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Die Kunst zu lieben
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Das Neueste aus dem Reiche des Witzes

als eine Beylage zu den Berlinischen Staats- und Gelehrten Zeitungen

1751.

Monat October 1751

Das einzige Denkmahl, woraus man sich einen Begrif von der Artigkeit der alten Römer, von ihren feinern Sitten, dem Geschmacke in ihren Ergötzungen, dem Tone ihrer Gesellschaften, der Wendung ihrer zärtlichen Gesinnungen, machen kan, ist des OvidsKunst zu lieben. Hundert Werke werden uns jene Beherrscher der Welt als grosse, mächtige und tugendhafte Geister schildern, dieses allein schildert sie uns als Geister, welche empfunden, ihre Empfindungen geläutert und die Natur zur schönen Natur ausgebildet haben.Von dieser Seite ist dieses Gedichte unschätzbar. Es hat eine andere Seite, die es weniger ist, diejenige nemlich, auf welcher es seinem Titel widerspricht. Lehrte Ovid die Kunst zu lieben, er würde der liebenswürdigste und unschuldigste Dichter seyn. Die schamhafteste Jugend würde ihn lesen, und jener Trieb der Natur würde ein Führer zur Tugend werden, da er bey denen, die ihn nicht zu ordnen wissen, ein Verleiter
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zu den unsaubersten Ausschweifungen wird. Allein Ovid lehret die Wollust, jene sinnliche, die ohne Zärtlichkeit des Herzens vom Genuß zum Genusse schweift, und selbst in dem Genusse schmachtet.Verschiedene Neue scheinen den Widerspruch, welcher bey dem römischenGedichte zwischen dem Titel und der Ausführung ist, eingesehen zu haben. Wie schwer ist es dasjenige gut zu machen, was ein Ovid schlecht gemacht hat! Jeder von seinen Nacheifrern hat sich ein besonder Lehrgebäude von der Liebe gemacht. Des Italiäners Pietro Michelearte degli amanti ist eine Sammlung süsser Grillen und wortreicher Tändeleyen. Kan auch ein Italiäner von der Liebe schreiben ohne zu platonisiren? Die Maximen der Liebe des Grafen von Bussy sind lächerlich ernsthafte Stoßgebetchens, und was die kalte Frau von Lambert von dieser feurigen Leidenschaft sagen will, sind metaphysischeGrübeleyen, die nach dem Hotel de Rambouillet schmecken. Wo hin und wieder ein Deutscher die Liebe zu seinem Gegenstande gehabt hat, da wird man schwerlich mehr als schulmäßige Declamationes finden, welche die Ohren füllen, und dem Leser nichts zu fühlen geben, weil die Verfasser nichts gefühlt haben.Ein liebenswürdiger Franzose ist glücklicher gewesen. Bernard hat uns in seiner Kunst zu lieben ein Gedichte geliefert, welches diesen Titel behauptet. Schon seit fünf bis sechs Jahren hat die Welt unvollständige Abdrucke davon gelesen, und mit Vergnügen, so unvollständig sie gewesen sind. Nur erst zu Ende des vorigen Jahres hat man eine getreue, verbesserte und ganze Ausgabe erhalten. Wir würden weniger berechtiget seyn ihrer hier zu gedenken, wenn sie in Deutschland mehr bekant geworden wäre. Sollten wir glauben, daß ein Auszug deswegen mißfallen sollte, weil hinter dem L auf dem Titel nicht noch ein I stehet? 1 Dieses neue Gedichte, welches aus sechs Gesängen bestehet, lehret die Kunst die Liebe dem Wohlstande zu unterwerfen, den Pflichten und den Sitten; doch ohne ihr Zwang anzuthun, ohne ihr ihre Reitze zu
