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IV.

Auszug aus dem

Schauspieler

des

Herrn Remond von Sainte Albine.

Jch habe lange Zeit vorgehabt, dieses Werk des Herrn von Sainte Albine zu übersetzen. Doch Gründe, die ich am Ende anführen will, haben mich endlich bewogen, die Uebersetzung in einen Auszug zu verwandeln. Jch werde mich bemühen, ihn so unterrichtend, als möglich, zu machen. Unsre Schrift ist schon im Jahr 1747. zu Paris auf zwanzig Bogen in Octav unter fol gendem Titel ans Licht getreten: Le Comedien. Ouvrage diviſé en deux Parties; par M. Re- mond de Sainte Albine. Jch kann von ihrem Verfasser weiter keine Nachricht geben, als daß er selbst kein Schauspieler ist, sondern ein Ge lehrter, der sich auch um andre Dinge bekümmert, welche die meisten, ohne Zweifel, wichtiger nennen werden. Jch schliesse dieses aus seinem Aufsatze
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ſur le Laminage (vom Blechschlagen) wo von ich bereits die dritte Ausgabe habe angeführt gefunden. Sein Schauspieler ist, wie gleich auf dem Titel gesagt wird, ein Werk, welches aus zwey Theilen besteht. Zu diesen kommt noch eine Vorrede und eine kurze Einleitung. Jn der Vorrede wundert sich der Verfasser, daß noch niemand in Frankreich darauf gefallen sey, ein eigentliches Buch über die Kunst Tra gödien und Komödien vorzustellen, zu verfertigen. Er glaubt, und das mit Recht, seine Nation habe es mehr als irgend eine andre verdient, daß ihr ein philosophischer Kenner ein solches Geschenk mache. — — Was er sonst in der Vorrede sagt, sind Complimente eines Autors, die eines Auszuges nicht wohl fähig sind. Man läßt ih nen nichts, wenn man ihnen die Wendungen nicht lassen will. Die Einleitung fängt mit einer artigen Vergleichung der Mahlerey und Schauspielkunst an. Diese erhält den Vorzug. Umsonst rühmt sich die Mahlerey, daß sie die Leinewand belebe; es kommen aus ihren Händen nichts als unbelebte Werke. Die dramatische Dicht kunst hingegen, giebt den Wesen, welche sie schaft, Gedanken und Empfindungen, ja so gar,
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vermittelst des theatralischen Spiels, Sprache und Bewegung. Die Mahlerey verführt die Augen allein. Die Zauberey der Bühne fes selt die Augen, das Gehör, den Geist und das Herz. Der Mahler stellt die Begebenheiten nur vor. Der Schauspieler läßt sie auf ge wisse Weise noch einmal geschehen. Seine Kunst ist daher eine von denjenigen, welchen es am meisten zukömmt, uns ein vollständiges Ver gnügen zu verschaffen. Bey den übrigen Künsten, welche die Natur nachahmen, muß unsre Einbildungskraft ihrem Unvermögen fast immer nachhelfen. Nur die Kunst des Schau spielers braucht diese Nachhülfe nicht; und wenn ihre Täuscherey unvollkommen ist, so liegt es nicht an ihr, sondern an den Fehlern derjenigen, welche sie ausüben.
— — Hier aus folgert der Verfasser, wie unumgänglich nöthig es sey, daß sich diejenigen, die sich damit abgeben wollen, vorher genau prüfen. Sie müssen untersuchen, ob ihnen nicht diejenigen natürlichen Gaben fehlen, ohne welche sie nicht einmal dem allergemeinsten Zuschauer gefallen können. Besitzen sie diese, so kömmt es darauf an, diejenigen Vollkommenheiten zu erlangen, welche ihnen den Beyfall der Zuschauer von Ge schmack und Einsicht erwerben. Die Natur muß den Schauspieler entwerfen. Die Kunst muß ihn vollends ausbilden.
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Nach diesen zwey Puncten ist das ganze Werk geordnet. Jn dem ersten Theile nehmlich wird von den vorzüglichsten Eigenschaften gere det, welche die Schauspieler von der Natur müs sen bekommen haben. Jn dem zweyten Theile wird von dem gehandelt, was sie von der Kunst erborgen müssen. Der erste Theil sondert sich wiederum in zwey Bücher ab. Das erste Buch macht verschiedne Anmerkungen über die natürlichen Gaben, welche allen Schauspielern überhaupt unentbehrlich sind. Das zweyte Buch betrach tet diejenigen natürlichen Gaben, welche zu dieser oder jener Rolle insbesondere erfordert werden. Wir wollen das erste Buch näher zu be trachten anfangen. Es besteht aus vier Haupt stücken und zwey angehängten Betrachtungen. Gleich das erste Hauptstück untersucht, ob es wahr sey, daß es vortreflichen Schau spielern an Witze gefehlt habe? Man glaubt zwar fast durchgängig, daß man sich auch ohne Witz auf der Bühne Ruhm erwerben könne; allein man irrt gewaltig. Kann ein Schau spieler wohl in seiner Kunst vortreflich seyn, wenn er nicht, in allen verschiednen Stellungen mit ei nem geschwinden und sichern Blicke dasjenige, was ihm zu thun zukömmt, zu erkennen vermag? Eine feine Empfindung dessen, was sich schickt,
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muß ihn überall leiten. Doch nicht genug, daß er alle Schönheiten seiner Rolle faßt. Er muß die wahre Art, mit welcher jede von die sen Schönheiten auszudrücken ist, unterscheiden. Nicht genug, daß er sich bloß in Affect setzen kann; man verlangt auch, daß er es niemals als zur rechten Zeit, und gleich in demjenigen Grade thue, welchen die Umstände erfordern. Nicht genug, daß sich seine Figur für das Theater schickt, daß sein Gesicht des Ausdrucks fähig ist; wir sind unzufrieden, wenn sein Aus druck nicht beständig und genau mit den Be wegungen zusammen trift, die er uns zeigen soll. Er muß nicht bloß von der Stärke und Feinheit seiner Reden nichts lassen verlohren ge hen; er muß ihnen auch noch alle die Annehm lichkeiten leihen, die ihnen Aussprache und Action geben können. Es ist nicht hinreichend, daß er bloß seinen Verfasser treulich folgt; er muß ihm nachhelfen; er muß ihn unterstützen. Er muß selbst Verfasser werden; er muß nicht bloß alle Feinheiten seiner Rolle ausdrücken; er muß auch neue hinzuthun; er muß nicht bloß ausführen, er muß selbst schaffen. Ein Blick, eine Bewegung ist zuweilen in der Komödie ein sinnreicher Einfall, und in der Tragödie eine Empfindung. Eine Wendung der Stim me, ein Stillschweigen, die man mit Kunst angebracht, haben zuweilen das Glück eines Verses gemacht, der nimmermehr die Aufmerk
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samkeit würde an sich gezogen haben, wenn ihn ein mittelmäßiger Schauspieler, oder eine ge meine Schauspielerin ausgesprochen hätte.
= = Der Witz ist ihnen also eben so unumgänglich nöthig, als der Steuermann dem Schiffe. Eine lange Erfahrung auf der Bühne kann zwar dann und wann den Mangel desselben verbergen, und ein Schauspieler ohne Witz kan andre Gaben in einem hohen Grade haben, und sie oft zufälliger Weise so glücklich anwenden, daß wir ihm Bey fall geben müssen. Doch es währt nicht lange, so erinnert uns wieder ein Mißverstand in dem Tone, in der Bewegung, in dem Ausdrucke des Gesichts, daß wir seiner Organisation, und nicht ihm den Beyfall schuldig sind. — — Sonst hat man noch bemerkt, daß man die tragischen Schauspieler weit öftrer, als die komischen des Mangels am Witze beschuldiget hat. Dieser Unterschied kömmt ohne Zweifel daher, weil das Feine in dem Spiele der letztern von den gemei nen Zuschauern leichter kann erkannt werden, als das Feine in dem tragischen Spiele. Der Witz in der Tragödie muß sich größten Theils, sowohl bey dem Verfasser als bey dem Acteur, unter der Gestalt der Empfindung zeigen, und man hat Mühe ihn unter dieser Verkleidung zu erkennen. Und überhaupt geht man nicht sowohl in die Tragödie seinen Witz, als sein Herz zu brauchen. Man überläßt sich den Be wegungen, die der Schauspieler erweckt, ohne
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zu überlegen, durch welchen Weg er dazu gelangt ist. — — Man muß aber nur hier merken, von was für einem Witze die Rede ist. An dem leichten Witze, welcher nur zur Prahlerey dienet, und uns nur in Kleinigkeiten und unnü tzen Dingen ein Ansehen giebt, kann es ganz wohl grossen Schauspielern gemangelt haben: aber niemals an dem gründlichen Witze, welcher uns das verborgenste an einem Dinge entdeckt, und es uns anzuwenden lehret — — Von dem Witze kommt der Verfasser im zweyten Hauptstücke auf die Empfindung. Er unter sucht, was die Empfindung sey, und ob sie bey dem tragischen Schauspieler wich tiger sey, als bey dem komischen. Unter der Empfindung wird hier nicht bloß die Gabe zu weinen verstanden, sondern dieses Wort hat einen grössern Umfang, und bedeutet bey den Schauspielern die Leichtigkeit in ihren Seelen die verschiedenen Leidenschaften, deren ein Mensch fähig ist, auf einander folgen zu lassen. Aus dieser Erklärung ist das übrige zu entscheiden. Jn den Bezirk des Trauerspiels gehören nur sehr wenig Leidenschaften, Liebe, Haß, Ehrgeitz, welche noch dazu in dem Schrecklichen und Trau rigen alle mit einander übereinkommen. Die Komödie hingegen schließt keine einzige Leiden schaft aus; und diese alle muß der Schauspieler annehmen und von einer auf die andre übersprin gen können. Weil aber die Leidenschaften in
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der Komödie nicht so gewaltsam sind, als in der Tragödie: so muß der komische Schauspieler zwar die Empfindung in einem größern Um fange, der tragische aber in einem männlichern Grade besitzen. — — Mit der Empfindung hat das Feuer einige Verwandtschaft, und von diesem untersucht der Verfasser im dritten Hauptstücke, ob ein Schauspieler dessen zu viel haben könne? Das Feuer besteht nicht in der Heftigkeit der Declamation, oder in der Gewaltsamkeit der Bewegungen, sondern es ist nichts anders als die Geschwindigkeit und Leb haftigkeit, mit welcher alle Theile, die einen Schauspieler ausmachen, zusammen treffen, um seiner Action das Ansehen der Wahrheit zu geben. Jn diesem Verstande nun ist es unmöglich, daß eine spielende Person allzuviel Feuer haben kön ne. Man wird sie zwar mit Recht tadeln, wenn ihre Action mit ihrem Charakter, oder mit der Stellung, in welcher sie sich befindet, nicht überein kömmt, und wenn sie, anstatt Feuer zu zeigen, nichts als convulsivische Ver zückungen sehen, und nichts als ein überlästiges Geschrey hören läßt. Allein alsdenn werden Leute von Geschmack ihr nicht allzuviel Feuer Schuld geben, sondern sie werden sich vielmehr beklagen, daß sie nicht Feuer genug hat; so wie sie, anstatt mit dem Publico bey gewissen Schriftstellern allzuviel Witz zu finden, vielmehr finden, daß es ihnen daran fehlt. Ein Schrift=
