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Des Herrn von Voltaire Kleinere Historische Schriften.

Aus dem Französischen übersetzt.

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Rostock, verlegts Johann Christian Koppe.

1752.

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Vorrede des Uebersetzers.

Der Herr von Voltaire hat sich der Welt als einen allgemei nen Geist zeigen wollen. Nicht zufrieden, die ersten Lorbeern auf dem fran zösischen Parnasse mit erlanget zu haben, ist er die Bahn eines Newtons gelaufen, so stark, versteht sich, als ein Dichter von sei nem Fluge sie laufen kann; und durch die tiefsinnige Weltweisheit ermüdet, hat er sich durch die Geschichte mehr zu erholen, als zu beschäfftigen geschienen. Man kennt sein Leben Carls des XIIten. Einige haben es für einen schönen Roman an
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gesehen, welcher dem Curtius den Rang strei tig mache. Alle Uebertreibung bey Seite, lasset uns gestehen, daß der Grund überall darinne wahr ist, nur daß der Herr von Vol taire überall die theatralische Verschönerung angebracht hat, die er nur zu wohl versteht, um die Zuschauer für einen Helden auf der Bühne einzunehmen. Seine übrigen historischen Aufsätze sind un ter uns weniger bekannt worden, und hätten es vielleicht mehr verdienet. Wir hoffen, daß es nicht unangenehm seyn wird, sie hier in einer Uebersetzung beysammen zu finden. Er hat überall gesuchet, sich von dem ge meinen Haufen der Geschichtschreiber zu ent fernen. Trockne Tagebücher, welche Klei nigkeiten und wichtige Vorfälle aufzeichnen, die das Gedächtniß füllen wollen, ohne den Geist zu erleuchten, und das Herz zu ord nen, die menschlichen Handlungen beschreiben, ohne die Menschen können zu lehren, sind nie mals nach seinem Geschmacke gewesen. Man
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sehe seine Betrachtungen über die Geschichte davon nach, die in dieser Sammlung den er sten Platz einnehmen. Der Versuch über das Jahrhundert Lude wigs des XIVten ist ein Plan, der Bewunde rung verdiente, wenn er auch unausgeführet bliebe. Wann wir nun dem Leser sagten, daß er es nicht geblieben ist? Noch ist zwar dieses wichtige Werk nicht öffentlich erschie nen, es ist aber, wie wir gewiß wissen, fertig, und eine Frucht der ruhmvollen Ruhe, in welche der Verfasser nur durch einen Friedrich versetzet werden konnte. Er hat fast immer in der großen Welt ge lebet, und daher kommen ihm die unzähligen Anekdoten, die er überall einstreuet. Er scheint viele davon unter gewisse Titel gebracht zu haben, zum Exempel, der gedruckten Lü gen, der Thorheiten auf beyden Theilen; daß man also mit Recht diese und dergleichen Auf sätze zu den historischen hat ziehen müssen.
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Man hat keine Ordnung unter denselben beobachtet. Es wäre leicht gewesen, sie zu beobachten. Allein man muß nicht alles thun, was leicht ist, saget der Herr von Voltaire. Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologi sche Ordnung nichts beygetragen haben, da er die Epochen solcher wichtigen Gegenstände, wie sie der Herr von Voltaire meistens ge wählet, ohnedem wissen wird; zum Ver gnügen auch nichts, denn das Vergnügen wächst durch das Regellose. An verschiedenen Orten hätte der Ueberse tzer Anmerkungen machen können; und wer weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie nicht gemacht zu haben? Er würde es wenig stens manchem geschwornen Anmerkungs schmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem Exempel folgete. Man wird einige Aufsätze hier antreffen, welche in der neuesten Ausgabe der Werke unsers Verfassers sich nicht befinden. Diese hat man hier und da zusammen gesucht.
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Der Herr von Voltaire besitzt nicht allein die Kunst, schön zu schreiben, sondern auch, wie Pope saget, The last and greatest Art, the Art to blot. Er ist unermüdet in Ausbesserung seiner Werke. Wir haben das Glück gehabt, eines der mit der Feder verbesserten Exemplare sei ner Werke zu Rathe ziehen zu können, und wir können versichern, daß nichts wichtiges in diesen historischen Aufsätzen dazu gekommen, oder darinne verändert worden ist, welches wir sollten übergangen haben. Man empfiehlt sich und diese Arbeit dem Wohlwollen der Leser. Berlin, 1751
L.
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Verzeichniß der in dieser Sammlung enthaltenen Aufsätze.

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I. Anmerkungen, über die Geschichte überhaupt.

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Wird man denn niemals aufhören uns wegen des Zukünftigen, des Gegen wärtigen und des Vergangenen zu be triegen? Der Mensch muß wohl sehr zum Irrthume gebohren seyn, weil man in einem so aufgeklärten Jahrhunderte so viel Vergnügen findet uns die Fabeln des Herodotus aus zukramen, und wohl gar solche Fabeln, welche Hero dotus selbst nicht einmal den Griechen zu erzählen sich unterstanden haben würde. Was hilft es uns zu sagen, und wieder zu sagen, daß Menes der Enkel des Noah gewesen sey? Wel che ausschweifende Ungerechtigkeit ist es, sich über die Geschlechtsregister des Moreri aufzuhalten, wenn man selbst dergleichen schmiedet? Wahrhaftig Noah schickte seine Familie weit herum; seinen Enkel Me nes nach Aegypten, einen andern Enkel nach China, ich weis nicht welchen dritten nach Schweden, und einen jüngsten Sohn nach Spanien. Damals bildete das Reisen junge Leute weit besser als jetzo. Bey un sern jüngern Nationen sind zehn bis zwölf Jahrhun
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derte nöthig gewesen, sich ein wenig in der Geometrie zu unterrichten; diese Reisende aber, von welchen wir reden, waren kaum in die unbebauten Gegenden an gelangt, als man schon Finsternissen daselbst voraus sagte. Wenigstens kann man nicht zweifeln, daß die avthentische Geschichte von China nicht von Finster nissen redet, welche schon ohngefähr vor vier tausend Jahren sollen seyn ausgerechnet worden. Confucius führet deren sechs und dreyßig an, wovon die ma thematischen Mißionarii zwey und dreyßig bewährt haben. Doch über dergleichen Sachen machen sich diejenigen wenig Gedanken, welche den Noah zum Großvater des Fohy gemacht haben; denn sie ma chen sich über nichts Gedanken. Andere Anbether des Alterthums lassen uns die Aegyptier als das weiseste Volk auf der ganzen Welt betrachten; weil, wie man sagt, die Priester bey ih nen viel Ansehen hatten; und gleichwohl findet es sich, daß diese so weisen Priester, die Gesetzgeber eines so weisen Volks, Affen, Katzen und Zwiebeln anbetheten. Umsonst erhebt man die Schönheit der alten ägy ptischen Gebäude. Diejenigen, welche uns übrig ge blieben sind, sind nichts als ungestaltete Massen. Die schönste Statue des alten Aegyptens kömmt keiner des mittelmäßigsten unter allen unsern Werkmeistern gleich. Die Griechen haben die Aegyptier die Bild hauerkunst lehren müssen; und niemals hat Aegypten ein gutes Stück gehabt, welches nicht von griechischer Hand gewesen wäre. Welche wunderbare Kenntniß, spricht man, die Aegyptier wußten von der Astronomie! Die vier Sei
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ten einer großen Pyramide sind nach den vier Gegen den der Welt gerichtet; zeigt sich nicht die Astrono mie hier in ihrer Stärke? Waren diese Aegyptier lauter Cassini, Halleys, Keplers, und Tychobrahe? Diese guten Leute erzählten den Herodotus ganz kalt sinnig, daß die Sonne zweymal in eilf tausend Jah ren da untergegangen sey, wo sie aufgeht: und das war ihre Astronomie. Es kostete, wieder holt Herr Rollin, funfzig tau send Thaler die Schleußen der See Möris auf - und wieder zu zu machen. Herr Rollin ist mit seinen Schleußen sehr theuer, und macht einen ziemlichen Fehler in der Rechenkunst. Es giebt keine Schleus sen, welche man nicht für einen Thaler auf- und zu machen könnte; wenn sie anders nicht sehr schlecht ge macht sind. Es kostete, sagt er, funfzig Talente die se Schleußen auf- und zu zu machen. Man muß wis sen, daß man zu den Zeiten des Colberts den Werth des Talents auf drey tausend französische Pfund setzte. Rollin überlegt nicht, daß seit dieser Zeit der ange nommene Werth unserer Münzen beynahe um die Hälfte gestiegen ist, daß also die Kosten, die Schleus sen der See Möris aufzumachen, sich, nach ihm, auf dreymal hundert tausend Franken belaufen müß ten; das ist, ohngefähr zwey hundert und sieben und neunzig tausend Livres mehr als dazu nöthig ist. Alle Rechnungen in seinen dreyzehn Bänden haben diesen Fehler der Unachtsamkeit. Er wiederholt noch nach dem Herodotus, daß man gemeiniglich in Aegypten, das ist in einem Lande, welches bey weitem nicht so groß als Frankreich ist,
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viermal hundert tausend Soldaten gehalten, und jedem des Tages fünf Pfund Brod und zwey Pfund Fleisch gegeben habe. Das macht also täglich achtmal hun dert tausend Pfund Fleisch bloß für die Soldaten, in einem Lande, wo man beynahe gar keines aß. Uebri gens wem gehörten denn diese viermal hundert tau send Soldaten, als Aegypten in verschiedene kleine Herrschaften zertheilet war? Man setzt noch hinzu, jeder Soldate habe sechs Morgen Landes, von allen Abgaben befreyet, gehabt; das macht also zwo Mil lionen und viermal hundert tausend Morgen Landes, welche dem Staate nichts zahlten. Gleichwohl war es dieser kleine Staat, welcher mehr Soldaten hielt, als jetzo der Großsultan nicht hält, welcher doch Herr von Aegypten und von zehnmal mehr Landes ist, als Aegypten beträgt. Ludewig der XIV hat einige Jahre durch viermal hundert tausend Mann auf den Beinen gehabt; allein das war was Außerordentliches, und dieses Außerordentliche hat Frankreich ruinirt. Wenn man seine Vernunft anstatt seines Gedächt nisses brauchen, und mehr untersuchen als abschreiben wollte, so würde man nicht Bücher und Irrthümer unendlich vermehren, und nur neue und wahre Sa chen schreiben. Was denjenigen, welche sich mit der Geschichte abgeben, gemeiniglich fehlet, ist der philo sophischeGeist. Die meisten, welche mit Männern die Thaten beurtheilen sollten, machen Mährchen für Kinder. Sollte man wohl noch in dem Jahrhunderte, wor inn wir leben, die Fabeln von den Ohren des Smerdes, von dem Pferde des Darius, welcher,
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weil es zur erst wieherte, zum Könige erwählet wurde, von der Armee des Sanacharibs, oder Sennakeribs oder Sennacobons, welche auf eine wunderbare Weise durch Ratten zu Grunde gerichtet wurde, drucken lassen? Wenn man Fabeln wiederholen will, so muß man sie wenigstens für nichts anders ausge ben, als für das, was sie sind. Ist es einem Menschen von gesundem Verstande, welcher in dem achtzehnten Jahrhunderte gebohren ist, wohl erlaubt, mit uns im Ernste von den Orakeln zu Delphi zu reden? Bald uns zu wiederholen, daß dieses Orakel errathen, Crösus ließe eine Schildkröte und Schöpsenfleisch in einer Pfanne braten; bald uns zu sagen, daß nach der Vorhersagung des Apollo Schlach ten wären gewonnen worden, und die Gewalt des Teu fels zur Ursache davon anzugeben? Hr. Rollin nimmt sich in seiner zusammengetragenen alten Historie der Orakel gegen die Herren Van Dalen, Fontenelle und Basnage an: was den Hrn. von Fontenelle an belangt, sagt er, so muß man sein Buch wider die Orakel, welches aus dem Van Dalen gezo gen ist, als ein Werk seiner Jugend ansehen. Ich fürchte sehr, diesem Ausspruch des Alters des Rollins wider die Jugend des Fontenelle werde vor dem Richterstuhle der Vernunft widersprochen wer den. Die Redner gewinnen selten ihre Sache gegen die Weltweisen. Man darf nur das ansehen, was Rollin in seinem zehnten Bande, wo er von der Naturlehre reden will, sagt. Er behauptet, daß Archimedes, als er seinem guten Freunde, dem Könige von Syracus, die Macht
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der Mechanik zeigen wollen, eine Galeere, welche man auf das Trockne gebracht, und gedoppelt beladen hatte, bloß durch die Bewegung eines Fingers, ohne von seinem Stuhle aufzustehen, ganz gemächlich wie der auf das Wasser gebracht habe. Man merkt es gleich, daß hier der Rhetor redet, und daß er mit ein sehr wenig Philosophie die Ungereimtheit seines Vor gebens hätte einsehen können. Es scheint mir, wenn man die gegenwärtige Zeit gehörig nutzen wollte, so würde man sein Leben nicht mit alten abgeschmackten Fabeln verlieren. Ich wür de einem jungen Menschen rathen, von diesen entfern ten Zeiten nur einen ganz kleinen Begriff zu haben; dieses aber wünschte ich, daß man aus der Geschichte, von der Zeit an, daß sie für uns wirklich nützlich sind, eine ernsthafte Beschäfftigung mache; ohngefähr, nach mei ner Meynung, von dem Ende des funfzehnten Jahr hunderts an. Die Buchdruckerkunst, welche man damals erfand, fängt an sie weit weniger ungewiß zu machen. Ganz Europa ändert seine Gestalt; die Türken, welche sich ausbreiteten, verjagten die Wis senschaften aus Constantinopel; sie blühten in Italien; sie ließen sich in Frankreich nieder; sie zogen nach England, Deutschland und in die nordischen Reiche. Eine neue Religion entriß die Hälfte Europens dem päbstlichen Gehorsame; ein neues politisches System kam auf; man fand durch Hülfe des Compasses den Weg um Afrika, und man fing an eben so leicht nach China, als von Paris nach Madrid zu handeln. Amerika ward entdeckt, man bezwingt eine neue Welt, und die unsrige ist fast ganz und gar verändert; das
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christliche Europa wird eine Art einer unermeßlichen Republik, wo das Gleichgewicht der Macht weit bes ser eingeführt ist, als es in Griechenland war. Alle Theile unterhalten eine gewisse Verbindung unter sich trotz den Kriegen, welche der Stolz der Könige er wecket, trotz so gar den Religionskriegen, welche noch weit verderblicher sind. Die Künste, welche die Ehre des Staats sind, werden zu einer Höhe gebracht, in welcher sie weder Rom noch Griechenland kannte. Dieses ist die Ge schichte, welche jeder Mensch wissen sollte; hier findet man weder eingebildete Vorhersagungen, noch lügen hafte Orakel, noch falsche Wunderwerke, noch unsin nige Fabeln; alles ist darinn wahr, es wären denn gewisse kleine Umstände, worüber sich nur kleine Gei ster sehr bekümmern. Alles geht uns an, alles ist für uns gemacht; das Geld, womit wir unsern Tisch, un ser Hausgeräthe, unsere Nothwendigkeiten, unsere neuen Ergötzungen besorgen, alles das erinnert uns täglich, daß Amerika und das große Indien, und folglich alle Theile der Welt, ohngefähr seit drittehalb Jahrhunderten, durch den Fleiß unserer Väter ver einiget sind. Wir können keinen Schritt thun, wel cher uns nicht an die Veränderung gedenken helfe, welche die Welt seit dem erlitten hat. Hier sind hundert Städte, welche dem Pabste gehorchten, und nunmehr frey sind; dort hat man auf eine Zeit lang die Freyheiten des ganzen deutschen Reichs fest ge setzt. Hier entsteht die schönste der Republiken in einem Boden, welchen das Meer täglich zu verschlin gen drohet; dort hat England die wahre Freyheit
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mit dem Königreiche verknüpft; Schweden ahmte ihm nach, und Dännemark hat Schweden nicht nach geahmt. Ich mag in Deutschland, Frankreich oder Spanien reisen, überall finde ich Spuren des langen Streits, welcher zwischen dem Hause Oesterreich und dem Hause Bourbon gewesen ist, zwischen zwey Häu sern, welche durch so viel Tractaten mit einander ver bunden sind, deren jeder verderbliche Kriege verur sacht hat. Es ist keine einzige Privatperson in Eu ropa, auf welche alle diese Veränderungen keinen Ein fluß gehabt hätten. Schickt es sich also wohl, daß man sich noch um die Salmanassers, und die Mar dokempads bekümmert, und geheime Nachrichten von dem Perser Cayamarrat, von dem Saboco Meto phis aufsucht? Ein erwachsener Mensch, welcher ernstliche Geschäffte hat, pflegt die Mährchen seiner Amme nicht zu wiederholen.
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Fortsetzung dieser Anmerkungen.

Vielleicht erfolgt bald in der Art die Geschichte zu schreiben eben das, was in der Naturlehre er folgt ist. Die neuen Entdeckungen haben die alten Lehrgebäude verwiesen. Man wird das menschliche Geschlecht nach der genauen Zergliederung zu kennen wünschen, welche jetzo der Grund der natürlichen Phi losophie ist. Man fängt an gegen das Abentheuer des Curtius sehr wenig Achtung zu haben, welcher einen Schlund verstopfte, indem er sich mit sammt dem Pferde hin ein stürzte. Man lacht über die vom Himmel gefal lene Schilde, über alle die schönen Talismans, wel che die Götter den Menschen so freygebig mittheilten, über die Vestalen, welche mit ihren Gürteln die Schiffe flott machten, und über alle die berühmten Kin dereyen, womit die alte Geschichte erfüllet ist. Eben so wenig ist man zufrieden, daß uns Herr Rollin in seiner alten Historie im Ernst von dem Könige Nabis vorredet, welcher seine Frau von allen, die ihm Geld brachten, umarmen, und diejenigen, welche es ihm zu bringen verweigerten, in die Arme einer schönen Puppe legen ließ, welche der Königinn völlig gleich sahe, unter den Kleidern aber mit eisernen Stacheln bewaffnet war. Man lacht, wenn man sieht, daß so viele Geschichtschreiber, einer nach dem andern, wie derholen, der berüchtigte Erzbischof von Maynz sey im Jahre 698 von einer Armee Ratten belagert und
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aufgefressen worden; Blutregen hätten im Jahre 1017 ganz Gascogne überschwemmt, und zwo Armeen von Schlangen hätten sich 1059 bey Tournay geschla gen. Die Wunderzeichen, die Vorherverkündigun gen, die Feuerproben et cetera sind jetzo mit den Mährchen des Herodotus in gleichem Range. Ich will hier von der neuern Historie reden, in welcher man weder Puppen findet, welche die Hof leute umarmen, noch Bischöfe, welche von den Rat ten aufgefressen worden. Man wendet viel Sorgfalt an, den Tag zu be stimmen, an welchem eine Schlacht vorgefallen ist, und man hat Recht. Man läßt die Tractaten dru cken, man beschreibt die Pracht bey einer Krönung, so gar den Einzug eines Gesandten, und vergißt we der seine Schweizer noch seine Bedienten dabey. Es ist gut, daß man von allen Sachen Archive habe, damit man sie im Nothfalle um Rath fragen kann, und ich betrachte jetzo alle große Bücher als Wörter bücher. Nachdem ich aber drey bis vier tausend Be schreibungen von Schlachten, und den Inhalt von etliche hundert Tractaten gelesen, so fand ich, daß ich im Grunde nichts mehr gelernt hatte. Ich erfuhr nichts als bloße Begebenheiten. Ich lernte aus der Schlacht des Carl Martels die Franzosen und Sara cenen eben so wenig kennen, als ich die Tartarn und Türken aus dem Siege kennen lernte, welchen Ta merlan über den Bajazet davon trug. Ich gestehe es, als ich die Denkwürdigkeiten des Kardinals von Retz und der Frau von Motteville gelesen hatte, so wußte ich, von Wort zu Wort, was die Königinn
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Mutter zu dem Herrn von Jersay gesagt hat: ich lerne, wie der Coadjutor das Seine zu der Wagenburg beygetragen hat; ich kann mir einen genauen Begriff von den langen Reden machen, welche er gegen die Frau von Bouillon gehalten hat. Dieses ist für mei ne Neugierigkeit sehr viel; für meine Unterweisung aber sehr wenig. Es giebt Bücher, welche mich die wahren oder fal schen Anekdoten eines Hofes lehren. Jeder, wer den Hof gesehen hat, oder Lust ihn zu sehen gehabt hat, ist eben so gierig auf diese vornehme Kleinigkeiten, als ein Frauenzimmer aus der Provinz auf die Neuigkei ten ihres kleinen Städtchens ist. Im Grunde ist es einerley Sache, und einerley Verdienst. Unter Hein richen dem IV unterhielt man sich mit den Anekdoten von Carl dem IX. In den ersten Jahren Ludewigs des XIV redete man noch von dem Herrn von Belle garde. Alle diese kleinen Schildereyen erhalten sich ein oder zwey Menschenalter, und gehen hernach auf ewig unter. Gleichwohl versäumet man ihretwegen Kennt nisse, welche von einem weit dauerhaftern und merk lichern Nutzen sind. Ich wollte wissen, welches die Kräfte eines Landes vor einem Kriege gewesen wären, und ob dieser Krieg sie vermehrt oder verringert hätte. Ist Spanien vor der Eroberung der neuen Welt reicher gewesen als jetzo? Um wie viel war es zu Zeiten Carls des V bevölkerter als zu den Zeiten Philipps des IV? Warum waren in Amsterdam vor ohngefähr zweyhundert Jahren kaum zwanzig tau send Seelen? Warum hat es jetzo zwey hundert und
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vierzig tausend Einwohner? Um wie viel ist Eng land bevölkerter, als es unter Heinrichen dem VIII war? Sollte es wahr seyn, was man in den per sianischen Briefen sagt, daß die Menschen auf der Erde weniger werden, und daß sie in Vergleichung ihres Zustandes vor zwey tausend Jahren verwüstet ist? Rom, das ist wahr, hatte damals mehr Ein wohner als jetzo. Karthago und Alexandria, ich ge stehe es, waren große Städte; aber Paris, London, Constantinopel, groß Cairo, Amsterdam, Hamburg waren damals noch nicht. Es waren drey hundert Nationen in Gallien, allein diese drey hundert Natio nen kamen der unsrigen, weder an Anzahl der Men schen, noch an der Arbeitsamkeit gleich. Deutsch land war ein Wald, jetzo ist es mit hundert volkrei chen Städten bedeckt. Es scheint, als ob der Geist des Tadels die Verfolgung bloßer Privatpersonen müde geworden sey, und sich zu seinem Gegenstande die ganze Welt gewählt habe. Man schreyt beständig, die Welt würde schlimmer, man will so gar, daß sie sich ent völkre. Wie nun? Sollen wir etwa die Zeiten be tauren, da noch keine Landstraßen von Bourdeaux nach Orleans waren, da Paris noch eine kleine Stadt war, in welcher man einander die Hälse brach? Vergebens sagt man, Europa hat jetzo mehr Menschen als damals, und die Menschen sind jetzo besser. Man kann wissen, in welchen Jahren und um wie viel Europa bevölkerter geworden ist; denn fast in allen großen Städten machet man zum Schlus se der Jahre die Anzahl der Gebohrnen bekannt;
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und nach der genauen und sichern Regel, welche ein eben so geschickter als unermüdeter Holländer vor Kur zem gegeben hat, kann man die Zahl der Einwohner aus der Zahl der Gebohrnen schließen. Dieses ist schon einer von den Gegenständen der Neugierigkeit eines jeden, welcher die Geschichte als ein Bürger und als ein Philosoph lesen will. Doch auch mit die ser Kenntniß wird er sich noch nicht begnügen lassen; er wird untersuchen, welches das Hauptlaster und die herrschende Tugend eines Volks gewesen ist; war um es schwach oder mächtig auf der See gewesen, wie und wie sehr es sich seit einem Jahrhunderte be reichert habe; und dieses alles kann man aus den Registern der Ausfuhren berechnen. Er wird wissen wollen, wie die Künste und Manufacturen aufge kommen sind; er wird ihrem Fortgange aus einem Lande in das andere nachfolgen. Endlich werden die Veränderungen der Gesetze und der Sitten sein vor nehmster Gegenstand seyn. Auf diese Art wird man die Geschichte der Menschen wissen, anstatt daß man sonst nur einen Theil der Geschichte der Könige und der Höfe weis. Vergebens lese ich die Zeitbücher von Frankreich; unsre Geschichtschreiber alle gedenken mit keinem Worte an diese besondern Untersuchungen. Kein einziger hat zu seinem Wahlspruche gehabt: Homo sum, humani nil a me alienum puto. Man sollte also, scheint mir, diese nützlichen Kennt nisse mit Kunst in den Zusammenhang der Begeben heiten einzuflechten wissen.
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Ich glaube, dieses ist die einzige Art die Geschich te als ein wahrer Staatsmann und ein wahrer Weltweiser zu schreiben. Die alte Geschichte ab handeln, heißt, glaube ich, einige Wahrheiten mit tausend Lügen zusammen schreiben. Diese Geschichte ist vielleicht weiter zu nichts nütze, als wozu die My thologie nütze ist, daß man nämlich die großen Be gebenheiten heraus zieht, welche den Inhalt zu un sern Bildern, zu unsern Gedichten hergeben, und zu einigen moralischen Anwendungen dienen müssen. Man muß die Thaten des Alexanders wissen, so wie man die Arbeiten des Herkules weis. Kurz, diese alte Historie scheint mir in Ansehung der neuern eben das zu seyn, was die alten Medal lien in Ansehung der gangbaren Münzen sind. Die erstern bleiben in den Sammlungen der Neugierigen, die andern laufen in der Welt herum und beleben die Handlung unter den Menschen. Ein solches Werk aber zu unternehmen werden Leute erfordert, welche etwas mehr kennen als Bü cher. Die Regierung muß sie wenigstens eben so sehr dazu aufmuntern, was sie thun werden, als Boi leau, Racine, Valincourt dazu aufgemuntert wur den, was sie nicht thaten; und man muß nicht von ihnen sagen können, was ein königlicher Schatzmei ster von diesen Herren sagte: noch haben wir von ihnen nichts als ihre Un terschrift gesehen.
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II. Versuch über das Jahrhundert Ludewigs des XIV.

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Erstes Hauptstück.

Es ist nicht das Leben Ludewigs des XIV, welches man sich zu schreiben vornimmt, man hat sich einen weit größern Gegenstand erwählt. Man will nicht der Nachwelt die Thaten eines einzigen Mannes schildern, sondern den Geist der Menschen in dem alleraufgeklärtesten Jahrhunderte, welches je mals gewesen ist. Alle Zeiten haben Helden und Staatskundige her vorgebracht. Alle Völker haben Veränderungen er litten. Alle Geschichte sind für den fast gleich, wel cher sein Gedächtniß nur mit Thaten anfüllen will. Ein jeder aber welcher denket, oder was noch seltner ist, ein jeder welcher Geschmack hat, kennet nur vier Jahrhunderte in der Geschichte der Welt. Diese vier glücklichen Zeitalter sind diejenigen, welche die Künste zu ihrer Vollkommenheit gelangen ließen, und, als die Epochen der Größe des menschlichen Geistes, das Beyspiel der Nachwelt wurden.
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Das erste von diesen Jahrhunderten, welches mit einem wahrhaften Ruhme pranget, ist das Jahrhun dert des Philippus und des Alexanders, oder das Zeitalter der Perikles, der Demosthenen, der Ari stoteles, der Platons, der Apelles, der Phidias, der Praxiteles. Und diese Ehre war nur in den Gränzen Griechenlandes eingeschlossen, der übrige Theil der Erde waren Barbaren. Das andre Jahrhundert ist das Jahrhundert des Cäsars und Augustus, welches auch nach dem Na men eines Lucretius, eines Cicero, eines Livius, eines Virgils, eines Horaz, eines Ovids, eines Varro, eines Vitruvs kann bezeichnet werden. Das dritte Jahrhundert ist dasjenige, welches auf die Einnahme Constantinopels, durch Mahomet den II, folgte. Damals sahe man in Italien eine Fa milie bloßer Bürger dasjenige thun, was die Könige in Europa hätten unternehmen sollen. Die Medicis riefen die Künste nach Florenz, welche die Türken aus Griechenland verjagten, und dieses war die Zeit der Ehre Italiens. Alle Wissenschaften bekamen ein neues Leben. Die Italiener beehrten sie mit dem Namen der Tugend, so wie die ersten Griechen sie mit dem Namen der Weisheit belegt hatten. Alles strebte nach seiner Vollkommenheit; die Michael An gelos, die Raphaels, die Titiane, die Tassos, die Arioste blühten. Die Kunst zu stechen ward erfun den, die schöne Baukunst erschien noch wunderns würdiger, als in dem siegenden Rom. Die gothische Barbarey, welche Europa in allen Stücken verun staltete, ward aus Italien verjagt, dem guten Ge schmacke Platz zu machen.
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Die stets aus Griechenland nach Italien verpflanz ten Künste befanden sich in einem vortheilhaften Bo den, und brachten so gleich Früchte. Frankreich, England, Deutschland, Spanien wollten auch an diesen Früchten Theil nehmen, allein entweder sie ka men gar nicht in diese Gegenden, oder sie arteten doch sehr bald aus. Franciscus der Erste munterte die Gelehrten auf; allein diese Gelehrten waren nichts als Gelehrte. Er hatte Baumeister, aber es waren weder Michael Angelos noch Palladios. Umsonst wollte er Maler schulen aufrichten; die italienischen Maler, welche er herbeyrief, zogen keine französischen Schüler. Ei nige Sinnschriften, einige freye Erzählungen, das war unsre ganze Poesie. Rabelais war das einzige prosaische Buch nach der Mode, zu der Zeit Hein richs des II. Mit einem Worte, die Italiener allein hatten al les, wenn man die Musik ausnimmt, welche da mals noch ungestaltet war, und die versuchende Na turlehre, welche überall gleich unbekannt war. Das vierte Jahrhundert endlich ist dasjenige, wel ches man das Jahrhundert Ludewigs des XIV nennt, und es ist vielleicht von allen vieren dasjenige, wel ches der Vollkommenheit am nächsten kommt. Durch die Entdeckungen der drey andern bereichert, hat es in gewissen Stücken mehr als alle dreye zusammen ge than. Zwar sind in der That nicht alle Künste wei ter getrieben worden, als unter den Medicis, unter dem August und unter dem Alexander; der menschliche Verstand aber überhaupt ist vollkommner geworden. Die gesunde Philosophie ward erst zu dieser Zeit be
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kannt; und man kann mit Wahrheit sagen, daß, von den letzten Jahren des Kardinals von Richelieu anzu fangen, bis auf die Jahre welche auf den Tod Ludewigs des XIV folgten, in unsern Künsten, in unsern Gei stern, in unsern Sitten, wie in unsrer Regierung eine allgemeine Veränderung vorgegangen ist, welche zum ewigen Beweise der wahren Ehre unsers Vaterlan des dienen wird. Dieser glückliche Einfluß blieb nicht allein in Frankreich eingeschlossen; er hat sich auch so gar in England ausgebreitet; er hat die Nacheiferung erwecket, welche diesem geistigen und gründlichen Volke damals nöthig war; er hat den Geschmack nach Deutschland, die Wissenschaften nach Rußland ge bracht; er hat so gar Italien, welches matt zu wer den begonnte, wieder angefeuert, und Europa ist seine Feinheit dem XIVten Ludewig schuldig. Vor dieser Zeit belegten die Italiener alle jenseit der Gebirge mit dem Namen der Barbaren, und man muß gestehen, daß die Franzosen einigermaßen diese Beschimpfung verdienten. Unsre Väter ver banden mit der romanenhaften Artigkeit der Mohren die gothische Grobheit; sie hatte beynahe keine von den liebenswürdigen Künsten, welches ein deutlicher Beweis ist, daß die nützlichen Künste verabsäumet wurden; denn wenn man das Nöthige vollkommen gemacht hat, so findet man gar bald das Schöne und Angenehme, und es ist gar nicht zu verwundern, daß die Malerkunst, die Bildhauerkunst, die Dichtkunst, die Beredsamkeit, die Weltweisheit einem Volke bey nahe ganz unbekannt waren, welches Häfen an dem Oceane und an dem mittelländischen Meere, und gleichwohl keine Flotte, hatte; welches die Schwel
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gerey bis auf das äußerste liebte, und kaum einige grobe Manufacturen besaß. Die Juden, die Genueser, die Venetianer, die Portugiesen, die Holländer, die Engländer besorgten nach einander unsern Handel, dessen Quellen wir nicht kannten. Ludewig der XIII als er zur Krone gelangte, hatte nicht ein Schiff. Paris enthielt vier hundert tausend Menschen, und war kaum mit vier schönen Gebäuden gezieret. Die übrigen Städte des Reichs glichen den Flecken, welche man jenseit der Loire sieht. Der ganze Adel, welcher sich auf dem Lande in seinen mit Gräben verschanzten Löchern aufhielt, unter drückte die, welche das Land anbauten. Auf den Landstraßen konnte man beynahe nicht fortkommen, die Städte waren ohne Policey, der Staat ohne Geld, und die Regierung fast beständig bey andern Völkern ohne Credit. Man muß es sich nicht verheelen, daß nach dem Verfalle der Carolomannischen Familie Frankreich mehr oder weniger in dieser Ohnmacht geschmachtet hat, weil es fast nicht eine einzige gute Regierung ge nossen hatte. Wenn ein Staat mächtig seyn soll, so muß ent weder das Volk eine auf die Gesetze gegründete Frey heit haben, oder die oberste Gewalt muß ohne Wi derspruch befestiget seyn. In Frankreich waren die Völker bis zur Zeit des Philippus Augustus Sklaven; bis auf Ludewig den XIten waren die Vornehmen Wüthriche, und die Kö nige waren nur bedacht ihr Ansehen gegen ihre Va sallen zu erhalten, und hatten also niemals Zeit an
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das Glück ihrer Unterthanen zu denken, und niemals Kräfte, es zu machen. Ludewig der XI that sehr viel für die königliche Ge walt; nichts aber für die Glückseligkeit und die Ehre seines Volks. Franciscus der Erste ließ die Handlung, die Schif fahrt, die Wissenschaften und Künste hervorsprossen; er war aber viel zu unglücklich, als daß er sie in Frank reich hätte können Wurzel schlagen lassen, und alle giengen nach ihm unter. Heinrich der Große wollte Frankreich aus dem Elende und der Barbarey reißen, worein es dreyßig Jahre voll Zwist gestürzet hatten, als er in seiner Hauptstadt, mitten unter einem Volke, dessen Glück er machen wollte, ermordet wurde. Der Kardinal von Richelieu, welcher nur auf die Erniedrigung des Hauses Oesterreich, auf die Un terdrückung des Calvinismus und der Großen bedacht war, genoß keiner genugsam friedsamen Gewalt, sein Volk zu verbessern; gleichwohl aber fing er dieses glückliche Werk an. Auf diese Art war ganzer neun hundert Jahr un ser Geist unter einer gothischen Regierung im Joche, mitten unter den Uneinigkeiten des bürgerlichen Krie ges, ohne Gesetze, ohne bestimmte Gewohnheiten, und änderte alle zwey Jahrhunderte eine Sprache, welche immer gleich grob blieb. Die Adlichen waren ohne Zucht, und kannten nichts als den Krieg und die Faulheit; die Geistlichen lebten in Unordnung und Unwissenheit; die Völker waren ohne Arbeit und krochen in ihrem Elende.
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Daher kam es, daß die Franzosen keinen Theil an den großen Entdeckungen und wunderbaren Erfin dungen der andern Völker hatten. Die Buchdru ckerkunst, das Pulver, die Gläser, die Tubi, der Verhältnißzirkel, die Luftpumpe, das wahre Welt gebäude gehören ihnen nicht zu. Sie hielten Tur nierspiele, als die Portugiesen und Spanier, gegen Morgen und Abend der bekannten Welt, neue Wel ten entdeckten und eroberten. Carl der fünfte streute schon in Europa die Schätze von Mexico aus, ehe noch einige Unterthanen des ersten Franciscus die un bewohnte Gegend von Canada entdeckten. Durch das wenige aber, was die Franzosen zu Anfange des sechszehnten Jahrhunderts thaten, sahe man, zu wie vielen sie fähig wären, wenn sie angeführet würden. Man nimmt sich vor hier zu zeigen, was sie unter Ludewig dem XIV gewesen sind, und man wünscht, daß die Nachkommenschaft dieses Monarchen, und die Nachwelt seiner Völker, durch eine glückliche Nach eiferung gleich stark belebt, sich anstrengen möchten ihre Vorältern zu übertreffen. Man hoffe nicht, die fast unendlichen Beschreibun gen der in diesem Jahrhunderte unternommenen Krie ge zu finden. Man überläßt den Annalisten die Mü he alle diese kleinen Begebenheiten genau zu sam meln, welche zu nichts dienen würden, als das Auge von dem Hauptgegenstande abzubringen. Sie mö gen die Züge, die Gegenzüge der Heere beschreiben, die Lage bestimmen, an welchen die Laufgräben vor den Städten eröffnet, an welchen sie eingenommen und wieder eingenommen, an welchen sie durch die Friedensschlüsse überliefert und wieder zurück über
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liefert wurden. Tausend Umstände, an welchen die Zeitverwandten Antheil nehmen, verlieren sich in den Augen der Nachwelt, und verschwinden, um nur die großen Begebenheiten sehen zu lassen, welche das Ge schicke der Reiche festgesetzt haben. Nicht alles was geschieht, verdient aufgeschrieben zu werden. Man wird sich in diesem Versuche besonders an dasjenige zu halten bemühen, was die Aufmerksamkeit aller Zei ten verdienet, an das nur, was den Geist und die Sitten der Menschen schildert, was zum Unterrichte dienen, und die Liebe der Tugend, der Künste und des Vaterlandes anrathen kann. Man wird sich zu zeigen bemühen, was Frankreich und die andern europäischen Reiche vor der Geburt Ludewigs des XIV waren, und hernach wird man die großen politischen und militarischen Begebenheiten sei ner Regierung beschreiben. Man wird anmerken, was zu seiner Zeit wegen der Religion vorgefallen ist, wel che, ob sie schon den Menschen nur zu einer Vorschrift der Sittlichkeit ist gegeben worden, nur allzu oft in ihren Händen einer der größten Gegenstände der Staatsklugheit wird. Hierauf wird man von dem privat Leben Ludewigs des XIV sprechen, von diesem sich beständig gleichen Leben, welches allezeit anstän dig, auch so gar in den Ergötzungen war, und zu ei nem Muster der Aufführung eines jeden Mannes am Ruder dienen kann. Die innerliche Regierung seines Reichs, ein weit wichtiger Punkt, wird auch einige besondere Abschnitte bekommen. Endlich wird man von dem Fortgange der Künste und Wissenschaften, und von der Geschichte des menschlichen Verstandes, als dem vornehmsten Gegenstande dieses Werks, handeln.
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Von den christl. europäischen Staaten vor Ludewig dem XIV.

Schon lange konnte man das christliche Europa, wenn man Moscau ausnimmt, als eine große Republik betrachten, welche in verschiedene Staaten von verschiedener Regierungsform getheilet war; welche aber alle in Verbindung mit einander standen, indem alle einerley Grundsätze der Religion hatten, ob sie gleich in verschiedene Sekten zertheilet waren, alle einerley Regeln des öffentlichen Rechts und Staatsrechts, wovon man in den übrigen Theilen der Welt nichts wußte. Diese Regeln sind nämlich diese; daß alle europäische Völker ihre Gefangenen nicht zu Sklaven machen; daß sie gegen die Abge sandten ihrer Feinde Achtung haben; daß sie mitein ander wegen gewisser Vorzüge und Rechte gewisser Prinzen einig sind, wie zum Exempel des Kaisers, der Könige, und anderer kleinerer Potentaten; daß sie vor allen Dingen in der weisen Staatsregel einig sind, unter einander, so viel als möglich, das Gleich gewicht der Gewalt zu erhalten, und deßwegen ohne Unterlaß, so gar mitten im Kriege, Unterhandlungen pflegen, beyeinander Abgesandten, oder vielmehr ehr liche Spione, haben, welche allen Höfen von der Ab sicht eines einzigen Nachricht geben, und also das gan ze Reich aufbringen, und die Schwächern vor Ueber
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fälle in Sicherheit setzen können, welche allezeit der Stärkste zu unternehmen bereit ist. Seit Carl dem Vten hing das Gleichgewicht all zusehr auf die Seite des Hauses Oesterreich. Dieses mächtige Haus war gegen das Jahr 1630 Herr von Spanien, von Portugall und den amerikanischen Schätzen; Flandern, Meiland, das Königreich Nea pel, Böhmen, Ungarn, Deutschland selbst, wenn man so reden darf, waren sein Erbtheil geworden; und wenn so viel Staaten unter ein einziges Haupt dieses Hauses wären vereiniget worden, so ist zu glauben, ganz Europa würde sich endlich haben unterwerfen müssen.

Von Deutschland.

Das deutsche Reich ist der mächtigste Nachbar, welchen Frankreich hat. Es ist ohngefähr von eben der Größe, vielleicht weniger reich an Geld, aber weit fruchtbarer an starken und der Arbeit geduldigen Männern. Es wird wenig fehlen, so wird die deutsche Nation auf eben die Art regiert, auf welche Frankreich unter den ersten Capetingischen Königen regieret wur de, welche die Häupter von verschiedenen großen Va sallen, und von einer großen Menge kleinerer waren, oft aber sehr schlechten Gehorsam erhielten. Jetzo machen sechszig freye Reichsstädte, beynahe eben so viel weltliche Oberherren, bis vierzig geistliche Fürsten, welches entweder Aebte oder Bischöfe sind, neun
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Churfürsten, unter welche drey Könige gehören, und endlich der Kaiser, als das Haupt aller dieser Poten taten, den großen deutschen Körper aus, welchen das deutsche Phlegma mit eben so vieler Ordnung fortdau ren läßt, als vor diesem in der französischen Regie rung Verwirrung war. Jedes Glied des Reiches hat seine Rechte, seine Freyheiten, seine Verbindlichkeiten; und die schwere Kenntniß von so viel Gesetzen, die oft widereinander laufen, macht dasjenige aus, was man in Deutsch land die Wissenschaft des Staatsrechts nennet, wel ches die deutsche Nation so bekannt gemacht hat. Der Kaiser an und vor sich selbst würde in Wahr heit nicht viel mächtiger und reicher als ein Doge in Venedig seyn. Das in freye Reichsstädte und be sondere Oberherrschaften zertheilte Deutschland, läßt dem Haupte so vieler Staaten nichts als den Vor zug mit ungemeinen Ehrenbezeugungen, aber ohne Einnahme, ohne Geld, und also auch ohne Ge walt. Als Kaiser besitzt er nicht einen einzigen Fle cken; die einzige Stadt Bamberg ist ihm als sein Sitz ausgemacht worden, wenn er keinen andern hat. Unterdessen war diese so eitle als erhabne Würde in den Händen der Oesterreicher so mächtig geworden, daß man oft befürchtet hat, sie würden diese Repu blik von Prinzen in eine unumschränkte Monarchie verwandeln. Zwo Parteyen theilten damals, und trennen auch noch, das christliche Europa, und besonders Deutschland. Die eine ist die Partey der Katholi ken, welche mehr oder weniger dem Pabste unter worfen sind. Die andre ist die Partey der Feinde
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der geistlichen und weltlichen Gewalt des Pabsts und der katholischen Prälaten. Wir nennen alle von die ser Partey mit dem allgemeinen Namen Prote stanten, ob sie gleich in Lutheraner und Calvinisten und andere getheilt sind, die sich alle untereinander eben so sehr hassen, als sie Rom hassen. In Deutschland folgen Sachsen, Brandenburg, die Pfalz, ein Theil von Böhmen, von Ungarn, die Staaten des Hauses Braunschweig, Würtenberg der lutherischen Religion, welche man die evangelische heißt. Alle freye Reichsstädte haben diese Sekte er griffen, welche ihnen, als Leuten die auf ihre Freyheit eifersüchtig sind, anständiger als die katholische Reli gion geschienen hat. Die Calvinisten, welche unter den Lutheranern, als den stärksten, zerstreuet sind, machen einen sehr mittel mäßigen Haufen aus. Der übrige Theil des Reichs besteht aus Katholiken, und da sie das Haus Oester reich an ihrer Spitze hatten, waren sie ohne Zweifel die mächtigsten. Nicht allein Deutschland, sondern alle christliche Staaten bluteten noch von den Wunden, welche sie in so vielen Religionskriegen bekommen hatten; eine Wuth, welche den Christen besonders eigen ist, und den Götzendienern unbekannt war; eine unglückliche Folge übrigens von dem seit so langer Zeit in alle Stände eingeführten dogmatischen Geiste. Es sind wenig streitige Punkte, welche nicht bürgerliche Krie ge verursacht hätten, und fremde Völker (vielleicht auch unsre Nachkommenschaft) werden es einmal schwerlich begreifen können, daß unsre Väter, so lan
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ge Jahre hindurch, einander die Hälse gebrochen, und gleichwohl immer von Geduld geprediget haben. Der Kaiser Matthias war im Jahre 1619 ohne Kinder gestorben, und die protestantische Partey gab sich Mühe das Reich von dem Hause Oesterreich und von der römischen Gemeinschaft zu bringen. Nichts destoweniger ward Ferdinand der Fette, ein Vetter des Matthias, zum Kaiser erwählt. Er war schon König von Böhmen und Ungarn durch die Niederle gung des Matthias, und durch die gezwungene Wahl dieser zwey Reiche. Dieser Ferdinand der II fuhr fort die protestanti sche Partey zu unterdrücken, und sahe sich einige Zeit lang als den mächtigsten und glücklichsten Monarchen der Christenheit, nicht so wohl durch sich selbst als durch den glücklichen Fortgang seiner zween großen Generale des Wallensteins und Tilly, nach Art nicht weniger Regenten aus dem Hause Oesterreich, welche Sieger wurden ohne Krieger zu seyn, und bloß durch die Verdienste derjenigen, welche sie zu wählen ge wußt hatten, glücklich waren. Schon drohte diese Macht sowohl den Protestanten als Katholiken das Joch; die Bestürzung breitete sich so gar bis nach Rom aus, über welches der Titel eines Kaisers und römischen Königs eingebildete Rechte ertheilen, wel che aber die geringste Gelegenheit nur allzu wirklich machen kann. Rom, welches, seiner Seits, ehedem ein noch weit eingebildeter Recht über das Reich ver langte, vereinigte sich damals mit Frankreich wider das Haus Oesterreich. Das Geld der Franzosen, die Mengereyen Roms und das Geschrey aller Prote stanten, riefen endlich aus dem Innern Schwedens
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den Gustav Adolph herbey, den einzigen König der damaligen Zeit, welcher sich den Titel eines Helden anmaßen, und die österreichische Macht über den Hau fen werfen konnte. Die Ankunft Gustav Adolphs in Deutschland ver änderte die ganze Scene. Er gewann 1631 wider den General Tilly die Schlacht bey Leipzig, welche durch die neuern Kriegsübungen so bekannt ist, die dieser König darinn in Ausübung brachte, und wel che noch jetzt das Meisterstück der Kriegskunst ist. Der Kaiser Ferdinand sahe sich im Jahre 1632 auf dem Punkte, Böhmen, Ungarn und das Reich zu verlieren; sein Glück aber rettete ihn. Gustav Adolph blieb in der Schlacht bey Lützen, mitten in dem Laufe seiner Siege, und der Tod eines einzigen Mannes stellte dasjenige wieder her, was er nur al lein vernichten konnte. Die Staatsklugheit des Hauses Oesterreich, wel che unter den Waffen des Adolphs vorher erlag, be fand sich nunmehr gegen alle die übrigen stark genung. Sie brachte die mächtigsten Fürsten des Reichs von dem schwedischen Bündnisse ab. Diese siegrischen Truppen, nachdem sie von ihren Bundesgenossen ver lassen und ihres Königs beraubt waren, wurden bey Nördlingen geschlagen; und ob sie gleich hernach glücklicher waren, so waren sie doch immer weniger zu fürchten, als unter Gustaven. So standen die Sachen als Ferdinand der II starb, und seinem Sohne Ferdinanden dem III alle seine Staaten hinterließ, welcher auch seine Staatsklug heit erbte, und die Kriege, wie er, aus seinem Ca
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binete fortsetzte. Er regierte während der Minder jährigkeit Ludewigs des XIV. Deutschland war damals noch nicht so blühend, als es hernach geworden ist. Die Schwelgerey war daselbst unbekannt, und die Bequemlichkeiten des Le bens waren auch bey den größten Herren noch sehr sel ten. Sie sind nicht eher dazu gebracht worden, als gegen das Jahr 1686 durch die französischen Flücht linge, welche daselbst ihre Manufacturen aufzurichten kamen. Diesem fruchtbaren und bewohnten Lande fehlte es an Handlung und Gelde, die Ernsthaftig keit der Sitten und die den Deutschen eigene Lang samkeit, beraubten sie der Vergnügungen und der an genehmen Künste, welche die italienische Empfindlich keit schon seit so vielen Jahren ausübte, und welche der französische Fleiß damals vollkommen zu machen anfing. Die Deutschen, welche bey sich reich waren, waren auswärts arm; und diese Armuth, nebst der Schwierigkeit so viel verschiedne Völker lange Zeit unter einer Fahne zu erhalten, setzte sie, fast wie jetzo, in die Unmöglichkeit den Krieg in das Land ihrer Nach barn zu bringen und ihn lange auszuhalten. Und fast allezeit haben die Franzosen ihren Krieg wider das Reich in dem Reiche selbst geführet. Der Un terschied der Regierung und des Genies macht die Franzosen geschickter zum Anfalle und die Deutschen geschickter zur Ver theidigung.
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Von Spanien.