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nehmen, ohne sie Einschränckungen auszusetzen, die sie vernichten; mit einem Worte, ohne von ihr zu verlangen, daß sie keine Leidenschaft sey. Der Dichter hat sich nicht vorgesetzt die Natur zu ersticken, sondern die Liebe zu lehren, wie sie ein ehrlicher Mann zu empfinden, und das zärtlichste Frauenzimmer beyzubringen wünscht. Das ganze Werk läuft auf den Lehrsatz hinaus: man kan sich durch nichts als durch gute Eigenschaften beliebt machen.Wir wollen von Gesang zu Gesang gehen, um den Leser in Stand zu setzen den Plan zu übersehen; und wollen hin und wieder kleine Stellen einrücken, um ihn in den Stand zu setzen, von der Ausführung zu urtheilen.Der erste Gesang fängt sich mit der Entdeckung des Vorsatzes, und den gewöhnlichen Anrufungen an. [] Ohne Lehrmeister lernt man lieben, ohne Kunst seufzet das Herz; denn die Liebe ist eine Neigung, die die Natur einflößt. Aber dem Gesetze der Pflichten ihre schönen Flammen zu unterwerfen, das widrige Schicksal zu erweichen, die Gunstbezeigungen für den Preiß der Beständigkeit zu erkaufen, den Argwohn bleicher Mitbuhler zu ersticken; dazu gehöret eine Kunst, dazu gehören Lehrmeister und Regeln. Dieser Entwurf, hoffen wir, muß den schärfsten Sittenrichter auf das Trockene setzen. Der Dichter weiß von keiner Muse ausser von seiner Zulni, die Geliebte, deren Reitz die Tugend borgen würde, wann sie sterblichen Blicken sichtbar werden wollte. Wende diese Augen auf mich, worinne dein Hertz sich bildet, wo die Schamhaftigkeit wohnet, und die siegende Liebe lächelt. Ein einziger deiner Blicke bringt jenes erhabene Feuer, jene göttliche Flamme, die die Töne der ewigen Sänger beleben, in meine Seele. Sey meine Muse. Wo soll ich eine zärtlichere finden? Komm führe meine Hand, leihe meinem Liede deine Anmuth. Indem ich die Liebe erhebe, singe ich dich, Zulni! — — Nunmehr tritt der Dichter ins Feld. Er lehrt den himmlischen Ursprung der Liebe, er lehrt, daß sie nach diesem Ursprunge, das schönste Geschenk sey, welches das Schicksal auf die Menschlichkeit fliessen lassen, er lehrt, daß sie nur durch die Vermischung mit unsern Lastern tadelhaft wird; daß ihr alle Herzen den Zoll schuldig sind; daß sie früh oder späte sich Meister davon macht; daß man die Zeit der Empfindlichkeit, der Jugend dazu anwenden müsse; daß in der Welt eine Person sey, welche das Schicksal uns zu lieben, und von uns geliebt zu werden bestimmt habe.
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Unsere Neigungen sind bestimmt, umsonst sind unschiffbare Meere unüberwindliche Scheidemauern zwischen zwey jungen Herzen, gebohren einander zu fesseln. Ein unvermutheter Augenblick bringt sie zusammen. Wäre sie auch unter dem brennenden Himmelsstriche gebohren, wo Phöbus die wilden Mexicaner bereichert; lebte sie auch auf den gefrohrnen, wüsten und schrecklichen Bergen, um die sich der Scythe und die Bäre streiten, auf den Bergen, den Gräbern der Welt, wo die Naturerblasset; und der Himmel hat ihr die Beherrschung eurer Wünsche vorbehalten; so wird nichts diese ewigen Rathschlüsse hintertreiben. Nur, fährt der Lehrer der Liebe fort, muß man den Augenblick erwarten; und sich nicht darinne zu betriegen, zeigt er welches die Merckmahle der wahren Liebe sind. Von den Reitzen einer jungen Schönheit ge blendet bleibt man bey dem ersten Blicke unbeweglich, bezaubert. Das Herz fühlt die Annäherung der Liebe; die Sinne werden verwirrt, die Stimme wird schwach; das Herz scheint sich loszureissen, und dem Gegenstande nachzufolgen. Alles erneuert dem Auge das Bild davon; alles mahlt euch seine Reitze, alles redet euch von ihm. Abwesend betet ihr sie an; sie ist gegenwärtig und ihr erbleichet. Eure gemeinsten Reden scheinen verworren; ihr drückt viel aus und empfindet noch mehr. Zeigt sich einige Hoffnung, die Furcht theilet sie. Furchtsam, ungewiß, voll von einer redenden Verwirrung, fallen die Blicke nur zitternd auf sie. — — Ja gewiß, dieser ist der bezaubernde Gegenstand, welcher euch zu gefallen, gebohren ward. Und hat ein solches Schicksal unter so viel Reitze ein für die Tugend gebildetes Herz verborgen, ist ihr Geist eben so groß als ihre Schönheit, so liebt, so unterwerft euch ohne