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steller leihet zum Exempel in einem Lustspiele dem Bedienten oder dem Mägdchen die Spra che eines witzigen Kopfes; er legt einer Person, welche von einer heftigen Leidenschaft getrieben wird, Madrigale oder Sinnschriften in Mund: und alsdenn sagt man, er habe allzuviel Witz. Genauer zu reden, sollte man vielmehr sagen, er habe nicht Witz genung, die Natur zu er kennen, und sie nachzuahmen. So auch mit dem Schauspieler; kömmt er bey Stellen außer sich, wo er nicht außer sich kommen soll, so ist dieses unnatürlich. Allein er verfällt in diesen Fehler nicht aus Ueberfluß, sondern aus Man gel der Hitze. Er empfindet alsdenn nicht das, was er empfinden sollte; und drückt das nicht aus, was er ausdrücken sollte. Es ist daher kein Feuer, was wir bey ihm gewahr werden, sondern es ist Ungeschicklichkeit; es ist Unsinn
— — Aus diesem wird man leicht urtheilen können, ob ein Schauspieler des Feuers ganz und gar überhoben seyn könne. Unmög lich; wenn man anders das, was wir angeführt haben, und nicht die blosse äußerliche Heftigkeit in der Stimme und in den Bewegungen dar unter versteht — — Bis hierher hat der Ver fasser die innerlichen natürlichen Gaben betrach tet, nur kömmt er auf die äußerlichen, und unter sucht in dem vierten Hauptstücke, ob es vortheilhaft seyn würde, wenn alle Per sonen auf dem Theater von ausnehmen=
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der Gestalt wären? „Gewisse Zuschauer, welche das sinnliche Vergnügen dem geistigen vorziehen, werden mehr durch die Schauspie lerinnen, als durch die Stücke vor die Bühne gelockt. Als Leute, die nur gegen die Gestalt empfindlich und immer geneigt sind, ein liebens würdiges Gesicht für Talente anzunehmen, wollten sie lieber gar, daß auch die alte Mutter des Orgons im Tartüff, die Madam Pernelle, reitzend wäre. — — Doch diese Herren verstehen den Vortheil der Zuschauer sehr schlecht, und noch schlechter verstehen sie das, was die Einrichtung der Komödie selbst erfor dert. Den erstern verstehen sie deswegen nicht, weil, wenn es wahr wäre, daß nur ausnehmend schöne Gestalten auf dem Theater erscheinen dürften, das Publicum nicht selten die vortref lichsten Schauspieler entbehren würde, denen es sonst an keiner Art von Geschicklichkeit mangelt. Noch schlechter, wie gesagt, verstehen sie das, was die Einrichtung der Komödie erfordert, nach welcher die äusserlichen Vollkommenheiten unter die Acteurs nicht gleich vertheilt seyn müssen, ja nach welcher es so gar oft gut ist, wenn ge wisse Acteurs einige von diesen Vollkommenhei ten ganz und gar nicht besitzen. Regelmäßige Gesichtszüge, ein edles Ansehen nehmen uns freylich überhaupt für eine Person auf dem Thea ter ein; allein es giebt Rollen, welche ihr weit besser anstehen, wenn ihr die Natur diese Vor
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züge nicht ertheilt hat. Jch weis wohl, daß man, ohne von dem Mangel der Wahrschein lichkeit beleidiget zu werden, ja daß man sogar mit Vergnügen eine junge Schöne die Person einer Alten, und einen liebenswürdigen Schau spieler einen groben und tölpischen Bauer vor stellen sieht. Jch weis wohl, daß wir nicht in die Komödie gehen, die Gegenstände selbst, sondern blos ihre Nachahmung zu sehen = = Gleichwohl aber muß man doch unter den Gat tungen der komischen Rollen einen Unterschied machen. Einige ergötzen uns durch die blosse Nachahmung gewisser lächerlichen Fehler. Andre aber ergötzen uns durch die Abste chung, die sich entweder zwischen dem Vor geben der Person und den Beweisen, auf welche sie dasselbe gründet, oder zwischen dem Ein drucke befindet, den sie bey denjenigen Perso nen, die mit ihr spielen, machen sollte, und zwischen dem Eindrucke, welchen sie wirklich bey ihnen macht. Je mehr ein Schauspieler, in den Rollen von der ersten Art, die Vollkom menheiten hat, die den Fehlern, welche er nach ahmt, entgegen gesetzt sind; desto mehr wissen wir es ihm Dank, wenn er uns gleichwohl ei ne vollkommene Abschilderung von diesen Feh lern macht. Je weniger aber, in den Rollen von der zweyten Art, ein Schauspiel die Voll kommenheiten hat, welche die Person, die er vorstellt, haben will, oder welche ihm die an
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dern ausschweifenden Personen des Stücks bey legen, desto lächerlicher macht er die närrische Einbildung des einen und das abgeschmackte Urtheil der andern, und desto komischer folglich wird seine ganze Action. Die Rolle eines Men schen, der nach der Meinung des Verfassers, mit aller Gewalt den Titel eines Schönen ha ben will, wird weit weniger belacht werden, wenn sie von einem Komödianten gespielt wird, der sich dieses Titels in der That anmaaßen könnte, als wenn sie einer vorstellt, der der Natur in diesem Stücke weniger zu danken hat. Der Jrrthum eines albernen Tropps, welcher einen Bedienten für einen Menschen von Stande ansieht, wird uns weniger ergö tzen, wenn das gute Ansehen des Bedienten den Jrrthum entschuldigen kann, als wenn er ganz und gar nichts an sich hat, das ihn recht fertigen könnte. Weit gefehlt also, daß es gut seyn sollte, wenn alle Schauspieler von rei zender und ausnehmender Gestalt wären; es ist vielmehr unserm Vergnügen zuträglicher, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet sind. Unterdessen aber muß man diese Maxime nicht allzuweit ausdehnen. Wir erlauben ihnen zwar, gewisse Vollkommenheiten nicht zu ha ben; aber die gegenseitigen Fehler zu besitzen, verstatten wir ihnen durchaus nicht. Sie müs sen so gar völlig von gewissen Mängeln frey seyn, die uns bey andern Personen, die sich
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dem Schauspiele nicht widmen, wenig oder gar nicht anstößig seyn würden. Dergleichen sind, zu lange oder kurze Arme, ein zu großer Mund, übelgestaltene Füße et cetera„ = = Zu diesen vier Hauptstücken fügt der Verfasser noch zwey An merkungen, die mit dem Jnhalte des ersten Buchs genau verbunden sind. Die erste ist diese: Die Schauspieler können in den Neben rollen, des Witzes, des Feuers und der Empfindung eben so wenig entübrigt seyn, als in den Hauptrollen. Die Ur sache ist, weil in guten Stücken auch die Neben rollen, nicht etwa zum Ausflicken da sind, son dern einen Einfluß in das Ganze haben, und sich oft eben so thätig erweisen, als die allervor nehmsten Personen. Die Vertrauten, zum Exempel, in den Trauerspielen, habe oft so vor trefliche Stellen, besonders in den Erzehlungen, die ihnen meisten Theils aufgetragen werden, zu sagen, daß sie ohne Witz, ohne Feuer und ohne Empfindung gewiß alles verderben wür den. Die zweyte Anmerkung ist diese: Wenn man auch schon die vornehmsten Vollkommenheiten hat, die zu einem Schauspieler erfordert werden, so muß man doch in einem gewissen Alter zu spielen aufhören. Denn in den Schauspie len beleidiget uns unumgänglich alles dasjenige, was uns Gelegenheit giebt, die Schwachheiten der menschlichen Natur zu überlegen, und auf
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uns selbst verdrüßliche Blicke zurück zu werfen. Es werden hier bloß diejenigen Rollen ausge nommen, deren Lächerliches durch das wahre Alter des Schauspielers vermehrt wird, zum Exempel, die Rollen der Alten, die mit aller Gewalt noch jung seyn wollen; auch muß man gegen Acteurs von ausserordentlichen Gaben ei nige Nachsicht haben; nur werden diese als dann so billig seyn, wenn es in ihrer Gewalt stehet, keine andre als solche Rollen zu wählen, welche mit ihrem Alter nicht allzusehr abstechen. Frankreich hat es selbst seinem Baron nicht ver geben, daß er noch in seinen letzten Jahren so gern junge Prinzen verstellte. Es konnte es durch aus nicht gewohnt werden, ihn von Schauspie lerinnen Sohn nennen zu hören, deren Großva ter er hätte seyn können. Jn dem zweyten Buche des ersten Theils handelt der Verfasser von einigen Vorzügen, welche gewisse Schauspieler insbesondere haben müssen. Diese Schauspieler sind erstlich die jenigen, welche man in der Komödie Vorzugs weise, die komischen nennt; zweytens diejeni gen, welche sich in der Tragödie durch ihre Tu genden unsere Bewunderung, und durch ihre Unglücksfälle unser Mitleiden erwerben sollen; und drittens diejenigen, welche so wohl in der Tragödie als Komödie die Rollen der Liebhaber vorstellen. Alle diese haben gewisse besondere Gaben nöthig, welches Theils innerliche, Theils
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äußerliche sind. Dieser Eintheilung gemäß macht der Verfasser in diesem zweyten Buche zwey Abschnitte, deren erster die innerlichen, und der zweyte die äußerlichen Gaben untersucht. Wir wollen uns zu dem ersten Abschnitte wenden, welcher aus fünf Hauptstücken besteht. Jn dem ersten Hauptstücke zeigt er, daß die Munterkeit denjenigen Schauspie lern, welche uns zum lachen bewegen sollen, unumgänglich nöthig sey. Wenn man, sind seine Worte, eine komische Person vorstellt, ohne selbst Vergnügen daran zu ha ben, so hat man das bloße Ansehen eines ge dungenen Menschen, welcher nur deswegen Komödiant ist, weil er sich seinen Lebensunter halt auf keine andre Art verschaffen kann. Theilt man aber das Vergnügen mit dem Zu schauer, so kann man sich allezeit gewiß verspre chen, zu gefallen. Die Munterkeit ist der wahre Apollo der komischen Schauspieler. Wenn sie aufgeräumt sind, so werden sie fast immer Feuer und Genie haben. = = Es ist aber hierbey wohl zu merken, daß man diese Munterkeit mehr in ihrem Spiele als auf ihren Gesichtern zu bemerken verlangt. Man giebt tragischen Schauspielen die Regel: weinet wenn ihr wollt, daß ich weinen soll; und den komischen Schauspielern sollte man die Regel geben: Lachet fast niemals, wenn ihr wollt, daß ich lachen soll. = = Das