Spanien ward von der ältesten Linie des Hauses Oesterreich regiert, und hatte nach dem Tode Carls des V, mehr Schrecken verursacht als die deut sche Nation. Die Könige von Spanien waren un gleich uneingeschränkter und reicher. Die Bergwer ke in Mexico und Potosi schienen ihnen so viel herzu geben, als sie die Freyheit von ganz Europa zu erkau fen brauchten. Der Entwurf einer allgemeinen Mo narchie, welchen Carl der V zuerst gemacht hatte, ward anfangs von dem zweyten Philipp fortgesetzt. Er wollte aus dem Innersten des Escurials die Chri stenheit durch Unterhandlungen und durch Krieg un ter das Joch bringen. Er nahm Portugall weg. Er verwüstete Frankreich, er drohete England, er war aber vielleicht geschickter in der Ferne mit Sklaven zu handeln, als seinen Feind in der Nähe zu bestreiten. Die Eroberung Portugalls war die einzige. Er wen dete nach seinem eigenen Geständnisse funfzehn hun dert Millionen, welche zu jetziger Zeit, im Jahre 1745, mehr als drey tausend Millionen nach unsrer Münze ausmachen, daran, sich Frankreich unterwürfig zu ma chen, und Holland wieder zu bekommen. Doch seine Schätze dienten zu nichts als die Länder zu bereichern, welche er sich unterthan machen wollte. Philipp der III, sein Sohn, war noch weniger kriegerisch, und noch weniger weise, und hatte wenig Tugenden eines Königs. Der Aberglaube, die
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ses Laster schwacher Seelen, beschimpfte seine Regie rung, und schwächte die spanische Monarchie. Sein Reich fing sich an durch die häufigen Colonisten zu er schöpfen, welche der Geiz in die neue Welt schickte, und bey diesen Umständen jagte der König noch dazu mehr als acht hundert tausend Mohren aus seinen Staaten, da er vielmehr noch mehrere hätte sollen herüber kommen lassen, wenn es anders wahr ist, daß die Menge der Unterthanen der wahre Schatz der Kö nige sey. Seit der Zeit war Spanien beynahe eine Wüste. Der müßige Stolz der Einwohner ließ die Reichthümer der neuen Welt in andre Hände kom men; und das Gold aus Peru ward allen Kaufleuten in Europa zu Theil. Umsonst verschließt ein strenges und allezeit befolgtes Gesetz die Hafen in dem spani schen Amerika allen andern Völkern; die französischen, englischen und italienischen Handelsleute beladen ihre Schiffe mit ihren Waaren, und für sie sind Peru und Mexico erobert worden. Die spanische Größe war also unter dem dritten Philipp nichts mehr als ein großer Körper ohne Le ben, welcher mehr Ansehen als Kräfte hatte. Philipp der IV, der Erbe der väterlichen Ohn macht, verlohr Portugall durch seine Nachläßigkeit, Russillon durch die Schwäche seiner Waffen, und Catalonien durch den Misbrauch der unumschränkten Gewalt. Dieses war der König, welchen der Graf Ducas Olivarez, sein Minister und Liebling, den Na men des Großen bey seiner Gelangung zur Krone annehmen ließ, vielleicht um ihn zu ermuntern diesen Titel zu verdienen, dessen er so wenig werth war, daß sich kein einziger unterstand ihm denselben, ob er gleich
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König war, beyzulegen. Solche Könige konnten in ihren Kriegen gegen Frankreich nicht lange glücklich seyn. Wenn ihnen unsre Uneinigkeiten und Fehler einige Vortheile verschafften, so verlohren sie die Frucht davon durch ihr eignes Unvermögen. Was noch mehr ist; sie beherrschten Völker, welchen ihre Frey heiten das Recht gaben, schlecht zu dienen. Die Castilianer hatten den Vorzug nirgends anders, als in ihrem Vaterlande, streiten zu dürfen. Die Arra gonier stritten ohne Unterlaß wegen ihrer Freyheit mit dem königlichen Rathe, und die Catalonier, wel che ihre Könige als ihre Feinde ansahen, erlaubten ihnen nicht einmal in ihren Provinzen zu werben. Also war dieses schöne Königreich damals von außen sehr ohnmächtig und von innen sehr elend; kein Fleiß kam in diesen glücklichen Gegenden den Geschenken der Natur zu Statten; weder die Seide aus Valencia, noch die schöne Wolle aus Andalusien und Castilien wurden von spanischen Händen zu rechte gemacht. Die feinen Tücher waren ein damals sehr unbekannter Putz. Die niederländischen Manufacturen, die Re ste der Denkmäler des burgundischen Hauses, schaff ten in Madrid damals alles herbey, was man von Pracht wußte. Die goldnen und silbernen Stoffe waren in dieser Monarchie verbothen, wie sie es ohn gefähr in einer armen Republik seyn würden, welche sich dadurch arm zu machen fürchten müßte. In der That war Spanien ungeachtet der Bergwerke der neuen Welt so arm, daß das Ministerium Philipps des IV sich genöthiget sahe Münze von Kupfer zu schlagen, welcher man beynahe einen eben so hohen Werth gab als der silbernen Münze. Der Besitzer
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von Mexico und Peru mußte falsches Geld schlagen, die Schulden des Staats bezahlen zu können. Man wagte es nicht, wenn man dem weisen Gourville glau ben darf, persönliche Auflagen zu machen; weil we der die Bürger noch die Landleute Hausgeräthe hat ten, und also nimmermehr zur Bezahlung hätten kön nen gezwungen werden. Dieses war der Zustand Spaniens und gleichwohl legte es, als es mit dem deutschen Reiche vereiniget war, ein sehr fürch terliches Gewicht in die Wagschale von Europa.

Von Portugall.

Portugall ward damals wieder zum Königreiche. Johann, Herzog von Braganza, ein Prinz, der für schwach gehalten wurde, hatte dieses Reich einem Könige entrissen, der noch schwächer war als er. Die Portugiesen trieben den Handel aus Noth wendigkeit, welchen die Spanier aus Stolz unterlies sen. Sie verbanden sich im Jahre 1641 mit Frank reich und Holland wider Spanien. Diese Verän derung mit Portugall war Frankreich zuträglicher, als ihm die größten Siege hätten seyn können. Das französische Ministerium, welches zu dieser Begeben heit nichts beygetragen hatte, zog ohne Mühe den größten Vortheil davon, den man über seinen Feind erlangen kann, diesen nämlich, ihn von einer unver söhnlichen Macht angefallen zu sehen.
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Portugall, welches das spanische Joch abschüt telte, seine Handlung erweiterte und seine Gewalt ver mehrte, bringt uns Holland in die Gedanken, wel ches eben diese Vortheile, auf eine ganz andere Art, genoß.

Von Holland.

Dieser kleine Staat der sieben vereinigten Pro vinzen, ein unfruchtbares und ungesundes Land, welches das Meer fast überschwemmte, war beynahe seit einem halben Jahrhunderte vielleicht das einzige Beyspiel auf der Welt, wieviel die Liebe zur Freyheit und eine unermüdete Arbeit auszurichten fähig sind. Dieses arme und wenig zahlreiche Volk, welches weit weniger als die schlechtesten spanischen Truppen zum Kriege abgerichtet war, und fast für nichts in Europa gerechnet wurde, widerstand aller Gewalt ihres Her ren und ihres Wüthrichs Philipps des II, machte die Unternehmungen verschiedner Fürsten zunichte, wel che ihnen beystehen wollten, um sie zu unterdrücken, und gründete eine Macht, welche, wie man gesehen hat, der ganzen spanischen Gewalt das Gleichgewicht gehalten hat. Die Verzweifelung, zu welcher sie die Tyranney brachte, hatte sie zuerst bewaffnet: die Freyheit hatte ihren Muth erhoben, und die Prinzen des Hauses Oranien hatten vortreffliche Soldaten aus ihnen gemacht. Kaum hatten sie über ihre Herren gesiegt, als sie eine Art einer Regierung aufrichteten,
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welche, so viel als möglich, die Gleichheit, das natürlichste Recht der Menschen, erhält. Die Annehmlichkeit dieser Regierung und die Dul dung aller Arten des Gottesdienstes, welche vielleicht anderwärts gefährlich seyn würde, hier aber noth wendig war, bevölkerte Holland mit einer Menge von Fremden, besonders von Wallonen, welche die Inquisition in ihrem Vaterlande verfolgte, und die aus Sklaven Bürger wurden. Die herrschende calvinische Religion in Holland trug auch zu seiner Macht nicht wenig bey. Dieses damals so arme Land würde weder die Pracht der Prälaten haben aushalten, noch die geistlichen Orden versorgen können. Diese Gegend, welche Men schen brauchte, konnte unmöglich diejenigen aufneh men, welche sich durch einen Eid verpflichten, das menschliche Geschlecht, so viel an ihnen ist, unterge hen zu lassen. England diente zum Beyspiele, wel ches um ein Dritttheil bevölkerter war, seitdem die Diener des Altars die Annehmlichkeiten des Ehestan des genossen, und die Hoffnungen der Familien nicht mehr in die Ehelosigkeit der Klöster vergraben wurden. Unterdessen da die Holländer diese neue Regierung, mit gewaffneter Hand, aufrichteten, unterstützten sie es durch die Handlung. Sie giengen in das Innerste Asiens, eben diese Herren anzufallen, welche sich da mals die Entdeckungen der Portugiesen zu Nutze machten. Sie nahmen ihnen die Inseln weg, wo die kostbaren Spezereyen wachsen, welches eben so wirkliche Schätze, als die Schätze aus Peru, sind, und deren Anbauung der Gesundheit eben so zuträg
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lich, als die Arbeit in den Bergwerken den Men schen tödtlich ist. Die ostindische Gesellschaft, welche 1602 errich tet wurde, gewann schon im Jahre 1620 drey hundert Procent. Dieser Gewinst vermehrte sich jährlich. Im Kurzen ward diese Gesellschaft von Kaufleuten eine fürchterliche Macht, und baute in der Insel Ja va, die Stadt Batavia, die schönste Stadt in Asien, und der Mittelpunkt der Handlung, in welcher mehr als fünf tausend Chineser wohnen, und alle Natio nen der Welt zusammenkommen. Die Gesellschaft kann daselbst dreyßig Kriegsschiffe, jedes von vierzig Canonen, ausrüsten, und wenigstens zwanzig tausend Mann ins Feld stellen. Ein bloßer Kaufmann, wenn er Statthalter in dieser Colonie ist, erscheint in der Pracht der größten Könige, ohne daß dieser asia tische Stolz die haushältrische Einfalt in Europa verdirbt. Diese Handlung und diese Haushaltung machten die sieben Provinzen groß. Antwerpen, welches so lange Zeit geblühet, und die Handlung von Venedig verschlungen hatte, war nichts mehr, als eine Wüsten. Amsterdam dargegen, der Beschwerlichkeiten seines Hafens ungeachtet, ward das Magazin der Welt. Ganz Holland berei cherte und verschönerte sich durch unermeßliche Arbei ten. Das Wasser des Meers ward durch die ge doppelten Dämme zurück gehalten. Die in allen Städten gegrabenen Canäle wurden mit Steinen aus gesetzt, die Gassen wurden breite steinerne Brücken, die mit großen Bäumen gezieret waren. Die mit Waaren beladenen Barken landeten an den Thüren der Privatpersonen an, und nie werden die Fremden
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ermüden, die besondere Vermischung zu bewundern, welche durch die Gipfel der Bäume, durch die Dä cher der Häuser, und die Fahnen der Schiffe entste het, und auf einmal an einem Orte den Anblick des Meers, der Stadt und des Landes schenket. Dieser Staat, von einer ganz neuen Beschaffenheit, war seit seiner Stiftung sehr genau an Frankreich verbunden; sie hatten gleiches Interesse und gleiche Feinde. Heinrich der Große und Ludewig der XIII waren seine Bundsgenossen und Beschützer gewesen.

Von England.

England, welches weit mächtiger war, verlangte die Oberherrschaft auf dem Meere, und maßte es sich an, unter den europäischen Mächten ein Gleich gewicht zu erhalten. Doch Carl der I, welcher seit 1625 regierte, konnte nichts weniger als die Wucht dieses Gleichgewichts erhalten, der Zepter entfiel viel mehr unvermerkt seinen Händen. Er hatte seine Ge walt in England unabhängig von den Gesetzen ma chen, und in Schottland die Religion verändern wol len. Er war zu halsstarrig, seinen Vorsatz fahren zu lassen, und zu schwach, ihn auszuführen. Er war ein guter Ehemann, ein guter Herr, ein guter Vater, ein ehrlicher Mann; aber ein übelberathener Mo narche. Er vermengte sich in einen bürgerlichen Krieg, der ihn um die Krone und um das Leben
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brachte, welches er auf einem Schafot, durch eine fast unerhörte Empörung, verlieren mußte. Dieser bürgerliche Krieg, welcher sich während der Minderjährigkeit Ludewigs des XIV anfing, ver hinderte England eine Zeit lang, an den Angelegen heiten seiner Nachbarn Theil zu nehmen. Es ver lohr sein Ansehen mit seinem Glücke. Sein Handel ward unterbrochen, und die andern Völker glaubten es unter seinen Ruinen begraben zu seyn, als es auf einmal unter der Herrschaft des Cromwells fürchter licher, als jemals, wurde. Dieser machte es sich un terwürfig, indem er das Evangelium in der einen, den Degen in der andern Hand, und die Larve der Religion auf dem Gesichte trug; er welcher mit den Eigenschaften eines großen Königs, alle Laster eines unrechtmäßigen Besitzers bedeckte.

Von Rom.

Dieses Gleichgewicht, welches England unter den Königen, durch seine Gewalt, zu erhalten sich lange geschmeichelt hatte, suchte Rom durch seine Staatsklugheit zu behaupten. Italien war da mals, wie jetzo, in verschiedene Oberherrschaften ver theilet. Die Oberherrschaft, welche der Pabst besitzt, ist groß genug, ihn als einen Fürsten ansehnlich zu machen, viel zu klein aber, ihn fürchterlich zu machen. Die Art der Regierung taugt nicht sein Land volkreich zu machen, welches übrigens wenig Geld und Hand
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lung hat. Sein geistliches Ansehen, allezeit mit ein wenig weltlichem vermischt, ist in der Hälfte der Chri stenheit vernichtet und verabscheuet; und wann er in der andern Hälfte als ein Vater angesehen wird, so hat er Kinder, welche ihm manchmal mit Rechte und gutem Fortgange widerstehen. Der Grundsatz Frank reichs ist, ihn als eine geheiligte Person zu betrach ten, die aber oft zu viel unternimmt; der man die Füße küssen, und die Hände manchmal binden muß. Man sieht noch in allen katholischen Ländern die Spu ren der Schritte, welche der römische Hof ehemals zur allgemeinen Monarchie gethan hat. Alle katholi sche Prinzen schicken dem Pabste, bey ihrer Huldi gung, Gesandtschaften, welche man Obedientias nennt. Jede Krone hat in Rom einen Kardinal, welcher den Namen eines Protectors annimmt. Der Pabst giebt allen Bischöfen ihre Bullen, und drückt sich dar innen so aus, als ob er ihnen diese Würde aus eigner Gewalt ertheilte. Alle wälsche, spanische, niederlän dische, und auch so gar einige französische Bischöfe, nennen sich Bischöfe durch Gottes und des heiligen Stuhls Zulassung. Es ist kein Reich, in welchem nicht verschiedne Beneficia von seiner Ernennung ab hingen. Er bekommt, als einen Tribut, die Ein künfte des ersten Jahres der consistorial Beneficien. Die Ordensleute, deren Häupter in Rom ihren Sitz haben, sind eben so viel unmittelbare Untertha nen des Pabsts, die in allen Staaten zerstreuet sind. Die Gewohnheit, welche alles vermag und die Ur sache ist, daß die Welt eben sowohl durch Misbräu che als durch Gesetze regiert wird, hat den Fürsten nicht allezeit erlaubt, einer Gefahr gänzlich abzuhel
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fen, welche dazu mit nützlichen und heiligen Sachen verknüpft ist. Einem andern als seinem Oberherren den Eid ablegen, ist bey einem Layen ein Verbrechen der beleidigten Majestät; in dem Kloster ist es eine gottesdienstliche Handlung. Die Schwierigkeit zu wissen, wie weit man diesem fremden Oberherren ge horchen müsse, die Leichtigkeit sich verführen zu las sen, das Vergnügen ein natürlich Joch abzuschütteln, um sich unter eines zu begeben, das man sich selbst erwählet hat, der Geist des Aufruhrs, das Unglück der Zeiten, haben nur allzu oft ganze geistliche Or den verleitet, dem römischen Hofe wider ihr Vater land zu dienen. Der aufgeklärte Geist, welcher seit einem Jahr hunderte in Frankreich herrschet, und sich fast in allen Ständen ausgebreitet hat, ist das sicherste Mittel wi der diesen Misbrauch gewesen. Die guten Bücher, welche man über diese Materie geschrieben hat, sind wahre den Völkern und den Königen erwiesene Dien ste, und eine von den großen Veränderungen, welche sich, unter dem vierzehnten Ludewig, in unsern Sitten dadurch ereignet hat, ist die Ueberzeugung, in welcher alle Geistliche zu seyn anfangen, daß sie fürs erste Unterthanen des Königs, und alsdann Diener des Pabsts sind. Die Gerechtsamkeit, dieses wesentliche Zeichen der Oberherrschaft, ist noch bey dem päbstli chen Stuhle geblieben. Frankreich selbst, aller Frey heiten der gallischen Kirche ungeachtet, leidet es noch, daß man sich in geistlichen Fällen, als die letzte Zu flucht, auf den Pabst beruft. Wenn man eine Ehe aufheben, wenn man eine nahe Anverwandtinn heirathen, wenn man sich von sei
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nen Gelübden lösen lassen will, so wendet man sich nach Rom, und nicht an seinen Bischof. In Rom werden die Gnadenbezeugungen geschätzt, und in Rom kaufen Privatpersonen aus allen Staaten Erlassungen, sie mögen kosten, was sie kosten. Diese Vorzüge, welche von vielen als eine Folge der größten Misbräuche, und von andern als die Ueberbleibsel der heiligsten Rechte, angesehen werden, werden mit einer bewundernswürdigen Kunst erhalten. Rom wendet eben so viel Staatsklugheit an, sein An sehen zu erhalten, als die römische Republik anwen dete, die Hälfte der bekannten Welt zu erobern. Nie hat ein Hof sich besser nach den Menschen und nach den Zeiten zu richten gewußt. Die Päbste sind meistens Italiener, welche in den Geschäfften grau geworden, und ohne Leidenschaften, welche sie ver blenden könnten. Ihr Rath besteht aus Kardinälen, die ihnen gleichen, und alle von ebendemselben Gei ste belebt werden. Aus diesem Rathe kommen Be fehle, welche bis nach China und Amerika gehen; in diesem Verstande erstreckt er sich über die ganze Welt, und man kann das davon sagen, was ehemals ein Ausländer von dem römischen Senate sagte: ich habe eine Versammlung von Königen gesehen. Die mei sten unsrer Schriftsteller haben sich mit Rechte wider den Stolz dieses Hofes aufgelegt; ich finde aber kei nen unter ihnen, der ihm wegen seiner Klugheit habe Recht wiederfahren lassen. Ich weis nicht, ob eine andere Nation so lange Zeit so viel stets bestrittene Vorzüge, in Europa, würde erhalten haben. Jeder andre Hof würde sie vielleicht entweder aus Unbieg samkeit, oder aus Weichlichkeit, entweder aus Lang
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samkeit oder aus Heftigkeit verlohren haben. Rom aber, welches fast stets Standhaftigkeit und Bieg samkeit zur rechten Zeit anzuwenden weis, hat alles erhalten, was es menschlicher Weise hat erhalten kön nen. Kriechend sahe man es unter Carl dem V, schrecklich unserm Könige Heinrich dem III, bald Feind, bald Freund gegen Heinrichen den IV, schlau gegen Ludewigen den XIII, und dem XIVten Ludewig zeigte es sich offenbar entgegen, zu der Zeit, da er am meisten zu fürchten war. Oft ist es ein heimli cher Feind selbst der Kaiser gewesen, welchen es we niger als den türkischen Sultanen getrauet hat. Einige Rechte, viele Ansprüche, und noch mehr Staatsklugheit: Dieses ist es alles, was jetzo noch in Rom von der alten Macht übrig ist, welche sechs Jahrhunderte vorher das römische Reich und ganz Europa der päbstlichen Krone unterwerfen wollte. Neapel ist ein noch fortdaurender Beweis von dem Rechte, welches sich die Päbste vormals mit so vieler Kunst und Größe anzumaßen wußten, Königreiche zu machen und zu verschenken. Allein der König in Spanien, Besitzer dieses Staats, ließ dem römischen Hofe nichts, als die Ehre und die Gefahr, ei nen allzu mächtigen Vasall zu haben.
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Von den übrigen Theilen Italiens.

Uebrigens war der päbstliche Staat in einer glück lichen Ruhe, welche durch nichts war unter brochen worden, als durch einen kleinen Krieg zwi schen den Kardinälen Barberini, den Nepoten des Pabsts Urbanus des VIII, und dem Herzoge von Parma; ein Krieg von kurzer Dauer, und wobey wenig Blut vergossen wurde, so wie man ihn von den neuen Römern erwarten konnte, deren Sitten nothwendig dem Geiste ihrer Regierung gemäß seyn müssen. Der Kardinal Barberini, der Urheber die ser Unruhen, zog an der Spitze seiner kleinen Armee mit Ablaßbriefen vorher. Die größte Schlacht, wel che vorfiel, war zwischen vier bis fünf hundert Mann auf beyden Seiten. Die Festung Pirgaia ergab sich auf Gnade und Ungnade, als sie die Artillerie her beykommen sahe. Diese Artillerie bestund aus zwo Feldschlangen. Gleichwohl waren zu Beylegung die ser Unruhen, welche nicht einmal einen Platz in der Geschichte verdienen, mehr Unterhandlungen nöthig, als wenn es einen Streit zwischen Rom und Kartha go betroffen hätte. Man führt diese Begebenheit nur deßwegen an, daß man das Genie des heiligen Roms kennen lerne, welches alles mit Unterhandlungen be schließt, so wie das alte Rom alles mit Siegen be schloß.
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Die übrigen Provinzen Italiens waren in ein ver schiedenes Interesse verwickelt. Venedig fürchtete sich vor den Türken und vor dem Kaiser; kaum konn te es die Staaten in dem festen Lande wider die An sprüche Deutschlands, und wider die Einfälle des Großsultans vertheidigen. Es war nicht mehr das Venedig, welches ehemals das Haupt der Handlung durch die ganze Welt war, und hundert und funfzig Jahre vorher die Eifersucht so vieler Könige erweckt hatte. Seine weise Regierung war immer noch eben dieselbe, seine große Handlung aber war zu nichte ge worden, und hatte ihr also allen Nachdruck entzogen. Venedig war durch seine Lage nicht im Stande über wunden zu werden, und durch seine Schwäche nicht im Stande Eroberungen zu machen. Der Staat von Florenz genoß der Ruhe und des Ueberflusses unter der Regierung der Medices. Die Wissenschaften, die Künste, die Artigkeit, welche die Medices hatten wachsen lassen, blühten noch. Flo renz war damals in Italien, was Athen in Griechen land gewesen war. Savoyen, welches der bürgerlicheKrieg und die französischen und die spanischen Truppen verwüstet hat ten, hatte sich nunmehr gänzlich mit Frankreich verbunden, und trug in Italien das Seine zur Schwä chung des österreichischen Hauses bey. Die Schweizer erhielten damals, wie jetzt, ihre Freyheit, ohne daß sie jemanden zu unterdrücken such ten. Sie verkauften ihre Truppen an ihre reichern Nachbarn; sie waren arm; sie wußten von den Wis senschaften und den Künsten nichts, welche Gemäch lichkeit und Pracht erfanden; aber sie waren weise und glücklich.
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Von den nordischen Staaten.

Die nordischen Völker Europens, Pohlen, Schwe den, Dännemark, Moscau, waren, wie die übrigen Mächte, beständig im Mistrauen oder Krieg mit einander. Man sahe, wie noch jetzo, in Pohlen die Sitten und die Regierung der Gothen und Fran ken; einen erwählten König; Edelleute, welche an sei ner Gewalt Theil nahmen; ein sklavisches Volk; eine schwache Infanterie; eine aus lauter Edelleuten be stehende Reiterey; keine befestigten Städte und fast gar keine Handlung. Dieses Volk wurde bald von den Schweden, bald von den Russen, bald von den Türken angefallen. Schweden, welches seiner Einrich tung nach noch freyerer ist, indem es sogar die Bauren mit unter die Reichsstände aufnimmt, damals aber seinen Königen folgsamer war als Pohlen, war bey nahe überall Sieger. Dännemark, welches ehedem Schweden fürchterlich war, war es jetzo nieman den mehr. Moscau aber lag noch in seiner Barbarey.

Von den Türken.

Die Türken waren das nicht, was sie unter den Selims, den Mahomets und den Solimanns gewesen waren. Die Weichlichkeit verderbte das Se rail, ohne die Grausamkeit daraus zu vertreiben. Die
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Sultane waren zu gleicher Zeit die unumschränktesten, und die wegen ihres Throns und ihres Lebens am we nigsten gesicherten Beherrscher. Osman und Jbra him waren durch den Strick gestorben. Mustapha war zweymal abgesetzt worden. Das durch die Er schütterungen schwankende türkische Reich, ward noch dazu von den Persern angefallen; so bald es aber die Perser zu Athem kommen ließen und die Unruhen in dem Serail zu Ende waren, ward dieses Reich der Christenheit sehr schrecklich; denn von dem Ausflusse des Dniepers an bis an die Staaten von Venedig sahe man, daß bald Moscau, bald Ungarn, bald Griechenland, bald die Inseln, eines nach dem an dern, die Beute der türkischen Waffen wurden. Seit dem Jahre 1635 setzte es unabläßlich den der Christen heit so verderblichen Krieg wegen Candia fort. Die ses waren die Lage, die Stärke und das Interesse der vornehmsten europäischen Nationen, zur Zeit des Todes Ludewigs des XIII, Königs von Frankreich.

Die Stellung, worinne sich Frankreich befand.

Frankreich, welches mit Schweden, Holland, Sa voyen, Portugall verbunden war, und auch die Wünsche anderer Völker, welche in der Unthätlichkeit geblieben waren, vor sich hatte, führte gegen das Reich und Spanien einen Krieg, welcher beyde Thei le schwächte und dem Hause Oesterreich verderblich
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war. Dieser Krieg war allen denen gleich, welche seit so vielen Jahrhunderten zwischen den christlichen Potentaten geführt werden: es werden einige Millio nen Menschen aufgeopfert, ganze Provinzen werden verwüstet, um einige kleine Gränzörter zu erhalten, deren Besitz niemals so viel werth ist, als was sie zu erobern gekostet haben. Die Generale Ludewigs des XIII hatten Rußil lon weggenommen. Die Catalonier hatten sich an die Kron Frankreich übergeben, als an die Beschütze rinn ihrer Freyheit, die sie wider ihre Könige ver theidigten. Doch hatte aller dieser glückliche Fort gang die Feinde nicht verhindert, im Jahre 1637 Cor bie einzunehmen, und bis nach Pontoise zu kommen. Die Furcht hatte die Hälfte der Einwohner aus Pa ris vertrieben, und der Kardinal von Richelieu ward, mitten unter seinen weitläuftigen Unternehmungen, die österreichische Macht zu demüthigen, genöthiget, die Thorwege in Paris zu schätzen, daß jeder einen Bedienten zum Kriege hergeben mußte, um die Fein de von den Thoren der Hauptstadt zurück zu treiben. Die Franzosen hatten also den Spaniern und Deutschen nicht wenig Uebel erwiesen, und mußten eben so viel wieder ausstehen.

Die Sitten damaliger Zeit.

Die Kriege hatten berühmte Generale hervorge bracht, einen Gustav Adolph, einen Wallen stein, einen Herzog von Weimar, einen Picolomini,
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einen Johann von Vert, einen Marschall von Gue briant, die Prinzen von Oranien, den Grafen von Harcourt. Die Staatsminister hatten sich nicht we niger hervorgethan. Der Kanzler Ochsenstiern, der Graf Ducas Olivarez, vor allen aber der Kardinal von Richelieu hatten die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich gezogen. Es ist kein Jahrhundert, welches nicht Staatsleute und bekannte Krieger ge habt habe. Die Staatsklugheit und die Waffen scheinen unglücklicher Weise die zwey Handwerke zu seyn, welche den Menschen am natürlichsten sind; ent weder sie unterhandeln sich, oder sie schlagen sich. Der Glücklichste wird für den Größten gehalten, und die Welt schreibt oft das den Verdiensten zu, woran niemand als das Glück Ursache ist. Der Krieg ward nicht so geführet, wie wir gesehen haben, daß er zu Zeiten Ludewigs des XIV geführet wurde. Die Armeen waren nicht so zahlreich, und seit der Belagerung von Metz durch Carl den V hat te sich kein General an der Spitze von funfzig tau send Mann gesehen. Man belagerte und vertheidigte die Oerter mit weit weniger Canonen, als jetzo. Die Kunst zu befestigen war noch in ihrer Kindheit; die Picken und Doppelhaken waren noch im Gebrauch; man hatte die Vertheidigungswaffen noch nicht ganz abgelegt; es waren noch alte Völkergesetze übrig, wie zum Exempel das Gesetze, den Krieg durch einen He rold ankündigen zu lassen. Ludewig der XIII war der letzte, welcher diese Gewohnheit beobachtete. Er schickte einen Herold nach Brüssel den Krieg wider Spanien im Jahre 1635 anzukündigen.
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Nichts war damals gewöhnlicher, als daß Priester Kriegsheere anführten. Der Kardinal Infant, der Kardinal von Savoyen, Richelieu, la Valette, der Erzbischof von BourdeaurBourdeaux, hatten den Harnisch an gelegt und den Krieg in eigner Person geführt. Die Päbste drohten dann und wann diesen kriegerischen Priestern mit dem Banne. Pabst Urbanus der VIII, als er gegen Frankreich unwillig war, ließ dem Kardi nal de la Valette sagen, er würde ihn der Kardinals würde entkleiden, wenn er die Waffen nicht ablegte; doch kaum hatte er sich wieder mit Frankreich vereinet, als er ihn mit Segen überschüttete. Die Abgesandten, welche eben so wenig Diener des Friedens als die Geistlichen waren, machten keine Schwierigkeit unter den Armeen der Bundsgenossen, bey welchen sie gebraucht wurden, Dienste zu thun. Der französische Abgesandte in Holland, Charnace, führte im Jahre 1637 daselbst ein Regiment an, und nach der Zeit war so gar der Gesandte von Estrade Oberster in ihren Diensten. Frankreich hatte in allen nicht mehr als ungefähr achtzig tausend Mann wirklich auf den Beinen. Das Seewesen, welches seit Jahrhunderten ganz entkräf tet lag, von dem Kardinal von Richelieu aber in et was wieder hergestellt war, ward unter dem Maza rin zu Grunde gerichtet. Ludewig der XIII hatte nicht mehr als ungefähr dreyßig Millionen wirklicher Ein künfte; das Silber aber war die Mark zu sechs und zwanzig Livers, so daß diese dreyßig Millionen auf die sieben und funfzig Millionen jetziger Zeit ausma chen, da man den willkürlichen Werth einer Mark
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Silbers bis auf neun und vierzig eingebildeter Livers gesteigert hat, ein so ausschweifender angenommener Werth, daß er unmöglich, wenn man der Gerechtig keit und dem gemeinen Besten gemäß verfahren will, mehr erhöht werden kann. Die heut zu Tage überall ausgebreitete Handlung war damals in sehr weniger Händen. Die Policey des Reichs ward gänzlich verabsäumet; ein sicherer Beweis einer unglücklichen Verwaltung. Der Kar dinal Richelieu, welcher mit seiner eignen Größe, die er mit der Größe des Staats verknüpfte, beschäfftiget war, hatte angefangen Frankreich von außen fürchter lich zu machen, ohne daß er es von innen blühender hatte machen können. Die Landstraßen wurden we der ausgebessert noch beobachtet, die Räuber machten sie unsicher; selbst die Gassen in Paris waren enge, übel gepflastert, voller ekeln Unbequemlichkeiten und mit Spitzbuben angefüllt. Aus den Registern des Parlements sieht man, daß die ganze Wache in der Stadt ungefähr aus fünf und vierzig Leuten bestand, welche übel bezahlt wurden, und nicht einmal dienten. Seit dem Tode des zweyten Franciscus, war Frankreich beständig entweder durch bürgerliche Krie ge verheert oder durch Rotten beunruhiget. Niemals hatte man das Joch ruhig und willig getragen. Die Vornehmen waren in Verschwörungen erzogen wor den, und diese machten die Kunst des Hofes aus, so wie sie sich hernach in die Kunst dem Könige zu ge fallen, verwandelte. Dieser Geist der Uneinigkeiten und Rotten war von dem Hofe bis in die kleinsten Städte gedrungen, und hatte alle Stände des Reichs eingenommen.
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Man stritt sich über alles, weil nichts festgesetzt war; so gar die Kirchspiele in Paris wurden handgemenge. Die Proceßionen schlugen sich mit einander zu Ehren ihrer Baniere. Man sahe nicht selten die Canonici U. L. Fr. mit den Canonicis der heiligen Kapelle im Streit. Das Parlement und die Rechnungskammer prügelten sich in der Kirche wegen der Oberstelle, an dem Tage, den Ludewig der XIII dem Schutze der hei ligen Jungfer übergab. Beynahe alle Stände des Reichs waren bewaffnet, beynahe alle Privatpersonen wurden von der Wuth des Zweykampfes getrieben. Diese gothische Bar barey, welche vorher von den Königen selbst war ge billiget worden, und nun der Charakter der Nation geworden war, trugen eben so viel zu der Entvölkerung des Landes bey, als die innerlichen und auswärtigen Kriege. Man übertreibt nichts, wenn man saget, daß in zwanzig Jahren, wovon zehne der Krieg be unruhigte, mehr Franzosen von der Hand der Fran zosen, als von der Hand der Feinde umkamen. Man wird hier nichts von der Art gedenken, wie die Künste und Wissenschaften getrieben wurden; dem diesen Theil der Geschichte unsrer Sitten wird man an seinem Orte finden. Nur dieses muß man hier anmerken, daß die französische Nation in die Unwissenheit versunken war, ohne so gar diejenigen auszunehmen, welche nicht von dem Pöbel entsprossen zu seyn glaubten. Man befragte die Sterndeuter, und glaubte ihnen. Alle Geschichtbücher dieser Zeiten, von der Historie des Thuanus anzufangen, sind mit Vorherverkün digungen angefüllt. Der ernsthafte Herzog von Sully
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erzählt diejenigen in allem Ernste, welche dem vierten Heinrich geschahen. Diese Leichtgläubigkeit, der un trüglichste Beweis der Unwissenheit, war so durch gängig angenommen, daß man einen Sterndeuter neben dem Zimmer der Königinn Anna von Oester reich, in dem Augenblicke der Geburt Ludewigs des XIV, verborgen hielt. Was man kaum glauben wird, und was gleich wohl ein zeitverwandter Schriftsteller, welcher sehr wohl davon unterrichtet seyn konnte, erzählet, ist, daß Ludewig der XIII, von seiner Kindheit an, den Beynamen des Gerechten führte, weil er unter dem Zeichen der Waage gebohren war. Eben die Schwachheit, welche den närrischen Aberglauben der Sterndeuterey in Schwang brachte, verursachte auch, daß man die Besitzungen und Zaubereyen glaubte. Man machte ein Stück der Religion daraus, und man sahe überall Priester, welche die Geister beschworen. Die Gerichte, wel che mit Personen besetzt waren, die erleuchteter hätten seyn sollen, waren mit nichts als mit Hexenprocessen beschäfftigt. Man wird nie aufhören dem Anden ken des Kardinals von Richelieu den Tod des berüch tigten Predigers zu Loudun, Urbans Grandier, wel cher als ein Zauberer durch eine Commission des Staatsraths zum Feuer verdammt wurde, vorzu werfen. Man muß sich ärgern, daß das Ministe rium und die Richter die Schwachheit, an die Teu fel zu Loudun zu glauben, und die Grausamkeit ge habt haben, einen Unschuldigen der Flamme aufzu opfern. Die letzte Nachwelt wird noch mit Erstaunen daran gedenken, daß die Marschallin von Ancre auf
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dem öffentlichen Gerichtsplatze, als eine Hexe verbrannt worden; daß der Rath Courtin, dieses unglückliche Frauenzimmer bey dem Verhöre gefragt, welcher Zauberey sie sich bedient habe, den Geist der Me dicis nach ihrem Willen zu lenken; daß ihm die Mar schallin geantwortet: Ich habe mich der Ge walt bedient, welche starke Geister über schwache Geister haben; und daß endlich diese Antwort ihr Todesurtheil beschleuniget. In einer Abschrift einiger Register des Chatelets findet man noch einen Proceß von 1601, wegen eines Pferdes, welches sein unermüdeter Herr, ungefähr so abgerichtet hatte, wie man jetzt dergleichen auf den Jahrmärkten sieht. Man wollte den Herrn mit samt dem Pferde, als Hexenmeister, verbrennen. Dieses mag genug seyn, die Sitten und den Geist des Jahrhunderts, welches vor dem Jahrhunderte Ludewigs des XIV vorhergieng, überhaupt zu erkennen zu geben. Dieser Mangel der Einsichten, welcher allen Ständen gemein war, unterhielt bey den ehrlichsten Leuten abergläubische Gebräuche, welche die Religion schändeten. Die Calvinisten verwechselten mit dem vernünftigen Gottesdienste der Katholiken, die Misbräuche dieses Gottesdienstes, und wurden da durch in dem Hasse gegen unsere Kirche immer mehr und mehr befestigt. Sie setzten den Aberglauben des Pöbels, welcher oft voller Ausschweifungen der Un mäßigkeit war, ein bittre Härte und wilde Sitten entgegen, welches der Charakter fast von allen Kir chenverbeßrern ist. Frankreich ward also durch den Geist der Parteylichkeit auf das schändlichste zer
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rissen; und der gesellschaftliche Geist, welcher dieses Volk jetzo so berühmt und liebenswürdig macht, war gänzlich unbekannt. Da sahe man keine Häuser, wo sich Leute von Verdiensten versammelten, ihre Einsichten einander mitzutheilen; keine Akademien; keine Schauplätze. Kurz, Sitten, Gesetze, Künste, Wissenschaften, Religion, Friede und Krieg hatten nichts von dem, was man in dem Jahrhunderte sahe, welche wir das Jahrhundert Ludewigs des XIV nennen.

Zweytes Hauptstück.

Ludewigs des XIV Minderjährigkeit. Siege der Franzosen unter dem großen Conde, damaligen Herzog von Enguien.

