Text

Der Hausvater

|| [0001.01]

Der Hausvater.

Ein Schauspiel in fünf Aufzügen.

------------------------------------------------------------ Aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores, Mobilibusque decor naturis dandus & annis. Horat. de arte poet. --------------------------------------------------

|| [0002.01]

Personen.

Herr d'Orbesson
,
der Hausvater
.
Herr d'Aulnoi
,
Commthur, und Schwager des Hausvaters
.
Saint-Albin
.
Sohn des Hausvaters
.
Cäcilia
,
des Hausvaters Tochter
.
Sophia
,
eine junge Unbekannte
.
Germeuil
,
Sohn des verstorbenen Herrn von * *, ein Freund des Hausvaters
. Le Bon. Haushofmeister.
Jungfer Clairet
,
Kammerfrau der Cäcilia
.
La Brie
und
Philipp
,
Bediente des Hausvaters
.
Deschamp
.
Bedienter des Germeuil
.
Fr. Hebert
,
Sophiens Wirthin
.
Fr. Papillon
;
Putzhändlerin
.
Eine von den Arbeitsmädchen der Fr. Papillon
.
M ***
ein verschämter Arme
.
Ein Bauer
.
Ein Gefreyter
.
Nebst andern Bedienten aus dem Hause
.

[] Die Scene ist zu Paris, in dem Hause des Herrn d'Orbesson.

|| [0003.01]

Der

Hausvater. Ein Schauspiel.

[]

Das Theater stellt einen Gesellschaftssaal vor, der mit Tapeten, Spiegeln, Gemälden, Uhren etc. ausgezieret ist. Es ist der Saal des Hausvaters.

[]

Es ist tief in der Nacht; zwischen fünf und sechs Uhr des Morgens.

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[]

Erster Aufzug.

------------------------------------------------------------ []

Erster Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur. Cäcilia. Germeuil.

Zuvörderst des Saales erblickt man den Hausvater, der mit langsamen Schritten auf und nieder gehet Er läßt den Kopf hängen, hat die Arme in einander

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geschlagen, und scheinet in sehr tiefen Gedanken zu seyn. Tiefer hinein, neben dem Camine, der an einer andern Seite des Saales ist, sitzen der Commthur und seine Nichte, und spielen im Brete. Hinter dem Commthur, dem Feuer ein wenig näher, sitzet Germeuil ganz nachläßig in einem Lehnstuhle, und hat ein Buch in der Hand. Er unterbricht sein Lesen von Zeit zu Zeit, und wirft zärtliche Blicke auf Cäcilien, wenn sie eben mie ihrem Spiele beschäftiget ist, und auf ihn nicht Acht haben kann. Der Commthur merkt, was hinter ihm vorgehet; und dieser Argwohn hält ihn in einer beständigen Unruhe, die sich aus seinen Bewegungen wahrnehmen läßt.

Cäcilia

Was ist ihnen, Herr Commthur? Sie scheinen mir unruhig.

Der Commthur

Nichts, Mühmchen, nichts.

(Die Lichter wollen eben ausbrennen, der Commthur sagt daher zu Germeuil:)

Mein Herr, wollten Sie wohl klingeln?

(Germeuil gehet klingeln. Der Commthur bedienet sich dieses Augenblicks, den Lehnstuhl des Germeuil anders zu rücken, und ihn mehr gegen das Bret zu kehren. Germeuil kömmt wieder, rückt seinen

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Lehnstuhl wieder an die alte Stelle, und der Commthur sagt zu dem hereintreten den Bedienten:)

Lichter!

(Das Spiel geht unterdessen seinen Gang. Der Commthur und seine Nichte werfen eines ums andere, und nennen ihre Würfe)

Der Commthur

Sechse, fünfe.

Germeuil

Das ist nicht schlimm.

Der Commthur

Mit diesem binde ich. Und diesen muß ich verlauffen.

Cäcilia

Und ich, lieber Vetter, strafe Sie um drey. Denn sechse, und fünfe sechse —

Der Commthur

(zu Germeuilen)

O mein Herr, müssen Sie denn auch immer ins Spiel reden?

Cäcilia

Das sind drey! —

Der Commthur

So was zerstreuet mich; und daß man mir da über die Achseln guckt, das kann ich auch nicht wohl leiden.

Cäcilia

(wirft)

Viere, drey. Ist zu. Zwey fürs Zumachen; und vorhin drey, macht fünfe.

|| [0006.01]

Der Commthur

(noch immer zu Germeuilen)

Haben Sie doch die Güte, mein Herr, und setzen Sie sich anders. Sie werden mir einen grossen Gefallen erweisen.

[]

Zweyter Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur. Cäcilia. Germeuil. La Brie.

Der Hausvater

Sind sie zu unserm, sind sie zu ihrem Glücke geboren? — Ach, vielleicht zu keinem von beiden.

(La Brie bringt frische Lichter, und stellt sie hin, wo sie fehlen. Indem er wieder heraus gehen will, ruft ihn der Hausvater:)

La Brie!

La Brie

Mein Herr?

Der Hausvater

(nach einer kleinen Pause, wäh rend welcher er noch nachgesonnen und auf und nieder gegangen.)

Wo ist mein Sohn?

La Brie

Er ist ausgegangen.

Der Hausvater

Wenn?

La Brie

Ich weis nicht, mein Herr.

|| [0007.01]

Der Hausvater

(abermals eine Pause)

Und ihr wißt auch nicht, wo er hingegangen ist?

La Brie

Nein, mein Herr.

Der Commthur

Der Schurke weis sein Tage nichts. Alle dreyen.

Cäcilia

Lieber Herr Vetter, Sie geben auf ihr Spiel nicht Acht.

Der Commthur

(spöttisch und auffahrend)

Mühmchen, geben Sie doch nur auf ihres Acht.

Der Hausvater

(zum La Brie, noch immer nachsinnend und auf und nieder gehend)

Hatte er euch verbothen, ihm nachzufolgen?

La Brie

(thut als ob er es nicht verstanden hätte.)

Mein Herr?

Der Commthur

Darauf will er nichts antworten. Alle As.

Der Hausvater

Dauert das schon lange so?

La Brie

(Der nochmals thut, als ob er es nicht verstanden hätte.)

Mein Herr?

|| [0008.01]

Der Commthur

Auch darauf antwortet er nichts. Wieder alle As. Nichts als verdammte kleine Dubletten!

Der Hausvater

Wie lang wird mir diese Nacht!

Der Commthur

Noch einen solchen Wurf, und ich bin weg. Da ist er!

(zu Germeuilen)

Lachen Sie immer, mein Herr. Zwingen Sie sich nicht.

(La Brie ist fort gegangen. Das Spiel ist aus. Der Commthur, Cäcilia und Germeuil treten näher zu dem Hausvater.)

[]

Dritter Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur. Cäcilia. Germeuil.

Der Hausvater

In welche Unruhe setzt er mich! Wo ist er? Was mag ihm begegnet seyn?

Der Commthur

Und wer weis das? — Aber für diesen Abend haben Sie sich nun gequält genug. Wenn Sie mir folgen, so gehen Sie zur Ruhe.

|| [0009.01]

Der Hausvater

Mit der Ruhe ist es für mich gethan.

Der Cp<o>mmthur

Wenn es für Sie damit gethan ist, so ist es ein wenig ihre Schuld, mehr aber noch die Schuld meiner Schwester. So eine vortreffliche Frau, die Kinder zu verderben, Gott habe sie seelig! war auf der Welt nicht.

Cäcilia

(peinlich)

Lieber Herr Vetter. —

Der Commthur

Ich mochte euch beiden so oft zurufen, als ich wollte: Nehmt euch in Acht, ihr verzieht sie —

Cäcilia

Herr Vetter —

Der Commthur

Itzt seyd ihr in sie vernarrt, da sie noch klein sind. Laßt sie nur groß werden, und ihr werdet schon dafür leiden müssen.

Cäcilia

Herr Commthur —

Der Commthur

Ja! Ja! Hört ein Mensch hier auf mich?

Der Hausvater

Er kömmt noch nicht.

|| [0010.01]

Der Commthur

Was hilft das Seufzen, das Aechzen? Itzt müssen Sie zeigen, wer Sie sind. Die Zeit des Verdrußes ist gekommen. Haben Sie ihm nicht vorbauen können, so lassen Sie wenigstens sehen, ob Sie ihn zu ertragen wissen — Unter uns gesagt, ich zweifele noch sehr daran —

(die Uhr schlägt sechse)

Aber das schlägt schon sechse? — O ich bin müde. — Es reißt mich in den Füssen, als ob ich mein Podagra wieder bekommen sollte. Ich kann Ihnen nichts helfen. Ich will mich in meinen Schlafbelz einwickeln, und mich so in den Lehnstuhl werfen. Guten Morgen Herr Bruder — Hören Sie nicht?

Der Hausvater

Guten Morgen Herr Commthur.

Der Commthur

(im Abgehen.)

La Brie!

La Brie

(von innen)

Mein Herr.

Der Commthur

Leuchte mir! Und wenn mein Vetter endlich zu Hause ist, so komm und melde mirs.

|| [0011.01]
[]

Vierter Auftritt.

Der Hausvater. Cäcilia. Germeuil.

Der Hausvater

(nachdem er noch einigemal traurig auf und nieder gegangen.)

Meine Tochter, es ist wider meinen Willen geschehen, daß du die ganze Nacht aufgeblieben bist.

Cäcilia

Ich habe meine Schuldigkeit gethan, mein Vater.

Der Hausvater

Ich danke dir für diese Aufmerksamkeit; aber ich fürchte, sie wird dir übel bekommen. Geh, lege dich nieder.

Cäcilia

Es ist sehr spät, mein Vater. Wenn Sie mir erlauben wollten, für ihre Gesundheit eben so besorgt zu seyn, als Sie für die meinige zu seyn, die Gütigkeit haben —

Der Hausvater

Ich will aufbleiben. Ich muß ihn durchaus sprechen.

Cäcilia

Mein Bruder ist ja kein Kind mehr.

|| [0012.01]

Der Hausvater

Wer weis wie viel Unglück sich in einer Nacht kann zugetragen haben?

Cäcilia

Mein Vater —

Der Hausvater

Ich will ihn erwarten. Er soll mich sehen.

(Indem er seine Hände zärtlich auf die Schultern seiner Tochter legt.)

Geh, meine Tochter, geh. Ich weis, daß du mich liebst.

(Cäcilia geht ab. Germeuil macht sich gefaßt, ihr zu folgen; der Hausvater aber hält ihn zurück und sagt:)

Verziehen Sie, Germeuil.

[]

Fünfter Auftritt.

Der Hausvater. Germeuil.

(Diese Scene gehet langsam.)

Der Hausvater

(als ob er allein wäre, in dem er Cäcilien nachsiehet.)

Ihr Charakter hat sich ganz geändert. Alle ihre Munterkeit, ihre Lebhaftigkeit ist weg — Ihre Reitze verschwinden. — Sie leidet. — Ach, seit
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dem ich meine Frau verloren habe, und seit dem der Commthur bey mir eingezogen ist, hat sich alles Glück von mir entfernt! — Wie theuer läßt er meinen Kindern das Glück zu stehen kommen, das er ihnen verspricht! — Seine ehrgeitzigen Absichten, und das Ansehen, das er sich in meinem Hause genommen hat, werden mir von Tag zu Tag unerträglicher. — Wir lebten in Friede und Einigkeit. Die unruhige und tyrannische Gemüthsart dieses Mannes hat uns alle entzweyet. Man fürchtet sich vor einander; man vermeidet einander; man verläßt mich, und mitten in dem Schoosse meiner Familie möchte ich vor Einsamkeit umkommen — Aber eben wird der Tag anbrechen, und mein Sohn kömmt noch nicht. — Germeuil, meine Seele ist voll der bittersten Leiden. Ich kann meinen Stand nicht länger ertragen.

Germeuil

Sie, mein Herr?

|| [0014.01]

Der Hausvater

Ja, Germeuil.

Germeuil

Wenn Sie nicht glücklich sind, welcher Vater ist es jemals gewesen?

Der Hausvater

Keiner. — O mein Freund, die Thränen eines Vaters fliessen oft in geheim. —

(Er seufzet; er weinet.)

Du siehest die meinigen. — Ich zeige dir meinenSchmerz .

Germeuil

Mein Herr, was soll ich thun?

Der Hausvater

Ich glaube, du wirst ihn lindern können.

Germeuil

Befehlen Sie.

Der Hausvater

Ich will nicht befehlen. Ich will bitten. Ich will sagen: Germeuil, wenn ich mich deiner einigermassen angenommen habe; wenn ich dir, von deiner zartesten Kindheit an, einige Zärtlich keit bewiesen habe, und wenn du dich des sen erinnerst; wenn ich zwischen dir und meinem Sohne nie einen Unterschied gemacht
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habe; wenn ich das Andenken eines Freundes in dir verehret habe, der mir immer gegenwärtig ist, und mir es immer seyn wird — Ich betrübe dich; verzeihe; es ist das erstemal in meinem Leben, und es soll das letztemal seyn. — Wenn ich es an nichts fehlen lassen, dich von dem Elende zu retten und die Stelle eines Vaters bey dir zu vertreten; wenn ich dich, auch wider Willen des Commthurs, dem du mißfällst, bey mir behalten habe; wenn ich dir itzt mein ganzes Herz eröffne: so erkenne meine Wohlthaten und erwiedere mein Vertrauen.

Germeuil

Befehlen Sie, mein Herr, befehlen Sie.

Der Hausvater

Weißt du nichts von meinem Sohne? — Du bist sein Freund; aber du mußt auch der meinige seyn. — Rede! — Schenke mir meine Ruhe wieder, oder nimm mir sie ganz. — Weißt du nichts von meinem Sohne?

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Germeuil

Nein, mein Herr.

Der Hausvater

Du bist ein wahrheitliebender Mann, und ich glaube dir. Aber nun bedenke, wie sehr deine Unwissenheit meine Unruhe vermehren muß. Wie muß die Aufführung meines Sohnes seyn, wenn er sie vor einem Vater verbirgt, dessen Nachsicht er so oft erfahren hat; und wenn er dem einzigen Menschen, den er liebet, ein Geheimniß daraus macht? — Germeuil, ich zittere; das Kind wird mir —

Germeuil

Sie sind Vater; ein Vater macht sich leicht schlimme Gedanken —

Der Hausvater

Du weißt nicht, aber du sollst es gleich erfahren, und selbst urtheilen, ob meine Furcht übereilt ist. — Sage mir, hast du nicht bemerkt, wie sehr er sich seit einiger Zeit verändert hat?

Germeuil

Ja; aber zu seinem Besten. Er macht sich weniger mit seinen Pferden, mit seinen Leuten, mit seiner Equipage zu
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thun; er denket weniger auf seinen Putz. Er hat keine von den Grillen mehr, die Sie ihm nicht selten vorwarffen. Er hat an allen Zerstreuungen seines Alters einen Eckel bekommen. Er fliehet seine gefälligen, kleinen Freunde. Er bleibt gern ganze Tage in seinem Cabinet. Er lieset; er schreibt; er denket. Desto besser. Er hat das von selbst angefangen, was Sie doch einmal, über lang oder über kurz, von ihm würden gefordert haben.

Der Hausvater

Was du mir da sagst, das sagte ich mir selbst; aber ich wußte noch nicht, was du eben erfahren sollst. — Höre nur. — Diese Veränderung, zu der ich mir, deiner Meynung nach, Glück wünschen müßte, und dieses nächtliche Aussenbleiben, das mir so viel Angst macht —

Germeuil

Nun? Dieses Aussenbleiben und diese Veränderung?

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Der Hausvater

Haben zu gleicher Zeit angefangen.

(Germeuil scheinet bestürzt)

Ja, mein Freund, zu gleicher Zeit.

Germeuil

Das ist sonderbo<a>r.

Der Hausvater

Ja wohl. Und leider habe ich diese Unordnung nur erst kürzlich erfahren. Aber sie hat schon lange gedauert. — Zu gleicher Zeit sich zwey ganz verschiedene Plane zu machen, und beiden zu folgen; des Tages über einem blendenden Plane der Ordnung, und des Nachts einem Plane der Ausschweiffung: das, das schlägt mich nieder. — Daß er sich, seines natürlichen Stolzes ungeachtet, bis zur Bestechung der Bedienten erniedriget hat; daß er sich von den Thüren meines Hauses Meister gemacht hat; daß er wartet, bis ich zur Ruhe bin; daß er sich insgeheim darnach erkundiget; daß er ganz allein, zu Fusse, alle Nächte, das Wetter mag seyn, wie es will, zu dieser oder jener Stunde,
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aus dem Hause entwischt: das ist ohne Zweifel mehr, als irgend ein Vater leiden kann; und mehr, als irgend ein Kind von seinem Alter sich unterstehen muß. — Aber bey so einer Aufführung gleichwohl sich auf die geringste seiner Pflichten aufmerksam stellen, strenge Grundsätze zu haben scheinen, sich zur Rückhaltung im Reden, zum Geschmacke an der Eingezogenheit, zur Verachtung aller Zerstreuungen zwingen — Ah, mein Freund! — Was kann man von einem jungen Menschen erwarten, der sich auf einmal so verstellen, sich auf einmal so viel Gewalt anthun kann? — Ich sehe in die Zukunft, und was ich darinn erblicke, macht mich vor Schrecken erstarren. — Wenn er weiter nichts als lasterhaft wäre, so würde ich noch nicht verzweifeln. Aber spielt er zugleich den Gesitteten und Tugendhaften! —

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Germeuil

In der That, ich verstehe von dieser Aufführung nichts; aber ich kenne ihren Sohn. Die Falschheit ist unter allen Lastern gleich dasjenige, das mit seinem Charakter am allermeisten streitet.

Der Hausvater

Welches ist das Laster, das man nicht durch den Umgang mit Bö sen endlich an sich nimmt? Und mit wem glaubst du, daß er itzt umgeht? — Alle ehrliche Leute schlafen, wenn er wacht. — Ah, Germeuil! — Aber mich deucht, ich höre jemanden — Er ist es vielleicht. — Entferne dich.

[]

Sechster Auftritt.

Der Hausvater allein.

Der Hausvater

(Er gehet nach dem Orte, wo er gehen gehöret. Er horcht, und sagt traurig:)

Ich höre nichts weiter.

(Er gehet ein wenig auf und nieder und sagt hierauf)

Ich will mich nur setzen.

(Er suchet zu ruhen, und kann nicht;

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und sagt:)

Ich kann nicht — Welche Ahnungen erheben sich, eine nach der andern, in dem Innersten meiner Seele! Wie stürmen sie! — O allzuzärtliches Vaterherz, kannst du keinen Augenblick ruhen! — Itzt am Morgen; — vielleicht geht es über seine Gesundheit, — über sein Vermögen, — über seine Tugend. — Was weis ich? Sein , seine Ehre, — meine Ehre —

(Er steht eiligst auf und sagt)

Welche Gedanken mich!

[]

Siebender Auftritt.

Der Hausvater. Ein Unbekannter.

(Indem der Hausvater in der tiefsten Traurigkeit umhergehet, tritt ein Unbekannter herein, der als ein gemeiner Mensch gekleidet ist, in Weste und Rockelor. Er hat die Arme unter den Rockelor versteckt, und den niedergekrämpten Hut in die Augen gedrückt. Er gehet mit langsamen Schritten. Er scheinet sehr betrübt und nachsinnend. Er gehet durch den Saal, ohne jemand gewahr zu werden.)

|| [0022.01]

Der Hausvater

(sieht ihn kommen, erwartet ihn, hält ihn bey dem Arme und sagt:)

Wer seyd ihr? Wohin wollt ihr?

Der Unbekannte

(antwortet nichts.)

Der Hausvater

Wer seyd ihr? Wohin wollt ihr?

Der Unbekannte

(antwortet noch nicht)

Der Hausvater

(rückt dem Unbekannten den Hut aus der Stirne, erkennt seinen Sohn und ruft:)

Himmel! — Er ist es! — Er ists! — So sind sie denn erfüllt, meine traurigen Ahnungen! — Ah! —

(Er bricht in klägliche Töne aus; er entfernt sich, er kömmt wieder, und sagt:)

Ich will mit ihm sprechen. — Ich zittere, ihn zu hören. — Was werde ich erfahren! — Ich habe zu lange, zu lange gelebt!

St. Albin

(indem er sich von seinem Vater ent fernt, und traurig seufzet.)

Ah!

Der Hausvater

(indem er ihm nachgeht.)

Wer bist du? Wo kommst du her? — Sollte ich wohl das Unglück haben? —

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St. Albin

(der sich noch weiter entfernt.)

Ich bin voll Verzweiflung.

Der Hausvater

Grosser Gott, was muß ich hören!

St. Albin

(kömmt wieder zurück und wendet sich an seinen Vater.)

Sie weinet. Sie seufzet. Sie will sich entfernen; und wenn sie sich entfernet, so bin ich verloren.

Der Hausvater

Wer? Sie?

St. Albin

Sophia. — Nein, Sophia, nein. — Ich will eher umkommen —

Der Hausvater

Wer ist diese Sophia? — Was hat diese Sophia mit den Umständen, in welchen ich dich sehe, und mit der Angst, die du mir machst, zu thun?

St. Albin

(indem er sich seinem Vater zu Füs sen wirft.)

Sie sehen mich zu ihren Füssen, mein Vater. Ihr Sohn ist ihrer nicht unwürdig. Aber er ist seinem Verderben nahe; er soll die verlieren, die er mehr als sein Leben liebt. Sie allein können sie ihm er-
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halten. Hören Sie mich; verzeihen Sie mir; helfen Sie mir.

Der Hausvater

Rede, grausames Kind; und habe Mitleiden mit der Marter, die du mich ausstehen lässest.

St. Albin

(noch immer auf den Knieen.)

Habe ich jemals ihre Gütigkeit erfahren; habe ich Sie, von meiner Kindheit an, als meinenzärtlichsten Freund betrachten können; sind Sie immer der Vertraute aller meiner Freuden, aller meiner Schmerzen gewesen: so verlassen Sie mich itzt nicht. Erhalten Sie mir Sophien; lassen Sie mich Ihnen das Kostbarste auf der Welt zu danken haben. Beschützen Sie sie. — Sie will uns verlassen; nichts kann gewisser seyn. — Sprechen Sie mit ihr; reden Sie ihr dieses Vorhaben aus — Das Leben ihres Sohnes hängt davon ab. — Ja, sprechen Sie sie; und ich werde der Glücklichste unter allen Kindern, Sie werden der Glücklichste unter allen Vätern seyn!

|| [0025.01]

Der Hausvater

Welche Wahnsinnigkeit hat ihn befallen? — Wer ist sie denn, diese Sophia, wer ist sie denn?

St. Albin

(stehet auf, gehet hin und her, und sagt voller Begeisterung:)

Sie ist arm; sie ist unbekannt; sie wohnet in einem finstern elenden Winkel: aber es ist ein Engel, es ist ein Engel, und dieser Winkel ist der Himmel. Ich habe ihn nie verlassen, ohne besser geworden zu seyn. Ich finde in meinem zerstreuten und unruhigen Leben nichts, was sich mit den unschuldigen Stunden, die ich daselbst zugebracht habe, vergleichen ließe. Ich wollte da leben und sterben, wenn ich schon von der ganzen übrigen Welt verkannt, verachtet seyn müßte. — Ich glaubte geliebt zu haben. Ich betrog mich. — Itzt erst liebe ich —

(Indem er die Hand seines Vaters ergreift)

— Ja. Ich liebe zum erstenmale.

Der Hausvater

Du spottest meiner Nachsicht und meiner Marter. Höre auf
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mit deinen Ausschweiffungen, Unglücklicher! Betrachte dich, und antworte! Was soll diese unwürdige Verkleidung? Was will sie sagen?

St. Albin

Ah, mein Vater! Dieser Kleidung habe ich mein Glück, meine Sophia, mein Leben zu danken.

Der Hausvater

Wie das? Rede.

St. Albin

Ich mußte mich zu ihrem Stande herablassen; ich mußte meinen Rang vor ihr verbergen, und ihres gleichen werden. Hören Sie nur. Hören Sie nur.

Der Hausvater

Ich höre, ich warte —

St. Albin

Neben dieser abgelegenen Wohnung, die sie vor den Augen der Welt verbirgt — Es war mein letztes äusserstes Mittel —

Der Hausvater

Nun?

St. Albin

Gleich neben diesem armseligen Behältnisse, — stand noch eines leer.

Der Hausvater

So rede doch fort.

|| [0027.01]

St. Albin

Das miethe ich. Ich lasse Möbeln hinbringen, wie sie sich für einen geringen Menschen schicken. Ich ziehe ein, und werde, unter dem Namen Sergi, und in dieser Kleidung, ihr Nachbar.

Der Hausvater

Ah! Ich komme wieder zu mir! — Gott sey Dank, ich sehe weiter nichts als einen Unsinnigen in ihm.

St. Albin

Urtheilen Sie selbst, ob ich liebte! — O, wie theuer wird es mir zu stehen kommen! — Ah!

Der Hausvater

Komm wieder zu dir, und suche durch das aufrichtigste Geständniß die Verzeihung deiner Aufführung zu verdienen.

St. Albin

Sie sollen alles erfahren, mein Vater. Denn ach, ich habe nur dieses einzige Mittel, Sie zu bewegen! — Ich sahe sie zum erstenmale in der Kirche. Sie kniete an dem Fusse eines Altars, neben einer betagten Frau, die ich Anfangs für ihre Mut-
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ter hielt. Sie zog aller Blicke auf sich. — Ah, mein Vater, welche Bescheidenheit! Welche Reitze! — Nein, ich kann Ihnen den Eindruck nicht beschreiben, den sie auf mich machte! Welche Unruhe ich empfand! Wie heftig mein Herz schlug! Was ich alles fühlte! Was auf einmal aus mir ward! — Seit diesem Augenblicke dachte ich nur an sie, träumte ich nur von ihr. Ihr Bild folgte mir des Tages, belagerte mich des Nachts, und ließ mir nirgends Ruhe. Ich verlor meine Munterkeit, meine Gesundheit darüber. Ich konnte nicht leben, ohne sie wieder aufzusuchen. Ich begab mich überall hin, wo ich sie ansichtig zu werden hoffen konnte. Ich ward schwach; ich verfiel; Sie wissen selbst, wie sehr. Endlich entdeckte ich, daß die betagte Frau, die sie begleitet hatte, Frau Hebert heisse; daß Sophia sie Meine liebe nenne, und daß sie beide in einem vierten Stocke wohnten, wo
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sie ein sehr armseliges Leben führten. — Darf ich Ihnen gestehen, was für Hofnung ich mir damals machte, was für Anträge ich thun ließ, auf was für Anschläge ich alles fiel. Wie viel Ursache fand ich, darüber zu erröthen, als mir der Himmel eingab, mich neben ihr einzumiethen! — Ah, mein Vater, alles was sich ihr nahet, muß rechtschaffen werden, oder sich entfernen. — Sie wissen nicht, wie viel ich Sophien zu danken habe; Sie wissen es nicht. — Sie hat mich ganz verändert. Ich bin der nicht mehr, der ich war. — Von dem ersten Augenblicke an, fühlte ich alle schändliche Begierden in meiner Seele verlöschen, und Hochachtung und Bewunderung an ihre Stelle treten. Ohne mich abgewiesen, ohne mich zurückgehalten zu haben, vielleicht gar ohne noch ein Auge auf mich gerichtet zu haben, machte sie mich furchtsam; ich ward es von Tag zu Tag immer mehr; und nicht
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lange, so war es mir eben so unmöglich nach ihrer Tugend, als nach ihrem Leben zu stehen.