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zweyte Hauptstück zeigt, daß derjenige, welcher keine erhabneSeele habe, einen Helden schlecht vorstelle. Unter dieser er habnen Seele muß man nicht die Narrheit ge wisser tragischen Schauspieler verstehen, welche auch außer dem Theater noch immer Prinzen zu seyn sich einbilden. Auch nicht das Vorurtheil einiger von ihnen, welche große Acteurs den al lergrößten Männern gleich schätzen, und lieber gar behaupten möchten, es sey leichter ein Held zu seyn, als einen Helden gut vorzustellen. Die Hoheit der Seele, von welcher hier geredet wird, besteht in einem edeln Enthusiasmo, der von al lem was groß ist in der Seele gewirkt wird. Dieser ist es, welcher die vortreflichen tragischen Schauspieler von den mittelmäßigen unterschei det, und sie in den Stand setzt, das Herz des gemeinsten Zuschauers mit Bewegungen zu er füllen, die er sich selbst nicht zugetrauet hätte = = Mit diesem Enthusiasmo, welcher für dieje nige Person gehöret, die Bewunderung erwe cken soll, muß derjenige Theil der Empfin dung verbunden werden, welchen die Franzo sen unter dem Namen des Eingeweides (d'Entrailles) verstehen, wenn eben dieselbe Per son unser Mitleiden erregen will. Hier von han delt das dritte Hauptstück. „Wollen die tragischen Schauspieler, sagt der Verfasser, uns täuschen; so müssen sie sich selbst täuschen. Sie müssen sich einbilden, daß sie wirklich das
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sind, was sie vorstellen; eine glückliche Rase rey muß sie überreden, daß sie selbst diejenigen sind, die man verräth, die man verfolgt. Dieser Jrrthum muß aus ihrer Vorstellung in ihr Herz übergehen, und oft muß ein eingebil detes Unglück ihnen wahrhafte Thränen aus pressen. Alsdann sehen wir in ihnen nicht mehr frostige Komödianten, welche uns durch ge lernte Töne und Bewegungen für eingebildete Begebenheiten einnehmen wollen. Sie wer den zu unumschränkten Gebiethern über unsre Seelen; sie werden zu Zaubrern, die das un empfindlichste empfindlich machen können = = Und dieses alles durch die Gewalt der Traurig keit, welche Leidenschaft eine Art von epidemi scher Krankheit zu seyn scheinet, deren Aus breitung eben so schnell als erstaunlich ist. Sie ist von den übrigen Krankheiten darinne unter schieden, daß sie sich durch die Augen und durch das Gehör mittheilet; wir brauchen eine mit Grund wahrhaft betrübte Person nur zu sehen, um uns zugleich mit ihr zu betrüben. Der Anblick der andern Leidenschaften ist so an steckend nicht. Es kann sich ein Mensch in unsrer Gegenwart dem allerheftigsten Zorne über lassen; wir bleiben gleichwohl in der vollkom mensten Ruhe. Ein andrer wird von der leb haftesten Freude entzückt, wir aber legen unsern Ernst deswegen nicht ab. Nur die Thränen, wenn es auch schon Thränen einer Person sind,
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die uns gleichgültig ist, haben fast immer das Vorrecht uns zu rühren. Da wir uns zur Mühe und zum Leiden gebohren wissen, so lesen wir voll Traurigkeit unsere Bestimmung in dem Schicksale der Unglücklichen, und ihre Zufälle sind für uns ein Spiegel, in welchem wir mit Verdruß das mit unserm Stande verknüpfte Elend betrachten. = = Dieses bringt den Ver fasser auf eine kleine Ausschweifung, welche viel zu artig ist, als daß ich sie hier übergehen soll te. = = Es ist nicht schwer, spricht er, von unsrer Leichtigkeit uns zu betrüben einen Grund anzugeben. Allein desto schwerer ist es die Natur desjenigen Vergnügens eigentlich zu bestimmen, welches wir, bey Anhörung einer Tragödie, aus dieser Empfindung ziehen. Daß man in der Absicht vor die Bühne geht, diejenigen Eindrücke, welche uns fehlen, daselbst zu borgen, oder uns von denjenigen, die uns mißfallen, zu zerstreuen, darüber wundert man sich gar nicht. Das aber, worüber man er staunt, ist dieses, daß wir oft durch die Be gierde Thränen zu vergießen dahin geführt werden. Unterdessen kann man doch von die ser wunderlichen Neigung verschiedne Ursachen angeben, und die Schwierigkeit dabey ist bloß, die allgemeinste davon zu bestimmen. Wenn ich gesagt habe, daß das Unglück andrer ein Spiegel für uns sey, in welchem wir das Schicksal, zu dem wir verurtheilet sind,
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betrachten, so hätte ich einen Unterscheid dabey machen können. Dieser Unterschied kann hier seine Stelle finden, und er wird uns eine von den Quellen desjenigen Vergnügens, dessen Ursprung wir suchen, entdecken. Der Anblick eines fremden Elends ist für uns schmerzlich, wenn es nehmlich ein solches Elend ist, dem wir gleichfalls ausgesetzt sind. Er wird aber zu eine Tröstung, wenn wir das Elend nicht zu fürchten haben, dessen Abschilderung er uns vorlegt. Wir bekommen eine Art von Erleich terung, wenn wir sehen, daß man in demjeni gen Stande, welchen wir beneiden, oft grau samen Martern ausgesetzt sey, für die uns un sre Mittelmäßigkeit in Sicherheit stellet. Wir ertragen alsdenn unser Uebel nicht nur mit we niger Ungeduld, sondern wir wünschen uns auch Glück, daß wir nicht so elend sind, als wir uns zu seyn eingebildet haben. Doch da her, daß uns fremde Unglücksfälle, welche grös ser als die unsrigen sind, unsrer geringen Glücks umstände wegen trösten, würde noch nicht fol gen, daß wir in der Betrübniß über diese Un glücksfälle ein Vergnügen finden müßten, wenn unsre Eigenliebe, indem sie ihnen diesen Tribut bezahlt, nicht dabey ihre Rechnung fände. Denn die Helden, welche durch ihr Unglück berühmt sind, sind es zugleich auch durch aus serordentliche Eigenschaften. Je mehr uns ihr Schicksal rührt, desto deutlicher zeigen wir,
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daß wir den Werth ihrer Tugenden kennen, und der Ruhm, daß wir die Größe gehörig zu schätzen wissen, schmeichelt unserm Stolze. Ubrigens ist die Empfindlichkeit, wenn sie von der Unterscheidungskraft geleitet wird, schon selbst eine Tugend. Man setzt sich in die Klas se edler Seelen, indem man durchlauchten Un glücklichen das schuldige Mitleiden nicht ver saget. Auf der Bühne besonders läßt man sich um so viel leichter für vornehme Personen erweichen, weil man weis, daß diese Empfin dung durch die allzulange Dauer uns nicht überlästig fallen, sondern eine glückliche Ver änderung gar bald ihrem Unglücke, und unsrer Betrübniß ein Ende machen werde. Werden wir aber in dieser Erwartung betrogen, und wer den diese Helden zu Opfern eines ungerechten und barbarischen Schicksals; so werfen wir uns alsdann zwischen ihnen und ihren Feinden zu Richtern auf. Es scheint uns sogar, wenn wir die Wahl hätten, entweder wie die einen umzukommen, oder wie die andern zu trium phiren, daß wir nicht einen Augenblick in Zwei fel stehen würden, und dieses macht uns in un sern Augen desto größer. Vielleicht würde die Un tersuchung, welche von diesen Ursachen den mei sten Einfluß in das Vergnügen habe, mit dem wir in einem Trauerspiele weinen, ganz und gar vergebens seyn. Vielleicht wird jede von den selben nach Beschaffenheit derjenigen Seele
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auf welche sie wirken, bald die vornehmste, bald die geringste= = = Wir kommen von dieser Ausschweifung wieder auf den geraden Weg. Das vierte Hauptstück beweiset, daß nur diejenigen Personen allein, welche ge bohren sind zu lieben, das Vorrecht haben sollten, verliebte Rollen zu spie len. Eine gewisse Sängerin, erzehlt der Ver fasser, stellte in einer neuen Oper eine Prin zeßin vor, die gegen ihren Ungetreuen in einem heftigen Feuer ist; allein sie brachte diejenige Zärtlichkeit, welche ihre Rolle erforderte, gar nicht hinein. Eine von ihren Gesellschafterin nen, die der Ursachen ungeachtet, warum zwey Personen von einerley Profeßion und von ei nerley Geschlecht einander nicht zu lieben pflegen, ihre Freundin war, hätte gar zu gerne gewollt, daß sie diese Rolle mit Beyfall spielen möchte. Sie gab ihr daher verschiedene Lehren, aber diese Lehren blieben ohne Wir kung. Endlich sagte die Lehrerin einmal zu ihrer Schülerin: Jst denn das, was ich von ihnen verlange, so schwer? Se tzen sie sich doch an die Stelle der ver rathenen Geliebte! Wenn sie von ei nem Menschen, den sie zärtlich lieb ten, verlassen würden, würden sie nicht von einem lebhaften Schmerze durchdrungen seyn? Würden sie nicht suchen — — ;Jch?; antwortete die Ac
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trice, an die dieses gerichtet war; ;ich würde auf das schleunigste, einen andern Lieb haber zu bekommen suchen. Ja, wenn das ist, antwortete ihre Freundin, so ist ih re und meine Mühe vergebens. Jch werde sie ihre Rolle nimmermehr ge hörig spielen lehren. Diese Folge war sehr richtig; denn eine wahre Zärtlichkeit auszu drücken, dazu ist alle Kunst nicht hinlänglich. Man mag sich auch noch so sehr bestreben, das unschuldige und rührenden Wesen derselben zu er reichen; es wird doch noch immer von der Na tur eben so weit unterschieden seyn, als es die frostigen Liebkosungen einer Buhlerinn, von den affektvollen Blicken einer aufrichtigen Liebhabe rin sind. Man stellt alle übrige Leidenschaften unvollkommen vor, wenn man sich ihren Bewe gungen nicht überläßt, aber wenigstens stellt man sie doch unvollkommen vor. Man ahmet mit kaltem Blute den Ton eines Zornigen schlecht nach, allein man kann doch wenigstens einige von den andern äusserlichen Zeichen, durch wel che er sich an den Tag legt, entlehnen; und wenn man in verschiedenen Rollen schon nicht die Oh ren betriegt, so betriegt man doch wenigstens die Augen. Jn den zärtlichen Rollen aber kann man eben so wenig die Augen, als die Ohren be triegen, wenn man nicht von der Natur eine zur Liebe gemachte Seele bekommen hat. — — Will man, fährt der Verfasser fort, die Ursache wis
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sen, warum man zwar die Larve der andern Lei denschaften borgen, die Entzückungen der Zärt lichkeit aber nur auf eine sehr ungetreue Art nach bilden kann, wenn man nicht selbst liebt, oder wohl gar zu lieben nicht fähig ist, so will ich es wa gen eine Vermuthung hierüber vorzutragen. Die übrigen Leidenschaften mahlen sich blos da durch auf dem Gesichte, daß sie in den Zügen eine gewisse Art von Veränderung verursachen; die Zärtlichkeit hingegen hat, so wie die Freu de, das Vorrecht, der Gesichtsbildung neue Schönheiten zu geben und ihre Fehler zu verbes sern. Daher also, daß man uns von gewissen Leidenschaften ein unvollkommenes Bild vorstel len kann, ohne von ihnen selbst beherrscht zu werden, folgt noch nicht, daß man auch die sanfte Drunkenheit der Liebe auch nur unvoll kommen nachahmen könne, ohne sie selbst zu fühlen.