Der Kardinal von Richelieu und Ludewig der XIII waren gestorben; der eine wurde be wundert und gehaßt, der andere war schon vergessen. Sie hatten den Franzosen, welche da mals sehr unruhig waren, Abscheu gegen das Mi nisterium, und wenig Ehrfurcht für den Thron hin terlassen. Ludewig der XIII richtete in seinem Testa mente einen Rath auf, welcher die Regierung ver walten sollte. Dieser Monarche, welchem man bey seinem Leben wenig gefolget hatte, schmeichelte sich,
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daß es nach seinem Tode eher geschehen würde; das erste aber, was seine Wittwe Anna von Oesterreich that, war dieses, daß sie durch einen Schluß des Parlements zu Paris den letzten Willen ihres Man nes für nichtig erklären ließ. Das Parlement war schon seit langer Zeit dem Hofe entgegen, und hatte unter Ludewigen kaum die Freyheit behalten Gegen vorstellungen thun zu dürfen; es hob also das Testa ment seines Königs mit eben der Leichtigkeit auf, mit welcher es etwa eine Streitsache zwischen gemeinen Bürgern würde entschieden haben. Anna von Oesterreich wendete sich an diese Versammlung, um eine uneingeschränkte Regierung zu erhalten; weil sich Maria von Medicis nach dem Tode Heinrichs des IV gleichfalls dieses Tribunals bedient hatte, und ihr also hierinne vorgegangen war; und weil jeder andere Weg ungewiß und langweilig würde gewesen seyn, das von den Wachen umringte Parlement aber ihrem Willen nicht widerstehen konnte, und ein Schluß, welchen das Parlement und die Pairs er gehen ließen, das unwidersprechlichste Recht festzuse tzen schien *. 1
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Die Gewohnheit, welche den Müttern der Köni ge die Verwaltung der Regierung zugesteht, schien den Franzosen damals eben sowohl ein Grundgesetz, als dasjenige, welches die Weibespersonen von der Krone ausschließt. Das Parlement von Paris, welches nunmehr schon zweymal diesen Punkt ent schieden hatte, und einzig und allein dieses Recht der Mütter durch seine Schlüsse festgestellet hatte, schien die Verwaltung der Regierung eigenmächtig ertheilt zu haben. Es sahe sich, nicht ohne Wahr scheinlichkeit, als den Vormund der Könige an, und jeder Parlementsrath glaubte ein Theil der Oberherr schaft zu seyn. Anna von Oesterreich war anfangs genöthigt den Krieg wider den König von Spanien, den IVten Philipp, ihren Bruder, welchen sie liebte, fortzu setzen. Es ist schwer eigentlich zu sagen, warum man diesen Krieg führte. Man verlangte nichts von Spanien, auch nicht einmal Navarra, welches doch das väterliche Erbtheil der Könige von Frankreich hätte seyn sollen. Man schlug sich seit 1635 herum, weil es der Kardinal von Richelieu so haben wollte. Frankreich und Schweden griffen auch den Kaiser an; die Stärke des Krieges aber war um diese Zeit auf der Seite von Flandern. Die spanischen Truppen rückten aus dem Hennegauischen, an die 26000 Mann stark, unter der Anführung eines alten ver suchten Generals, mit Namen Don Francisco de Me los. Sie verwüsteten die Gränzen von Cham pagne; sie fielen Rocroy an, und hofften gar bald bis vor die Thore von Paris zu dringen, wie sie es acht Jahr vorher gethan hatten. Der Tod Lude
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wigs des XIII, die Ohnmacht einer Minderjährig keit machten ihre Hoffnung noch stärker, und als sie sahen, daß man ihnen nichts als eine Armee entge genstellte, welche an Anzahl viel geringer war, und von einem Jünglinge von 21 Jahren angeführet wurde, so verwandelte sich ihre Hoffnung in Si cherheit. Dieser unerfahrne Jüngling, welchen sie so ver achteten, war Ludewig von Bourbon, damaliger Herzog von Enghien, welcher hernach unter dem Namen des großen Conde bekannt ward. Die mei sten großen Feldherren sind es stufenweise geworden. Dieser Prinz war als General gebohren; die Kriegs kunst schien bey ihm ein natürlicher Trieb zu seyn; und in ganz Europa war nur er, und der schwedische Torstenson, welche im zwanzigsten Jahre den Geist hatten, der alle Erfahrung entbehren kann. Der Herzog von Enghien hatte mit der Nachricht von dem Tode Ludewigs des XIII den Befehl erhal ten, keine Schlacht zu wagen. Der Marschall von Hopital, welcher ihm zum Rathgeber und Führer beygegeben war, unterstützte diese furchtsamen Befehle durch seine Vorsichtigkeit. Der Prinz glaubte weder dem Hofe noch dem Marschalle; er vertraute sein Vorhaben niemanden als dem Feldmarschall Gassion, ein Mann, welcher es werth war, von ihm zu Rathe gezogen zu werden, und beyde zwungen den Mar schall, daß er die Schlacht selbst für nöthig erken nen mußte. Man hat angemerkt, daß der Prinz die Nacht vor dem Treffen, nachdem er den Abend zuvor alles in Ordnung gebracht hatte, so fest geschlafen, daß
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man ihn, als es Zeit zum Angriffe war, aufwecken mußte. Man erzählet eben dieses von dem Alexan der. Es ist natürlich, daß ein junger Mensch, von den Anordnungen, welche ein so wichtiger Tag erfor dert, entkräftet, in einen tiefen Schlaf verfällt; und eben so natürlich ist es, daß ein zum Kriege ge bohrner Geist alles, ohne sich zu beunruhigen, ver richtet, und also gesetzt genug bleibt, ungestört zu schlafen. Der Prinz gewann die Schlacht durch sich selbst, durch seinen Blick, welcher die Gefahr und die Mittel dagegen zugleich sahe, durch seine Thätigkeit, welche von aller Verwirrung frey war, und ihn an alle Orte zu rechter Zeit brachte. Er war es, wel cher mit der Reiterey das bisher unüberwindliche spanische Fußvolk angriff, welches so stark und ge drungen war, als nur immer der berühmte alte Phalanx gewesen ist, und sich mit einer Geschwindig keit, welche der Phalanx nicht hatte, eröffnete, das Feuer von 18 Canonen durchzulassen, welche es mit ten in sich schloß. Der Prinz umringte sie, und griff sie dreymal an. Kaum war er Sieger, als er das Niedermetzeln aufhören ließ. Die spanischen Officiere warfen sich zu seinen Füßen, um bey ihm eine Zuflucht gegen die Wuth des siegenden Solda tens zu finden. Der Herzog von Enghien wandte eben so viel Sorgfalt an sie zu schonen, als er sie zu überwinden angewendet hatte. Der alte Graf Fuentes, welcher das spanische Fußvolk anführte, starb, von unzähligen Hieben verwundet. Conde, als er es erfuhr, sagte: er wünschte wie er gestorben zu seyn, wenn er nicht ge siegt hätte.
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Die Hochachtung, welche man noch in Europa für die spanischen Waffen hatte, fiel nunmehr gänz lich, und man fing an die französischen Waffen zu schätzen, welche, seit hundert Jahren, keine so merk würdige Schlacht gewonnen hatten; denn der blutige Sieg bey Marignano, welchen Franciscus der erste mehr streitig machte als gewann, war eben sowohl ein Werk der deutschen schwarzen Banden, als der französischen Truppen. Die Schlachten bey Pavia und S. Quentin wa ren noch dem Ruhme Frankreichs sehr nachtheilige Zeitpunkte. Heinrich der IV hatte das Unglück ge habt, nur über sein eigen Volk ansehnliche Vortheile davon zu tragen. Unter dem XIIIten Ludewig hatte der Marschall von Guebriant einigen glücklichen Fort gang gehabt, welchem aber immer anderweitige Ver luste das Gleichgewicht hielten. Große Schlachten, welche die Staaten erschüttern, und auf ewig in dem Gedächtnisse der Menschen bleiben, hatte zu dieser Zeit niemand als Gustav Adolph geliefert. Diese Schlacht bey Rocroy ward der Zeitpunkt, bey welchem sich der Ruhm Frankreichs wie der Ruhm des Prinzen von Conde anfing. Er wußte zu siegen, und sich des Sieges zu bedienen. Seine Briefe, die er an den Hof schrieb, machten, daß man die Belagerung von Diedenhofen beschloß, wel che der Kardinal von Richelieu noch nicht hatte wa gen wollen, und als seine Curiers wieder zurückka men, so fanden sie schon alles zu diesem Unternehmen in Bereitschaft. Der Prinz von Conde gieng mitten durch das feindliche Land, betrog die Wachsamkeit des General
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Beck, und nahm endlich Diedenhofen ein *. Von hier eilte er zu der Belagerung von Sirke, und mach te sich davon Meister. Er zwang die Deutschen wie der über den Rhein zurück zu gehen, gieng hernach selbst darüber, und ersetzte den Verlust und die Nie derlage, welche die Franzosen in dieser Gegend nach dem Tode des Marschalls von Guebriant erlitten hat ten. Er fand Freyburg schon eingenommen, und den General Mercy mit einer Armee vor ihren Mau ren, welche der seinigen weit überlegen war. Conde hatte zweene Marschalle von Frankreich unter sich, den Marschall von Gramont nämlich, und den Vicomte von Turenne, welcher damals schon für einer der ge schicktesten Feldherren seiner Zeit gehalten, und so gar mit dem Marschall von Guebriant verglichen wurde. Mit diesen griff er das Lager des Generals Mercy an, welches an zwo Anhöhen verschanzt lag **. Das Treffen fing sich dreymal an drey verschiedenen Tagen an. Man sagt, der Herzog von Enghien habe sei nen Commandostab in die feindlichen Verschanzungen geworfen, ihn mit dem Degen in der Faust an der Spitze des Regiments von Conty wieder zu holen. Solche kühne Handlungen waren vielleicht nothwen dig, um die Truppen zu so gefährlichen Angriffen zu führen. Diese Schlacht bey Freyburg, welche blu tiger als entscheidend war, ward für den zweyten Sieg dieses Prinzen gerechnet. Mercy brach den vierten Tag hernach mit seinem Lager auf. Die Uebergabe von Philippsburg und Maynz war der Beweis und die Frucht des Sieges. 2 3
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Das folgende Jahr lieferte er die Schlacht bey Allernheim in der Ebene von Nördlingen *. Gra mont und Turenne commandirten damals noch unter ihm. Mercy und Glene waren an der Spitze der feindlichen Armee. Der Sieg der Franzosen war vollständiger und nicht weniger blutig, als bey Frey burg. Der Marschall von Gramont ward zum Kriegsgefangenen gemacht; Mercy aber blieb, und Glene ward auch gefangen. Jener, welcher unter die größten Feldherren gerechnet zu werden verdienet, ward auf dem Schlachtfelde begraben, und man setzte auf sein Grabmaal die lateinische Ueberschrift: Sta, Viator, Heroem calcas. Stehe stille, Wanderer! du trittst einen Helden mit Füßen. Der Prinz belagerte ** hierauf, im Angesichte der spanischen Armee, Dünkirchen, und er war der erste, welcher diesen Platz an Frankreich brachte. So viel Fortgang und so viel Verdienste, welche ihm mehr Verdacht als Belohnung bey Hofe zuwege brachten, machten ihn dem Ministerio eben so fürch terlich, als den Feinden. Man nahm ihn von dem Schauplatze seiner Siege und seines Ruhmes, und schickte ihn nach Catalonien mit übel bezahlten Trup pen; wo er Lerida belagerte, und genöthiget ward, die Belagerung aufzuheben. Man giebt ihm in ver schiedenen Büchern eine Großthuerey schuld, weil er die Laufgraben unter dem Klange der Geigen eröffnen ließ ***; und man weiß nicht, daß dieses der Ge brauch damals in Spanien war. 4 5 6
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Das umschlagende Glück nöthigte den Hof gar bald, ihn wieder nach Flandern zurück zu rufen. Der Erzherzog Leopold, der Bruder des Kaisers, belagerte Lens in der Grafschaft Artois. Als Conde seinen Truppen wieder gegeben war, welche beständig unter ihm gesieget hatten, so führte er sie gerade auf den Erzherzog los. Dieses war das dritte mal, daß er, mit weniger Mannschaft als der Feind, schlug. Er sagte zu seinen Soldaten nichts als diese Worte: Freunde, gedenkt an Rocroy, an Freyburg und an Nördlingen. Diese Schlacht bey Lens machte seinen Ruhm vollkommen. Er löste selbst den Marschall von Gramont aus, indem er den General Beck gefangen nahm. Kaum daß der Erzherzog mit dem Grafen von Fuensaldagne davon kam *. Die Kaiserlichen und die Spanier, aus welchen diese Armee bestand, wurden zerstreuet; sie verloren mehr als hundert Fahnen, und dreyhun dert und acht Kanonen; welches damals was sehr ansehnliches war. Man machte fünf tausend von ih nen zu Gefangenen, drey tausend tödtete man, und der Rest gieng durch, so, daß der Erzherzog gänzlich ohne Armee blieb. Indessen, daß Prinz von Conde** die Jahre seiner Jugend nach Siegen zählte, und der Bruder Ludwigs des XIII, der Herzog von Orleans, die Ehre eines Sohnes Heinrichs des IVten, und die EhreFrankreichs, durch die Einnahmen der Festun gen Grevelingen, Courtray und Mardyck, verthei 7 8
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digte *; hatte der Vicomte von Turenne Landau ein genommen, die Spanier aus Trier verjagt, und den Churfürsten wieder eingesetzet **. Er gewann mit den Schweden die Schlachten bey Lauingen, und Sommershausen, und zwang den Churfürst von Bayern, beynahe im 80ten Jahre sei nes Alters, aus seinen Staaten zu weichen ***. Der Graf von Harcourt nahm Bologne ein †, und schlug die Spanier. In Italien verloren sie Portolongone. Zwanzig französische Schiffe und zwanzig Galee ren, in welchen beynahe die ganze Seemacht bestand, wie sie Richelieu dem Reiche wieder hergestellet hatte, schlugen die spanische Flotte an den Küsten Italiens ††. Dieses war noch nicht alles. Die französischen Waffen hatten dem Herzoge, Carl dem IVten, Loth ringen weggenommen. Dieser Herzog war ein tapferer Soldat, aber unbeständig, unvorsichtig und unglücklich, welcher sich mit einmal von Frankreich seiner Länder beraubet, und von den Spaniern als ein Gefangener zurück behalten sahe. Die französischen Bundsgenossen bestürmten die österreichische Macht gegen Mittag und gegen Mit ternacht. 9 10 11 12 13
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Der portugiesische General, der Herzog von Al buquerque, gewann gegen die Spanier die Schlacht bey Badajox *. Torstenson schlug die Kaiserlichen bey Tabor, und trug einen völligen Sieg davon **. Der Prinz von Oranien, welcher an der Spitze der Holländer war, drang bis in das Brabantische. Der König von Spanien, welcher auf allen Sei ten geschlagen wurde, sah Roußillon und Catalonien in den Händen der Franzosen ***. Neapel hatte wider ihn einen Aufstand erreget, und sich an den Herzog von Guise ergeben, dem letzten Prinzen von diesem Aste des an berühmten und gefährlichen Män nern so fruchtbaren Hauses. Dieser, welchen man für nichts als für einen Tollkühnen, welcher auf Abentheure ausgieng, ansah, weil er nicht glücklich war, hatte wenigstens die Ehre gehabt, ganz allein in einer Barke, mitten unter der spanischen Flotte, anzulanden, und Neapel einzig durch seine Tapferkeit ohne andern Beystand zu vertheidigen. Bey so vielem Unglücke, welches auf das österrei chische Haus stürmte, bey so gehäuften Siegen der Franzosen, welche von dem glücklichen Fortgange ih rer Bundesgenossen unterstützet wurden, hätte man glauben sollen, daß Wien und Madrid alle Augen blicke ihre Thore eröffnen würden, weil der Kaiser und der König von Spanien beynahe ohne Länder waren. Gleichwohl brachten fünf Jahre voller 14 15 16
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Ruhm, welcher mit sehr wenig Widerwärtigkeiten untermengt gewesen war, sehr wenig wesentliche Vor theile zuwege. Viel Blut war vergossen worden, Veränderungen aber erfolgten nicht. Wenn ja eine zu befürchten war, so war es auf Seiten Frankreichs, welches mitten unter seinem anscheinenden Glücke dem Untergange nahe war.

Drittes Hauptstück.

Bürgerliche Kriege.

Die Königinn Anna von Oesterreich, als unum schränkte Regentinn, hatte den Kardinal Ma zarin zum Herrn von Frankreich und zu dem ihrigen gemacht. Er hatte diejenige Herrschaft über sie, welche ein geschickter Mann über eine Frau haben mußte, welche mit genugsamer Schwachheit, sich re gieren zu lassen, und mit hinlänglicher Standhaftig keit, auf ihrer Wahl zu bestehen, gebohren war. Ob diese Königinn durch ihr Herz oder durch ihre Staatsklugheit zu dieser Wahl gebracht worden, die ses hat man niemals erfahren können, und auch die Scharfsichtigsten werden sich umsonst bemühen, es zu ergründen. Mazarin bediente sich Anfangs seiner Gewalt sehr mäßig. Man müßte lange Zeit mit ei nem Minister gelebet haben, wenn man bestimmen wollte, welchen Grad der Schwachheit oder Stärke sein Geist gehabt habe, und wie weit seine Klugheit
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oder seine Betrügerey gegangen sey. Ohne also erra then zu wollen, was Mazarin war, wollen wir bloß sagen, was er gethan hat. Er bestrebte sich im An fange seiner Größe eben so viel Einfalt sehen zu las sen, als Richelieu Hoheit gezeiget hatte. Er nahm keine Wachen an, er zog mit keiner königl. Pracht einher, und hatte zuerst ein sehr mäßiges Gefolge. Er brachte aller Orten Redseligkeit, ja sogar Weich lichkeit an, wo sein Vorfahrer nichts als unbewegli chen Stolz an Tag geleget hatte. Die Königinn wollte ihre Regentschaft und ihre Person dem Hofe und dem Volke beliebt machen, und es gelang ihr. Gaston, Herzog von Orleans, und Bruder Ludwigs des XIII, nebst dem Prinzen von Conde unterstützten ihre Gewalt, und ihre Eifersucht, gieng auf nichts, als dem Staate zu dienen. Es waren Auflagen nöthig, den Krieg wider Spanien und das Reich fortzusetzen. Man ordnete einige an, welche in der That, wenn man sie mit dem vergleicht, was wir hernach haben bezahlen müs sen, sehr mäßig waren, für die Bedürfnisse der Mo narchie aber auch nirgends zureichen wollten. Das Parlement *, welches im Besitze war, die Ausschreibungen dieser Auflagen zu bekräftigen, setzte sich dem Edicte des Tarifs heftig entgegen, und er langte durch die Widersprüche, womit es das Ministe rium ermüdete, das Vertrauen des Volkes. Endlich brachten zwölf neugemachte Requetenmei sterstellen, und ungefähr 80000 Thaler, welche den Obercollegiis zurück behalten wurden, alle Gerichts personen, und mit den Gerichtspersonen ganz Paris 17
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auf. Was heut zu Tage kaum den Stoff zu einer Zeitung geben würde, erregte damals einen bürgerli chen Krieg. Broussel, einer von den Räthen der Oberkammer, ein Mensch ohne die geringste Fähigkeit, und welcher keine andern Verdienste hatte, als beständig der erste zu seyn, seine Meynung wider den Hof zu sagen, wurde in Verhaft genommen, und seine in Verhaft nehmung fiel dem Volke schmerzlicher, als ihm der Tod eines guten Königs jemals gefallen war. Man sah die Barricaden der Ligue erneuern, und das Feuer des Aufruhrs brach in einem Augenblicke aus, und schien schwer zu löschen. Die Hand des Coadjutors, des nachmaligen Kardinals von Retz war es, welcher es vermehrte. Dieses ist der erste Bischof, welcher einen bürgerlichen Krieg angesponnen, ohne die Reli gion zum Vorwande zu brauchen. Dieser besondere Mann hat sich in seinen Denkwürdigkeiten selbst ge schildert, welche mit einer Art von Prahlerey, mit einem ungestümen Geiste, und mit einer Ungleichheit geschrieben sind, welche das wahre Bild seiner Auf führung ausmachen. Er war ein Mann, welcher in dem Schooße der Unmäßigkeit, und ganz ohnmächtig noch von den Folgen, welche sie nach sich zieht, dem Volke predigte, und von ihm fast angebethet wurde. Er athmete nichts als Meuterey und Aufruhr: schon in seinem zwanzigsten Jahre war er die Seele einer Verschwörung wider das Leben des Richelieu gewe sen: er war der Urheber der Barricaden, er verwi ckelte das Parlement in Parteyen, und das Volk in Aufruhre. Was das Wunderbarste dabey scheint, ist dieses, daß das von ihm dahin gerissene Parle
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ment sich wider den Hof erhub, noch ehe es von ei nem Prinzen unterstützet wurde. Diese Versammlung war schon seit langer Zeit von dem Hofe und dem Volke mit sehr verschiedenen Augen angesehen worden. Wenn man der Stimme der sämtlichen Ministers bey Hofe glaubte, so war das Parlement zu Paris nichts als ein Gerichte, wel ches die Streitigkeiten der Bürger schlichten solle, und welches diese Macht einzig durch den Willen der Könige habe; es habe über die übrigen Parlemente des Reichs keinen andern Vorzug, als den Vorzug des Alters, und der sich am weitesten erstreckenden Gerichtsbarkeit; es sey die Versammlung der Pairs aus keiner andern Ursache, als weil der Hof in Pa ris seinen Sitz habe; es habe kein größer Recht Vor stellungen zu machen, als andere Parlementer, und dieses Recht sey noch dazu eine bloße Gnade; es sey zwar auf die Parlemente gefolget, welche ehedem die französische Nation vorgestellet, es habe aber von diesen alten Versammlungen nichts als den Namen: Der unwidersprechlichste Beweis davon sey, daß die Landstände an die Stelle dieser Nationalversammlun gen gekommen wären, und daß also das Parlement von Paris den von unsern ersten Königen gehaltenen Parlementern nicht mehr gleiche, als etwa ein Consul von Smyrna oder Aleppo einem römischen Consul. Diese einzige Irrung im Namen war der Vor wand der hochmüthigen Erkühnungen einer Ver sammlung von Rechtsgelehrten, welche alle, weil sie ihre Stellen bezahlt hatten, an der Stelle der Ueber winder von Gallien und der Lehnsherren der Krone zu seyn glaubten. Das Parlement hatte zu allen
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Zeiten die Macht gemisbrauchet, welche sich ein Ober gerichte, das beständig in der Hauptstadt bleibt, nothwendiger Weise anmaßet. Es hatte sich erkühnt, einen Schluß wider Carln den VII abzufassen, und ihn aus dem Reiche zu verbannen: es hatte einen Criminalproceß wider Heinrichen den III angefangen: es hatte beständig den Monarchen, so viel wie mög lich, Widerstand gethan; und während dieser Min derjährigkeit Ludewigs des XIV, unter der sanftesten Regierung und unter der allerhuldreichsten Königinn, wollte es einen bürgerlichenKrieg wider sein Haupt, nach dem Exempel des englischen Parlements, führen, welches damals seinen König gefangen hielt, und ihm den Kopf abschlagen ließ. Dieses waren die Reden und die Gedanken des Cabinets. Die Bürger in Paris aber, und alle, welche von den Gerichtspersonen abhingen, sahen in dem Parle mente eine erhabene Versammlung, welche mit einer verehrungswürdigen Lauterkeit das Recht sprach, wel che nichts als das Wohl des Staats, und zwar mit Hintansetzung seines Glückes, liebte, welche ihren Ehrgeiz darauf einschränkte, daß sie den Ehrgeiz der Lieblinge unterdrückte, und welche das Mittel zwi schen dem Volke und den Königen sey. Ohne den Ursprung seine Rechte und seine Gewalt zu untersu chen, schrieb man ihm die allerheiligsten Rechte und die ungezweifeltste Gewalt zu, wenn man sahe, daß es die Sache des Volks gegen Minister führte, die man verabscheute. Man nannte es den Vater des Staats, und man machte wenig Unterschied unter dem Rechte, welches die Krone den Königen giebt,
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und dem, welches dem Parlemente die Gewalt gab, den Willen der Könige zu mäßigen. Zwischen diesen zwey Ausschweifungen war es fast unmöglich, den gehörigen Mittelweg zu treffen, weil man in der That keine bestätigte Gesetze dabey anfüh ren konnte, und alles von der Gelegenheit und Zeit abgehangen hatte. Unter einer strengen Regierung war das Parlement nichts: unter einem schwachen Könige war es alles, und man konnte auf dasselbe dasjenige deuten, was der Herr von Guimenee sagte, als diese Versammlung sich unter Ludwig dem XIII beklagte, daß die Abgeordneten des Adels den Vor zug vor ihr gehabt hätten: Meine Herren, wäh rend der Minderjährigkeit werden sie sich schon Genugthuung zu verschaffen wissen. Man will hier nicht alles wiederholen, was man von diesen Unruhen geschrieben hat, und ganze Bü cher abschreiben, um Kleinigkeiten aus einander zu setzen, welche damals sehr wichtig waren, und itzo beynahe vergessen sind. Man will nur dasjenige anführen, was den Geist der Nation schildert, und worinne der bürgerliche Krieg von der Schleuder von allen andern bürgerlichen Kriegen unterschieden ist. Da eine doppelte Gewalt, welche beyde nur zur Erhaltung des Friedens eingesetzt waren, das Erz bisthum und das Parlement nämlich, die Unruhen angefangen hatten, so hielt das Volk alle seine Aus schweifungen für gerecht. Die Königinn konnte nie öffentlich erscheinen, ohne beschimpft zu werden, man nannte sie nicht anders als Frau Anne; und wenn man ja noch einen Titel hinzufügte, so war es ein Schimpfname. Das Volk warf ihr wüthend
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vor, daß sie den Staat der Freundschaft für den Mazarin aufopferte; und was das unerträglichste war, so hörte sie von allen Seiten die Gassenhauer und Liederchen, welche, als Denkmäler der giftigen Spötterey, den Zweifel an ihrer Tugend verewigen zu wollen schienen. Sie flohe mit ihren Kindern aus Paris: ihr Mi nister, der Herzog von Orleans, der Bruder Lude wigs des XIII, der große Conde selbst thaten ein glei ches, und begaben sich nach St. Germain. Man ward genöthiget, die Edelsteine und die Krone bey Wuche rern zu versetzen. Dem Könige fehlte oft das Noth wendige. Seine Kammerpagen bekamen den Ab schied, weil man sie nicht länger unterhalten konnte. Zu eben dieser Zeit war sogar die Muhme Ludewigs des XIV, die Tochter Heinrichs des Großen, und Gemahlinn des Königs von England, welche ihre Zuflucht nach Paris genommen hatte, in die äußerste Armuth gerathen, und ihre Tochter, welche hernach an den Bruder Ludewigs des XIV verheirathet wurde, mußte im Bette liegen bleiben, weil sie sich sonst nicht wärmen konnte. Auf alle die Trübsalen so vie ler königlichen Personen gab das Volk zu Paris, welches in seiner Wuth ertrunken war, nicht die ge ringste Acht. Die Königinn bath, mit thränenden Augen, den Prinzen von Conde, des Königs Beschützer zu seyn. Der Sieger bey Rocroy, bey Freyburg, bey Lens und bey Nördlingen konnte sich so vielen geleisteten Diensten nicht unähnlich erzeigen. Die Ehre einen Hof, welchen er für undankbar hielt, zu vertheidi gen, und ihn wider die Schleuder zu vertheidigen,
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welche ihn an sich zu ziehen suchte, schmeichelte ihm. Das Parlement hatte also den großen Conde zu be streiten, und es war kühn genug den Krieg fort zusetzen. Der Prinz von Conty, der Bruder des großen Conde, welcher auf seinen ältesten Bruder eben so eifersüchtig als unfähig war, ihm zu gleichen, der Herzog von Longueville, der Herzog von Beaufort, der Herzog von Bouillon, welche der unruhige Geist des Coadjutors erreget hatte, und welche sich nach nichts, als nach Veränderungen, sehneten, schmeichelten sich, ihre Größe auf den Untergang des Staats grün den zu können, und die blinden Bewegungen des Parlements nach ihren besondern Absichten zu brau chen. Sie kamen also und trugen ihm ihre Dienste an. Man ernennte in der Oberkammer die Generale einer Armee, die man nicht hatte. Jeder nahm es auf sich, eine gewisse Anzahl Truppen zu stellen. Es waren zwanzig Räthe darunter, welche neue von dem Kardinal von Richelieu gemachte Stellen be kleideten. Ihre Mitbrüder schienen, aus einer Nie derträchtigkeit des Geistes, deren jede Gesellschaft fähig ist, das Andenken des Richelieu bis in ihren Tod zu verfolgen. Sie überhäuften sie mit Verachtung, und wollten sie nicht einmal als Glieder des Parle ments ansehen. Jeder von ihnen mußte 15000 Livers zu den Unkosten des Krieges hergeben, die Duldung ihrer Mitbrüder dadurch zu erkaufen. Die Oberkammer, der Inquisitionsrath, die Re quetenkammer, die Rechnungskammer, die Rent kammer, welche so heftig wider eine geringe und nö thige Auflage, die sich kaum auf 100000 Thlr. be
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lief, geschrien hatten, brachten bey nahe nach heuti gem Gelde eine Summe von zehn Millionen zusam men, ihr Vaterland umzustürzen. Durch einen Parlementsschluß warb man zwölftausend Mann, und jeder Thorweg mußte einen Mann und ein Pferd geben. Diese Reuterey hieß die Reuterey der Thorwege. Der Coadjutor hatte ein eignes Regi ment, welches man das corinthische Regiment nannte, weil der Coadjutor den Titel eines Bischofs von Co rinth hatte. Ohne die Namen eines Königs von Frankreich, eines großen Conde, einer Hauptstadt des Reichs, würde dieser Schleuderkrieg eben so lächerlich gewesen seyn, als der Krieg der Kardinäle Barbarini. Man wußte nicht, warum man in Waffen war. Der Prinz von Conde belagerte fünf hundert tausend Bür ger mit acht tausend Soldaten. Die Pariser zogen zu Felde mit Federn und Bändern geschmückt; ihre Kriegsübungen wurden der Stoff zu den Spöttereyen der Handwerksleute. Sie flohen, wann ihnen nur zweyhundert Mann von der königl. Armee aufstießen. Alles ward in Scherz verwandelt: als das corinthi sche Regiment von einer kleinen Partey war geschla gen worden, so nannte man diesen Verlust, die erste an die Corinthier. Die zwanzig Räthe, der jeder funfzehn tausend Livres hatte hergeben müssen, hatten keine andere Ehre, als die Funfzehnzwanziger genannt zu werden. Der Herzog von Beaufort, das Götzenbild des Pöbels, und das Werkzeug, dessen man sich ihn auf zubringen bediente, ein Prinz von gemeinem Umgange,
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von einem sehr eingeschränkten Geiste aber, war öf fentlich der Gegenstand der Spötterey des Hofes und der Schleuder selbst. Man redete niemals anders von ihm, als unter dem Namen des Jahrmarktsköni ges. Die parisischen Truppen, welche aus Paris giengen, und allezeit geschlagen wieder kamen, wur den mit dem schmählichsten Hohngelächter empfan gen. Man machte diese kleinen Verluste durch nichts als durch Gassenhauer und Sinnschriften wieder gut. Die Wirthshäuser, und andere lüderliche Oerter waren die Zelter, wo man, mitten unter Schäcke reyen, Liedern und den ungezogensten Ergötzungen, Kriegsrath hielt. Die Frechheit war so ausgelassen, daß die vornehmsten Officier von der Schleuder, als sie einmal des Nachts das heil. Sacrament antraf fen, welches man durch die Straßen zu einem Man ne tragen wollte, den man in Verdacht hatte von des Mazarins Partey zu seyn, die Priester mit Schlä gen wieder zurück jagten. Man sahe den Coadjutor, den Erzbischof von Pa ris, mit einem Dolche in der Tasche Sitz im Parle mente nehmen. Als man den Heft davon gewahr ward, so schrie man: seht da, das Breviarium unsers Erzbischofs. Mitten unter diesen Unruhen versammlete sich der gesammte Adel bey den Augustinern, und hielt öffent lich ordentliche Sitzungen. Man hätte glauben sol len, es geschähe dieses zur Besserung des Staats, und in der Absicht, die Generalstaaten zusammen zu bringen. Allein nichts als ein Tabouret war die Ur sache davon, welchen die Königinn der Frau von Pons zugestanden hatte. Vielleicht hat man nie
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einen deutlichern Beweis von der Leichtsinnigkeit, welche man damals den Franzosen vorwarf, aufzu weisen gehabt. Die bürgerlichen Uneinigkeiten, welche zu gleicher Zeit England durchwütheten, dienen sehr wohl, den Character beyder Völker zu entwerfen. Die Eng länder verknüpften mit ihren Unruhen eine melancho lische Blutgier und eine überligende Wuth; sie hiel ten blutige Schlachten, und das Schwerdt mußte al les entscheiden; die Henkersbühnen waren für die Ueberwundenen aufgerichtet; ihr in der Schlacht ge fangener König ward vor eine Gerichtsversammlung geführet, über den MisbranchMisbrauch, den er von seiner Gewalt sollte gemacht haben, verhöret; verdammt den Kopf zu verlieren, und vor dem Angesichte seines ganzen Volkes mit eben so viel Ordnung und rechtli chen Gebräuchen hingerichtet, als wenn es ein straf barer Bürger gewesen wäre. Alle diese erschreckli chen Unruhen giengen vor, ohne daß man in London das geringste von dem Elende, welches mit den bür gerlichen Kriegen verbunden ist, empfand. Die Franzosen gegentheils verwickelten sich in den Aufruhr bloß und allein aus Eigensinn, und mit La chen. Die Weiber waren an der Spitze der Par teyen; die Liebe machte und trennte Verbindungen. Die Herzoginn von Longueville reizte den Turenne, welcher kaum Marschall von Frankreich geworden war, die Armee, welche er für den König anführte, zu einem Aufstande zu bewegen *. Es gelung Tu rennen nicht; er verließ als ein Flüchtling die Armee, deren General er war, einer Frau zu gefallen, welche 18
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seine Leidenschaft verhöhnte. Er ward aus einem Generale des Königs von Frankreich, ein Lieutenant des Don Estevan von Gamarre, mit welchem er von den königl. Truppen bey Retel geschlagen wurde. Das Handschreiben des Marschalls von Hoquincourt an den Herzog von Montbazon ist bekannt: Per- ronne est à la Belle des Belles. Peronne ist der Schönen unter den Schönen. Man weiß die Verse des Herzogs von Rochefoucault an die Herzo ginn von Longueville, als er in der Schlacht bey S. Antoine von einer Musketenkugel getroffen ward, und eine Zeitlang das Gesichte darüber verlor. Pour meriter son coeur, pour plaire à ses beaux yeux J'ai fais la guerre aux Rois, je l'aurois faite aux Dieux.Ihr Herz zu verdienen, ihren schönen Au gen zu gefallen, habe ich mit Königen Krieg geführt, und würde ihn mit Göttern ge führt haben„. Der Krieg endigte sich, und fing sich verschiedene mal wieder von neuem an. Es war kein einziger, welcher nicht mehr als einmal die Partey hätte ver ändert gehabt. Der Prinz von Conde, nachdem er den Hof im Triumphe wieder nach Paris zurück ge führet hatte, überließ sich dem Vergnügen ihn zu verachten, nachdem er ihn vertheidiget hatte; und weil er fand, daß man ihn nicht seinem Ruhme und seinen Verdiensten gemäß belohnte, so war er der erste, welcher den Mazarin lächerlich machte, der Königinn Hohn sprach, und sich gegen eine Regie rung auflehnte, welche er verschmähte. Er schrieb,
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wie man erzählt, an den Kardinal à l' illustrissimo Signor Taquino*. Er sagte einmals zu ihm: lebt wohl, Mars. Er munterte einen gewissen Mar quis von Jarsay auf, der Königinn eine Liebeserklä rung zu thun, und nahm es übel, daß sie sich dadurch beleidigt finden wollte. Er verband sich mit dem Prinz von Conty, seinem Bruder, und mit dem Herzoge von Longueville, welche die Partey der Schleuder verließen. Der Coadjutor, welcher sich als den unversöhnlich sten Feind des Ministerii erkläret hatte, vertrug sich heimlich wieder mit dem Hofe, um den Kardi nalshut zu erhalten, und opferte den Prinz von Conde der Rache des Ministers auf. Endlich sahe sich dieser Prinz, welcher den Staat gegen die Fein de, und den Hof gegen die Rebellen vertheidiget hatte; Conde, auf der höchsten Stufe der Ehre, welcher sich allezeit als ein Held und niemals als ein geschickter Mann aufgeführet hatte, sahe sich nebst dem Prinzen von Conty und dem Herzoge von Lon gueville in Verhaft genommen **. Er hätte den Staat regieren können, wenn er nur zu gefallen ge sucht hätte: allein er begnügte sich, bewundert zu werden. Der Pöbel in Paris, welcher einem elen den Rathe zu gefallen, Barricaden gemacht hatte, stellte Freudenfeuer an, als man den Vertheidiger und den Helden Frankreichs in das Gefängniß nach Vincennes brachte. 19 20
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Ein Jahr darauf nöthigten eben diese Schleuderer, welche den großen Conde und die Prinzen der furcht samen Rache des Mazarins verkauft hatten, die Kö niginn, ihnen das Gefängniß öffnen zu lassen, und ihren ersten Minister aus dem Reiche zu verjagen. Conde kam unter den Zurufungen des Volks wieder, welches ihn vorher so gehaßt hatte. Seine Gegen wart erneuerte die Meutereyen und Uneinigkeiten. In dieser Verzehrung blieb das Reich noch einige Jahre. Die Regierung nahm niemals andere als schwache und ungewisse Rathschlüsse: sie schien endlich unterliegen zu müssen: die Rebellen aber waren be ständig uneins, und dieses errettete den Hof. Der Coadjutor, welcher bald des Prinzen von Conde Freund bald Feind war, brachte einen Theil des Parlements und des Volks wider ihn auf. Er unterstand sich zu gleicher Zeit der Königinn zu dienen, indem er diesem Prinzen die Spitze hielt, und sie zu beleidigen, indem er sie nöthigte, den Kardinal Mazarin zu entfernen, welcher seine Zuflucht nach Cöln nahm. Die Kö niginn war, vermöge des Widerspruchs, welcher bey schwachen Regierungen nur allzu gewöhnlich ist, genöthiget, sowohl seine Dienste als seine Beleidi gungen anzunehmen, und eben den Coadjutor zum Kardinal zu ernennen, welcher der Urheber der Bar ricaden war, und die ganze königliche Familie ge nöthiget hatte, aus der Hauptstadt zu entweichen und sie zu belagern.
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Viertes Hauptstück.

Verfolg des bürgerlichen Krieges bis zum Ende des Aufstandes im Jahre 1554.

Endlich entschloß sich Conde zu einem Kriege, welchen er gleich zur Zeit der Schleuder hätte anfangen sollen, wenn er hätte Herr des Staats seyn wollen, oder den er niemals hätte führen müssen, wenn er ein Bürger gewesen wäre. Er gieng aus Paris, er brachte Guienne, Poitou und Anjou auf, und bettelte Hülfe bey den Spaniern, deren schrecklichste Geißel er gewesen war. Nichts zeiget die Tollheit der damaligen Zeit, und die Unordnung, mit welcher alle Unternehmun gen geführet wurden, deutlicher, als das, was die sem Prinzen damals widerfuhr. Man schickte ihm einen Curier von Paris mit Vorschlägen, welche ihn zur Rückkunft und zum Frieden bewegen sollten. Der Curier betrog sich, und anstatt nach Angerville zu gehen, wo der Prinz damals war, gieng er nach Augerville. Der Brief kam zu späte. Conde sagte, wenn er ihn eher erhalten hätte, so würde er die Friedensvorschläge angenommen haben; weil er aber schon zu weit von Paris sey, so verlohne es sich nicht der Mühe, wieder zurück zu kehren. Das Misver ständniß eines Curiers also, und der bloße Eigen
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sinn dieses Prinzen stürzte Frankreich vom neuen in den bürgerlichen Krieg. Nunmehr kehrte der Kardinal Mazarin, welcher aus dem Innersten seiner Verbannung von Cöln aus, den Hof regieret hatte, in das Königreich zurück, nicht so wohl als Minister, welcher seine Stelle wie der einnähme, sondern als Oberhaupt, welches sich wieder in den Besitz seiner Staaten setzte. Er wurde von einer kleinen Armee begleitet, welche aus sieben tausend Mann bestand, die er auf seine Unkosten, das ist, mit dem Gelde des Königreichs, welches er sich anmaßte, hatte werben lassen. Man läßt den König in einer Declaration dama liger Zeit sagen; daß der Kardinal diese Truppen wirklich von seinem Gelde angeworben habe. Dieses mag die Meynung derjenigen widerlegen, welche vorgeben, Mazarin habe sich bey seiner ersten Flucht aus dem Königreiche in Bedürfniß befunden. Die Anführung seiner kleinen Armee übergab er dem Marschalle von Hoquincourt. Alle Officiere trugen grüne Binden, dieses war die Livreyfarbe des Kar dinals. Damals hatte jede Partey ihre besondere Binde. Die Partey des Königs trug weiße Bin den, die Partey des Prinzen von Conde isabellfär bige. Es war zum Erstaunen, daß der Kardinal Mazarin, welcher sich bisher so bescheiden gestellet hatte, die Verwegenheit besaß, eine Armee seine Livrey tragen zu lassen, als ob er eine andere Partey als die Partey seines Herrn gehabt hätte. Doch er konnte dieser Eitelkeit nicht widerstehen. Die Kö niginn billigte sie. Der König, welcher schon mün dig war, und sein Bruder kamen ihm entgegen.
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Auf die erste Nachricht seiner Zurückkunft warb Gaston von Orleans, der Bruder Ludewigs des XIII, welcher die Entfernung des Kardinals zuwege gebracht hatte, in Paris Truppen, ohne eigentlich zu wissen, wozu sie sollten gebraucht werden. Das Parlement erneuerte seine Schlüsse, es erklärte den Mazarin in die Acht, und setzte einen Preis auf sei nen Kopf. Man mußte in den Registern nachsehen, welches der Preis auf den Kopf eines Feindes des Vaterlandes sey. Man fand, daß man unter dem neunten Carl demjenigen öffentlich funzig tausend Thaler versprochen hatte, welcher den Admiral Co ligny lebendig oder todt liefern würde. Man glaubte in allem Ernste sehr regelmäßig zu verfahren, wenn man eben den Preis auf die Ermordung des Kardi nals und ersten Ministers setzte. Doch diese in die Achterklärung setzte niemanden in Versuchung, die funfzig tausend Thaler zu verdienen, welche am Ende gewiß nicht würden seyn bezahlet worden. Bey ei nem andern Volke, und zu einer andern Zeit, würde dieser Rechtsschluß seine Ausführer gefunden haben; damals aber diente er zu nichts, als zu neuen Spöt tereyen. Die Blots und die Marignys, witzige Köpfe, welche mitten unter diesen Unruhen zu lachen machten, ließen in Paris eine Eintheilung von hun dert und funfzig tausend Livres anschlagen; so wohl für den, welcher dem Kardinale die Nase oder ein Ohr abschneiden würde, als für den, welcher ihm ein Auge ausstechen oder ihn zum Verschnittenen ma chen würde. Dieses Lächerliche war die ganze Wir kung der in die Achterklärung. Der Kardinal seiner Seits gebrauchte gegen seine Feinde weder Gift noch
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Mord; und, ungeachtet der Bitterkeit und Raserey so vieler Parteyen, wurden doch nicht viele große Verbrechen begangen. Die Anführer der Parteyen waren nicht sehr grausam, und das Volk nicht sehr wüthend; denn es war kein Religionskrieg. Der Geist des Schwindels, welcher zu dieser Zeit herrschte, besaß das ganze Parlement von Paris so sehr *, daß es, nachdem es einen Mord befohlen hatte, worüber man lachte, einen Schluß faßte, vermöge dessen verschiedene Räthe sich an die Grän zen begeben mußten, um von der Armee des Kardi nals Mazarin, das ist, von der königlichen Armee, Nachricht einzuziehen. Zween Räthe waren so unvorsichtig, daß sie mit einigen Bauern herumgiengen, und die Brücken ab brachen, über welche der Kardinal ziehen mußte. Sie wurden von den Truppen des Königs gefangen genommen, mit Nachsicht losgelassen, und von allen Parteyen verspottet. Gleich zu eben der Zeit, als sich diese Versamm lung wider den Minister des Königs zu solchen Aus schweifungen bringen ließ, erklärte sie den Prinzen von Conde, welcher doch wider niemanden, als wider eben diesen Minister, zu den Waffen gegriffen hatte, des Verbrechens der beleidigten Majestät schuldig; und befahl aus einer Verwirrung des Geistes, welche alle die vorhergehenden Unternehmungen glaublich ma chen, daß die Truppen des Gastons, Herzogs von Orleans, wider den Mazarin aufbrechen sollten, verboth aber zugleich, nicht einen Heller aus den 21
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öffentlichen Einnahmen, zu ihrer Besoldung, zu nehmen. Was konnte man anders von einer Rathsversamm lung erwarten, welche, außer ihre Sphäre versetzt, weder ihre Rechte, noch ihre wirkliche Gewalt, noch die politischen Angelegenheiten, noch den Krieg kannte, welche sich in der größten Unordnung versammelte und entschied, und sich zu Sachen entschloß, woran sie den Tag zuvor nicht gedacht hatte, und worüber sie hernach selbst erstaunete. Das Parlement zu Bourdeaux war damals dem Prinzen von Conde zugethan. Es war aber in seiner Aufführung viel einförmiger, weil es von dem Hofe entfernter und also durch die gegenseitige Partey we niger beunruhiget war. Doch weit wichtigere Gegenstände machten ganz Frankreich aufmerksam. Conde, welcher sich mit den Spaniern verbunden hatte, war wider den König zu Felde; und Turenne, nachdem er eben die Spanier verlassen hatte, mit welchen er bey Retel war geschlagen worden, söhnte sich wieder mit dem Hofe aus, und führte die kö nigliche Armee an. Die erschöpften Finanzen er laubten weder der einen noch der andern Partey große Heere zu haben; doch die kleinen entschieden das Schicksal des Staats eben so wohl. Es giebt Zeiten, wo hundert tausend Mann im Felde kaum zwey Städt einnehmen können; es giebt andere, wo eine Schlacht zwischen sieben oder acht tausend Mann einen Thron umstürzt, oder befestiget. Ludewig der XIV, welcher in lauter Widerwärtig keiten erzogen ward, zog mit seiner Mutter, seinem
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Bruder und dem Kardinal Mazarin aus einer Pro vinz in die andere, und hatte kaum so viel Truppen um sich, als er nach der Zeit im Frieden bloß zu sei ner Leibwache hatte. Fünf bis sechs tausend Mann, wovon ein Theil aus Spanien gekommen, der andere von den Freunden des Prinzen von Conde geworben worden, verfolgten ihn in dem Innersten seines Kö nigreichs. Der Prinz von Conde unterdessen streifte von Bourdeaux nach Montauban, nahm Städte ein, und vermehrte überall seine Partey. Die ganze Hoffnung des Hofes war auf den Mar schall von Turenne gegründet. Die königliche Armee befand sich bey Gien an der Loire. Die Armee des Prinzen von Conde stand einige Meilen davon, un ter der Anführung des Herzogs von Nemours und des Herzogs von Beaufort. Die Uneinigkeit dieser zwey Generale wäre der Partey des Prinzen beynahe verderblich gewesen. Der Herzog von Beaufort war zu dem allergeringsten Commando unfähig. Der Herzog von Nemours ward für tapferer und liebens würdiger als geschickt gehalten. Beyde zugleich ruinirten ihre Armee. Die Soldaten wußten, daß der große Conde hundert Meilen entfernt sey, und hielten sich schon für verloren, als sich mitten in der Nacht ein Curier in dem Walde von Orleans vor der Hauptwache sehen ließ. Die ausgestellten Wa chen sahen gleich, daß dieser Curier der Prinz von Conde selbst sey, welcher von Agen verkleidet an kam, und nach hundert Abentheuern, sich an die Spitze seiner Armee stellte.
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Seine Gegenwart that viel, und diese unvermu thete Ankunft noch mehr. Er wußte, daß alles, was plötzlich und unerwartet kömmt, die Menschen außer sich setzt. Er machte sich den Augenblick das Vertrauen und die Kühnheit, welche er einflößte, zu Nutze. Die große Eigenschaft dieses Prinzen im Kriege war, daß er auf einmal die allerverwegensten Entschlüsse fassen, und sie mit eben so viel Klugheit als Geschwindigkeit ausführen konnte. Die königliche Armee war in zwey Heere vertheilt. Conde stürzte sich auf dasjenige, welches bey Blenau stand, und von dem Marschall von Hoquincourt an geführet wurde. Dieses Heer ward zu gleicher Zeit zerstreuet und angegriffen. Man konnte es Turennen nicht wissen lassen. Der Kardinal Mazarin war voller Erschrecken, begab sich eilend mitten in der Nacht nach Gien, und weckte den König aus dem Schlafe, ihm Nachricht davon zu geben. Sein kleiner Hof ward bestürzt, man schlug dem Könige vor, sich durch die Flucht zu retten, und sich in aller Stille nach Bourges bringen zu lassen. Der siegende Prinz von Conde nahete sich der Stadt Gien, und die allgemeine Furcht ward immer stärker und stärker. Turenne brachte durch seine Standhaftigkeit vielen neuen Muth bey, und errettete den Hof durch seine Geschicklichkeit. Er machte mit den wenigen Trup pen, welche ihm übrig waren, so glückliche Bewe gungen, und nutzte Zeit und Ort so wohl, daß er den Conde verhinderte, seinen Vortheil zu verfolgen. Nunmehr war es schwer zu entscheiden, welcher die meiste Ehre erlangt habe, ob der siegende Conde, oder Turenne, welcher ihm die Frucht des Sieges
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entrissen hatte. Es ist wahr, daß in dieser Schlacht bey Blenau, welche seit so langer Zeit in Frankreich berühmt ist, kaum vierhundert Mann blieben; nichts destoweniger aber war der Prinz von Conde auf dem Puncte, die ganze königliche Familie in seine Gewalt zu bekommen, und sich seines Feindes, des Kar dinals Mazarin, zu bemächtigen. Man konnte keine kleinere Schlacht, keinen größern Antheil dabey, und keine dringendere Gefahr sehen. Conde, welcher sich nicht schmeichelte, Turennen zu überraschen, wie er den Hoquincourt überrascht hatte, ließ seine Armee gegen Paris anrücken. Er eilte, in dieser Stadt seines Ruhms zu genießen, und sich die vortheilhaften Gesinnungen des blinden Volks zu Nutze zu machen. Die Verwunderung, welche man über die letzte Schlacht bezeugte, und wovon man die Umstände vergrößerte, der Haß, welchen man gegen den Mazarin hegte, der Name und die Gegen wart des großen Conde schienen ihn anfangs zum un umschränkten Herrn der Hauptstadt zu machen. In der That aber waren alle Gemüther getheilet; jede Partey bestund aus kleinen Parteyen, so wie es bey allen Trubeln zu geschehen pflegt. Der Coadjutor, welcher Kardinal von Retz geworden war, und sich, dem Ansehen nach, mit dem Hofe, welcher ihn fürch tete, und dem er nicht trauete, ausgesöhnet hatte, war nicht mehr Herr des Volkes, und spielte nicht mehr die vornehmste Person. Er beherrschte den Herzog von Orleans, und war dem Prinz von Conde entgegen. Das Parlement schwebte zwischen dem Hofe, dem Herzoge von Orleans und dem Prinzen; alle aber kamen darinne überein, auf den Mazarin
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zu schimpfen. Jeder hatte insgeheim seine besondern Absichten; das Volk war ein stürmisches Meer, dessen Wellen von entgegenstehenden Winden auf Ge rathewohl getrieben wurden. Man sahe nichts als Unterhandlungen unter den Häuptern der Partey, Abordnungen des Parlements, Versammlungen der Kammern, Aufruhr unter dem Pöbel, und Kriegsleute auf dem Felde. Der Prinz hatte die Spanier zu Hülfe gerufen. Carl der IV, der aus seinen Staaten vertriebene Herzog von Lothringen, dessen ganzes Vermögen in einer Armee von acht tausend Mann bestand, welche er alle Jahre an den König von Spanien verkaufte, näherte sich mit dieser Armee der Stadt Paris. Der Kardinal Mazarin both ihm mehr Geld an, wenn er wieder zurück kehren wollte, als ihm die Partey des Conde gegeben hatte, herbey zu kommen. Der Herzog von Lothringen verließ Frankreich gar bald, nachdem er es überall, wodurch sein Zug gieng, verwüstet hatte, und nahm von beyden Parteyen das Geld mit weg. Conde blieb also in Paris mit einer Gewalt, wel che alle Tage geringer ward, und mit einer noch schwächern Armee. Turenne führte den König und seinen Hof nach Paris zu. Der König sah im 15ten Jahre seines Alters von der Höhe des Berges Cha ronne die Schlacht bey St. Antoine, wo die beyden Generals mit so wenig Truppen so große Dinge tha ten, daß der Ruhm sowohl des einen als des andern, von welchem es schien als ob er nicht höher wachsen könnte, dadurch vermehret wurde. Mit einer kleinen Anzahl von Vornehmen, die sei ner Partey zugethan waren, und mit sehr wenig Sol
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daten ward die ganze Macht der königl. Armee von dem Prinzen von Conde aufgehalten und zurück ge trieben. Der König sah nebst dem Kardinal Maza rin dieses Treffen von der Höhe eines Berges mit an. Der Herzog von Orleans war ungewiß, zu welcher Partey er treten sollte, er blieb also in seinem Pallaste von Luxenburg ruhig. Der Kardinal von Retz hatte sich in sein Erzbisthum gezogen. Das Parlement wartete auf den Ausgang der Schlacht, seinen Schluß darnach einzurichten. Das Volk, welches damals sowohl die Truppen des Königs als die Truppen des Prinzen fürchtete, hatte die Thore der Stadt verschlossen, und ließ niemanden weder aus noch ein, da unterdessen die größten Männer Frankreichs im Treffen wütheten und ihr Blut in der Vorstadt vergossen *. Hier war es, wo der Herzog von Rauchefoucoult, welchen Muth und Witz so be rühmt gemacht haben, unter den Augen verwundet wurde, daß er auf einige Zeit das Gesichte darüber verlor. Man sah nichts als verwundete oder getöd tete junge Herren, die man an das Thor des heil. Anto nius brachte, welches nicht aufgemacht ward. Endlich erwählte die Tochter des Gaston die Par tey des Prinzen von Conde, welchem ihr Vater bey zustehen sich nicht getrauet hatte. Sie ließ den Ver wundeten die Thore aufmachen, und hatte die Kühn heit, die Canone auf der Bastille auf die Truppen des Königs losfeuren zu lassen. Die königl. Armee zog sich zurück, und Conde erhielt nichts als Ruhm. Die Tochter des Gaston aber machte sich in dem Ge müthe des Königs durch diese gewaltsame Handlung, 22
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auf ewig verhaßt; und der Kardinal Mazarin, wel cher ihre außerordentliche Begierde kannte, mit einem gekrönten Haupte vermählt zu seyn, sagte damals: Diese Canone hat ihren Gemahl getödtet. Die meisten von unsern Geschichtschreibern prahlen gegen ihre Leser mit nichts als diesen Schlachten und Wundern der Herzhaftigkeit und der Staatskunst. Wer aber weiß, was für schimpflicher Hülfsmittel man sich damals bediente, in welches Elend man das Volk zu stürzen verbunden war, und zu welchen Nie derträchtigkeiten man gebracht ward, der muß den Ruhm der Helden dieser Zeit mehr mit Erbarmung als mit Verwunderung ansehen. Man mag aus den einzigen Zügen davon urtheilen, welche Gourville, ein Mann, der dem Prinzen zugethan war, anbringt. Er gesteht, daß er selbst, um ihm Geld zu verschaf fen, eine Casse bestehlen und einen Postdirector aus seinem Hause fortgeschleppet habe, welcher sich her nach hätte müssen auslösen; und diese Gewaltsamkei ten erzählt er als damals ganz gewöhnliche Sachen. Nach dem blutigen und unnützen Treffen bey St. Antoine, konnte der König weder nach Paris kom men, noch der Prinz lange daselbst verbleiben. Ein Aufstand des Pöbels und die Einwendung einiger Bürger, wovon man ihn zum Urheber machte, zogen ihm den Haß des ganzen Volkes zu. Unterdessen hatte er doch noch seine Partey im Parlemente. Diese Versammlung, welche damals von einem flüch tigen und aus der Hauptstadt vertriebenen Hofe we nig zu fürchten hatte, erklärte durch einen Parlements schluß, auf Anliegen der Parteyen des Herzogs von Orleans und des Prinzen, den Herzog von Orleans
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zum Generallieutenant des Königreichs, und den Prinz von Conde zum Generalißimus seiner Armeen. Der erbitterte Hof befahl dem Parlemente, sich nach Pontoise zu begeben; und einige Räthe gehorchten auch. Man sah also zwey Parlemente, deren jedes dem andern sein Ansehen absprach, und welche beyde sich widersprechende Schlüsse faßten, und sich dadurch die Verachtung des Volkes gewiß würden zugezogen haben, wenn sie nicht noch darinnen einig gewesen wären, daß sie beyde die Vertreibung des Mazarins verlangten; denn der Haß gegen diesen Minister schien damals die wesentlichste Schuldigkeit eines Franzosen zu seyn. Zu dieser Zeit waren alle Parteyen schwach, und die Partey des Hofes war es eben sowol wie die an dern. Geld und Nachdruck fehlten überall. Die Rotten vermehrten sich; und die Schlachten hatten auf beyden Seiten nichts als Verlust und Reue ver ursachet. Der Hof sah sich genöthiget, abermals den Mazarin aufzuopfern, welchen jedermann für die Ursache der Unruhen hielt, und welcher doch nur der Vorwand davon war. Er verließ das Reich zum zweytenmale; und zur Vermehrung der Schan de, mußte der König eine öffentliche Declaration er gehen lassen, worinnen er seinen Minister verweisen mußte, ob er gleich seine Dienste rühmte und sich über seine Verbannung beklagte *. Carl der erste, König in England, hatte seinen Kopf auf der Henkerbühne hergegeben, weil er zu Anfange der Unruhen das Blut seines ersten Mini sters des Strafords seinem Parlemente Preis gege 23
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ben hatte. Ludewig der XIV gegentheils, kam in den ruhigen Besitz seines Königreichs, indem er die Verweisung des Mazarins duldete. Eben dieselben Schwachheiten, hatten also ganz verschiedene Folgen. Der König in England, indem er seinen Liebling auf gab, machte ein Volk kühne, welches sich nach dem Kriege sehnte, und die Könige haßte; und Ludewig der XIV, (oder vielmehr die Königinn Mutter) in dem sie den Kardinal fortschickte, benahm allen Vor wand des Aufstandes einem Volke, welches des Krie ges müde war, und die Beherrschung von Königen liebte. Kaum war der Kardinal fort, sich an den Ort seiner Zuflucht nach Bouillon zu begeben, als die Bürger von Paris aus eigner Bewegung Abgeord nete an den König schickten, und ihn, in die Haupt stadt zurück zu kommen, bitten ließen. Er kam wie der, und alles war daselbst so stille, daß man sich unmöglich einbilden konnte, daß einige Tage vorher alles in Verwirrung gewesen sey. Gaston von Or leans, welcher allezeit in seinen Unternehmungen, die er nicht ausführen konnte, unglücklich war, ward nach Blois verwiesen, wo er den Rest seines Lebens in Reue zubrachte, und der zweyte Sohn Heinrichs des Großen war, welcher ohne vielen Ruhm starb. Der Kardinal von Retz, der vielleicht eben so unver schämt als erhaben und kühn war, ward im Louvre gefangen gehalten, und führte, nachdem er aus einem Gefängnisse in das andere geschleppt worden, lange Zeit ein irrendes Leben, welches er endlich in der Ein samkeit beschloß, wo er Tugenden erlangte, die sein
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großer Muth in den Unruhen seines Glückes nicht hatte fassen können. Einige Räthe, welche ihr Ansehen am meisten ge misbrauchet hatten, mußten ihre Unternehmungen mit dem Elende bezahlen; andere schränkten sich in die Gränzen ihres gerichtlichen Amts ein, und noch andere wurden durch ein jährliches Geschenke von fünfhundert Thalern, welches ihnen Fouquet, der Generaldirector der Finanzen, unter der Hand aus zahlen ließ, zu ihrer Schuldigkeit gebracht *. Der Prinz von Conde unterdessen, welcher in Frankreich fast von allen seinen Freunden verlassen war, und von den Spaniern wenig Beystand erhielt, setzte an den Gränzen von Champagne einen unglück lichen Krieg fort. In Bourdeaux waren noch einige Rotten übrig, doch auch diese wurden gar bald getilget. Die Ruhe des Königreichs war die Frucht der Verbannung des Kardinals Mazarin. Kaum aber war er durch das allgemeine Geschrey der Franzosen, und durch eine Declaration des Königs verjagt wor den, als ihn der König wiederkommen ließ. Er er staunte, daß er so ruhig und gewaltig wieder nach Paris kommen konnte. Ludewig der XIV empfing ihn als einen Vater, und das Volk als einen Herrn. Man stellte ihm zu Ehren in dem Rathhause ein Fest an, mitten unter den freudigen Zurufungen der Bür ger. Er warf Geld unter den Pöbel aus; man sa get aber, daß er, bey der Freude einer so glücklichen Veränderung, nicht wenig Verachtung gegen unsere 24
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Unbeständigkeit habe blicken lassen. Das Parlement, welches einen Preis auf seinen Kopf, als auf den Kopf eines Straßenräubers, gesetzet hatte, ließ ihn durch Abgeordnete bewillkommen; und eben dieses Parlement verdammte kurze Zeit darauf den Prinz von Condeper contumaciam, das Leben zu verlieren; eine Veränderung, welche in dergleichen Zeiten sehr gemein und desto erniedrigender war, da man denje nigen verdammte, an dessen Fehlern man so lange Zeit Antheil genommen hatte *. Man sahe den Kardinal, welcher am meisten auf diese Verdammung drang, eine von seinen Nichten mit dessen Bruder dem Prinz von Conty verheirathen, zum Beweise, daß die Gewalt dieses Ministers ohne Gränzen seyn solle. 25