Der Hausvater

Und wer sind diese Weibspersonen? Wovon leben sie?

St. Albin

Ah, wenn Sie wüßten, wie diese Unglücklichen leben! Denken Sie nur; ihre Arbeit fängt noch vor Tage an, und oft bringen sie ganze Nächte dabey zu. Die gute Alte sitzt am Spinnrade; und Sophia hat eine grobe harte Leinwand unter ihren zarten Händen. Bey dem Scheine einer Lampe verdirbt sie sich ihre Augen, die schönsten Augen von der Welt. Sie wohnet unter dem Dache, zwischen vier leeren Wänden. Ein hölzerner Tisch, zwey Strohstühle, ein schlechtes Bette; das sind ihre Möbeln. — O Himmel, als du sie bildetest, war das das Schicksal, das du ihr bestimmtest?

|| [0031.01]

Der Hausvater

Und wie erhieltest du Zutritt? Gestehe die Wahrheit.

St. Albin

Es ist unerhört, was sich alles für Hindernisse zeigten, was ich alles that. Als ich neben ihnen eingezogen war, suchte ich sie nicht sogleich zu sehen; aber wenn ich sie, im Heraufkommen, oder im Heruntergehen antraf, grüßte ich sie ehrerbietig. Wenn ich des Abends heim kam, (denn des Tags über, glaubte sie, wäre ich auf meiner Arbeit,) bochte ich ganz leise an ihre Thüre an, und bat sie um diese oder jene kleine Gefälligkeit, die sich Nachbaren einander erweisen, als um Wasser, um Feuer, und Licht. Nach und nach wurden sie mich gewohnt. Sie fingen an, Vertrauen in mich zu setzen. Ich erbot mich, ihnen in Kleinigkeiten zu dienen. Sie gingen, zum Exempel, des Abends nicht gern aus, ich that also die nöthigen Gänge für sie.
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Eines Tages hörte ich an meine Thüre klopfen. Es war die gute Alte. Ich mache auf. Sie tritt herein, ohne eine<> Wort zu reden, setzt sich nieder, und fängt an zu weinen. Ich frage sie, was ihr fehlt. Um mich, Sergi, sagte sie, um mich weine ich nicht. Ich bin im Elende gebohren, und also dazu gewöhnt; aber dieses Kind macht mir das Herz schwer. — Was fehlt ihr? Was ist ihr widerfahren? Ach, versetzte die Alte, wir haben seit acht Tagen keine Arbeit mehr, und bald werden wir keinen Bissen Brod haben. Himmel! rief ich. Hier nehme Sie, gehe Sie, lauffe Sie! — Und hierauf — verschloß ich mich, und ließ mich nicht mehr sehen.

Der Hausvater

Ich höre wohl. Das ist die Frucht von den Empfindungen, die man ihnen beybringt! Wozu taugen sie, als ihre Gefahr zu vergrössern?

|| [0033.01]

St. Albin

Man merkte mein Innebleiben, und das eben erwartete ich. Die gute Frau Hebert machte mir deswegen Vorwürffe. Ich faßte Herz. Ich fragte sie nach ihren Umständen. Ich beschrieb ihr meine Umstände, wie ich es für gut fand. Ich that ihr den Vorschlag, unsere Armuth zusammen zu bringen, und zu beiderseitiger Erleichterung, gemeinschaftlich zu leben. Man machte Schwierigkeiten. Ich bestand darauf, und endlich war man es zufrieden. Urtheilen Sie von meiner Freude. Ach, sie hat leider nur sehr kurz gedauert, und wer weis, wie lange meine Marter dauern wird! Gestern kam ich zu meiner gewöhnlichen Zeit nach Hause. Sophia war allein; den Arm auf den Tisch gestützt, und den Kopf in der Hand. Ihre Arbeit war neben ihr zur Erde gefallen. Ich trat herein, ohne daß sie mich wahrnahm. Sie seufzte. Thrä-
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nen lieffen ihr durch die Finger, und rollten den Arm herab. Ich hatte sie, schon seit einiger Zeit, immer traurig gefunden. — Warum weinte sie? Was betrübte sie? Der Mangel war es nicht mehr. Ihre Arbeit und meine Aufmerksamkeit, liessen es an nichts fehlen. — Da ich mich nur für ein einziges Unglück zu fürchten hatte, so stand ich nicht länger an. Ich warf mich zu ihren Füßen. Wie bestürzt ward sie! Sophia, sagte ich zu ihr, Sie weinen! Was fehlt Ihnen? Verbergen Sie mir ihren Kummer nicht. Reden Sie doch; ich bitte, reden Sie doch. Sie schwieg. Ihre Thränen rollten noch immer. Ihre Augen, in welchen keine Heiterkeit mehr war, die in Zähren schwammen, suchten mich, wandten sich von mir ab, suchten mich wieder. Sie sagte weiter nichts, als: Armer Sergi! unglückliche Sophia! Unterdessen hatte ich mein Gesicht auf ihre
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Kniee sinken lassen, und weinte. Da kam die Alte herein. Ich springe auf. Ich lauffe auf sie zu. Ich frage sie. Ich wende mich wieder zu Sophien. Ich beschwöre sie. Sie beharrt bey ihrem Stlllschweigen. Dir Verzweiflung bemeistert sich meiner. Ich gehe in der Stube auf und nieder, ohne zu wissen, was ich thue. Ich ruffe schmerzlich: Es ist um mich geschehen! Sophia, Sie wollen uns verlassen; es ist um mich geschehen! Bey diesen Worten verdoppeln sich ihre Thränen, und sie fällt wieder in die nehmliche Stellung, in der ich sie gefunden hatte. Der blasse und dunkle Schimmer einer kleinen Lampe erhellte diese betrübte Scene, die die ganze Nacht hindurch gedauert hat. Als es endlich Zeit war, daß ich mich an meine Arbeit zu gehen stellen mußte, ging ich fort, und kam unter der empfindlichsten Marter hier an —

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Der Hausvater

Aber an meine Marter dachtest du nicht.

St. Albin

Mein Vater.

Der Hausvater

Und was willst du nun? Was für Hofnung machst du dir?

St. Albin

H<D>ie Hofnung, daß Sie dem, was ich Ihnen seit meinem Daseyn zu danken habe, noch diese größte aller Wohlthaten beyfügen, und Sophien sehen, und sie sprechen werden; daß Sie —

Der Hausvater

Unbesonnener Jüngling! — Und weißt du denn, wer sie ist?

St. Albin

Das ist ihr Geheimniß. Aber ihre Sitten, ihre Gesinnungen, ihre Reden haben durchaus nichts, was ihrem gegenwärtigen Stande gemäß wäre. Es leuchtet ein ganz andrer Stand durch ihre armselige Kleidung durch. Alles verräth sie; sogar der edle Stolz, den man ihr beygebracht hat, und der sie, in Ansehung ihres Standes, so verschwiegen macht. —
|| [0037.01]
Wenn Sie ihre offne Unschuld, ihre Holdseeligkeit, ihre Bescheidenheit sehen werden — Sie erinnern sich noch wohl Mammas? — Sie seufzen! Nun da; es ist ihr vollkommenes Ebenbild. — O Papa, sprechen Sie sie immer; und wenn Ihnen ihr Sohn ein einziges Wort gesagt hat, das nicht —

Der Hausvater

Und auch von der Frau, die bey ihr ist, hast du nichts erfahren können?

St. Albin

Auch sie, leider, ist eben so zurückhaltend als Sophia! Alles was ich aus ihr habe bringen können, ist, daß das Kind aus der Provinz hierher gekommen, um bey einem ihrer Anverwandten Hülfe zu suchen, der sie aber weder sehen, noch ihr beyspringen wollen. Diese Nachricht war mir dazu gut, daß ich ihr Elend erleichtern könnte, ohne ihre zärtliche Denkungsart zu beleidigen. Ich habe dem Gegenstande mei-
|| [0038.01]
ner Liebe Gutes erzeigt, und niemand weis davon, als ich.

Der Hausvater

Hast du ihr deine Liebe entdeckt?

St. Albin

(lebhaft)

Ich mein Vater? — Ich konnte den Augenblick, da ich es endlich wagen dürfte, noch gar nicht absehen.

Der Hausvater

Du glaubst also wohl nicht, daß du wieder geliebt wirst?

St. Albin

Verzeihen Sie mir — Ach, dann und wann habe ich es geglaubt! —

Der Hausvater

Und aus welchem Grunde?

St. Albin

Ich schloß es aus Kleinigkeiten, die sich besser empfinden, als sagen lassen. Zum Exempel, sie nimmt an allem, was mich betrift, Antheil. So oft ich ehedem kam, heiterte sich ihr Gesicht auf; ihr Blick ward lebhafter; ihre Munterkeit stieg. Es schien mir, als hätte sie mich erwartet. Oft hat sie mich wegen meiner Arbeit, die
|| [0039.01]
mir den ganzen Tag wegnehme, beklagt. Oft hat sie die ihrige bis spät in die Nacht verzögert, um mich desto länger aufzuhalten. —

Der Hausvater

Du hast mir doch alles gesagt?

St. Albin

Alles.

Der Hausvater

(nach einer Pause)

Geh zur Ruhe. — Ich will sie sehen.

St Albin

Sie wollen sie sehen? — Ach, mein Vater, Sie wollen sie sehen? — Aber bedenken Sie, daß es keinen Verzug leidet.

Der Hausvater

Gehe, und erröthe, daß du dich um die Unruhe, die mir deine Aufführung gemacht hat, und noch machen kann, so wenig bekümmerst.

St. Albin

Ich werde ihnen keine mehr machen.

|| [0040.01]
[]

Achter Auftritt.

Der Hausvater allein.

Der Hausvater

Ehrlich, tugendhaft, arm, jung, reitzend — alles, was wohlerzogene Seelen zu fesseln vermag. — Kaum bin ich von einer Unruhe befreyt, so falle ich in eine andere. — Welch Schicksal! — — Doch vielleicht beunruhige ich mich zu früh. — Ein hitziger, eingenommener, junger Mensch vergrössert, übertreibt alles. — Ich muß sehen. — Ich muß das Mädchen hohlen lassen; ich muß sie hören, und mit ihr sprechen. — Ist sie so, wie er sie abmalt, so kann ich sie vielleicht auf meine Seite bringen, es ihr so nahe legen — Was weis ich?

[]

Neunter Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur, im Schlafrocke und in der Nachtmütze.

Der Commthur

Nun, Herr d'Orbes-
|| [0041.01]
son, Sie haben ihren Sohn gesprochen? Wie ists mit ihm?

Der Hausvater

Sie sollen alles erfahren, Herr Commthur. Kommen Sie herein.

Der Commthur

Noch ein Wort, wenn Sie so gut seyn wollen. — Was gilts, ihr Sohn hat sich in ein Abentheur eingelassen, das Ihnen Verdruß über Verdruß machen wird? Nicht wahr?

Der Hausvater

Herr Bruder —

Der Commthur

Und damit Sie sich künftig einmal nicht mit der Unwissenheit entschuldigen können, so melde ich Ihnen fein, daß ihre liebe Tochter und der Germeuil, den Sie wider meinen Willen im Hause behalten, es bald auch nicht werden fehlen lassen, Ihnen, wenn Gott will, so viel Aergerniß zu machen, als nur immer —

Der Hausvater

Herr Bruder, wollen Sie mir denn keinen Augenblick Ruhe gönnen?

|| [0042.01]

Der Commthur

Sie lieben sich: das sage ich Ihnen nur.

Der Hausvater

(ungeduldig)

Je nun, das wollte ich. —

Der Commthur

So wünsche ich Glück! Sie können sich beide weder leiden, noch meiden. Sie zanken sich ohne Unterlaß, und stehen doch immer gut zusammen. Sie wollen sich oft über ein Nichts die Augen auskratzen, und haben sich doch, zum Schutze und zum Trutze, wider alle und jede mit einander verbunden. Wage es einer einmal, und tadele an einem von ihnen die Fehler, die sie sich unzähligmal selbst vorwerffen: er wird ankommen! — Machen Sie ja, daß die Leutchen von einander kommen; ich sage es Ihnen. —

Der Hausvater

Kommen Sie, Herr Commthur, kommen Sie! Kommen Sie herein, Herr Commthur!

Ende des ersten Aufzuges.
|| [0043.01]

Zweyter Aufzug.

[]

Erster Auftritt.

Der Hausvater. Cäcilia. Jungfer Clai ret. Herr Le Bon. Ein Bauer. Frau Papillon, eine Putzhändlerin, mit einer von ihren Arbeiterinnen. La Brie. Philipp, Bediente die zur Aufwartung hereintreten. Ein Mann in schwarzem Kleide, der das Ansehen eines verschämten Armen hat, und es wirklich ist.

(Alle diese Personen kommen eine nach der andern herein. Der Bauer steht, und hat sich vorwärts auf seinen Stock gelehnt. Frau Papillon sitzt in einem Lehnstuhle, und wüscht sich das Gesichte; ihr Ladenmädchen steht neben ihr, und hält eine kleine Pappenschachtel unter dem Arme. Herr le Bon hat sich nachläßig aufs Canapee geworfen. Der schwarz gekleidete Mann hat sich bey Seite gemacht, und steht in einem Winkel neben dem Fenster. La Brie ist in der Weste und in Haarwickeln. Philipp ist angekleidet. La Brie geht um ihn herum, und sieht ihn ein wenig spöttisch an; da unterdessen Herr le Bon das Ladenmädchen der Frau Papillon mit seinem Fernglase untersucht. Der Hausvater tritt herein, und alle stehen auf.

|| [0044.01]
Ihm folgt seine Tochter, und vor seiner Tochter geht ihre Kammerfrau her, die das Frühstück ihrer Gebietherin trägt. Jungfer Clairet nickt im Vorbeygehen gegen die Frau Papillon, auf eine gnädige Art. Sie setzt das Frühstück auf einem kleinen Tische auf. Cäcilia läßt sich auf der einen Seite dieses Tisches nieder. Der Hausvater sitzet an der andern Seite desselben. Jungfer Clairet stehet hinter dem Lehnstuhle ihrer Gebietherin. Diese Scene bestehet aus zwey zugleich mit einander lauffenden Scenen. Cäciliens Scene wird mit leiser Stimme gesprochen.)

Der Hausvater

(zum Bauer)

Ah, seyd ihr der, der meinen Pachter zu Limeuil überbietet? Ich bin mit ihm zufrieden. Er ist ein ordentlicher Mann. Er hat Kinder. Es ist mir gar nicht unangenehm, daß man bey mir etwas vor sich bringt. Ihr könnt nur wieder gehen.

(Jungfer Clairet winkt der Frau Papillon näher zu kommen.)

Cäcilia

(zur Frau Papillon leise)

Bringt Sie mir was hübsches?

|| [0045.01]

Der Hausvater

(zu seinem Haushofmeister)

Nun, Herr le Bon? Was ist vorgefallen?

Frau Papillon

(leise zu Cäcilien)

Sie sollen gleich sehen, Mademoiselle.

Le Bon

Der Schuldner, dessen Verschreibung schon seit einem Monate gefällig ist, bittet noch um eine kurze Nachsicht.

Der Hausvater

Die Zeiten sind schwer; sehe Er ihm immer noch nach. Wir wollen lieber eine kleine Summe zu ver lieren wagen, als ihn zu Grunde richten.

(Während dem Verfolge dieser Scene legen Frau Papillon und ihr Mädchen, die fremden Stoffe und Zeuge auf den Stühlen aus. Cäcilia trinkt ihren Caffee, betrachtet, billiget, verwirft, läßt bey Seite legen etc.)

Le Bon

Die Handwerksleute, die an ihren<m> Hause zu Orsigny arbeiten, sind da.

Der Hausvater

Mache Er ihre Rechnung.

Le Bon

Ich glaube nicht, daß so viel in Casse ist.

|| [0046.01]

Der Hausvater

Dem ohngeachtet; ihre Bedürfnisse sind dringender als meine, und es ist besser, daß ich mich behelfe, als sie.

(zu Cäcilien)

Cäcilia, vergiß meine Mündel nicht. Vielleicht ist unter diesen Waaren etwas für sie.

(Hier wird er des verschämten Armen gewahr. Er stehet eilfertig auf, gehet ihm entgegen, und sagt leise zu ihm:)

Verzeihen Sie, mein Herr; ich habe Sie nicht gesehen. — Häußliche Angelegenheiten haben mich verhindert. — Ich habe Sie ganz vergessen. —

(Indem er das sagt, zieht er einen Beutel heraus, den er ihm heimlich zusteckt; und unterdessen, daß er ihn begleitet, und wieder kömmt, ruckt die andre Scene weiter.)

Jungfer Clairet

Das Muster ist allerliebst.

Cäcilia

Wie theuer das Stück?

Frau Papillon

Zehn Louisdor, aufs genauste.

|| [0047.01]

Jungfer Clairet

Das laß ich gelten.

(Cäcilia bezahlt)

Der Hausvater

(indem er wieder kömmt<,> leise, und in einem mitleidigen Tone:)

Eine Familie zu erziehen; seinem Stande sich gemäß zu halten, — und nichts dazu zu haben!

Cäcilia

Was ist in der Schachtel?

Das Ladenmädchen

Es sind Spitzen drinn.

(Sie macht die Schachtel auf)

Cäcilia

(lebhaft)

Nein, nein, ich will sie nicht sehen. Adieu, Frau Papillon.

(Jungfer Clairet, Frau Papillon, und das Ladenmädchen gehen ab.)

La Bon

Der Nachbar, der auf das Stücke Landes die Ansprüche wider Sie macht, würde vielleicht abstehen, wenn —

Der Hausvater

Ich will mich nicht berauben lassen. Ich will meinen Kindern, einem geitzigen und ungerechten Manne zu gefallen, nichts vergeben. Alles was ich thun kann, ist, daß ich ihm, wenn er will,
|| [0048.01]
so viel abtrete, als mich der Proceß ohn gefehr kosten könnte. Sehe Er zu.

(Herr le Bon geht ab. Der Hausvater ruft ihn wieder zurück und sagt:)

Weil ich daran denke, Herr le Bon. Er vergißt doch nicht die Leute aus der Provinz? Ich höre, daß sie eines von ihren Kindern hierher geschickt haben. Suche Er doch zu erfahren, wo es ist.

(Zu la Brie, der in dem Saale aufräumt.)

Ihr könnt nicht länger in meinen Diensten seyn. Ihr habt von dem unordentlichen Leben meines Sohnes gewußt. Ihr habt mich belogen. In meinem Hause muß man nicht lügen.

Cäcilia

(die für ihn bitten will)

Mein Va ter —

Der Hausvater

Es ist freylich sonderbar. Wir verschlimmern sie selbst. Wir machen sie selbst zu schlechten Leuten; und wenn wir sie als solche finden, sind wir noch
|| [0049.01]
ungerecht genug, uns darüber zu beklagen.

(zu La Brie)

Ich lasse euch eure Kleidung, und gebe euch noch einen Monat Lohn. Geht.

(zu Philippen)

Seyd ihr es, von dem man mir gesprochen hat?

Philipp

Ja, mein Herr.

Der Hausvater

Ihr habt es gehört, warum dieser seinen Abschied erhalten hat. Denkt daran. Geht, und laßt niemanden herein.

[]

Zweyter Auftritt.

Der Hausvater. Cäcilia.

Der Hausvater

Nun, meine Tochter, hast du dich bedacht?

Cäcilia

Ja, mein Vater.

Der Hausvater

Und was hast du beschlossen?

Cäcilia

Mich in allen nach ihrem Willen zu richten.

Der Hausvater

Diese Antwort versprach ich mir.

|| [0050.01]

Cäcilia

Wenn ich mir gleichwohl einen Stand wählen dürfte —

Der Hausvater

Welchen würdest du vorziehen? — Du stehst bey dir an. — Rede, meine Tochter.

Cäcilia

Ich würde den einsamen Stand vorziehen.

Der Hausvater

Was meinest du? Ein Kloster?

Cäcilia

Ja, mein Vater. Wo könnte ich eine bessere Zuflucht gegen den Verdruß und Kummer, der mir vielleicht bevorstehet, finden?

Der Hausvater

Du sprichst von Verdruß und Kummer, und denkest an den Kummer und Verdruß nicht, den du mir machen würdest? So wolltest du mich verlassen? So wolltest du das Haus deines Vaters mit einem Kloster vertauschen? Die Gesellschaft deines Oheims, deines Bruders, meine Gesellschaft, mit der Knechtschaft?
|| [0051.01]
Nein meine Tochter, das muß nicht geschehen! Ich verehre den Beruf zum geistlichen Leben; aber es ist nicht dein Beruf. Die Natur hat dir gesellige Eigenschaften gegeben, und sie kann sie dir nicht umsonst gegeben haben. — Cäcilia, du seufzest. — Ah, wenn dieser Vorsatz aus irgend einer geheimen Ursache entspränge, — welch Schicksal würdest du dir zubereitet haben! Du hast das Winseln der Unglücklichen nie gehöret, deren Anzahl du zu vermehren kämest. Es dringet durch die nächtliche Stille ihrer Kerker. Dann, dann, mein Kind, fliessen bittere Thränen, an denen niemand Antheil nimmt, und netzen das einsame Lager. — Cäcilia, nicht ein Wort mehr vom Kloster. — Ich will keinem Kinde das Leben gegeben haben, ich will kein Kind erzogen und ohn Unterlaß an der Befestigung seinesGlücks gearbeitet haben, um es lebendig in das Grab herabsteigen zu lassen, und
|| [0052.01]
so meine Hofnung und die Hofnung der Gesellschaft betrogen zu sehen. — Und wer soll der Welt tugendhafteBürger liefern, wenn sich gleich diejenigen Frauenzimmer, die es am meisten verdienten, Hausmütter zu seyn, dieser Sorge entziehen wollen?

Cäcilia

Ich habe Ihnen gesagt, mein Vater, daß ich mich in allen nach ihrem Willen richten will.

Der Hausvater

So rede mir denn nichts weiter vom Kloster.

Cäcilia

Ich darf aber doch hoffen, daß Sie ihre Tochter zu keiner Veränderung des Standes zwingen werden; daß Sie ihr erlauben werden, ihre Tage ruhig und frey an der Seite ihres Vaters zu verleben?

Der Hausvater

Wenn ich bloß auf mich sehen wollte, so könnte ich mit diesem Vorsatze gar wohl zufrieden seyn. Aber ich muß dir die Zeit zu Gemüthe führen, da ich nicht mehr seyn werde. — Cäcilia, die Natur hat
|| [0053.01]
ihre Absichten; und wenn du Achtung geben willst, so wirst du finden, daß sie sich an allen rächet, die ihr diese Absichten fehl schlagen lassen; die Mannspersonen strafet sie, wegen des ehelosen Standes, durch das Laster, und das Frauenzimmer durch Verachtung und Langeweile. — Du kennest die verschiedenen Stände; sage mir, giebt es einen traurigern, einen ungeachtetern Stand, als den Stand einer betagten Jungfer? Mein Kind, man vermuthet, ein Mädchen müsse entweder Gebrechen des Körpers oder der Seele haben, wenn sie dreyßig Jahr alt geworden ist, ohne eine Person gefunden zu haben, die mit ihr die Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen, geneigt gewesen wäre. Dem aber sey wie ihm wolle; das Alter kömmt heran; die Reitze verschwinden; die Mannspersonen entfernen sich; die üble Laune nimmt überhand; man verlieret seine Aeltern, seine Bekannte, seine
|| [0054.01]
Freunde. Eine alte Jungfer hat niemanden um sich, als Gleichgültige, die sie verabsäumen, oder Eigennützige, die ihre Tage zehlen. Sie empfindet es; sie betrübt sich darüber; sie lebt, ohne daß sie jemand tröstet, und stirbt, ohne daß sie jemand beweinet.

Cäcilia

Das ist wahr. Aber welcher Stand ist ohne Beschwerden; und hat der eheliche Stand nicht auch die seinigen?

Der Hausvater

Wer weis das besser, als ich? Ihr lehret es mich alle Tage. Allein es ist ein Stand, den die Natur uns aufleget. Es ist der Beruf aller lebenden Wesen. — Meine Tochter, wer sich auf eine unvermischte GlückseeligkeitRechnung macht, der kennet weder das Leben der Menschen, noch die Absichten, welche der Himmel mit ihm hat. — Setzet der Ehestand uns grausamen Schmerzen aus, so ist er doch auch die Quelle der süssesten
|| [0055.01]
Freuden. Wo findet man Beyspiele des reinsten und aufrichtigsten Antheils, der wirklichen Zärtlichkeit, der innigsten Vertraulichkeit, des ununterbrochenen Beystandes, der wechselseitigen Zufriedenheit, des getheilten Kummers, der vernommenen Seufzer, der vermischten Thränen, wo findet man sie sonst als in der Ehe? Giebt es etwas, was ein rechtschafner Mann seiner Frau vorzöge? Findet sich etwas in der Welt, das ein Vater mehr liebte, als seine Kinder? — O heilige Bande der Ehe, wenn ich an euch denke, entbrennet meine Seele und erhebt sich! — O zärtliche Namen des Sohnes und der Tochter, euch sprach ich nie aus, ohne daß mein Herz nicht innigst gerühret ward, ohne daß es vor Freuden nicht hüpfte. Nichts ist süsser in meinen Ohren; an nichts nimmt meine ganze Seele mehr Antheil. — Cäcilia, denke an das Leben deiner Mutter. Kann ein süsseres Leben
|| [0056.01]
seyn, als das Leben einer Frau, die ihre Tage in Erfüllung der Pflichten einer aufmerksamen Gattin, einer zärtlichen Mutter, einer mitleidigen Gebietherin, zubringet? — Welchen Stof zu den süssesten Betrachtungen trägt sie in ihrem Herzen mit weg, wenn sie sich des Abends zur Ruhe begiebt!