— — Aus allem diesen zieht der Verfasser in dem fünften Hauptstücke die Folgerung, daß man sich nicht mehr mit diesen Rollen abgeben müsse, wenn man nicht mehr in dem glücklichen Alter zu lieben sey. Die Wahrheit dieser Folgerung fällt zu deutlich in die Augen, als daß es nöthig wär, seine Gründe anzuführen, die ohnedem auf das vorige hinaus lauffen. — — Wir kommen vielmehr sogleich auf den zweyten Abschnitt dieses zweyten Buchs, worinn, wie schon gesagt, die äusserli chen Gaben abgehandelt werden, welche zu gewis
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sen Rollen insbesondere nöthig sind. Es ge schieht dieses in vier Hauptstücken, wovon das erste die Stimme angeht, und zeiget, daß ei ne Stimme, welche in gewissen Rollen hinlänglich ist, in andern Rollen, wel che uns einnehmen sollen, es nicht sey. Bey komischen Schauspielern ist es fast genug, wenn wir ihnen nur alles, was sie sagen sollen, hinlänglich verstehen können, und wir können ihnen eine mittelmäßige Stimme gar gern über sehen. Der tragische Schauspieler hingegen muß eine starke, majestätische und pathetische Stimme haben; der, welcher in der Komödie Personen von Stande vorstellt, eine edle; der, welcher den Liebhaber macht, eine angenehme, und die, welche die Liebhaberin spielt, eine bezaubernde. Von der letztern besonders verlanget man dieje nigen überredenden Töne, mit welchen eine Schö ne aus dem Zuschauer, alles was sie will, ma chen und von ihrem Liebhaber, alles was sie be gehrt, erlangen kann. Eine reitzende Stimme kann anstatt vieler andern Vorzüge seyn. Bey mehr als einer Gelegenheit hat die Verführung der Ohren über das Zeugniß der Augen gesiegt, und eine Person, der wir unsere Huldigung ver weigerten, wenn wir sie blos sahen, hat sie voll kommen zu verdienen geschienen, wenn wir sie ge höret haben — — Von der Stimme kommt der Verfasser auf die Gestalt und zeigt in dem zweyten Hauptstücke, daß die Liebhaber
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in der Komödie eine liebenswürdige, und die Helden in der Tragödie ei ne ansehnliche Gestalt haben müssen. Weil es wahrscheinlich ist, daß die erhabenen Gesinnungen einer Prinzeßin sie bewegen kön nen, bey einem Helden die nicht allzu regelmäs sige Bildung seines Gesichts in Ansehung seiner übrigen grossen Eigenschaften, zu vergessen: so ist es eben nicht so unumgänglich nöthig, daß der Liebhaber in der Tragödie von einer durchaus reitzenden Gestalt sey, wenn seine Rolle sich nur ungefehr zu seinem Alter schikt. Jn der Komö die aber pflegen wir strenger zu seyn. Weil diese uns in den Gesinnungen und Handlungen ihrer Personen nichts als das Gemeine zeigt, so bilden wir uns ihre Helden auch von keinen so ausnehmenden Verdiensten ein, daß sie über das Herz siegen könnten, ohne die Augen zu reitzen, und ihre Heldinnen stellen wir uns nicht so gar zärtlich vor, daß sie bey dem Geschencke ihres Her zens nicht ihre Augen zu Rathe ziehen sollten. Die Gestalt des Liebhabers muß die Zärtlichkeit derjenigen, von welcher er geliebet wird, rechtfer tigen; und die Liebhaberin muß uns ihre Liebe nicht blos mit lebendigen Farben abschildern, son dern wir müssen sie auch nicht für unwahrschein lich halten, noch ihren schlechten Geschmak dabey tadeln können. Man wirft zwar ein, daß man im gemeinen Leben oft genug eine Schöne nach einen gar nicht liebenswürdigen Menschen seuf
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zen sehe, und daß uns daher ein klein wenig Ueberlegung gleiche Ereignungen auf dem Thea ter erträglich machen könne. Hierauf aber ist zu antworten, daß man in der Komödie das Vergnügen durchaus nicht von der Ueberlegung will abhangen lassen. Bey den Liebhaberinnen ist diese Bedingung noch nothwendiger, als bey den Liebhabern. Es ist zwar nicht eigentlich Schönheit, was sie besitzen müssen; sondern es ist etwas, was noch mehr als Schönheit ist, und welches noch allgemeiner und noch mächtiger auf die Herzen wirkt; es ist ein ich weis nicht was, wodurch ein Frauenzimmer reitzend wird, und ohne welches sie nur umsonst schön ist; es ist eine gewisse siegende Anmuth, welche eben so gewiß allezeit rührt, als es gewiß ist, daß sie sich nicht beschreiben läßt. — — Gleiche Bewandniß hat es auch mit denjenigen Personen, welchen der Verfasser in Ansehung ihres Standes und ihrer Gesinnungen über das Gemeine hinaus setzt; ihre äusserliche Gestalt muß ihre Rolle nicht er niedrigen. Obgleich die Natur ihre Gaben nicht allezeit dem Glanze der Geburth gemäß einrichtet, und obgleich oft mit einer sehr schlech ten Physiognomie sehr ehrwürdige Titel verbun den sind: so ist es uns doch zuwider, wenn wir einen Schauspieler von geringen Ansehen eine Person von Stande vorstellen sehen. Seine Gestalt muß edel, und seine Gesichtsbildung muß sanft und glücklich seyn, wenn er gewiß
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seyn will, Hochachtung und Mitleiden in uns zu erregen. Man weis in Paris noch gar wohl, was einem gewissen Schauspieler wieder fuhr, welcher seine Probe spielen sollte. Es fehl te ihm weder an Empfindung, noch an Witze, noch an Feuer; nur sein äusserliches war gar nicht heldenmäßig. Einsmals stellte er die Per son des Mithridats vor, und stellte sie so vor, daß alle Zuschauer mit ihm hätten zufrieden seyn müssen, wenn er lauter Blinde zu Zuschauern gehabt hätte. Jn dem Auftritte, wo Monime zu dem Könige sagt: Herr, du änderst dein Gesicht, rufte ein Spottvogel aus dem Par terre der Schauspielerin zu: Laßt ihn doch än dern. Auf einmal verlohr man alle Gaben des Schauspielers aus den Augen, und dachte bloß und allein an die wenige Uebereinstimmung, die sich zwischen ihm und seiner Person befände. — — Jn dem dritten Hauptstücke kömmt der Verfasser auf das wahre oder anschei nende Verhältniß, welches zwischen dem Alter des Schauspielers und dem Alter der Person seyn muß. Ein Portrait, das wegen seiner Zeichnung und seiner Farbenmi schung auch noch so schätzbar ist, wird doch mit Recht getadelt, wenn es diejenige Person, die es vorstellen soll, älter macht. Eben so wird uns auch ein Schauspieler, wenn er auch sonst noch so vollkommen spielt, nur mittelmäßig gefallen, wenn er für seine Rolle allzu alt ist. Es ist nicht
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genug, daß man uns Jphigenien nicht mit Runzeln und den Britannicus nicht mit grauen Haaren zeiget; wir verlangen beyde in allen Reitzungen ihrer Jugend zu sehen. Einige Jahre zwar kann der Acteur älter als seine Per son seyn, weil er uns alsdann, wenn er diesen Unterscheid wohl zu verbergen weis, das Ver gnügen einer doppelten Täuschung verschaft, welches wir nicht haben würden, wenn er in die sem Falle nicht wäre. — — Dieses ist zu deut lich, als daß der Verfasser nöthig haben sollte viel Worte damit zu verschwenden. Er thut es auch nicht, sondern eilt mit dem ersten Theile seines Werks zu Ende, indem er nur noch ein kleines Hauptstück, welches das vierte ist, und besonders die Mägdchen und die Be dienten angehet, hinzu thut. Bey einigen Rollen ist es gut, wenn die Schauspielerinnen, welche die Mägdchen vorstellen, nicht allzu jung mehr sind; bey einigen aber müssen sie nothwen dig jung seyn, oder wenigstens jung scheinen, um ihre Jugend zu einer Art von Entschuldi gung für die unbedachtsamen Reden, welche sie meistentheils führen, oder für die nicht allzuklu gen Rathschläge, die sie ihren Gebietherinnen oft bey Liebeshändeln geben, zu machen. Wenn aber das Mägdchen eben nicht allezeit jung seyn darf, so muß sie doch immer eine ausserordentli che Flüchtigkeit der Zunge besitzen. Diese Ei genschaft ist besonders in den Lustspielen des
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Regnards sehr nöthig, wo ohne dieselbe bey verschiednen Rollen alle Anmuth wegfällt. Auch fordert man von den Mägdchen eine schalkhafte Mine, und von den Bedienten Geschwindigkeit und Hurtigkeit. Ein dicker Körper schickt sich daher für die Bedienten eben so wenig, als sich für die Mägdchen das Stottern schicken würde. Dieses also wäre der Jnhalt des ersten Theils. Er handelt, wie man gesehen hat, nichts anders ab, als diejenigen natürlichen Gaben, ohne wel che es nicht einmal möglich ist, ein guter Schau spieler zu werden. Wie viel häßliche Gegen stände würden wir unter ihnen entbehren, wenn sie alle so billig gewesen wären, sich darnach zu prüfen. Noch weniger Stümper aber würden wir sehen, wenn diejenigen die diese Prüfung vorgenommen, und darinne bestanden haben, nicht geglaubt hätten, daß sie nunmehr schon voll kommne Schauspieler wären, und nichts mehr als diese natürlichen Vorzüge nöthig hätten, um den Beyfall der Zuschauer zu erzwingen. Sie mögen sich ja nicht betriegen; sie haben aufs höchste nur die Anlage von dem, was sie seyn müssen, und wenn sie sich nicht durch Kunst und Fleiß ausarbeiten wollen, so werden sie zeitle bens auf dem halben Wege stehen bleiben. Wie dieses aber geschehen müsse und worauf sie ins besondere zu sehen haben, handelt unser Verfas ser in seinem zweyten Theile ab, welcher, ohne einige Unterabtheilungen, aus neunzehn Haupt
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stücken besteht, deren Jnhalt ich gleichfalls an zeigen will. Das erste Hauptstück untersucht worin ne die Wahrheit der Vorstellung beste he? Diese Wahrheit bestehet in dem Zusam menfluße aller Wahrscheinlichkeiten, welche den Zuschauer zu betriegen geschickt sind. Sie thei len sich in zwey Klassen. Die einen entstehen aus dem Spiele des Acteurs; und die andern aus gewissen Modificationen des Schauspielers, in Ansehung seiner Verkleidung oder der Aus zierung des Orts, wo er spielt. Die Wahr scheinlichkeiten von der ersten Art gehören vor nehmlich hierher, und bestehen in der genauen Beobachtung alles dessen, was sich geziemt. Das Spiel des Acteurs ist nur alsdann wahr, wenn man alles darinne bemerkt, was sich für das Alter, für den Stand, für den Charakter und für die Umstände der Person, die er vor stellt, schicket. Diese Wahrheit aber theilt sich in die Wahrheit der Action, und in die Wahrheit der Recitation. Von der ersten handelt das zweyte Haupt stück. Diese Wahrheit ist oft diejenige gar nicht, welche dem Schauspieler zuerst in die Ge danken kömmt. Agamemnon zum Exempel, (Jphigenia Aufz. II. Auft. 2.) als ihn Jphigenia fragt, ob er ihr erlauben werde, dem Opfer, das er vorhabe, beyzuwohen, antwortet ihr: Du bist dabey, mein Tochter.