Murren. — — Allein wie oft widersetzen sich Geitz und Hochmuth dem Fortgange der Liebe. Glückliche Zeiten der ersten Welt, da ein König wenn er liebte, nicht seine Krone, sondern die Heftigkeit seiner Liebe prieß! — — Hierauf beschreibt der Dichter die Sprache der Augen, die erste Sprache der Verliebten, ihre Gewalt und ihre Bequemlichkeit. Wo die Augen antworten, da ist das Herz nicht taub. Doch jemehr eine Schöne nicht hintergangen zu werden wünschet, desto mehr fürchtet sie es. Auf der Art des Angriffes beruhet das meiste; ein Herz das man wohl angegriffen hat erobert man gewiß. Man verschaffe sich eine erste Zusammenkunft; man drücke sich lebhaft und ungezwungen aus. Eine übel aufgenommene Erklärung muß die Hofnung nicht benehmen. Gebt
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mehr auf das übrige Betragen der Schönen Acht, als auf ihre Rede. Schreibt ihr, wenn sie zu sprechen unmöglich ist. Die Liebe war es ja, welche die Kunst die Worte abzumalen und den Ton sichtbar zu machen erfand. Nunmehr zeigt der Dichter, was für Mittel anzuwenden sind, wann die Schöne hartnäckig darauf besteht, unempfindlich zu scheinen. Er erläutert seine Lehre mit einem Beyspiele des Herzogs von Nemours und der Prinzeßin von Cleves. Eine angenommene Gleichgültigkeit lockt das geheimnißvolleste Herz aus. Was feste genug zu seyn scheinet hält man nicht; man hält nur das, wovon wir fürchten, es möchte uns entwischen. [] Die Glieder des zweyten Gesanges sind folgende. Die Gelegenheit ist oft der Liebe vortheilhaft, man muß ihren schnellen Flug anzuhalten, ihr zuvorzukommen und sie bey der Stirne zu fassen wissen. Der Liebhaber und Soldat müssen geschwind seyn. — — [] Folget überall den Schritten eurer Schönen; sehet nichts, bewundert nichts, liebet nichts, als ihre Reitze. Die zärtliche Liebe belohnt sich zuletzt und man gefällt dem Gegenstande, welcher empfindet, daß man ihm gefallen will. Die Orte wohin man die Geliebte vornehmlich begleiten muß, sind die Komödie, die Oper, die Spatziergänge. Der Schauplatz ist den Wünschen der Verliebten günstig und das Hertz zu erweichen bietet er glückliche Augenblicke an. Durch ihre Teuschereyen macht die zaubernde Scene ihren Betrug angenehm, schmeichelt, reitzet und bewegt etc. — — AllzuliebenswürdigeGoßin , bricht der Dichter zum Schlusse dieser Materie aus, empfange hier den Preis, den dir tausend von deinen Reitzen besiegte Liebhaber darbieten. Ja, die schmeichelnden Töne deiner rührenden Stimme, deine Thränen, deine Blicke, deren Anmuth bezaubert, schiessen überall siegende Pfeile der zärtlichsten Liebe ab. Sie herrschet durch deine Augen; dir ist sie alle Herzen schuldig. Glücklich, wer dich sehen kan, wer mit dir sprechen, wer dich hören kan! Glücklich, wer dir gefallen kan! Glücklich den dein Mund mit einem kostbaren Lächeln beglükt, wer sein Glück in deinen bewegten Augen lieset! Empfange diese Verse, die die Liebe erzeugte. Ich singe ihre Reitze und du machst sie bekannt. — — Wenn wird unser deutschesTheater eine Goßinbekommen, welche einen Dichter in so süsse Entzückungen zu versetzen fähig ist? — — Der zweyte Ort, wohin man der Schönen folgen muß, ist die Oper, der Tempel der Liebe, wo sie alle Sinnen aufbietet sie durch