Cäcilia

Ja wohl, mein Vater. Aber wo sind die Frauen, die ihr, wo sind die Männer, die Ihnen gleichen?

Der Hausvater

Es giebt deren noch, mein Kind; und es wird nur von dir abhangen, eben das Schicksal zu haben, das sie hatte.

Cäcilia

Wenn es auf weiter nichts ankäme, als um sich zu sehen, seine Vernunft, sein Herz zu hören —

Der Hausvater

Cäcilia, du schlägst die Augen nieder. Du zitterst. Du fürchtest dich, zu reden. — Mein Kind, laß mich in deiner Seele lesen. Du kannst kein Ge-
|| [0057.01]
heimniß vor deinem Vater haben; und wenn ich dein Vertrauen verloren hätte, so müßte es meine eigene Schuld seyn. — Du weinest —

Cäcilia

Ihre Gütigkeit betrübt mich. Wenn Sie strenger gegen mich seyn könnten?

Der Hausvater

Solltest du es wohl verdient haben? Sollte dir dein Herz wohl Vorwürffe machen?

Cäcilia

Nein, mein Vater.

Der Hausvater

Was fehlt dir denn also?

Cäcilia

Nichts.

Der Hausvater

Du betriegst mich, meine Tochter.

Cäcilia

Ihre Zärtlichkeit schlägt mich darnieder. Ich wollte sie gern erwiedern können.

Der Hausvater

Sollte dein Herz wohl jemanden gewählt haben? Sollte es wohl lieben?

|| [0058.01]

Cäcilia

Wie sehr würde ich zu beklagen seyn!

Der Hausvater

Rede. —

(vertraulicher und zärtlicher)

Rede doch, mein Kind. Wenn du nicht mehr Strenge bey mir vermuthest, als ich mir jemals bewußt gewesen bin, so laß dieses unzeitige Zurückhalten. Du bist kein Kind mehr. Warum sollte ich dich wegen einer Empfindung tadeln, die ich einst in dem Herzen deiner Mutter erweckte? — O du, die du itzt in meinem Hause ihre Stelle vertrittst, die du mir sie vorstellest, ahme ihr in der Freymüthigkeit nach, die sie gegen den bezeugte, der ihr das Leben gegeben hatte, der Sie und mich glücklich zu sehen wünschte. — Du antwortest mir nicht, Cäcilia?

Cäcilia

Das Schicksal meines Bruders macht mich zittern.

Der Hausvater

Dein Bruder ist ein Narr.

|| [0059.01]

Cäcilia

Vielleicht würden Sie mich nicht klüger finden, als ihn.

Der Hausvater

Nein, solchen Verdruß wird mir Cäcilia nicht machen. Ihre Klugheit ist mir bekannt; und ich erwarte bloß das Bekenntniß ihrer Wahl, um sie zu billigen.

(Cäcilia schweigt. Der Hausvater wartet einen Augenblick; darauf fährt er in einem ernsthaften und gar ein wenig ärgerlichem Tone fort:)

Es würde mir angenehm gewesen seyn, deine Gesinnungen von dir selbst zu vernehmen; doch auf was Art du mir sie auch sonst eröffnen willst, es soll mir gleich viel seyn. Es geschehe durch den Mund deines Oheims, oder deines Bruders, oder durch Germeuilen; wie gesagt, es soll mir gleich angenehm seyn. — Germeuil ist unser gemeinschaftlicher Freund. — Es ist ein gesetzter und verständiger Mann. — Er hat mein Vertrauen. — Mich dünkt,
|| [0060.01]
er verdiene auch dein Vertrauen zu haben —

Cäcilia

Ich habe die nehmlichen Gedanken von ihm.

Der Hausvater

Ich bin ihm viel schuldig. Es ist Zeit, daß ich mich mit ihm abfinde.

Cäcilia

Ihre Kinder werden weder ihrer Gewalt, noch ihrer Erkenntlichkeit jemals einige Grenzen setzen. — Bisher hat er Sie als einen Vater verehret, und Sie haben ihn als eines ihrer Kinder gehalten.

Der Hausvater

Wüßtest du nicht etwa, was ich wohl für ihn thun könnte?

Cäcilia

Hierinn, glaube ich, muß man ihn wohl selbst zu Rathe ziehen. — Vielleicht hat er Gedanken. — Vielleicht — Bin ich im Stande, Ihnen zu rathen?

Der Hausvater

Der Commthur hat mir etwas gesagt. —

Cäcilia

(lebhaft)

Ich weis nicht, was es
|| [0061.01]
ist; aber Sie kennen ja unsern Vetter. Ach, glauben Sie es ja nicht, mein Vater. —

Der Hausvater

Ich werde wohl also sterben müssen, ohne eines von meinen Kindern glücklich zu sehen. — Cäcilia — Grausame Kinder, was habe ich euch gethan, daß ihr mich so kränket? — Ich habe das Vertrauen meiner Tochter verloren. Mein Sohn hat sich in ein Band verstricket, das ich unmöglich billigen kann, und das ich zerreissen muß — —

[]

Dritter Auftritt.

Der Hausvater. Cäcilia. Philipp.

Philipp

Mein Herr, zwey Frauenzimmer verlangen Sie zu sprechen.

Der Hausvater

Laßt sie herein kommen.

(Cäcilia geht ab. Ihr Vater ruft sie zurück und sagt traurig;)

Cäcilia!

|| [0062.01]

Cäcilia

Mein Vater!

Der Hausvater

So liebst du mich nicht mehr?

(Die angemeldeten Frauenzimmer treten herein, und Cäcilia geht ab, mit dem Tuche vor den Augen.)

[]

Vierter Auftritt.

Der Hausvater Sophia. Fr. Hebert.

Der Hausvater

(erblickt Sophien, und sagt in einem Tone, und mit einer Art von Erstaunen:)

Er hat mich nicht betrogen. Welche Reitze! Welche Bescheidenheit! Welche Holdseeligkeit! — Ach! —

Fr. Hebert

Mein Herr, wir kommen auf ihren Befehl —

Der Hausvater

Sind Sie es, Mademoiselle, die sich Sophia nennen?

Sophia

(zitternd und verstört)

Ja, mein Herr.

Der Hausvater

Meine liebe Frau, ich hätte der Mademoiselle ein Wort zu sagen.
|| [0063.01]
Ich habe von ihr reden hören; ich will ihr Bestes.

(Fr. Hebert tritt bey Seite.)

Sophia

(zittert noch immer und hält sie bey dem Arme zurück:)

Meine liebe —

Der Hausvater

Mein Kind, fassen Sie sich. Ich werde Ihnen nichts unangenehmes sagen.

Sophia

Ach!

(Fr. Hebert setzet sich zu hinterst im Saale nieder, und ziehet ihre Arbeit hervor, um nicht müßig zu seyn.)

Der Hausvater

(führet Sophien zu einem Stuhle, und läßt sie neben sich niedersetzen.)

Wo sind Sie her, Mademoiselle?

Sophia

Ich bin aus einer kleinen Stadt in der Provinz.

Der Hausvater

Sind Sie schon lange in Paris?

Sophia

Nicht lange; und wollte Gott, daß ich niemals hergekommen wäre!

Der Hausvater

Was machen sie hier?

|| [0064.01]

Sophia

Ich nähre mich von meiner Arbeit.

Der Hausvater

Sie sind sehr jung.

Sophia

Desto länger werde ich zu leiden haben.

Der Hausvater

Haben Sie ihren Herrn Vater noch?

Sophia

Nein, mein Herr.

Der Hausvater

Und ihre Frau Mutter?

Sophia

Die hat mir der Himmel erhalten. Aber sie hat so viel Kreutz; ihre Gesundheit ist so hinfällig, und ihr Elend so groß!

Der Hausvater

Ihre Frau Mutter ist also wohl sehr arm?

Sophia

Sehr arm! Und doch ist niemand in der Welt, deren Tochter ich lieber seyn wollte.

Der Hausvater

Ich lobe Sie, dieser Gesinnung wegen. Sie scheinen, das beste Herz zu haben. — Und wer war ihr Herr Vater?

|| [0065.01]

Sophia

Mein Vater war ein rechtschafner Mann. Er hörte keinen Unglücklichen, ohne Mitleiden mit ihm zu haben. Er verließ seine Freunde in ihrem Elende nicht, und ward arm. Er hatte viel Kinder mit meiner Mutter; und als er starb, ließ er uns alle ohne Hülfe. — Ich war damals noch sehr jung — Ich kann mich kaum erinnern, ihn gesehn zu haben. — Meine Mutter mußte mich auf die Arme nehmen, und an sein Bette heben, daß ich ihn umarmen und seinen Seegen erhalten konnte. — Ich weinte. Ach, ich wußte nicht, wie viel ich alles verlor!

Der Hausvater

Sie rühret mich. — Und aus was Ursache haben Sie das Haus ihrer Aeltern, und ihre Provinz verlassen?

Sophia

Ich kam mit einem meiner Brüder hierher, einen Anverwandten um Beystand zu bitten, der aber sehr hart gegen uns gewesen ist. Er hatte mich ehedem in
|| [0066.01]
der Provinz gesehen. Es hatte geschienen, als habe er mich lieb gewonnen, und meine Mutter glaubte, daß er sich dessen wieder erinnern würde. Allein er verschloß seine Thüre vor meinem Bruder, und mir ließ er sagen, daß ich ihm nicht unter die Augen kommen sollte.

Der Hausvater

Und was ist aus ihrem Bruder geworden?

Sophia

Er hat königliche Dienste genommen. Ich aber bin mit der guten Frau allein geblieben, die Sie da sehen, und die die Liebe hat, mich als ihr Kind zu achten.

Der Hausvater

Sie scheinet nicht in den besten Umständen zu seyn.

Sophia

Sie theilet mit mir, was sie hat.

Der Hausvater

Und von ihrem Anverwandten haben Sie weiter nichts gehört?

Sophia

Verzeihen Sie mir, mein Herr. Ich habe einigen Beystand von ihm erhal-
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ten. Aber was hilft das meiner Mutter?

Der Hausvater

Ihre Frau Mutter hat Sie also wohl vergessen?

Sophia

Meine Mutter that ihr äusserstes, uns nach Paris zu schicken. Ach, Sie hoffte, diese Reise würde glücklichere Folgen haben. Würde Sie sich wohl sonst haben entschliessen können, mich von sich zu lassen? Seit dem hat sie nicht gewußt, wie Sie mich wieder nach Hause bekommen soll. Doch schreibt sie mir nun, daß man mich in kurzem abhohlen und wieder zu ihr bringen werde. Sie muß eine mitleidige Seele gefunden haben. — O wir sind wohl recht sehr zu beklagen!

Der Hausvater

Und Sie kennen hier keinen Menschen, der Ihnen beystehen könnte?

Sophia

Keinen Menschen.

Der Hausvater

Und Sie leben von ihrer Hände Arbeit?

|| [0068.01]

Sophia

Ja, mein Herr.

Der Hausvater

Und leben ganz allein?

Sophia

Ganz allein.

Der Hausvater

Aber was ist denn das für ein junger Mensch, von dem man mir gesagt hat, Namens Sergi, der neben Ihnen an wohnen soll?

Fr. Hebert

(lebhaft, indem sie ihre Arbeit sin ken läßt:)

Ach, mein Herr, es ist der ehrlichste Mensch —

Sophia

Es ist ein Unglücklicher, der sein Brod verdienen muß, wie wir, und der sein Elend zu dem unsrigen gebracht hat.

Der Hausvater

Weiter wissen Sie von ihm nichts?

Sophia

Nein, mein Herr.

Der Hausvater

Nun wohl, Mademoiselle, dieser Unglückliche —

Sophia

Kennen Sie ihn?

Der Hausvater

Ob ich ihn kenne! — Es ist mein Sohn.

|| [0069.01]

Sophia

Ihr Sohn!

Fr. Hebert

(zu gleicher Zeit)

Sergi!

Der Hausvater

Ja, Mademoiselle.

Sophia

Ach, Sergi, so haben Sie mich betrogen!

Der Hausvater

Tugendhaftes, schönstes Kind, erkennen Sie die Gefahr, in der Sie gewesen sind.

Sophia

Sergi ist ihr Sohn!

Der Hausvater

Er verehret Sie, er liebt Sie; aber seine Leidenschaft, wenn Sie ihr Raum gäben, würde Sie und ihn unglücklich machen.

Sophia

Warum bin ich doch in diese Stadt gekommen? Warum bin ich nicht wieder fortgereiset, sobald mir mein Herz es sagte!

Der Hausvater

Es ist noch Zeit. Sie müssen nicht länger von einer Mutter bleiben, die sich nach Ihnen sehnet, und der ihr hiesiger Aufenthalt grosse Unruhe ma-
|| [0070.01]
chen muß. Wollen Sie das, Mademoi selle?

Sophia

Ah, meine Mutter, was werde ich Ihnen sagen können!

Der Hausvater

(zur Fr. Hebert.)

Sie, meine gute Frau, sollen das Kind nach Hause bringen, und ich will Sorge tragen, daß Sie ihre Mühe nicht bereuen sollen.

(Fr. Hebert macht eine Verbeugung)

Der Hausvater

(fährt gegen Sophien fort:)

Aber, Mademoiselle, wenn ich Sie ihrer Mutter wiederschenke, so müssen Sie mir auch meinen Sohn wiedergeben. Sie müssen ihn lehren, was man seinen Aeltern schuldig ist; Sie wissen das ja so wohl.

Sophia

Ah, Sergi, warum —

Der Hausvater

Sie müssen machen, daß er über seine Absichten erröthet, so ehrlich sie auch immer mögen gewesen seyn. Sie müssen ihm ihre Abreise ankündigen. Sie müssen ihm befehlen, meinem Schmerze
|| [0071.01]
und der Unruhe seiner Familie ein Ende zu machen.

Sophia

(zur Hebert)

Meine liebe —

Fr. Hebert

Mein Kind.

Sophia

(die sich an sie anlehnet)

Ich vergehe —

Fr. Hebert

Mir wollen abtreten, mein Herr, und ihre Befehle erwarten.

Sophia

Armer Sergi! Unglückliche Sophia!

(Sie gehet, an die Frau Hebert gelehnet, ab.)

[]

Fünfter Auftritt.

Der Hausvater allein.

Der Hausvater

O Gesetze der Welt! O grausame Vor urtheile! — Es giebt so schon wenigFrauenzimmer gnug für einen Mann, der denket und empfindet. Warum muß die Wahl derselben noch so eingeschränkt seyn! — Aber mein Sohn wird bald da seyn. — Ich muß mich des Eindrucks entschlagen,
|| [0072.01]
den dieses Kind auf meine Seele gemacht hat. — Wie kann ich ihm, meiner Pflicht gemäß, vorstellen, was er mir schuldig ist, was er sich selbst schuldig ist, wenn mein Herz mit dem seinigen eins ist? —

[]

Sechster Auftritt.

Der Hausvater. St. Albin.

St. Albin

(im Hereintreten, und lebhaft)

Mein Vater.

(Der Hausvater gehet auf und nieder, und schweigt)

St. Albin

(gehet seinem Vater nach, und sagt in einem bittenden Tone:)

Mein Vater.

Der Hausvater

(bleibt auf einmal stehen, und sagt in einem ernsthaften Tone:)

Mein Sohn, wenn du noch nicht in dich gekehret bist, wenn die Vernunft ihre Macht über dich, noch nicht wieder erlangt hat: so wage es nur nicht, dein Unrecht und meinen Verdruß zu vergrössern.

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St. Albin

Sie sehen mich davon durchdrungen! Ich nahe mich Ihnen mit Zittern. — Ich will ruhig und vernünftig seyn. — Ja, ich will es gewiß seyn. — Ich habe mir es vorgenommen.

(Der Hausvater gehet noch auf und nieder)

St. Albin

(nahet sich ihm furchtsam, und sagt mit leiser und zitternder Stimme:)

Sie haben sie nun gesehen?

Der Hausvater

Ja, ich habe sie gesehen. Sie ist schön, und ich halte sie für tugendhaft. Aber was denkst du aus ihr zu machen? Einen Zeitvertreib? Das werde ich nicht zugeben. Deine Frau? Sie schickt sich nicht für dich.

St. Albin

(der an sich hält)

Sie ist schön, sie ist tugendhaft, und sie schickt sich nicht für mich! Was schickt sich denn also für eine Frau für mich?

Der Hausvater

Eine solche, die durch ihre Erziehung, durch ihre Geburt, durch
|| [0074.01]
ihren Stand, durch ihr Vermögen dein Glück befestigen, und meinen Hoffnungen ein Genüge leisten kann.

St. Albin

Aus meiner Heyrath soll also ein Band des Eigennutzes und des Ehrgeitzes werden? Mein Vater, Sie haben nur Einen Sohn; opfern Sie ihn nicht Absichten auf, welche die Welt mit unglücklichen Ehemännern erfüllen. Ich brauche eine rechtschaffene, empfindliche Gattin, die mich die Mühseligkeiten des Lebensertragen lehre; und keine reiche, betittelte Frau, die sie vermehre. Ah, wünschen Sie mir eher den Tod, und der Himmel gewähre mir ihn eher, als eine Frau, so wie ich sie sehe —

Der Hausvater

Ich schlage dir keine vor; aber ich werde es auch niemals zugeben, daß du derjenigen zu Theil werdest, an die du dich so närrischer Weise gehangen hast. Ich könnte mich meiner Gewalt
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bedienen und zu dir sagen: St. Albin, das mißfällt mir; daraus kann nichts werden; denke weiter nicht daran. Allein ich habe nie etwas von dir verlangt, ohne dir den Grund davon zu zeigen. Ich habe deinen blossen Gehorsam, ohne deinen Beyfall zu haben, niemals begehrt; und ich will bey dieser Herablassung auch noch itzt bleiben. Mäßige dich, und höre mich. Mein Sohn, es sind nunmehr bald zwanzig Jahr, als ich die ersten Thränen, die du mir auspreßtest, über dich weinte. Mein Herz zerschmolz, als ich in dir einen Freund erblickte, den mir die Natur schenkte. Ich nahm dich aus dem Schoosse deiner Mutter in meine Arme; ich hob dich gen Himmel, mischte meine Stimme in dein Schreyen, und sprach zu Gott: O Gott, der du mir dieses Kind gegeben, wenn ich die Sorge versäumen sollte, die du mir an diesem Tage auflegest, oder wenn dieses Kind
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meiner Sorge nicht würdig werden sollte, so siehe nicht auf die Fren<u>de seiner Mutter; nimm es zurück! Das war das Gelübde, welches ich für dich und für mich that. Es ist mir nie aus den Gedanken gekommen. Ich habe dich nicht der Sorge eines Miethlings übergeben. Ich habe dich selbst gelehret reden, denken, und empfinden. So wie du an Jahren zunahmest, habe ich deine Neigungen ausgeforscht; diesen gemäß habe ich den Plan deiner Erziehung entworffen, und ihn ohn Unterlaß befolgt. Wie viel Mühe habe ich mir gegeben, um dir Mühe zu ersparen? Ich habe dein künftiges Schicksal, deinen Fähigkeiten und deinem Geschmacke zu Folge, festgesetzt. Ich habe nichts versäumet, dich mit so vielen Vorzügen, als möglich, in die Welt einzuführen. Und da ich mich endlich dem Augenblick, die Früchte meiner Sorgfalt einzusammeln, nähere;
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da ich mir schon Glück wünsche, einen Sohn zu haben, der seiner Geburt, die ihn zu den besten Verbindungen bestimmt, der seinen persönlichen Eigenschaften, die ihn zu wichtigen Aemtern ruffen, eutspricht: soll eine unsinnige Leidenschaft, soll eine plötzliche, schwärmrische Entzückung, alles zu nichte gemacht haben? Ich soll sehen, daß seine schönsten Jahre verloren gehen, daß er seines Glückes verfehlt, daß meine Erwartung betrogen wird; das soll ich sehen, und es zugeben? Wie hast du dir so etwas einbilden können?

St. Albin

Wie unglücklich bin ich!

Der Hausvater

Du hast einen Vetter, der dich liebt, und dir ein ansehnliches Vermögen zugedacht hat; du hast einen Vater, der dir sein Leben aufgeopfert hat, und dir in allem seine Zärtlichkeit zu beweisen sucht; du hast einen Namen, du hast Anverwandte, Freunde, die schmeichel-
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haftesten und gegründesten Ansprüche: und du bist unglücklich? Was fehlt dir denn noch?

St. Albin

Sophia, Sophiens Herz, und die Einwilligung meines Vaters.

Der Hausvater

Was unterstehest du dich, mir vorzuschlagen? Ich sollte an deiner Thorheit, an dem allgemeinen Tadel, den sie dir zuziehen muß, Theil nehmen? Vätern und Kindern ein solches Exempel geben? Ich sollte, durch eine schimpfliche Schwachheit, die Verwirrung der Gesellschaft, die Vermischung des Bluts und der Stände, die Erniedrigung der Familien gut heissen?

St. Albin

Wie unglücklich bin ich! Wenn ich diejenige nicht haben kann, die ich liebe, so werde ich einmal diejenige nehmen müssen, die ich nicht liebe. Denn ich werde in meinem Leben keine, als Sophien lieben. Ich werde ohne Unterlaß jede an-
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dere mit ihr vergleichen. Und diese andere wird unglücklich seyn; ich werde es gleichfalls seyn; Sie werden es sehen, und werden für Gram sterben.

Der Hausvater

Ich werde meine Schuldigkeit gethan haben, und wehe dir, wenn du deine nicht thuest!

St. Albin

Mein Vater, entziehen Sie mir Sophien nicht!

Der Hausvater

Höre auf, sie von mir zu verlangen.

St. Albin

Sie haben mir hundertmal gesagt, daß eine rechtschaffne Frau das größte Geschenk sey, welches der Himmel geben könne. Ich habe sie gefunden, und Sie, Sie wollen mich ihrer berauben! Entziehen Sie mir sie nicht, mein Vater! Da sie nun weis wer ich bin, was muß sie itzt nicht von mir erwarten? Soll St. Albin weniger großmüthig seyn, als Sergi? Entziehen Sie mir sie nicht! Sie ist es, die
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die Tugend in mein Herz zurückgeruffen hat. Sie allein kann sie darinn erhalten.

Der Hausvater

Das ist: was mein Beyspiel nicht vermögend gewesen, wird das ihrige ausrichten.

St. Albin

Sie sind mein Vater, und Sie befehlen. Sie wird meine Frau seyn, und das ist eine andere Herrschaft.

Der Hausvater

Welcher Unterschied zwischen einem Liebhaber und einem Ehemanne! Zwischen einer Frau, und einer Geliebten! Unerfahrner Mensch, du weißt das nicht.

St. Albin

Ich hoffe es auch nie zu erfahren.

Der Hausvater

Wo ist der Liebhaber, der seine Geliebte mit andern Augen ansähe? Der anders spräche?

St. Albin

Sie haben Sophien gesehen! — Wenn ich sie für Hoheit, für Würden, für Hoffnungen, für Vorurtheile verlasse,
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so verdiente ich sie nicht zu kennen. Mein Vater, verachten Sie wohl ihren Sohn so sehr, daß Sie das glauben sollten?

Der Hausvater

Sie hat sich nicht so weggeworffen, und deiner Leidenschaft Raum gegeben. Ahme ihr nach.

St. Albin

Ich würfe mich weg, wenn ich ihr Gemahl würde?

Der Hausvater

Frage nur die Welt.

St. Albin

In gleichgültigen Dingen will ich mir die Welt, so wie sie ist, gern gefallen lassen; aber wenn es das Glück oder Unglück meines Lebens betrift, wenn es die Wahl einer Gattin betrift —

Der Hausvater

Du wirst den Menschen keine andere Gedanken beybringen. Richte dich also darnach.

St. Albin

Sie sollten alles verkehrt, alles verdorben haben; sie sollten die Natur ihren elenden Verabredungen unterworfen haben: und ich sollte es so zufrieden seyn?

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Der Hausvater

Oder sie werden dich verachten.

St. Albin

So will ich sie fliehen.

Der Hausvater

Ihre Verachtung wird dir nachfolgen; und diese Frau, die dich darein gestürzt hätte, würde nicht weniger zu beklagen seyn, als du. — Du liebst sie?

St. Albin

Ob ich sie liebe!

Der Hausvater

So höre, und erschrick über das Schicksal, das du ihr bereitest. Es kömmt ein Tag, da du den Werth alles dessen, was du ihr aufgeopfert hast, empfinden wirst. Du wirst dich mit ihr allein sehen, ohne Stand, ohne Vermögen, ohne Ansehen; Langeweile und Verdruß werden sich deiner bemeistern. Du wirst sie hassen; du wirst sie mit Vorwürfen überhäuffen. Ihre Geduld, ihre Sanftmuth wird dich vollends erbittern; du wirst sie nur desto mehr hassen; du wirst die Kinder hassen, die du von ihr bekömmst; und endlich wirst
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du sie vor Herzeleid in die Grube bringen.

St. Albin

Ich!

Der Hausvater

Du!

St. Albin

Nimmermehr, nimmermehr!

Der Hausvater

Der Leidenschaftdünket alles ewig; aber die Natur will, daß alles ein Ende nehme.

St. Albin

Ich sollte jemals aufhören, Sophien zu lieben! Wenn ich dazu fähig wäre, so würde ich auch zweifeln müssen, ob ich meinen Vater liebte.

Der Hausvater

Willst du es gewiß wissen, ob du diesen liebst, und willst du mir es beweisen: so thue, was ich von dir verlange.

St. Albin

Ich wollte gern; aber umsonst. Ich kann nicht. Es steht nicht in meiner Macht. Ich kann nicht, mein Vater.

Der Hausvater

Unsinniger, du willst Vater werden? Kennest du die Pflichten
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eines Vaters? Und wenn du sie kennest, sprich, würdest du deinem Sohne das zugestehen, was du von mir erwartest?

St. Albin

Ah, wenn ich antworten dürfte!

Der Hausvater

Antworte.

St. Albin

Sie erlauben es mir?

Der Hausvater

Ich befehle es dir.