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Verschiedne Schauspieler glauben diese Stellung recht pathetisch auszudrücken, wenn sie Blicke voll Zärtlichkeiten auf Jphigenien heften, allein diese Action ist ganz wider die Wahrscheinlich keit, weil Agamemnon, indem er dieses zu seiner Tochter gesagt, die Augen gewiß wird ab gewendet haben, damit sie den tödlichen Schmerz, der sein Herz zerfleischte, nicht darinne lesen möge. Die Schwierigkeit alle kleine Schattirungen zu bemerken, aus welchen die Wahrheit der Action bestehet, zeigt sich besonders in dem verwickel ten Stellungen. Der Verfasser verstehet unter dieser Benennung diejenigen Stellungen, in welchen die Person entgegengesetzten Absich ten ein Genüge thun muß. Jn diesem Falle ist Jsabelle in der Männerschule, wenn sie sich zwischen dem Sganarelle und Valere befin det, und den einen umfaßt indem sie dem andern die Hand giebt, und zu den einen etwas spricht, was sich der andre annehmen soll. Die Schau spielerin, die dieses spielt, hat sehr viel Genauig keit anzuwenden, damit ihr die Zuschauer weder allzuwenige Vorsicht in Ansehung ihres Eifer süchtigen, noch allzuwenig Zärtlichkeit gegen ihren Liebhaber Schuld geben können. Jn dem dritten Hauptstückebetrachten <betrachtet> der Verfasser die zwey vornehmsten Stücke der Ac tion; die Minen nehmlich und die Gestus. Beyde müssen hauptsächlich wahr seyn. Der Schau spieler muß die Leidenschaften nicht allein in sei
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nem Gesichte ausdrücken, sondern er muß sie auch lebhaft ausdrücken können. Nur muß es nicht so weit gehen, daß er sein Gesicht dadurch verstellet. Gemeiniglich aber fällt man in die sen Fehler nur alsdenn, wenn man nicht wirk lich, nachdem es die Stellung der Person er fordert, aufgebracht oder gerührt ist. Empfin det man wirklich eine von diesen beyden Eindrü cken, wie man sie empfinden soll, so wird sie sich ohne Mühe in den Augen abmahlen. Muß man aber seine Seele erst mit aller Gewalt aus ihrem Todenschlafe reissen, so wird sich der innere gewaltsame Zustand auch in dem Spiele und in den Minen verrathen. — — Die Gestus theilt der Verfasser in zwey Arten; ei nige, spricht er, haben eine bestimmte Bedeu tung, andre aber dienen bloß die Action zu bele ben. Die erstern sind nicht willkührlich, son dern sie machen eine gewisse Sprache aus, die wir alle reden, ohne sie gelernt zu haben, und durch die uns alle Nationen verstehen können. Die Kunst kann sie weder deutlicher noch nach drücklicher machen; sie kann sie aufs höchste nur ausputzen, und den Schauspieler lehren, sich ihrer so zu bedienen, wie es sich für seine Rolle schickt. Sie kann ihn zum Exempel leh ren, daß das edle Komische wenigere heftige Gestus erfordert, als das niedrig Komische; und das Tragische noch wenigere, als das edle Komische. Die Ursache hiervon ist leicht zu er=
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rathen. Die Natur nehmlich macht, wenn sie sich selbst gelassen ist, weit unmäßigere Bewe gungen, als wenn sie von dem Zaume der Erzie hung, oder von der Ernsthaftigkeit eines zu be obachtenden Ansehens zurück gehalten wird. Was die andre Art der Gestus anbelangt, so müssen sie wenigstens eine Art des Ausdruckes haben; sie müssen nicht studirt seyn, und müssen oft abgewechselt werden. Bey denjenigen ko mischen Rollen, bey welchen man gewisser Maas sen die Natur nicht vor sich haben kann, derglei chen die erdichteten Rollen der Crispins, der Pourccaugnacs und andre sind, thut man wohl, wenn man seinen Vorgänger in denselben, dessen Art Beyfall gefunden hat, so viel wie möglich nachahmt. Vielleicht ist es gut, wenn man manchmal auch sogar dessen Fehler nachahmt, um den Zuschauern die Action desto wahrer scheinen zu lassen. Von der Action kömmt nunmehr der Verfasser in dem vierten Hauptstücke auf die Reci tation und derselben Wahrheit. Nach einigen Stellen bey den Alten muß man glau ben, daß sie die Declamation ihrer dramatischen Werken nach Noten abgemessen haben. Wenn dieses harmonische Noten gewesen sind, so haben sich ihre Schauspieler in eben den Umständen be funden, in welchen sich die heutigen Opersänger in Ansehung der Recitative befinden, allein die Wahrheit der Recitation kann dabey nichts ge
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wonnen haben, weil die Musik keine an und vor sich bestimmten Mittel hat, die verschiednen Leiden schaften auszudrücken. Sollen aber diese Noten bloß die Töne der gemeinen Unterredung ange geben haben, wie der Abt du Bos behauptet, so muß man voraussetzen, daß sich dergleichen Töne, in Vergleichung mit andern gegebenen Tönen wirklich ausdrücken lassen, und daß jede Empfin dung nur einen Ton habe, welcher ihr eigentlich zukomme. Allein beydes ist falsch. Die ver schiednen Veränderungen der Stimme, welche aus einerley Eindrücken entstehen, haben zwar mit einander etwas gemein; allein sie sind auch wegen der verschiednen Sprachwerkzeuge noth wendig unterschieden. Wer daher die Kunst zu recitiren methodisch abhandeln wollte, der müßte eben so vielerley Regeln geben, als Arten von Stimmen sind. Kurz, es gehört allein der Na tur zu, die Töne, welche sich am besten schicken, vorzuschreiben, und die Empfindung ist die ein zige Lehrerin in dieser bezaubernden Beredsamkeit der Schalle, durch welche man in den Zuhörern alle beliebige Bewegungen erregen kann. Das vornehmste Geheimniß ist dabey dieses, daß man diejenigen Töne, welche dem Anscheine nach ei nerley sind, in der That aber unterschieden wer den müssen, nicht unter einander verwechsele, und die einen für die andern brauche. Man betrachtet zum Exempel den naifen Ton und den aufrichtigen Ton als zwey Töne, die unter einer
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ley Art gehören, allein es würde ganz unrecht gethan seyn, wenn man den einen anstatt des an dern nehmen wollte. Der eine gehört derjenigen Person zu, welche nicht Witz oder Stärke genug hat, ihre Gedanken und ihre Gesinnungen zu verbergen, sondern die Geheimnisse ihrer Seele wider ihren Willen, und wohl gar zu ihrem Schaden, entwischen läßt. Der andre ist viel mehr das Zeichen der Redlichkeit, als der Dumm heit oder Schwachheit, und gehört für diejenigen Personen, welche Geschicke und Herrschaft über sich selbst genug hätten, um ihre Art zu denken und zu empfinden zu verbergen, gleichwohl aber sich nicht entschliessen können, der Wahrheit Ab bruch zu thun. Es giebt übrigens auch Töne, welche zu mehr als einer Art gehören. Die Jronie kann, zum Exempel, aus Zorn, aus Ver achtung, und aus blosser Munterkeit gebraucht werden. Allein der ironische Ton, welcher sich bey dem einen Falle schickt, schickt sich ganz und gar nicht bey dem andern, und so weiter. Dieses war von der Recitation überhaupt. Jn dem fünften Hauptstücke handelt der Verfasser mit wenigen, von der Art, wie die Komödie recitirt werden müsse. Sie muß durchaus nicht declamirt werden; wenige Stellen ausgenommen, die man, um sie den Zuhörern desto lächerlicher zu machen, declamiren kann. Es ist überhaupt ein unver brüchliches Gesetz für die komischen Schau=
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spieler, daß sie eben so recitiren müssen, als sie außer dem Theater reden würden, wenn sie sich wirklich in den Umständen befänden, in wel chen sich die Person, die sie vorstellen, befindet. Jn den prosaischen Komödien wird es ihnen eben nicht schwer, dieser Regel zu folgen; al lein in den Komödien in Versen haben sie schon mehr Mühe damit. Sie sollten dahero wünschen, daß sie alle in Prose möchten ge schrieben seyn. Dennoch aber, ob schon oft in ganzen Gesellschaften von Komödianten kaum eine Person Verse gehörig herzusagen weis, zie hen sie die Stücke in Versen vor, weil diese sich leichter lernen und behalten lassen. Der größte Theil der Zuhörer giebt diesen Stücken gleichfalls den Vorzug. Ohne hier zu unter suchen, ob sich die Sprache der Poesie für die Komödien schickt, und in welchem Falle sie zu dulden sey, will ich nur anmerken, daß man sich ihrer gewiß seltner bedienen würde, wenn man nicht in Prose mehr Witz haben müßte; daß das Sylbenmaaß und der Reim die Wahrheit der Unterredung nothwendig verringert, und daß folglich die Schauspieler sich nicht Mühe genug geben können, das eine zu unterbrechen, und den andern zu verstecken.