Fünftes Hauptstück.

Frankreichs Zustand bis zuCrom welsTode, und der Reise der Kö niginn Christina.

Indessen, daß der Staat von innen so zerrissen wurde, ward er von außen nicht weniger ange griffen und geschwächt. Alle Früchte der Schlachten bey Rocroy, bey Lens und Nördlingen, giengen ver loren. Der wichtige Ort Dünkirchen ward von den
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Spaniern wieder eingenommen; sie jagten die Fran zosen aus Barcellona *, und nahmen Casal in Ita lien weg. Ungeachtet der Unruhen eines bürgerlichen Krieges, und der Last eines auswärtigen, war Ma zarin doch glücklich genug gewesen, den berühmten westphälischen Frieden zu schließen **, durch welchen der Kaiser und das Reich die Präfectur und nicht die Oberbothmäßigkeit von Elsaß für drey Millionen Livres, nach itziger Münze für sechs Millionen, wel che an den Erzherzog bezahlt werden sollten, verkauf te. Durch diesen Friedensschluß, welcher in der Fol ge der Grund von allen Friedensschlüssen ward, wur de ein neues Churfürstenthum für die Pfalz gemacht. Die Rechte aller Prinzen, aller Reichsstädte, die Freyheiten der geringsten deutschen Edelleute wurden bestätiget. Die Gewalt des Kaisers wurde in enge Gränzen eingeschlossen, und die Franzosen nebst den Schweden waren die Gesetzgeber geworden. Diese Ehre Frankreichs hatte man wenigstens eines Theils den schwedischen Waffen zu danken; denn Gustav Adolph war der erste, welcher das Reich erschütterte. Seine Generale hatten ihre Eroberungen unter der Regierung seiner Tochter Christina weit genug getrie ben. Der General Wrangel war im Begriff in Oesterreich einzurücken. Der Graf von Königsmark war Herr von der Hälfte der Stadt Prag, und be lagerte die andere Hälfte, gleich als der Friede ge schlossen ward. Dem Kaiser so zuzusetzen kostete es dem französischen Hofe nichts, als eine Million, die er jährlich den Schweden geben mußte. 26 27
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Schweden erhielt durch diesen Friedensschluß auch weit größere Vortheile als Frankreich: es bekam Pommern, verschiedene Plätze und Geld. Es zwang den Kaiser gewisse Beneficia den Lutheranern zu überlassen, welche den Römischkatholischen gehör ten. Rom schrie über Gottlosigkeit, und behauptete, der Himmel selbst sey verrathen. Die Protestanten rühmten sich, daß sie das Friedenswerk durch Be raubung der Papisten geheiliget hätten. Der Eigen nutz sprach aus allen. Spanien trat nicht mit zu diesem Friedensschlusse, und zwar mit gutem Grunde. Denn da es sah, daß Frankreich in den bürgerlichen Kriegen verwickelt war, so glaubten die spanischen Minister, sie wür den sich unsere Uneinigkeit zu Nutze machen können. Die abgedankten deutschen Truppen wurden den Spa niern eine neue Hülfe. Der Kaiser schickte nach dem münsterschen Frieden in vier Jahren mehr als dreyßig tausend Mann nach Flandern. Dieses war eine of fenbare Brechung des Friedensschlusses; doch wenn sind Friedensschlüsse jemals schärfer beobachtet worden? Die Minister von Madrid hatten bey diesem west phälischen Friedensschlusse die Geschicklichkeit, einen besondern Frieden mit Holland zu machen. Die spa nische Monarchie war endlich glücklich genug, daß sie diejenigen nicht mehr zu Feinden hatte, und sie sie für ihre eigene Herren erklärte, welchen sie so lan ge als Rebellen mit gefahren war, die keine Gnade verdienten. Diese Republikaner vermehreten ihre Reichthümer, und befestigten ihre Größe und ihre
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Ruhe, indem sie mit Spanien Frieden schlossen ohne mit Frankreich zu brechen. Sie waren so mächtig, daß sie in * einem Kriege, welchen sie einige Zeit darauf mit England hatten, hundert Schiffe in die See stellen konnten, so daß der Sieg zwischen dem englischen Admiral Black, und dem holländischen Admiral Tromp, welche das auf dem Meere waren, was ein Conde und Turenne auf dem festen Lande war, lange unentschieden blieb. Frankreich hatte damals kaum zehn Schiffe von 50 Canonen, die es hätte können auslaufen las sen: seine Kriegsmacht ward von Tage zu Tage geringer. Ludewig der XIV sah sich also im Jahre 1653 als unumschränkten Beherrscher eines Reichs, welches von den Anfällen, die es ausgehalten hatte, noch ganz erschüttert war. Alle Arten der Verwaltung, waren voller Verwirrung. Doch fehlte es auch nicht an Mitteln, ihm wieder aufzuhelfen, da es, außer Savoyen, keine Bundsgenossen hatte, einen angrei fenden Krieg zu führen, und außer Spanien, wel ches damals in einem noch schlechtern Zustande als Frankreich war, keinen auswärtigen Feind hatte. Alle Franzosen, welche den bürgerlichen Krieg ge führt hatten, hatten sich unterwerfen müssen, außer Conde und einige von seinen Anhängern, wovon ihm einige aus Freundschaft und Großmuth treu geblieben waren, als der Graf von Coligny und Bouteville, andere aber deswegen, weil sie der Hof nicht theuer genug erkaufen wollte. 28
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Conde, welcher General der spanischen Armeen geworden war, konnte einer Partey nicht wieder auf helfen, die er selbst, durch die Zernichtung ihres Fuß volkes, in den Schlachten bey Lens und Rocroy ge schwächt hatte. Er stritt mit neuen Truppen, wovon er nicht Herr war, wider alte französische Regimen ter, welche unter ihm gelernet hatten zu siegen, und von Turennen angeführet wurden. Das Schicksal des Turenne und des Conde schien zu seyn, allezeit zu siegen, wenn sie mit einander an der Spitze der Franzosen fochten, und allezeit geschla gen zu werden, wenn sie die Spanier anführeten. Turenne hatte kaum die Ueberbleibsel der spanischen Armee von der Schlacht bey Retel gerettet, als er aus einem General das Königs von Frankreich, ein Lieutenant des Don Estevan de Gamare wurde. Der Prinz von Conde hatte eben dieses Schicksal vor Arras. Der Erzherzog und er belagerten diesen Ort. Turenne belagerte sie in ihrem Lager, und drang durch ihre Verschanzungen. Die Truppen des Erzherzoges wurden in die Flucht geschlagen. Conde allein hielt mit zwey französischen und lothrin gischen Regimentern die ganze Gewalt der Armee des Turenne auf, und indem der Erzherzog floh, schlug er den Marschall von Hoquincourt, trieb den Mar schall von Ferte zurück, und machte die Flucht der überwundenen Spanier durch seine siegende Entfer nung wieder gut. Der König von Spanien schrieb ihm auch mit ausdrücklichen Worten: ich weiß, daß alles ver loren war, und daß ihr alles erhalten habt.
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Es ist schwer zu sagen, wodurch die Schlachten gewonnen oder verloren worden; es ist aber gewiß, daß Conde einer von den größten Kriegsleuten war, die jemals gewesen sind, und daß der Erzherzog und sein Kriegsrath bey diesem Treffen nichts von alle dem thun wollten, was Conde vorschlug. Das entsetzte Arras und der in die Flucht geschla gene Erzherzog überhäuften Turennen mit Ruhm, und man bemerkt in dem Briefe, welchen der König an das Parlement wegen dieses Sieges schreiben ließ *, daß man allen Fortgang dieses Feldzuges dem Kardinal Mazarin zuschrieb, und nicht einmal den Turenne mit Namen erwähnte. Der Kardinal war in der That nebst dem Könige einige Meilen von Arras gewesen. Er war sogar in dem Lager bey der Belagerung von Stenay gewesen, welches Turenne eingenommen hatte, ehe er Arras entsetzte. Man hatte in Gegenwart des Kardinals Kriegsrath gehal ten. Aus diesem Grunde eignete er sich die Ehre des Ausganges zu, welche Eitelkeit ihm eine so lächerliche Seite gab, daß das ganze Ansehen des Ministers nicht hinlänglich war, sie zu bedecken. Der König befand sich nicht bey der Schlacht vor Arras, er hätte aber dabey seyn können. Er war bey der Belagerung von Stenay in die Laufgräben ge gangen; der Kardinal Mazarin aber wollte nicht, daß er seine Person der Gefahr ferner aussetzen sollte, weil die Ruhe des Staats und die Gewalt des Mi nisters damit verbunden zu seyn schienen. Auf der einen Seite führte Mazarin, der unum schränkte Herr Frankreichs und des jungen Königs, 29
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und auf der andern Don Ludewig von Haro, welcher Spanien und den vierten Philipp regierte, unter dem Namen ihrer Herren, diesen Krieg fort, obgleich mit wenig Lebhaftigkeit. Noch bekümmerte man sich nicht um den Namen Ludewigs des XIV, und noch niemals hatte man von dem Könige in Spanien gesprochen. Es war kein einziges gekröntes Haupt damals in Eu ropa, welches ein persönliches Verdienst gehabt hätte. Die einzige Königinn in Schweden, Christina, re gierte durch sich selbst und unterstützte die Ehre des in andern Staaten entweder verlassenen oder entlehnten oder unbekannten Thrones. Carl der zweyte, König von England, welcher mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Frank reich geflohen war, schleppte überall daselbst sein Un glück und seine Hoffnung mit sich herum. Ein bloßer Bürger hatte sich England, Irrland und Schott land, mit der Bibel in einer, und dem Degen in der andern Hand, und der Larve der Schwärmerey auf dem Gesichte, unterwürfig gemacht. Cromwel, die ser des Regiments würdige Usurpator, hatte den Namen eines Protectors und nicht eines Königs an genommen; weil die Engländer zwar wußten, wie weit sich die Rechte ihrer Könige erstreckten, aber nicht, welches die Gränzen des Ansehens eines Pro tectors wären. Er bestätigte seine Gewalt dadurch, daß er sie zu rechter Zeit zu unterdrücken wußte: er unternahm nichts wider die Freyheiten, worauf das Volk eifer süchtig war; er legte keine Soldaten in die Stadt London; er machte keine Auflagen, worüber man hätte murren können; er beleidigte die Augen nicht
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durch allzuviel Pracht; er erlaubte sich kein Vergnü gen; er häufte keine Schätze auf; er wandte alle Sorgfalt an, daß die Gerechtigkeit mit derjenigen unerbittlichen Unparteylichkeit ausgeübt würde, wel che unter den kleinen und großen keinen Unterschied macht. Der Bruder des portugiesischen Gesandten in England, des Pantaleonsa, glaubte, daß seine Frechheit ungestraft bleiben würde, weil die Person seines Bruders unverletzlich war; er beleidigte also verschiedene Bürger in London auf eine empfindliche Art, und ließ einen davon so gar umbringen, weil er sich an ihm, wegen des Widerstandes, den ihm die andern gethan hatten, rächen wollte. Er ward zum Strange verdammt. Cromwel, welcher ihm hätte können Gnade wiederfahren lassen, ließ ihn hinrichten, und unterzeichnete den Morgen darauf mit dem Abgesandten einen Tractat. Niemals war die Handlung so frey und so blühend, niemals war England so reich gewesen. Seine sie genden Flotten verschafften seinem Namen in allen Meeren Hochachtung, da indessen Mazarin, wel chen allein seine Herrschsucht und Gierde sich zu berei chern, beschäfftigte, in Frankreich die Gerechtigkeit, die Handlung, die Seemacht und sogar die Finanzen in Ohnmacht erliegen ließ. Da er nach einem bür gerlichenKriege Herr von Frankreich war, so wie es Cromwel von England war, so hätte er für das Land, welches er regierte, eben das thun können, was Cromwell für das seinige gethan hatte. Allein er war ein Ausländer, und die Seele des Mazarin
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hatte zwar nicht die Grausamkeit des Cromwels, sie hatte aber auch nicht seine Größe. Alle europäische Völker, welche sich nicht viel um das Bündniß mit England unter Jacob dem I und unter Carln bekümmert haben, bestrebten sich unter dem Protector mit allem Eifer darnach. Die Kö niginn Christina selbst, ob sie gleich die Ermordung Carls des I verabscheuet hatte, gieng mit einem Tyrannen, welchen sie hoch schätzte, ein Bünd niß ein. Mazarin und Don Ludewig von Haro verschwen deten ihre Staatsklugheit um die Wette, sich mit dem Protector zu vereinigen. Er genoß eine Zeit lang das Vergnügen, sich von den zwey mächtig sten christlichen Königreichen geschmeichelt zu sehen. Der spanische Minister both ihm Hülfe an, Ca lais einzunehmen; Mazarin schlug ihm vor, Dün kirchen zu belagern, und ihm diese Stadt in die Hände zu bringen. CronwelCromwel konnte unter den Schlüs seln von Frankreich oder von Flandern wählen. Auch Conde lag ihm sehr an; er wollte aber nichts mit einem Prinzen zu thun haben, welcher nichts für sich hatte, als seinen Namen, welcher ohne Anhang in Frankreich, und ohne Gewalt bey den Spaniern war. Der Protector entschloß sich für Frankreich; doch ohne ein besonder Bündniß zu schließen, und ohne die Ueberwindungen im Voraus zu theilen. Er wollte seine unrechtmäßige Regierung durch die aller größten Unternehmungen berühmt machen. Seine Absicht war, den Spaniern America aus den Hän den zu reißen; doch sie wurden in Zeiten davon be nachrichtiget, und die Admirale des Cromwels nahmen
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ihnen nichts als Jamaica weg *, eine Provinz, welche die Engländer noch besitzen, und welche der Grund ihres Handels in der neuen Welt ist. Erst nach der Eroberung von Jamaica geschahe es, daß Cromwel seinen Tractat mit dem Könige von Frankreich unter zeichnete; doch ohne die geringste Erwähnung von Dün kirchen zu thun. Der Protector verfuhr wie mit seines Gleichen, und zwang den König, ihm den Titel Bru der zu geben. Sein Sekretair unterzeichnete sich in dem Originale des Tractats, welches in England blieb, vor den gevollmächtigten französischen Minister. Er schloß aber diesen Tractat in der That als der überlegene Theil, indem er den König von Frankreich nöthigte, Carln den II und den Herzog von York, einen Enkel Heinrichs des IV, welche ihre Zuflucht in Frankreich genommen hatten, aus seinen Staaten zu weisen **. Indessen da Mazarin dieses Bündniß schloß, hielt Carl der II bey ihm um eine von seinen Nichten an. Der üble Zustand seiner Angelegenheiten, welche den Prinzen zu diesem Vorsatze brachten, war eben das, was ihm eine abschlägige Antwort zuzog. Man hat so gar den Kardinal in Verdacht, daß er eben die, welche er dem Könige von England versagte, mit dem Sohne des Cromwels habe verheirathen wollen. Die ses ist wenigstens gewiß, daß er, als er hernachmals sahe, daß der Weg zum Throne dem zweyten Carl we niger verschlossen sey, diese Heirath von neuem hervor suchte; doch alsdann bekam er abschlägliche Antwort. Die Mutter dieser zwey Prinzen, Henriette von Frankreich, eine Tochter Heinrichs des Großen, welche 30 31
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in Frankreich ohne Hülfe geblieben war, ward genö thiget den Kardinal zu beschwören, von Cromwellen wenigstens zu erhalten, daß ihr das Leibgedinge be zahlt würde. Konnte eine schmerzhaftere Erniedri gung für sie seyn, als daß sie denjenigen um Lebens unterhalt ansprechen mußte, welcher das Blut ihres Mannes auf der Henkerbühne vergossen hatte. Ma zarin that im Namen dieser Königinn ganz schwache Vorstellungen in England, und kündigte ihr endlich an, daß er nichts habe erhalten können. Sie blieb in Paris in der größten Armuth und voller Scham, die BarmherzigkeitCromwels angesprochen zu haben; da indessen ihre Söhne zu der Armee des Prinzen von Conde und des Don Juan von Oesterreich giengen, das Kriegshandwerk wider Frankreich, welches sie verließ, zu erlernen. Die aus Frankreich vertriebenen Kinder Carls des I flüchteten nach Spanien. Die spanischen Minister schrien an allen Höfen, und besonders in Rom, aus vollem Halse wider einen Kardinal, welcher, wie sie sagten, alle göttliche und menschliche Gesetze und die Ehre der Religion einem Königsmörder aufopferte; und die Vettern Ludewigs des XIV, den zweyten Carl und den Herzog von York aus Frankreich verjagte, dem Henker ihres Vaters zu gefallen. In Flandern wurde der Krieg immer mit ver schiedlichem Fortgange fortgesetzt. Turenne hatte Valenciennes mit dem Marschall von Ferte belagert, und mußte eben den Unstern erfahren, welchen Conde vor Arras erfahren hatte. Der Prinz, welcher da mals von dem Don Juan von Oesterreich, welcher es eher verdiente, an seiner Seite zu streiten, als der
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Erzherzog, unterstützt wurde, drang durch die Linien des Marschalls von Ferte, nahm ihn gefangen, und entsetzte Valenciennes *. Turenne that, was Conde bey einer gleichen Widerwärtigkeit gethan hatte. Er rettete die geschlagene Armee, und both überall dem Feinde die Spitze; er belagerte so gar einen Monat darauf Chapelle, und nahm es ein. Das war viel leicht das erstemal, daß eine geschlagene Armee eine Belagerung zu unternehmen gewagt hatte. Dieses so gepriesene Unternehmen des Turenne, nachdem er Chapelle eingenommen hatte, ward durch ein schöneres Unternehmen des Prinzen von Conde verdunkelt. Kaum belagerte Turenne Cambray, als Conde mit zwey tausend Mann zu Pferde durch die Armee der Belagerer drang, alles, was sich ihm entgegen stellte, niederstürzte, und sich in die Stadt warf **. Die Bürger empfingen ihren Befreyer auf den Knien. Auf diese Art entwickelten diese zwey entgegen gesetzten Helden die Stärke ihrer kriege rischen Geister immer mehr und mehr. Man be wunderte sie, wenn sie sich zurück zogen, eben so sehr, als wenn sie siegeten, so gar in ihren Fehlern selbst, welche sie allezeit wieder gut zu machen suchten. Ihre Geschicklichkeiten hielten wechselsweise den Anwachs der einen oder der andern Monarchie auf; die Un ordnung aber, welche sowol in Frankreich, als in Spanien, in dem Finanzwesen herrschete, war noch ein weit größer Hinderniß ihres glücklichen Fortganges. 32 33
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Schreiben des Hn. von Voltaire,

über seinen Versuch des Jahrhunderts Ludewigs des XIV. an Mylord Harvey, geheimen Siegelbewahrer von England.

Ich bitte sie, Mylord, urtheilen sie von meinem Versuche über das Jahrhundert Ludewigs des XIV, nicht nach den zwey Hauptstücken, die man in Holland mit so viel Fehlern gedruckt hat, welche mein Werk ganz unkenntlich und unverständ lich machen. Wenn die englische Uebersetzung nach dieser unförmlichen Abschrift ist gemacht worden, so verdient der Uebersetzer eine Verdolmetschung der Offenbarung zu machen. Vor allen aber bitte ich, seyn sie etwas weniger verdrüßlich, daß ich das letzte Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs des XIV. nenne. Ich weiß wohl, Ludewig der XIV. hatte die Ehre nicht, der Herr oder Wohlthäter eines Boyle, eines Newtons, eines Halley, eines Addisons, eines Drydens zu seyn. Allein in dem Jahrhunderte, welches man das Jahrhundert des zehnten Leo nennt, hatte denn dieser zehnte Leo alles gethan? Waren
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damals keine andere Fürsten, welche das Ihrige bey trugen, das menschliche Geschlecht zu erleuchten und gesitteter zu machen? Gleichwol hat der Name des zehnten Leo den Vorzug erhalten, weil er mehr als jeder andere die Künste aufmunterte. Und nun, wer hat denn in diesem Stücke der Menschlichkeit mehr Dienste gethan als Ludewig der XIV? Welcher König hat mehr Wohlthaten ausgestreuet, mehr Ge schmack bewiesen, und sich durch schönere Stiftungen hervorgethan? Er hat, ohne Zweifel, nicht alles gethan, was er hätte thun können, weil er ein Mensch war; er hat aber mehr gethan, als jeder andere, weil er ein großer Mann war. Mein stärk ster Grund, ihn sehr hoch zu schätzen, ist, daß er, ungeachtet seiner bekannten Fehler, mehr Ruhm hat, als keiner von seinen Zeitverwandten. Trotz einer Million Menschen, deren er Frankreich beraubet hat, und welchen allen daran gelegen war, ihn zu ver schreyen, schätzt ihn doch ganz Europa hoch, und setzt ihn in die Zahl der größten und besten Mo narchen. Nennen sie mir doch denjenigen Fürsten, welcher mehr geschickte Ausländer an sich gezogen habe, und welcher die Verdienste seiner Unterthanen, mehr auf gemuntert habe? Sechzig Gelehrte in Europa er hielten Belohnungen von ihm, welche darüber er staunten, daß sie ihm bekannt wären. Colbert schrieb ihnen: Ob der König gleich nicht ihr Herr ist, so will er doch ihr Wohl
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thäter seyn. Er hat mir befohlen, ihnen beyliegenden Wechsel, als ein Zeichen seiner Hochachtung, zu schicken. Ein Böhme, ein Däne, erhielten dergleichen aus Versailles gegebene Briefe. Guillemini baute von den Wohlthaten Ludewigs des XIV in Florenz ein Haus; er ließ den Namen dieses Königs über den Eingang desselben setzen, und sie wollen nicht, daß ich ihn an die Spitze des Jahrhunderts, von welchem ich rede, setze? Was er in seinem Reiche gethan hat, kann zu ei nem ewigen Beyspiele dienen. Er trug die Erzie hung seines Sohnes und seines Enkels den beredtesten und gelehrtesten Männern in Europa auf. Er hatte die Aufmerksamkeit, daß er drey Söhne des Peter CerneillePeter Corneille unterbrachte; zwey unter den Soldaten, und einen im geistlichen Stande. Er ermunterte die hervorkommende Geschicklichkeit des Racine durch ein Geschenk, welches für einen unbekannten jungen Menschen ohne Vermögen sehr beträchtlich war; und als sich dieses Genie vollkommen gemacht hatte, so machten seine Geschicklichkeiten, welche oft zu nichts, als zur Ausschließung des Glückes dienen, das seini ge: er genoß mehr als Glück; die Gunst, und manch mal die Vertraulichkeit seines Herrn; dessen bloßer Blick eine Belohnung war. Er war in den Jahren 1688 und 89 bey den Reisen von Morly, um wel che sich die Hofleute so viel Mühe gaben; er schlief, während seiner Krankheit, in dem königl. Zimmer, und las dem Könige die Meisterstücke der Beredsam keit und Dichtkunst vor, welche die Zierde dieser vor trefflichen Regierung sind.
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Diese mit Entscheidung ertheilten Gunstbezeugun gen sind es, welche die Nacheiferung erwecken, und große Geister erhitzen. Es ist viel, Stiftungen zu machen, es ist nichts weniges, sie zu unterstützen; es aber bloß bey diesen Stiftungen bewenden lassen, heißt oft einen unnützen Menschen zu einem großen Manne einerley Zuflucht verschaffen, und in einem Stocke die Biene und die Hummel aufnehmen. Ludewig der XIV. dachte an alles. Er beschützte die Akademien, er zog diejenigen vor, welche sich hervorthaten. Er verschwendete seine Gunst nicht bey einer Art von Verdiensten, mit Ausschließung der andern, so wie viele Prinzen nur demjenigen wohl wollen, was ihnen gefällt, nicht aber dem, was gut ist. Die Naturlehre und die Untersuchung des Al terthums zogen seine Aufmerksamkeit an sich. Sie erkaltete nicht einmal in den Kriegen, welche er ge gen Europa fortzusetzen hatte. Indessen, da er auf dreyhundert Citadellen erbaute, und mehr als vier mal hundert tausend Soldaten marschiren ließ, ließ er das Observatorium aufrichten, und eine Mittags linie von einem Ende des Königreichs bis zu dem an dern ziehen; ein Werk welches in seiner Art das ein zige in der Welt ist. Er ließ in seinem Pallaste Uebersetzungen der guten griechischen und lateinischen Schriftsteller drucken; er schickte Meßkünstler und Naturforscher in das Innerste von Africa und Ame rica, Wahrheiten zu suchen. Bedenken sie, Mylord, daß ohne die Reise und ohne die Erfahrungen, derje nigen, welche im Jahre 1672 nach Cayenne giengen,
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Newton seine Entdeckungen, die Gravitation betref fend, nicht würde gemacht haben. Betrachten sie, ich bitte, einen Caßini, einen Hugenius, welche beyde ihr Vaterland, welches sie ehret, verlassen, und nach Frankreich kommen, die Hochachtung und die Wohlthaten Ludewigs des XIV. zu genießen. Und glauben sie, daß ihnen die Engländer nichts schuldig sind? Sagen sie mir doch, ich bitte sie, an welchem Hofe machte sich der zweyte Carl so viel Höflichkeit und so viel Geschmack eigen? Sind die guten Schriftsteller Ludewigs des XIV. nicht ihre Muster gewesen? Hat nicht aus ihnen der weise Addisson, welcher in England an der Spitze der schönen Wissenschaften war, oft seine vortrefflichen Beurtheilungen gezogen? Der Bischof Burnet selbst gesteht es, daß der Geschmack, welchen die Hofleute Carls des II. in Frankreich erlanget, in England so gar die Kanzel verbessert habe, der Ver schiedenheit unserer Religionen ungeachtet, zum Be weise, daß sich die Herrschaft der Vernunft über alles erstrecket. Sagen sie mir, ob die guten Bücher der damali gen Zeit nicht vieles zur Erziehung aller deutschen Prinzen beygetragen haben? In welchem nordi schen Hofe hat man keine französischen Schaubühnen gesehen? Welcher Fürst bemühte sich nicht, Ludewi gen dem XIV. nachzuahmen? Welches Volk folgte damals nicht den französischen Moden?
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Sie führen mir, Mylord, das Exempel Peters des Großen an, welcher die Künste in seinem Lande hervorsprossen ließ, und der Schöpfer eines neuen Volkes ward. Sie sagen mir, weil man in Europa sein Jahrhundert niemals das Jahrhundert Peters des großen nennen würde, so dürfe auch ich nicht das vergangene Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs des XIV. nennen. Es scheint mir, als ob der Unterschied sehr hand greiflich sey. Peter wurde bey andern Völkern un terrichtet, und brachte ihre Künste in sein Land. Ludewig der XIV. aber hat die Völker unterrichtet, und alles, sogar seine Fehler, sind Europa nützlich gewesen. Die Protestanten, welche seine Staaten verließen, haben auch bis nach England die Emsig keit gebracht, welche den Reichthum von Frankreich ausmachten. Rechnen sie so viel Seidenmanufacturen, und die Crystallenmanufacturen, für nichts? Die letzten be sonders wurden durch unsere Ausgetriebenen vollkom men gemacht, und wir verloren das, was ihr Land erhielt. Und wenn die französische Sprache beynahe die allgemeine Sprache geworden ist, wem hat man es denn zu danken? War sie zu den Zeiten Hein richs des IV. von solchem Umfange? Nein, wahr haftig nicht, man wußte nichts, als das Italienische und Spanische. Unsere vortrefflichen Schriftsteller sind es, welche diese Veränderung gemacht haben. Allein, wer hat denn diese vortrefflichen Schriftsteller
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beschützet, gebraucht und ermuntert? Es war Col bert, werden sie sagen. Ich gesteh es, und behaupte so gar, daß der Minister hierinne den Ruhm mit seinem Herrn theilen müsse. Allein was hätte Col bert unter einem andern Fürsten gethan? Unter eu rem Könige, Wilhelm, welcher nichts liebte, und dem Könige von Spanien, dem zweyten Carl, unter so vielen andern Regenten? Glauben sie wol, Mylord, daß Ludewig der XIV. den Hof mehr als in einem Stücke verbessert hat? Er wählte den Lully zu seinem Musicus, und nahm dem Lambert das Privilegium, weil Lambert ein mittelmäßiger Künstler, und Lully ein vortrefflicher Mann war. Er gab dem Quinaut den Stoff zu seinen Opern. Ludewig der XIV. war es, welcher die Armide angab. Er regierte die Mahlereyen des le Brun, er beschützte Boileau, Racinen, Molieren wider ihre Feinde; er munterte die nützlichen sowol als die schönen Künste auf, und allezeit mit Einsicht in die Sache: er lieh dem Vanrobes Geld, Manu facturen anzulegen; er schoß der indischen Handlungs gesellschaft, welche er gebildet hatte, ganze Millio nen vor. Unter seiner Regierung sind nicht nur große Dinge geschehen, sondern er hat sie guten Theils selber gethan. Erlauben sie also, Mylord, daß ich mich bemühe, ein Denkmaal zu seinem Ruh me aufzurichten, welches ich noch weit mehr dem Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts weihe; ich schreibe als Mensch, nicht als Unterthan; ich will das letzte Jahrhundert schildern, und nicht bloß
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einen Fürsten. Ich bin der Geschichte überdrüßig, wo von nichts, als von den Abentheuern eines Kö nigs die Rede ist, als ob er allein, oder, als ob al les für ihn da wäre. Kurz, ich schreibe vielmehr die Geschichte eines großen Jahrhunderts, als eines großen Königes. Pelisson würde beredter geschrieben haben als ich; allein er war ein Hofmann und wurde bezahlt. Ich bin weder das eine, noch das andere; mir kömmt es also zu, die Wahrheit zu sagen. Ich hoffe, daß sie in diesem Werke einige von ihren Gesinnungen finden werden. Je mehr ich wie Sie denken werde, je mehr werde ich Grund haben, den Beyfall der Welt zu hoffen. Ich bin et cetera
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III. Geheime Nachrichten von Ludewig demXIV.

