungswürdig bleiben,
Den man ihn täglich sieht durch Tugend weiter treiben.
Drum rette diesen Held, der Preis dafür bin ich!

|| [357]
[]

Flamin


Weißt Du auch, was Du sagst? Mein Amt ver-bindet mich.
Willst Du, daß meine Gluth mich schändlich fehlen lasse?
O tödtlicher Kunstgriff von Deinem schlauen Hasse!
Ich seh' schon, was Du suchst — — ja — von Dir abzustehn,
Willst Du gezwungen mich durch Deinen Vorschlag sehn.
Die Hand, die ich so werth, die ich unendlich schätze,
Die bietest Du mir an, wenn ich die Pflicht verletze?
So biet'st Du mir nichts an — —

[]

Laodicea


Du irrst, Du irrest sehr.
Ich hätte doch geglaubt, daß ich Dir werther wär'.
Doch sprich, was hindert Dich, mir [dies nicht] dieses zu entrichten?

[]

Flamin


Die Plicht.

[]

Laodicea


Die Pflicht? folgt Ihr denn so grau-samen Pflichten,
Die, wenn sie Raserei ins wilde Herz gebracht,
Noch der Tyrannen Stolz zu heil'gen Pflichten macht?
Wie bald stirbt Hannibal betagt und groß an Thaten?
Und stirbt er unbeschimpft, wird dadurch Rom verrathen?
O, welche Pflicht!

[]

Flamin


Ihr kennt der Römer Größe doch,
Es schmiegt die ganze Welt sich in ihr göttlich Joch.
Wo ist das Land, das Volk, die uns nicht zitternd ehren?
Nicht als ob von der Furcht der Macht dies Früchte wären;
Der Liebe zu der Pflicht, der, der schreib' man es zu,
Der Pflicht, die ich bei Dir schon minder feurig thu'!
Wie leicht betrög' ich Rom! Ich dürf ((sic)) es falsch erzählen,
So würde Rom gar bald gelindre Mittel wählen.
Doch dadurch raubt' ich ihm, ergriff' ich den Entschluß,
Den Vortheil, daß man ihm Gehorsam leisten muß.
Wer Könige verbirgt, die Rom beleidigt haben,
Will feindlich seine Macht und Freiheit untergraben.
Durch Strafen dauert Rom, die es an Den verübt,
Die ein Gesandter ihm für einen Feind angiebt.
Dadurch ward unser Wink ein Quell zu Furcht und Schrecken,
Den unser Donner kann in aller Welt erwecken.
Verfolgt es Könige, die kühnlich sich empört,
Und die aus Unbedacht nicht seine Macht verehrt,
So wird durch unsre Macht der Sieg nun ausgeführet,
Davon der größte Ruhm meist dem Bericht gebühret.


1 Die in eckige Klammern gesetzten Titel wurden von Boxberger/Hempel ergänzt. Vgl. Hempel 11.2: S. 332.
2 In eckige Klammern haben wir die von Lessing in seiner Handschrift durchstrichenen Worte eingeschlossen; für die Ueberschriften gilt dies jedoch nicht (vgl. oben S. 332). - A. d. H.

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