St. Albin

Als Sie auf meiner Mutter bestanden; als sich die ganze Familie wider Sie empörte; als mein Großvater Sie ein undankbares Kind nennte, und Sie ihn in dem Innersten ihrer Seele einen grausamen Vater nennten: wer von ihnen beiden hatte Recht? Meine Mutter war Tugendhaft und schön, wie Sophia; sie war ohne Vermögen, wie Sophia; Sie liebten sie, wie ich Sophien liebe. Litten Sie es, daß man sie Ihnen raubte, mein Vater; und habe ich nicht auch ein Herz?

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Der Hausvater

Ich wußte wie ich mir helffen konnte, und deine Mutter war von Stande.

St. Albin

Wer weis, was Sophia ist?

Der Hausvater

Einbildungen!

St. Albin

Sie wußten, wie Sie sich helffen konnten? Liebe und Mangel werden mir schon auch Mittel an die Hand geben, wie ich mir helffen soll.

Der Hausvater

Betrachte das Unglück, das deiner wartet, und zittere!

St. Albin

Sie nicht besitzen, ist das einzige Unglück, wovor ich zittere.

Der Hausvater

Und der Verlust meinerZärtlichkeit? —

St. Albin

Ihre Zärtlichkeit werde ich wiedererlangen.

Der Hausvater

Wer hat dir das gesagt?

St. Albin

Sie werden Sophien weinen sehen; ich werde ihre Knie umfassen;
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meine Kinder werden ihre unschuldigen Hände gegen Sie ausstrecken: und Sie werden sie gewiß nicht von sich stossen.

Der Hausvater

Er kennet mich nur allzuwohl!

(Nach einer kleinen Pause, sagt er in dem strengsten Tone, und mit der härtesten Art:)

Mein Sohn, ich sehe, daß ich dir umsonst zurede; das die Vernunft nichts mehr bey dir gilt; und daß mir einzig das Mittel übrig bleibt, dessen ich mich nie gern bedienen wollte. Nun muß ich es brauchen; denn du zwingst mich dazu. Gieb dein Vorhaben auf. Ich will es, und ich befehle es dir bey aller der Gewalt, die ein Vater über seine Kinder hat.

St. Albin

(mit einer verbissenen Heftigkeit)

Gewalt, Gewalt; weiter wissen sie auch nichts.

Der Hausvater

Hüte dich!

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St. Albin

(im hin und her gehen)

So sind sie alle. Das ist ihre Liebe gegen uns. Was könnten sie mehr thun, wenn sie unsere Feinde wären?

Der Hausvater

Was sagst du? Was murmelst du?

St. Albin

(noch immer so)

Sie dünken sich weise, weil sie andere Leidenschaften haben, als wir.

Der Hausvater

Schweig.

St. Albin

Sie geben uns das Leben, um nach ihrem Gutbefinden, damit zu schalten.

Der Hausvater

Schweig.

St. Albin

Sie erfüllen es mit dem bittersten Verdrusse. Und wie sollten sie unsere Schmerzen rühren? Sie haben sich daran gewöhnt.

Der Hausvater

Du vergißt wer ich bin, und mit wem du sprichst. Schweig,
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oder du wirst den schrecklichsten Zorn auf dich ziehen, dessen ein Vater fähig ist.

St. Albin

Ein Vater! Ein Vater! Es giebt keine Väter. — Es giebt nichts als Tyrannen.

Der Hausvater

O Himmel!

St. Albin

Ja, nichts als Tyrannen.

Der Hausvater

Gehe mir aus den Augen, undankbares, ungerathenes Kind! Ich gebe dir meinen Fluch. Fort! fliehe mich!

(Der Sohn gehet fort. Kaum aber hat er einige Schritte gethan, als ihm sein Vater nachläuft und sagt:)

Wo willst du hin, Unglücklicher?

St. Albin

Mein Vater.

Der Hausvater

(wirft sich in einen Lehnstuhl und sein Sohn fällt ihm zu Füssen.)

Ich, dein Vater? Du, mein Sohn? Du gehest mir nichts mehr an. Du bist mir niemals etwas angegangen. Du vergiftest mein Leben. Du wünschest meinen Tod. Ah,
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warum hat er so lange verweilet? Warum liege ich nicht schon längst an der Seite deiner Mutter? Sie ist dahin; und meine unglücklichen Tage wurden verlängert!

St. Albin

Mein Vater.

Der Hausvater

Entferne dich. Verbirg mir deine Thränen. Du zerreissest mein Herz, und doch kann ich dich nicht daraus vertreiben.

[]

Siebender Auftritt.

Der Hausvater. St. Albin. Der Commthur.

(Der Commthur tritt herein. St. Albin, der seinem Vater zu Füssen lag, stehet auf, und der Hausvater bleibt in seinem Lehnstuhle, den Kopf auf die Hand gestützet, in einer äusserst betrübten Stellung.)

Der Commthur

(zeiget ihn dem St. Albin, der, ohne zu hören, auf und nieder geht)

Da! da siehe! Siehe, in welchen Zustand du ihn setzest. Ich habe es ihm prophezeyt, daß du ihn für Leid in die Grube bringen wür-
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dest; und du machst meine Prophezeyung wahr.

(Indem der Commthur spricht, stehet der Hausvater auf und gehet fort. St. Albin macht sich gefaßt, ihm zu folgen.)

Der Hausvater

(indem er sich gegen seinen Sohn umkehret:)

Wo willst du hin? Höre deinen Vetter. Ich befehle es dir.

[]

Achter Auftritt.

St. Albin. Der Commthur.

St. Albin

Reden Sie also nur, mein Herr; ich höre — Wenn es ein Unglück ist, zu lieben; nun so ist das Unglück geschehen, und ich kann nicht helfen. — Wenn man mir sie verweigert, so lehre man mich sie erst vergessen. — Sie vergessen! Wen? Sie? Ich? Ich könnte, ich wollte sie vergessen? Der Fluch meines Vaters werde an mir erfüllt, wenn ich mir es jemals einkommen lasse.

|| [0091.01]

Der Commthur

Was verlangt man denn nun von dir? Eine Kreatur fahren zu lassen, um die du dich kaum im Vorbeygehen hättest bekümmern sollen; die ohne Vermögen, ohne Aeltern, ohne allen Anhang ist; eine Kreatur, die ich weis nicht woher ist, ich weis nicht wem angehört, und lebt, ich weis nicht wie. Es giebt dergleichen Mädchen. Es giebt auch Narren, die sich ihretwegen ruiniren; aber sie heyrathen! sie heyrathen!

St. Albin

(heftig)

Herr Commthur.

Der Commthur

Sie gefällt dir? Nun gut, so behalte sie. Obs die ist, oder eine andere, das gilt mir gleich viel. Nur laß uns zu seiner Zeit das Ende von diesem Handel hoffen.

(St. Albin will fortgehen.)

Wo willst du hin?

St. Albin

Fort.

|| [0092.01]

Der Commthur

(hält ihn)

Hast du ver gessen, daß ich im Namen deines Vaters mit dir rede?

St. Albin

Nun gut, mein Herr, reden Sie nur. Peinigen Sie mich immer; bringen Sie mich nur immer zur Verzweiflung. Ich habe weiter nichts zu antworten, als das: Sophia soll doch meine Frau werden.

Der Commthur

Deine Frau?

St. Albin

Ja, meine Frau.

Der Commthur

So ein nichtswürdiges Mädchen!

St. Albin

Die mich alles verachten gelehret hat, was Sie zu ihrer Schande fesselt.

Der Commthur

Hast du keine Schaam?

St. Albin

Schaam?

Der Commthur

Du, der Sohn des Herrn d'Orbesson, der Neffe des Commthurs d'Aulnoi!

St. Albin

Ich, des Herrn d'Orbesson Sohn? Ich, ihr Neffe?

|| [0093.01]

Der Commthur

Das sind die Früchte der bewundernswürdigen Erziehung, auf die dein Vater so stolz war! Da sehe einer nun, das Muster aller jungen Leute bey Hofe und in der Stadt! — Aber du denkst vielleicht, du bist reich?

St. Albin

Nein.

Der Commthur

Weißt du, wieviel du von deiner Mutter hast?

St. Albin

Ich habe daran niemals gedacht, und ich mag es auch gar nicht wissen.

Der Commthur

Höre nur. Sie war von sechs Kindern, die wir zusammen waren, die jüngste, und das noch dazu in einer Provinz, wo man den Mädchen nichts mitgiebt. Dein Vater, der nicht viel klüger war als du, vernarrte sich in sie, und nahm sie. Tausend Thaler Renten, wovon die Helfte deiner Schwester gehört, das macht für jeden fünf hundert; und das ist alles was du hast!

|| [0094.01]

St. Albin

Wie? Ich habe jährlich fünf hundert Thaler?

Der Commthur

So lange als es währet.

St. Albin

Ah Sophia, sie sollen nicht mehr unter dem Dache wohnen dürfen! Das Elend soll Ihnen nichts mehr anhaben! Ich habe jährlich fünfhundert Thaler.

Der Commthur

Aber du hast einmal von deinem Vater jährlich mehr als soviel Tausende, und von mir noch einmal so viel zu erwarten. St. Albin, man begeht wohl Thorheiten, aber so theuere Thorheiten zu begehen!

St. Albin

Was hilft mir der Reichthum, wenn ich die nicht besitze, mit der ich ihn zu theilen wünschte?

Der Commthur

Du bist rasend!

St. Albin

Ich weis wohl. So nennt man die, welche eine junge, Tugendhafte, schöne Frau allem vorziehen; und ich mache mir eine Ehre daraus, an der Spitze dieser Rasenden zu stehen.

|| [0095.01]

Der Commthur

Du rennest in dein Unglück!

St. Albin

Ich aß Brod, und trank Wasser an ihrer Seite; und ich war glücklich.

Der Commthur

Du rennest in dein Unglück!

St. Albin

Und ich habe jährlich fünf hundert Thaler?

Der Commthur

Was willst du denn damit machen?

St. Albin

Dafür will ich sie einmiethen, kleiden, unterhalten; davon wollen wir leben.

Der Commthur

Wie Bettler.

St. Albin

Mags doch.

Der Commthur

Da wird es noch Vater, Mutter, Brüder, Schwestern geben, und die willst du alle mit heyrathen?

St. Albin

Ich bin es fest entschlossen.

Der Commthur

Und wenn endlich gar Kinder kommen?

|| [0096.01]

St. Albin

Alsdenn will ich mich an mitleidige Seelen wenden. Man wird mich sehen. Man wird die Genoßin meines Unglücks sehen. Ich werde meinen Namen sagen, und werde Hülfe finden.

Der Commthur

Du kennest die Menschen gut.

St. Albin

Sie halten sie für böse.

Der Commthur

Und habe wohl groß Unrecht?

St. Albin

Recht oder Unrecht; zwey Dinge werden mir noch immer übrig bleiben, mit welchen ich der ganzen Welt trotzen kann; die Liebe, die alles zu unternehmen, und der Stolz, der alles zu ertragen weis. — Nur daher kömmt es, daß man so viele Klagen in der Welt höret, weil der Arme nicht Muth genug hat, und der Reiche — keine Menschlichkeit kennet.

Der Commthur

Ich höre wohl. — Nun gut, nimm sie, deine Sophia. Tritt
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den Willen deines Vaters, tritt die Gesetze des Wohlstandes, tritt alles was dein Stand von dir fodert, mit Füssen. Ruinire dich; wirf dich weg; welze dich im Kothe: ich will mich nicht weiter widersetzen. Du wirst allen Kindern zum Beyspiel dienen, die vor der Stimme der Vernunft ihre Ohren verstopfen, sich in schimpfliche Verbindungen einlassen, ihre Aeltern betrüben, und ihrem Namen einen Schandfleck anhängen. Du sollst sie haben deine Sophia, weil du sie mit aller Gewalt haben willst; aber keinen Bissen Brod sollst du ihr zu geben haben, keinen Bissen Brod deinen Kindern, die alsdenn meine Thüre belagern werden —

St. Albin

Dafür fürchten Sie sich auch nur.

Der Commthur

Bin ich nicht recht zu beklagen? — Seit vierzig Jahren habe ich mir alles abgedarbt. Ich hätte mich verheyrathen können, und ich habe mir es so
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gut nicht werden lassen. Ich habe die Meinigen hintenangesetzt, und habe mich einzig an diese Undankbaren gehalten. Das ist der Dank dafür! — Was wird die Welt nun sagen? — O, ich werde mich vor keinem Menschen dürfen sehen lassen. Oder wenn ich mich werde wo sehen lassen, und jemand fragt: wer ist das alte Gnadenkreutz, das so verdrüßlich aussieht? so wird man ganz sachte antworten: es ist der Commthur d'Aulnoy, der Vetter von dem jungen Narren, der da die geheyrathet hat. — So? — Und denn wird man sich was ins Ohr sagen. Man wird mich ansehen. Schaam und Verdruß werden sich meiner bemeistern. Ich werde aufstehen. Ich werde meinen Stock nehmen, und mich davon machen. — Nein, ich wollte mein ganzes Vermögen drum geben, wenn dir vor St. Philipp, als du da die Wälle herankrochst, ein braver Engländer das Baionnet in
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die Rippen gestossen hätte, daß du in den Graben herunter gestürzt, und da mit andern begraben worden wärest. So würde man doch wenigstens sagen: es ist Schade; es war ein guter Mensch. Und ich würde bey dem König, zur Ausstattung deiner Schwester, um eine Gnade ansuchen dürfen — Nein, eine solche Heyrath ist in einer Familie nicht erhört.

St. Albin

So wird es die erste seyn.

Der Commthur

Und ich liesse es geschehen?

St. Albin

Wenn Sie so gut seyn wollen.

Der Commthur

Das glaubst du?

St. Albin

Ganz gewiß.

Der Commthur

Nun gut. Das wollen wir sehen.

St. Albin

Es ist da nichts mehr zu sehen.

|| [0100.01]
[]

Neunter Auftritt.

Saint Albin. Sophia. Fr. Hebert.

(Indem St. Albin so fortfährt, als ob er allein wäre, treten Sophia und ihre Alte herein, und reden zwischen den Intervallen, die St. Albin in seiner Monologe macht)

St. Albin

Nein, es ist da nichts mehr zu sehen. — Sie haben sich wider mich verschworen. — Ich merke es —

Sophia

(in einem sanften und kläglichen Tone)

Man will es. — Komm Sie, meine liebe —

St. Albin

Es ist das erstemal, daß mein Vater mit diesem grausamen Vetter einerley Sinnes ist.

Sophia

(seufzend)

Ah, welcher Augenblick.

Frau Hebert

Es ist wahr, mein Kind.

Sophia

Mein Herz ist voll Angst.

St. Albin

Ich muß keine Zeit verlieren. Ich muß zu ihr hin.

Sophia

Da ist er, meine liebe. Da ist er.

|| [0101.01]

St. Albin

Ja, Sophia, ja, ich bin es. Ich bin Sergi.

Sophia

Nein, Sie sind Sergi nicht. —

(Sie wendet sich gegen Frau Hebert)

Wie unglücklich bin ich! Wer doch todt wäre! Ach, meine liebe! Wozu habe ich mich verstanden! Was wird er von mir hören! Was wird aus ihm werden! — Habe Sie Mitleiden mit mir. Sage Sie ihm, statt meiner —

St. Albin

Fürchten Sie nichts, Sophia. Sergi liebte Sie; Saint Albin betet sie an; und Sie sehen den aufrichtigsten Mann, den zärtlichsten Liebhaber in ihm.

Sophia

(seufzet tief)

Ach!

St Albin

Glauben Sie, daß Sergi ohne Sie nicht leben kann; nicht leben kann ohne Sie.

Sophia

Ich glaube es; aber wozu hilft das?

St. Albin

Sagen Sie ein Wort.

|| [0102.01]

Sophia

Was für ein Wort?

St. Albin

Daß Sie mich lieben. Lieben Sie mich, Sophia?

Sophia

(mit einem tieffen Seufzer)

Ah, wenn ich Sie nicht liebte!

St. Albin

So geben Sie mir ihre Hand. So empfangen Sie die meinige, und zugleich den Schwur, den ich hier vor den Augen des Himmels und vor dieser rechtschaffenen Frau thue, die uns an Mutter statt gewesen ist, daß ich nie einer andern, daß ich der ihrige seyn will.

Sophia

Ah! Sich<e> wissen wohl, daß ein Tugendhaftes Mädchen dergleichen Schwur nur vor dem Altare thut und annimmt. — Und dahin werden Sie mich nicht führen. — Ach Sergi! Itzt empfinde ich es, welche eine Kluft zwischen uns ist.

St. Albin

(heftig)

Sophia, und auch Sie?

|| [0103.01]

Sophia

Ueberlassen Sie mich meinem Schicksale, und schenken Sie einem Vater, der Sie liebt, die Ruhe wieder.

St. Albin

Sie sind es nicht, die das sagt. Das sagt Er. Daran erkenne ich ihn, den harten und grausamen Mann.

Sophia

Das ist er nicht. Er liebt Sie.

St. Albin

Er hat mich verflucht. Er hat mich von sich gejagt. Das fehlte nur noch, daß er sich auch Ihrer bediente, mir das Leben zu nehmen.

Sophia

Leben Sie, Sergi!

St. Albin

So schwören Sie, daß Sie die meinige, ihm zum Trotze, seyn wollen.

Sophia

Ich Sergi? Ich sollte einem Vater seinen Sohn rauben? — Ich sollte in eine Familie treten, die mich verwirft?

St. Albin

Und was geht Ihnen mein Vater, mein Vetter, meine Schwester, was geht Ihnen meine ganze Familie an, wenn Sie mich lieben?

|| [0104.01]

Sophia

Sie haben eine Schwester?

St. Albin

Ja, Sophia.

Sophia

Wie glücklich ist sie!

St. Albin

Sie bringen mich zur Verzweiflung!

Sophia

Ich gehorche ihren Anverwandten. Der Himmel schenke Ihnen einst eine Gattin, die Ihrer würdig ist, und Sie eben so sehr liebt, als Sophia.

St. Albin

Und das wünschen Sie?

Sophia

Ich muß es.

St. Albin

Wehe dem, der Sie gekannt hat, und ohne Sie glücklich seyn kann!

Sophia

Sie werden es seyn. Sie werden alle des Seegens theilhaft werden, welcher den Kindern versprochen ist, die den Willen ihrer Aeltern verehren. Und ich, ich werde den Seegen ihres Vaters davontragen. Ich werde allein zu meinem Elende zurückkehren, und Sie werden an mich denken.

|| [0105.01]

St. Albin

Ich werde vor Gram sterben; und das werden Sie gewollt haben. —

(Indem er sie traurig ansieht)

Sophia —

Sophia

Ich fühle es, wie viel Pein ich Ihnen verursache.

St. Albin

(der sie noch immer ansiehet)

Sophia. — —

Sophia

(zur Fr. Hebert, schluchzend.)

O meine liebe, wie weh thun mir seine Thränen! — Sergi, drücken Sie meine schwache Seele nicht so nieder. — Ich habe an meiner Marter gnug. —

(Sie bedeckt sich die Augen mit ihren Händen.)

Leben Sie wohl, Sergi.

St. Albin

Sie verlassen mich?

Sophia

Ich werde es nicht vergessen, was Sie für mich gethan haben. Sie haben mich wahrhaft geliebt. Und das haben Sie bewiesen, nicht dadurch, daß Sie sich von ihrem Stande herabliessen; sondern dadurch, daß sie gegen mein Unglück und
|| [0106.01]
meine Dürftigkeit Achtung trugen. Ich werde oft an den Ort gedenken, wo ich Sie habe kennen lernen. — Ah, Sergi! —

St. Albin

Sie wollen meinen Tod.

Sophia

Ich nur, ich bin zu beklagen.

St. Albin

Sophia, wo wollen Sie hin?

Sophia

Mich meinem Schicksaleunterziehen, Noth und Triebsaal mit meinen Schwestern theilen, und meinen Kummer vor meiner Mutter ausschütten. Ich bin die jüngste von ihren Kindern. Sie liebt mich. Ich will ihr alles sagen, und Sie wird mich trösten.

St. Albin

Sie lieben mich, und wollen mich verlassen?

Sophia

Warum habe ich Sie kennen lernen! — Ah! —

(sie entfernt sich)

St. Albin

Nein, nein. — Ich kann nicht. — Halte Sie sie, Frau Hebert. — Habe Sie Mitleiden mit uns.

Fr. Hebert

Armer Sergi!

|| [0107.01]

St. Albin

(zu Sophien)

Nein, Sie dürfen nicht fort. — Ich gehe — Ich folge Ihnen. — Verziehen Sie, Sophia. — Ich will Sie nicht bey mir, nicht bey Ihnen beschwören. — Sie haben mein und ihr Unglück beschlossen. — Ich beschwöre Sie bey diesen grausamen Anverwandten. — Wenn ich Sie verliere; so werde ich jene weder sehen noch hören können; sie werden mir unerträglich seyn. — Wollen Sie, daß ich sie hassen soll?

Sophia

Lieben Sie ihre Anverwandten. Gehorchen Sie ihnen. Vergessen Sie mich.

St. Albin

(hat sich ihr zu Füssen geworffen, ruft, und hält sie an den Kleidern zurück.)

Sophia, hören Sie. — Sie kennen den Saint Albin nicht.

Sophia

(zur Frau Hebert, welche weinet)

Komm Sie, meine liebe, komm Sie. Bringe Sie mich von hier weg.

|| [0108.01]

St. Albin

(indem er aufsteht)

Er ist alles zu wagen im Stande. — Sie führen ihn zu seinem Verderben. — Ja, dahin führen Sie ihn.

(Er geht. Er beklagt sich. Er verzweifelt. Er nennet dann und wann Sophiens Namen. Darauf stützt er sich auf die Rücklehne eines Stuhls, und bedeckt sich die Augen mit seinen Händen.)

[]

Zehnter Auftritt.

St. Albin. Cäcilia. Germeuil.

(Indem er noch in dieser Stellung ist, treten Cäcilia und Germeuil herein.)

Germeuil

(bleibt zu hinterst der Bühne stehen, betrachtet seinen Freund traurig und sagt zu Cäcilien)

Da ist er, der Unglückliche! Er ist ganz niedergeschlagen, und weis nicht, daß in diesem Augenblicke — Wie beklage ich ihn! — Mademoiselle, reden Sie doch mit ihm.

Cäcilia

Saint Albin.

|| [0109.01]

St. Albin

(der sie nicht siehet, der sie aber kom men hört, ruft ihnen zu, ohne sich nach ihnen umzusehen)

Wer ihr das auch seyd, geht nur wieder hin zu den Barbaren, die euch schicken! Fort von mir!

Cäcilia

Ich bin es, mein Bruder; es ist Cäcilia, die deinen Kummer weis, und dir zu Hülfe kömmt.

St. Albin

(noch immer in der nehmlichen Stellung)

Fort von mir!

Cäcilia

Wenn ich dich kränke, so will ich wieder gehen.

St. Albin

Du kränkest mich.

(Cäcilia gehet fort; ihr Bruder aber ruft sie mit einer schwachen und schmerzlichen Stimme wieder zurück.)

Cäcilia!

Cäcilia

(die ihrem Bruder wieder näher tritt)

Mein Bruder.

St. Albin

(nimmt sie bey der Hand, ohne sonst aus seiner Stellung zu kommen, oder sie anzusehen)

|| [0110.01]
Sie liebte mich. Man hat sie mir geraubt. Sie fliehet mich.

Germeuil

(vor sich selbst)

Das wolle der Himmel!

St. Albin

Ich habe alles verloren. — Ah!

Cäcilia

Doch bleibt dir noch eine Schwester, ein Freund.

St. Albin

(richtet sich geschwind auf)

Wo ist Germeuil?

Cäcilia

Da ist er.

St. Albin

(er gehet einen Augenblick stillschwei gend an<u>f und nieder, und sagt darauf:)

Liebe Schwester, laß uns —

[]

Eilfter Auftritt.

St. Albin. Germeuil.

St. Albin

(im auf und nieder gehen und ruck weise)

Ja. — Das einzige Mittel ist mir übrig; — und ich bin es entschlossen. — Germeuil, es hört uns doch niemand?

|| [0111.01]

Germeuil

Was haben Sie mir zu sagen?

St. Albin

Ich liebe Sophien, und sie liebet mich. Sie lieben Cäcilien und Cäcilia liebet Sie.

Germeuil

Ich! Ihre Schwester!

St. Albin

Sie, meine Schwester. Aber die nehmliche Verfolgung, die ich itzt ausstehen muß, wartet auch auf Sie. Wenn Sie Muth haben, so lassen Sie uns zusammen davongehen; Sophia, Cäcilia, Sie und ich; lassen Sie uns alle die fliehen, die uns hier umringen und tyrannisiren.

Germeuil

Was habe ich gehört? — Dieser Antrag fehlte mir noch! — Was wollen Sie unternehmen? Und was rathen Sie mir? Soll ich so die Wohlthaten erwiedern, mit welchen mich ihr Vater seit meiner Geburt überhäuffet hat? Für seine Zärtlichkeit soll ich seine Seele mit Schmerz und Angst erfüllen! Soll ihn, unter Ver-
|| [0112.01]
wünschung des Tages, an welchem er mich aufnahm, in die Grube bringen?

St. Albin

Sie machen sich ein Gewisen; wir wollen nicht weiter davon sprechen.

Germeuil

Die That, die Sie mir vorschlagen, und die That, welche Sie selbst vorhaben, sind zwey Verbrechen. — —

(lebhaft)

Lassen Sie ihr Vorhaben fahren, Saint Albin — Sie haben sich ihres Vaters Ungnade zugezogen, und sie sind auf dem Punkte, sie zu verdienen; den Tadel der ganzen Welt auf sich zu laden; sich der Verfolgung der Gesetze bloß zu stellen; die, die Sie lieben, in Verzweiflung zu stürzen. — Wie viel Jammer bereiten Sie ihr! — In welche Verwirrung setzen Sie mich!

St. Albin

Wenn ich auf ihre Hülfe nicht rechnen darf, so ersparen Sie mir ihren Rath.

|| [0113.01]

Germeuil

Sie rennen in ihr Verderben.

St. Albin

Die Würfel liegen!

Germeuil

Sie machen auch mein Verderben; Sie machen auch meines. — Was soll ich ihrem Vater sagen, wenn er mir seinen Schmerz klagen wird? — Was ihrem Oheim? Grausamer Oheim! Noch grausamerer Neffe! — Warum mußtet ihr mir beide euern Anschlag entdecken? — Sie wissen nicht — Was hatte ich auch hier zu thun? — Warum habe ich Sie sehen wollen?

St. Albin

Leben Sie wohl, Germeuil. Umarmen Sie mich. Ich verlasse mich auf ihre Verschwiegenheit.