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sich einzunehmen. Verliebte, strömet in diese prächtige Schauspiele. Die allzeit siegende Liebe weiß da von keinem Hindernisse, und alle vereinigte Künste bieten alle Arten des Vergnügens an. Sucht ihn, redet ihn an, den Gegenstand eurer Wünsche. Die schmeichelnde Harmonie der Lullischen Töne, welche die Liebe mit den Gesängen des Quinaut verband, wird sie ganz mit einer schmachtenden Verwirrung erfüllen, und auf ihrem Munde werdet ihr die Strenge erblassen sehen. Wenn Cadmus feyerlich die Treue schwört, so werden ihre Augen euch eine ewige Liebe schwören. — — Clio glänzet im Winter, Flora im Frühlinge; jede hat ihre Zeit. Liebt die reizenden Betrügereyen der ersten, doch vergeßt nicht, daß man auch der Natur ihre Augenblicke geben müsse. — — Unter jenen wachsenden Lauben, wo die Götter des Lachens herumflattern und Philomele durch zärtliche Klagen entzückt; da könnt ihr dem geliebten Gegenstande eure zärtlichsten Gesinnungen durch eure Augen erklären. Laßt eure Begierden in allen euren Bewegungen lesen; alles entdecke an euch die heftigste Glut. Habt einen traurigen Anblick, einen langsamen Gang. Suchet nichts als ihre Augen, fliehet sie dann, und suchet sie wieder. Ueberall wird euch ihr Herz folgen, und schalkhaft wird die Liebe sie ihre Zärtlichkeit verrathen lassen. — — Hierauf weiset der Dichter, wie natürlich dem Frauenzimmer die Begierde zu gefallen sey. Diese ist ihre erste und letzte Leidenschaft. Gleichwohl ist es bey seiner Liebe unruhig. Diese Unruhe ihm zu benehmen, sie ihr bey einer geheimen Zusammenkunft zu benehmen, da lasse der Liebhaber seine Stärke sehen. Er finde sich zuerst an dem bestimten Orte ein; er suche sie durch Versicherungen, durch Schwüre, durch Thränen zu gewinnen. — — Sind Thränen nöthig sie besser zu überzeugen, so lasset ganze Ströme derselben aus den Augen brechen. Weinet! die zärtlichste Liebe ergötzt sich an Thränen, und ihre süsseste Stille entstehet aus der Unruhe. Ihre theuersten Myrten sind mit Thränen befeuchtet, und wer nicht weinen kan, kennet ihre Anmuth nicht. — — Endlich siegt die Liebe und die Strenge wanket. Die Zärtlichkeit flimmert in den schmachtenden Augen; die Unbewegliche wird bewegt, und erkühnt sich nicht den Fuß aus der Falle zu ziehen, die ihr gefällt. Erntet dann den ersten Genuß auf ihrer zitternden Hand ein; ein Kuß redet ans Herz, denn er ist die Sprache des Herzens. Liebe, umsonst flieht man dich! Alles empfindet deine Gewalt, alles
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weichet deinen Reitzen; so gar das stolze Gespenst, die eitle Weltweisheit. Kom, Kolossus von Rauch, siehe den Hochmuth eines deiner größten Meister biegen, und lerne dich kennen.
Hierauf beschließt der Dichter den zweyten Gesang mit der Erzählung der Liebe des Cartes; die uns aber ein wenig trocken vorkommt. Sie hat zwar ihren guten historischen Grund, da man weiß daß dieser Weltweise in Holland eine Tochter, mit Namen Francine gehabt hat: so wie Newton einen Sohn. Der einzige Punkt worinne der Verfechter und der Vernichter des leeren Raumes vielleicht einander gleich gewesen sind. [] Im dritten Gesange werden die Eigenschaften beschrieben, die ein Liebhaber haben muß, wenn er gefallen will. Der Dichter fängt mit einer doppelten Allegorie der lasterhaften und nichtigen, und der weisen und dauerhaften Liebe an. Vor allen muß man sich bemühen den Character des geliebten Gegenstandes zu erforschen. Seine Geliebte zu bezwingen, muß man aufmercksam ihr zu gefallen, und von seinem Vorsatze ganz erfüllet seyn; nach ihrem Geiste, nach ihrem Geschmacke muß man sich falten, dencken, lieben, handeln wie sie, und sich ganz in sie verwandeln. Ist sie eine Schülerin der ernsten Weisheit, trägt sie in ihrem Herzen ein langsames Feuer, welches sie bestreitet? Geht nicht allzukühn fort, und schonet ihre Tugend. Vereinigt sie mit der Liebe einen philosophischenGeist? Redet, den Malebranche in der Hand, nichts als Metaphysick. Tadelt sie? Tadelt. Lobt sie? Lobt. Tanzet sie? Tanzet. Singt sie? Singet. Mahlt sie? bewundert ihre Werke. Lieset sie euch ihre Verse? verschwendet die Lobeserhebungen. — — Diese Erforschung der Charaktere muß auf beyden Theilen seyn, und keines