Jn dem sechsten Hauptstücke untersucht der Verfasser, ob die Tragödie declamirt werden müsse? Man ist dieser Frage wegen nur deswegen so sehr uneinig, weil man sich allzu
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verschiedne Begriffe von der Declamation macht. Einige verstehen darunter eine gewisse schwülstige und prahlende Recitation, ein ge wisses unsinniges und monotonisches Singen, woran die Natur keinen Antheil nimmt, und wel ches bloß die Ohren betäubt, und niemals das Herz angreift. Eine solche Declamation muß aus der Tragödie verbannt seyn; nicht aber die Majestät des Vortrags, welche bey einer natür lichen Recitation ganz wohl bestehen kann. Dieser prächtige Vortrag schickt sich besonders an gewisse Stellen in den Tragödien, deren Begebenheiten aus den fabelhaften Zeiten erborgt sind. Man muß zwar auch da die Natur nicht übertreiben; allein man muß sie doch in aller ihrer Grösse und in allen ihrem Glanze zeigen. Von einer mächtigen Zauberin glaubt man, daß sie etwas mehr als menschliches besitze. Wenn daher Medea nichts als ihren untreuen Gemahl zurückrufen will, so kann sie ganz wohl als eine andre Weibsperson reden. Wenn sie aber die dreyförmige Hecate citirt, wenn sie mit ihren ge flügelten Drachen durch die Luft fährt, alsdann muß sie donnern. Jn dem siebenden Hauptstücke werden einige Hindernisse angegeben, welche der Wahrheit der Recitation schaden. Eine von den vornehmsten ist die Gewohnheit verschiedener Schauspieler, ihre Stimme zu zwin gen. So bald man nicht mehr in seinem natür
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lichen Tone redet, ist es sehr schwer, der Wahrheit gemäß zu spielen. Eine andere Hinderniß ist die Monotonie, deren es dreyerley Arten giebt. Die eine ist die Verharrung in eben derselben Mo dulation, die zweyte die Gleichheit der Schlußtöne, und die dritte die allzuofte Wiederhohlung eben der selben Wendungen der Stimme. Der erste von diesen Fehlern ist den tragischen und comischen Schauspielern gleich gemein. Verschiedene von ih nen bleiben ohn Unterlaß in einem Tone, so wie die kleinen Jnstrumente, mit welchen man ge wisse Vögel abrichtet. Jn den zweyten Fehler fallen die tragischen Acteurs öfterer als die komi schen; sie sind gewohnt, fast immer mit der tiefen Octave zu schliessen. Eben so ist es mit dem dritten Fehler, welchen man gleichfalls den komischen Schauspielern weit seltner als den tra gischen vorzuwerfen hat, die besonders durch die Nothwendigkeit, von Zeit zu Zeit eine lan ge Reihe von Versen majestätisch auszusprechen, dazu verleitet werden. Man würde auch dem geringsten Anfänger unter ihnen Unrecht thun, wenn man ihm noch rathen wollte, so viel mög lich den Ruhepunct der Cäsur zu vermeiden. Es ist dieses blos ein Anstoß für diejenigen Ko mödianten, welche ohne Verstand und ohne Ge schmack mehr auf die Zahl der Sylben, als auf die Verbindung der Gedanken Achtung geben. Weil aber die Poesie die natürliche Sprache der Tragödie ist, so sind die tragischen Acteurs nicht
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so wie die komischen verbunden, den Reim alle zeit zu verstecken. Gemeiniglich würde es auch nicht einmal angehen, wenn sie auch gerne wol ten. Der Abschnitt des Verstandes zwingt sie oft, bey dem Schlusse eines jeden Verses inne zu halten, und dieses verursacht eine Art von Ge sang, welchem man am besten dadurch abhilft, wenn man diesen Abschnitt nach Beschaffenheit der Umstände entweder verkürzt oder verlängert, und nicht alle Verse in einerley Zeit ausspricht. — — Ferner gehöret unter die Hindernisse der vorherrschende Geschmak, welchen gewisse Schau spieler für eine besondere Art zu spielen haben. Besitzen sie zum Exempel die Kunst zu rühren, so wollen sie diese Kunst überall anwenden, und weil ihnen der weinende Ton wohl läßt, so sind sie fast nie daraus zu bringen. Das achte Hauptstück untersucht in wel cher Vollkommenheit die Schauspieler ihre Rollen auswendig wissen sollen, damit die Wahrheit der Verstellung nichts darunter leide? Die Antwort hier auf ist offenbar: in der allermöglichsten. Denn die vornehmste Aufmerksamkeit des Schauspie lers, sagt der Verfasser, muß dahin gerichtet seyn, daß er uns nichts als die Person, die er vorstellt, sehen lasse. Wie ist dieses aber mög lich, wenn er uns merken läßt, daß er blos das wiederhohlt, was er auswendig gelernt hat? Ja noch mehr. Wie kann er uns nur den
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blossen Schauspieler zeigen, wenn sein Gedächt niß arbeiten muß? Wenn der Lauf des Was sers, das durch seine Erhöhung oder durch sei nen Fall eine Fontaine zu verschönern bestimmt ist, in seinen Kanälen durch etwas aufgehalten wird, so kann es unmöglich die verlangte Wir kung thun. Wenn dem Schauspieler seine Rede nicht auf das schleunigste beyfällt, so kann er fast nicht den geringsten Gebrauch von seinen Talenten machen.
— — Ja, der Verfasser geht noch weiter und behauptet, daß die Schau spieler nicht allein ihre eigne Rolle, sondern auch die Rollen aller andern, mit welchen sie auf der Bühne zusammen kommen, wenigstens zum Theil, wissen müssen. Man muß fast immer auf dem Theater, ehe man das Stillschweigen bricht, seine Rede durch einige Action vorbereiten, und der Anfang dieser Action muß, nach Beschaffen heit der Umstände, eine kürzere oder längere Zeit vor der Rede vorhergehen. Wenn man aber nichts als die letzten Worte von der Rede, auf die man antworten soll, weis, so ist man oft der Gefahr ausgesetzt, seine Antwort nicht gehörig vorbereiten zu können. Bis hieher hat der Verfasser die Wahrschein lichkeiten betrachtet, die der Schauspieler in sei nem Spiele beobachten muß, wenn die Vorstel lung wahr scheinen soll. Jn dem neunten Hauptstücke betrachtet er nunmehr diejenigen Wahrscheinlichkeiten, welche von den
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äusserlichen Umständen, in welchen sich der Schauspieler befindet, abhangen. Es muß zum Exempel der Ort der Scene alle zeit dem Orte ähnlich seyn, in welchem man die Handlung vorgehen läßt. Die Zuschauer müs sen sich nicht mit auf dem Theater befinden, wel ches in Paris besonders Mode ist. Die Schau spieler müssen gehörig gekleidet seyn; wenn sie ihre Rolle in einem prächtigen Aufzuge zu erschei nen verbindet, so müssen sie nicht in einem schlech ten erscheinen; auch diejenigen Schauspielerinnen, welche die Mägdchen vorstellen, müssen sich nicht allzusehr putzen, sondern ihrer Eitelkeit ein we nig Gewalt anthun. Besonders müssen die Schauspieler die Wahrscheinlichkeit beobachten, wenn sie sich den Zuschauern nach einer That zei gen, die ihre Person nothwendig in einige Un ordnung muß gesetzt haben. Orest, wenn er aus dem Tempel kömmt, wo er, Hermionen ein Gnüge zu thun, den Pirrhus umgebracht hat, muß nicht in künstlich frisirten und gepu derten Haaren erscheinen. = = Noch eine gewisse Gleichheit muß zwischen dem Schauspieler und der Person, die er vorstellt, ausser der, deren wir oben gedacht haben, beobachtet werden. Der jenige Acteur, welcher zuerst den verlohrnen Sohn vorstellte, schien seiner Vortreflichkeit in dem hohen Komischen ungeachtet, dennoch an der unrechten Stelle zu seyn, weil man ihn unmög lich für einen jungen Unglücklichen halten konnte,
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der sich durch seine üble Aufführung in die äus serste Armuth gestürtzt, und das härteste Elend erduldet habe. Hingegen war das gesunde An sehen des Montmeny , welcher den eingebilde ten Kranken vorstellte, in dieser Rolle gar nicht anstößig, sondern um so viel angenehmer, je lä cherlicher es war, daß ein Mensch, dem alles das längste Leben zu versprechen schien, sich be ständig in einer nahen Todesgefahr zu seyn ein bildete. Aus den jetzt angeführten Betrachtungen über die Wahrheit der Vorstellung fliessen einige ande re Betrachtungen, welche das zehnte Haupt stück ausmachen. Sie betreffen die Vorberei tung grosser Bewegungen, das stuffenweise Stei gen derselben und die Verbindung in dem Ueber gange von einer auf die andre. Ein dramati scher Dichter, welcher seine Kunst verstehet, läßt die Zuschauer mit Fleiß nicht merken, wohin er sie führen will. Der Schauspieler muß sich hierinne nach dem Verfasser richten, und muß uns das letzte nicht eher sehen lassen, als bis wir eben darauf kommen sollen. Allein, wie wir das, was uns vorbehalten wird, nicht gern er rathen mögen, so mögen wir auch eben so wenig uns gern betriegen lassen. Es ist uns lieb, wenn wir das zu sehen bekommen, was wir nicht erwarte teten, allein mißvergnügt sind wir, wenn man uns etwas anders hat erwarten lassen, als das, was wir sehen. Dieses erläutert der Verfasser
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durch eine Stelle aus der Phädra, wo diese den Hippolyt zu einer Liebeserklärung vorberei tet. Das stuffenweise Steigen besteht darinne, daß sich die heftige Bewegung immer nach und nach entwickle, welches eben so nothwendig als die Vorbereitung ist, weil jeder Eindruck, wel cher nicht zunimmt, nothwendig abnimmt. Die fernere Folge der angeführten Stelle aus der Phädra muß auch dieses erläutern. — — Was aber die Verbindung verschiedner Bewe gungen, besonders diejenigen, die einander ver nichten, anbelangt, so wird die Stelle aus der Zaire zum Muster angeführt, wo Orosman bald Wuth, bald Liebe, und bald Verachtung gegen den unschuldigen Gegenstand seines Ver dachts äussert. Jch müßte sie ganz hersetzen, wenn ich mehr davon anführen wollte. Ein Schauspieler kann die meisten der nur gedachten Bedingungen beobachten, und dennoch nicht natürlich spielen. Der Verfasser unter sucht also in dem eilften Hauptstücke, wor inne das natürliche Spiel bestehe, und ob es auf dem Theater allezeit nöthig sey. Wenn man unter dem natürlichen Spiele dasjenige meint, welches nicht gezwungen und mühsam läßt, so ist es wohl gewiß, daß es überhaupt alle Schauspieler haben müssen. Versteht man aber eine durchaus genaue Nachahmung der ge meinen Natur darunter, so kann man kühnlich behaupten, daß der Schauspieler unschmackhaft