Germeuil

Wo lauffen Sie hin?

St. Albin

Mich des größten Gutes, das ich schätze, zu versichern; und mich auf ewig von hier zu entfernen.

|| [0114.01]
[]

Zwölfter Auftritt.

Germeuil allein.

Germeuil

Kann mir es das Schicksal noch näher legen? Er ist entschlossen, seine Geliebte zu entführen, und weis nicht, daß sein Oheim zu gleicher Zeit sich Mühe giebt, sie einsperren zu lassen. — Ich werde, Schlag auf Schlag, beider Vertrauter und beider Mitschuldige. — In welcher Verlegenheit sehe ich mich! Ich darf weder reden, noch schweigen; weder thun, noch nicht thun. — Gerathe ich in den Verdacht, dem Oheim behülflich gewesen zu seyn, so bin ich in den Augen des Neffen ein Verräther, und mache mir Schimpf bey seinem Vater. — Wenn ich mich diesem noch vertrauen dürfte! — Aber sie verlassen sich beide auf meine Verschwiegenheit. — Ich kann, ich darf mein Wort nicht brechen. — Und das hat der Commthur wohl vorausgesehen, als er
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sich wegen Vollziehung des ungerechten Befehls, um den er anhält, an mich wandte, an mich, den er so sehr verabscheuet. — Indem er mir sein Vermögen und seine Nichte anbietet; zwey Lockspeisen, denen man, wie er glaubt, unmöglich widerstehen kann: ist seine eigentliche Absicht, mich in einen Handel zu verwickeln, der mir zum Verderben gereichen könne. — Er hält es auch schon für so gut als geschehen, und wünschet sich Glück dazu. — — Kömmt ihm hingegen sein Neffe zuvor, so lauffe ich auf einer andern Seite Gefahr. Er wird glauben, ich habe ihn zum besten gehabt; er wird rasend werden; er wird losbrechen. — Aber Cäcilia weis alles; sie kennet meine Unschuld. — Und doch — was wird ihr Zeugniß gegen das Geschrey einer ganzen wider mich aufgebrachten Familie vermögen? — Man wird nur diese hören, und ich werde dennoch der Gehülfe
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einer Entführung heissen müssen. — In welche Verwirrung haben sie mich gestürzt, der Neffe aus Unbesonnenheit, und der Oheim aus Bosheit! — Und du, arme Unschuldige, deren sich niemand annehmen will, wer wird dich vor zwey der heftigsten Menschen retten, die deinen Untergang beide beschlossen haben? — Der eine wartet auf mich, die letzte Hand daran zu legen; der andere läuft darauf los; und ich habe nur einen Augenblick — Aber warum verliere ich ihn noch? — Vor allen Dingen muß ich mich des Befehls zur Haft bemächtigen. — Und denn — Ich muß sehen. —

Ende des zweyten Aufzuges.
|| [0117.01]
[]

Dritter Aufzug.

[]

Erster Auftritt.

Germeuil. Cäcilia.

Germeuil

(in einem bittenden Tone)

Mademoisell.

Cäcilia

Lassen Sie mich.

Germeuil

Mademoisell.

Cäcilia

Was wagen Sie von mir zu verlangen? Ich sollte meines Bruders Liebste bey mir aufnehmen? Bey mir! In meinem Zimmer! In dem Hause meines Vaters! Lassen Sie mich, sage ich; ich mag Sie gar nicht hören.

Germeuil

Es ist der einzige Zufluchtsort, der ihr übrig ist; der einzige, der ihr nicht nachtheilig seyn kann.

Cäcilia

Nein, nein, nein.

Germeuil

Ich verlange es nur auf einen Augenblick; damit ich mich wieder besinnen und sehen kann, wo ich bin.

|| [0118.01]

Cäcilia

Nein, nein. — Eine Unbekannte!

Germeuil

Eine Unglückliche, mit der sie gewiß Mitleiden haben müßten, wenn Sie sie sehen sollten.

Cäcilia

Was würde mein Vater sagen?

Germeuil

Verehre ich ihn weniger als Sie? Sollte ich mich weniger fürchten, ihn zu beleidigen.

Cäcilia

Und der Commthur?

Germeuil

Das ist ein Mann ohne Grundsätze.

Cäcilia

Er hat deren wohl, wie alle seines Gleichen, sobald es aufs Anklagen und aufs Verschwärzen ankömmt.

Germeuil

Er wird sagen, daß ich ihn zum besten gehabt habe; oder ihr Bruder muß glauben, daß ich ihn verrathen habe. Ich werde mich in Ewigkeit nicht rechtfertigen können. — Zwar, was ist Ihnen daran gelegen?

|| [0119.01]

Cäcilia

Sie sind an allem meinen Jammer Schuld.

Germeuil

Es ist ihr Bruder, es ist ihr Oheim, die ich Sie, bey diesem schweren Vorfalle, zu betrachten bitte; ersparen Sie, dem einen sowohl als dem andern, eine schändliche That.

Cäcilia

Meines Bruders Liebste! Eine Unbekannte! — Nein, mein Herr; mein Herz sagt mir, daß das Unrecht ist, und es hat mich noch nie betrogen. Reden Sie mir nicht mehr davon. Ich fürchte, man hört uns —

Germeuil

Fürchten Sie nichts. Ihr Vater hängt ganz seiner Betrübniß nach. Der Commthur und ihr Bruder sind auf ihre Unternehmungen aus. Die Bedienten sind bey Seite geschaft. Ich habe ihre Weigerung vorhergesehen.

Cäcilia

Was haben Sie gethan?

|| [0120.01]

Germeuil

Der Augenblick schien mir geneigt, und ich habe sie hergebracht. Sie ist da. Hier kömmt sie. Schicken Sie sie wieder fort, Mademoiselle.

Cäcilia

Germeuil, was haben Sie gethan?

[]

Zweyter Auftritt.

Germeuil. Cäcilia. Sophia. Jungfer Clairet.

(Sophia tritt als eine Person auf, die nicht recht bey sich ist. Sie sieht nicht. Sie hört nicht. Sie weis nicht, wo sie ist. Cäcilia ist ihrer Seits in der äussersten Unruhe)

Sophia

Ich weis nicht, wo ich bin; — wohin ich gehe. — Mich dünkt, ich tappe im Finstern. — Werde ich niemanden antreffen, der mich leite? — O Himmel, ver laß mich nicht!

Germeuil

(ruft sie.)

Mademoiselle, Mademoiselle.

Sophia

Wer ruft mich?

|| [0121.01]

Germeuil

Ich bin es, Mademoiselle, ich bin es.

Sophia

Wer sind Sie? Wo sind Sie? Helfen Sie mir, wer Sie auch sind. Retten Sie mich —

Germeuil

(geht und nimmt sie bey der Hand und sagt zu ihr:)

Kommen Sie — mein Kind. — Hier durch. —

Sophia

(thut einige Schritte und sinkt auf ihre Kniee)

Ich kann nicht. — Meine Kraft verläßt mich. — Ich sinke —

Cäcilia

O Himmel!

(zu Germeuil)

Ruffen Sie doch um Hülfe! — Nein, ruffen Sie nicht!

Sophia

(mit verschlossenen Augen, und als in ei ner wahnsinnigen Ohnmacht)

Die Grausamen! — Was habe ich Ihnen gethan?

(Sie siehet sich schüchtern und erschrocken um)

Germeuil

Fassen Sie sich. Ich bin Saint Albins Freund, und Mademoiselle ist seine Schwester.

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Sophia

(nachdem sie einen Augenblick stille geschwiegen)

Mademoiselle, was soll ich Ihnen sagen? Sie sehen meinen Jammer. Er übersteigt meine Kräfte. — Ich liege zu ihren Füssen; und ich muß da sterben, oder Ihnen alles zu danken haben. — Ich bin eine Unglückliche, die Zuflucht sucht. — Vor ihrem Oheim, vor ihrem Bruder fliehe ich. — Vor ihrem Oheime, den ich nicht kenne; den ich niemals beleidiget habe; vor ihrem Bruder — Ah, von ihm hätte ich mein Leiden am wenigsten erwartet! Was wird aus mir werden, wenn Sie mich verlassen? — Sie werden ihre Anschläge gegen mich ausführen. — Stehen Sie mir bey. Retten Sie mich — Retten Sie mich vor ihnen. Retten Sie mich vor mir selbst. — Sie wissen nicht, was so eine wagen kann, die sich vor der Schande fürchtet, und die man in die Nothwendigkeit setzet, das Leben zu hassen. — Ich habe mein Unglück nicht
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gesucht; ich habe mir nichts vorzuwerfen. — Ich arbeitete; ich hatte Brod, und ich lebte ruhig. — Die Tage des Schmerzes sind gekommen. Es sind die Ihrigen, die sie über mich gebracht haben; und ich werde Zeit Lebens weinen müssen, weil sie mich gekannt haben.

Cäcilia

Wie schmerzt Sie mich! — O wie boshaft müssen die seyn, die sie plagen können!

(Hier tritt in dem Herzen der Cäcilia das Mitleiden an die Stelle der Unruhe. Sie neigt sich, neben Sophien, über die Lehne eines Stuhls, und diese fährt fort.)

Sophia

Ich habe eine Mutter, die mich liebt. — Wie werde ich wieder vor ihr erscheinen? — Mademoiselle, erhalten Sie einer Mutter ihre Tochter; ich beschwöre Sie bey der ihrigen, wenn Sie noch eine haben. — Als ich sie verließ, sagte Sie: Engel des Himmels, nehmt dieses Kind un-
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ter euern Schutz und begleitet es! — Wenn Sie ihr Herz vor dem Mitleiden verschliessen, so hat der Himmel ihr Gebet nicht erhöret, und sie wird vor Gram sterben. — Reichen Sie einer Unterdrückten die Hand, und sie wird Sie Zeit ihres Lebens seegnen. — Ich vermag nichts, aber es ist ein Wesen, welches alles vermag, und bey welchem die Werke der Erbarmung nicht verloren sind. — Mademoiselle.

(Cäcilia nähert sich ihr, und reichet ihr die Hände)

Cäcilia

Stehen Sie auf — —

Germeuil

(zu Cäcilien)

Ihre Augen schwimmen in Thränen. Die Unglückliche hat Sie gerühret.

Cäcilia

(zu Germeuil)

Was haben Sie gethan!

Sophia

Gott sey gelobet, es sind nicht alle Herzen verhärtet!

Cäcilia

Ich kannte mein Herz. Ich wollte Sie darum weder sehen noch hören —
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Liebenswürdiges und unglückliches Kind, wie heissen Sie?

Sophia

Sophia.

Cäcilia

(umarmt sie.)

Kommen Sie, Sophia.

(Germeuil wirft sich Cäcilien zu Füssen, ergreift ihre Hand, und küsset sie, aber ohne etwas zu sagen.)

Cäcilia

Was wollen Sie noch von mir? Thue ich nicht alles, was Sie verlangen?

(Cäcilia gehet mit Sophien zu hinterst des Saales, und übergiebt sie da ihrer Kammerfrau.)

Germeuil

(indem er aufstehet)

Ich Unbesonnener! — Was wollte ich ihr sagen! —

Jgfr. Clairet

Ich verstehe schon, Mademoiselle. Verlassen Sie sich auf mich.

[]

Dritter Auftritt.

Germeuil. Cäcilia.

Cäcilia

(nachdem Sie einen Augenblick stille ge schwiegen, ärgerlich:)

Dank sey Ihnen, daß ich nunmehr der Gnade meiner Leute leben muß.

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Germeuil

Ich habe Sie nur um einen Augenblick gebeten, um einen gemässen Zufluchtsort für sie ausfündig zu machen. Was für ein Verdienst würde es seyn, gutes zu thun, wenn keine Ungemächlichkeiten dabey wären?

Cäcilia

Wie gefährlich sind die Männer! Will man glücklich seyn, so kann man sie nicht weit gnug von sich abhalten! — Mann, weg von mir! — Ich glaube gar, Sie gehen?

Germeuil

Ich gehorche Ihnen.

Cäcilia

Vortrefflich! Nachdem Sie mich in die grausamsten Umstände gesetzt haben, fehlt nur noch dieses, daß Sie mich auch darinn lassen. Gehen Sie, mein Herr, gehen Sie.

Germeuil

Wie unglücklich bin ich!

Cäcilia

Ich glaube gar, Sie beklagen sich?

Germeuil

Ich kann nichts thun, was Ihnen nicht mißfiele.

|| [0127.01]

Cäcilia

Sie machen mich ungeduldig — — Bedenken Sie, daß ich in einer Verwirrung bin, die mich an nichts wird denken lassen. Ich werde mir in nichts zu helfen wissen. — Wie werde ich es wagen können, meine Augen gegen meinen Vater aufzuschlagen? Wird er meine Unruhe gewahr, und er fragt mich: so kann ich unmöglich lügen. Wissen Sie wohl, daß einem Mann, wie der Commthur ist, ein einziges unbedächtiges Wort, Licht geben kann? — Und mein Bruder? — Ich fürchte mich schon im voraus vor dem Anblicke seines Schmerzes. Was wird er anfangen, wenn er Sophien nicht findet? — Mein Herr, verlassen Sie mich ja keinen Augenblick, wenn Sie nicht alles entdeckt haben wollen. — Aber es kömmt jemand. Gehen Sie. — Bleiben Sie. — Nein, gehen Sie. — Himmel, in welchem Zustande befinde ich mich!

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[]

Vierter Auftritt.

Cäcilia. Der Commthur.

Der Commthur

(nach seiner Art)

Bist du so allein, Cäcilia?

Cäcilia

(mit heiserer Stimme)

Ja, lieber Herr Vetter. Das ist so meine Art.

Der Commthur

Ich glaubte, der gute Freund wäre bey dir.

Cäcilia

Wer? der gute Freund?

Der Commthur

Je nu, Germeuil.

Cäcilia

Er ging eben fort.

Der Commthur

Was sprachst du mit ihm? Was sagte er dir?

Cäcilia

Lauter unangenehme Dinge; wie seine Gewohnheit ist.

Der Commthur

Ich kann mich in euch nicht finden. Ihr könnt euch keinen Augenblick vertragen. Das verdrießt mich. Er hat Verstand, und Einsicht und Fähigkeiten; er weis zu leben, und ich mache recht
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sehr viel aus ihm. Arm ist er, das ist wahr; aber er ist doch von sehr guter Familie. Gewiß, ich schätze ihn recht hoch, und ich habe ihm gerathen, auf dich zu denken.

Cäcilia

Auf mich zu denken? Was heißt das?

Der Commthur

Das versteht sich ja wohl. Du hast doch nicht beschlossen, ewig Jungfer zu bleiben?

Cäcilia

Verzeihen Sie mir, mein Herr. Das ist allerdings mein Wille.

Der Commthur

Cäcilia, soll ich offenherzig mit dir reden? Ich habe mich deines Bruders ganz und gar entschlagen. Es ist eine harte Seele, ein halsstarriger Kopf; und itzt den Augenblick hat er mir auf eine so unwürdige Art begegnet, daß ich es ihm Zeit meines Lebens nicht vergeben werde. — Er mag ihr nun nachlauffen, der Kreatur, die er sich in den Kopf gesetzt hat, so lange als er will; ich will
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mich im geringsten nicht mehr darum härmen. — Man wird es endlich überdrüßig, so gut zu seyn. — Alle meine Zärtlichkeit schränket sich numehr auf dich ein, mein liebes Mühmchen. — Wenn du ein wenig auf dein Glück, auf das Glück deines Vaters, und auf mein Glück bedacht wärest —

Cäcilia

Das sollten Sie voraussetzen.

Der Commthur

Aber du fragst mich ja nicht, was du alsdenn thun müßtest?

Cäcilia

Das werden Sie mir doch wohl sagen.

Der Commthur

Du hast Recht. Nun gut, ich meine, du solltest dich ein wenig mehr zu Germeuilen halten. Du kannst dir leicht vorstellen, daß das eine Heyrath ist, die dein Vater nicht anders als mit dem äussersten Widerwillen billig wird. Doch ich will mit ihm reden. Ich will die Hindernisse schon aus dem Wege räumen. Wenn du willst, so nehme ich es auf mich.

|| [0131.01]

Cäcilia

Sie rathen mir also, an einen Mann zu denken, den sich mein Vater nicht gefallen lassen könnte?

Der Commthur

Er ist nicht reich. Das ist der ganze Knoten. Aber ich habe dir schon gesagt, dein Bruder geht mich nichts mehr an, und ich verspreche dir mein ganzes Vermögen. Das verdient doch noch wohl überlegt zu werden, Cäcilia?

Cäcilia

Wie? Ich sollte meinen Bruder berauben?

Der Commthur

Was nennst du berauben? Ich bin euch ja nichts schuldig. Mein Vermögen gehört mir; es ist mir sauer gnug geworden; und ich muß damit anfangen können, was ich will.

Cäcilia

Herr Vetter, ich will nicht untersuchen, wie weit Anverwandte Herren ihres Vermögens sind, und ob sie es, ohne Ungerechtigkeit, geben können, wem sie wollen. So viel aber weis ich, daß ich mich
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schämen müßte, ihr Vermögen anzunehmen; und das ist gnug für mich.

Der Commthur

Glaubst du, daß Saint Albin für seine Schwester eben das thun würde?

Cäcilia

Ich kenne meinen Bruder; und wenn er hier wäre, so würden wir ganz gewiß nur eine Sprache führen.

Der Commthur

Und was würdet ihr mir denn sagen?

Cäcilia

Dringen Sie nicht in mich, Herr Commthur. Ich bin offenherzig.

Der Commthur

Desto besser. Rede. Ich liebe die Offenherzigkeit. Du würdest also sagen?

Cäcilia

Daß es eine unerhörte Unmenschlichkeit ist, arme, nothleidende Anverwandte in der Provinz zu haben, denen mein Vater, ohne ihr Wissen, unter die Arme greift, und denen Sie ein Vermögen entziehen wollen, das ihnen zukömmt, und das
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sie so höchst nöthig brauchen; daß weder ich noch mein Bruder Güter zu haben verlangen, die wir doch denjenigen wieder herausgeben müßten, welchen sie die Gesetze der Natur und der Gesellschaft bestimmen.

Der Commthur

Nun gut, so soll sie keines von euch haben. Ich will euch alle verlassen. Ich will mich aus einem Hause fort machen, wo nicht ein Funcken gesunde Vernunft ist; aus einem Hause, wo nichts über die Unverschämtheit der Kinder geht, es wäre denn der Unverstand des Hausherren. Ich will mein Leben geniessen; ich will mich nicht mehr für Undankbare plagen.

Cäcilia

Sie werden recht wohl thun, lieber Herr Vetter.

Der Commthur

Ihr Beyfall, Mademoiselle, ist überflüßig. Ich rathe Ihnen nur, geben Sie auf sich selbst Acht. Ich weis gar wohl, was in ihrer Seele vorge-
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het; ich lasse mich ihre Uneigennützigkeit nicht blenden, und ihre kleinen Geheimnisse sind nicht so verborgen, als Sie vielleicht glauben. Doch gnug; — ich weis was ich weis.

[]

Fünfter Auftritt.

Cäcilia. Der Commthur. Der Hausvater. St. Albin.

(Der Hausvater tritt zuerst herein. Sein Sohn folgt ihm)

St. Albin

(heftig, äusserst bekümmert, und ausser sich, sowohl hier als in der ganzen Scene)

Sie sind nicht mehr da. — Man weis nicht, wo sie hingekommen sind. — Sie sind verschwunden. —

Der Commthur

(bey Seite)

Gut. Mein Befehl ist vollzogen.

St. Albin

Mein Vater, hören Sie die Bitte eines verzweifelnden Sohnes. Schenken Sie ihm Sophien wieder. Er kann
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unmöglich ohne sie leben. Sie machen alles, was um Sie ist, glücklich. Soll ihr Sohn der einzige seyn, den Sie unglücklich gemacht hätten? — Sie ist nicht mehr da. — Sie sind verschwunden. — Was soll ich anfangen? — Was wird aus mir werden?

Der Commthur

(bey Seite)

Er ist geschwind gewesen.

St. Albin

Mein Vater.

Der Hausvater

Ich habe an ihrer Entfernung keinen Antheil. Ich habe dir es schon gesagt. Glaube mir.

(Nachdem er das gesagt, geht der Hausvater langsam auf und nieder, läßt den Kopf sinken, und sieht ärgerlich aus. St. Albin kehret sich gegen die Vertiefung der Bühne und ruft:)

St. Albin

Sophia, wo sind Sie? Wo sind Sie hingekommen? — Ah! —

Cäcilia

(bey Seite)

Das habe ich vorausgesehen.

Der Commthur

(bey Seite)

Nun die letzte Hand angelegt! Frisch!
|| [0136.01]

(Zu seinem Neffen, in einem mitleidigen Tone)

Saint Albin!

St. Albin

Mein Herr, lassen Sie mich. Es reuet mich nur allzusehr, daß ich Sie angehöret habe. — Ich wollte ihr nachfolgen. — Ich hätte Sie erweicht. — Und ich habe sie verloren.

Der Commthur

Saint Albin.

St. Albin

Lassen Sie mich.

Der Commthur

Ich habe dir diesen Schmerz verursacht; und es thut mir leid.

St. Albin

Wie unglücklich bin ich!

Der Commthur

Germeuil sagte mir es wohl. Aber wer konnte sich immer und ewig einbilden, daß dir ein Mädchen, dergleichen es unzählige giebt, so erschrecklich nahe gehen würde?

St. Albin

(erschrocken)

Was sagen sie von Germeuil?

Der Commthur

Ich sage — Nichts. —

|| [0137.01]

St. Albin

So sollte mir alles an Einem Tage entstehen? So sollte mir das Unglück, das mich verfolgt, auch meinen Freund genommen haben? — Heraus damit, Herr Commthur!

Der Commthur

Germeuil und ich — Ich darf dir es wirklich nicht gestehen. — Du würdest es uns ewig nicht vergeben.

Der Hausvater

Was haben Sie gethan? Sollte es möglich seyn? — Herr Bruder, erklären Sie sich.

Der Commthur

Cäcilia — Germeuil wird dir es wohl vertrauet haben. — Sage es für mich. —

St. Albin

(zum Commthur)

Sie tödten mich.

Der Hausvater

(ernst)

Cäcilia, du entfärbst dich?

St. Albin

Schwester!

Der Hausvater

(noch immer in dem strengen Tone)

Cäcilia! — Doch nein, die That wäre gar zu schändlich. — Meine Tochter und Germeuil sind ihrer nicht fähig.

|| [0138.01]

St. Albin

Ich zittere. — Ich knirsche. — O Himmel, was drohet mir!

Der Hausvater

(mit allem möglichen Ernste)

Herr Commthur, sage ich, erklären Sie sich, und martern Sie mich nicht länger durch den Verdacht, den Sie über alles, was um mich ist, verbreiten.

(Der Hausvater gehet auf und nieder; er ist unwillig. Der heuchlerische Commthur scheinet beschämt, und schweigt. Cäcilia ist niedergeschlagen. St. Albin hat die Augen auf den Commthur, und erwartet seine fernere Erklärung mit Entsetzen.)

Der Hausvater

(zum Commthur)

Sind Sie entschlossen, dieses grausame Stillschweigen noch lange zu beobachten?

Der Commthur

(zu seiner Nichte)

Weil du nicht reden willst, so muß ich wohl reden.

(Zu St. Albin)

Deine Liebste —

St. Albin

Sophia —

Der Commthur

Ist eingesperrt.

St. Albin

Grosser Gott!

|| [0139.01]

Der Commthur

Ich habe den Befehl zur Haft ausgewirkt. — Und Germeuil hat das Uebrige auf sich genommen.

Der Hausvater

Germeuil!

St. Albin

Er!

Cäcilia

Glaube es doch nicht, lieber Bruder.

St. Albin

Sophia! — Und das that Germeuil!

(Er wirft sich in einen Lehnstuhl, mit allen Merkmahlen der Verzweiflung)

Der Hausvater

(zum Commthur)

Und was hat Ihnen diese Unglückliche gethan, daß Sie ihr Elend noch mit dem Verluste ihrer Ehre und ihrer Freyheit vermehren müssen? Was hatten Sie für ein Recht über sie?

Der Commthur

Sie ist in keiner unehrlichen Verwahrung.

St. Albin

Ich sehe sie. — Ich sehe ihre Thränen. Ich höre ihr Geschrey; und ich sterbe nicht.

(zum Commthur)

Barbar, ruffen
|| [0140.01]
Sie ihren nichtswürdigen Gehülfen. Kommen sie beide; erbarmen sie sich; tödten sie mich! — Sophia! — Helfen Sie mir, mein Vater! Lassen Sie mich nicht verzweifeln!

(Er wirft sich seinem Vater in die Arme)

Der Hausvater

Beruhige dich, Unglücklicher!

St. Albin

(in den Armen seines Vaters, und in einem kläglichen und schmerzlichem Tone.)

Germeuil! — Er! — Er!

Der Commthur

Er hat nichts gethan, als was ein jeder an seiner Stelle würde gethan haben.

St. Albin

(noch immer an dem Busen seines Vaters, und in dem nehmlichen Tone)

Er, der sich meinen Freund nannte! Der Treulose!

Der Hausvater

Auf wen soll man sich künftig verlassen!

Der Commthur

Er ging schwer daran; aber ich versprach ihm mein Vermögen und meine Nichte.

|| [0141.01]

Cäcilia

Mein Vater, Germeuil ist weder niederträchtig noch treulos.

Der Hausvater

Was ist er denn?

St. Albin

Sie müssen ihn sprechen, und Sie werden es erfahren. — Ah, der Verräther! Gedrückt von ihrem Zorne, durch diesen unmenschlichen Vetter erbittert, von Sophien verlassen, —

Der Hausvater

Nun?

St. Albin

Ging ich voller Verzweiflung, mich ihrer zu versichern, und mit ihr an das äusserste Ende der Welt zu fliehen. — Nein, so niederträchtig ist nie einem Menschen mitgespielet worden. — Er kömmt zu mir. — Ich eröffne ihm mein Herz. — Ich vertraue ihm meinen Anschlag, als meinem Freunde. — Er tadelt mich. — Er rathet mir es ab. — Er hält mich auf, und das alles um mich zu verrathen, mich zu Grunde zu richten. — — Es soll ihm das Leben kosten.

|| [0142.01]
[]

Sechster Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur. Cäcilia. Saint Albin. Germeuil.

Cäcilia

(die ihn zuerst wahrnimmt, läuft ihm ent gegen und ruft ihm zu:)

Germeuil, wo wollen Sie hin?