muß glauben, der Verstellung berechtiget zu seyn. Wer tugendhaft ist der scheint es, und die Verbergung der wahren Gestalt ist ein gewisser Beweiß von ihrer Häßlichkeit. Man bestrebe sich also durch Verdienste liebenswerth zu werden; aus der Hochachtung entspringt die Liebe; man habe die Gesinnungen und die Aufführung eines Mannes, der die Welt kennet; man trotze nicht auf äusserliche Vortheile, die nur von allzukurzer Dauer sind; man schmücke seinen Geist mit dauerhaftern Reizen; man verbinde mit der Zärtlichkeit des Witzes großmüthige Gesinnungen des Herzens; man fliehe das gezwungene Betragen eines Stutzers; man sey gleichförmig in der Aufführung; man prahle nicht mit Metaphysik und Versen, eine Prahlerey, die der üble Geschmack zu rechtfertigen scheinet;
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man vermeide den lächerlich kostbaren Ton der Neologisten; man sey kein Lustigmacher, der die geringsten Fehler auch seiner Freunde anfällt; die Wahrheit wohne allezeit auf den Lippen; nie komme ein Ausdruck in den Mund, der die Schamhaftigkeit roth macht und die Unschuld zum Schaudern bringt; man halte sich zu Grossen, deren Umgang die Schule der Tugend und Artigkeit ist. — — Hier ist der Dichter gedoppelt ein Dichter; und die Schmeicheleyen die er diesem und jenen französischen Hofmanne macht, den er mit Namen nennt, sind nicht zu übersetzen. — — Doch die Welt allein bildet einen vollkommenen Menschen nicht. Das Lesen der besten Schriftsteller muß dazu kommen. La Fontaine, Moliere, Racine, Regnard, Nericaut, La Chaussee, Gresset, Chaulieu, Bernis, und wer sie sonst sind, die Mahler, welche Natur und Kunst gebildet hat, die Helden der Gesinnungen, die das edelste Feuer belebt! — — Hiebey vermeide man das französischeVorurtheil, die Nachbarn zu verachten. Es giebt gewisse in ihre Sphäre so eingeschränkte Geister, die nur den Himmelsstrich preisen, unter welchem sie gebohren sind, furchtsam ihren Großältern nachschleichen und nur die Güter loben, die vor ihren Augen wachsen. Für sie ist ausser Paris kein Genie anzutreffen, und das Chaos fängt an, da wo sich Frankreich endet. Leget diesen närrischen Hochmuth, den ihr mit der Milch eingesogen habt, ab. In den wildesten Gegenden giebt es Pilpais. Der abergläubischeSpanier, der selbstmörderischeEngländer haben Sitten und Gaben. Erforschet ihren Geschmack und macht euch der Schätze zu Nutze, welche die Natur andern Ufern vorbehält. — — Dieses sind Lehren, welche kluge Franzosen ihren Landsleuten noch unzähligmal wiederhohlen und unzähligmal umsonst wiederhohlen werden. — — Nunmehr kommt der Dichter auf den Zweykampf, die Frucht des falschen Muths. Er beschreibt alle schreckliche Folgen derselben, und will in einer kleinen Geschichte lehren, wie vermögend ein Frauenzimmer sey, diese Raserey bey Mitbuhlern zu unterdrücken. Auch diese Geschichte will uns im Ganzen nicht gefallen. Wir wollen die Rede eines Frauenzimmers, die in voller Unschuld ihre Liebe entdeckt, daraus hersetzen: Was empfindet man, was will man, wenn man liebt? Belehre mich Zamor, warum mein zitternder Geist, wenn ich mit dir rede, eine ihm sonst unbekannte Verwirrung fühlt. Mein Herz zerfließt, wenn ich dich sehe. Seitdem dich ein Gott in diese Insel führte, begleitet und entzückt mich dein Bild Tag und Nacht.
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Der zärtliche Eindruck deiner geringsten Reden, wird immer in mir neu, und scheint in mir zu leben. Gestern seufzete ich deiner langen Abwesenheit wegen, als Dorival erschien. — — Ach welcher Unterschied! Ich empfinde das nicht für ihn, was ich für dich empfinde. — — In was für ein Gift würde sich meine Liebe verwandeln, wenn Zamor nicht so sehr liebte, als er geliebet wird.