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Ludewig der XIV war, wie man weiß, die schönste und wohlgestalteste Manns person in seinem Königreiche. Er war es, auf welchen Racine in dem Trauerspiele, Berenice mit diesen Zeilen zielte: En quelque obscurité, que le ciel l'eut fait naitre, Le monde en le voyant aut reconnu son Maitre. In welcher Dunkelheit ihn der Himmel auch hätte lassen gebohren werden; die Welt würde ihn, so bald sie ihn gesehen, für ihren Herrn erkannt haben. Der König merkte es sehr wohl, daß dieses Trauerspiel, und besonders diese zwey Zeilen für ihn gemacht wären. Nichts macht übrigens schöner als eine Krone. Der Klang seiner Stimme war edel und rührend. Alle Mannsper sonen bewunderten ihn, und jedes Frauenzimmer
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seufzete für ihn. Er hatte einen Gang, welcher ihm nur alleine zukommen konnte, und welcher bey allen andern wäre lächerlich gewesen. Er sahe es gern, wenn er durch sein Ansehen in Bewegung setzen konnte. Die Verwirrung derjenigen, welche mit ihm spra chen, war eine Verehrung, welche seiner Erhaben heit schmeichelte. Der alte Officier, welcher, als er sich eine Gnade von ihm ausbath, und seine Rede wieder von vorne anfing, und endlich sagte: Sire, wenigstens zittere ich vor euren Feinden nicht so; hatte nicht viel Mühe, das, um was er bath, zu erhalten. Die Natur hatte ihm eine starke Leibesbeschaffen heit gegeben. Er war in allen Leibesübungen sehr geschickt; er spielte alle Spiele sehr wohl, welche Geschicklichkeit und Thätigkeit erfoderten; er tanzte die ernsthaften Tänze mit vieler Anmuth. Sein Magen war so gut, daß er alle Tage zwey gute Mahlzeiten that, ohne seiner Gesundheit zu schaden; und die Güte seines Temperaments machte es, daß er beständig in einer gleichen Gemüthsart blieb. Der kränkliche Ludewig der XIII war ärgerlich, schwach und hart. Ludewig der XIV redete wenig aber alle zeit gut. Er war nicht gelehrt, aber er hatte einen vortrefflichen Geschmack. Er verstund ein wenig Italienisch und Spanisch, und konnte niemals das Lateinische lernen, welches man in einer besondern Auferziehung allezeit ziemlich schlecht lehret, und wel ches von allen Kenntnissen die am wenigsten nützliche für einen König ist. Man hat unter seinem Namen eine Uebersetzung des Julius Cäsars gedruckt. Es sind Aufgaben, die man mit ihm machte, woran er
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wenig Theil hatte, und von welchen man ihn über redete, daß er sie gemacht habe. Ich habe den Kardinal Fleury sagen hören, daß ihn Ludewig der XIV einmal gefragt hätte, wer denn der Prinz quemadmodum sey, ein Wort, auf welchen ein Musicus in einer Motete, nach der löblichen Ge wohnheit, sehr viel Kunst verschwendet hatte. Der König gestand ihm bey dieser Gelegenheit, daß er fast niemals etwas von dieser Sprache verstanden habe. Es wäre besser gewesen, wenn man ihm die Historie, die Erdbeschreibung und besonders die wahre Weltweisheit, welche die Fürsten so selten kennen, gelehret hätte. Sein gesunder Verstand und sein guter Geschmack ersetzten alles. In den schönen Künsten liebte er nichts, als das vortreffliche. Nichts beweist es mehr, als der Gebrauch, den er von Racinen, von Boileau, von Molieren, von Bossuet, von Fenelon, von le Brun, von Girardon, von le Notre machte. Er gab sogar manchmal dem Quinaut den Stoff zu seinen Opern, und er war es, welcher die Armide wählte. Colbert beschützte alle Künste aus keiner andern Ursache, als weil er sich dem Geschmacke seines Herrn gemäß bezeigen wollte. Der Colbert war, ohne Wissenschaften, bey der Handlung erzogen worden; der Kardinal Mazarin hatte ihm die Besorgung der Angelegenheiten aufge tragen, und konnte also für die schönen Künste den Geschmack nicht haben, welchen ordentlicher Weise ein galanter Hof, wo man Ergötzungen verlangt, die über die Ergötzungen des Pöbels sind, verschaffet. Colbert war ein wenig trocken und finster, seine großen Absichten in dem Finanzwesen, und in der Handlung,
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worinne der König weniger verstand und verstehen mußte, erstreckten sich nicht sogleich bis zu den lie benswürdigen Wissenschaften; er bildete seinen Ge schmack, aus Begierde seinem Herrn zu gefallen, und aus Nacheiferung, welche der Ruhm des Herrn Fouquet, den er sich durch die Beschützung der Ge lehrten erworben hatte, und den er auch so gar in sei ner Ungnade erhielt, in ihm erweckte. Anfangs wählte er sehr unglücklich, und als Ludewig der XIV im Jahre 1662 seine Achtung gegen die Wissenschaf ten zeigen wollte, indem er Leute von Genie und Ge lehrten jährliche Gehalte gab, so richtete sich Colbert einzig nach dem Chapelain, dessen Name nachher, durch Hülfe seiner und des Boileau Werke so lächer lich geworden ist: er stand aber damals in sehr großem Ansehen; das er sich durch ein wenig Gelehr samkeit, durch viel Tadelsucht und noch mehr Kunst griffe erworben hatte. Diese Wahl war es, welche den Boileau schon ganz jung aufbrachte, und ihn mit so viel beißenden Spöttereyen bewaffnete. Colbert besserte sich hernachmals, und unterstützte diejenigen, welche wirkliche Geschicklichkeiten besaßen, und dem Könige gefielen. Ludewig der XIV war es, welcher aus eigner Be wegung dem Boileau, Racine und Pelisson, und vielen andern jährliche Gehalte gab; er unterhielt sich manchmal mit ihnen, und als Boileau, nachdem er sich aus Schwachheit des Alters nach Auteuil be geben hatte, das letztemal kam, dem Könige seine Aufwartung zu machen, so sagte der König zu ihm; wenn euch eure Gesundheit erlaubet, noch dann und wann nach Versailles zu kommen, so werde ich alle
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zeit eine halbe Stunde für euch übrig haben. Im Jahre 1690 ernannte er Racinen von dem Gefolge nach Marly, und ließ sich die ersten Werke der da maligen Zeit von ihm vorlesen. Das Jahr vorher hatte er dem Racine und Boi leau jedem tausend Pistolen, welche zwanzig tausend Livres nach itziger Münze ausmachen, geschenkt, seine Geschichte zu schreiben, und hatte zu diesem Ge schenke noch ein jährliches Gehalt von vier tausend Livres gefüget. Aus allen diesen freywillig ertheilten Geschenken und besonders aus seiner Gnade gegen den Pelisson, welchen Colbert verfolgte, erhellet unwidersprechlich, daß dieser Minister seinen Geschmack nicht lenkte. Es geschahe aus eigner Bewegung, daß er verschie denen auswärtigen Gelehrten Gnadengelder gab, und Colbert zog den Perrault bey der Wahl derjenigen zu Rathe, welche diese für sie und für den Monarchen so rühmliche Geschenke erhielten. Eine von seinen Künsten war einen Hofstaat zu halten. Er machte den seinigen zu dem prächtigsten und galantesten in ganz Europa. Ich weiß nicht, wie man noch die Beschreibungen von großen Festen in den Romanen lesen kann, wenn man diejenigen gelesen hat, welche Ludewig der XIV anstellte. Die Lustbarkeiten in St. Germain, zu Versailles, sein Carusselle sind weit über alles das, was die romanenmäßigsteEinbil dung hat erfinden können. Er tanzte gemeiniglich bey diesen Lustbarkeiten mit den schönsten Personen des Hofes, und die Natur schien alle ihre Kräfte angewandt zu haben, dem Geschmacke Ludewigs des XIV zu Hülfe zu kommen. Sein Hof ward mit den
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wohlgebildetsten Menschen in ganz Europa angefüllet, und er besaß mehr als dreyßig Frauenzimmer von einer vollkommenenSchönheit. Man bemühete sich figürliche Tänze zu erfinden, die sich zu ihren Ge müthsarten und Galanterien schickten. Oft waren die Stücke, welche man vorstellte, voller feinen An spielungen, die auf die geheimen Angelegenheiten ihrer Herzen passeten. Es wurden nicht nur öffent liche Lustbarkeiten angestellet, wobey Moliere und Lully die vornehmsten Zierden waren; sondern auch besondere, bald für die Madame, die Schwägerinn des Königs, bald für Madame de la Valiere, wo bey nur wenig Hofleute zugelassen wurden. Oft war es Benserade, welcher die Verse dazu machte, manchmal auch ein gewisser Bellet, Kammerdiener des Königs. Ich habe Entwürfe von diesem letztern gesehen, welche Ludewig der XIV mit eigener Hand verbessert hatte. Die galanten Verse sind bekannt, welche Benserade für die figürlichen Ballets machte, wobey der König mit seinem Hofe tanzte; er ver mischte allezeit durch eine feine Anspielung die Per son und die Rolle. Zum Exempel, als der König in einem von diesen Ballets den Apollo vorstellte, so machte Benserade folgendes für ihn:
Je doute qu'on le prenne avec nous sur le ton
De Daphné ni de Phaeton;
Lui trop ambitieux, elle trop inhumaine.
Il n'est point là de piêge ou vous puissiez donnet.
Le moyen de s'imaginer
Qu'une femme vous fuge, ou qu'un homme vous
aucun.
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Ich zweifele, daß man mit euch, wie Daphne oder Phaeton verfahren wird. Er war zu hochmüthig; sie war zu grausam. Hier sind keine Fallstricke für euch. Wie wäre es mög lich, daß ein Frauenzimmer euch fliehen, und eine Mannsperson euch zum besten haben könnte? Als er seinen Neffen den Herzog von Bourgogne mit der Prinzeßinn Adelaide von Savoyen verhei rathete, ließ er in einem von den Zimmern von Ver sailles für sie Comödien spielen. Duche, einer von seinen Domestiquen, und Verfasser des schönen Singespiels Iphigenie, machte zu diesen besondern Lustbarkeiten das Trauerspiel, Absalom. Die Her zoginn von Bourgogne stellte die Tochter des Absa lom vor, der Herzog von Orleans, der Herzog de la Valiere spieleten auch mit, wie auch der berühmte Schauspieler Baron, welcher der Anordner des gan zen Werkes war. Es war damals alle Wochen dreymal in Ver sailles Appartement. Die Gallerie und alle Zimmer waren voll. In dem einen Saale wurde gespielet, in dem andern war Musik, in einem dritten schmau sete man. Der König belebte alle diese Lustbarkei ten durch seine Gegenwart. Manchmal ließ er in die Gallerie Buden voller kostbaren Edelsteine setzen. Er machte Lotterien daraus, und die Herzoginn von Bourgogne vertheilte meistentheils die großen Loose. Mitten unter diesen kostbaren Lustbarkeiten und angenehmen Ergötzungen war es, als er die weit läuftigen Entwürfe machte, worüber ganz Europa erzitterte. Er führete die Königinn und alle Hofda
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men an die Gränzen. Bey dem Kriege von 1667 theilte er mehr als für hundert tausend Thaler, theils an vornehme Flamländer, die ihm ihre Aufwartung zu machen kamen, theils an Abgeordnete der Städte oder Gesandte der Prinzen aus, welche ihn bewillkomme ten; und allezeit folgte er hierinne seinem Geschmacke in der Pracht eben so wohl als seine Staatsklugheit. Man kann sich also nicht genug verwundern, daß man ihn fast in allen erbärmlichen Geschichten, die man von seinem Reiche zusammen gestoppelt hat, des Geizes beschuldiget. Niemals hat ein König größere Geschenke, und diese zu einer bequemern Zeit und mit mehr Amnuth ausgetheilet, als er. Die edlen Ergötzungen, womit er beständig den prächtigsten Hof von der Welt unterhielt, verhin derten ihn nicht, sich ordentlicher Weise bey allen Berathschlagungen einzufinden. Selbst in seiner Krankheit setzte er sie nicht aus. Nur ein einzigmal zog er die Jagd vor. Es war gleich an dem Tage, nicht viel zu thun. Er trat herein, und sagte, daß die Berathschlagung diesesmal sollte ausgesetzt seyn, und sagte es, indem er aus dem Stegreife eine Oper arie des Quinaut und Lully parodirte.
Le Conseil à ses yeux a beau se presenter
Si tot qu'il voit sa chienne il quitte tout pour elle;
Rien ne peut l'arreter
Quand la chasse l'appelle. Umsonst zeigt sich ihm sein Rath; so bald er seine Hindinn erblickt, verläßt er alles. Nichts hält ihn auf, wenn ihn die Jagd ruft.
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Er hatte verschiedene kleine Liederchen in diesem leichten und natürlichen Geschmacke gemacht, und auf seinen Reisen in die Franche Comte, ließ er seine Hofleute, besonders den Pelisson und den Marquis d'Angeau Impromtüs machen. Er spielte nicht übel auf der Zitter, die damals Mode war, und verstand sich auf die Musik nicht weniger sehr wohl, als auf die Malerey. In dieser letzten Kunst liebte er nichts, als die edlen Gegenstände. Die Trinieres und andere kleine flammländische Maler fanden vor seinen Augen keine Gnade. Weg mit diesen Affen, sagte er einsmals, als man ihm eines von dergleichen Werken in ein Zimmer gestellet hatte. Seines Geschmacks an der großen und edlen Bau kunst ungeachtet, ließ er das alte Schloß von Versailles mit seinen sieben kreuzweisen Flügeln und dem kleinen Hofe von Marmor auf der Seite von Paris, stehen. Er hatte dieses Schloß anfangs zu nichts, als zu einem Aufenthalte bey der Jagd bestimmt, welches es zu den Zeiten Ludewigs des XIII war, der es dem Staatssecretaire Lomenie ab kaufte. Nach und nach machte er den unermeßli chen Pallast daraus, dessen eine Seite nach dem Gar ten zu, das schönste ist, was man in der Welt sehen kann, da die andere Seite von dem allerkleinsten und schlechtesten Geschmacke zeiget. Er wendete auf die sen Pallast und auf den Garten mehr als fünf hun dert Millionen, welche nach unserer Münze mehr als neun hundert betragen. Der Herzog von Crequi sagte zu ihm: Sire, alles ist umsonst; sie wer den doch nichts als einen Liebling ohne Ver dienst daraus machen.
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Die Meisterstücke der Bildhauerkunst wurden in seinen Gärten verschwendet. Er ergötzte sich daran, und besah sie sehr oft. Ich habe den Herzog von Antin sagen hören, daß, als er Oberaufseher über die königlichen Gebäude gewesen, er die Statuen oft mit Fleiß durch unterlegte Stücke habe schief setzen lassen, damit der König das Vergnügen haben möge, sein gutes Augenmaaß daran zu zeigen. Der König ward auch allezeit den Fehler gewahr. Der Herzog von Antin widerstritt ihm Anfangs, endlich gab er sich, und ließ die Säule gleich setzen, in dem er sich ganz erstaunt stellte, daß sich der König auf alles so wohl verstehe. Hieraus mag man schließen, wie leicht man einem Könige was einbil den könne. Man weiß den Streich eines Hofmannes, wel chen eben dieser Herzog ausführete. Als der König einsmals in Petitbourg schlief, und gefunden hatte, daß eine gewisse große Allee von alten Bäumen eine sehr schlechte Aussicht mache; so ließ sie der Herzog in einer Nacht umhauen, und alles bey Seite schaf fen. Als der König bey dem Aufstehen die Allee nicht mehr fand, so sagte der Herzog zu ihm: Sie hat ihnen misfallen, Sire; durfte sie sich un terstehen, länger vor ihren Augen zu bleiben? Eben dieser Herzog von Antin war es, welcher zu Fontaineblau dem Könige und der Herzoginn von Bourgogne ein ganz besonderes Schauspiel gab, und dadurch ein Beyspiel der zärtlichsten und feinsten Schmeicheley ablegte. Ludewig der XIV hatte sich einmal erklaret, er wünsche, daß man einen gewissen ganzen Wald niederhauen möge, welcher ihm ein
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wenig die Aussicht benahm. Der Herzog von Antin ließ alle Bäume nahe an der Wurzel durch sagen, so daß sie noch kaum stehen konnten. An jedem von diesen Bäumen wurden Stricke gebunden, und mehr als 1200 Menschen stunden in dem Walde auf den geringsten Wink gefaßt. Der Herzog wußte an welchem Tage der König mit seinem ganzen Hofe in dieser Gegend spatzieren würde. Se. Majestät unterließ nicht, noch einmal zu wiederholen, wie sehr ihm dieser Wald misfiele. Sire, antwortete ihm der Herr von Antin; der Wald soll nieder gehauen seyn, so bald es Ew. Majestät befehlen. Wahrhaftig, antwortete der König, wenn es nur auf das Befehlen ankömmt, so wäre ich ihn längst gerne los gewesen. Nun wohl, er soll den Augen blick niedergerissen seyn. Der Herzog gab hierauf ein Zeichen, und man sahe den Wald fallen. Ach! schrie die Herzoginn von Bourgogne, wahrhaftig, wenn der König unsere Köpfe verlangt hätte, ich glaube der Herr von Antin würde sie auf eben die Art haben fallen lassen. Ein Einfall, der ein we nig zu lebhaft war, dennoch aber keine Folgen hatte. So suchten ihm alle seine Hofleute, jeder nach seinem Vermögen und seinen Einsichten, zu gefallen. Er verdiente es, denn er war selbst besorgt, sich allen, die um ihn waren, angenehm zu machen. Es war eine beständige Vertauschung, von allem, was die Ma jestät, ohne sich zu erniedrigen, anmuthiges haben, und von allem, was die Bereitwilligkeit zu dienen und zu gefallen, ohne Niederträchtigkeit Feines zeigen konnte. Besonders war er mit dem Frauenzimmer von einer außerordentlichen Aufmerksamkeit und Höf
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lichkeit, welche die Höflichkeit seiner Hofleute ver mehrte. Er ließ niemals eine Gelegenheit aus den Händen, den Mannspersonen etwas zu sagen, was ihrer Eigenliebe schmeichelte, die Nacheiferung unter ihnen erweckte, und ein langes Andenken zurücke ließ. Als die Madame Dauphine einmal an ihrer Tafel einen sehr häßlichen Officier gewahr ward, und sehr laut über seine Häßlichkeit spottete; sagte der König noch lauter, ich halte ihn für einen von den schönsten Männern in meinem Königreiche, denn er ist einer von den tapfersten. Der Generallieutenant, Graf von Marieaux, ein etwas wilder Mensch, dessen Gemüthsart nicht ein mal an dem Hofe Ludewigs des XIV sanfter gewor den war, hatte in einem Treffen einen Arm verlo ren, und beklagte sich einmal gegen den König dar über, welcher ihn gleichwol belohnet hatte, so viel als man einen wegen eines verlornen Armes belohnen kann. Ich wollte, sagte er, daß ich den andern Arm auch verloren hätte, damit ich Ew. Majestät nicht mehr dienen könnte. Das würde mir eurent wegen und meinetwegen leid seyn, antwortete Lude wig der XIV, und auf diese Rede folgte die Bewilli gung einer Gnade, um die er ihn gebethen hatte. Weit gefehlet, daß er jemanden unangenehme Sachen hätte sagen sollen, welche in dem Munde eines Mo narchen tödtliche Pfeile sind; er erlaubte sich nicht einmal die unschuldigsten und feinsten Spöttereyen, da doch Privatpersonen alle Tage die grausamsten und nachtheiligsten vorbringen. Er wollte einmal seinen Hofleuten etwas erzählen, und hatte so gar versprochen, daß die Erzählung ar
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tig seyn sollte, gleichwol war sie es so wenig, daß man nicht einmal darüber lachte, ob es gleich die Er zählung eines Königes war. Sobald aber der Prinz von Armagnac, den man Monsieur le Grand nennte, aus dem Zimmer gegangen war, so sagte der König zu denen, die noch bey ihm geblieben waren: Meine Herren, meine Erzählung ist euch sehr abgeschmackt vorgekommen, und das mit Recht. Ich besann mich aber, daß etwas darinne vorkam, was den Herrn le Grand von weiten angeht, und worüber er hätte em pfindlich werden können. Ich habe es also lieber unterdrücken, als ihm misstellen wollen. Itzo da er nicht zugegen ist, will ich die Erzählung vollständig machen. Er that es, und man lachte. Aus diesen kleinen Zügen kann man deutlich genug sehen, daß es falsch ist, wenn man ihm harte und widerwärtige Reden beyleget, wie er zum Exempel, dem Hrn. de la Rochefoucault weh zu thun soll gesaget haben: Was frage ich darnach, welcher von meinen Knechten mir dienet? Einer solchen Unanstän digkeit war Ludewig der XIV. unfähig. Ich habe mich bey allen, die sehr nahe um ihn gewesen, erkun diget, und alle haben mich versichert, daß es eine grobe Erdichtung sey; gleichwol wiederholt und glau bet man sie von einem Ende Frankreichs bis zum an dern. Die kleinen Verleumdungen finden eben so wol ihr Glück als die großen. Wie kann man solche verhaßte Worte mit dem zusammen reimen, was er eben diesem Herzoge de la Rochefoucault einsmals sagte, als er in Schulden verwickelt war: Warum redet ihr aber nicht mit euren Freunden des wegen? Diese Rede begleitete er mit einem Ge
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schenke von 50000 Thalern. Wenn er einen Lega ten empfing, der sich im Namen des Pabstes ent schuldigen sollte, oder einen Dogen von Genua, wel cher ihn um Verzeihung zu bitten kam, so dachte er auf nichts, als ihnen zu gefallen. Seine Minister waren hierinne ein wenig anders gesinnet. Daher sagte auch der Doge Leriaco, ein Mann von großem Witze: Der König nimmt uns unsere Frey heit, indem er unsere Herzen fesselt, seine Mi nister aber geben sie uns wieder. Als er im Jahre 1686 seinen Sohn dem großen Dauphin das Commando seiner Armee anvertraute, so sagte er zu ihm: indem ich euch meine Armee zu commandiren schicke, so gebe ich euch Ge legenheit, eure Verdienste sehen zu lassen. Auf diese Art muß man regieren lernen. Wann ich einmal sterbe, so muß man es nicht merken, daß der König todt ist. Mit diesem edeln Wesen druckte er sich fast allezeit aus. Nichts macht auf die Gemüther einen größern Ein druck, und man darf sich nicht wundern, daß dieje nigen, welche um ihn waren, eine Art von Abgötte rey mit ihm trieben. Daß er für die Ehre sehr eingenommen war, ist unstreitig, und noch mehr für die Ehre als für die Wirklichkeit seiner Eroberungen. Was er bey der Erhaltung von Elsaß, der Hälfte von Flandern, und der Franche Comte am meisten liebte, war der Na me, welchen er sich dadurch machte. In der That war auch seit funfzig Jahren in ganz Europa kein gekröntes Haupt gewesen, welches seine Feinde selbst mit ihm zu vergleichen gewagt hätten.
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Der Kaiser Leopold, dem er oft half, und den er al lezeit erniedrigte, war kein Monarch, der dem Kö nige in Frankreich etwas streitig machen konnte. Zu seiner Zeit waren alle türkische Kaiser mittelmäßige und grausame Leute. Philipp der IV, und Carl der II, waren eben so schwach, als es die spanische Monarchie geworden war. Der zweyte Carl in England suchte den XIVten Ludewig in weiter nichts als in seinen Lustbarkeiten nachzuahmen. Der zweyte Jacob ahmte ihm in nichts als in seiner Gottesfurcht nach, und machte sich die Mühe sehr schlecht zu Nutze, die sich sein Beschützer seinetwegen gab. Wilhelm der III. brachte Europa wider Ludewigen auf, er konnte ihm aber weder an Großmuth, noch an Pracht, noch an Denkmälern, noch in sonst einem Stücke gleich kommen, was diese vortreffliche Regie rung verewigt hat. Die Königinn Christina wurde durch nichts als durch die Ablegung der Krone und durch ihren Geist berühmt. Ihre Nachfolger, die Könige in Schweden, bis auf den XIIten Carl, tha ten nichts, was des großen Gustavs würdig gewesen wäre, und Carl der XII selbst war ein Held, er hatte aber die Klugheit nicht, die ihn zu einem gros sen Manne hätte machen können. Johann Sobiesky in Pohlen hatte den Ruhm eines vortrefflichen Gene rals, ohne den Ruhm eines großen Königs zu ha ben. Kurz, Ludewig der XIV war, bis auf die Schlacht bey Hochstädt, der einzige mächtige, präch tige, und fast in allen Stücken große König. Das Rathhaus in Paris legte ihm, im Jahre 1680, den Namen des Großen bey, und das, obschon eifersüch tige Europa, bestätigte ihn.
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Man hat ihm einen unerträglichen Hochmuth Schuld gegeben, weil seine Bildsäule auf dem Siegsplatze und auf dem Platze von Vendome Po stumente haben, die mit gefesselten Sklaven verzie ret sind. Man will aber nicht sehen, daß die Bild säule des großen, gütigen und anbethenswürdigen Heinrichs des VIten auf der neuen Brücke, gleich falls von vier Sklaven begleitet ist, daß die Bild säule Ludewigs des XIIIten, welche vor Alters für Heinrichen den IIten gemacht wurde, und die Bild säule des großen Herzogs Ferdinand von Medicis in Livorno eben diese Zierrathen hat. Es ist mehr ein Gebrauch der Bildhauer, als ein Beweis der Eitel keit. Man richtet diese Denkmäler für die Könige auf, so wie man sie ankleidet, ohne daß sie darauf Acht haben. Man hielt in Florenz und Bologna öffentliche Lobreden auf ihn. Der berühmte toscanische Astro nom, Herr Guillemini, ließ in Florenz von seiner Freygebigkeit ein Haus bauen, und die Ueberschrift über die Thür setzen: Aedes a Deo datae, das von einem Gott geschenkte Haus. Er zielte hierdurch auf den Zunamen des geschenkten Got tes, welchen Ludewig der XIV. in seiner Jugend ge habt hatte, und auf die Zeile im Virgil: Deus nobis haec otia fecit. Diese Ueberschrift war ohne Zweifel weit abgöttischer als diejenige, die man unter seine Bildsäule auf dem Siegsplatze setzte: Viro immortali; dem unsterblichen Manne. Man hat diese letztere Ueberschrift getadelt, als ob das Wort, unsterblich, von etwas mehr, als von der Unsterblichkeit seines Ruhmes zu verstehen sey.
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Er war in den falschen Ruhm, den man ihm vor wirft, so wenig verliebt, daß er aus der Gallerie in Versailles alle schwülstige und hochmüthige Ueber schriften wegnehmen ließ, welche Charpentier, ein Mitglied der französischen Akademie, bey allen Ver zierungen angebracht hatte: der berühmte Ueber gang über den Rhein; die weise Aufführung des Königs; die wunderbare Unterneh mung et cetera Ludewig der XIV unterdrückte alle Beywörter, und ließ nur die Thaten. Die Aufschrift, welche sich in Paris an dem Thore des heil. Dionysius be findet, und die man ihm vorgeworfen hat, ist in der That den Holländern schimpflich, sie enthält aber kein ungeziemendes Lob Ludewigs des XIVten. Er ver stand kein Latein, wie wir schon gesaget haben, er kam selten nach Paris, und vielleicht hat er eben so wenig von dieser Ueberschrift reden hören, als von den Ueberschriften des Senteuil, welche an den Fon tainen in der Stadt sind. Freylich wäre es zu wün schen, daß wir keine Denkmäler stehen ließen, welche unsere Nachbarn erniedrigen, und daß wir hierinnen den Griechennachahmten, welche nach dem pelopon nesischen Kriege alles niederrissen, was Haß und Erbitterung von neuem hätte erwecken können. Die elenden Geschichte Ludewigs des XIV, sagen fast alle, daß der Kaiser Leopold eine Pyramide auf der Wahlstatt bey Hochstädt habe aufrichten lassen. Diese Pyramide aber ist niemals anders als in den Zeitungen zu finden gewesen, und ich erinnere mich, daß mir der Marschall von Villars einmal sagte, er habe nach der Einnehmung von Freyburg funfzig
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Reuter auf das Feld geschickt, wo diese unglückliche Schlacht vorgefallen, mit Befehl die Pyramide, wann sie wirklich da sey, nieder zu reißen; man habe aber nirgends die geringste Spur davon gefunden. Das Mährchen mit der Pyramide ist mit dem Mähr chen von dem Schaustücke des Sta sol, stehe stille, Sonne, in eine Classe zu setzen, welche die General staaten nach dem Frieden bey Aachen sollen haben schlagen lassen, an welche Thorheit sie aber niemals gedacht haben. Die vornehmsten Thaten, auf welche Ludewig der XIV seine Ehre gründete, waren, daß er zu An fange seiner Regierung den spanischen Zweig des Hau ses Oesterreich, welcher seit hundert Jahren unsern Königen den Vorsitz streitig machte, gezwungen ha be, selbigem im Jahr 1661 auf ewig zu entsagen; daß er im Jahre 1664 die Verbindung der zwey Meere unternommen habe, daß er im Jahre 1667 die Ge setze verbessert; in eben dem Jahre das französische Flandern in sechs Wochen erobert; das Jahr dar auf, mitten im Winter, die Franche Comte in we niger als einem Monate weggenommen, und Straß burg und Dünkirchen zu Frankreich gebracht habe. Zu diesen Stücken, die ihm nothwendig schmeicheln mußten, setze man noch eine Seemacht von beynahe zweyhundert Schiffen, 60000 im Jahre 1681 ein rollirte Matrosen, außer denen, welche damals schon in Diensten waren; die Häfen zu Toulon, zu Brest und zu Rochefort, die er bauen ließ, mehr als 50 angelegte Citadellen; die Stiftung des Inva lidenhauses von St. Cire; den Orden des heil. Lude wigs; das Observatorium; die Akademie der Wis
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senschaften; die Abschaffung des Zweykampfes; die Aufrichtung der Polizey; die Verbesserung der Ge setze; so wird man sehen, daß sein Ruhm gegründet genug war. Er that nicht alles, was er thun konnte, er that aber doch ungleich mehr, als ein anderer. Wann ich sage, daß alle die großen Denk maale den Staat nichts gekostet haben, den sie gleich wohl verschönerten, so sage ich nichts als die lautere Wahrheit. Das Volk glaubet, daß ein König, welcher viel auf Gebäude und Auszierungen wendet, sein Reich ruinire; er bereichert es vielmehr, indem er das Geld unter eine unzähliche Menge Künstler bringt; alle Profeßionen gewinnen dabey, und die Aem sigkeit und der Umlauf des Geldes wird vermehret. Der König, welcher seine Unterthanen am meisten arbeiten läßt, der macht sein Reich am meisten blü hend. Er liebte die Lobeserhebungen, aber nicht die groben, und diejenigen Gemüthsarten, welche gegen gerechte Lobsprüche unempfindlich sind, verdienen meistentheils keine. Wenn er die Prologen in den Opern, worinne ihn Quinault erhob, zuließ, so geschah es deßwegen, weil diese Lobeserhebungen der Nation gefielen, und die Ehrfurcht, welche sie gegen ihn hatten, vermehreten. Die Lobsprüche, welche Virgil, Horaz, Ovidius gegen den August verschwendeten, waren weit stärker; und wenn man an die Verbannungen gedenket, so hatte sie August weit weniger verdienet. Ludewig der XIVte billigte nicht alle Lobeserhebun gen, womit man ihn überhäufte. Die französische Akademie legte ihm gewöhnlicher Weise Rechenschaft von den Aufgaben zu dem Preise ab. Als eine von
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diesen Aufgaben einmal war: welche Tugend un ter allen Tugenden des Königs den Vorzug verdiene? so wollte er diese allzuempfindliche Schmei cheley durchaus nicht annehmen, und befahl, daß man eine andere Aufgabe vorlegen sollte. Aus allen diesen folgt, daß nie ein Mensch mehr nach der wahren Ehre gestrebt habe. Die wahre Bescheidenheit, ich gestehe es, ist weit über eine so edle Selbstliebe. Wenn es geschehen sollte, daß ein Monarch eben so große Thaten thun sollte, als Lude wig der XIV gethan hat, und wäre noch dazu be scheiden, so würde dieser Monarch der größte Mann auf der Welt, und Ludewig der XIV der erste nach ihm seyn. Ein unwidersprechlicher Beweis von seiner vor trefflichen Gemüthsart ist der lange Brief, welchen er an den Herrn la Tellier, den Erzbischof von Rheims schrieb, und den ich so glücklich gewesen bin im Originale zu sehen. Er war sehr misvergnügt über den Herrn Barbezieux, einen Neffen dieses Prälaten, dem er die Stelle des berühmten Louvois seines Vaters, das Staatssecretariat nämlich, ge geben hatte. Er wollte dem Herrn von Barbezieux nichts hartes sagen; er schrieb also an seinen Oheim, welcher mit ihm reden und ihn bessern sollte. Ich weiß, sagte er, was ich dem Andenken des Herrn von Louvois schuldig bin. Wann aber euer Neffe seine Aufführung nicht än dert, so werde ich wider meinen Willen ge zwungen seyn, einen Entschluß zu fassen. Er läßt sich hierauf in eine weitläuftige Erzählung aller seiner Verbrechen ein, die er dem Minister als
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ein zärtlicher Vater vorwirft, welcher um alles weiß, was in seinem Hause vorgeht. Er beklaget sich, daß Herr von Barbezieux seine große Geschicklichkeit nicht allzu wohl brauche; daß er dann und wann die Lust barkeiten den Geschäfften vorzieht; daß er die Offi ciere in seinem Vorgemache allzulange warten läßt; daß er mit allzuviel Härte und Stolz spreche. Die ser Brief ist in der That der Brief eines Königs und eines Vaters. In hundert Pasquillen, die man wider ihn ge schrieben hat, wirft man ihm seine Liebeshändel mit der größten Bitterkeit vor. Welcher von allen denen aber, die ihn anklagen, hat nicht eben die Leidenschaft? Es ist besonders, daß man einem Könige eine Frey heit nicht verstatten will, die sich der geringste von seinen Unterthanen so öffentlich anmaßt. Diejenigen, welche diese Leidenschaft niemals ge kannt haben, sind gemeiniglich harte und unerbitt liche Gemüthsarten. Ein Frauenzimmer, welche geliebt zu werden verdienet, macht die Sitten zärt licher. Sie ist die einzige, die einem Prinzen nütz liche Wahrheiten sagen kann, die er aus dem Munde einer Mannsperson nicht ohne Verdruß und Scham hören würde, und die ihm nicht einmal eine Manns person zu sagen sich untersteht. Ludewig der XIV war allezeit in seiner Wahl glücklich, und war es auch in seinen natürlichen Kindern. Er hatte zehn rechtmäßige, und zwey, welche es nicht waren. Zwey von den zehn rechtmäßigen starben in ihrer Kind heit; die andern achte hatten alle Verdienste. Die Prinzeßinnen waren liebenswürdig, der Herzog von Maine, und der Graf von Toulouse waren sehr kluge
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Prinzen. Der Graf von Vermandois, welcher sehr jung starb, und vor dem Grafen von Toulouse Ad miral war, versprach sehr viel. In der letzten Historie Ludewigs des XV giebt man vor, daß die Madame von Montespan, die Madame von Maintenon selbst an den Hof gebracht habe. Man betrügt sich, der Herzog von Richelieu war es, welcher sie dahin brachte; der Vater des ersten Kammerjunkers, welcher in Europa durch seine anmuthige Gestalt, durch seinen Witz und durch die Dienste, die er in der Schlacht bey Fontenay geleistet, so bekannt gewesen ist. Die Wohnung des Richelieu war der Sammelplatz der besten Ge sellschaft in Paris, und erhielt den Ruhm des Ma rais, welches damals das schöne Viertheil der Stadt war. Die Frau von Maintenon, die man damals die Frau Scarron nennte, eine Witwe des Sohnes eines Oberkammerraths, aus guter Familie, und die Enkelinn des unter dem großen Heinrich so bekannten von Aubigne, kam sehr oft in das Haus des Herrn von Richelieu, wo sie ungemein wohl gelitten war. Die Frau von Montespan wollte ihren Sohn, den Herzog von Maine, der damals noch ein Kind war, und einen etwas ungestalten Fuß hatte, in das Bad nach Barege schicken; sie sucht also eine verständige und verschwiegene Person, die die Aufsicht über sich nehmen wollte. Die Geburt des Herzogs von Maine war damals noch ein Geheimniß. Der Her zog von Richelieu schlug diese Reise der Frau Scarron vor, weil sie nicht reich war, und der Herr von Louvois, welcher um die Sache wußte, schickte ihn in geheim mit dem jungen Herzoge nach dem Bade ab.
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Man muß gestehen, daß bey dem Glücke dieser Dame ein besonderes Schicksal waltete. Sie war zu Niord in dem Gefängnisse gebohren, wo man ihren Vater verschlossen hielt, nachdem er aus dem Castelle Trompette mit der Tochter des Untergou verneurs eines von Cardillac, die er hernach heirathete, geflohen war. Sie war also von väterlicher und mütterlicher Seite von gutem Herkommen, nur daß sie kein Vermögen hatte. Ihr Vater hatte das we nige Vermögen verthan, welches er gehabt hatte, und suchte sein Glück in Amerika. Er nahm seine Tochter in ihrem dritten Jahre mit dahin, und als man mit ihr an das Ufer ausstieg, so wäre sie bey nahe von einer Schlange aufgefressen worden. Als sie in ihrem zwölften Jahre wieder nach Frank reich zurück gekommen war, hielt sie sich bey der Herzoginn von Navailles, ihrer Anverwandtinn, von welcher sie aber nichts als die Erziehung genoß, auf. Hier änderte sie ihre Religion; denn sie war in der calvinischen gebohren. Es war ein Glück für sie, den Scarron zu heirathen, welcher fast einzig von Gnadengeldern und von seinen Werken lebte, so daß er sein Landgütgen Quinet nannte, weil sein Buch händler Quinet hieß. Nach dem Tode ihres Mannes hielten alle ihre Freunde bey dem Könige für sie um einen Theil des Gnadengehalts an, welches Scarron genossen hatte, und der König ließ sie zwey Jahr warten. Endlich gab er ihr ein Gehalt von 2000 Livres, ehe sie den Herzog du Maine ins Bad führte. Er sagte zu ihr: Madame, ich habe euch lange warten lassen, allein ich war auf eure Freun
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de eifersüchtig, und ich wollte, daß ihr nie manden als mir solltet verbunden seyn. Der Kardinal von Fleury, aus dessen Munde ich diesen Umstand habe, hat mir gesaget, daß ihm der König eben diese Rede gehalten habe, als er ihm das Bis thum zu Fregus gegeben. Sie war ungefähr funf zig Jahr, als sich Ludewig der XIV in sie verliebte. Man muß gestehen, daß man in diesem Alter nicht leicht das Herz eines Königes besiegt, zumal das Herz eines Königs, welcher ekel geworden, ohne außerordentliche Verdienste zu besitzen. Höflichkeit wird dazu erfordert, ohne niedrige Dienstfertigkeit, Witz ohne Begierde ihn zu zeigen, eine natürliche Biegsamkeit, ein gründlicher und angenehmer Um gang, die Kunst die Seele eines Menschen ohn Un terlaß zu ermuntern, welcher alles gewohnt und alles überdrüßig ist; genugsame Stärke guten Rath zu ertheilen, und genugsames Zurückhalten, ihn nur zu gelegener Zeit zu ertheilen; endlich wird jener unaus zudrückende Reiz dazu erfodert, welcher den Geist fesselt, und den Schlummer der Gewohnheit aufleben läßt. Alle diese Eigenschaften besaß die Frau von Mentenon. Sie machte dem XIVten Ludewig von dem Jahre 1684 an, bis an seinen Tod, das Leben voller Anmuth. Die Geschichte des Reboulet saget, daß er sie in Gegen wart des Bonstemps und Forbins geheirathet habe; allein es war Herr von Montcheuvreuil und nicht Herr von Forbin, welche als Zeugen zugegen waren. Die erste Frau Jacobs des IIten Königs in Eng land, war eine Tochter des Kanzlers Hyde. Sie war beyweiten aus keiner so guten Familie als die Frau von Maintenon, noch vielweniger aber hatte
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sie ihre Verdienste. Wir haben Petern dem Großen ein Frauenzimmer heirathen sehen, welches weit ge ringer als jene beyden Damen waren, und diese Ge mahlinn Peters ward nicht nur Kaiserinn, sondern sie verdiente es auch zu seyn. Die Liebe macht, daß alle Ungleichheiten verschwinden, und weiß sehr große Zwischenräume zusammen zu bringen. Der gewis seste Beweis, daß die Frau von Maintenon ihres Glückes werth gewesen, war dieser, daß sie es nie mals misbrauchte. Sie hatte niemals die Eitelkeit dasjenige zu scheinen was sie war; ihre Bescheiden heit verlor sich niemals; und niemand am Hofe konn te sich über sie beklagen. Nach dem Tode Ludewigs des XIV begab sie sich in die Abtey von St. Cir, wo sie eine Pension von vier und zwanzig tausend Livres bekam; und dieses war das einzige Glück, welches sie sich vorbehielt. Alle in Holland gedruckte Geschichten Ludewigs des XIV, werfen ihm die Wiederrufung des Edicts von Nantes vor. Ich glaube es wohl. Alle diese Bücher sind von Protestanten geschrieben worden. Sie waren eben so unerbittliche Feinde dieses Monar chen, als sie vorher, ehe sie das Reich meiden muß ten, treue Unterthanen gewesen waren. Ludewig der XIV verjagte sie nicht so, wie der König Phi lipp der III die Mohren aus Spanien verjagt hatte, welches für die spanische Monarchie eine unheilbare Wunde war. Er wollte die Hugenotten behalten, und sie bekehren. Ich habe den Kardinal von Fleury gefragt, was wol den König vornehmlich be wogen, alle sein Ansehen bey dieser Sache anzuwen den. Er antwortete mir, es sey alles durch den
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Herrn von Boville, den Intendanten in Languedoc, hergekommen, welcher sich geschmeichelt, die calvini sche Religion in dieser Provinz unterdrückt zu haben, wo gleichwol noch mehr als 24000 Hugenotten wa ren. Ludewig der XIV glaubte, daß, wenn ein In tendante in seinem Bezirke diese Sekte unterdrückt habe, er sie eben so leichtlich in seinem Königreiche unterdrücken würde. Der Herr von Louvois fragte über dieser Sache den Herrn von Gourville um Rath, welchen der König von England, Carl der II, den klügsten Franzosen nannte. Die Meynung des Herrn von Gourville war, auf einmal alle Prediger der protestantischen Kirche aufheben zu lassen. In nerhalb sechs Monaten, sagte er, wird die Hälfte von diesen Predigern ihren Glauben abschwören, und diese läßt man alsdenn wieder unter ihre Heerde; die andere Hälfte, welche halsstarrig bleiben sollte, be hält man im Gefängnisse, wo sie unfähig sind, uns zu schaden. Endlich wird es kommen, daß in wenig Jahren die Hugenotten, wenn sie keine andere als be kehrte Priester haben, welche bey ihrer Veränderung zu bleiben gezwungen sind, sich wieder mit der römi schen Kirche vereinigen werden. Andere waren der Meynung, man müsse den Staat nicht der Gefahr aussetzen, eine so große Anzahl Bürger zu verlieren, in deren Händen die Manufacturen und die Hand lung wäre; man solle also lutherische Familien, wie deren im Elsaß wären, in das Reich kommen lassen. Die Lutheraner, die Calvinisten, die Jansenisten, welche weit erbitterter gegen einander, als gegen die römische Kirche wären, würden endlich so verächtlich werden, daß man keine Gefahr von ihnen besorgen
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könne, und daß sich endlich nach und nach alle bekeh ren würden. Der Geist der Parteylichkeit sey über haupt sehr gefallen, und diese epidemische Krankheit liefe zu Ende. Die königliche Gewalt stehe auf allzu festen Gründen, als daß alle Secten in der Welt in einer Stadt nur einen Aufstand von 14 Tagen erregen könnten. Colbert widersetzte sich allezeit dem Vorsatze, die Hu genotten öffentlich zu unterdrücken, weil er sie für nützliche Unterthanen ansahe, die man zu behalten suchen müßte. Die Manufacturen des Vanrobes und viele andere, waren mit lauter Leuten von dieser Sekte besetzt. Nach seinem Tode, welcher im Jahre 1683 erfolgte, verfuhren Tellier und Louvois wider die Calvinisten. Sie sammelten sich zu Haufen, und man widerrufte das Edict von Nantes. Man riß ihre Tempel nieder, und begieng den großen Fehler, daß man ihre Predi ger verwies. Wenn die Hirten voran gehen, so folget die Heerde nach. Aller Vorsicht ungeachtet, ver ließen mehr als acht hundert tausend Menschen das Königreich, welche in fremde Länder ungefähr eine Million Geld, alle Künste und den Haß gegen ihr Vaterland mitnahmen. Holland, England und Deutschland wurden von diesen Flüchtlingen bevölkert. Wilhelm der III hatte ganze Regimenter von franzö sischen Protestanten in seinem Dienste. In Berlin allein sind zehn tausend Franzosen, welche aus diesem wilden Orte eine reiche und prächtige Stadt gemacht haben. Sie haben Städte bis in das Innerste des Vorgebirges der guten Hoffnung angelegt. Als der Staat von dieser Secte befreyet und ihrer Hülfe be raubet war, so wollten die Jansenisten ihren Platz
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einnehmen und eine beträchtliche Partey ausmachen. Es gelang ihnen auch eine Zeit lang, und Ludewig der XIV ward die letzten Jahre seines Lebens ziemlich damit überlästiget. Die Gewalt der Gesetze aber hat sie ausgerottet, und die Gliederverzückungen haben sie lächerlich gemacht. Seit dem Jahre 1704 bis 1712 war Ludewig der XIV sehr unglücklich. Er erduldete alles dieses Un glück als ein Mensch, der niemals das Glück gekannt hat. Er verlor seinen einzigen Sohn 1711; im Jahre 1712 sahe er in weniger als einem Monate sei nen Enkel, den Herzog von Bourgogne, die Her zoginn von Bourgogne, und den ältesten von seinen Urenkeln sterben. Der König sein Nachfolger, welchen man damals den Herzog von Anjou nannte, lag auch in den letzten Zügen. Ihre Krankheit war eine böse Art von Kinderpocken, wovon zu gleicher Zeit der Herr von Seignelai, Mademoiselle d'Arma magnac, Herr von Listeney, Madame von Gondrin, die nachherige Gräfinn von Toulouse, Herr de la Vrilliere, der Herzog de la Tremouille, und viele andere Personen in Versaille befallen wurden. Der Marquis von Gondrin starb den zweyten Tag daran. Mehr als zweyhundert Personen kamen in Paris daran um. Die Krankheit erstreckte sich beynahe durch ganz Frankreich, und in Lothringen verlor der Herzog zwey Kinder dadurch. Wenn man nur die Augen aufthun, und die geringste Ueberlegung ma chen wollte, so würde man den entsetzlichen Verleum dungen nicht überlassen seyn, welche so blindlings ausgestreuet wurden. Sie waren die Folge der un vorsichtigen Rede eines Arztes, mit Namen Boudin,
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eines lockern, verwegenen und unwissenden Menschen, welcher behauptete, daß die Krankheit, woran diese Prinzen gestorben wären, nicht natürlich sey. Ich bin allezeit erstaunt, daß die Franzosen, welche so we nig fähig sind, große Verbrechen zu begehen, gleich wohl so fertig sind, sie zu glauben. Der berühmte Homberg, der Chymicus des Herzogs von Orleans, ein tugendhafter Weltweiser, der aber sehr einfältig war, erstaunte ganz, als er hörte, daß man ihn im Verdacht hatte. Er lief geschwind in die Bastille, sich selbst gefangen zu stellen; allein man lachte über ihn, und dachte nicht daran, ihn zu behalten. Gleichwohl waren diese Reden unter dem Volke, wel ches allezeit mehr als zu verwegen ist, lange Zeit all gemein. Ihre offenbare Falschheit sollte die Menschen lehren, behutsam zu urtheilen, wenn es möglich wäre, daß sich die Menschen bessern ließen. Eines von den Unglücken, welches den XIV Lude wig zu Ende seiner Regierung überfiel, war die Ver wirrung der Finanzen. Sie fing sich mit dem Jahre 1689 an. Man schickte alles Silberzeug in die Münze. Der König selbst gieng mit seinem Exempel zuvor, indem er aus seiner Gallerie und aus seinem großen Zimmer alle das prächtige Geräthe von purem Sil ber nehmen ließ, worauf Balin die Zeichnungen des berühmten le Brün gestochen hatte; und gleichwohl gewonn man dabey nicht mehr als drey Millionen. Man brachte die Kopfsteuer im Jahre 1695 auf; man machte Tontinen. Der Hr. von Pontchartrain verkaufte 1696 allen Adelsbriefe, die welche haben wollten, für zwey tausend Thaler, und endlich legte
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man auf die Erlaubniß, ein Petschaft zu führen, eine Abgabe von zwanzig Franken. In dem Kriege von 1701 war die Erschöpfung außerordentlich. Der Herr des Marets ward ein mal genöthiget, hundert tausend Franken wegzuneh men, welche bey den Charthäusern in Deposito lagen, und an deren Statt Obligationes niederzulegen, weil der Staat gleich in der äußersten Noth war. Wenn man gleich angefangen hätte, die Auflage des Zehnten einzuführen, eine Auflage, die für alle Menschen gleich ist, (welches man aber erst im Jahre 1710 that) so würde sich der König oft weit eher haben helfen können. So aber gab man sich lieber mit Un terhändlern ab, welche sich bereicherten und das Volk ruinirten. Es war noch Geld genug im Staate, allein das Mistrauen hielt es verborgen. In dem letzten Kriege 1741 hat man es gar wohl gesehen, wie sehr sich Frankreich helfen könne. Der Credit hat nicht einen Augenblick gefehlet, und man hat nicht einmal befürchtet, daß er jemals fehlen werde. Nichts beweiset es besser, daß Frankreich das mächtigste Reich in Europa ist, wenn es gehörig verwaltet wird.
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IV. Cromwell .

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Cromwell .