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werden würde, wenn er beständig natürlich spie len wollte. Der komische Schauspieler darf nicht nur, sondern muß auch dann und wann seine Rolle übertreiben. Allein man merke wohl, daß unter diesem Uebertreiben nicht die Heftigkeit der Declamation eines tragischen Acteurs begriffen ist, und daß man sie nur dem komischen Acteur erlaubet, um etwas lächerliches desto stärker in die Augen fallen zu lassen. Doch auch hier müssen gewisse Bedingungen und Um stände beobachtet werden. Der Schauspieler muß noch immer bey seinem Uebertreiben eine Art von Regeln beobachten; er kann wohl weiter gehen, als die Natur geht, aber keine Ungeheuer muß er uns deswegen nicht vorstellen. So er laubt man zum Exempel wohl einem Mahler, daß er, in der Hitze einer lustigen Raserey, eine Figur mit einer außerordentlich langen Nase mache; aber diese Nase muß doch sonst mit den andern Nasen übereinkommen, und muß sich an der Stelle befinden, welche ihr die Natur angewie sen hat. Gleichfalls muß der Schauspieler, wenn er übertreiben will, zuerst eine Art von Vorbereitung anwenden, und es nicht eher wa gen, als bis er den Zuschauern in eine Art von freudiger Trunkenheit versetzt hat, welche ihn nicht so strenge zu urtheilen erlaubt, als wenn er bey kaltem Blute wäre. Außer diesen zwey Bedingungen muß das Uebertreiben auch nicht allzuhäufig und auch nicht am falschen Orte ange
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bracht werden. Am falschen Orte würde es zum Exempel angebracht seyn, wenn es diejeni gen Acteurs brauchen wollten, die das, was man in der Welt rechtschafne ehrliche Leute nennt, vorzustellen haben, und uns für sich einnehmen sollen. Ein deutliches Exempel übrigens daß das Uebertreiben durchaus nothwendig seyn kön ne, kömmt in den Betriegereyen des Sca pins, (Aufz. 1. Auft. 3.) vor, wo Scapin den Argante nachmacht, um den Octavio die Ge genwart eines aufgebrachten Vaters aushalten zu lehren. Der Acteur kann hier übertreiben so viel als er will, weil die Wahrscheinlichkeit da durch mehr aufgeholfen, als verletzet wird. Es würde nehmlich weniger wahrscheinlich seyn, daß Octav ganz betäubt wird, und nicht weis, was er sagen soll, wenn nicht die außerordent liche Heftigkeit des Scapins und die Gewalt samkeit seines Betragens, diesen jungen Liebha ber so täuschte, daß er wirklich den fürchterlichen Argante in dem Scapin zu sehen glaubte. Alles was unser Verfasser bisher angeführt hat, thut, wenn es von dem Schauspieler be obachtet wird, nur denjenigen Zuschauern Ge nüge, welche das Gute, was sie sehen, empfin den, und damit zufrieden sind, nicht aber denen, welche zugleich untersuchen, ob das Gute nicht noch besser hätte seyn können. Für diese hat der Schauspieler gewisse Feinheiten von Nöthen,
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die der Verfasser in den folgenden drey Hauptstü cken erklärt. Jn dem zwölften Hauptstücke handelt er von diesen Feinheiten über haupt. Eine von den größten bestehet dar inne, daß er dem Verfasser nachhilft, wo er etwa durch Unterdrückung eines Worts, oder durch sonst eine kleine Unrichtigkeit, die er vielleicht aus Nothwendigkeit des Reims begangen hat, einen schönen Gedanken nicht deutlich genug aus gedrückt hat. Wenn zum Exempel Sever nach dem Tode des Polieuct (Aufz. 5. letz ter Auftritt) zu dem Felix und zu der Pau lina sagt: Servez bien votre Dieu, ſervez votre Monarque, so bekümmert er sich wenig darum, daß sie bey ihrer Religion bleiben, allein die Treue gegen den Kayser betrachtet er, als eine Schuldig keit, deren sie sich auf keine Weise entbrechen kön nen. Daher sprach auch Baron , welcher dasjenige, was die Verfasser nicht sagten, aber doch gerne sagen wollten, ungemein glücklich zu errathen wußte, die letztern Worte: dienet eurem Monarchen auf eine ganz andre Art aus, als die erstern dienet nur eurem GOtt<Gott> . Er ging über die erste Helfte ganz leicht weg, und legte allen Nachdruck auf die andere. Jn der ersten nahm er den Ton eines Mannes an, welcher von den Tugenden der Christen zwar gerührt, aber von der Wahrheit
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ihrer Religion noch nicht überzeugt ist, und also ganz wohl zugeben konnte, daß man ihr anhing, aber es gar nicht für nöthig hielt, sie selbst zu ergreifen. Jn der andern aber gab er durch eine sehr feine Bewegung und durch eine sehr künstliche Veränderung der Stimme zu ver stehen, daß ihm der Dienst des Kaysers ein weit wichtigerer Punct zu seyn scheine, als die genaueste Beobachtung des Christenthums. — — Eine andre Art von den Feinheiten des Schauspielers kommt auf die Verbergung der Fehler eines Stücks an. Läßt, zum Exempel, der Verfasser, eine Person, mit der er in Unter redung ist, allzulange sprechen, so macht er es nicht, wie es wohl oft gewisse Schauspielerinnen machen, und läßt seine Augen unterdessen unter den Zuschauern herumschweifen, sondern er bemüht sich, durch ein stummes Spiel auch alsdenn zu sprechen, wenn ihm der Dichter das Still schweigen auflegt. Jn dem dreyzehnten Hauptstücke nimt der Verfasser, um die Feinheiten des Schau spielers näher zu betrachten, diejenigen vor, wel che dem Tragischen insbesondere zuge hören. Man glaubt mit Recht, daß die Tragödie grosse Bewegungen in uns erregen müsse. Wenn man aber daraus schließt, daß sich folglich der Schauspieler diesen Bewegun gen nicht ununterbrochen genug überlassen kön ne, so betriegt man sich. Oft ist es sehr gut,
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wenn er in denjenigen Augenblicken, in wel chen gemeine Seelen denken, daß er sich in der allergewaltsamsten Bewegung zeigen wer de, ganz vollkommen ruhig zu seyn scheinet. Jn dieser Abstechung liegt der größte und vor nehmste Theil der Feinheiten, welche in dem tragischen Spiele anzubringen sind.
Ein Paar Exempel werden dieses deutlicher machen. Die ausnehmende Gunst, womit Augustus den Cinna beehrte, hatte den letztern doch nicht abhalten können, sich in eine Verschwörung wider seinen Wohlthäter einzulassen. Das Vorhaben des Cinna wird entdeckt. Augustus läßt ihn vor sich fordern, um ihm zu entdecken, daß er alle seine Untreue wisse. Wer sieht nicht sogleich ein, daß dieser Kayser um so vielmehr Ehrfurcht erwecken muß, je weniger er seinen Unwillen auslassen wird? Und je mehr er Ur sache hat über die Undankbarkeit eines Verrä thers erbittert zu seyn, den er mit Wohlthaten überschüttet hat, und der ihm gleichwohl nach Thron und Leben steht, desto mehr wird man erstaunen, die Majestät eines Regenten, wel cher richtet, und nicht den Zorn eines sich rä chenden Feindes in ihm zu bemerken. — — Eben so deutlich fällt es in die Augen, daß je weniger man über die Grösse seiner entworfnen Unternehmungen erstaunt scheint, desto grösser der Begrif ist, den man bey andern von seinen Vermögen, sie auszuführen, erweckt. Mithri=
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dat muß daher einen weit grössern Eindruck machen, wenn er seinen Söhnen die Entwür fe, die er den Stolz der Römer zu erniedrigen gemacht hat, mit einer ganz gelassenen und ein fältigen Art mittheilet, als wenn er sie mit Schwulst und Pralerey auskrahmet, und in dem Tone eines Menschen vorträgt, welcher den weiten Umfang seines Genies und die Grösse seines Muths gern möchte bewundern lassen.
— — Wenn man dieses gehörig überlegt, so wird man hoffentlich nicht einen Au genblick länger daran zweifeln, daß grosse Ge sinnungen zur Vorstellung einer Tragödie noth wendig erfordert werden. Ein Acteur, welcher keine erhabeneSeele hat, wird diese verlangten Abstechungen auf keine Weise anbringen können; kaum daß er fähig seyn wird, dieselben sich vor zustellen. Das vierzehnte Hauptstücke handelt von denjenigen Feinheiten insbesondere, welche für das Komische gehören. Diese sind zweyerley. Entweder der komische Schauspieler macht uns über seine eigne Person zu lachen, oder über die andern Personen des Stücks. Das erste zu thun, sind eine unzähli ge Menge Mittel vorhanden. Das vornehm ste aber besteht darinne, daß man sich der Um stände zu Nutze macht, welche den Charakter der Person an den Tag legen können. Jst zum Exempel diese Person ein Geiziger und es bren=
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nen zwey Wachslichter in dem Zimmer, so muß er nothwendig das eine auslöschen. Auch bey den Leidenschaften kann man viel komische Fein heiten von dieser Art anbringen; wenn man nehmlich thut, als ob sie sich wider Willen der Person, die sie gerne verbergen will, verriethen. Ferner kann man über seiner Person zu lachen machen, wenn man sie etwas thun läßt, was ihren Absichten zuwider ist. Ein Liebhaber, der wider seine Schöne in dem heftigsten Zorne ist und sie fliehen will, ergötzt uns allezeit, wenn wir ihn aus Gewohnheit den Weg zu dem Zim mer seiner Geliebten nehmen sehen; desgleichen ein unbedachtsam Dummer, wenn er dasjenige, was er gerne verschweigen möchte, ganz laut er zehlt. — — Unter den komischen Feinheiten, von der andern Art, wodurch man nehmlich an dre Personen lächerlich zu machen sucht, gehöret der rechte Gebrauch der Anspielungen, und be sonders das Parodiren, welches entweder aus Unwillen, oder aus blosser Munterkeit geschieht. Gleichfalls gehören die Hindernisse hierher, die man der Ungeduld eines andern in Weg legt. Zum Exempel ein Herr glaubt den Brief, den ihm der Bediente bringt, nicht hurtig genug lesen zu können; und dieser zieht ihn entweder durch die Langsamkeit, mit welcher er ihn sucht, oder durch die Unvorsichtigkeit, ein Pappier für das andre zu ergreifen, auf.