St. Albin

(gehet auf ihn los und schreyet wüthend)

Verräther, wo ist Sie? Gieb mir sie wieder, und mache dich gefaßt, dein Leben zu vertheidigen.

Der Hausvater

(läuft dem Saint Albin nach.)

Mein Sohn.

Cäcilia

Mein Bruder — Halt! — Ich vergehe — —

(Sie fällt in einen Lehnstuhl)

Der Commthur

(zum Hausvater)

Geht es ihr nun nichts an? Was sagen Sie dazu?

Der Hausvater

Germeuil, gehen Sie fort.

Germeuil

Erlauben Sie, mein Herr, daß ich bleiben darf.

|| [0143.01]

St. Albin

Was hat dir Sophia gethan? Was habe ich dir gethan, mich so zu verrathen?

Der Hausvater

(noch immer zu Germeuil)

Sie haben eine häßliche That begangen.

St. Albin

Wenn dir meine Schwester werth ist; wenn du Sie haben wolltest, war es nicht besser? — Ich schlug dir es ja vor. — Aber du wolltest sie nicht anders als durch einen niederträchtigen Streich besitzen. — Du hast dich betrogen, Nichtswürdiger. — Du kennst weder Cäcilien, noch meinen Vater, noch diesen Commthur, der dich erniedriget hat, und sich nun an deiner Verwirrung weidet. — Du antwortest nicht. — Du schweigest.

Germeuil

(kalt und gesetzt)

Ich höre Ihnen zu; und ich sehe, daß man hier die Achtung in einem Augenblicke verlieren kann, die man zu verdienen sein ganzes Leben hindurch bemüht gewesen ist. Ich erwartete ganz etwas anders.

|| [0144.01]

Der Hausvater

Vergrössern Sie die Schuld ihrer Treulosigkeit nicht noch durch Falschheit. Gehen Sie.

Germeuil

Ich bin weder falsch noch treulos.

St. Albin

Welche Frechheit!

Der Commthur

Guter Freund, es brauchts der Vorstellung nicht mehr. Ich habe alles bekannt.

Germeuil

Ich verstehe Sie, mein Herr. Es sieht Ihnen ähnlich.

Der Commthur

Was willst du damit? Ich habe dir mein Vermögen und meine Nichte versprochen. Das ist unser Contract; und es bleibt dabey.

St. Albin

(zum Commthur)

Wenigstens habe ich ihrer Bosheit so viel zu danken, daß sie numehr keinen andern Mann bekommen kann, als mich.

Germeuil

(zum Commthur)

Ich achte den Reichthum so hoch nicht, daß ich meine
|| [0145.01]
Ehre dafür aufopfern sollte; und ihre Nichte braucht nicht der Lohn einer Treulosigkeit zu seyn. — Da ist ihr Befehl zur Verhaft.

Der Commthur

(nimmt ihn)

Der Befehl zur Verhaft? Laß sehen. Laß sehen.

Germeuil

Er müßte in andern Händen seyn, wenn ich Gebrauch davon gemacht hätte.

St. Albin

Was habe ich gehört? Sophia ist frey!

Germeuil

Saint Albin, der Schein betriegt. Lassen Sie künftig einem ehrlichen Manne Gerechtigkeit wiederfahren. — Herr Commthur, ich bin ihr Diener.

(Er geht ab.)

Der Hausvater

(reuend)

Ich habe mich in meinem Urtheile übereilet. Ich habe ihn beleidiget.

Der Commthur

(der wie versteinert den Befehl anstehet)

Das ist er. — Er hat mich angeführt.

Der Hausvater

Sie verdienen diese Demüthigung.

|| [0146.01]

Der Commthur

Vortrefflich! Frischen Sie sie nur noch auf, ihre Schuldigkeit gegen mich aus den Augen zu setzen. Sie sind von selbst nicht geneigt genug dazu.

St. Albin

Sie mag seyn, wo sie will, ihre Alte muß wieder zurückgekommen seyn. — Ich will gehen. Ich will ihre Alte sprechen. Ich will mich entschuldigen. Ich will ihre Kniee umfassen. Ich werde weinen; ich werde sie erweichen, und hinter dieses Geheimniß kommen.

(Er gehet ab.)

Cäcilia

(die ihm nachfolgt)

Mein Bruder!

St. Albin

Laß mich. Dir liegen andere Dinge am Herzen, als mir.

[]

Siebender Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur.

Der Commthur

Sie haben es doch gehört?

Der Hausvater

Ja, Herr Bruder.

Der Commthur

Wissen Sie, wo er hingeht?

|| [0147.01]

Der Hausvater

Ich weis es.

Der Commthur

Und Sie halten ihn nicht auf?

Der Hausvater

Nein.

Der Commthur

Und wenn er das Mädchen nun wieder findet!

Der Hausvater

Ich verlasse mich auf sie. Sie ist ein Kind; aber sie hat das beste Herz; und in solchen Umständen kann sie mehr ausrichten, als ich und Sie.

Der Commthur

Vortrefflich ausgedacht!

Der Hausvater

Mein Sohn ist itzt nicht in der Verfassung, daß die Vernunft etwas bey ihm vermöchte.

Der Commthur

Und also mag er nur in sein Verderben rennen? Ich möchte rasend werden. Sie sind ein Hausvater? Sie?

Der Hausvater

Wollten Sie mich wohl lehren, wie ich es sonst machen müßte?

|| [0148.01]

Der Commthur

Wie Sie es sonst machen müßten? Sie müssen Herr in ihrem Hause seyn; als solchen müssen Sie sich vor allen Dingen zeigen, und dann, als Vater, wenn sie es anders verdienen.

Der Hausvater

Und, wenn Sie erlauben wollen, wider wen soll ich denn verfahren?

Der Commthur

Wider wen! Eine schöne Frage! Wider alle. Wider den Germeuil, der ihren Sohn in seiner Ausschweiffung bestärkt, der gern so eine Kreatur in die Familie bringen möchte, damit er sich selbst den Eingang dazu eröffne, und den ich längst aus meinem Hause gejagt hätte: Wider eine Tochter, die von Tage zu Tage frecher wird, die alle schuldige Achtung gegen mich aus den Augen setzt, die bald auch auf Sie nichts mehr geben wird, und die ich in ein Kloster einsperren würde: Wider einen Sohn, der alle Empfindungen der Ehre
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verloren hat, der uns mit sich zugleich lächerlich und verächtlich machen wird, und dem ich das Leben so sauer machen wollte, daß es ihm gewiß nicht wieder einkommen sollte, mir ungehorsam zu seyn: Wider die Alte, die ihn zu sich gelockt hat: Wider die Junge, in die er sich vernarrt hat, und mit denen ich bald hätte fertig werden wollen. Mit diesen würde ich den Anfang gemacht haben; und wenn ich an ihrer Stelle wäre, so würde ich mich schämen, daß ein andrer diesen Einfall eher gehabt hätte, als ich. — Aber dazu brauchts Ernst, und der fehlt uns.

Der Hausvater

Ich verstehe Sie. Das ist: ich soll einen Menschen aus meinem Hause jagen, den ich aus seiner Wiege zu mir genommen habe, bey dem ich Vaterstelle vertreten habe; einen Menschen, der, so lange er sich zu erinnern weis, an allem, was mich angegangen, Theil genommen hat,
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der seine besten Jahre bey mir verloren hätte, der nicht wüßte, was er anfangen sollte, wenn ich ihn verließ, dem meine Freundschaft nothwendig höchst nachtheilig seyn muß, wenn sie ihm nicht nützlich wird: und das, unter dem Vorwande, als gäbe er meinem Sohne böse Rathschläge, dessen Unternehmen er doch gemißbilliget hat; als hielt er es mit einer Kreatur, die er vielleicht niemals mit Augen gesehen hat; in der That aber weil er das Werkzeug zu ihrem Verderben nicht hat seyn wollen. Ich soll meine Tochter ins Kloster sperren; ich soll machen, daß man von ihrer Aufführung oder von ihrem Charakter böses denken muß; ich selbst soll ihren guten Namen schänden: und das, weil sie dem Herrn Commthur manchmal gleiches mit gleichem vergolten hat; weil sie, durch seine verdrießliche Gemüthsart aufgebracht, dann und wann, ihrem eignen Charakter zuwider,
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ein nicht gnugsam überlegtes Wort gegen ihn ausgestossen hat. Ich soll mich bey meinem Sohne verhaßt machen; ich soll alle kindliche Empfindun gen in seiner Seele ersticken; ich soll das Feuer seines ungestümen Charakters vollends anschüren; ich soll ihn zu einem Schritte bringen, der ihn bey seinem ersten Eintritte in die Welt entehre: und das, weil er eine Unglückliche angetroffen hat, die schön und Tugendhaft ist; weil seine jugendliche Empfindlichkeit, die bey dem allen doch von einem guten Herzen zeugt, sich mehr von ihr rühren lassen, als mir lieb ist. Schämen Sie sich ihres Raths nicht? Sie sollten meine Kinder bey mir vertreten, und Sie klagen sie an; Sie suchen ihre Fehler auf; Sie vergrössern die, die sie haben; und nichts würde Sie mehr verdriessen, als wenn Sie keine an ihnen fänden.

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Der Commthur

Den Verdruß habe ich nun eben nicht oft.

Der Hausvater

Und diese Weibspersonen, wider die Sie den Befehl zur Haft ausgewirkt haben?

Der Commthur

Das fehlte Ihnen noch, daß Sie auch diese vertheidigten. Gehen Sie doch, gehen Sie!

Der Hausvater

Ich habe Unrecht. Es giebt Dinge, die es eine Thorheit wäre, Ihnen beybringen zu wollen. Doch sollte ich meynen, die Sache wäre mich nahe gnug angegangen, daß Sie mir wohl ein Wort davon hätten sagen können.

Der Commthur

Nicht doch, ich habe Unrecht; und Sie, Sie haben allezeit Recht.

Der Hausvater

Nein, Herr Commthur, Sie sollen weder einen ungerechten und grausamen Vater, noch einen undankbaren und bösen Mann aus mir machen. Ich will keine
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Gewaltthätigkeit begehen, weil sie mir vortheilhaft seyn kann; ich will meine Hoffnungen darum nicht aufgeben, weil sich Hindernisse eräugnen, die sie weiter hinaussetzen; ich will keine Einöde aus meinem Hause machen, weil Dinge darinn vorgehen, die mir eben so sehr mißfallen, als Ihnen.

Der Commthur

Darüber hätten wir uns also erklärt. Recht gut, behalten Sie ihr liebes Töchterchen; lieben Sie ihren theuern Sohn recht sehr; lassen Sie die Kreaturen, die ihn in ihren Stricken haben, unbeunruhiget: Sie handeln daran viel zu weislich, als daß man sich Ihnen widersetzen sollte. Was aber ihren Germeuil anbelangt, so muß ich Ihnen nur sagen, daß ich und Er nicht länger unter Einem Dache wohnen können. — Entweder, oder. Entweder er muß noch heute fort, oder ich ziehe morgen aus.

|| [0154.01]

Dre Hausvater

Herr Commthur, es stehet bey Ihnen.

Der Commthur

Das dachte ich. Es sollte Ihnen wohl recht lieb seyn, wenn ich meiner Wege ginge; nicht wahr? Aber ich bleibe; ja, ich bleibe; und wenn es auch nur geschähe, Ihnen ihre Thorheiten unter die Nase zu reiben, und Sie darüber beschämt zu machen. Ich will doch gern sehen, wie das ablauffen wird!

Ende des dritten Aufzuges.
|| [0155.01]
[]

Vierter Aufzug.

[]

Erster Auftritt.

Saint Albin allein.

Saint Albin

(Er tritt wüthend herein)

Nun ist alles klar. Der Verräther ist entlarvt! Weh ihm! Weh ihm! Er ist es, der Sophien weggebracht hat. Von meinen Händen soll er sterben.

(Er ruft)

Philipp!

[]

Zweyter Auftritt.

Saint Albin. Philipp.

Philipp

Mein Herr.

St. Albin

(indem er ihm einen Brief giebt)

Bringt das.

Philipp

An wen, mein Herr?

St. Albin

An Germeuil. — Habe ich ihn nur aus dem Hause! So stosse ich ihm den Degen durch die Brust, dringe ihm das Bekenntniß seines Verbrechens und das
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Geheimniß ihres Aufenthalts ab, und eile dahin, dorthin, überall hin, wo ich sie wiederzufinden hoffen kann. —

(Er wird Philippen gewahr, der stehen geblieben ist.)

Bist du nicht fort? Noch nicht wieder da?

Philipp

Mein Herr —

St. Albin

Nun?

Philipp

Es steht doch nichts darinn, worüber ihr Herr Vater ungehalten werden könnte?

St. Albin

Gleich geh!

[]

Dritter Auftritt.

Saint Albin. Cäcilia.

St. Albin

Er, der mir alles zu danken hat? — Dessen ich mich hundertmal gegen den Commthur angenommen habe! Dem ich —

(Indem er seine Schwester gewahr wird)

Unglückliche, was für einem Menschen hast du dich ergeben!

Cäcilia

Was sagst du? Was willst du? Du erschrickst mich, mein Bruder.

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St. Albin

Der Treulose! der Verräther! — Sie ist mit ihm gegangen, in der Zuversicht, daß er sie hierher führe. — Er hat deinen Namen gemißbraucht —

Cäcilia

Germeuil ist unschuldig.

St. Albin

Er hat beide weinen sehen, beide schreyen gehöret, und sie doch trennen können! Der Barbar!

Cäcilia

Er ist kein Barbar; er ist dein Freund.

St. Albin

Mein Freund? — Ich wollte es. — Es kam nur auf ihn an, Glück und Unglück mit mir zu theilen; — so wäre Er und ich, du und Sophia —

Cäcilia

Was höre ich? — Du hättest ihm vorgeschlagen? — Er, du, ich, deine Schwester?

St. Albin

Was sagte er mir nicht alles! Was stellte er mir nicht alles vor! Mit welcher Falschheit —

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Cäcilia

Germeuil ist ein ehrlicher Mann; ja, Saint Albin, und das, was du ihm zur Last legest, überzeugt mich davon vollends.

St. Albin

Was unterstehest du dich zu sagen? — Zittere! Zittere! — Ihn vertheidigen heißt meine Wuth verdoppeln. — Geh! Flieh mich!

Cäcilia

Nein, mein Bruder; du mußt mich hören. Du sollst Cäcilien zu deinen Füssen sehen. — Germeuil — Laß ihm Gerechtigkeit wiederfahren. — Kennst du ihn nicht mehr? — Ein Augenblick sollte ihn so verändert haben? — Du beschuldigest ihn, — du! — Ungerechter Mensch!

St. Albin

Wehe dir, wenn du noch einigeZärtlichkeit für ihn hegest! — Ich weine. — Bald wirst du auch weinen. —

Cäcilia

(erschrocken und mit zitternder Stimme)

Welchen Vorsatz hast du!

St. Albin

Habe Mitleiden mit dir selbst, und frage mich nicht.

|| [0159.01]

Cäcilia

Du hassest mich.

St. Albin

Ich bedauere dich.

Cäcilia

Du wirst doch unsern Vater erwarten?

St. Albin

Ich fliehe ihn. Ich fliehe die ganze Welt.

Cäcilia

Ich sehe es. Du willst Germeuilen ins Verderben stürzen. — Du willst mich ins Verderben stürzen. — Nun gut, schone keines von beiden. — Sage dem Vater, —

St. Albin

Ich habe ihm nichts weiter zu sagen. — Er weis alles.

Cäcilia

Ah, Himmel!

[]

Vierter Auftritt.

Saint Albin. Cäcilia. Der Hausvater.

(Saint Albin bezeugt sich Anfangs bey Annäherung seines Vaters ungeduldig; nachher bleibt er unbeweglich stehen.)

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Der Hausvater

Du fliehest mich, und ich kann dich nicht verlassen. — Ich habe keinen Sohn mehr, und du hast noch immer einen Vater! — Saint Albin, warum fliehest du mich? — Ich komme nicht, dich aufs neue zu kränken, und mein Ansehen neuen Verachtungen auszusetzen. — Mein Sohn, mein Freund, du willst doch nicht, daß ich vor Gram sterben soll? — Wir sind allein. Hier stehet dein Vater! Hier deine Schwester! Sie weinet, und meine Thränen erwarten nur die deinigen, sich mit ihnen zu vermischen. — Wie süß kann dieser Augenblick seyn, wenn dn<u> willst! — Du hast deine Geliebte verloren; du hast sie durch die Treulosigkeit eines Menschen verloren, der dir werth war —

St. Albin

(indem er die Augen wüthend gen Him mel kehret)

Ah!

Der Hausvater

Triumphiere über dich und ihn! Bezähme eine Leidenschaft, die
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dich erniedriget. Zeige dich meiner werth; — und schenke mir meinen Sohn wieder, Saint Albin.

(St. Albin entfernt sich. Man siehet es, daß er die Gesinnungen seines Vaters gern erwiedern wollte, aber nicht kann. Sein Vater verstehet seine Gebehrden unrecht, folgt ihm nach, und sagt:)

Gott! Empfängt man einen Vater so! Er entfernet sich von mir. — Undankbares Kind, ungerathener Sohn! Und wohin wirst du gehen, dahin ich dir nicht nachfolgen sollte? — Ich werde dir überall nachfolgen. Ueberall werde ich meinen Sohn von dir fordern. —

(Saint Albin entfernt sich noch mehr, und sein Vater folgt ihm und schreyet heftig:)

Gieb mir meinen Sohn wieder! — Gieb mir meinen Sohn wieder!

(St. Albin gehet und stützet sich gegen die Mauer, die Arme in die Höhe, und den Kopf zwischen dem Ellbogen. Der Vater fährt fort.)

Er antwortet mir nicht. Meine Stimme reichet nicht mehr an sein Herz. Eine
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unsinnige Leidenschaft hält es verschlossen. Sie hat alles verheeret. Sie hat ihn dumm und wild gemacht.

(Er wirft sich in einen Lehnstuhl und sagt:)

O unglücklicher Vater! Die Hand des Höchsten hat mich geschlagen. Sie züchtiget mich in diesem Gegenstande meiner Schwachheit. — Es ist mein Tod! — Grausame Kinder, und ich wünsche es; — denn ihr wünschet es.

Cäcilia

(die sich schluchzend ihrem Vater nähert)

Ah! — Ah! —

Der Hausvater

Tröstet euch. — Der Anblick meines Jammers soll euch nicht lange zur Last seyn. — Ich will mich der Welt entziehen. — Ich will mich an einen unbekannten Ort verweisen, und da das Ende eines Lebens erwarten, das euch zu lange dauert.

Cäcilia

(schmerzlich, indem sie die Hände ihres Va ters ergreift)

Was soll aus ihren Kindern werden, wenn Sie sie verlassen?

|| [0163.01]

Der Hausvater

(nach einem kleinen Still schweigen)

Cäcilia, ich hatte meine Absichten mit dir. — Und mit Germeuilen. — So oft ich euch beide sahe, sagte ich zu mir selbst: das ist Er, der das Glück meiner Tochter machen soll; — und Sie, sie wird das Haus meines Freundes wieder empor bringen.

Cäcilia

(bestürzt)

Was habe ich gehört!

St. Albin

(kehret sich wüthend um.)

Er sollte meine Schwester geheyrathet haben? Ich sollte ihn meinen Bruder nennen! Ihn!

Der Hausvater

Alles schlägt mich nieder; alles auf einmal. — Es ist nicht weiter daran zu denken.

[]

Fünfter Auftritt.

St. Albin. Cäcilia. Der Hausvater. Germeuil

St. Albin

Da ist er; da ist er. Geht fort, geht alle fort.

|| [0164.01]

Cäcilia

(die Germeuilen entgegen läuft.)

Halten Sie, Germeuil. Kommen Sie nicht näher. Halten Sie.

Der Hausvater

(fasset seinen Sohn mitten um den Leib und zieht ihn aus dem Saale.)

Saint Albin, — mein Sohn.

(Unterdessen kömmt Germeuil mit festen und ruhigen Schritten näher)

(Saint Albin wendet sich, ehe er abgeht, mit dem Kopf um, und giebt dem Germeuil ein Zeichen.)

Cäcilia

Könnte ich unglücklicher seyn!

(Der Hausvater kömmt wieder herein, und trift zu hinterst im Saale auf den Commthur, der sich einen Augenblick sehen läßt.)

[]

Sechster Auftritt.

Cäcilia. Germeuil. Der Hausvater. Der Commthur.

Der Hausvater

Herr Bruder, ich will den Augenblick bey Ihnen seyn.

Der Commthur

Das heißt, Sie wollen mich itzt nicht haben. Ihr Diener.

|| [0165.01]
[]

Siebender Auftritt.

Cäcilia. Germeuil. Der Hausvater.

Der Hausvater

(zu Germeuilen)

Trennung und Unruhe herrschen in meinem Hause, und die Ursache davon sind Sie. — Germeuil, ich bin unzufrieden. Ich werde Ihnen nicht vorwerfen, wie viel ich für Sie gethan habe. Vielleicht wollten Sie es gern. Aber nach dem Vertrauen, das ich heute gegen Sie bezeigte; denn weiter will ich nicht hinausgehen: hätte ich mir von ihrer Seite ganz etwas anders versehen. — Mein Sohn nimmt sich eine Entführung vor, er vertraut es Ihnen, und Sie sagen mir nichts davon. Der Commthur macht einen andern häßlichen Anschlag; er vertrauet es Ihnen, und auch davon sagen Sie mir nichts.

Germeuil

Sie hatten es beide ausdrücklich verlangt.

|| [0166.01]

Der Hausvater

Hätten Sie es Ihnen versprechen sollen? — Unterdessen ist das Mädchen doch weggekommen, und Sie sind überführt, daß Sie sie fortgebracht haben. — Wo ist sie hin? — Was soll ich aus ihrem Stillschweigen schliessen? — Doch, ich mag Ihnen keine Antwort abdringen. Es herrschet eine Dunkelheit in diesem Betragen, die mir aufzuklären nicht geziemen möchte. Es sey aber wie ihm wolle; gnug, ich nehme mich des Mädchens an, und will, daß sie wieder zum Vorschein kommen soll. Cäcilia, ich mache mir weiter keine Rechnung auf den Trost, den ich unter euch zu finden hofte. Der Kummer ahnet mir, der auf mein Alter wartet, und ich will euch den Schmerz ersparen, die Zeugen davon zu seyn. Ich habe, glaube ich, nichts versäumet, was zu euerm Glücke erforderlich wäre, und ich werde es mit Freuden hören, wenn es meinen Kindern wohlgehet.

|| [0167.01]
[]

Achter Auftritt.

Cäcilia. Germeuil.

(Cäcilia wirft sich in einen Lehnstuhl, und läßt den Kopf traurig in ihre Hand sinken.)

Germeuil

Ich sehe ihre Unruhe, und erwarte ihre Vorwürfe.

Cäcilia

Ich bin in Verzweiflung. — Mein Bruder stehet Ihnen nach dem Leben.

Germeuil

Seine Ausfoderung hat nichts zu sagen. Er hält sich für beleidiget; aber ich bin unschuldig und ruhig.

Cäcilia

Warum habe ich Ihnen geglaubt? Warum bin ich meiner Ahnung nicht gefolgt? — Haben Sie ihn gehört, meinen Vater?

Germeuil

Ihr Vater ist ein gerechter Mann, und ich befürchte mir von ihm nichts.

Cäcilia

Er liebte Sie. Er schätzte Sie hoch.

Germeuil

Wenn er diese Gesinnungen gegen mich gehabt hat, so werde ich sie wieder erlangen.

|| [0168.01]

Cäcilia

Sie sollten das Glück seiner Tochter machen. — Cäcilia hätte das Haus seines Freundes wieder empor bringen sollen.

Germeuil

Himmel! Ist es möglich!

Cäcilia

(als zu sich selbst)

Ich getraute mir nicht, ihm mein Herz zn<u> eröffnen. — Die Leidenschaft meines Bruders hatte ihn zu sehr niedergeschlagen, und ich befürchtete, seinen Kummer zu vermehren. — Konnte ich mir einbilden, daß er der Widersetzung und dem Hasse des Commthurs ungeachtet? — Ah, Germeuil! Ihnen bestimmte er mich, Ihnen!

Germeuil

Und Sie liebten mich! — Ah — Aber ich habe meine Schuldigkeit gethan. — Die Folgen mögen seyn wie sie wollen, ich werde mich den Entschluß, zu dem ich gegriffen, niemals reuen lassen. — Mademoiselle, Sie müssen alles wissen —

Cäcilia

Was giebt es denn noch?

Germeuil

Die Frau —

|| [0169.01]

Cäcilia

Welche Frau?

Germeuil

Die gute alte Frau von Sophien.

Cäcilia

Nun?

Germeuil

Sitzet an der Hausthüre. Das ganze Gesinde ist um sie her. Sie verlangt eingelassen und gehöret zu werden.

Cäcilia

(stehet eiligst auf, und will fortgehen.)

O Gott! — Ich lauffe —

Germeuil

Wohin?

Cäcilia

Mich meinem Vater zu Füssen zu werffen?

Germeuil

Bleiben Sie. Bedenken Sie —

Cäcilia

Nein, mein Herr.

Germeuil

Hören Sie mich.

Cäcilia

Ich höre nicht mehr.

Germeuil

Cäcilia — Mademoiselle —

Cäcilia

Was wollen Sie von mir?

Germeuil

Ich habe meine Maaßregeln genommen. Man hält die Alte zurück. Sie wird nicht hineinkommen; und wenn
|| [0170.01]
man sie auch hineinläßt, nur aber sie nicht zu dem Commthur führet, was kann sie den andern sagen, was sie nicht schon wüßten?

Cäcilia

Nein, mein Herr, ich will nicht länger in Furcht und Zittern leben. Mein Vater soll alles wissen. Mein Vater ist gut; er wird meine Unschuld erkennen; er wird den Bewegungsgrund ihrer Aufführung einsehen, und ich werde meine und ihre Verzeihung erhalten.

Germeuil

Und die Unglückliche, die Sie bey sich aufgenommen haben? — Sie haben sie einmal ihres Schutzes gewähret, und dürffen nichts ohne ihre Einwilligung mit ihr vornehmen.

Cäcilia

Mein Vater ist gut.

Germeuil

Da ist ihr Bruder.

|| [0171.01]
[]

Neunter Auftritt.

Cäcilia. Germeuil. Saint Albin.

(St. Albin tritt mit langsamen Schritten herein; er siehet finster und wild aus; den Kopf zur Erde; die Arme kreutzweis in einander geschlagen; und den Hut in die Augen gedrückt.)