Man mahlet den Cromwell als einen Mann ab, der Zeit seines Lebens ein Betrüger gewesen seyn soll. Ich kann mir es kaum einbilden. Ich glaube, daß er Anfangs ein Enthusiast war, und sich dieser Enthusiasterey nach her zu seiner Erhöhung bediente. Ein angehender Mönch, der im zwanzigsten Jahre schon eifrig ist, wird insgemein ein geschickter Betrüger im vierzig sten. In dem großen Spiele des menschlichen Le bens, läßt man sich Anfangs betrügen, bis man end lich selbst ein Betrüger wird. Ein Staatsmann erwählt sich zu seinem Almosenier einen Mönch, der von dem Abgeschmackten seines Klosters ganz zusammengesetzt ist. Andächtig, leicht gläubig, ungeschickt, für die Welt ganz neu. Der Mönch unterrichtet sich, bildet sich, mischt sich in Händel, und sticht seinen Herrn aus.
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Cromwell war Anfangs unschlüßig, ob er ein Geistlicher, oder ein Soldat werden wollte. Er war weder eins noch das andere. Er that im Jahre 1622 unter der Armee des Prinzen von Oranien, Friedrich Heinrichs, des großen Mannes, und Bru ders zweener großen Männer, einen Feldzug. Da er nach England zurück kam, trat er bey dem Bi schof Williams in Dienste, und wurde der Geistliche dieses Herrn, während daß der Bischof für den Lieb haber seiner Frau gehalten wurde. Seine Grund sätze waren der Puritaner ihre, folglich mußte er ei nen Bischof von ganzem Herzen hassen, und die Könige nicht lieben. Man jagte ihn aus dem Hause des Bischofs Wil liams, weil er ein Puritaner war; und dieses legte den Grund zu seinem Glücke. Das Parlement von England erklärte sich wider die königliche Würde und wider die bischöfliche Kirche, und einige Freunde, die er in diesem Parlemente hatte, verschafften ihm die Ernennung eines Dorfes. Um diese Zeit fing er erst an bekannt zu werden, und er war schon über vierzig Jahr alt, ohne daß er jemals von sich hatte reden gemacht. Er mochte die Schrift noch so wohl inne haben, über die Rechte der Priester und Diaconen streiten, einige schlechte Reden halten, und etliche Schmähschriften ausgehen lassen, so war er doch unbekannt. Ich habe von ihm eine sehr abge schmackte Rede gesehen, die denen Predigten der Quacker ziemlich gleich kam, und worinnen man nicht die geringste Spur derjenigen beweglichen und rüh renden Beredsamkeit entdecket, mit der er nachher die Parlemente nach sich riß. Die Ursache davon
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war: er schickte sich mehr zu Staatsgeschäfften, als zu Kirchensachen. Seine Beredsamkeit kam haupt sächlich auf seinen Ton und auf seine Minen an. Ei ne Bewegung mit derjenigen Hand, die so viele Schlachten gewonnen, und so viele von der königli chen Partey ermordet hatte, überzeugte mehr, als die Perioden des Cicero. Man muß bekennen, daß seine unvergleichliche Tapferkeit ihn bekannt machte, und ihn stufenweise zum Gipfel der Hoheit führte. Das erste, was er that, war, daß er sich als ein Freywilliger, der sein Glück machen wollte, in die vom Könige belagerte Stadt Hull warf. Er that sich daselbst durch schöne und glückliche Thaten hervor, wofür er von dem Parlemente eine Belohnung von ungefähr sechstausend Franken erhielt. Dieses Ge schenk, welches das Parlement einem Menschen ohne Namen und Bedienung machte, zeigte sattsam, daß die aufrührische Partey die Oberhand behalten sollte. Der König war nicht im Stande, seinen Generalsper sonen dasjenige zu geben, was das Parlement denen Freywilligen gab. Mit Geld und etwas Enthusiaste rey muß man endlich in der Länge Meister von allem werden. Man machte den Cromwell zum Obristen. Nun entwickelten sich erst seine große Gaben zum Kriege recht, dergestalt, daß das Parlement, da es den Grafen von Manchester zum General seiner Ar meen ernannte, den Cromwell zu dessen Generallieu tenant machte, ohne daß er die übrigen Stufen durch gegangen hätte. Niemals hatte jemand würdiger ge schienen, ein Commando zu führen; niemals hatte man in jemanden mehr Hurtigkeit und Klugheit, mehr Verwegenheit, und mehr Hülfsmittel vereinigt
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gefunden, als im Cromwell. Er wird in der Schlacht bey York verwundet; und während, daß man seine Wunde zum erstenmal verbindet, erfährt er, daß sein General Manchester sich zurück zieht, und die Schlacht verloren ist. Er suchet in aller Eil den Manchester auf, trifft ihn mit einigen Officiers auf der Flucht an, nimmt ihn bey dem Arm, und saget mit einer Mine voller Zutrauen und Hoheit zu ihm: Sie irren sich, Mylord, dieses ist nicht die Seite, wo die Feinde sind. Er führet ihn bis nahe an das Schlachtfeld zurück, bringt zeit während der Nacht mehr als zwölf tausend Mann zusammen, redet ihnen im Namen Gottes zu, führet Mosen, Josua, und Gideon an, fängt bey Anbruch des Tages das Treffen wider die siegreiche königliche Armee von neuen an, und wirft sie gänzlich über den Haufen. Ein solcher Mensch mußte entweder umkommen, oder die Oberhand be halten. Fast alle Officiers seiner Armee waren En thusiasten, die das neue Testament hinter sich auf dem Sattel hatten; man redete bey der Armee, eben wie im Parlement, von nichts anders, als Babel zu vernichten, den wahren Gottesdienst in Jerusalem wieder herzustellen, und den Coloß zu zerbrechen. Cromwell hörte unter so viel Narren auf, es zu seyn, und dachte, es wäre besser, sie zu beherrschen, als sich von ihnen beherrschen zu lassen. Die Fertigkeit als einer, der göttliche Eingebungen hätte zu reden, blieb ihm noch übrig. Man stelle sich einen Faqvir vor, der, um Buße zu thun, einen eisernen Gürtel umgethan hat, und denselben hernach los gürtet, um denen übrigen Faqvirs eins damit hinter die Ohren zu geben. So war Cromwell! er wurde eben so ver
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schlagen, als er beherzt war; er vereinigte sich mit allen Obristen der Armee, und machte also unter den Truppen eine Republik, die den Generalißimus zwingt, das Commando nieder zu legen. Man er nennet einen andern Generalißimus, dem er das Commando verdrüßlich machet. Er regieret die Ar mee, und durch sie regieret er das Parlement; er se tzet dieses Parlement in solche Umstände, daß es ihn endlich zum General erklären muß. Alles dieses ist viel; das wesentlichste aber ist, er gewinnt alle Schlachten, die er in England, Schottland und Irrland liefert, und er gewinnt sie, nicht indem er dem Streite zusieht, und sich selbst schonet, sondern indem er in die Feinde immer eindringt, seine Truppen wieder zusammen bringt, sich auf allen Seiten befin det, öfters verwundet wird, und wie ein grimmiger und erbitterter Grenadier mit eigener Hand viele kö nigliche Officiers ermordet. Mitten in diesem schrecklichen Kriege machte sich Cromwell mit Liebeshändeln etwas zu thun; und scheuete sich nicht, mit der Bibel unter dem Arme, bey der Frau seines Generalmajors Lambert zu schla fen. Sie liebte den Grafen von Holland, der unter der Armee des Königs diente. Cromwell nimmt ihn in einer Schlacht gefangen, und macht sich das Ver gnügen, seinem Mitbuhler den Kopf vor die Füße legen zu lassen. Sein Grundsatz war, das Blut eines jeden Feindes von Wichtigkeit, entweder auf dem Schlachtfelde, oder durch die Hand des Scharf richters zu vergießen. Er vergrößerte seine Macht beständig, ob er sich gleich beständig derselben mis brauchte; die Unergründlichkeit seiner Absichten be
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nahmen seiner wilden Ungestümheit nichts. Er be giebt sich in die Parlementskammer; und indem er seine Taschenuhr heraus zieht, die er an die Erde wirft, und in Stücken zerschmeißt, spricht er: ich will euch, wie diese Uhr, zerschmeißen. Kurz dar auf kömmt er wieder dahin, verjagt alle Glieder, einen nach dem andern, und alle müssen vor ihm vor bey gehen. Jeder von ihnen muß ihm bey dem Vor übergehen eine tiefe Verbeugung machen. Einer be hält den Huth auf dem Kopfe, Cromwell reißt ihm denselben ab, wirft ihn zur Erde, und spricht, lernet ehrerbiethig gegen mich zu seyn. Als er seinem rechtmäßigen Könige auf einem Schafot den Kopf hatte abschlagen lassen, unterstund er sich, sein Bildniß einem gekrönten Haupte, nämlich der Königinn Christina von Schweden, zu überschi cken. Marvel, ein berühmter englischer Poet, der sehr gute lateinische Verse macht, begleitete dieses Bildniß mit sechs Versen, darinnen er den Cromwel selbst reden läßt. Cromwel verbesserte die beyden letztern also: At tibi submittit frontem reuerentior vmbra, Non sunt hi vultus regibus vsque truces. Der kühne Verstand dieser sechs Zeilen ist: Ich habe, die Waffen in der Hand, Gesetze und Freyheit vertheidiget. Betrachte mein Bild niß ohne Schauern! Mein Blick ist nicht immer Königen schrecklich. Diese Königinn war die erste, die ihn, so bald er Protector der drey Königreiche war, dafür erkannte. Fast alle gekrönte Häupter von Europa schickten Ge
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sandten an ihren Bruder Cromwell, an diesen Bedien ten eines Bischofs, der nur erst kürzlich durch die Hände des Scharfrichters einen Monarchen, ihren Anverwandten, umgebracht hatte. Sie bemüheten sich, fast um die Wette, nach einem Bündnisse mit ihm. Der Kardinal Mazarin verjagte ihm zu Ge fallen die beyden Söhne Carls des ersten, die beyden Enkel von Heinrich dem vierten, und beyden Vettern Ludewigs des vierzehnten aus Frankreich. Frank reich eroberte Dünkirchen für ihn, und überlieferte ihm die Schlüssel davon. Nach seinem Tode trug Ludewig der vierzehnte und sein ganzer Hof die Trauer, ausgenommen Mademoiselle, welche das Herz hatte, mit einem farbigen Kleide öffentlich zu erscheinen, und die Ehre ihres Hauses allein behauptete. Kein König ist jemals uneingeschränkter, als er, gewesen. Er sagte, er habe lieber unter dem Na men eines Protectors, als eines Königs, regieren wollen, weil die Engländer wohl wüßten, wie weit sich die Vorrechte eines Königs von England erstre cken, aber nicht wüßten, wie weit die eines Protectors gehen könnten. Das hieß recht, die Menschen kennen, welche die Meynungen regieren, und deren Meynun gen von einem Namen abhangen. Er hegte eine sehr große Verachtung gegen die Religion, die sein Glück gemacht hatte. Man hat eine sichere Nachricht, die in dem Schlosse St. Ja mes auf behalten worden ist, welche sattsam von der wenigen Achtung zeuget, die Cromwell gegen dieses Werkzeug, das so große Wirkungen in seinen Händen hervor gebracht hatte, trug. Er trank einsmals mit Ireton Fleetwood und St. James, Aeltervater des
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berühmten Mylords Bollingbrooke. Man wollte ei ne Flasche aufmachen, der Korkzieher aber fiel unter den Tisch, worunter sie ihn alle suchten und nicht fun den. Während der Zeit wartete eine Gesandtschaft der presbyterianischen Kirche in dem Vorsaale, und ein Gerichtsdiener kam herein, sie anzumelden. Man sage ihnen, sprach Cromwell, daß ich nicht mehr hier sey, und daß ich den Herrn suche. Es war dieses der Ausdruck, dessen sich die Fanatici bedienten, wenn sie ihre Gebethe verrichteten. Nachdem er auf diese Art den Trupp von Geistlichen fortgeschickt hatte, sagte er zu seinen Vertrauten diese eigenen Worte: Die Lumpenhunde glauben, daß wir den Herrn su chen, und wir suchen nichts, als den Korkzieher. Man hat kein Exempel in Europa von einem Men schen, der von so schlechter Herkunft sich so hoch empor geschwungen hat. Was mußte aber nothwendig noch bey allen diesen seinen großen Gaben seyn? Das Glück. Er hatte dieses Glück, aber war er glücklich? Er lebte bis ins drey und vierzigste Jahr arm und unruhig; er badete sich nachher im Blute, brachte sein Leben in Un ruhe hin, und starb vor der Zeit im fünf und funfzigsten Jahre. Man vergleiche einmal dieses Leben mit eines Neutons seinem, welcher vier und achtzig Jahr bestän dig ruhig und beständig geehrt gelebet hat, der bestän dig das Licht aller denkenden Wesen war, der täglich seinen Ruhm, sein Ansehen, sein Glück zunehmen sah, ohne daß er jemals Sorge oder Gewissensunruhe gehabt hätte; und urtheile darnach, wer von beyden am glücklichsten gewesen ist. O! curas hominum, o! quantum est in rebus inane!
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V. Von dem Korane und dem Mahomed .

|| [leer]
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Mahomed, der Sohn des Abdalla, war ein erhabener und verwegener Markt schreyer. Er saget in seinem 10 Ca pitel: Wer anders, als Gott, kann den Koran abgefaßt ha ben? Man schreyet: es ist Mahomed, der dieß Buch geschmiedet. Gut, bemüht euch doch, ein Capitel, das ihm gleich komme, zu schrei ben, und nehmet, wen ihr wollt, zu Hülfe. Im siebzehnten Capitel ruft er aus: Lob sey dem, der seinen Diener des geheiligten Tempels zu Mekka des Nachts in den Tempel zu Jeru salem versetzet hat. Es ist eine ziemliche Reise, sie kömmt aber weder der Reise gleich, die er in eben derselben Nacht aus einem Irrsterne in den andern that, noch den schönen Sachen, die er allda sah. Er gab vor, es wäre ein Weg von fünf hundert Jahren, aus einem Irrsterne in den andern, und dieser theilte den Mond in zwey Theile. Seine Schüler, die nach seinem Tode die Verse des Koran auf
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das sorgfältigste zusammen suchten, ließen die Reise nach dem Himmel weg. Sie fürchteten sich für den Spöttern und für den Weltweisen. Diese Behutsam keit schien zu weit getrieben zu seyn. Sie durften sich nur auf die Ausleger verlassen, welche die Reisebeschreibung schon würden zu erklären gewußt haben. Die Freunde des Mahomeds konnten aus der Erfahrung wissen, daß das Wunderbare die Vernunft des Volks sey. Die Weisen und Ver ständigen widersprechen heimlich, und das Volk bringt sie zum Stillschweigen. Allein, indem man die Reisebeschreibung von den Planeten ausließ, so ließ man doch ein Wort von dem Monde stehen. Man kann nicht auf alles Acht haben. Der Koran ist ein Mischmasch, ohne Verbin dung, ohne Ordnung, und ohne Kunst. Gleich wohl saget man, dieses verdrüßliche Buch sey ein sehr schönes Buch. Ich beziehe mich in diesem Stücke auf die Araber, welche behaupten, es sey mit einer Zierlichkeit und Reinigkeit geschrieben, die seit der Zeit niemand habe erreichen können. Es ist ein Gedicht, oder eine Art von gereimter Prose, die aus sechs tausend Versen besteht. Es ist kein Dichter, dessen Person und Werke ein solches Glück gehabt hätten. Man stritte bey den Musel männern darüber, ob der Koran ewig wäre, oder ob ihn Gott erschaffen hätte, ihn dem Mahomed einzugeben. Die Lehrer entschieden die Sachen also: er wäre ewig, und sie hatten ganz recht, weil die Ewigkeit weit schöner war, als die andere Meynung. Bey dem gemeinen Volke muß man allezeit die un glaublichste Partey ergreifen.
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Die Mönche, die wider den Mahomed so losge zogen, und so viel albernes auf seine Rechnung ge bracht, haben vorgegeben, daß er nicht habe schrei ben können. Wie kann man sich aber einbilden, daß ein Mann, der ein Kaufmann, ein Poet, ein Gesetzgeber und ein Monarch gewesen ist, nicht gewußt habe seinen Namen zu unterzeichnen. Wenn sein Buch für unsere Zeiten und für uns schlecht ist, so war es doch für die, welche zu seiner Zeit lebten, sehr gut, und für seine Religion noch besser. Man muß zugeben, daß er fast ganz Asien aus der Abgötterey heraus riß. Er lehrte die Einheit Gottes, er predigte mit Nach druck wider die, welche ihm andere Götter an die Seite setzen. Bey ihm ist der Wucher mit den Fremden verbothen, und das Almosen nachdrücklich anbefohlen. Das Gebeth ist von einer unumgängli chen Nothwendigkeit, die Ergebung in den göttlichen Willen, und die von Ewigkeit gefaßten Schlüsse sind die großen Triebfedern von allem. Es war nicht schwer, daß nicht eine so einfältige und durch einen stets siegreichen Mann vorgetragene Lehre einen Theil des Erdbodens unter ihr Joch bringen sollte. Die Muselmänner haben eben so viele durch ihre Lehren als durch ihr Schwerdt bekehret. Sie haben die Indianer und so gar die Negers zu ihrer Religion gebracht. Selbst der Türken ihre Ueberwinder haben sich zu derselben bequemet. Mahomed ließ in seinem Gesetze vieles, was er bey den Arabern eingeführet fand; die Beschneidung, das Fasten; die Reise nach Mekka, die vier tausend Jahre vor ihm gebräuchlich war, die in einem so heißen Lande, wo die Leinewand unbekannt war,
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zur Gesundheit und Reinlichkeit so nöthigen Reini gungen, und endlich die Meynung von einem letzten Gerichte, welche die morgenländischen Weisen alle zeit eingepräget, und die bis zu den Arabern gekom men war. Man saget, daß seine Frau Ahiska, als er verkündiget, man würde ganz nackend wie der auferstehen, solche sehr unehrbar und gefähr lich gefunden; er ihr aber darauf geantwortet habe: Laß es nur gut seyn, mein Kind, alsdenn wird man keine Lust zu lachen haben. Nach dem Koran soll ein Engel die Männer und Weiber in einer großen Wage abwägen. Auch dieser Ge danke ist von den morgenländischen Weisen genom men. Er hat ihnen auch ihre spitzige Brücke abge stohlen, über die man nach dem Tode gehen muß, und ihren Zannat, wo die auserwählten Muselmän ner Bäder, mit schönem Hausrath versehene Zim mer, gute Betten, und Mäuse mit großen schwar zen Augen antreffen werden. Es ist auch wahr, daß er saget, es würden alle diese sinnlichen Vergnü gungen, die allen denen so nöthig wären, die mit Sinnen wieder auferstünden; bey weiten dem Ver gnügen des Anschauens des höchsten Wesens nicht gleich kommen. Er ist so bescheiden, in seinem Ko rane zu bekennen, daß er selbst nicht durch sein eig nes Verdienst, sondern allein nach dem Wohlge fallen Gottes in das Paradies eingehen werde. Und zu Folge eben dieses bloß göttlichen Willens verord net er auch, daß allezeit der fünfte Theil des gemach ten Raubes für die Propheten seyn solle. Es ist nicht wahr, daß er die Weiber aus dem Paradiese ausschließt. Es ist nicht wahrscheinlich,
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daß ein so listiger Mann es mit dieser Hälfte des menschlichen Geschlechts, welche die andere beherr schet, habe verderben wollen. Abulfeda erzählt, daß er einer alten Frau, welche ihm einmal mit der Frage, was sie thun müsse ins Paradies zu kommen, beschwerlich gefallen wäre, geantwortet habe: meine Frau, das Paradies ist nicht für die alten Weiber. Hierauf habe sie zu weinen angefangen, und der Prophet habe, sie zu trösten, hinzu gesetzt: es wer den allda keine alten Weiber seyn, weil sie sich wieder verjüngen werden. Diese tröstliche Lehre ist in dem 51 Capitel des Korans bekräftiget. Er verboth den Wein, weil einige von seinen An hängern eines Tages betrunken zum Gebethe kamen. Er erlaubte die Verheirathung mit mehrern Wei bern, und richtete sich hierinne nach der undenklichen Gewohnheit der Morgenländer. Mit einem Worte, seine bürgerlichen Gesetze sind gut. Seine Lehre ist in demjenigen, worinne sie mit unserer überein kömmt, unvergleichlich; allein die Mittel sind abscheulich; nämlich Betrug und Mord. Man hält ihm seine Betrügerey einigermaßen zu gute, weil, wie man vorgiebt, die Araber vor ihm hundert und vier und zwanzig Propheten zähleten, und es also kein so großes Uebel war, daß noch einer mehr erschien. Die Menschen, saget man, müssen betrogen werden. Allein wie soll man einen Menschen rechtfertigen, der zu uns spricht: Glaube, daß ich mit dem Engel Gabriel gesprochen habe, oder ich tödte dich.
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Wie weit vortrefflicher ist ein Confucius, der erste unter den Sterblichen, die keine Offenbarung gehabt haben. Er brauchte nichts weiter als die VernnnftVernunft, und nicht die Lügen und das Schwerdt. Als Statt halter einer großen Provinz bringt er darinne die Sittenlehre und die Gesetze in Flor. In Ungnade verfallen und arm, lehret er sie; er übet sie sowohl in seiner Erhöhung, als in seiner Erniedrigung aus; er macht die Tugend liebenswürdig; er hat das älte ste und weiseste aller Völker zu Schülern. Der Graf von Boulainvilliers, der für den Ma homed eingenommen war, mag immerhin die Ara ber herausstreichen. Er kann es doch nicht leugnen, daß es ein räuberisches Volk sey. Sie stahlen und raubten vor den Mahomed, da sie Sterne anbethe ten; sie raubten unter dem Mahomed im Namen Got tes. Sie hatten, saget man, die Einfalt der heroi schen Zeiten; allein was sind denn die heroischen Jahrhunderte? Es war die Zeit, da man sich um einen Brunnen, oder Wasserbehälter, erwürgte, wie man es heut zu Tage um eine Provinz thut. Die ersten Muselmänner wurden durch den Ma homed mit der Raserey der Enthusiasterey belebt. Nichts ist schrecklicher als ein Volk, welches, weil es nichts zu verlieren hat, zu gleicher Zeit durch den Raub und durch den Geist der Religion ange trieben ficht. Es ist wahr, in ihrem Bezeigen war nicht viel feines. Der erste Ehecontract des Mahomeds ent hält, daß, weil Ladiska in ihn, und er in sie verliebt ist, man vor gut gefunden hat, sie mit einander zu vereinigen. Allein herrschet darinne auch eine solche
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Einfalt, wenn man ihm zu Ehren, einen Stamm baum aufgesetzt, darinne man ihn in gerader Linie von dem Adam ableitet, wie man es seit der Zeit mit einigen Häusern in Spanien und Schottland ge macht hat. Arabien hatte seinen Moreri, und seinen galanten Merkur. Der große Prophet erfuhr die so vielen Männern gemeinschaftliche Widerwärtigkeit; und nunmehr kann sich niemand darüber beklagen. Man weiß den Namen desjenigen, der die Gunst seiner zweyten Frau, der schönen Aishka genoß, er hieß Assuan. Er bezeigte sich weit großmüthiger als Cäsar, der seine Frau verstieß, indem er sagte, die Frau des Cäsars müsse nicht einmal im Verdachte seyn. Der Prophet wollte seine nicht einmal in Verdacht ziehen; er ließ ein Capitel des Korans vom Himmel herab kommen, zu versichern, daß seine Frau getreu wäre. Dieses Capitel ist eben so wohl, als alle übrigen, von aller Ewigkeit her geschrieben. Man bewundert ihn, daß er aus einem Cameel händler sich zu einem Hohenpriester, Gesetzgeber und Monarchen gemacht; daß er Arabien, welches vor ihm niemals unterthan war, sich unterworfen hat; daß er dem römischen Reiche im Orient und dem Per sischen die ersten Stöße gegeben. Ich bewundere ihn wegen des Friedens, den er in seinem Hause un ter den Weibern erhalten hat. Er hat den Zustand der Sachen in einem Theile von Europa, in der Hälfte von Asien, und fast in ganz Africa geändert, und es hat nicht viel gefehlet, daß er nicht die ganze Welt unter sein Joch gebracht hätte.
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Woran hangen denn solche Staatsveränderun gen? Ein Stein, der ihn etwas härter traf, als der, welcher ihn in der ersten Schlacht getroffen hatte, gab der Welt ein anderes Schicksal. Sein Eidam Ali gab vor, daß, als man den Propheten hätte beerdigen wollen, man ihn in einem Zustande gefunden habe, der den Todten nicht sehr gewöhnlich sey, und daß seine Witwe Aishka ausge rufen: wenn ich gewußt, daß Gott dem Verstorbe nen diese Gnade erwiesen hätte, wollte ich gleich her bey gelaufen seyn. Man konnte von ihm sagen: Decet imperatorem stantem mori. Niemals ist das Leben eines Menschen umständli cher beschrieben worden, als das seine. Die ge ringsten Umstände davon waren heilig; man weiß die Anzahl und den Namen alles dessen, was ihm gehö ret hat, neun Degen, drey Lanzen, drey Bogen, sieben Panzer, drey Schilde, zwölf Weiber, ein weißer Hahn, sieben Pferde, zwey Maulesel, vier Cameele, ohne die Stute Borak zu rechnen, auf der er nach dem Himmel ritt. Er hatte sie aber auch nur geborget, denn sie gehörte eigenthümlich dem Engel Gabriel. Alle seine Reden sind gesammlet worden. Er sagte, daß der Gebrauch der Weiber ihn zum Gebethe viel brünstiger mache. Warum sollte er nicht eben so wohl im Bette als bey Tische bethen und danken. Eine hübsche Frau ist doch wohl so gut als eine Mahl zeit. Man behauptet auch, daß er ein großer Arzt gewesen sey; folglich mangelte ihm nichts, die Menschen zu berücken.
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VI. Geheime Nachrichten von dem Czaar Peter, dem großen.

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Peter der erste hat den Zunamen des großen bekommen, weil er sehr große Thaten unternommen und ausgeführet hat, wovon keine seinen Vorfahren in den Sinn gekommen war. Sein Volk war vor seiner Zeit nichts als ein tartarisches Volk. Es ist sehr wahrscheinlich, daß vor einigen tausend Jahrhunderten, alle Nationen ein Mittelding zwischen Menschen und Bär gewesen sind, bis endlich unter ihnen solche Leute aufgestanden sind, als der Czaar Peter war, und zwar zu einer Zeit, da sie gelegentlicher nicht aufstehen konnten. Der Zufall wollte, daß ein junger Genueser, mit Namen le Fort, mit einem dänischen Gesandten im Jahre 1695 nach Rußland reiste. Peter war da mals 19 Jahr alt, er sah diesen Genueser, welcher in sehr kurzer Zeit Rußisch gelernet hatte, und fast alle andere europäische Sprachen konnte. Le Fort gefiel dem Prinzen ungemein; er trat in seine Dien ste, und gelangte gar bald darauf zu seiner vertrau testen Freundschaft. Er brachte ihm bey, daß noch
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eine andere Art zu leben und zu regieren sey, als die jenige, welche in seinem weitläuftigen und elenden Reiche zum Unglücke, von allen Zeiten her, einge führet sey. Ohne diesen Genueser würde Rußland noch in der Barbarey stecken. Es wurde nothwendig eine große Seele dazu erfo dert, auf einmal einem Ausländer Gehör zu geben, und alle Vorurtheile des Thrones und des Vaterlan des abzulegen. Der Czaar begriff, daß weder er, noch seine Nation, Menschen wären, und daß er sein Reich zu bilden habe: nirgends aber fand er den geringsten Beystand dazu. Er kam endlich auf den Einfall, sein Königreich zu verlassen, und als ein zweyter Prometheus das himmlische Feuer borgen zu gehen, weil er seine Landsleute beleben wollte. Die ses göttliche Feuer zu suchen, gieng er zu den Hollän dern, welche vor dreyhundert Jahren von einer sol chen Flamme eben so wenig wußten, als die Russen. Er konnte seinen Entwurf nicht so bald ausführen, als er gerne gewollt hätte. Er mußte gegen die Türken, oder vielmehr gegen die Tartarn, im Jahre 1696 einen Krieg führen; und erst nach ihrer Ueber windung verließ er seine Länder, um sich selbst in al len Künsten unterrichten zu lassen, welche damals in Rußland gänzlich unbekannt waren. Der Beherr scher des allerweitläuftigsten Reiches auf der Welt, machte sich nach Amsterdam, zwey ganzer Jahr da selbst, und in dem Dorfe Sardam, unter dem Namen Peter Michelhof, zu leben. Gemeiniglich nennte man ihn nur Herr Peter Bas. Er ließ sich in die Liste der Schiffsbauer dieses berühmten Dorfes ein schreiben, welches fast ganz Europa mit Schiffen
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versieht. Er führte die Axt und das Richtscheit selbst, und wenn er auf der Werkstatt an dem Baue eines Schiffes gearbeitet hatte, so übte er sich in der Erd beschreibung, in der Meßkunst und in der Geschichte. Anfangs versammlete sich das Volk um ihn herum. Er trieb manchmal die ungestümen Neugierigen mit einer ziemlich groben Art von sich weg, und das Volk litt es, das sonst so wenig zu leiden gewohnt ist. Seine erste Sprache, die er lernte, war das Holländische. Er legte sich hierauf auf das Deut sche, welches ihm eine zärtliche Sprache zu seyn schien, und die er hernach an seinem Hofe einführte. Er lernte auch auf seiner Reise nach England, ein wenig Englisch; von dem Französischen aber hat er niemals etwas gewußt, welches erst unter der Kaise rinn Elisabeth, nachdem das Land weit gesitteter ge worden war, die Sprache von Petersburg wurde. Er war von langer Statur, seine Gesichtsbildung war hoch und majestätisch, sie wurde aber oft durch Verzückungen sehr verstellt, welche die Züge in sei nem Gesichte ganz veränderten. Man gab diese Verzückungen dem Gifte schuld, welches ihm seine Schwester Sophia soll beygebracht haben. Das wahre Gift aber war der Wein, und die Aquavite, worinnen er oft sehr unmäßig war, indem er seiner starken Natur allzuviel zutrauete. Er gieng mit einem Generale und mit einem Handwerksmanne auf gleiche Art um. Dieses aber that er weder als ein Barbar, welcher unter den Menschen keinen Unterschied machet, auch nicht als ein leutseliger Prinz, welcher allen gefallen will, son dern als ein Mensch, der sich unterrichten wollte.
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Er liebte das Frauenzimmer eben so sehr, als es sein Mitbuhler der König von Schweden scheute, und alles war ihm, sowol zur Liebe als zum Essen, gleich gut. Er bestrebte sich nicht guten Wein, sondern viel Wein zu trinken. Man saget, Gesetzgeber und Könige müßten sich niemals erzürnen. Keiner aber hat auffahrender und zugleich unversöhnlicher seyn können, als Peter der große. Dieser Fehler ist an einem Könige kei ner von denen, welche man wieder gut macht, indem man sie gesteht, gleichwol gestund er ihn selbst, und sagte auf seiner zweyten Reise zu den Staaten von Holland: Ich habe meine Nation geändert, mich selbst aber habe ich nicht ändern kön nen. Es ist wahr, die Grausamkeiten, welche man ihm vorwirft, waren an seinem Hofe eben so gewöhn lich, als an dem Hofe von Marocco. Es war nichts außerordentliches, daß ein Czaar, mit einem Och senziehmer in seiner königlichen Hand, die nackten Schultern eines seiner vornehmsten Bedienten, oder wohl gar einer Hofdame, zerfleischte, wenn sie das geringste versehen hatten, oder, daß er die Schärfe seines Säbels versuchte, indem er einem Missethäter den Kopf abhieb. Peter hatte einigemal diese Ge wohnheiten seines Landes beobachtet. Le Fort hatte zwar Ansehen genug über ihn, daß er ihn oft zurück halten konnte, wenn er sich eben fertig machte, den Streich zu thun; nur Schade, daß er den le Fort nicht immer um sich hatte. Seine Reise nach Holland, und besonders sein Geschmack an den Künsten, machten seine Sitten ein wenig gelinder, denn das ist das Vorrecht aller
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Künste, daß sie die Menschen zärtlicher machen. Er frühstückte oft bey einem Erdbeschreiber, mit wel chem er Seecharten machte. Er brachte ganze Tage bey dem berühmten Ruisch zu, welcher zuerst die Kunst erfand, die schönen Aussprützungen zu machen, welche die Anatomie so viel vollkommener gemacht, und ihr alle Widerwärtigkeit benommen haben. Dieser Prinz gab sich im zwey und zwanzigsten Jahre die Erziehung, welche ein holländischer Handwerks mann einem Sohne würde gegeben haben, wenn er gesehen hätte, daß er einen guten Kopf habe. Gleich wohl übertraf diese Erziehung alle Erziehungen weit, die man jemals auf dem rußischen Throne gehabt hatte. Er schickte zu gleicher Zeit einige junge Moscowiter auf Reisen, sich in allen Ländern Europens unter richten zu lassen. Seine ersten Versuche waren nicht allzuglücklich. Seine neuen Schüler ahmten ihrem Lehrmeister nicht nach. Einer so gar, welchen er nach Venedig geschickt hatte, gieng nicht aus seiner Stube, damit er sich nicht vorwerfen könne, ein an der Reich, als sein Vaterland gesehen zu haben. Diesen Abscheu vor den fremden Ländern hatten ihnen die moscowitischen Prediger beygebracht, welche be haupteten, ein Christ könne nicht erschrecklicher sündi gen, als wann er reisete, weil es in dem alten Te stamente den Einwohnern von Palästina wäre verbo then gewesen, die Sitten ihrer reichern und geschick tern Nachbarn anzunehmen. Im Jahre 1698 gieng er von Amsterdam nach England, nicht als ein Schiffbauer, auch nicht als ein Monarche, sondern unter dem Namen eines rußischen Boyarden, welcher etwas zu lernen reisete.
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Er sahe alles; und gieng so gar in die englische Co mödie, worinne er nichts verstand. Allein, eine Schauspielerinn fand er darinne, die Jungfer Graft, bey der er die letzte Gunstbezeigung genoß, ihr Glück aber zu machen vergaß. Der König Wilhelm hatte ihm ein Wohnhaus zurechte machen lassen. Das ist in London viel, wo in dieser unermeßlichen Stadt die Palläste nicht sehr häufig sind, und wo man fast nichts als niedrige Häuserchen, ohne Hof und ohne Garten, mit klei nen Thüren sieht, wie die Thüren unserer Butiken sind. Dem Czaar war sein Haus noch zu gut, er zog also in das Quartier der Matrosen, damit er den Unterricht in der Schiffskunst desto näher haben möchte. Er kleidete sich so gar sehr oft als ein Ma trose, und besonders alsdann, wann er verschiedene Leute in seine Dienste bringen wollte. In London war es, wo er selbst den Plan zur Verbindung der Wolga und des Dons machte. Er wollte so gar die Dwina durch einen Canal mit ihnen verknüpfen, und also den Ocean, das schwarze Meer und das caspische Meer verbinden. Die Englän der, welche er mit sich nahm, dienten ihm in diesem großen Unternehmen sehr schlecht, und die Türken, welche ihm 1712 Asoff wegnahmen, setzten sich diesem großen Werke noch weit mehr entgegen. In London fehlte ihm Geld. Es kamen ver schiedene Kaufleute, die ihm hundert tausend Thaler anbothen, die Erlaubniß zu haben, Taback nach Rußland zu bringen. Dieses war in diesem Lande eine große Neuigkeit, und die Religion selbst nahm daran Antheil. Der Patriarch hatte alle in den Bann
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gethan, welche Taback rauchen würden, weil ihre Feinde die Türken welchen rauchten, und die Geist lichkeit hielt es für eines ihrer größten Vorrechte, der rußischen Nation das Rauchen zu verwehren. Der Czaar nahm die hundert tausend Thaler, und nahm es zugleich auf sich, die Geistlichkeit selbst zum Ta backrauchen zu bewegen. Er hatte noch ganz andere Neuerungen mit ihr im Sinne. Die Könige machen solchen Reisenden gemeiniglich Geschenke. Das Geschenk, welches Wilhelm dem Czaar Peter machte, war beyder würdig. Er schenkte ihm eine Jacht von zwanzig Canonen, wel ches das beste Seegelschiff auf dem Meere, und so prächtig als ein Altar in Rom vergoldet war. Es war mit allem nöthigen Proviant versehen, und die Leute darauf hatten die Höflichkeit, sich mit ver schenken zu lassen. Auf dieser Jacht, worauf Pe ter der erste Steuermann war, kehrte er nach Hol land zu seinen Schiffsbauern zurück, und von da reisete er um die Mitte des Jahres 1698 nach Wien, wo er sich weit kürzere Zeit als in London aufhalten sollte, weil an dem Hofe des ernsthaften Leopolds mehr Ceremonien zu beobachten, als Sachen zu er lernen waren. Als er Wien gesehen hatte, wollte er nach Venedig gehen, und hernach nach Rom, er ward aber genöthiget, auf das schleunigste nach Moscau zurück zu kommen, weil er Nachricht von einem bürgerlichenKriege bekam, welchen seine Ab wesenheit und die Erlaubniß, Taback rauchen zu dürfen, verursachet hatten. Die Strelizen, die alte Leibwache der Czaare, die den Janitscharen sehr gleich kamen, eben so aufrührisch, und ungezogen,
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weniger beherzt und weit barbarischer waren, wur den von einigen Aebten und Mönchen, welche theils Griechen, theils Russen waren, zum Aufstande ge reizet. Die Geistlichen stelleten ihnen vor, wie sehr Gott erzürnet sey, daß man itzo in Moscau Taback rauche; und dieser Kleinigkeit wegen hätten sie lieber das ganze Reich aufgebracht. Peter, welcher es wohl voraus gesehen hatte, was die Strelizen und Mönche vermögend wären, hatte seine Maaßregeln darnach genommen. Er hatte eine wohlgezogene Armee, welche beynahe aus lauter Ausländern be stand, die gut bezahlet und gut bewaffnet wurden, und welche unter Anführung des General Gordons, der den Krieg wohl verstund und die Mönche nicht liebte, schmauchten. Hierinne hatte es der Sultan Osman versehen, welcher, wie Peter, seine Ja nitscharen auf einen andern Fuß setzen wollte. Da er ihnen nichts entgegen stellen konnte, so setzte er sie auf keinen andern Fuß, und ward von ihnen erwürget. Peter führte unter seiner Armee die Kriegszucht, welche bey den Armeen anderer europäischen Monar chen war, ein. Er ließ von seinen Engländern und Holländern in Woronitz an dem Don, vier hundert Meilen von Moscau Schiffe bauen. Er verschönerte die Städte, sorgte vor ihre Sicherheit, legte große Wege von fünf hundert Meilen an, und richtete Manufacturen von allerley Art auf. Die tiefe Un wissenheit, in welcher die Moscowiter damals lebeten, kann man am besten daraus erkennen, daß ihre erste Manufactur eine Steckenadelmanufactur war. Itzo macht man in Moscau geschornen Sammet, und
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goldene und silberne Stoffe. So mächtig ist der Einfluß eines einzigen Menschen, wenn er Herr ist, und wenn er zu wollen weiß. Der Krieg, welchen er mit dem XII Carl führte, die Provinzen wieder an sich zu bringen, welche die Schweden den Russen abgenommen hatten, verhin derte ihn nicht, so unglücklich er auch anfangs war, seine Verbesserungen des Staats und der Kirche fort zusetzen. Zu Ende des Jahres 1699 ließ er öffent lich kund machen, daß sich das folgende Jahr mit dem Jenner und nicht mit dem September anfangen sollte. Die Russen, welche glaubten, Gott habe die Welt im September erschaffen, erstauneten, daß der Czaar mächtig genug wäre, etwas zu ändern, was Gott gemacht habe. Diese Verbesserung fing sich mit dem 17ten Jahrhunderte, durch eine große Jubelfeyer an, welche der Czaar selbst ankündigte; weil er die Würde des Patriarchens abgeschaffet und die Verrichtungen desselben über sich genommen hatte. Es ist nicht wahr, daß er, wie man saget, den Pa triarchen in das Tollhaus zu Moscau habe bringen lassen. Er hatte die Gewohnheit, wenn er sich durch Bestrafungen wollte lustig machen, zu dem, welchen er auf diese Art zu bestrafen Willens war, zu sagen: ich mache dich zum Narren; und derjenige, welchem er diesen schönen Titel gab, wann es auch der vornehmste im ganzen Königreiche gewesen wäre, mußte eine Narrenkolbe, eine Jacke und Schelle tragen, und den Hof als Hof narr Sr. Majestät des Czaares erlustigen. Er gab dem Patriarchen dieses Amt nicht, sondern be gnügte sich, ein Amt zu unterdrücken, welches die
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jenigen, die es bisher verwaltet, so sehr gemis brauchet hatten, daß sie alle Jahre einmal die Czaare genöthiget, vor ihnen herzugehen, und des Patriar chen Pferd bey dem Zaume zu führen; eine Gewohn heit, die einem Manne, wie Peter der Große war, gleich vom Anfange nicht anstund. Mehr Unterthanen zu haben, wollte er weniger Mönche haben, und befahl, daß man künftig nicht eher, als mit dem 50sten Jahre, in das Kloster gehen sollte; daher kam es, daß sein Land unter allen Län dern, welche Mönche haben, dasjenige war, welches die wenigsten hatte. Er machte übrigens sehr weise Gesetze für die Diener der Kirche, in der Absicht, ihre Sitten zu bessern, ob gleich die seinigen tadelhaft genug waren; weil er wohl wußte, daß das, was einem Herrn er laubet sey, nicht eben einem Geistlichen erlaubet seyn müsse. Vor seiner Zeit lebte das Frauenzimmer allezeit von den Mannspersonen abgesondert; es war was unerhörtes, daß ein Mann das Mägdchen ge sehen hätte, welches er heirathen wollte. Er machte nicht eher, als in der Kirche mit ihr Bekanntschaft. Unter den Hochzeitgeschenken befand sich auch eine große Ruthe, welche der Bräutigam seiner Braut schickte, um ihr höflich beyzubringen, daß sie sich bey der ersten Gelegenheit einer kleinen ehelichen Züchtigung zu getrösten habe. Die Männer konnten sogar ihre Weiber ungestraft tödten, und diejenigen Weiber, welche sich über ihre Männer eben diese Freyheit anmaßten, wurden lebendig begraben. Peter brachte die Ruthen ab, verboth den Män nern ihre Weiber umzubringen, und die Heirathen
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weniger unglücklich und ungleich zu machen, führte er die Gewohnheit ein, daß Frauenzimmer und Mannspersonen mit einander speiseten, und daß dem Bräutigam seine Braut vor der Trauung vorgestellet wurde; kurz, er führte in seinem Staate alles, und so gar die Gesellschaft ein. Die Anordnung ist nicht unbekannt, welche er selbst machte, seine Boyarden und ihre Weiber zu zwingen, Versammlungen zu halten, wo die Fehler, welche man wider die rußi sche Höflichkeit begieng, mit einem großen Glase Branntewein bestrafet wurden, welches derjenige, der den Fehler begangen hatte, austrinken mußte, so daß die ganze ehrwürdige Gesellschaft ziemlich betrun ken und wenig gebessert wieder nach Hause gieng. Das war aber schon genug, daß er eine Art der Ge sellschaft unter einem Volke einführete, welches gar keine hatte. Man führete sogar manchmal theatrali sche Schauspiele auf. Die Prinzeßinn Natalia, eine von seinen Schwestern, machte in rußischer Sprache Tragödien, welche den Stücken des Sha kespear ziemlich gleich sahen, worinne der Tyrann und der Harlequin die ersten Rollen spielen. Das Orchester bestand aus rußischen Musikanten, die man mit dem Ochsenziemer zu spielen nöthigte. Itzo spielet man in Petersburg französische Comödien und italienische Opern. Die Pracht und so gar der Ge schmack sind in allen Stücken auf die Barbarey ge folget. Eine von den schwersten Unternehmungen des Stifters war, seinem Volke die Röcke kürzer und das Kinn glatt zu machen. Hierüber wurde am meisten gemurret, und wie sollte er es anfangen, einem ganzen Volke zu lehren, die Kleider nach
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deutscher Art zu machen, und das Scheermesser zu führen? Er erlangte endlich seinen Zweck dadurch, daß er an alle Thore Schneider und Barbiere stellte; jene mußten allen, welche herein kamen, die Röcke abkürzen, die andern mußten ihnen die Bärte ab scheeren: die Hartnäckigen bezahlten nach französi scher Münze vierzig Sols. Doch bald wollte man lieber seinen Bart als sein Geld verlieren. Das Frauenzimmer war dem Czaare bey diesen Aende rungen sehr nützlich. Es zog die glatten Kinne vor; es hatte ihm die Verbindlichkeit, daß es nicht mehr die Ruthe bekam, daß es mit den Mannspersonen in Gesellschaft lebte, und nicht so fürchterliche Gesichter küssen durfte. Mitten unter diesen großen und kleinen Aenderun gen, welche dem Czaar zum Zeitvertreibe dienten, und mitten unter dem schrecklichen Kriege, welchen er wi der den zwölften Carl zu führen hatte, legte er im Jahre 1704 den Grund zu der wichtigen Stadt Petersburg und zu dem dasigen Hafen, in einem Moraste, wo vorher kaum eine Hütte gestanden hatte. Peter ar beitete mit eigner Hand an dem ersten Hause; er ließ sich nichts verdrüßen; von dem baltischen Meere, von den Gränzen bey Astracan, von dem schwarzen und caspischen Meere mußten Arbeitsleute herzu kom men. Mehr als hundert tausend Menschen kamen bey der Arbeit um, Theils durch die Arbeit, Theils durch den Mangel, welcher daselbst regierte. Bey alle dem ist die Stadt doch da. Die Häfen in Arch angel, in Astracan, in Azoph, in Woronitz wurden gleichfalls gebauet.
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Solche große Stiftungen zu machen, Flotten in dem baltischen Meere zu haben, und hunderttausend Mann regulirte Truppen zu erhalten, hatte der ganze Staat nicht mehr als achtzehntausend Millionen nach unserm Gelde. Ich habe die Rechnung davon in den Händen eines Mannes gesehen, welcher Gesand ter in Petersburg gewesen war. Doch der Lohn der Arbeitsleute war dem Gelde in dem Königreiche gemäß eingerichtet. Man muß sich erinnern, daß es den Königen in Aegypten nichts als Zwiebeln kostete, die Pyramiden zu bauen. Ich wie derhole es also: man darf nur wollen. Man will nicht genug. Nachdem er sein Volk gebildet hatte, glaubte er, es sey ihm nunmehr ganz wohl erlaubet, seiner Nei gung genug zu thun, indem er seine Geliebte heira thete; eine Geliebte, welche seine Frau zu seyn ver diente. Er vollzog diese Heirath öffentlich 1712. Diese berühmte Catharine war eine Waise, und aus einem Flecken in der Landschaft Esthen gebürtig. Sie wurde bey einem Amtsverweser auferzogen; sie diente lange Zeit, und verheirathete sich an einen lief ländischen Soldaten. Zwey Tage nach dieser ersten Heirath ward sie von einer moscowitischen Partey weg geführet, kam bey dem General Bauer in Diensten, und von diesem zu dem Menzicof, welcher aus einem Pastetenbäcker Fürst, und der erste im Reiche gewor den war. Endlich ward sie die Gemahlinn Peters des großen, und nach seinem Tode unumschränkte Beherrscherinn, und verdiente es zu seyn. Sie machte die Sitten ihres Gemahls weit gelinder, und errettete weit mehr Rücken von der Knute, und weit
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mehr Köpfe von dem Beile, als selbst der General le Fort. Man liebte sie, man verehrte sie. Ein deutscher Baron, ein Bereuter eines Abts von Fulde, würde Catharinen nicht geheirathet haben; Peter der große aber glaubte nicht, daß das Verdienst vor ihm zwey und dreyßig Felder nöthig habe. Die Monar chen glauben ganz gerne, daß nichts gewest ist, als was sie dazu machen, und daß vor ihnen alles gleich ist. Es ist gewiß genug, daß die Geburt eben so wenig Unterschied unter den Menschen macht, als unter zwey Eseln, wovon des einen Vater Mist trug, und des andern Vater Reliquien trug. Die Erzie hung macht den Unterschied groß, die Geschicklichkei ten machen ihn noch größer, und das Glück am aller größten. Catharina hatte bey ihrem Pfarrer in Esthen wenigstens eine eben so gute Auferziehung ge habt, als alle Boyardinnen in Moscau und in Arch angel, und war über dieses mit mehr Gaben und mit einer größern Seele gebohren. Sie hatte das Haus des General Bauers und des Fürsten Menzi kof verwaltet, ohne daß sie schreiben oder lesen konnte. Wer ein Haus wohl zu regieren weiß, der kann auch ein Reich regieren. Dieses scheint vielleicht ein Pa radoxon zu seyn; gleichwol ist es gewiß, daß einerley Geist der Ordnung, der Weisheit und Standhaftig keit erfordert wird, hundert Personen zu befehlen, als hundert Millionen. Alexius Czaarowiz, der Sohn des großen Pe ters, welcher, wie man saget, eben so, wie sein Va ter, eine Sclavinn heirathete, und eben so, wie er das Reich heimlich verließ, hatte in diesen zwey Un ternehmungen nicht gleiches Glück, und es kostete
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dem Sohne das Leben, daß er dem Vater zur Unzeit nachgeahmet hatte. Dieses war eines der schrecklich sten Beyspiele der Strenge, welches jemals von der Höhe des Thrones ist gegeben worden. Es ist aber dem Andenken der Catharina nicht wenig rühmlich, daß sie an dem Unglücke dieses Prinzen, welcher aus einer andern Ehe erzeuget war, und nichts liebte, was sein Vater liebte, keinen Theil hatte. Man konnte sie nicht anklagen, daß sie als eine grausame Stiefmutter gehandelt habe. Das große Verbre chen des unglücklichen Alexius war, daß er allzusehr rußisch war, und alles misbilligte, was sein Vater großes und unsterbliches zur Ehre seines Volkes that. Als er einmal verschiedene Moscowiter sich über die unerträgliche Arbeit beklagen hörte, welche ihnen der Bau von Petersburg machte, sagte er zu ihnen: Tröstet euch; diese Stadt soll nicht lange dauern. Wann er seinem Vater in Reisen von fünf bis sechs hundert Meilen, dergleichen der Czaar oft unternahm, folgen sollte, so stellte er sich krank. Man purgierte ihn trefflich, einer Krankheit wegen, die er nicht hatte; so daß die vielen Arztneyen, nebst dem häufigen Aquavite, seiner Gesundheit und seinem Geiste nicht wenig schadeten. Er hatte Anfangs Neigung etwas zu lernen; er verstund die Meßkunst, die Geschichte, und die deutsche Sprache, allein er liebte den Krieg nicht, und wollte ihn auch nicht ler nen, worüber ihm der Vater die meisten Vorwürfe machte. Man hatte ihn mit einer Prinzeßinn von Wolfenbüttel verheirathet, eine Schwester der Kaise rinn, der Gemahlinn Carls des VIten im Jahre 1713. Diese Heirath schlug unglücklich aus. Die
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Prinzeßinn sah sich oft für Ausschweifungen in Branntewein, und für Afrosinen, einer großen, wohl gewachsenen und sehr sittsamen Finnländerinn, verlassen. Man will, die Prinzeßinn sey vor Verdruß gestor ben, wenn man anders aus Verdruß sterben kann, und der Czaarowitz habe im Jahre 1713 Afrosinen heimlich geheirathet; gleich zu der Zeit, als die Kaiserinn Ca tharina ihm einen Bruder gab, den er lieber nicht gehabt hätte. Die Mishelligkeiten zwischen Vater und Sohn wurden von Tag zu Tag ernstlicher, bis Peter im Jahre 1716 dem Prinzen drohte, ihn zu enterben, und der Prinz ihm antwortete, er wollte ein Mönch werden. Im Jahre 1717 erneuerte Peter seine Reisen, Theils aus Neugierde, Theils aus Staatsklugheit, und gieng endlich nach Frankreich. Hätte sich sein Sohn wider ihn empören wollen, hätte er wirklich Leute auf seiner Seite gehabt, so wäre das die Zeit gewesen vorzubrechen. Doch an statt in Rußland zu bleiben, und sich daselbst Anhänger zu machen, nahm er gleichfalls eine Reise vor, und hatte Mühe etliche tausend Ducaten zusammen zu bekommen, die er heimlich aufborgte. Er warf sich in die Arme des Kaisers Carls des VIten, des Bruders seiner ver storbenen Gemahlinn. Man behielt ihn eine Zeit lang in Wien ganz geheim, und schickte ihn endlich nach Neapel, wo er länger als ein Jahr blieb, ohne daß der Czaar noch sonst jemand in Rußland von sei nem Aufenthalte etwas erfahren konnte. Indessen, da der Sohn so verborgen lag, war der Vater in Paris, wo er mit eben den Ehrenbezei
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gungen empfangen wurde, als anderwärts, mit einer Artigkeit aber, die er nirgends als in Frankreich fin den konnte. Wenn er eine Manufactur besah, und ein Stück zog seine Augen mehr auf sich, als ein an ders, so machte man ihm des Morgens darauf ein Geschenk damit. Er speiste einmal bey dem Herzo ge von Antin in Petitbourg; das erste, was er da selbst sah, war sein Bildniß in Lebensgröße, und mit eben dem Kleide, welches er trug. Als er die königliche Münze besah, schlug man in seiner Gegen wart Schaustücke, von verschiedener Art, die man ihm überreichte; endlich schlug man eine, die man ausdrücklich zu seinen Füßen fallen ließ. Er hob sie auf, und fand sein Bildniß vollkommen auf dersel ben, mit der Ueberschrift: Peter der Große . Der Revers zeigte eine Fama mit den Worten: Vi res acquirit eundo; eine Anspielung, die eben so rich tig war, als sie einem Prinzen schmeicheln mußte, der in der That seine Verdienste durch sein Reisen vermehrte. Nachdem er dieses Land gesehen hatte, wo alles die Menschen zur Gelindigkeit und Sanftmuth anlo cket, kehrte er in sein Vaterland zurück, und nahm seine Strenge wieder an. Er hatte endlich seinen Sohn dahin gebracht, daß er von Neapel nach Pe tersburg zurück kam. Dieser junge Prinz ward hierauf vor den Czaar, seinen Vater, nach Moscau ge bracht, welcher ihn vors erste der Nachfolge beraub te, und ihn, zu Ende des Monats Jenner 1718, ei ne förmliche Entsagungsacte unterschreiben ließ. Vermöge dieser Acte versprach der Vater dem Sohne ihn bey dem Leben zu lassen.
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Es war nicht ganz unwahrscheinlich, daß eine sol che Acte einmal für nichtig würde erkläret werden. Damit der Czaar ihr also desto mehr Nachdruck ge ben möchte, so vergaß er, daß er Vater sey, und gedachte bloß daran, daß er Stifter eines Reichs sey, welches sein Sohn wieder in die Barbarey stür zen könnte. Er ließ den Proceß wider diesen unglück lichen Prinz öffentlich anstellen, den man auf einige Puncte gründete, die er in dem Geständnisse, das man Anfangs von ihm verlanget hatte, sollte ver schwiegen haben. Man versammelte die Bischöfe, Aebte und Pro fessores, welche in dem alten Testamente fanden, daß diejenigen, welche ihrem Vater oder ihrer Mutter fluchen, getödtet werden sollen; daß zwar David sei nem Sohne Absalon, als er einen Aufstand wider ihn erreget, verziehen hätte, aber Gott habe ihm nicht verziehen. Dieses war ihre Meynung, ohne was daraus zu schlüßen; in der That aber war es nichts anders, als ein Todesurtheil. Alexius hatte niemals seinem Vater gefluchet; er hatte sich nie, wie Absalon, wider ihn empöret; er hatte nicht öf fentlich bey den Kebsweibern des Königs geschlaffen; er war ohne väterliche Erlaubniß gereiset, und hatte Briefe an seine Freunde geschrieben, in welchen er ihnen zu verstehen gab, er hoffe, sie würden seiner in Rußland einmal gedenken. Unterdessen war doch unter hundert und zwanzig weltlichen Richtern nicht ein einziger, welcher ihn nicht zum Tode verdammte, und diejenigen, welche ihren Namen nicht unterschrei ben konnten, ließen andere für sich unterzeichnen. Man hat in Europa gesaget, der Czaar habe sich
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den Criminalproceß des Don Carlos aus dem Spa nischen in das Rußische übersetzen lassen: dieser un glückliche Prinz, welchen sein Vater Philipp der zweyte in das Gefängniß hatte legen lassen, wo die ser Erbe einer großen Monarchie starb. Dieser Cri minalproceß aber ist niemals da gewesen, und nie hat man die Todesart dieses Prinzen erfahren, sie mag nun gewaltsam oder natürlich gewesen seyn. Peter, der unumschränkteste von den Monarchen, brauchte kein Beyspiel. So viel ist gewiß, sein Sohn starb den Tag darauf auf seinem Bette im Gefängnisse, und der Czaar hatte in Moscau eine von den schönsten Apotheken in Europa. Gleichwol ist es wahrscheinlich, daß der Prinz Alexius, der Erbe der weitläuftigsten Monarchie in der Welt, wel chen einzig und allein die Unterthanen seines Vaters, die einmal die Seinigen werden sollten, verdammet hatten, aus Bestürzung über ein so außerordentliches und trauriges Urtheil kann gestorben seyn. Der Va ter gieng seinen sterbenden Sohn zu sehen, und man saget, daß er Thränen vergossen habe: infelix ut cunque ferent ea fata nepotes. Dieser Thränen un geachtet wurden die Räder mit den Gliedern seiner Freunde dennoch bedecket. Er ließ seinem eigenen Schwager, dem Grafen Lapuchin, einem Bruder sei ner Gemahlinn Ottokesa Lapuchin, welche er verstos sen hatte, und Oheim des Prinzen Alexius, den Kopf abschlagen. Ein gleiches Schicksal hatte der Beicht vater des Prinzen. Wenn Moscau gesittet gewor den ist, so muß man bekennen, daß es ihm theuer zu stehen gekommen.
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Das übrige Leben des Czaars war nichts als eine Folge seiner großen Absichten, Unternehmungen und Thaten, welche die ausschweifende Strenge, die viel leicht nöthig war, zu entschuldigen schienen. Er hielt oft an seinen Hof und an seinen Rath Reden. In einer von diesen Reden sagte er einmal, er habe seinen Sohn der Wohlfahrt seiner Staaten aufgeopfert. Nach dem ruhmreichen Frieden, welchen er end lich 1721 mit Schweden schloß, und durch den ihm Liefland, Esthen, Ingermanland, und die Hälfte von Carelien abgetreten wurde, trugen ihm die rus sischen Landstände den Beynamen des Großen, des Vaters des Vaterlandes und Kaisers an. Diese Landstände wurden durch den Senat vorgestellet, wel cher ihm diese Titel auf das feyerlichste, in Gegen wart des Grafen von Kinski, kaiserlichen Ministers, des französischen Abgesandten Herrn von Lampreden, und der Abgesandten von Preußen und Holland, bey legte. Nach und nach haben es sich die sämmtlichen europäischen Häupter gefallen lassen, den Häuptern Rußlands den Titel des Kaisers beyzulegen; gleich wol hindert diese Würde nicht, daß die Abgesandten von Frankreich nicht allezeit den Rang vor den rußi schen Abgesandten haben sollten. Die Russen müssen unwidersprechlich den Czaar als den allergrößten Mann betrachten. Er ist ein Held von dem baltischen Meere an, bis an die Grän zen von China. Ist er es aber auch unter uns? Ist er in Ansehung der Tapferkeit mit unsern Con des, mit unsern Villars, und in Ansehung seiner Einsichten, seines Witzes und seiner Sitten, mit einer
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Menge Menschen in Vergleichung zu setzen, mit welchen wir leben? Nein; er war aber ein König, und zwar ein übel erzogener König, und er hat mehr gethan, als vielleicht tausend Prinzen, wenn sie an seiner Stelle gewesen wären, nicht würden gethan haben. Er hat diejenige Stärke des Geistes gehabt, welche einen Menschen über alle Vorurtheile, über alles, was ihn umgiebt, und über alles, was vor ihm vorher gegangen ist, erheben. Er ist ein Bau meister, welcher mit Ziegelsteinen gebauet hat, und welcher anderwärts mit Marmor würde gebauet ha ben. Wenn er in Frankreich regieret hätte, so hätte er die Künste von dem Puncte, worauf er sie gefun den, bis zu dem höchsten Gipfel geführet. Man bewundert ihn, daß er fünf und zwanzig große Schiffe auf dem baltischen Meere gehabt hat, und in unsern Häfen würde er vielleicht zweyhundert ge habt haben. Wenn man betrachtet, was er aus Petersburg gemacht hat, so mag man schlüßen, was er würde aus Paris gemacht haben. Worüber ich mich am meisten wundere, ist die wenige Hoffnung, welche das menschliche Geschlecht haben konnte, daß ein Mann wie der Czaar Peter in Moscau würde ge bohren werden. Es war eine Zahl, welche der Zahl aller Menschen, die jemals in Rußland gele bet haben, gleich ist, gegen die Einheit zu setzen, daß diese dem Geiste der Nation so entgegen gesetzte Gemüthsart kein Russe bekommen würde; es waren über dieses funfzehn Millionen, denn so viel sind itzo Einwohner in Rußland, gegen einen zu setzen, daß
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dieses Schicksal nicht den Czaar treffen würde. Un terdessen ist die Sache doch erfolget. Es war eine unaussprechliche Zahl Combinations und Jahrhun derte nöthig, ehe die Natur denjenigen hervorbrach te, welcher den Plüg erfunden, oder uns die Kunst zu weben lehren sollte. Itzo sind die Russen über ihren Fortgang nicht mehr erstaunt; sie haben sich in weniger als funfzig Jahren mit allen Künsten gemein gemacht. Man sollte sagen, daß diese Künste bey ihnen, wer weiß wie alt wären. Es giebt noch sehr weitläuftige Gegenden in Africa, welche einen Czaar Peter brauchten; er wird vielleicht nach einigen Mil lion Jahren kommen; denn alles kömmt nicht anders als sehr spät.
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VII. Zwey Briefe über die Herren, Johann Law, Melon und Dutot.