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Jn dem funfzehnten Hauptstücke fügt der Verfasser zu dem, was von den Feinheiten gesagt worden, einige Regeln, die man bey An wendung derselben beobachten muß. Sie müs sen vor allen Dingen diejenige Person nicht wi tzig machen, welche entweder gar keinen oder nur sehr wenig Witz haben soll. Sie müssen auch alsdenn nicht gebraucht werden, wenn die Person in einer heftigen Bewegung ist, weil die Feinheiten eine völlige Freyheit der Vernunft voraussetzen. Ferner muß man sich lieber gar nicht damit abgeben, als solche anzuwenden wa gen, von deren guten Wirkung man nicht gewiß überzeugt ist; denn in Absicht auf angenehme Empfindungen, wollen wir lieber gar keine, als unvollkommene haben. Alle diese Feinheiten sind von der Art, daß sie fast immer so wohl gesehen als gehöret wer den müssen. Es giebt deren aber auch noch ei ne Art, welche blos gesehen werden dürfen, und diese sind das, was man Theaterspiele nennt. Der Verfasser widmet ihnen das sechszehnte Hauptstück. Sie helfen entweder die Vor stellung blos angenehmer, oder wahrer ma chen. Die letztern, welche die Vorstellung wah rer machen, gehören für die Tragödie so wohl, als für die Komödie; die andern aber, insbe sondre nur für die Komödie. Ferner hangen sie entweder nur von einer Person, oder von al len Personen, die sich mit einander auf der Büh
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ne befinden, zusammen ab. Die letztern müssen so eingerichtet seyn, daß in aller Stellungen und Bewegungen eine vollkommene Ueberein stimmung herrsche. Wenn Phädra dem Hip polyt den Degen von der Seite reißt, so müssen der Schauspieler und die Schauspielerin sich wohl vorgesehen haben, damit sie sich in dem Augen blicke nicht allzuweit von einander befinden, und damit die Schauspielerin nicht nöthig hat, das Gewehr, dessen sie sich bemächtigen will, erst lange zu suchen. — — Ueberhaupt muß in den Theaterspielen eine grosse Abwechselung zu bemerken seyn; und von dieser handelt der Verfasser Jn dem siebzehnten Hauptstücke. Die Abwechselung gehöret nicht allein für diejenigen Schauspieler, welche sich zugleich in der Tragö die und Komödie zeigen wollen; auch nicht für die alleine, die nur in der einen oder in der an dern spielen: sondern auch für die, die sich nur zu gewissen Rollen bestimmen, die alle einiger maassen mit einander übereinkommen. Die Ur sache davon ist diese, weil auch diejenigen Per sonen, die einander am meisten ähnlich sind, dennoch gewisse Schattirungen haben, die sie von einander unterscheiden. Diese Schattirungen muß der Schauspieler aufsuchen, und seine Rolle genau zergliedern, wenn er nicht alles unter ein ander mengen, und sich nicht einer eckeln Ein förmigkeit schuldig machen will. — — Doch
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auch nicht einmal in den ähnlichen Rollen allein muß der Schauspieler sein Spiel abwechseln; er muß es auch alsdann abwechseln, wenn er eben dieselben Rollen spielt. Die wenige Aufmerk samkeit, die man auf diesen Artickel richtet, ist eine von den vornehmsten Ursachen, warum wir nicht gerne einerley Stück mehr als einmal hinter einander sehen mögen. — — Meistentheils sind die Schauspieler aber nur deswegen so einförmig, weil sie mehr nach dem Gedächtnisse, als nach der Empfindung spielen. Wenn ein Acteur, der Feuer hat, von seiner Stellung gehörig einge nommen ist; wenn er die Gabe hat, sich in sei ne Person zu verwandeln, so braucht er auf die Abwechselung weiter nicht zu denken. Ob er gleich verbunden ist, so oft er eben dieselbe Rolle spielt, eben derselbe Mensch zu bleiben, so wird er doch immer ein Mittel finden, den Zuschau ern neu zu scheinen. Gesetzt nun, daß das Spiel eines Komödian ten vollkommen wahr ist; gesetzt, daß es natür lich ist; gesetzt, daß es fein und abwechselnd ist: so werden wir ihn zwar bewundern, wir werden aber doch immer noch etwas vermissen, wenn er nicht die Anmuth des Vortrags und der Action damit verbindet. Von dieser Anmuth handelt das achtzehnte Hauptstück. Bey Vor stellung der Tragödie, ist sie mit unter der Ma jestät begriffen, welche überall darinne herrschen muß. Was aber die Anmuth in dem Komi
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schen sey, besonders in dem hohen Komischen, das läßt sich schwer erklären, und eben so schwer lassen sich Regeln davon geben; überhaupt kann man sagen, daß sie darinne bestehe, wenn man der Natur auch so gar in ihren Fehlern Zierde und Reitz giebt. Man muß närrische Originale nachschildern, aber man muß sie auf ihrer schön sten Seite nachschildern. Ein jeder Gegen stand ist einer Art von Vollkommenheit fähig, und ein jeder, den man auf der Bühne zeigt, muß so vollkommen seyn, als er nur immer seyn kann. Ein Landmägdchen, zum Exempel, ist auf dem Theater diejenige gar nicht, die es auf dem Dorfe ist. Es muß unter ihrem Betragen und dem Betragen ihres gleichen, eben der Unterschied seyn, welcher zwischen ihren Kleidern und den Kleidern einer gemeinen Bäuerin ist. Das neunzehnte Hauptstück, welches das letzte unsers Schauspielers ist, enthält nichts als einen kurzen Schluß, welcher aus einer Be trachtung besteht, der die natürliche Folge aus den vorhergemachten Anmerkungen ist. Je schwerer nun, sagt der Verfasser, die Kunst ist, desto mehr Nachsicht sollten wir gegen die jun gen Schauspieler haben, wenn sie mit den na türlichen Gaben, die ihnen nöthig sind, auch den gehörigen Eifer, in ihrem Werke vortref lich zu werden, verbinden. Wenn es aber un ser Nutzen erfordert, mit diesen nicht allzu strenge zu verfahren, so erfordert es auch unsre
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Billigkeit, vortreflichen Schauspielern alle die Achtung wiederfahren zu lassen, welche sie ver dienen. — — —
Jch bin überzeugt, daß meine Leser aus die sem Auszuge eine sehr gute Meinung von dem Werke des Herrn Remond von Sainte Albine bekommen werden. Und vielleicht wer den sie mir es gar verdenken, daß ich sie mit ei nem blossen Auszuge abgefertiget habe. Jch muß also meine Gründe entdecken, warum ich von einer förmlichen Uebersetzung, die doch schon fast fertig war, abgestanden bin. Jch habe de ren zwey. Erstlich glaube ich nicht, daß unsre deutschen Schauspieler viel daraus lernen kön nen; zweytens wollte ich nicht gerne, daß deut sche Zuschauer ihre Art zu beurtheilen daraus borgen möchten. Das erste zu beweisen berufe ich mich Theils darauf, daß der Verfasser seine feinsten Anmerkungen zu erläutern sehr oft nur solche französische Stücke anführt, die wir auf unsrer deutschen Bühne nicht kennen; Theils berufe ich mich auf die ganze Einrichtung des Werks. Man sage mir, ist es wohl etwas mehr, als eine schöne Methaphysik von der Kunst des Schauspielers? Glaubt wohl jemand, wenn er auch schon alles, was darinne gesagt wird, inne hat, sich mit völliger Zuversicht des Beyfalls auf dem Theater zeigen zu können? Man bilde sich einen Menschen ein, dem es an dem äußerlichen nicht fehlt, einen Menschen, der Witz, Feuer
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und Empfindung hat, einen Menschen, der alles weis, was zur Wahrheit der Vorstellung gehört: wird ihn denn deswegen sogleich sein Körper überall zu Diensten seyn? Wird er deswegen alles durch äußerliche Merkmahle ausdrücken können, was er empfindet und einsieht? Um sonst sagt man: ja, wenn er nur alsdenn Action und Aussprache seiner Person gemäß, natürlich, abwechselnd und reitzend einrichtet. Alles dieses sind abgesonderte Begriffe von dem, was er thun soll, aber noch gar keine Vorschriften, wie er es thun soll. Der Herr Remond von Sainte Albine setzet in seinem ganzen Werke stillschwei gend voraus, daß die äußerlichen Modificationen des Körpers natürliche Folgen von der innern Be schaffenheit der Seele sind, die sich von selbst ohne Mühe ergeben. Es ist zwar wahr, daß je der Mensch ungelernt den Zustand seiner Seele durch Kennzeichen, welche in die Sinne fallen, einigermaaßen ausdrücken kann, der eine durch dieses, der andre durch jenes. Allein auf dem Theater will man Gesinnungen und Leidenschaf ten nicht nur einigermaassen ausgedrückt sehen; nicht nur auf die unvollkommene Weise, wie sie ein einzelner Mensch, wenn er sich wirklich in eben denselben Umständen befände, vor sich aus drücken würde; sondern man will sie auf die aller vollkommenste Art ausgedrückt sehen, so wie sie nicht besser und nicht vollständiger ausgedrückt werden können. Dazu aber ist kein ander Mit
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tel, als die besondern Arten, wie sie sich bey dem und bey jenem ausdrücken, kennen zu ler nen, und eine allgemeine Art daraus zusammen zu setzen, die um so viel wahrer scheinen muß, da ein jeder etwas von der seinigen darinnen ent deckt. Kurz, ich glaube, der ganze Grundsatz unsers Verfassers ist umzukehren. Jch glaube, wenn der Schauspieler alle äußerliche Kennzei chen und Merkmale, alle Abänderungen des Körpers, von welchen man aus der Erfahrung gelernet hat, daß sie etwas gewisses ausdrücken, nachzumachen weis, so wird sich seine Seele durch den Eindruck, der durch die Sinne auf sie geschieht, von selbst in den Stand setzen, der seinen Bewegungen, Stellungen und Tönen gemäß ist. Diese nun auf eine gewisse mecha nische Art zu erlernen, auf eine Art aber, die sich auf unwandelbare Regeln gründet, an de ren Daseyn man durchgängig zweifelt, ist die einzige und wahre Art die Schauspielkunst zu studiren. Allein was findet man hiervon in dem ganzen Schauspieler unsers Verfassers? Nichts, oder aufs höchste nur solche allgemeine Anmerkungen, welche uns leere Worte für Be griffe, oder ein ich weis nicht was für Erklärun gen geben. Und eben dieses ist auch die Ur sache, warum es nicht gut wäre, wenn unser Zuschauer sich nach diesen Anmerkungen zu ur theilen gewöhnen wollten. Feuer, Empfin
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dung, Eingeweide, Wahrheit, Na tur, Anmuth würden alle im Munde füh ren, und kein einziger würde vielleicht wissen, was er dabey denken müsse. Jch hoffe ehe stens Gelegenheit zu haben, mich weitläufti ger hierüber zu erklären, wenn ich nehmlich dem Publico ein kleines Werk über die körperliche Beredsamkeit vorlegen werde, von welchem ich jetzt weiter nichts sagen will, als daß ich mir alle Mühe gegeben habe, die Erlernung derselben eben so sicher, als leicht zu machen.


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