[] Der vierte Gesang fängt mit der Beschreibung des Nachttisches an. Bey diesem sich einzufinden, doch erst alsdann, wann das Frauenzimmer die Reitze des Gesichts in Ordnung gebracht hat, ist die Pflicht eines Liebhabers. Der Nachttisch ist ein Tempel, der niemals ohne Dienst seyn muß; ein Madrigal, eine Sinnschrift, ein Lied, ein Sonnet sind die Lobgesänge, welche die Gottheit der Liebe daselbst preisen. Dieses führt den Dichter auf die Macht der Poesie, auf ihren Ursprung, auf ihre Reize, auf ihre Vorrechte. — — [] Weihet, Verliebte, dieser bezaubernden Kunst einige Augenblicke, mehr euch beliebt zu machen, als in die Klasse der Schriftsteller zu kommen. Sie weiß den Eingang in das unwirthbarste Herz zu finden. Nicht Löwen, Felsen, Sturmwinde hat man mehr durch sie zu erweichen, sondern allein die Strenge des Herzens. — — Von der Poesie kömt er auf die Vortheile des Schmauses, den Mittelpunkt der Aufrichtigkeit. Der Schmaus bietet die zärtlichsten Geständnisse dar, und berechtiget sie; wie sehr hilft er der Liebe, wann zumal Musick und Tanz ihn begleiten, diese Kinder der Zärtlichkeit. — — Auch das Spiel ist für Liebhaber. Die Munterkeit hat den Vorsitz, bey diesem lachenden Streite, den das Schicksalentscheidet. Der Verdruß, die lange Weile werden auf Flügeln der Zeit davon geschickt. Jeder Augenblick bekömt eine neue Gestalt. Das Glück flattert herum, es drohet, es lacht; die Hofnung strahlet und verschwindet; das Gold wächset und vertrocknet. Doch wollt ihr den Augen derjenigen gefallen, welche euer Herz beherrscht, so fliehet den Ruff eines Spielers von Profeßion. Das Herz wird getheilt, eure Geliebte aber will es ganz besitzen. Hier zeigt der Dichter, wie weit sich ein vernünftiger Liebhaber in das Spiel einlassen müsse. Nie muß die Geliebte darunter verliehren, die man beständig zu sehen, sich zu einer süssen Gewohnheit machen muß. Diese allein entscheidet; man wird sich wesentlich, und endlich sind es zwey Körper welche eine Seele belebt. Doch muß man deswegen nicht den andern Umgang fliehen, und aus Liebe ein Menschen-feind werden. Man muß fortfahren seine Freunde zu besuchen und sie zu schätzen. Hier schildert der Dichter das Lob der Freundschaft. Das geheime Vergnügen einer zärtlichen Verbindung theile euern Tagen neue Anmuth mit. Bringet der Welt eine geschmeidige Biegsamkeit davon her, und verbindet euch die Gemüther durch einen willigen Um gang. Besonders erwerbt euch den Schatz eines weisen Freundes, an dessen Werth weder Ehre noch Gold kömmt. Er ist eine Quelle von Tugenden, die euch nützlich sind; er ist eine leuchtende Fackel auf den dunkelsten Wegen; nach der Liebe ist er das kostbarste Geschenke des Himmels. Bey ihm leget alle Geheimnisse eurer Seele nieder, nur nicht die Geheimnisse eurer Liebe. Die Verschwiegenheit ist eine der vornehmstenTugenden eines ehrlichen Mannes, und der Dichter glaubt, daß sie besonders den Franzosen einzuschärfen sey. Ein Vertrauter wird oft zum Mitbuhler, welches er durch das Beyspiel Heinrichs des IVten, des Ritters von Bellegarde und der Gabrielle Destrees erläutert. [] Fünfter Gesang. Ein geheimer verliebter Umgang hat seine Reize; doch weit mehr Vergnügen geniessen Verliebte, die sich für den Augen der Welt lieben. Dazu zu gelangen, muß man sich einen freyen Zutritt bey seiner Geliebten zu verschaffen suchen, unter dem Titel eines Freundes; man muß die Charaktere derjenigen zu erforschen suchen, die um ihr sind, und von welchen sie in etwas abhanget. Hierunter gehören vornemlich die Vormünde. [] Predigt er, in einen Lehnsessel gekrümmt, schwach und kolsternd, voller Galle gegen die jetzige Zeit, wider die Jugend und ihre ausserordentliche Verschwendung? Setzt er seine Ehre und sein höchstes Gut in das Gold, in welchem er schwimmt ohne es zu geniessen? So rühmt seinen jetzigen und zukünftigen Reichthum, und