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Brief

über die Herren Johann Law, Melon und Dutot.

Man versteht seit zwanzig Jahren die Handlung in Frankreich besser, als man sie von Pharamund an bis auf Ludewig den vierzehnten verstanden hat. Vordem war es eine verborge ne Kunst, und eine Art der Chymie in den Händen von drey bis vier Menschen, die in der That Gold mach ten, und ihr Geheimniß nicht sagten. Der größte Theil der Nation war so erstaunend unwissend in diesem wichtigen Geheimnisse, daß kaum unter den Staatsbedienten und Richtern einer war, der wußte, was Actien, Primen, Wechsel und Dividende wa ren. Es mußte deswegen ein Schottländer, Na mens Johann Law, nach Frankreich kommen, und die ganze Verfassung unserer Regierung über den Haufen werfen, um uns zu unterrichten. Er unter
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stund sich in der allerjämmerlichsten Verwirrung un serer Finanzen, und bey dem allgemeinsten Mangel eine Bank und eine indianische Handelsgesellschaft zu errichten. Es war dieses ein Brechmittel für Kranke; wir nahmen aber etwas zu viel davon, und bekamen Convulsionen. Jedoch blieb endlich von den Trüm mern seines aufgeführten Gebäudes eine indianische Handlungsgesellschaft mit einer liegenden Summe von funfzig Millionen für uns übrig. Was würde es erst gewesen seyn, wenn wir von der Arztney nur so viel, als sich gebührte, genommen hätten? Der Staatskörper würde meines Erachtens itzo der stärkste und wichtigste des ganzen Erdbodens seyn. Es herrschte noch ein so grobes Vorurtheil unter uns, als die gegenwärtige indianische Handlungsge sellschaft errichtet wurde, daß die Sorbonne den Di vidend der Actien für einen unerlaubten Wucher erklärete. Es geschah auf eben eine solche Art, wie man die deutschen Buchdrucker, die im Jahre 1570 nach Frankreich kamen, ihre Kunst zu treiben, als Zauberer anklagte. Man muß es gestehen, wir Franzosen seyn in allen Arten von Künsten sehr spät gekommen; unsre ersten Schritte in den Künsten ha ben darinnen bestanden, uns der Einführungen der Wahrheiten, die von andern Orten zu uns kamen, zu widersetzen. Wir haben Sätze wider den in Eng land erwiesenen Umlauf des Geblüts, und wider die in Deutschland gründlich gezeigte Bewegung der Erde behauptet. Man hat so gar heilsame Arztneymittel durch obrigkeitliche Verordnungen verbannet. Wahr heiten anzeigen, einige den Menschen nützliche Dinge vorschlagen, ist ein sicheres Mittel verfolget zu wer
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den. Johann Law, derjenige Schottländer, dem wir unsere indianische Handlungsgesellschaft und die Wissenschaft des Handlungswesens zu danken haben, wurde aus Frankreich verjaget, und starb zu Vene dig im größten Elende, und dem ungeachtet haben wir itzo auf achtzehn hundert Kauffartheyschiffe, da wir damals, als er seinen Entwurf aufs Tapet brachte, kaum drey hundert hatten. Das haben wir ihm zu danken, und wir sind weit von der Dankbar keit entfernet. Die Grundsätze des Handels sind heut zu Tage jedermann bekannt. Seit einiger Zeit haben wir gute Bücher dieses Inhalts bekommen. Der Versuch über die Handlung von dem Herrn Melon , ist ein Werk eines witzigen Kopfes, eines guten Bür gers und eines Weltweisen: es schmecket nach dem Geiste des Jahrhunderts, und ich glaube nicht, daß selbst zu der Zeit des Herrn Colberts zween Menschen im Stande gewesen wären, ein solches Buch zu lie fern. Nichts desto weniger sind Fehler genug in die sem guten Werke; so schwer ist der Weg zur Wahr heit. Es ist ungemein nützlich, die Versehen in ei nem guten Buche anzumerken. Und eben da muß man sie aufsuchen; denn das heißt ein gutes Werk verehren, wenn man demselben widerspricht: die übrigen verdienen solche Ehre nicht. Folgende Sätze haben mir ungegründet zu seyn geschienen. 1. Er saget: In den Ländern, wo die meisten Bettler wären, herrschte die größte Barbarey. Ich glaube, daß keine Stadt weniger barbarisch sey als Paris, und wo mehrere Bettler anzutreffen wären. Es ist ein Geschmeiß, das dem
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Reichthume nachgeht; die Faulenzer laufen von dem Ende des Königreichs nach Paris, um daselbst von den Vermögenden und Wohlthätigen eine Schatzung einzutreiben. Es ist ein Misbrauch, der schwerlich auszurotten ist; der aber nur beweist, daß es solche leichtsinnige Leute giebt, die lieber um Allmosen bet teln, als ihr Brodt verdienen wollen. Es ist ein Beweis des Reichthums und der Nachläßigkeit, kei nesweges aber der Barbarey. 2. Er wiederholet an unterschiedenen Orten, daß Spanien ohne America mächtiger seyn wür de. Er gründet sich auf die Entvölkerung Spaniens, und auf die Ohnmacht, worinn dieses Königreich seit langer Zeit geschmachtet hat. Diese Meynung, daß America Spanien entkräftet, findet sich fast in hundert Schriftstellern; wenn sie aber hätten in Erwägung zie hen wollen, daß die Schätze der neuen Welt die Befe stigung der Macht Carls des fünften gewesen, und daß Philipp der zweyte Meister von ganz Europa geworden seyn würde, wenn Heinrich der Große, Elisabeth und die Prinzen von Oranien nicht Helden gewesen wären; würden sie ihre Meynungen ohne Zweifel geändert haben. Man hat geglaubt, daß die spa nische Monarchie zu Grunde gerichtet wäre, weil die Könige, Philipp der Dritte, Philipp der Vierte, und Carl der Zweyte unglücklich oder schwach gewe sen sind. Man sehe aber nur, wie diese Monarchie unter dem Kardinal Alberoni auf einmal ein neues Leben bekommen hat, man werfe seine Augen auf Africa und Asien, den Kriegsschauplatz der gegen wärtigen spanischen Regierung; so wird man bald einräumen müssen, daß die Völker dasjenige sind,
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wozu sie die Könige oder die Staatsbedienten machen. Der Muth, die Tapferkeit, der Fleiß und alle Ga ben bleiben vergraben, so lange bis ein Geist er scheint, der sie erwecket. Das Capitolium wird itzo von Barfüßermönchen bewohnt, und man theilet itzo an eben dem Orte Rosenkränze aus, wo die über wundenen Könige dem Wagen eines Pauls Aemils nachfolgten. Es darf nur ein Kaiser seine Residenz zu Rom nehmen, der ein Julius Cäsar ist, so wer den alle Römer selbst wieder Cäsars werden. Was die Entvölkerung Spaniens betrifft, ist solche gerin ger, als man vorgiebt; und überhaupt von der Sa che zu reden, sind nicht dieses Königreich und die Länder in America, die davon abhangen, heut zu Tage Provinzen eines einzigen Reiches, die durch einen Zwischenraum, den man in zween Monaten zurück legen kann, getrennet sind? Endlich werden ihre Schätze durch einen nothwendigen Umlauf auch uns zu Theile; die Coschenille, der Indig, die Chi nachinä, die Bergwerke von Mexico und Peru sind unser, und unsere Manufacturen sind folglich spanisch. Wenn America ihnen zur Last gereichte, würden sie wohl so lange Zeit darauf bestehen, denen Fremden den Eingang in dieses Land zu versperren? Verwah ret man denn die Wälle seines Verderbens so sorgfäl tig, wenn man zwey hundert Jahre Zeit gehabt, seine Ueberlegungen darüber zu machen? 3. Er saget: Der Verlust der Soldaten wäre nicht das betrübteste in den Kriegen; hundert tausend erschlagene Soldaten wären ein gar geringer Theil gegen zwanzig Millionen; die Vermehrungen der Auflagen hingegen machten
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zwanzig Millionen Menschen unglücklich. Ich will es ihm überhin gehen lassen, daß zwanzig Millionen Menschen in Frankreich seyn sollen; allein das kann ich ihm nicht vergeben, daß es besser sey, hundert tausend Menschen auf die Schlachtbank zu liefern, als von dem Reste der Nation einige Auf lagen bezahlen zu lassen. Das ist noch nicht alles; es ist hier ein befremdlicher und betrübter Irrthum im Rechnen begangen worden. Ludewig der Vierzehnte hat das ganze Corps zur See mitgerechnet, zur Zeit des Krieges im Jahre 1701 vier hundert und vierzig tausend Mann in seinem Solde gehabt. Niemals ist das römische Reich an Truppen so stark gewesen. Man hat bemerket, daß der fünfte Theil einer Armee während eines Feldzuges entweder durch Krankheiten, oder durch andere Zu fälle, oder durch Feuer und Schwerdt umkamen. Das sind acht und achtzig tausend starker Leute, die der Krieg jedes Jahr aufrieb; folglich verlor der Staat binnen zehn Jahren acht hundert und achtzig tausend Menschen, und mit ihnen die Kinder, die sie hätten, zeugen können. Wenn nun Frankreich ungefähr achtzehn Millionen Menschen begreift, und man da von fast die Hälfte für die Weiber abzieht, hier nächst die alten Leute, die Kinder, die Geistlichkeit, die Mönche, Obrigkeiten und Ackerleute abrechnet, was bleibt zur Vertheidigung der Nation übrig? Unter achtzehn Millionen wird man kaum achtzehn hundert tausend Mann finden, und der Krieg reibt binnen zehn Jahren deren auf neun hundert tausend
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auf; er reißt unter einer Nation die Hälfte derjeni gen, die für sie streiten können, hin; und man kann doch noch behaupten, daß eine Auflage betrübter sey, als ihr Tod? Nachdem ich diese Unachtsamkeiten, die der Ver fasser selbst würde getadelt haben, angemerket, will ich mir nun den Verdruß anthun, alles das, was er von der Freyheit der Handlung, von den Waaren, von dem Wechsel, und vornehmlich von der Pracht saget, zu rühmen. Diese kluge Schutzrede der Pracht ist bey diesem Schriftsteller um so viel schätz barer, und hat in seinem Munde ein so viel größeres Gewicht, weil er als ein Weltweiser lebte. Und was ist denn die Pracht? Es ist ein Wort ohne bestimmte Bedeutung, ungefähr so, wie wir die Himmelsgegenden Morgen und Abend nennen. In der That ist weder Morgen noch Abend; es ist kein Punct, wo die Erde auf- oder untergehe, oder vielmehr ein jeder Punct ist Morgen und Abend. Eben so verhält es sich mit der Pracht; entweder es ist dergleichen gar nicht, oder sie ist überall. Man gedenke einmal an die Zeiten zurück, da unsere Vä ter keine Hemden trugen. Wenn jemand zu ihnen gesaget hätte, ihr müßt einen noch feinern und leich tern Zeug, als das feinste Tuch ist, auf eurer Haut tragen; derselbe muß weiß, wie der Schnee, seyn, und ihr müßt ihn täglich verändern; und wenn er etwas schmutzig worden, muß eine durch die Kunst verfertigte Zusammensetzung demselben seine erste
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Weiße wieder geben: würde jedermann ausgerufen haben: Ach welche Verschwendung! welche Verzär telung! ein solcher Aufwand ist kaum für die Kö nige; ihr wollt unsere Sitten und den Staat ver derben. Versteht man etwan durch die Pracht den Auf wand eines reichen Menschen? Allein muß denn ein solcher als ein Armer leben, er, dessen Pracht und Aufwand allein macht, daß die Armen leben können; der Aufwand muß das Wetterglas von dem Glücke einer Privatperson seyn, und die allgemeine Pracht ist ein untrügliches Zeichen eines mächtigen und an sehnlichen Reichs. Unter Carln dem Großen, un ter Franz dem ersten, unter dem großen Colbert, und unter der itzigen Regierung ist der Aufwand am größten gewesen, oder welches einerley ist, sind die Künste am besten getrieben worden. Was wollte der bittere, der satyrische Labruyere? Was wollte dieser gezwungene Menschenfeind sagen, wenn er ausruft: Unsre Vorfahren hüteten sich gar sehr, ein eitles Gepränge nützlichen Dingen vorzuziehen; man sahe bey ihnen keine Wachslichter, um ihre Zimmer damit zu er leuchten; das Wachs war für den Altar und das Louvre; sie sagten nicht, leget die Pferde vor meine Kutsche; das Zinn glänzte auf den Tafeln und Schenktischen; das Silber war in den Kasten et cetera Ein artiger Lobspruch für un sere Väter, daß sie weder Ueberfluß, noch Fleiß,
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noch Geschmack, noch Reinlichkeit gehabt haben! Das Geld war in den Kasten! Wenn das war, so war es eine große Thorheit; das Geld ist zum Umlaufe gemacht, alle Künste dadurch zum Ausbruche zu brin gen, und die Geschicklichkeit der Menschen damit zu erkaufen. Wer es zurück hält, ist ein übler Bürger, ja gar ein schlechter Wirth. Dadurch, daß man es nicht in seinen Kasten eingeschlossen hält, macht man sich dem Vaterlande und sich selbst nützlich. Wird man denn niemals aufhören, die Fehler der vergan genen Zeiten zu loben, um die Vortheile der unsri gen zu verspotten? Dies Buch des Herrn Melon hat uns ein anderes von dem Herrn Dutot verschaffet, welches wegen seiner Gründlichkeit und tiefen Einsicht einen großen Vorzug hat; und das Werk des Herrn Dutot wird uns in kurzem noch ein anderes von dem berühmten Herrn Düvernay verschaffen, welches ohne Zweifel noch weit besser seyn wird, als die an dern beyden, weil es einen Staatsmann zum Ver fasser haben wird. Niemals sind die schönen Wissen schaften mit dem Finanzwesen so genau verbunden gewesen, und das ist abermals ein Vorzug unsers Jahrhunderts.
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Zweyter Brief,

von eben dem Inhalte, worinnen von den Veränderungen der Münzen, von der Pracht der Völker und den Einkünften der Könige gehan delt wird.

Herr Dutot zeiget, daß unter der vorigen Re gierung alle Veränderung der Münze sowol dem Volke, als dem Könige nachtheilig ge wesen sey. Allein sollte kein Fall seyn, da eine Er höhung der Münze nothwendig werden könnte? In einem Staate, zum Exempel, der wenig Geld hat, und schlechte Handlung treibt (in welchen Umständen Frankreich lange Zeit gewesen ist) hat ein Edelmann hundert Mark jährlicher EiukünfteEinkünfte. Um nun entweder seine Töchter auszustatten, oder in den Krieg zu gehen, nimmt er tausend Mark auf, die er jährlich mit funfzig Mark verzinset. Sodann sieht sich sein Haus zu einem jährlichen Aufwande von funf zig Mark herunter gesetzt, um damit alles nöthige zu bestreiten. Indessen macht sich die Nation immer geschickter, sie treibt Handel, und das Geld wird häufiger. Dabey wird, wie es gemeiniglich zu ge schehen pflegt, die Handarbeit theurer, der Auf wand und Staat, den die Würde dieses Hauses er
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fodert, verdoppelt sich, ja wird wohl drey bis vier mal größer, ohne daß das Getreide, worinnen die Haupteinkünfte seines Landgutes bestehen, nach dieser Verhältniß steigt, weil man nicht mehr Brodt ißt, als vormals. Man läßt aber mehr an Pracht auf gehen; was man vor dem um funfzig Mark kaufte, wird zwey hundert kosten, und der Eigenthümer des Landgutes, der sich genöthiget sieht, funfzig Mark jährlicher Zinsen abzutragen, wird so weit gebracht, sein Landgut zu verkaufen. Was ich von dem Edel manne sage, das sage ich von der Obrigkeit, von dem Gelehrten et cetera wie von dem Ackersmanne, der sein Zinngeräthe, seine silberne Schale, sein Bette, seine Leinwand theuer bezahlen muß. Selbst das Haupt einer Nation befindet sich mit in diesem Falle, wenn er weiter nichts, als eine gewisse festgesetzte Summe und gewisse Gerechtigkeiten hat, die er, aus Furcht ein Murren zu erregen, nicht zu sehr erhöhen darf. In diesen dringenden Umständen ist nur eine ein zige Partey, die man ergreifen kann, nämlich dem Schuldner seine Last zu erleichtern. Man kann ihm aber durch Aufhebung der Schulden helfen. So pflegte man es ehemals bey den Aegyptiern und bey den meisten morgenländischen Völkern nach Verlauf von funfzig oder dreyßig Jahren zu machen. Diese Gewohnheit war so hart nicht, als man sich einbil det; denn die Gläubiger hatten, zu Folge dieses Ge setzes, schon ihre Maaßregeln genommen, und ein weit voraus gesehener Verlust ist kein Verlust mehr. Ob schon dieses Gesetz bey uns nicht im Schwange ist, so hat man doch wirklich seine Zuflucht dazu nehmen müssen, ungeachtet der Umschweife, die man
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dabey gemacht hat: denn ein Mittel finden, nicht mehr, als den vierten Theil von dem, was man schuldig ist, zu bezahlen, ist das nicht eine Art eines Jubeljahres. Dieses Mittel hat man nun gar leicht gefunden, indem man den Geldsorten einen bloß in der Einbildung bestehenden Werth beygeleget, und gesaget hat, daß dieses Goldstücke, welches sechs Franken galt, itzo vier und zwanzig gelten sollte, und daß der, welcher vier solcher Goldstücken, da jeder sechs Franken betrug, schuldig war, itzo durch Erlegung eines einzigen von der Art, das man vier und zwanzig Franken nennen will, von seiner Schuld los kommen könne. Da diese Veränderungen nur nach und nach sind gemacht worden, haben sie kein so großes Schrecken verursachet. Der, welcher zu gleicher Zeit Schuldner und Gläubiger war, ge wann auf der einen Seite das, was er auf der an dern verlor; ein anderer trieb Handel und Wandel, und ein dritter endlich litt darunter wirklich, und fand sich genöthiget, sparsamer hauszuhalten. So haben es alle europäische Nationen gemacht, ehe sie eine ordentliche und mächtige Handlung er richtet haben. Gehen wir zu den Römern zurück, so werden wir finden, daß das Aß, das Pfund Kupfer zu zwölf Unzen, auf neun Pfennige nach unsrer heu tigen Münze herunter gesetzet worden ist; bey den Engländern ist ein Pfund Sterling von sechzehn Unzen Silber auf fünf und einen halben Thaler ge fallen. Das Pfund Groschen bey den Holländern beträgt nicht mehr als ungefähr drey Thaler; aber unsere französischen Pfunde haben die allergrößten Veränderungen erlitten.
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Zur Zeit Carls des Großen bemerken wir eine gewisse gangbare Münze, die den zwanzigsten Theil eines Pfundes betrug, von der römischen Benennung Solidum einen Soliden, und aus diesem Worte ist Sou entstanden, eben so, wie aus dem Monate August das verdorbene Aout, den wir gar, aus zu großer Höflichkeit, Ou nennen; so daß in unserer so gereinigten und zierlichen Sprachehodieque manent vestigia ruris. Kurz, dieser Solide, dieser Sou, welcher den zwanzigsten Theil eines Pfundes, und den zehnten einer Mark Silbers ausmacht, ist itzt eine geringe Kupfermünze, die den tausend neun hundert und zwanzigsten Theil eines Pfundes beträgt, die Mark Silber zu neun und vierzig Franken ge rechnet. Diese Rechnung ist fast unglaublich, und man findet durch diese Ausrechnung, daß eine Fa milie, die vor Zeiten hundert Soliden jährlicher Ein künfte gehabt, und davon sehr wohl hätte leben kön nen, itzo nicht mehr als fünf Sechstheile eines Tha lers zu sechs Franken jährlich zu verzehren haben würde. Was beweiset dieses? Daß wir seit langer Zeit unter allen Nationen die veränderlichste und die glück lichste gewesen seyn; daß wir den Misbrauch eines natürlichen Gesetzes, welches in der Länge die Ret tung unterdrückter Schuldner will, auf einen über mäßigen Grad getrieben haben. Da nun der Herr Dutot die Gefahr dieser schleunigen Erschütterun gen, welche die Veränderungen des angenommenen Werthes der Münzsorten in den Staaten verursachen, so wohl gezeiget hat, so kann man wohl glauben,
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daß in einer so erleuchteten Zeit, als unsere ist, wir dergleichen Ungewitter nicht mehr erfahren werden. Was mich in dem Buche des Herrn Dutot am mei sten in Verwunderung gesetzet hat, ist daselbst zu sehen, daß Ludewig der Zwölfte , Franz der Erste, Heinrich der Zweyte und Heinrich der Dritte reicher gewesen seyn sollen, als Ludewig der Funfzehnte. Wer sollte geglaubt haben, daß Heinrich der Dritte, nach heutigem Fuße gerechnet, hundert und drey und sechzig Millionen mehr Einkünfte gehabt hat, als der itzige König? Ich gestehe es, ich erhole mich noch nicht von meinem Erstaunen; denn wie kam es, daß Heinrich der Dritte mit allen diesen erstaunenden Schätzen doch nur mit genauer Noth den Spaniern gewachsen war? Wie wurde er von den Guisen ge mishandelt? Wie war Frankreich von allen Künsten und Manufacturen entblößet? Warum war kein schönes Haus, kein kostbarer von den Königen er bauter Palast, keine Pracht und kein Geschmack, der dem Reichthume auf dem Fuße nachfolget, zu Paris? Heut zu Tage hingegen umgeben drey hun dert Festungen, die beständig wohl unterhalten wer den, unsere Gränzen, und wenigstens zwey hundert tausend Mann vertheidigen sie. Die Truppen, welche das Haus des Königs ausmachen, können mit Recht mit jenen zehn tausend mit goldenen Schilden versehenen Soldaten in Vergleichung ge stellet werden, die den Wagen eines Xerxes und ei nes Darius begleiteten. Paris ist zweymal volkrei cher und hundertmal reicher, als zu den Zeiten Heinrichs des Dritten. Der Handel, der damals
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schmachtete, und nichts war, blühet heut zu Tage zu unserm großen Vortheile. Seit der letztern Umschmelzung der Münzsorten findet sich, daß mehr als 1200 Millionen an Gold und Silber in die Münze gekommen sind. Man sieht aus dem Pacht vom Mark, daß in Frankreich fast für eben so viel von diesem verarbeiteten Metalle sey. Es ist wahr, daß, ungeachtet dieser erstau nenden Reichthümer, das Volk in den Misjahren zuweilen für Hunger sterben möchte: allein davon ist die Rede hier nicht. Die Frage ist, wie es kömmt, daß, da die Nation ungleich reicher ist, als in den vorigen Jahrhunderten, des Königs Einkünfte weit geringer seyn sollten? Wir wollen einmal das Vermögen Ludewigs des Funfzehnten mit den Schätzen Franz des ersten ver gleichen. Die Einkünfte des Staats betrugen da mals sechzehn Millionen Pfunde, und das Pfund damaliger Zeit verhielt sich gegen eins zu unserer Zeit, wie eins gegen vier und ein halbes. Sechzehn Millionen machten also von den unsern zwey und sie benzig. Mit zwey und siebenzig unserer Millionen also würden wir eben so reich seyn, als sie damals, Allein die Einkünfte des Staats betragen zwey hun dert Millionen; folglich ist aus diesem Grunde Lu dewig der funfzehnte um 128 unserer Millionen rei cher, als Franz der erste war; folglich ist der König un gefähr viermal so reich, als Franz der Erste; folg lich zieht er viermal so viel von seinen Unterthanen,
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als Franz der Erste von ihnen zog. Das ist schon ziemlich weit von der Rechnung des Herrn Dutot unterschieden. Er giebt vor, um seinen Satz zu erweisen, daß die Lebensmittel itzo funfzehnmal theurer sind, als im sechzenten Jahrhunderte. Wir wollen diesen Preis der Lebensmittel ein we nig untersuchen. Man muß sich an den Preis des Korns in den Hauptstädten, und zwar in gemeinen Jahren halten. Ich finde viele Jahre im sechzehn ten Jahrhundert, in denen das Korn funfzig, fünf und zwanzig, zwanzig, achtzehn Sous, auch wohl auf vier Franken gegolten hat. Ich rechne also auf ein gemeines Jahr dreyßig Sous. Itzo kostet das Korn ungefähr zwölf französische Pfund, also sind die Lebensmittel itzo nur in einem achtmal höhern Preise, und in eben dieser Verhältniß ist der Preis auch in England und Deutschland gestiegen. Allein diese dreyßig Sous des sechzehnten Jahrhunderts galten fünf Pfund funfzehn Sous, nach itzigem Gelde. Fünf Pfund, funfzehn Sous machen bey nahe die Hälfte von zwölf Pfunden; folglich kauft Ludewig der Funfzehnte, der dreymal reicher ist als Franz der erste, die Sachen im Gewichte nach Marken, nur doppelt so theuer, als man sie da mals kaufte. Ein Mensch nun, der neun hundert Franken hat, und eine Waare zu sechs hundert Franken kaufet, bleibt allerdings um hundert Thaler reicher, als der,
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welcher, da er nur drey hundert Pfund hat, eben diese Waare um die drey hundert Pfund erhandelt; Ludewig der funfzehnte bleibt also um ein Drittheil reicher, als Franz der Erste. Das ist aber noch nicht alles; an statt alle Waa ren um doppelt höhern Preis zu erkaufen, erhan delt er die Soldaten, die nöthigste Waare der Kö nige, um einen weit billigern Preis, als seine Vorfahren. Unter Franz dem Ersten und unter Heinrich dem Zweyten bestund die Stärke der Armeen in einer königlichen Leibwache aus Landskindern, und in frem den Truppen zu Fuß, die wir mit unsern Truppen nicht vergleichen können; aber die Infanterie wird unter Ludewig dem Funfzehnten fast auf eben den Fuß und in eben dem Preise bezahlet, wie unter Heinrich dem Vierten. Der Soldat verkauft sein Leben um sechs Sou (ein und zwanzig Pfennige) den Tag, indem er seine Kleidung mitrechnet; diese sechs Sou galten zu den Zeiten Heinrichs des Vier ten zwölfe von gleichem Werthe; folglich kann man mit eben den Einkünften; die Heinrich der Große hatte, doppelt so viel Soldaten unterhalten, und mit einer doppelt so großen Summe kann man vier mal so viel Truppen in Sold nehmen. Was ich hier sage, zeiget zur Gnüge, daß, ungeachtet der Berechnung des Herrn Dutots, die Könige so wohl als der Staat reicher sind, als sie gewesen. Ich leugne nicht, daß sie dagegen auch mehr ver schuldet seyn.
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Ludewig der Vierzehnte ließ nach seinem Tode mehr als zweymal zehn hundert Millionen Schul den, das Mark zu dreyßig Franken gerechnet; weil er zu gleicher Zeit fünf hundert tausend Mann in Waffen, zwey hundert Schiffe in See haben, und Versailles bauen wollte; und weil in dem, wegen der spanischen Nachfolge, geführten Kriege seine Waffen lange Zeit unglücklich waren. Allein die Rettungsmittel Frankreichs sind weit über seine Schulden. Ein Staat, der nur allein sich selbst schuldig ist, kann nicht arm werden, und diese Schulden selbst sind eine neue Aufmunterung des Fleißes und der Geschick lichkeit.
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VIII. Abhandlung von dem Tode Heinrichs des IV.

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Der schrecklichste Zufall, der sich jemals in Europa ereignet hat, hat die aller häßlichsten Muthmaßungen verursa chet. Fast alle Geschichtbücher von der Zeit des Todes Heinrichs des Vierten, machen die Feinde dieses wackern Königs, seine Höflinge, die Jesuiten, seine Maitresse, seine Gemahlinn selbst verdächtig. Diese Anklagen dauern noch, und man spricht niemals von diesem Tode, ohne ein verwegnes Urtheil zu fällen. Ich bin alle zeit über die unglückselige Leichtigkeit erstaunet, mit welcher selbst Leute, welche am wenigsten eine nieder trächtige Handlung zu begehen fähig sind, die aller erschrecklichsten Verbrechen den Staatsbedienten, den Personen, welche in Aemtern sitzen, Schuld geben. Man klaget sie an, um sich an ihrer Größe zu rächen; man will sich durch die Erzählung der abentheuerlich sten Anekdoten ein Ansehen geben. Es ist mit dem Umgange, wie mit einem Schauspiele, wie mit einer Tragödie, in welcher man durch große Leidenschaf ten und durch große Verbrechen an sich ziehen muß.
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Räuber bringen den Vezier auf der Straße um; ganz Paris klaget einen Prinzen dieses Mords wegen an. Rothfleckichte Entzündungen reißen ansehnliche Personen dahin, sie müssen also alle vergiftet seyn. Nichts hält zurück; weder die Ungereimtheit der Anklage noch der Mangel der Beweise; und die Ver leumdung, welche sich von Mund zu Mund, und bald von Buch zu Buch fortgepflanzet hat, wird in den Augen der allezeit leichtgläubigen Nachwelt eine wichti ge Wahrheit. Seit dem ich meinen Fleiß auf die Ge schichte gewandt habe, haben mich ohn Unterlaß diese ungegründeten Anklagen, womit die Geschichtschrei ber ihre Werke zu beschimpfen sich gefallen lassen, erbittert. Die Mutter Heinrichs des IVten starb am Seiten stechen. Wie viel Schriftsteller lassen sie nicht mit Gifte vergeben werden, und zwar durch einen Hand schuhhändler, welcher ihr vergiftete Handschuh solle verkauft haben; und der Kaufmann soll der Gift mischer der Katharine von Medicis gewesen seyn. Selten läßt man es sich einkommen zu zweifeln, daß der Pabst Alexander der VI vom Gifte gestorben sey, welches er für den Kardinal Corneto und für einige andere Kardinäle, deren Erbe er gerne seyn wollte, habe zubereiten lassen. Guicciardini, ein zeitverwandter Schriftsteller, ein Schriftsteller, der in Ansehen steht, saget, daß man den Tod dieses Pabstes diesem Verbrechen und dieser Bestrafung des Verbrechens schuld gegeben habe; er saget nicht, daß der Pabst ein Giftmischer gewesen, er giebt es nur zu verstehen, und Europa hat es nur allzuwohl verstanden.
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Ich aber unterstehe, mich dem Guicciardini zu sa gen: Europa ist durch euch betrogen worden, und euch haben eure Leidenschaften betrogen. Ihr waret ein Feind des Pabstes, ihr habt eurem Hasse und seinen übrigen Thaten allzuviel geglaubt. Es ist wahr, er hat sich auf die grausamste und meineidigste Art an Feinden, welche eben so mein eidig und grausam waren, gerächet. Hieraus schließet ihr, daß ein Pabst von vier und siebenzig Jahren nicht eines natürlichen Todes gestorben sey: ihr behauptet aus ungewissen Reden, daß ein alter Monarche, dessen Kasten mit mehr als einer Million Ducaten erfüllet waren, einige Kardinäle habe ver giften wollen, um sich ihres Vermögens zu bemächti gen. Doch war denn dieses Vermögen ein so wichti ger Gegenstand? Das Geräthe wurde meistentheils von dem Kammerdiener weggebracht, ehe der Pabst, seine Beute davon zu machen, Zeit fand. Wie kann man glauben, daß ein kluger Mann, eines so klei nen Gewinnstes wegen, eine so schändliche That sollte unternommen haben; eine That, zu welcher Mitschul dige nöthig waren, und die über lang oder über kurz an Tag kommen mußte. Soll man dem Tagebuche der Krankheit des Pabstes nicht mehr glauben, als den Reden des gemeinen Volks? Dieses Tagebuch läßt ihn an einem doppeltdreytägigen Fieber sterben. Man findet nicht die geringste Spur von diesem sei nem Andenken so nachtheiliger Anklage. Sein Sohn Borgia ward zur Zeit, da sein Vater starb, krank, und dieses ist der einzige Grund des Gift mährchens. Vater und Sohn sind zu gleicher Zeit krank; sie müssen also nothwendig vergiftet seyn;
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beyde sind große staatskluge Köpfe, Leute ohne Ge wissen; das Gift muß sie also selbst hingerissen haben, welches sie für zwölf Kardinäle bestimmt hatten. Auf diese Art schließt der Haß; dieses ist die Vernunft lehre eines Volkes, welches sein Haupt verabscheuet; allein die Vernunftlehre eines Geschichtschreibers muß es nicht seyn. Er vertritt die Stelle eines Richters, er spricht die Urtheile der Nachwelt: er muß also niemanden ohne offenbare Beweise für schul dig erklären. Was ich von dem Guicciardini gesaget habe, muß ich auch von den Denkwürdigkeiten des Sully sagen. Diese Denkwürdigkeiten wurden von den Sekretären des Herzogs von Sully, welcher damals durch die Maria von Medicis in Ungnade gefallen war, auf gesetzet. Man ließ einigen Verdacht auf diese Prin zeßinn, welche der Tod Heinrichs des IVten zur Be sitzerinn des Königreichs machte, und auf den Her zog von Espernon, welcher sich alle Mühe gab, sie zur Regentinn erklären zu lassen, darinne merken. Mezeray, welcher mehr Verwegenheit als Beur theilung besaß, bestärket diesen Argwohn; und der Herausgeber des sechsten Theils der Denkwürdigkei ten des Prinzen von Conde, giebt sich die äußerste Mühe, dem elenden Ravaillac die aller ehrwürdig sten Mitverbrecher zu geben. Sind denn nicht La ster genug auf der Welt? Muß man sie auch da su chen, wo keine sind? Man beschuldiget zugleich den Jesuiten, Pater Alagona, einen Vetter des Herzogs von Lerme; den ganzen spanischen Rath, die Königinn Maria von Medicis, die Maitresse Heinrichs des IVten, die
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Frau von Verneuil, und dem Herzoge von Espernon. Man wähle also. Wenn die Maitresse Schuld hat, so ist es nicht wahrscheinlich, daß die Gemahlinn zu gleich Schuld haben solle. Wenn der spanische Rath dem Ravaillac in Neapel das Mordmesser in die Hand gegeben hat, so kann ihn der Herzog von Espernon in Paris nicht verführet haben; er, wel chen Ravaillac den Catholiken von Schrot und Korne nannte, wie man aus dem Processe sieht; er, welcher nichts als lauter großmüthige Handlun gen geübet hatte; er, welcher es verhinderte, daß man den Ravaillac nicht auf der Stelle tödtete, so bald man das blutige Messer bey ihm fand, und welcher durchaus wollte, daß man ihn der Tortur und der Bestrafung aufbehalten sollte. Man hat Beweise, saget Mezeray, daß Priester den Ravaillac bis nach Neapel gebracht haben. Ich antworte, daß man keine Beweise davon hat. Man ziehe den Criminalproceß dieses Ungeheuers zu Rathe, und man wird das Gegentheil davon finden. Die unbestimmten Aussagungen eines gewissen Jardin, und eines gewissen Descomans, können nicht im geringsten demjenigen entgegen gesetzet wer den, was Ravaillac bey der Tortur aussagte. Nichts kann klärer, aufrichtiger, weniger verwirret und weniger unbeständig, nichts kann folglich wahr hafter seyn, als alle seine Antworten. Was hätte er für Nutzen gehabt, die Namen derjenigen zu ver schweigen, welche ihn verführet hätten? Ich be greife ganz wohl, daß ein Verbrecher, wenn er sich mit andern Bösewichtern seines gleichen verbunden hat, anfangs seine Mitschuldigen nicht entdecken will.
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Die Straßenräuber machen sich eine Ehre daraus, denn auch in Schandthaten hat etwas statt, was man Ehre nennet; endlich aber gestehen sie doch alles. Wie sollte also ein junger Mensch, den man verführt hätte, ein Schwärmer, der sich überreden lassen, er würde beschützet werden, nicht seine Verführer gestehen? Sollte er unter den abscheulichsten Martern nicht seine Betrüger anklagen, die ihn zum unglückseligsten un ter allen Menschen gemacht? Ist dieses nicht die erste Bewegung des menschlichen Herzens? Ravaillac besteht in seinen Aussagen darauf: Ich habe was gutes zu verrichten geglaubet, wenn ich einen König tödtete, welcher dem Pabste Krieg ankündigen wollte. Ich habe Ge sichter und Offenbarungen gehabt, ich habe geglaubt, Gott einen Dienst zu thun. Ich erkenne, daß ich mich betrogen habe; daß ich mich eines schrecklichen Verbrechens schuldig gemacht, und daß mich niemand dazu ange reizet hat. Dieses ist der Inhalt aller seiner Ant worten. Er gesteht, daß er am Tage der Ermor dung mit vieler Andacht die Messe gehöret habe; er gesteht, er habe verschiedenemal mit dem Könige sprechen wollen, um ihn davon abzubringen, den Krieg, Ketzern zum Vortheile, wider den Pabst an zufangen; er gesteht, daß ihm die Versuchung, den König zu ermorden, zweymal angekommen sey; daß er ihr widerstanden habe; daß er Paris so gar ver lassen, sich die Ausführung dieses Verbrechens unmög lich zu machen; daß er endlich, von seinem Fanaticismo überwunden, wieder zurück gekommen sey. Er unter zeichnet alle seine Aussagen Franciscus Ravaillac .
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In meinem Herzen soll allein Jesus allzeit Sieger seyn. Wer erkennt nicht gleich an diesen zwey Versen, womit er seine Unterschrift begleitete, einen unseligen Schwär mer, dessen verwirrtes Gehirn mit allem Gifte der Ligue erfüllet war. Seine Mitschuldigen waren der Aberglaube und die Wuth, welche den Johann Chatel, den Peter Barriere, den Jacob Clement belebte. Es war der Geist des Poltrot, welcher den Herzog von Guise umbrachte; es waren die Lehrsätze des Balthasar Gerard, des Mörders des großen Prinzen von Oranien. Ravaillac war ein Mönch gewesen, und was brauchte man damals mehr gewesen zu seyn, als dieses, wenn man glauben sollte, daß es ein verdienstliches Werk sey, einen Prinzen zu tödten, wenn er ein Feind der angenommenen Religion war. Man erstaunet, daß man dem besten unter den Königen, dem vierten Hein rich, verschiedenemal nach dem Leben gestanden hat; man sollte vielmehr erstaunen, daß sich nicht noch mehr Meuchelmörder gefunden haben. Jeder Abergläu bige hatte beständig den Ehud, welcher den König der Philister umbrachte, vor seinen Augen, oder die Ju dith, welche sich dem Holofernes Preis gab, damit sie ihn im Schlafe in seinen Armen ermorden könnte; oder den Samuel, welcher einen gefangenen König in Stücken hieb, gegen welchen Saul das Völker recht zu verletzen, sich nicht unterstehen wollte. Nichts ermahnte damals, daß diese besondere Fälle ausnah men wären, daß es Eingebungen oder ausdrückliche Befehle wären, nach welchen man sich nicht richten dürfe; man sahe sie also für ein allgemeines Gesetz an.
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Alles munterte zur Wuth auf; alles heiligte den Meuchelmord. Aus dem Geiste des Aberglaubens, des Blutdurstes, der Unwissenheit, welcher damals herrschte, aus der Kenntniß des menschlichen Her zens, und aus dem Verhöre des Ravaillac erhellet es also deutlich genug, daß er keinen Mitschuldigen gehabt hat. Man muß sich besonders an das Ge ständniß halten, welches er gleich vor seinem Tode in Gegenwart der Richter that. Dieses Geständniß beweist ausdrücklich, daß Johann Chatel seinen Mord, in Hoffnung weniger verdammt zu werden, und Ravaillac in Hoffnung selig zu werden, begangen hat. Man muß gestehen, daß diese Ungeheuer in ihrem Glauben sehr heftig waren. Ravaillac söhnet sich weinend mit seinem Patrone, dem heil. Franciscus, und allen Heiligen aus; er beichtet ehe er auf die Tortur kömmt; er trägt es den Priestern, denen er seine Beichte abgeleget, auf, die Richter zu versichern, daß er nie jemanden etwas von dem Vorsatze, den König zu tödten, gesaget habe; er gesteht bloß, daß er dem Pater Aubigne, einem Jesuiten, von seinen gehabten Erscheinungen etwas gesaget, und der Pa ter Aubigne saget ganz weislich, daß er sich nicht mehr darauf besinnen könne; kurz der Verbrecher be schwört es bis auf den letzten Augenblick auf seine ewi ge Seligkeit, daß er einzig und allein schuldig sey, und schwört es voller Reue. Sind dieses Gründe? Sind dieses zureichende Gründe? Gleichwol besteht der Herausgeber des sechsten Theils der Denkwürdigkeiten des Conde darauf; er bringt eine Stelle aus den Denkwürdigkeiten des Etoile vor, in welcher man den Ravaillac auf dem
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Gerichtsplatze sagen läßt: Wie sehr hat man mich betrogen, wenn man mich überreden wollen, das Volk würde den Stoß, welchen ich thun würde, wohl aufnehmen; und itzo giebt es selbst die Pferde mich zu zerreißen her. Erstlich kommen diese Worte in dem Executions processe nicht vor. Zum andern ist es vielleicht wahr, daß Ravaillac gesaget hat, oder hat sagen wollen: Wie sehr hat man mich betrogen, wenn man mir ge saget, der König sey verhaßt, man würde sich über seinen Tod erfreuen. Er sah das Gegentheil, und daß ihn das Volk bedauerte, er sah, daß er der Ge genstand der öffentlichen Verabscheuung geworden, er konnte also wohl sagen, man hat mich betrogen. In der That hätte er niemals in Unterredungen das Verbrechen des Johann Chatel rechtfertigen gehöret, wären seine Ohren nicht so oft von den fanatischen Maximen der Ligue betäubet worden, er würde nie mals diesen Mord begangen haben. Dieses ist der einzige Verstand, den seine Worte haben. Allein, hat er sie denn gesaget? Woher weiß es Etoile? Hat man auf das Gerede des Volkes mehr zu achten, als auf den Verbalproceß? Soll ich dem Etoile glauben, welcher des Abends alle Mähr chen aufschrieb, die er den Tag über gehöret hatte? Lasset uns in alle die Journale ein Mistrauen setzen, worinnen man alles zusammen geschrieben, was der gemeine Ruf ausgestreuet. Ich habe vor einigen Jahren achtzehn Theile in Folio von den Denkwürdigkeiten des verstorbenen Marquis von Dangeau gelesen, und folgende aus drückliche Worte darinne gefunden: „Die Köni
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ginn von Spanien, Maria Luisa von Orleans, ist am Gifte gestorben, welches ihr der Marquis von Mannsfeld beygebracht; das Gift war in ein Aal gebackenes gebracht worden; die Donna Molina, welche nach der Königinn davon gegessen, ist auch daran gestorben; drey Kammerdiener sind davon krank worden; der König hat es diesen Abend an der kleinen Tafel gesaget.„ Wer sollte eine so umständliche Erzählung nicht glauben, die sich auf das Zeugniß Ludewigs des XIV gründet, und die ein Hofmann dieses Monarchen aufgezeichnet, welcher ein Mann von Ehre war, und sich die Mühe gab, alle geheime Nachrichten aufzuzeich nen. Gleichwol ist es falsch, daß die Donna Mo lina damals gestorben sey, daß drey Kammerdiener krank geworden; so falsch als es ist, daß Ludewig der XIV solche unvorsichtige Reden sollte geführet ha ben. Es war nicht der Herr von Dangeau, wel cher diese unglücklichen Denkwürdigkeiten zusammen trug; es war ein alter unverständiger Kammerdiener, der sich mit Verfertigung geschriebener Zeitungen ab gab, und alles untereinander aufschrieb, was er in den Vorgemächern hörete. Gesetzt, daß diese Denk würdigkeiten in hundert Jahren in die Hände eines Zusammenschreibers fallen, was für Verleumdun gen werden alsdenn gedruckt werden! was für Lügen werden in allen Tagebüchern wiederholet werden! Man muß alles mit Mistrauen lesen. Aristoteles hatte ganz recht, wenn er sagte, das Zweifeln sey der Weisheit Anfang.
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IX. Kurze Erzählung derjenigen Begebenheiten, auf welche sich die Fabel des Heldengedichts der Henriade gründet.