Cäcilia

(wirft sich zwischen ihn und Germeuilen, und schreyet.)

Saint Albin! — Germeuil!

St. Albin

(zu Germeuilen)

Ich glaubte Sie allein zu finden.

Cäcilia

Germeuil, es ist ihr Freund; es ist mein Bruder.

Germeuil

Ich werde es nicht vergessen, Mademoiselle.

(Er setzet sich in einen Lehnstuhl)

St. Albin

(wirft sich in einen andern.)

Gehen Sie, oder bleiben Sie; von nun an verlasse ich Sie nicht wieder.

Cäcilia

(zu Saint Albin)

Unsinniger! — Undankbarer! — Was hast du beschlossen! — Du weißt nicht —

St. Albin

Ich weis nur allznuviel.

|| [0172.01]

Cäcilia

Du betriegst dich.

St. Albin

(indem er aufsteht)

Geh, laß mich! Laß uns!

(und sich gegen Germeuilen wendet, und die Hand an den Degen legt.)

Germeuil —

(Germeuil springt auf.)

Cäcilia

(kehret sich mit dem Gesichte gegen ih ren Bruder, und ruft ihm zu:)

O Gott! — Halt! Vernimm — Sophia —

St. Albin

Nun? Sophia?

Cäcilia

Was soll ich ihm sagen?

St. Albin

Was hat er mit ihr gemacht? Rede. Rede.

Cäcilia

Was er mit ihr gemacht hat? — Er hat sie deiner Raserey entrückt. — Er hat sie vor den Verfolgungen des Commthurs in Sicherheit gebracht. — Er hat sie hieher gebracht. — Ich habe sie aufnehmen müssen. — Sie ist hier, und sie ist wider meinen Willen hier —

(schluchzend und weinend.)

|| [0173.01]
Nun geh; und lauf, und stoß ihm den Degen durch die Brust.

St. Albin

O Himmel! Darf ich es glauben! Sophia ist hier! — Und Er ist es? — Du bist es? — Ah, meine Schwester! Ah, mein Freund! — Ich Unglücklicher! Ich Sinnloser!

Germeuil

Sie sind verliebt.

St. Albin

Cäcilia, Germeuil, — euch habe ich alles zu danken. — Werdet ihr mir verzeihen? — Ja, ihr seyd gerecht, ihr liebet auch; ihr werdet euch an meine Stelle setzen und mir gewiß verzeihen. — Aber sie hat von meinem Anschlage gewußt; sie weinet, sie will verzweifeln, sie verachtet mich, sie hasset mich. — Cäcilia, willst du dich rächen? Willst du mich unter der Last meines Unrechts erdrücken? Vollende deine Güte! — Laß mich sie sehen. — Laß mich sie einen Augenblick sehen.

|| [0174.01]

Cäcilia

Was wagst du von mir zu verlangen?

St. Albin

Liebe Schwester, ich muß sie sehen. Ich muß —

Cäcilia

Bedenke doch nur —

Germeuil

Wir bekommen ihn doch nicht anders vernünftig.

St. Albin

Cäcilia.

Cäcilia

Und mein Vater? Und der Commthur?

St. Albin

Was liegt mir daran? — Ich muß sie sehen; ich lauffe —

Germeuil

Bleiben Sie.

Cäcilia

Germeuil.

Germeuil

Wir werden ruffen müssen, Mademoiselle.

Cäcilia

Welch ein grausames Leben!

(Germeuil gehet ruffen, und kömmt mit Jungfer Clairet wieder. Cäcilia geht zu hinterst der Bühne.)

St. Albin

(ergreift im Vorbeygehen ihre Hand, und küßt sie mit Entzückung. Er kehret sich hierauf

|| [0175.01]
gegen Germeuilen, umarmt ihn und sagt:)

Nun sehe ich sie wieder!

Cäcilia

(nachdem sie mit Jungfer Clairet leise gesprochen, fährt sie laut und in einem verdrießlichen Tone fort:)

Bringt sie. Nehmt euch wohl in Acht.

Germeuil

Und habe Sie ja ihre Augen wohl auf den Commthur.

St. Albin

Nun sehe ich Sophien wieder!

(Er gehet gegen die Seite, wo Sophia herkommen soll, horcht und sagt:)

Ich höre sie kommen. — Sie kömmt näher. — Ich zittere. — Mich schaudert. — Es ist mir, als wolle mein Herz davon, als fürchte es sich, ihr entgegen zu gehen. — Ich werde die Augen nicht aufschlagen können. — Ich werde kein Wort mit ihr sprechen können.

|| [0176.01]
[]

Zehnter Auftritt.

Cäcilia. Germeuil. St. Albin. Sophia. Jungfer Clairet in dem Vorzimmer, bey dem Eingange des Saales.

Sophia

(sobald sie den Saint Albin gewahr wird, läuft erschrocken auf Cäcilien zu, wirft sich in ihre Arme und schreyet:)

Mademoiselle.

St. Albin

(folgt ihr nach.)

Sophia.

(Cäcilia hält Sophien in ihren Armen, und drückt sie zärtlich an sich.)

Germeuil

(ruft.)

Jungfer Clairet.

Jgfr Clairet

(von innen.)

Gleich!

Cäcilia

(zu Sophien)

Fürchten Sie nichts. Fassen Sie sich. Setzen Sie sich.

(Sophia setzt sich. Cäcilia und Germeuil gehen zu hinterst der Bühne, wo sie von dem, was zwischen Saint Albin und Sophien vorgehet, Zuschauer abgeben. Germeuil sieht ernsthaft und nachdenkend aus. Er blickt dann und wann traurig auf Cäcilien, die ihrer Seits Verdruß, und von Zeit zu Zeit Unruhe verräth.)

St. Albin

(zu Sophien, die die Augen niederge schlagen hat und sich ungehalten und strenge bezeigt.)

|| [0177.01]
Sie sind es. Sie sind es. — Ich habe Sie wieder, — Sophia. O Himmel! Welcher Ernst! Welches Stillschweigen! — Sophia, einen einzigen Blick! Versagen Sie mir ihn nicht! — Ich habe so viel ausgestanden! — Sagen Sie doch nur ein einziges Wort zu diesem Unglücklichen!

Sophia

(ohne ihn anzusehen)

Verdienen Sie es?

St. Albin

Fragen Sie nur.

Sophia

Was kann man mir noch sagen? Weis ich nicht schon gnug? Wo bin ich? Was mache ich hier? Wer hat mich hierher gebracht? — Was wollen Sie mit mir, mein Herr?

St. Albin

Sie lieben; sie besitzen; der ihrige seyn, Trotz aller Welt, Trotz Ihnen —

Sophia

Sie lassen mich die Verachtung nur allzusehr empfinden, die man gegen Unglückliche hat. Man hält sie für nichts. Man erlaubt sich gegen sie alles.
|| [0178.01]
Aber, mein Herr, ich habe auch Anverwandte.

St. Albin

Ich werde sie kennen lernen. Ich will gehen. Ich will mich zu ihren Füssen werffen; von ihnen will ich Sophien erhalten.

Sophia

Hoffen Sie es nur nicht. Sie sind arm; aber sie halten auf Ehre. — Mein Herr, geben Sie mich meinen Anverwandten wieder. Geben Sie mich mir selbst wieder. Schicken Sie mich sort.

St. Albin

Verlangen Sie eher mein Leben. Es ist ihre.

Sophia

O Gott, was wird aus mir werden!

(Zu Germeuilen und Cäcilien, in einem traurigen und bittenden Tone.)

Mein Herr. Mademoiselle —

(Indem sie sich wieder gegen den Saint Albin wendet.)

|| [0179.01]
Schicken Sie mich fort, mein Herr. — Schicken Sie mich fort. — Grausamer Mensch, soll ich Ihnen zu Füssen fallen? Hier liege ich.

(Sie wirft sich dem Saint Albin zu Füssen.)

St. Albin

(fällt zu den ihrigen und sagt:)

Sie zu meinen Füssen? Mir kömmt es zu, mich zu ihren Füssen zu werffen, und da zu sterben.

Sophia

(aufgestanden)

Sie sind ohne Mitleid. — Ja, Sie sind ohne Mitleid. — Schändlicher Entführer, was habe ich dir gethan? Welch Recht hast du auf mich? — Ich will gehen. — Wer darf sich unterstehen, mich zu halten? — Sie lieben mich? — Sie haben mich geliebt? — Sie?

St. Albin

Lassen Sie diese reden.

Sophia

Sie haben mein Verderben beschlossen. — Ja, Sie haben es beschlossen; Sie werden es vollenden. — Ah Sergi!
|| [0180.01]

(Indem sie diese letzten Worte nicht ohne Wehmuth sagt, sinkt sie in einen Lehnstuhl, wendet ihr Gesicht von ihm ab, und fängt an zu weinen.)

St. Albin

Sie wenden ihre Augen von mir. — Sie weinen. — Ah, ich habe den Tod verdient. Ich Unglückseeliger! Was habe ich gewollt? Was habe ich gesagt? Weß habe ich mich erkühnt? Was habe ich gethan?

Sophia

(als zu sich selbst)

Arme Sophia, wozu hat dich der Himmel versparet! — Das Elend reisset mich aus den Armen meiner Mutter. — Ich komme nebst einem von meinen Brüdern hier an. — Wir kommen, hier Barmherzigkeit zu suchen, und finden nichts als Verachtung und Härte. — Weil wir arm sind, will man uns nicht kennen, und stößt uns zurück. — Mein Bruder verläßt mich. — Ich bleibe allein. — Eine ehrliche Frau sieht meine Jugend, und erbarmt sich der Verlassenen. — Aber mein
|| [0181.01]
Unglücksstern läßt diesen Menschen meiner gewahr werden, läßt ihn den Grund zu meinem Verderben legen. — Ich weine vergebens. — Sie wollen mich verderben, und sie werden mich verderben. — Ist Er es nicht, so ist es sein Oheim. —

(Sie stehet auf)

Und was will denn dieser Oheim von mir? — Warum verfolgt er mich so? — Kann er sagen, daß ich seinen Neffen geruffen habe? — Da steht er. — Er mag reden. — Er mag sich selbst anklagen — Betrieger, Feind meiner Ruhe, rede —

St. Albin

Mein Herz ist unschuldig. Sophia, haben Sie Mitleiden mit mir. — Vergeben Sie mir. —

Sophia

Wer würde ihm nicht getrauet haben? — Er schien so zärtlich, und so gut! — Ich hielt ihn für so sanftmüthig! —

St. Albin

Vergeben Sie mir, Sophia.

Sophia

Ich sollte Ihnen vergeben?

St. Albin

Sophia.

(Er will ihre Hand ergreiffen)

|| [0182.01]

Sophia

Zurück! Ich liebe Sie nicht mehr. Ich achte Sie nicht mehr. Nein.

St. Albin

O Gott, was wird aus mir werden! Liebe Schwester, Germeuil, sprecht, sprecht doch für mich. — Vergeben Sie mir, Sophia.

Sophia

Nein.

(Cäcilia und Germeuil treten näher.)

Cäcilia

Mein Kind.

Germeuil

Es ist ein Mensch, der sie anbetet.

Sophia

Nun gut, so beweise er es mir. Er vertheidige mich gegen seinen Oheim; er gebe mich meinen Anverwandten wieder; er schicke mich fort, und ich verzeihe ihm.

[]

Eilfter Auftritt.

Germeuil. Cäcilia. St. Albin. Sophia. Jungfer Clairet.

Jgfr. Clairet

Mademoiselle, es kömmt jemand; es kömmt jemand.

Germeuil

Geschwind alle fort!
|| [0183.01]

(Cäcilia giebt Sophien wieder in die Hände der Jgfr. Clairet; und sie gehen alle von verschiedenen Seiten aus dem Saale.)

[]

Zwölfter Auftritt.

Der Commthur. Fr. Hebert. Deschamps.

(Der Commthur tritt hastig herein. Ihnen folgen Fr. Hebert und Deschamps.)

Fr. Hebert

(auf den Deschamps weisend.)

Ja, mein Herr, das ist er. Er war bey dem bösen Manne, der mir sie geraubt hat. Ich habe ihn den Augenblick erkannt.

Der Commthur

Schurke! Was hält mich, daß ich nicht gleich die Wache hohlen lasse, um dich zu lehren, was es einbringt, wenn man sich zu solchen Bubenstücken brauchen läßt?

Deschamps

Machen Sie mich nicht unglücklich, mein Herr. Sie haben mir es ja versprochen.

Der Commthur

Nu, nu. Und also ist sie hier?

Deschamps

Ja, mein Herr.

|| [0184.01]

Der Commthur

(bey Seite)

Sie ist hier? Commthur, n<u>nd das hast du nicht gerochen?

(Zu Deschamps)

Und ohne Zweifel bey meiner Nichte im Zimmer?

Deschamps

Ja, mein Herr.

Der Commthur

Und der Schurke, der dem Wagen nachfolgte, warst du?

Deschamps

Ja, mein Herr.

Der Commthur

Und der andere, der drinnen saß, das war Germeuil?

Deschamps

Ja, mein Herr.

Der Commthur

Germeuil?

Fr. Hebert

Er hat es Ihnen schon gesagt.

Der Commthur

(bey Seite)

Gut! Nunmehr habe ich sie!

Fr. Hebert

Als sie mir sie wegnahmen mein Herr, reichte sie mir noch die Hand und sagte: Lebe Sie wohl, meine liebe; ich werde Sie nicht wiedersehen; bete Sie für mich. — Lassen Sie mich sie sehen,
|| [0185.01]
mein Herr; laß Sie mich sie sprechen; ich will sie trösten.

Der Commthur

Das geht nicht an. — Welche Entdeckung!

Fr. Hebert

Ihre Mutter und ihr Bruder haben sie mir anvertrauet. Was soll ich ihnen antworten, wenn sie sie wiederfordern werden? Geben Sie mir sie wieder, mein Herr, oder lassen Sie mich mit ihr einschliessen.

Der Commthur

(zu sich selbst)

Das soll geschehen, hoffe ich.

(zur Fr. Hebert)

Itzt geht nur, geht geschwind. Und vor allen Dingen, lasset euch nicht wieder sehen. Wo man euch wieder erblickt, so stehe ich für nichts.

Fr. Hebert

Ich werde sie aber doch wieder bekommen, und ich kann mich darauf verlassen?

Der Commthur

Ja doch, ja, verlaßt euch darauf und geht.

|| [0186.01]

Deschamps

(indem er sie herausgehen sieht.)

Verflucht sey die Alte, und verflucht der Thürsteher, der sie hereingelassen hat!

Der Commthur

(zu Deschamps)

Und du, Schurke, geh, — und begleite die Frau wieder heim. — Und das sage ich dir, kömmt es aus, daß sie mit mir gesprochen hat, oder sie läßt sich wieder hier sehen, so ist es dein Unglück.

[]

Dreyzehnter Auftritt.

Der Commthur allein.

Der Commthur

Meines Neffen Liebste in dem Zimmer meiner Nichte! — Welche Entdeckung! — Ich dachte es wohl, daß die Bedienten darunter stecken müßten! — Sie gingen; sie kamen; sie machten sich Zeichen; sie redten leise; bald gingen sie mir nach; bald lieffen sie vor mir. — Und da ist das Kammermädchen, das mich eben so wenig verläßt, als mein Schatten. — Das ist also
|| [0187.01]
die Ursache von allen den Bewegungen, die ich nicht begreiffen konnte? — Commthur, das kann dich lehren, künftig fein auch auf das allergeringste zu merken. Wo Lermen ist, da giebt es immer was zu erfahren — Sie wollten die Alte nicht hereinlassen, und sie hatten hohe Ursache dazu. — Die Schurken! — Ich mußte, recht zu meinem Glücke, dazukommen. — Nun laß sehen, was wir weiter zu thun haben. — Vors erste, ganz leise zu gehen, um sie in ihrer Sicherheit nicht zu stören. — Und wie, wenn ich mich gerade zu an den alten Narren wendte? — Nein. Was würde das helffen? — D'Aulnoy, itzt mußt du zeigen, was du kannst! — Aber ich habe ja meinen Befehl zur Haft! Sie haben mir ihn wiedergegeben! — Da ist er! — Ja. — Das ist er. Wie glücklich bin ich. — Dasmal soll er mir gewiß nutzen. Noch einen Augenblick Geduld, und ich bin ihnen über
|| [0188.01]
dem Halse. Ich bemächtige mich der Kreatur. Ich jage den Schurken, der alles das angesponnen hat, aus dem Hause. — Ich zerreisse auf einmal zwey Heyrathen. — Mein Mühmchen, mein sprödes Mühmchen, soll daran denken, hoffe ich. — Und du, guter alter Narre, nun kömmt die Reyhe an mich. — Kurz ich räche mich an dem Vater, an dem Sohne, an der Tochter, an dem guten Freunde. — O Commthur, welch ein Tag für dich!

Ende des vierten Aufzuges.
|| [0189.01]
[]

Fünfter Aufzug.

[]

Erster Auftritt.

Cäcilia. Jungfer Clairet.

Cäcilia

Ich sterbe noch vor Unruhe und Furcht. — Ist Deschamps wieder zum Vorschein gekommen?

Jgfr. Clairet

Nein Mademoiselle.

Cäcilia

Wo muß er hingegangen seyn?

Jgfr. Clairet

Ich habe es nicht erfahren können.

Cäcilia

Und was ist denn vorgegangen?

Jgfr. Clairet

Anfangs hörte ich ein grosses Lermen. Ich weis nicht wie viel ihrer waren. Sie gingen und kamen. Auf einmal hörte die Bewegung und das Lermen auf. Geschwind schlich ich mich auf den Zehen herzu, und horchte aus allen Kräften; ich konnte aber weiter nichts, als hier und da ein Wort vernehmen. Unter
|| [0190.01]
andern hörte ich den Commthur, in einem drohenden Tone schreyen: die Wache.

Cäcilia

Sollte sie wohl jemand gesehen haben?

Jgfr. Clairet

Nimmermehr, Mademoiselle.

Cäcilia

Oder sollte Deschamps geplaudert haben?

Jgfr. Clairet

Das ist etwas anders. Er ist wie ein Blitz davongegangen.

Cäcilia

Und mein Vetter?

Jgfr. Clairet

Den sahe ich. Er machte Grimassen. Er sprach mit sich selbst. Die Schadenfreude sahe ihm aus den Augen.

Cäcilia

Wo ist er?

Jgfr. Clairet

Er ist ganz allein und zu Fusse ausgegangen.

Cäcilia

Geh Sie, lauff Sie. — Erwarte Sie seine Zurückkunft; und verliere sie ihn nicht einen Augenblick aus den Augen. — Auch müssen wir sehen, wo Deschamps
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steckt. Wir müssen wissen, was er gesagt hat.

(Jgfr. Clairet geht fort; Cäcilia ruft sie zurück und sagt ihr noch:)

Sobald Germeuil wieder heim kömmt, so sage Sie ihm, daß ich hier bin.

[]

Zweyter Auftritt.

Cäcilia. Saint Albin.

Cäcilia

Wozu bin ich gebracht! — Ah, Germeuil! — Die Unruhe verfolgt mich. — Alles scheinet mir zu drohen. — Alles er schreckt mich.

(Saint Albin tritt herein, und Cäcilia gehet auf ihn zu.)

Bruder, Deschamps ist verschwunden. Der Himmel weis, was er gesagt hat, und wo er hingekommen ist. Der Commthur ist in geheim und ganz allein ausgegangen. — Es zieht sich ein Wetter auf. Ich sehe es. Ich empfinde es. Und ich will es durchaus nicht abwarten.

|| [0192.01]

St. Albin

Nachdem du so vieles für mich gethan hast, willst du mich nun verlassen?

Cäcilia

Ich habe nicht recht gethan. Ich habe nicht recht gethan. — Das Kind will nicht länger bleiben; wir müssen sie gehen lassen. Mein Vater hat meine Unruhe gemerkt. Sein Kummer ist so groß, und seine Kinder verlassen ihn. Was kann er anders denken, als daß sie aus Schaam über irgend einer unbedachtsamen Handlung, seine Gegenwart fliehen und ihn in seiner Betrübniß verabsäumen? — Wir müssen uns wieder näher zu ihm halten. Von Germeuilen hat er alle gute Meinung verloren; von Germeuilen, dem er beschlossen hatte — Du bist großmüthig, mein Bruder; schlage nicht länger deinen Freund, deine Schwester, die Ruhe und das Leben deines Vaters in die Schanze.

|| [0193.01]

Saint Albin

Nein, es ist einmal ausgemacht, ich soll keinen Augenblick Ruhe haben.

Cäcilia

Wenn die Alte hereingekommen wäre! — Wenn der Commthur wüßte — Ich kann ohne Schauder nicht daran denken. — Mit wie vieler Wahrscheinlichkeit, mit wie vielem Vortheile würde er uns angreiffen! Welchen Anstrich würde er unserer Aufführung geben können! Und das zu einer Zeit, da die Seele unsers Vaters allen Eindrücken frey und offen stehet.

St. Albin

Wo ist Germeuil?

Cäcilia

Er ist für dich, er ist für mich in Furcht. Er ist zu der Alten gegangen —

[]

Dritter Auftritt.

Cäcilia. Saint Albin. Jgfr. Clairet.

Jgfr. Clairet

(läßt sich zu hinterst des Thea ters einen Augenblick sehen und ruft:)

Der Commthur ist wieder zu Hause.

|| [0194.01]
[]

Vierter Auftritt.

Cäcilia. Saint Albin. Germeuil.

Germeuil

Der Commthur weis alles.

Cäcilia und Saint Albin

(erschrocken)

Der Commthur weis alles!

Germeuil

Die Alte hat sich durchgedrungen. Sie hat den Deschamps erkannt. Dieser hat sich durch die Drohungen des Commthurs schrecken lassen, und hat alles gestanden.

Cäcilia

Ah!

St. Albin

Was wird aus mir werden?

Cäcilia

Was wird mein Vater sagen?

Germeuil

Die Gefahr ist dringend. Unsere Klagen können hier nichts helffen. Wenn wir den Streich, der uns drohet, nicht haben abwenden, ihm nicht zuvorkommen können, so finde er uns wenigstens beysammen und gefaßt, ihn zu empfangen.

Cäcilia

Ah, Germeuil, was haben Sie gethan!

|| [0195.01]

Germeuil

, Bin ich noch nicht unglücklich genug?

[]

Fünfter Auftritt.

Cäcilia. St. Albin. Germeuil. Jgfr. Clairet.

Jgfr. Clairet

(zeiget sich wieder zu hinterst der Bühne, und ruft ihnen zu:)

Da kömmt der Commthur.

Germeuil

Dem müssen wir aus dem Wege gehen.

Cäcilia

Nein, ich muß meinen Vater erwarten.

St. Albin

Um des Himmels willen, was willst du thun?

Germeuil

Kommen Sie, mein Freund.

St. Albin

Kommen Sie, Sophien zu retten.

Cäcilia

Ihr verlaßt mich?

|| [0196.01]
[]

Sechster Auftritt.

Cäcilia allein.

Cäcilia

(Sie läuft hin und her, und ruft:)

Ich weis nicht, was ich anfangen soll. —

(Sie wendet sich gegen den hintersten Theil des Saales und ruft:)

Germeuil! — Saint Albin! — O mein Vater, was soll ich Ihnen antworten! — Und was soll ich meinem Vetter antworten? — Aber da ist er. — Ich will mich setzen. — Ich will meine Arbeit vornehmen. — So werde ich ihn wenigstens nicht ansehen dürffen. —

(Der Commthur tritt herein. Cäcilia stehet auf, und grüßt ihn mit niedergeschlagenen Augen.)

[]

Siebender Auftritt.

Cäcilia. Der Commthur.

Der Commthur

(drehet sich um, siehet gegen das Hintertheil der Bühne und sagt:)

Du hast da ein Kammermädchen, meine liebe Nichte, das ganz vortrefflich aufpaßt. — Man kann keinen Schritt ohne sie thun. — Aber wie
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bist du denn so ganz verlassen, und so vertieft? — Es scheinet doch, als ob alles wieder ruhig werden wollte.

Cäcilia

(stotternd)

Ja — ich glaube — ich glaube es auch — Ah! —

Der Commthur

(stehet vor ihr und stützet sich auf seinen Stock.)

Stimme und Hände zittern dir. — Ein unruhiges Herz ist ein grausames Ding. — Dein Bruder scheinet mir ein wenig gelassener. — Und siehst du, so sind sie alle. Anfangs wollen sie verzweifeln und drohen mit nichts geringerm als mit hängen und ersäuffen. Aber ehe man eine Hand umwendet, husch, so ist alles weg. — Du wirst so nicht seyn, oder ich müßte mich sehr betriegen. Wenn dein Herz einmal Feuer fängt, das wird eine Weile brennen.

Cäcilia

(die mit ihrer Arbeit spricht.)

Daß dich!

Der Commthur

(spöttisch)

Es will mit deiner Arbeit nicht recht fort.

|| [0198.01]

Cäcilia

Gar nicht.

Der Commthur

Wie stehen denn itzt Germeuil und dein Bruder mit einander? — Mich dünkt, so ziemlich? — Das Ding hat sich ohne Zweifel aufgekläret. — Denn endlich kläret sich alles auf, und dann ist man wegen seiner schlechten Aufführung so beschämt, so beschämt! — O, du zwar weißt davon nichts; denn du, du bist beständig so behutsam, so vorsichtig gewesen.

Cäcilia

(bey Seite)

Das kann ich nicht länger aushalten.

(Sie stehet auf)

Ich glaube, ich höre meinen Vater.

Der Commthur

Nicht doch, du hörest nichts. — Es ist ein seltsamer Mann, dein Vater. Immer beschäftiget, ohne zu wissen, womit. Niemand in der Welt hat so eine Gabe, die Augen auf alles, auf alles zu haben, und doch nichts zu sehen. — Aber wieder auf unsern Freund Germeuil zu kommen. — Wenn du nicht um ihn
|| [0199.01]
seyn kannst, ich weis, so hörst du gern von ihm reden. — Es bleibt doch seinetwegen noch fest dabey? Bey mir wenigstens.

Cäcilia

Herr Vetter, —

Der Commthur

O bey dir gewiß auch. Nicht wahr? Ich entdecke alle Tage neue Eigenschaften an ihm, und ich habe ihn noch nie so gut gekannt. — Es ist ein ganz unvergleichlicher Bursche. —

(Cäcilia stehet auf)

Aber du bist ja so eilfertig?

Cäcilia

Ich muß wohl.

Der Commthur

Was ruft dich denn?