heimlich beklagt seine wirkliche Armuth. Oft bestimmt so ein Wütherich den Gegenstand unserer Liebe dem Kloster, diesen dem ewigen Verdruß gewidmeten Mauern, den Gräbern, welche eine rasende Schwärmerey gehölet hat, welche die Reue, der Irrthum, die Tyranney bewohnen. Doch dieser Aufenthalt ersticket die Heftigkeit der Leidenschaft nicht, und die Beständigkeit des Liebhabers erlangt ihren Zweck. — — Bey vielen, weil sie allzugewiß sind; daß sie geliebet werden, erkaltet die Liebe. Der zuversichtliche Medor verläßt sich auf seinen Sieg und wenig bewegt von der Unruhe seiner Geliebten, betrachtet er mit einem heutern Auge sein Glück. Als ein ruhiger Beherrscher eines ihm unterthanen Herzen
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trotzt er ihrem Argwohne, und lacht über ihre Beängstigung. Er höret ihre Klagen nicht, er sieht ihre Thränen nicht. Bey ihr ist er abwesend; und redet sie mit ihm, so ist er zerstreut; er betrachtet einen Ring oder ein Bild, er ruft seinen Hund, er spricht mit ihm und streuchelt ihn. Aus seiner umwölkten Stirne leuchtet eine stolze Verachtung; und wenn die Geliebte ganz Feuer ist, so ist er ganz Eis.
— — Doch muß man auch nicht seine Liebe durch Ausschweifungen der Eifersucht zu beweisen suchen; wohl aber kann man sich auf kurze Zeit entfernen, um die Beständigkeit der Geliebten auf die Probe zu stellen. Eine allzulange Abwesenheit ist das traurigste Unglück für Verliebte. Es zu lindern schencke man sein Bildniß der Geliebten, und suche das ihre dafür zu erhalten. Die Liebe so wohl als die Freundschaft erlaubt den Gebrauch der Geschencke; diese aber müssen gewehlt seyn, und man muß mehr die Empfindlichkeit der Schönheit als ihr Glück dabey zu Rathe ziehen. Erhält man zum Gegengeschencke ein von ihren Haaren geflochtenes Armband; welches kostbare Pfand der zärtlichsten Liebe! Das sicherste Mittel ohne Nebenbuhler geliebt zu werden, ist eine gleiche ungetheilte Liebe gegen die, von welcher man dieses Glück begehrt. Hier haben beyde Geschlechter gleiches Recht; und dieses so wohl als jenes kann sich über die Untreue des andern beklagen. Wie schädlich aber ist dabey eine stürmende Eyfersucht! Nimmermehr wird diese ein Herz wieder zurück bringen, welches nur durch Gefälligkeit und Anmuth von neuen gewonnen wird. Diesen Satz erläutert der Dichter durch das Exempel des ersten Franciscus Königs von Frankreich und der zwey Herzoginnen von Etampe und von Valentinois. [] In dem letzten Gesange nahet sich der Dichter dem glücklichen Zeitpunkte, da die Liebe gekrönt wird. Er beschreibt die Besorgniß der Geliebten durch einen völligen Genuß ihren Liebhaber allzusehr zu sättigen, und in der That sind diese Gunstbezeigungen oft die Mörder einer Leidenschaft, die die wohlgegründeste zu seyn schien; weil sie meistentheils die Mängel auf beyden Theilen entdecken. Hier hat also der Liebhaber seine ganze Kunst anzuwenden, jene Besorgniß zu zerstreuen, und sein gutes Glücke mit Behutsamkeit weiter zu treiben. Lobt er seine Gebieterin, so muß dieses Lob fein angebracht seyn. [] Lobet mit Anmuth, und lobet mit Genauigkeit. Man wird unhöflich, durch allzuviel Höflichkeit. Legt ihr keine Reize bey, von denen sie, Danck sey ihrem Spiegel, weiß daß
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sie sie nicht hat. Bey der blassen Fanny lobet nicht die blühenden Rosen; leihet ihr Schönheiten, allein ohne die Sache zu übertreiben. Ein übertriebenes Lob ist unschmackhaft, und man lacht drüber. Oft, euch zu erforschen, lobt sie Reize an andern, die ihr der Himmel nicht beygelegt hat: Wie lebhaft ist Iris! wie schöne ist Dorinde! Dieses ist ein heimlicher Fallstrick, den euch ihre Furcht leget. Sagt also, daß ihre Reize nichts rührendes haben, und treibt die List so gar, bis sie zu verachten. Das Lob einer jeden andern hat das Ansehen einer Critick.
— — Den Unvollkommenheiten der geliebten Person muß man vortheilhafte Namen geben. Hiezu hilft die Gewohnheit nicht wenig, welche oft die Augen so verblendet, daß sie wirkliche Fehler für Schönheiten ansehen. — — Doch wie eigensinnig, wie wunderlich ist das Gemüth eines Frauenzimmers! Wie oft wenn man sich ihrem Besitze am nächsten geglaubt hat, sieht man sich am entferntesten davon! Diesen kleinen Wiederwärtigkeiten zu begegnen, dahin zielen die letzten Lehren des Dichters. Man setze dem Eigensinne der Geliebten Gefälligkeiten entgegen. Man bekenne, daß man Unrecht habe; dieses ist allezeit das sicherste Mittel mehr als Vergebung zu erlangen. Verliebte, die sich wieder vertragen, lieben sich allezeit zärtlicher, als sie sich vorher geliebt haben; und wenn ja bey der Geliebten Skrupel übrig blieben; sitzen ja noch Wolken des Mißtrauens auf ihrer Stirne, und leset ihr in ihren Augen, daß ihr unruhiges Herz befürchtet nicht geliebt zu werden; so schwöret ihr, daß eure Seele sie anbete, und wiederholt diesen Schwur hundertmal; benetzt ihre Hände mit Tränen, erhebet ihre Reitze, fallet ihr zu Fusse, rufet den Tod an. Wo ist das grausame Herz das hierdurch nicht sollte gerührt werden? Die Geliebte sucht die Verzweifelung zu stillen, durch längstgewünschte Gunstbezeigungen. Hier kömmt es drauf an, die Zeit sie einzuernten zu beobachten. Oft wird man in den süssesten Augenblicken gestört, und alsdenn muß der Liebhaber sein Spiel zu verstecken wissen. — — Der Dichter hat bisher den Verliebten nur kleine Schreckbilder gewiesen; jetzt aber zeigt er ihnen ein wirkliches. Der geliebte Gegenstand wird krank. Hier hat die Liebe ihre stärkste Probe abzulegen; für die sie aber nur allzusehr belohnt wird, wann die Kranke wieder hergestellet wird. Folgt sie der Stimme des Frühlings, welche sie auf das Land ladet? Folget ihr dahin; da ist es, wo euch die Liebe den schönsten Triumph vorbehält; da untersteht man sich alles, da erhält man alles.
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— — Muse, hier hemme deinen Lauf, und wag es nicht mit einem allzukühnen Blicke in das Heiligthum zu dringen, wo das Opfer erblasset, und die Liebe es betrachtet. Dieses Geheimniß verlangt die tiefste Verschwiegenheit. Laß auf deiner Stirne, Muse, die Anmuth und Schamhaftigkeit verschwistert prangen; fliege in den Himmel zurück; dein Weg ist vollendet. — — Liebe, du lehrest mich deinen Dienst, und deine Geheimnisse, die du in meinen Liedern niedergelegt hast. Deine unsterblichen Myrten umkränzen meinen Frühling, ich sang dein Gesetz der Welt, und hatte noch nicht zwanzig Jahre.Hiermit endet der Dichter seine Kunst zu lieben. Zum Schlusse des Werks findet man noch ein Gedichte über den Tod seiner Zulni, die er in dem ersten Gesange als seine Muse angeruffen hat. Dieses Gedichte ist ungemein zärtlich und vielleicht ist mehr Empfindung darinne, als in allen sechs vorhergehenden Gesängen; wovon wir dem Leser das Urtheil überlassen wollen, da wir ihn gnugsam in den Stand gesetzt haben, es fällen zu können.

1 L'art d'aimer, nouveau poeme en six chants par Mr.****; edition fidele, et complette, enrichie de figures. á Londres, aux depens de la compagnie. MDCCL. en 8.

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