Cäcilia

Ich wollte auf meinen Vater warten. Aber er kömmt nicht, und ich bin so unruhig.

[]

Achter Auftritt.

Der Commthur allein.

Der Commthur

Unruhig? Das rathe ich dir auch zu seyn. Du weißt noch nicht, was deiner wartet. — Du magst weinen, wehklagen und äch-
|| [0200.01]
zen so viel du willst; es wird nichts helffen; Freund Germeuil muß fort. — Auf ein oder zwey Jahre ins Kloster — Ha, ich bin auch sehr albern gewesen. Der Name dieser Clairet hätte ja recht gut noch in meinem Befehle zur Verhaft stehen können; es hätte keinen Heller mehr gekostet. — Aber der alte Träumer kömmt nicht. — Ich habe nichts mehr zu thun, und die Zeit wird mir lang. —

(Er kehret sich um, siehet den Hausvater kommen und sagt zu ihm:)

Komm doch, guter Alter, komm doch!

[]

Neunter Auftritt.

Der Commthur. Der Hausvater.

Der Hausvater

Was haben Sie mir denn so nothwendiges zu sagen?

Der Commthur

Sie werden es gleich hören. — Aber noch einen Augenblick Geduld.

(Er gehet sachte zu hinterst in den Saal, und sagt zu der Kammerfrau, die er auf der Lauer ertappt:)

|| [0201.01]
Komm Sie näher, Jungfer. Mache Sie sichs so sauer nicht. Desto besser kann sie hören.

Der Hausvater

Was giebts denn? Mit wem sprechen Sie?

Der Commthur

Mit der Kammerfrau ihrer Tochter, die uns behorcht.

Der Hausvater

Das ist die Wirkung von dem Mißtrauen, daß Sie meinen Kindern gegen sich beygebracht haben. Sie haben Sie von mir entfernt; Sie haben sie genöthiget, sich mit ihrem Gesinde zu verstehen.

Der Commthur

Nein, Herr Bruder, ich bin es nicht, der sie von Ihnen entfernet hat; die Furcht, Sie möchten hinter ihre Streiche kommen, hat sie entfernt. Wenn sie sich mit ihrem Gesinde verstehen, so kömmt es daher, weil sie zu ihrer schlechten Aufführung Helfershelfer brauchen. Begreiffen Sie das, Herr Bruder? — Was
|| [0202.01]
um und neben Ihnen vorgehet, davon wissen Sie nichts. Indeß daß Sie in einer unbegreifflichen Sicherheit schlaffen, oder sich einer unnützen Betrübniß überlassen, nimmt die Unordnung in ihrem Hause überhand. Sie steckt alles an, Bediente, Kinder und was ihnen anhängt. — Gehorsam ist in diesem Hause niemals gewesen, und nun ist auch weder Zucht noch Tugend darinn.

Der Hausvater

Noch Tugend?

Der Commthur

Noch Tugend.

Der Hausvater

Erklären Sie sich, Herr Commthur. — Doch nein, verschonen Sie mich. —

Der Commthur

Das ist mein Wille nun eben nicht.

Der Hausvater

Ich habe der Trübsaale schon so viel, als ich ertragen kann.

Der Commthur

Von ihrem weichherzigenCharakter darf ich freylich nicht hoffen,
|| [0203.01]
daß es Ihnen so empfindlich und ärgerlich seyn wird, als es Ihnen als Vater wohl seyn sollte. Aber es schadet nichts; ich werde wenigstens meine Schuldigkeit gethan haben, und die Folgen mögen Sie sich selbst zuschreiben.

Der Hausvater

Sie erschrecken mich. Was haben sie denn gethan?

Der Commthur

Was sie gethan haben? Schöne Dinge. Hören Sie nur. Hören Sie nur.

Der Hausvater

Ich warte —

Der Commthur

Das kleine Mädchen, deren wegen Sie so in Sorgen sind —

Der Hausvater

Nun?

Der Commthur

Wo glauben Sie, daß die ist?

Der Hausvater

Ich weis nicht.

Der Commthur

Sie wissen nicht? — So erfahren Sie es denn von mir: sie ist bey Ihnen.

|| [0204.01]

Der Hausvater

Bey mir?

Der Commthur

Bey Ihnen. Ja, bey Ihnen. — Und was meynen Sie wohl, wer sie hergebracht hat?

Der Hausvater

Germeuil?

Der Commthur

Und wer sie aufgenommen hat?

Der Hausvater

Halten Sie, Herr Bruder. Cäcilia — meine Tochter —

Der Commthur

Ja, Cäcilia; ja, ihre Tochter hat ihres Bruders Liebste bey sich aufgenommen. Ist das nicht löblich? Was sagen Sie dazu?

Der Hausvater

Ah!

Der Hausvater

Der Germeuil dankt Ihnen für alle die Wohlthaten, die Sie ihm erwiesen haben, unvergleichlich.

Der Hausvater

Ah, Cäcilia, Cäcilia! Was haben Sie nun gefruchtet, die guten Lehren deiner Mutter?

|| [0205.01]

Der Commthur

Ihres Sohnes Liebste, in ihrem Hause, in dem Zimmer ihrer Tochter! Bedenken Sie doch! Bedenken Sie doch!

Der Hausvater

Ah, Germeuil! — Ah, mein Sohn! — Wie unglücklich bin ich!

Der Commthur

Wenn Sie unglücklich sind, so ist es ihre eigene Schuld. Lassen Sie sich Gerechtigkeit wiederfahren.

Der Hausvater

Ich verliere alles auf einmal; meinen Sohn, meine Tochter, einen Freund.

Der Commthur

Es ist ihre eigene Schuld.

Der Hausvater

Bloß ein grausamer Bruder bleibt mir übrig, der sich eine Lust daraus macht, mich die Last meines Jammers recht fühlen zu lassen. — Grausamer Mann, weg von mir. Lassen Sie meine Kinder kommen. Ich will meine Kinder sehen.

|| [0206.01]

Der Commthur

Ihre Kinder? Ihre Kinder haben itzt bessere Dinge zu thun, als ihre Klagelieder anzuhören. Ihres Sohnes Liebste, — an seiner Seite, — in dem Zimmer ihrer Tochter — Glauben Sie, daß sie Langeweile haben?

Der Hausvater

Halten Sie inne, grausamer Bruder. — Doch nein; tödten Sie mich nur vollends.

Der Commthur

Wollte ich doch allem diesem Verdrusse vorbauen. Aber ich durfte ja nicht. Nun mögen Sie es auch haben.

Der Hausvater

O meine verlorene Hoffnungen!

Der Commthur

Sie haben sie mit ihren Fehlern lassen aufwachsen; und wenn man sie Ihnen dann und wann zeigte, so machten Sie die Augen zu. Sie haben sie selbst gelehret, ihr väterliches Ansehen verachten. Weß hätten sie sich nicht erkühnen sollen, da sie es ungestraft thun durften?

|| [0207.01]

Der Hausvater

Wie wird es um den Rest meines Lebens stehen! Wer wird mir das Elend meiner letzten Jahre erleichtern? Wer wird mich trösten?

Der Commthur

Wenn ich zu Ihnen sagte: Geben Sie auf ihre Tochter Acht; ihr Sohn schlägt um; Sie haben einen Schurken in ihrem Hause: so war ich ein harter, böser, ungestümer Mann.

Der Hausvater

Es ist mein Tod. Es ist mein Tod. — Und dann, nach wem werde ich mich umsehen! — Ah! — Ah!

(Er weinet.)

Der Commthur

Sie haben meinen Rath verachtet. Sie haben darüber gelacht. Weinen Sie nunmehr! Weinen Sie!

Der Hausvater

Ich werde Kinder gehabt haben. Ich werde unglücklich gelebt haben; und werde einsam sterben müssen. — Was wird mir es helffen, Vater gewesen zu seyn? — Ah! —

|| [0208.01]

Der Commthur

Weinen Sie nur!

Der Hausvater

Grausamer Mann, schonen Sie mich! Bey jedem Worte, das aus ihrem Munde gehet, fühle ich eine Erschütterung durch meine ganze Seele; meine ganze Seele wird zerrissen. — Aber nein; nein, meine Kinder haben sich so nicht vergangen; sie haben das nicht gethan, was Sie ihnen Schuld geben. Sie sind unschuldig. Unmöglich können sie sich so sehr weggeworffen, meiner so sehr vergessen haben! — Saint Albin! — Cäcilia! — Germeuil! — Wo sind sie? — Wenn sie ohne mich schon leben können, so kann ich doch nicht ohne sie leben. — Ich habe sie verlassen wollen. — Ich, ich sollte sie verlassen? — Laßt sie kommen! — Laßt sie alle kommen, und sich mir zu Füssen werffen. —

Der Commthur

Kleinmüthiger Mann. Schämen Sie sich nicht?

|| [0209.01]

Der Hausvater

Laßt sie kommen. Und wenn sie sich selbst anklagen; wenn sie Reue bezeugen —

Der Commthur

Nun so wollte ich nur, daß sie irgendwo versteckt wären, und das mit anhörten.

Der Hausvater

Und was würden sie hören, was sie nicht schon wüßten?

Der Commthur

Und was sie nicht mißbrauchten?

Der Hausvater

Ich muß sie sehen, ich muß ihnen verzeihen; oder ich muß sie hassen —

Der Commthur

Nun gut, so sehen Sie sie. Verzeihen Sie ihnen. Lieben Sie sie; und lassen Sie sich Zeitlebens von ihnen plagen und beschimpfen. Ich will gehen, so weit ich kann, damit ich weder von Ihnen noch von ihren Kindern weiter etwas höre.

|| [0210.01]
[]

Zehnter Auftritt.

Der Commthur. Der Hausvater. Fr. Hebert. Herr Le Bon. Deschamps.

Der Commthur

(indem er die Fr. Hebert erblickt)

Verdammte Frau!

(zu Deschamps)

Und du, Schurke, was machst du hier?

Frau Hebert, Herr Le Bon und Deschamps

(zum Commthur, alle zugleich.)

Mein Herr.

Der Commthur

(zur Fr. Hebert)

Was sucht Sie hier? Gleich geh Sie ihre Wege. Ich weis was ich ihr versprochen habe, und ich werde mein Wort halten.

Fr. Hebert

Mein Herr — Sie sehen meine Freude — Sophia —

Der Comthur

Geh Sie, sag ich Ihr.

Herr Le Bon

Mein Herr, mein Herr, hören Sie sie doch nur.

Fr. Hebert

Meine Sophia — mein Kind — ist nicht, was man denkt. — Herr
|| [0211.01]
Le Bon — reden Sie doch; — ich kann nicht.

Der Commthur

(zu Le Bon)

Wissen Sie denn nicht, wie solche Weiber sind, und was sie für Mährchen zu erzehlen wissen? — Herr Le Bon, Sie sind so alt und können solch Zeug glauben?

Fr. Hebert

(zum Hausvater)

Mein Herr, Sie ist in ihrem Hause.

Der Hausvater

(bey Seite und schmerzlich)

So ist es doch wahr!

Fr. Hebert

Ich verlange nicht, daß man mir auf mein Wort glaube. — Lassen Sie sie herkommen.

Der Commthur

Es wird irgend eine Anverwandte von dem Germeuil seyn, die keinen Strumpf anzuziehen hat.

(Hier vernimmt man ein Lermen und ein verwirrres Geschrey.)

Der Hausvater

Ich höre Lermen.

Der Commthur

Es ist nichts.

|| [0212.01]

Cäcilia

(von innen)

Philipp, Philipp, ruft meinen Vater.

Der Hausvater

Es ist meiner Tochter Stimme.

Fr. Herbert

(zum Hausvater)

Ich bitte Sie, mein Herr, lassen Sie das Kind herkommen. —

St. Albin

(von innen)

Nicht näher. Wenn euch euer Leben lieb ist, nicht näher

Fr. Hebert und Herr Le Bon

(zum Hausvater)

O gehen Sie doch! Sehen Sie doch!

Der Commthur

(zum Hausvater)

Es ist nichts, sage ich Ihnen.

[]

Eilfter Auftritt.

Der Commthur. Der Hausvater. Fr. Hebert. Herr Le Bon. Deschamps. Jgf. Clairet.

Jgf. Clairet

(erschrocken, zum Hausvater.)

Bloße Degen, ein Gefreyter, Wache — Kommen Sie geschwind, mein Herr, wenn
|| [0213.01]
Sie nicht wollen, daß ein Unglück geschehen soll.

[]

Zwölfter und letzter Auftritt.

Der Hausvater. Der Commthur. Fr. Hebert. Herr Le Bon. Deschamps. Jgfr. Clairet. Cäcilia. Sophia. St. Albin. Germeuil. Ein Gefreyter. Philipp. Bediente. Das ganze Haus.

(Cäcilia, Sophia, der Gefreyte, Saint Albin, Germeuil und Philipp stürmen auf einmal herein. St. Albin hat den Degen gezogen, und Germeuil hält ihn zurück.)

Cäcilia

(kömmt schreyend herein)

Mein Vater.

Sophia

(läuft auf den Hausvater zu und schreyet:)

Mein Herr.

Der Commthur

(zum Gefreyten, schreyend.)

Gefreyter, thue Er seine Pflicht.

Sophia und Fr. Hebert

(die sich beide an den Hausvater wenden; die erstere zu seinen Füßen.)

Mein Herr.

|| [0214.01]

St. Albin

(den Germeuil noch immer hält.)

Erst muß man mir das Leben nehmen. Germeuil, lassen Sie mich.

Der Commthur

(zum Gefreyten)

Thu Er seine Pflicht.

Der Hausvater, St. Albin, Fr. Hebert und Hr. Le Bon

(alle zugleich zum Gefreyten)

Halt!

Fr. Herbert und Hr. Le Bon

(zum Commthur, indem sie Sophien, die noch immer auf den Knieen liegt, nach ihm hinwenden)

Betrachten Sie sie doch nur, mein Herr.

Der Commthur

(ohne sie anzusehen.)

Im Namen des Königs, Herr Gefreyter, thu Er seine Pflicht.

St. Albin

(schreyet)

Halt!

Fr. Hebert und Hr. Le Bon

(schreyen dem Commthur, zugleich mit St. Albinen, nochmals zu:)

Betrachten Sie sie doch.

Sophia

(die sich gegen den Commthur wendet)

Mein Herr.

|| [0215.01]

Der Commthur

(kehret sich um, betrachtet sie, und schreyet, wie vom Blitze gerührt)

Ah!

Fr. Hebert und Hr. Le Bon

Ja, mein Herr, das ist sie. Es ist ihre Nichte.

St. Albin, Cäcilia, Germeuil, Jgfr. Clairet

Sophia, des Commthurs Nichte!

Sophia

(noch immer auf ihren Knieen zum Commthur)

Lieber Herr Vetter.

Der Commthur

(anfahrend)

Was machen Sie hier?

Sophia

(zitternd)

Machen Sie mich nicht unglücklich.

Der Commthur

Warum konnten Sie nicht in ihrer Provinz bleiben? Warum reiseten Sie nicht wieder heim, da ich es Ihnen sagen ließ?

Sophia

Ich will reisen, lieber Herr Vetter. Ich will wieder heim reisen. Machen Sie mich nicht unglücklich.

Der Hausvater

Kommen Sie, mein Kind. Stehen Sie auf.

|| [0216.01]

Fr. Hebert

Ah, Sophia!

Sophia

Ah, meine liebe!

Fr. Hebert

Ich umarme Sie wieder.

Sophia

Ich sehe Sie wieder.

Cäcilia

(die sich ihrem Vater zu Füssen wirft)

Mein Vater, verdammen Sie ihre Tochter nicht, ohne sie zu hören. Cäcilia ist, dem Anscheine ohngeachtet, nicht strafbar. Sie hat sich weder besinnen, noch Sie um Rath fragen können.

Der Hausvater

(mit einer ernsten aber ge rührten Mine)

Meine Tochter, du bist in eine grosse Unvorsichtigkeit gefallen.

Cäcilia

Mein Vater.

Der Hausvater

(zärtlich)

Steh auf!

St. Albin

Sie weinen, mein Vater.

Der Hausvater

Und das über dich, über deine Schwester. Warum flohet ihr mich, meine Kinder? Seht ihr, daß ihr euch von mir nicht entfernen können, ohne euch zu verirren?

|| [0217.01]

St. Albin und Cäcilia

(indem sie ihm die Hände küssen.)

Ah, mein Vater.

(Indeß scheinet der Commthur ganz verwirrt.)

Der Hausvater

(nachdem er sich die Thränen abgetrocknet, giebt sich ein Ansehen, und sagt zum Commthur:)

Herr Commthur, Sie hatten vergessen, daß Sie in meinem Hause waren.

Der Gefreyte

Ist der Herr nicht Besitzer vom Hause?

Der Hausvater

(zum Gefreyten.)

Darnach hätte Er sich erkundigen sollen, ehe Er hereinkam. Geh Er, ich stehe für alles.

(Der Gefreyte geht ab.)

St. Albin

Mein Vater.

Der Hausvater

(zärtlich)

Ich verstehe dich.

St. Albin

(indem er Sophien dem Commthur vorstellet)

Herr Vetter.

Sophia

(zum Commthur, der sich von ihr weg kehret.)

Verstossen Sie doch das Kind ihres Bruders nicht.

|| [0218.01]

Der Commthur

(ohne sie anzusehen)

Ja, eines Mannes der kein Wirth war, der sich nicht aufzuführen wußte, der mehr hatte, als ich, der alles verthan hat, und der euch in diese armseelige Umstände gestürzt hat.

Sophia

Ich erinnere mich noch wohl, als ich ein Kind war; da hatten Sie die Güte mich zu liebkosen. Ich hätte ihre Gunst, sagten Sie. Wenn ich Sie itzt ärgere, so will ich gehen; ich will wieder heimreisen, ich will wieder zu meiner Mutter, zu meiner armen Mutter, die alle ihre Hoffnung auf Sie gesetzt hatte. —

St. Albin

Herr Vetter.

Der Commthur

Ich will sie weder sehen noch hören.

Der Hausvater, St. Albin, Herr Le Bon

(indem sie um ihn herumtreten)

Herr Bruder. — Herr Commthur. — Herr Vetter.

Der Hausvater

Es ist ihre Nichte.

|| [0219.01]

Der Commthur

Was hat sie hier zu suchen gehabt?

Der Hausvater

Es ist ihr Blut.

Der Commthur

Das ist mir verdrießlich gnug.

Der Hausvater

Sie führet ihren Namen.

Der Commthur

Das ärgert mich eben.

Der Hausvater

(indem er ihm Sophien zeigt)

Betrachten Sie sie. Wo sind die Anverwandte, die nicht auf sie stolz seyn würden?

Der Commthur

Sie hat nichts, das will ich Ihnen nur sagen.

St. Albin

Sie hat alles.

Der Hausvater

Sie lieben sich.

Der Commthur

(zum Hausvater)

Sie wol len Sie zu ihrer Tochter?

Der Hausvater

Sie lieben sich.

Der Commthur

(zum St. Albin)

Du willst sie zu deiner Frau?

St. Albin

Ob ich sie will!

|| [0220.01]

Der Commthur

So nimm sie. Ich bin es zufrieden; denn wenn ich es auch nicht zufrieden wäre, so würde es doch gleich viel seyn. — Aber

(zum Hausvater)

mit einer Bedingung.

St. Albin

(zu Sophien)

Ah, Sophia, nun wird uns niemand mehr trennen.

Der Hausvater

Herr Bruder, völlige Gnade! Keine Bedingung!

Der Commthur

Nein. Ich muß durchaus, ihrer Tochter und dieses Menschen wegen, Gnugthuung haben.

St. Albin

Gnugthuung! Und wofür? Was haben sie gethan? Ich berufe mich auf Sie, mein Vater.

Der Hausvater

Cäcilia denkt und empfindet. Sie hat eine zärtlicheSeele. Sie wird es sich schon selbst sagen, wie sie mir, vor einem Augenblicke, hat vorkommen müssen. Ich will ihren eigenen Vorwürfen nichts hinzufügen.
|| [0221.01]
Germeuil, — Ihnen verzeih ich. — Meine Hochachtung und meine Freundschaft bleiben Ihnen unentzogen; meine Wohlthaten sollen Ihnen überall nachfolgen; aber —

(Germeuil gehet traurig fort, und Cäcilia siehet ihm nach.)

Der Commthur

So laß ichs noch gelten.

Jgfr. Clairet

Nun kömmt die Reihe an mich. Ich will immer gehen, und mein Bündel zurecht machen.

(Sie geht ab)

St. Albin

(zu seinem Vater)

Hören Sie mich, mein Vater. — Germeuil, bleiben Sie. — Er ist es, der Ihnen ihren Sohn erhalten hat. — Ohne ihm hätten Sie keinen Sohn mehr. Was würde aus mir geworden seyn? — Er ist es, der mir Sophien erhalten hat. — Was ich ihr drohe-
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te, was ihr mein Vetter drohete, das hat Germeuil, das hat Cäcilia von ihr abgewandt. — Sie hatten, sich zu besinnen, nur einen Augenblick. — Es gab nur eine einzige Freystatt, die ihrer anständig war. — Sie haben sie meiner Gewaltthätigkeit entrissen. — Und sie sollten für meinen Fehler gestraft werden? — Komm, Cäcilia. Wir müssen den besten Vater erweichen.

(Er führt seine Schwester zu den Füssen des Vaters, und wirft sich mit ihr vor ihm nieder.)

Der Hausvater

Ich habe dir verziehen, meine Tochter; was willst du noch von mir?

St. Albin

Ihr Glück, mein Glück, unser aller Glück auf ewig zu befestigen. Cäcilia, — Germeuil. — Sie lieben sich, sie beten sich an. — Ueberlassen Sie sich ganz ihrer Gütigkeit, mein Vater. Es werde dieser Tag der schönste unseres Lebens!
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(Er läuft zu Germeuilen, und ruft Sophien.)

Germeuil, Sophia, — kommen Sie, kommen Sie. — Kommen Sie, wir wollen uns ihm alle zu Füssen werffen.

Sophia

(die sich gleichfalls zu den Füssen des Hausvaters wirft, dessen Hände sie, so lange die Scene noch dauert, fast nicht wieder verläßt.)

Mein Herr.

Der Hausvater

(der sich über sie neiget, und sie aufhebt.)

Meine Kinder — o meine Kinder! — Cäcilia, du liebest Germeuilen?

Der Commthur

Habe ich es Ihnen nicht vorhergesagt?

Cäcilia

Verzeihen Sie mir, mein Vater.

Der Hausvater

Warum mußte mir das verborgen bleiben? — O meine Kinder, ihr kennet euern Vater nicht. — Treten Sie näher, Germeuil. Was Sie mir verhielten, hat mich gekränkt; aber ich habe Sie allezeit als meinen zweyten Sohn be-
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trachtet. Ich hatte Ihnen immer meine Tochter bestimmt. So werde sie denn mit Ihnen die glücklichste der Weiber!

Der Commthur

Unvergleichlich! Das fehlte noch! Ich sahe es voraus, daß es zu dieser Narrheit kommen würde. Aber wenigstens war es beschlossen, daß sie wider meinen Willen geschehen sollte; und Gott sey Dank, sie ist geschehen. Lustig! Seyd alle lustig! Wir sehen uns itzt zum letztenmale.

Der Hausvater

Sie irren sich, Herr Commthur.

St. Albin

Herr Vetter.

Der Commthur

Geh du! Ich gelobe deiner Schwester den vollkommensten Haß, der nur seyn kann; und du sollst hundert Kinder kriegen, ich will bey keinem einzigen stehen! Lebt wohl.

(Er geht ab.)

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Der Hausvater

Kommt, meine Kinder. Laßt sehen, wer von uns den Kummer, den er verursacht hat, am besten gut machen wird.

St. Albin

Liebster Vater, liebste Schwester, liebster Freund, ich habe Sie alle betrübt. Aber betrachten Sie sie; und dann verklagen Sie mich, wenn Sie können.

Der Hausvater

Kommt, meine Kinder. Herr Le Bon, hohle er meine Mündel. Frau Hebert, ich werde für Sie sorgen. Wir wollen alle glücklich seyn.

(Zu Sophien)

Meine Tochter, ihre Glückseeligkeit wird von nun an die süsseste Beschäftigung meines Sohnes seyn. Lehren Sie ihn, die Stürme seines heftigen Charaktersbesänftigen. Er lerne, daß man unmöglich glücklich seyn kann, wenn man sein Schicksal
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seinen Leidenschaften überläßt! Er nehme ihre Unterwürfigkeit, ihre Sanftmuth, ihre Geduld, alle die Tugenden, die Sie an diesem Tage gezeigt haben, auf immer zum Muster seiner Aufführung, und zum Gegenstande seiner zärtlichsten Hochachtung!

St. Albin

(lebhaft)

O ja, mein Vater; o ja!

Der Hausvater

(zu Germeuilen)

Mein Sohn, mein theurer Sohn! Kaum habe ich es erwarten können, Sie so zu nennen.

(Hier küßt Cäcilia ihrem Vater die Hand.)

Sie werden meiner Tochter glückliche Tage machen. — Und ich hoffe, Sie sollen keinen einzigen mit ihr zubringen, der es nicht auch für Sie sey. — Ich will, wenn ich kann, euch alle glücklich machen. — Sophia, Sie müssen ihre Mutter, ihre
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Brüder herkommen lassen. Wenn ihr vor dem Altare den Schwur, euch ewig zu lieben, ableget, könnt ihr nicht Zeugen genug dabey haben. — Kommt, meine Kinder, — kommen Sie, Germeuil, — kommen Sie, Sophia.

(Er giebt seine vier Kinder zusammen und sagt:)

Eine schöne Frau, ein rechtschaffner Mann, sind die zwey rührendsten Wesen der Schöpfung. Schaffet der Welt zweymal an Einem Tage diesen Anblick. — Der Himmel seegne euch, meine Kinder, wie Ich euch seegne!

(Er breitet seine Hände über sie, und sie beugen sich, seinen Seegen zu empfangen.)

Der Tag, der euch vereinigen wird, wird der feyerlichste Tag eures Lebens seyn. O möge er auch der glücklichste seyn! — Kommt, meine Kinder! —
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O wie grausam — wie süß ist es, Vater zu seyn!

(Indem sie aus dem Saale gehen, führet der Hausvater seine zwey Töchter; Saint Albin hat die Arme um seinen Freund Germeuil geschlagen; Herr Le Bon giebt der Frau Hebert die Hand; die andern folgen, wie sie kommen, und alle sind vor Freuden ausser sich.)

Ende des fünften Aufzuges und des Stücks.


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