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Das Feuer der bürgerlichenKriege, wovon Franciscus der zweyte die ersten Funken sah, hatte sich un ter der Minderjährigkeit des IX Carls in ganz Frankreich ausge breitet. Die Religion war bey dem Volke die Ursache, und bey den Großen der Vorwand. Die Königinn Mutter hatte mehr als einmal das Wohl des Reichs auf das Spiel gesetzt, ihr Ansehn zu erhalten, indem sie die katholische Par tey wider die protestantische, die Anhänger des Her zogs von Guise wider die Anhänger des Hauses Bourbon waffnete, beyde durch einander aufzureiben. Frankreich hatte damals zu seinem Unglücke viel allzumächtige Herren, die folglich unruhig waren. Das Volk war fanatisch und barbarisch durch die Wuth der Parteylichkeit geworden, zu welcher der falsche Eifer für unwürdige Könige zu treiben pflegt, in deren Namen man den Staat verwüstet. Die Schlachten bey Droeux, bey St. Denis, bey Jar
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nac, bey Montcontour, haben die unglückliche Re gierung des IXten Carls merkwürdig gemacht. Die größten Städte wurden eingenommen, wieder weg genommen, und von den feindlichen Parteyen wech selsweise geplündert. Man ließ die gefangenen Sol daten durch die ausgesuchtesten Martern hinrichten. Die Kirchen wurden von den Reformirten in die Asche geleget, die Tempel von den Katholiken. Vergiftungen und Meuchelmorde für nichts als Rä chungen geschickter Feinde gehalten. Alle diese Abscheulichkeiten krönte man durch den Tag des heil. Bartholomäi. Heinrich der große, welcher damals König von Navarra, und noch in seiner ersten Jugend war, ward als der Anführer der reformirten Partey, in deren Schooße er gebo ren worden, mit den mächtigsten Anhängern dersel ben an den Hof gezogen. Man verheirathete ihn mit der Prinzeßinn Margaretha, der Schwester Carls des IX. Mitten unter den Lustbarkeiten dieses Beylagers, mitten in dem ruhigsten Frieden, nach den feierlichsten Eydschwüren geschah es, daß Catha rina von Medicis dieses Blutbad anbefahl, dessen Andenken, so schrecklich und schimpflich es auch dem französischen Namen ist, man nothwendig auf die Nachwelt bringen muß, damit die Menschen, wel che allezeit zu Religionsstreitigkeiten nur allzugeneigt sind, erkennen mögen, wie weit sie der Geist der Parteylichkeit bringen könne. Man sah an einem Hofe, welcher sich der Artig keit befleißigte, eine durch die Anmuth ihres Geistes berühmte Frau, und einen jungen König von 23 Jah ren, mit kaltem Blute den Tod von mehr als einer
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Million Unterthanen befehlen. Eben diese Nation, welche itzo nichts anders, als mit Entsetzen an dieses Verbrechen gedenkt, begieng es mit Freudigkeit und Eifer. Mehr als hundert tausend Menschen wurden durch ihre Mitbürger umgebracht, und ohne die weise Vorsicht einiger tugendhaften Personen, als des Präsidenten Jeanin, des Marquis von St He rem et cetera, hätte die eine Hälfte der Franzosen die an dere ermordet. Carl der IX lebte nach diesem blutigen Tage nicht lange. Sein Bruder, Heinrich der III, verließ den pohlnischen Thron, Frankreich in neues Elend zu stürzen, aus welchem es erst von dem vierten Heinrich heraus gerissen wurde, welchen die Nach welt mit so vielem Rechte den großen genannt hat, sie, die allein diesen Beynamen ertheilen kann. Als Heinrich der III nach Frankreich zurück kam, fand er zwey herrschende Parteyen. Die eine war die Partey der Reformirten, die aus ihrer Asche weit heftiger als jemals wieder hervor stieg, und an ihrer Spitze Heinrichen den großen, damaligen König von Navarra, hatte. Die andere war die Partey der Ligue; eine wichtige Partey, welche die Herzoge von Guise nach und nach gebildet hatten, die von den Päbsten ermuntert und von Spanien unterhalten wurde. Sie wuchs täglich durch die Kunstgriffe der Mönche, und war dem Ansehen nach durch den Ei fer für die katholische Religion geheiliget, in der That aber zielte sie auf nichts, als auf Rebellion. Ihr Anführer war der Herzog von Guise, mit dem Zu namen mit der Schramme; ein Prinz von einem großen Namen, welcher mehr große als gute Eigen
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schaften besaß, und also geboren zu seyn schien, die Gestalt des Staats in diesen unruhigen Zeiten zu ändern. Heinrich der III, anstatt diese zwey Parteyen unter dem Gewichte des königlichen Ansehens zu ersticken, stärkte sie durch seine Schwachheit. Er glaubte ei nen großen Staatsstreich zu thun, indem er sich für das Haupt der Ligue erklärte; und war in der That nichts als ein Sklave davon. Er ward gezwungen zum Nutzen des Herzogs von Guise, welcher ihn vom Throne stoßen wollte, den Krieg wider den Kö nig von Navarra, seinen Schwager und vermuthli chen Erben, anzufangen, welcher an nichts, als an die Wiederherstellung des königlichen Ansehens dach te, und um so viel ernstlicher darnach strebte, da er, was er für Heinrichen den IIIten that, zugleich für sich that. Die Armee, welche Heinrich der III wider den König seinen Schwager schickte, ward bey Coutras geschlagen; und sein Liebling Joyeuse blieb. Na varra wollte keinen andern Nutzen aus seinem Siege ziehen, als sich mit dem Könige wieder auszusöhnen. So vollkommen er auch Sieger war, bath er doch um Friede, und der überwundene König unterstand sich nicht ihn anzunehmen, so sehr fürchtete er den Herzog von Guise und die Ligue. Guise hatte zu eben der Zeit eine Armee von Deutschen aus einander gestreuet; und dieser glückliche Fortgang erniedrigte den König von Frankreich noch mehr, so daß er glaubte, von den Gliedern der Ligue, und von den Reformirten zugleich überwunden zu seyn.
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Der Herzog von Guise, welchen sein Glück aus geblasen, und die Schwäche seines Königs stark machte, kam wider seinen Befehl nach Paris. Nun mehr erschien der berüchtigte Tag der Barricaden, an welchem das Volk die Wache des Königs verjagte, und dieser Monarch genöthiget wurde, seine Haupt stadt zu verlassen. Guise that noch mehr, er zwang den König, die Landstände des Reichs in Blois zusammen kommen zu lassen, und nahm seine Maaßregeln so wohl, daß er auf dem Puncte war, an der königlichen Gewalt Theil zu bekommen, und zwar mit Einwilligung derjenigen, welche das Volk vorstelleten, und unter dem Scheine der ehrwürdigsten Formalitäten. Durch diese dringende Gefahr erwachte Heinrich der IIIte, und ließ diesen gefährlichen Feind auf dem Schlosse zu Blois, sowol als seinen Bruder den Kardinal, umbringen, welcher noch weit heftiger und ehrgeiziger als der Herzog war. Was der protestantischen Partey nach dem Bar tholomäustage begegnet war, das begegnete nunmehr der Ligue. Der Tod der Anführer brachte die Par tey von neuem auf. Die Glieder der Ligue legten die Larve nieder, und Paris schloß seinen Thron. Man war auf nichts als auf Rache bedacht. Man betrachtete den dritten Heinrich als den Mörder der Re ligionsvertheidiger, und nicht als einen König, wel cher schuldige Unterthanen bestrafet hatte. Endlich mußte sich Heinrich der IIIte, weil er auf allen Seiten bedrängt wurde, mit Navarra wieder aussöhnen. Diese beyden Könige kamen und schlu
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gen ihr Lager vor Paris auf; und hier fängt sich die Henriade an. Der Herzog von Guise hinterließ noch einen Bru der, den Herzog von Mayenne, einen unerschrockenen Mann, der aber geschickter als thätig war, und sich auf einmal an der Spitze einer Partey sah, die ihre Kräfte kannte, und von der Rache und dem Fana ticismo getrieben wurde. Fast ganz Europa mengte sich in diesen Krieg. Die berühmte Königinn in England, Elisabeth, wel che den König von Navarra sehr hoch schätzte, der allezeit eine besondere Begierde, sie zu sehen, gehabt hatte, stand ihm zu verschiedenen malen mit Mann schaft, mit Geld, und mit Schiffen bey; und Du pleßis-Mornay war es, welcher allezeit nach Eng land gieng, sie darum anzusprechen. Auf der andern Seite unterstützte die österreichi sche Linie, welche in Spanien regierte, die Ligue, in Hoffnung etwas von einem Reiche an sich zu reißen, welches der bürgerliche Krieg verwüstete. Die Päb ste bestritten den König von Navarra nicht nur durch den Bann, sondern auch durch alle Staatsränke, und durch kleine Beyhülfen, wie sie der römische Hof an Mannschaft und Gelde geben kann. Unterdessen war Heinrich der IIIte auf dem Puncte sich von Paris Meister zu machen, als er zu Saint Cloud von einem Dominicanermönche ermordet wur de, welcher diesen Mord einzig in der Meynung that, daß er Gott gehorche, und daß er zum Mär tyrertode eile. Dieser Mord war nicht allein ein Verbrechen dieses fanatischen Mönches, sondern ein Verbrechen der ganzen Partey. Die gemeine Mey
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nung, der Glaube der Glieder der Ligue war, daß man seinen König tödten müsse, wenn er mit dem römischen Hofe uneins wäre. Die Prediger schryen es in ihren elenden Reden; man druckte es in allen den erbärmlichen Büchern, welche Frankreich über schwemmeten, und die man itzo kaum in einigen Bi bliotheken findet, wo sie als besondere Denkmäler eines Jahrhunderts aufbehalten werden, das sowol in Ansehung der Sitten, als der Wissenschaften, gleich barbarisch war. Nach dem Tode Heinrichs des IIIten, war der König von Navarra, Heinrich der große, von sei ner Armee zum Könige von Frankreich erkläret. Er hatte alle Anfälle der Ligue, Roms und Spaniens, auszuhalten, und sein eigen Reich zu erobern. Er umsetzte und belagerte Paris zu verschiedenen malen. Unter die größten Männer, die ihm in diesem Kriege nützlich waren, und die man in diesem Gedichte ge brauchet hat, rechnet man die Marschalle von Au mont, und von Biron, den Herzog von Bouillon, und andere. Dupleßis-Mornay war, bis er die Religion veränderte, sein vertrautester Freund. Er diente ihm mit seiner Person bey der Armee; mit sei ner Feder wider den Bann der Päbste, und mit sei ner Großkunst in Unterhandlungen, indem er ihm bey allen protestantischen Mächten Beystand aus wirkete. Das vornehmste Haupt der Ligue war der Herzog von Mayenne. Derjenige, der nach ihm das meiste galt, war der Ritter von Aumale, ein junger Prinz, welchen jene Unbiegsamkeit und jener glänzende Muth, welcher das Haus von Guise so vorzüglich
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unterschied, bekannt gemacht haben. Sie erhielten zu verschiedenen malen Hülfe von Spanien; hier aber ist nur die Rede von dem bekannten Grafen von E montEgmont, dem Sohne des Admirals, welcher unge fähr dreyzehn oder vierzehnhundert Lanzen dem Her zoge von Mayenne zuführete. Man lieferte verschiedene Schlachten, wovon die berühmteste, die am meisten entscheidende, und die rühmlichste für Heinrichen den IVten die Schlacht bey Jvoi war, in welcher der Herzog von Mayenne über wunden und der Graf von Egmont getödtet wurde. Während diesem Kriege war der König in die schöne Gabrielle von Estrees verliebt worden; sein Muth aber wurde bey ihr nicht geschwächet, welches der Brief beweisen kann, den man noch in der königl. Bibliothek sieht, und worinnen er an seine Geliebte schreibt: Werde ich überwunden; so kennen Sie mich zu gut, als daß Sie glauben sollten, ich würde fliehen. Meinen letzten Gedanken wer de ich an Gott, und den letzten ohn einen an Sie richten. Man übergeht verschiedene merkwürdige Thaten, die man hier nicht anführet, weil sie in dem Gedichte keinen Platz gefunden haben. Man redet weder von dem Feldzuge des Herzogs von Parma noch Frankreich, welcher nichts fruchtete, als daß er den Fall der Ligue noch verschob, noch von dem Kardinale von Bourbon, welcher eine Zeitlang unter dem Namen des Xten Carls ein Schattenbild eines Königs war. Man begnügt sich zu sagen, daß, nach so vielem Un glücke und Elend, Heinrich der IVte katholisch ward, und daß die Pariser, welche seine Religion hasseten, und seine Person verehreten, ihn für ihren König erkannten.
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X. Geschichte der Kreuzzüge.

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Geschichte der Kreuzzüge.

Zustand von Europa.

Als diese Kriege ihren Anfang nah men, stund es mit den Angelegen heiten Europens also. Deutschland und Italien lagen einander in Haa ren; Frankreich war noch schwach; Spanien zwischen die Christen und Muselmänner ge theilet; diese aus Italien ganz und gar verjaget; England fing an, seine Freyheit gegen seine Könige zu behaupten; die lehnsherrliche Regierung kam überall auf; die Ritterschaft stund im Ansehen, die Priester waren Fürsten und Krieger; die damalige Politik war von der, welche Europa heut zu Tage belebet, ganz und gar unterschieden. Die Länder der römischen Kirche schienen eine große Republik zu seyn, worüber der Kaiser und der Pabst die Ober häupter seyn wollten. Diese, obwol getheilte, Re publik verstund sich lange Zeit in denen aufs Tapet
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gebrachten Kreuzzügen zusammen, welche so große und so schändliche Handlungen, neue Königreiche, neue Stiftungen, neues Elend, und endlich weit mehr Unglück als Ruhm hervor gebracht haben.

Zustand des turkomannischen Reichs.

Die Religionen dauern allemal länger, als die Reiche. Die mahometanische Religion blühete, und die Herrschaft der Kalifen war von der turkomanni schen Nation unterdrücket. Man zermartert sich, den Ursprung dieser Völker zu bestimmen; er ist eben derselbe, welchen alle Völker, die bloße Eroberer ge wesen sind, haben. Sie sind insgesammt Wilde ge wesen, die vom Raube gelebet. Die Türken und Turkomannen wohneten ehemals jenseit des Taurus und Imaus, und, wie man vorgiebt, weit von dem Araxus. Sie wurden mit unter denjenigen Tartarn begriffen, die das Alterthum Scythen nannte. Dieses große Stück festen Landes, das man die Tar tarey nennet, und viermal größer, als Europa ist, ist niemals von jemand anders, als von Barbaren bewohnet worden, wenigstens seit dem man einige Kenntniß von dieser Erdkugel hat. Ihre Alterthümer verdienen eben so wenig eine an einander hangende Erzählung, als die Wölfe und Tiger ihres Landes. Sie breiteten sich im Anfange des eilften Jahrhunderts gegen Moscau aus; sie überschwemmeten die Ufer des schwarzen und des kaspischen Meeres. Die Araber hatten unter den ersten Nachfolgern Mahomets fast das ganze Klein asien, Syrien und Persien bezwungen. Endlich
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kamen die Turkomannen, welche die Araber über wanden. Bagdat, der Hauptsitz des Reichs der Kalifen, fiel gegen das Jahr 1055 in die Hände die ser neuen Räuber. Togrul Beg, oder Ortugul Beg, von dem man das ottomannische Geschlecht ableitet, zog in Bagdat ungefähr so, wie so viele Kaiser in Rom eingezogen sind, ein. Er machte sich Meister von der Stadt und von dem Kalifen, indem er sich zu seinen Füßen warf. Ortugul führte den Kalifen Kajem in seinen Palast, indem er den Zügel seines Maulesels hielt; er befestigte aber, entweder weil er geschickter, oder glücklicher war, als die deutschen Kaiser in Rom nicht gewesen sind, seine Macht, und überließ dem Kali fen weiter nichts; als theils die Sorge, das Gebeth in der Moschee Freytags anzufangen, theils die Ehre, alle mahometanische Tyrannen, die sich zu Ober herren aufwarfen, mit ihrem Staate zu belehnen. Man muß sich erinnern, daß, wie diese Turko mannen in ihren Einfällen den Franken, Normän nern, und Gothen nachahmten, also auch darinnen es denselben gleich thaten, daß sie sich den Gesetzen, den Sitten und der Religion der Ueberwundenen un terwarfen. Eben so machten es andere Tartarn mit den Chinesern, und das ist der Vortheil, den ein wohlgesittetes, obgleich schwächeres Volk über ein barbarisches und stärkeres haben muß. Die Kalifen waren folglich nichts mehr, als die Häupter der Religion; ungefähr was die Päbste un ter den lombardischen Königen gewesen waren. Die Fürsten der Turkomannen nahmen den Namen Sul tan an. Es entstunden bald unter ihnen, wie
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anderwärts, berühmte Männer, und selbst solche, die es zu seyn verdienten.

Zustand von Constantinopel.

Das constantinopolitanische Reich hielt sich noch. Alle Fürsten desselben waren der Regierung nicht un würdig gewesen. Constantin Porphyrogeneta, ein Sohn Leo des Philosophen, und ein Philosoph selbst, brachte, wie sein Vater, glückliche Zeiten. Wenn die Regierung unter dem Romanus, dem Sohne des Constantins, in Verachtung gerieth, wurde sie hingegen den Nationen wieder sehr ehrwürdig un ter dem Nicephorus Phokas, der Candia im Jahre 961, ehe er noch Kaiser war, den Ara bern abgenommen hatte. Ob schon Johann Zimisces den Nicephorus ermordete, und den Palast mit Blut besudelte; ob er schon mit seinen Verbrechen die Heucheley verknüpfte; war er doch außer dem der Vertheidiger des Reichs gegen die Türken und Bul garn. Unter dem Michael Paphlago aber verlor man Sicilien, und unter dem Romanus Diogenes gieng fast alles, was gegen Morgen zu noch übrig war, bis auf die Provinz Pontus verloren. Diese Provinz, die man heut zu Tage Turkomannia nennet, fiel bald darauf in die Hände des Türkens Solymann, dem Meister von dem größten Theile Kleinasiens, welcher den Hauptsitz seiner Herrschaft in Nicäa aufrichtete, und von dar aus in der Zeit, da die Kreuzzüge angiengen, Constantinopel bedrohete. Das griechische Kaiserthum war also auf der Seite gegen die Türken fast bis auf die kaiserliche Residenz
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stadt und einige Ufer am Propontis und dem schwar zen Meere eingeschränket: hingegen erstreckte es sich auf der andern Seite über ganz Griechenland, Ma cedonien, Epirus, Thessalien, Thracien, Illyrien, und hatte auch noch die Insel Candia. Die be ständigen, obwol unglücklichen, Kriege wider die Türken, erhielten noch einen Rest von Tapferkeit. Alle reiche Christen Asiens, die sich nicht unter das mahometanische Joch hatten bequemen wollen, wa ren in die kaiserliche Residenzstadt geflüchtet, die sol chergestalt sich von dem Ueberflusse der Provinzen be reicherte. Endlich ungeachtet so vieler Verluste, un geachtet der Verbrechen und der Veränderungen, die im Palaste waren vorgegangen, sahe sich doch diese wirklich tief herab gefallene, aber erstaunend große, volkreiche, vermögende und annehmliche Stadt für die erste und vornehmste der ganzen Welt an. Die Einwohner nannten sich Römer, und die Völker ge gen Abend, die sie Lateiner hießen, waren in ihren Augen nichts, als aufrührische Barbaren.

Wahre Abschilderung vom gelobten Lande.

Das gelobte Land war damals eben das, was es heut zu Tage ist, nämlich das schlechteste Land unter allen, die in Asien bewohnet sind. Diese kleine Pro vinz hat ungefähr fünf und vierzig gemeiner Meilen in der Länge, und dreyßig bis fünf und dreyßig in der Breite. Sie ist fast überall mit dürren Felsen bedecket, auf denen nicht eine Linie breit Erdreich ist. Wenn diese kleine Provinz bebauet wäre, würde
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man sie mit keinem Lande besser vergleichen können, als mit der Schweiz. Der Fluß Jordan, der in der Mitte seines Laufs ungefähr funfzig Fuß breit ist, gleicht dem Flusse Aar, der bey den Schweizern in einem minder unfruchtbaren Thale, als die übrigen sind, fließt. Das Meer Tiberias kann mit der See bey Lausanne verglichen werden. Unterdessen geben die Reisenden, die die Schweiz und das gelobte Land wohl untersuchet haben, der Schweiz allen Vorzug. Es ist wahrscheinlich, daß Judäa ehemals besser be bauet gewesen ist, als es die Juden besaßen; sie hat ten sich genöthiget gesehen, ein wenig Erdreich auf die Felsen zu bringen, um daselbst Weinstöcke anzu legen. Dieses wenige Erdreich, das mit den abge rissenen Steinen der Felsen sich verband, wurde durch kleine Mauern festgehalten, davon man hier und da noch einige Ueberbleibsel findet. Das gelobte Land hat, ungeachtet es mit größtem Fleiß ist gebauet worden, doch niemals seine Ein wohner ernähren können. Eben so, wie die drey zehn Cantons den Ueberfluß ihres Volkes wegschicken, unter den Armeen der Fürsten, die sie bezahlen kön nen, zu dienen, eben so machten es fast die Juden, die sich als Mäkler in Asien und Africa zerstreueten. Kaum war Alexandria erbauet, so ließen sie sich da selbst nieder. Es wohnten nicht leichtlich Handlung treibende Juden in Jerusalem, und ich zweifele, daß in den blühendsten Zeiten dieses kleinen Staats je mals so reiche Leute gewesen sind, als heut zu Tage viele Hebräer zu Amsterdam, im Haag, zu London und zu Constantinopel seyn.
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Als Omar, der Nachfolger Mahomets, sich der fruchtbaren Ländereyen Syriens bemächtigte, nahm er auch die Gegend des gelobten Landes ein. Da nun Jerusalem für die Mahometaner eine heilige Stadt ist, bereicherte er sie mit einer kostbaren Mo schee von Marmor, mit Bley bedecket, und inner halb mit einer erstaunenden Anzahl silberner Lampen ausgezieret, unter denen auch viele vom feinsten Golde waren. Als sich die Türken, die schon Ma hometaner waren, des Landes im Jahre 1055 bemei sterten, verschonten sie die Moschee, und die Stadt blieb allezeit mit sieben bis acht tausend Einwohnern besetzt. So viel konnte damals ihre Ringmauer fassen, und so viel konnte das ganze Land umher et wan ernähren. Dieses Volk bereicherte sich von weiter nichts, als von den Pilgrimschaften der Chri sten und Muselmänner. Die einen giengen dahin, die Moschee, und die andern, das heilige Grab, zu besuchen. Alle zahlten an den türkischen Emir, der in der Stadt residirte, und an einige Imans, die von der Neugierde der Pilgrime lebten, einen klei nen Zoll.

Ursprung der Kreuzzüge.

In einem solchen Zustande befand sich Kleinasien und das gelobte Land, als ein Pilgrim von Amiens in der Picardie die Kreuzzüge aufs Tapet brachte. Er hatte weiter keinen Namen als Kukupietre, wie die Tochter des Kaisers Comnenus, die diesen Ein siedler zu Constantinopel gesehen hat, erzählet. Wir kennen ihn unter dem Namen des Einsiedlers Peter. Er gab sich für einen Einsiedler aus, und wollte die
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Waffen getragen haben. Dem sey aber, wie ihm wolle, dieser Picard, der alle Hartnäckigkeit seines Landes hatte, wurde durch die Beleidigungen, die man ihm zu Jerusalem anthat, dergestalt gerühret, und redete bey seiner Zurückkunft in Rom auf eine so lebhafte Art davon, und machte so rührende Abschil derungen, daß der Pabst Urban der Zweyte diesen Mann für den geschicktesten hielt, das große Unter nehmen, damit die Päbste seit einiger Zeit umgien gen, die Christenheit wider die Mahometaner in Harnisch zu bringen, zu unterstützen. Gregorius der Siebente, ein Mann von weitaus sehenden Unternehmungen, hatte zum ersten den Ein fall, Europa wider Asien zu bewaffnen. Man sieht es aus seinem Schreiben, daß er sich selbst an die Spitze einer Armee Christen stellen sollte. Urban der Zweyte versuchte einen Theil des Vorhabens; er schickte den Peter aus einer Provinz in die andere, durch seine starke Einbildungskraft die Hitze seiner Meynungen andern mitzutheilen, und die Enthusi asterey auszubreiten. Urban der Zweyte hielt darauf im Jahre 1094 unweit Placenz auf freyem Felde ein Concilium, wo bey sich über dreyßig tausend weltliche Personen, außer den Geistlichen, befanden. Man brachte dar auf die Art, die Christen zu rächen, in Vorschlag. Der griechische Kaiser, Alexius Comnenus, Vater derjenigen Prinzeßinn, die die Geschichte ihrer Zeit aufgezeichnet hat, schickte Gesandte auf diese Kirchen versammlung, und that um einige Hülfe wider die Muselmänner Ansuchung; aber weder von dem Pabste, noch von den Italienern, dnrftedurfte er solche
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erwarten. Die Normannen nahmen damals den Griechen Neapel und Sicilien weg; und der Pabst, der wenigstens Oberlehnsherr dieser Königreiche seyn wollte, und der außerdem die griechische Kirche im geringsten nicht liebte, wurde durch seine Staaten nothwendig ein offenbarer Feind der morgenländi schen Kaiser, wie er ein verborgener Feind der deut schen Kaiser war. Der Pabst hatte nicht den ge ringsten Gedanken, denen Griechen beyzustehen, sondern wollte den Orient den Lateinern unterwerfen. Uebrigens wurde dieser Entwurf, den Krieg im ge lobten Lande zu führen, von allen, die bey der Kir chenversammlung bey Placenz sich befanden, sehr heraus gestrichen, aber von keinem einzigen ange nommen. Die italienischen Herren hatten zu Hause in ihren eigenen Angelegenheiten genug zu thun, und bezeigten schlechte Lust, ein angenehmes Land zu ver lassen, um sich in der Gegend von dem steinigten Arabien herum zu schlagen. Man wurde also genöthiget, im Jahre 1095 eine andere Kirchenversammlung zu Clermont in Auvergne anzustellen. Der Pabst hielt eine Rede auf dem großen Markte. In Italien hatte man über die Widerwärtigkeiten der Christen in Asien geweinet, und in Frankreich bewaffnete man sich. Dieses Land war mit einer Menge neuer, unruhiger, unabhän giger Edelleute, die die Verschwendung und den Krieg liebten, die meistentheils in Bosheiten, welche die Unordnungen nach sich ziehen, ersoffen waren, und in einer Unwissenheit, die ihrer unordentlichen Lebens art gleich kam, lebten, bevölkert. Der Pabst ver sprach ihnen die Vergebung aller ihrer Sünden; und
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öffnete ihnen den Himmel, indem er ihnen statt der Buße auflegte, ihrer größten Leidenschaft nachzuhän gen, nämlich in den Krieg zu gehen. Man nahm also das Kreuz um die Wette an; es war nur die Frage, an wem man seine Güter ver kaufen sollte, um nach dem gelobten Lande gehen zu können. Die Kirchen und Klöster kauften damals viele Ländereyen der Adelichen, die nur etwas wenig Geld und ihre Waffen nöthig zu haben glaubten, um Königreiche in Asien erobern zu können. Gottfried von Bouillon, Herzog von Brabant, verkaufte zum Exempel sein Land Bouillon an das Capitel von Lüt tich, und Stenay an den Bischof von Verdun. Balduin, Gottfrieds Bruder, verkaufte an eben denselben Bischof das wenige, was er in diesem Lande besaß: die geringsten Burgvoigte reiseten auf ihre Unkosten. Die armen Edelleute traten als Stallmeister in der andern ihre Dienste. Man warb eine unzählbare Infanterie, und gemeine Reu ter unter tausend verschiedenen Standarten, an. Dieser Schwarm von Leuten, die mit dem Kreuze bezeichnet waren, wollten sich zu Constantinopel wie der vesammlen, ohne daß die meisten noch wußten, wo es hingieng, noch was man für einen Weg neh men mußte. Mönche, Weiber, Kaufleute, Mar ketender, Künstler und Handwerksleute, alles machte sich auf die Reise, weil es auf dem Wege nichts als Christen, die durch ihre Unterhaltung den Ablaß gern würden gewinnen wollen, anzutreffen glaubte. Mehr als achtzig tausend dieser Landstreicher machten das Heer des Kukupieters, den ich künftig allezeit den Einsiedler Peter nennen werde, aus. Er
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marschirte in hölzernen Pantoffeln und mit einem Stricke um den Leib, an der Spitze der Armee. Die erste Unternehmung dieses einsiedlerischen Ge nerals, war die Belagerung einer christlichen Stadt in Ungarn, Namens Malavilla, weil sie seinen Sol daten Jesu Christi, die sich, ungeachtet ihres heili gen Vorsatzes, als wirkliche Straßenräuber aufführ ten, Lebensmittel verweigert hatte. Die Stadt wurde im Sturm erobert, der Plünderung überlassen, und die Einwohner erwürget. Der Einsiedler war nicht mehr Herr seiner Kreuzfahrer, die vor Begier de zu rauben brannten. Einer seiner Unterbefehls haber, Gautier ohne Geld, der die Hälfte der Truppen commandirte, machte es in Bulgarien nicht besser. Man vereinigte sich bald wider diese Stras senräuber, und sie wurden fast alle ausgerottet. Endlich langte der Einsiedler mit zwanzig tausend Landstreichern, die vor Hunger verschmachten wollten, 1096 vor Constantinopel an. Ein deutscher Prediger, Namens Gottschalk, der eben den Aufzug spielen wollte, kam noch übler an, als er mit seinen Jüngern in eben diesem Ungarlande anlangte, wo seine Vorgänger so viele Unordnun gen angerichtet hatten. Der Anblick des rothen Kreuzes allein, das sie trugen, war eine Losung, auf die sie alle jämmerlich ermordet wurden. Ein anderer Schwarm solcher Wagehälse, der aus mehr als zwey tausend Personen, sowol Weibern als Prie stern, Bauern und Schülern, bestund, und der Jesu Christi Sache zu führen glaubte, bildete sich ein, man müßte alle Juden, die man anträfe, ausrotten. Es hielten sich deren viele an den
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Gränzen von Frankreich auf; aller Handel war in ihren Händen. Die Christen, welche Gott zu rächen und sich zu bereichern dachten, machten alle diese Unglückliche nieder. Seit den Zeiten des Kaisers Hadrian war niemals gegen diese Nation so gewüthet worden. Sie wurden zu Verdun, Speyer, Worms, Cöln, Maynz erwürgt; viele tödteten sich selbst, nachdem sie ihren Weibern und Kindern den Leib aufgerissen hatten, damit sie nicht in die Hände der Barbaren geriethen. Ungarn war auch von dieser dritten Armee Kreuzfahrer das Grab. Unterdessen fand der Einsiedler Peter vor Con stantinopel andere italienische und deutsche Landstrei cher, die sich mit ihm vereinigten, und die um die Stadt herum liegenden Gegenden verwüsteten. Der Kaiser Alexius Comnenus, der damals re gierete, war allerdings ein weiser und gelassener Herr. Er konnte diesen Straßenräubern eben so begegnen, wie ihren Mitstreitern war begegnet worden. Er ließ es aber dabey bewenden, solcher Gäste je eher je lieber los zu werden. Er lieferte ihnen Schiffe, sie jenseit des Bosphorus zu bringen. Der General Peter sah sich endlich an der Spitze einer christlichen Armee wider die Ungläubigen. Solymann, Sultan von Nicäa, überfiel mit seinen im Kriege erfahrnen Leuten diese zerstreute Menge. Walther ohne Geld, der Unterfeldherr des Einsiedlers, kam dabey mit ei nem großen Theile des armen Adels um, der einfältig genug war, unter solchen Fahnen zu dienen. Der Einsiedler kehrte unterdessen nach Constantinopel zu
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rück, und ward für einen Fantasten gehalten, der eine Menge toller Leute sich hatte nachfolgen lassen. Mit den übrigen Häuptern der Kreuzfahrer, die verschlagener, weniger enthusiastisch, und zum Com mando tüchtiger waren, auch etwas ordentlichere Truppen anführeten, gieng es etwas anders. Gott fried von Bouillon hatte siebenzig tausend Mann zu Fuß, und zehn tausend zu Pferde unter seinem Com mando, die alle mit vollkommener Rüstung versehen waren, und von verschiedenen Vornehmen von Adel angeführet wurden, die insgesammt von ihm ihre Befehle erhielten. Er marschirte durch eben dieses Ungarn, in dem sich der Schwarm des Einsiedlers hatte erwürgen lassen, glücklich durch. Unterdessen marschirte Hugo, der Bruder des Kö nigs von Frankreich Philipp des ersten, mit andern vornehmen Herren, die sich zu ihm geschlagen hatten, durch Italien. Er wollte sein Heil versuchen. Fast sein ganzes Glück bestund in dem Titel des Bruders eines Königs; ein an sich sehr wenig vermögender Titel. Und worüber man sich am meisten verwun dern muß, ist, daß Robert, Herzog der Norman die, ältester Sohn Wilhelms, des Eroberers von England, diese Normandie, darinnen er sich kaum etwas fest gesetzt hatte, verließ. Ob er gleich von seinem jüngern Bruder, Wilhelm dem rothen, aus England war verjaget worden, so versetzte er ihm doch noch darzu die Normandie, um die Kosten zu seiner Ausrüstung zu bekommen. Er soll ein wollüstiger und abergläubischer Prinz gewesen seyn; zwo Eigenschaften, die einerley Quelle, näm lich einen schwachen Verstand, haben.
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Der alte Raimund, Graf von Thouluse, Herr von Languedoc, und eines Theils von Provence, der wider die Muselmänner schon in Spanien gefochten hatte, fand weder in seinem Alter, noch in dem Vor theile seines Vaterlandes einen Grund wider die große Begierde, die in ihm brannte, nach dem gelobten Lande zu gehen. Er war einer von den ersten, die sich bewaffneten, und er gieng über die Alpen, in ei ner Begleitung, wie man saget, von hunderttausend Mann. Er sah es nicht voraus, daß man in kur zem das Kreuz wider seine eigene Familie predigen, und daß sein Land durch eben die Geißel heimgesucht werden würde, die er nach Asien überbrachte. Der verschlagenste unter allen Kreuzfahrern, und vielleicht der einzige, war Bohemund, ein Sohn Roberts Guiscard, Eroberers von Sicilien, welches er mehr, als ein Eigenthum der morgenländischen Kaiser, unrechtmäßig behielt, als daß er es den Mu selmännern abgenommen hatte. Diese ganze Fa milie der Normannen, die nach Italien verpflanzet war, suchte sich bald auf Kosten der Päbste, bald durch den Verfall des griechischen Kaiserthums zu vergrößern. Sie hatten sich schon in Epirus einzu nisteln gesuchet. Dieser Bohemund hatte wider den Kaiser Alexius in Epirus und Griechenland ganz al lein Krieg geführet, und da er statt aller Erbschaft nichts, als das kleine Fürstenthum Tarent und seine Herzhaftigkeit hatte, machte er sich den ansteckenden Enthusiasmus von Europa zu Nutzen, um bis auf zehntausend wohl bewehrter Reuter und einiges Fuß volk unter seinem Commando zusammen zu bringen,
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mit denen er entweder den Christen oder den Maho metanern Provinzen entreißen könnte. Die Prinzeßinn Anna Commena saget, daß ihr Vater über diese erstaunende Wanderungen, die sich in sein Land ergossen, beunruhiget worden sey. Man hätte glauben sollen, spricht sie, daß Eu ropa, aus seinem Grunde gerissen, auf Asien hätte fallen wollen. Was würde es erst gewesen seyn, wenn mehr als dreyhundert tausend Mann, wovon einige dem Einsiedler Peter, andere dem Prie ster Gottschalk nachgefolget waren, nicht schon ver schwunden gewesen wären? Man trug dem Pabste an, sich an die Spitze der unermeßlichen Heere, die noch übrig waren, zu stel len. Das war die einzige Art zur allgemeinen Ober herrschaft, welche das Hauptaugenmerk des römischen Hofes worden war, zu gelangen. Dieses Unterneh men, das Gregorius der siebende hatte versuchen wollen, erforderte den Geist eines Alexanders. Die Hindernisse waren groß, und der Pabst Urban sah weiter nichts, als die Hindernisse. Er hatte an der Hoffnung genug, daß man im Oriente neue Kirchen gründen wollte, die der zu Rom unterthan seyn soll ten, und daß man die Griechen in kurzem zwingen würde, die oberste Gewalt des heiligen Stuhls zu erkennen. Der Pabst, und die kreuzfahrenden Prin zen, hatten bey dieser großen Rüstung jeder ihre be sondern Absichten, und Constantinopel fürchtete sich für allem. Man haßte allda die Lateiner, die man als Ketzer und Barbaren betrachtete. Die griechi schen Priester hielten es für etwas abscheuliches, daß die lateinischen Priester, die den Armeen haufenweise
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nachfolgeten, ihre Hände ohne Unterlaß in den Schlachten mit Menschenblute besudelten; nicht daß etwann diese Griechen tugendhafter gewesen wären, sondern weil es nicht gewöhnlich war, daß sie sich im Kriege brauchen ließen. Für niemanden fürchteten sich die Griechen mehr, und zwar mit Grunde, als für dem Bohemund, und die Neapolitaner, die ärgsten Feinde ihres Reichs. Allein, wenn auch die Absichten des Bohemunds rein gewesen wären, mit was für einem Rechte ka men denn alle diese Fürsten aus den Abendländern, Provinzen, die die Türken den griechischen Kaisern entrissen hatten, für sich einzunehmen? Alexius hatte um einen Beystand von zehntausend Mann Ansuchung gethan, dahingegen er sich itzt durch einen Einfall von siebenhundert tausend Lateinern im Ge dränge fand, die nach und nach anlangeten, sein Land zu verwüsten, keinesweges aber zu beschützen. Wie groß der unbändige Stolz der kreuzfahrenden Ritter gewesen sey, kann man unter andern auch aus dem Zuge abnehmen, den die Prinzeßinn Anna Com nena von einem gewissen französischen Grafen erzäh let, der sich bey einer öffentlichen Ceremonie neben den Kaiser auf seinem Throne niedersetzte. Da Bal duinus, der Bruder Gottfrieds von Bouillon, diesen unbescheidenen Menschen bey dem Arme nahm, und ihn beyseite ziehen wollte, sagte er in seiner gebroche nen Mundart ganz laut: Seht doch! was die ser Grieche für ein Lümmel ist, daß er sich unterstehen darf, vor Leuten, wie wir seyn, sich nieder zu setzen. Diese Worte wurden dem Kaiser Alexius ausgeleget, der aber nur darüber lachte.
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Eine oder zwo solche Unbesonnenheiten sind zureichend, eine ganze Nation in einen übeln Ruf zu bringen; allein die Kreuzfahrer hatten aller dieser Tollkühnhei ten nicht nöthig, um von den Griechen gehasset zu wer den, und dem Kaiser verdächtig zu seyn. Es war wahrscheinlicher maßen unmöglich, daß nicht solche Gäste die Lebensmittel sollten mit Strenge gefordert, und daß nicht die Griechen sie mit Hart näckigkeit sollten verweigert haben. Das gab zu be ständigen Händeln, zwischen dem Volke und der Ar mee des Gottfrieds, die nach den Streifereyen der Kreuzfahrer des Einsiedlers Peters zum ersten er schien, Anlaß. Gottfried gieng so weit, daß er die Vorstädte von Constantinopel angriff, und der Kai ser vertheidigte sie in Person. Der Bischof von Puy in Auvergne, Namens Monteil, Legat des Pabstes bey den Armeen, wollte durchaus, daß man die Feld züge wider die Ungläubigen mit Belagerung der Stadt, wo der erste Fürst der Christen seinen Sitz hatte, eröffnen sollte. Das war auch die Meynung Bohemunds, der damals in Sicilen war, und einen Curier über den andern an Gottfried abschickte, zu verhindern, daß er sich nicht mit dem Kaiser vertrü ge. Hugo der Bruder des Königs von Frankreich, begieng damals die Unvorsichtigkeit, Sicilien, wo er mit dem Bohemund war, zu verlassen, und fast al lein auf das Gebieth des Alexius zu kommen. Zu dieser Unbesonnenheit kam noch eine andere, indem er Briefe von einem Stolze, die einem, der keine Ar mee hatte, sehr schlecht anstund, an ihn abgehen ließ. Die Frucht dieser Handlungen war, daß er einige Zeit, als ein Gefangener, angehalten wurde. End
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lich kam die Politik des griechischen Kaisers zum Zweck, alle diese Stürme abzuwenden. Er ließ Le bensmittel reichen; er ließ sich von allen vornehmen Herren versprechen, daß sie wegen der Länder, die sie erobern würden, ihm den Lehnseid ablegen wollten; er ließ sie insgesammt, nachdem er sie mit Geschen ken überhäufet hatte, nach einander nach Asien übersetzen. Bohemund, für dem er sich am meisten fürchtete, war derjenige, den er am prächtigsten aufnahm. Als dieser Prinz nach Constantinopel kam, ihm seine Aufwartung zu machen, und sich alle seltene Dinge des Pallastes zeigen zu lassen, befahl Alexius, ein Zimmer mit kostbarem Geräthe, silbernen und gol denen Stücken, allerhand Arten von Edelsteinen, ohne Ordnung aufgehäuft, anzufüllen, und die Thür des Zimmers halb offen zu lassen. Bohemund sah diese Schätze im Vorbeygehen, auf welche seine Füh rer keine Aufmerksamkeit zu machen schienen. Ist es möglich, rufte er aus, daß man so schöne Sachen vernachläßiget! Wenn ich sie hätte, würde ich mich für den mächtigsten Fürsten halten. Noch denselben Abend schickte ihm der Kaiser das Cabinet. Das erzählt seine Tochter, eine Augenzeuginn. So bezeigte sich dieser Monarch, den daher jeder uneingenommener einen klugen und prächtigen nennen wird; den aber die meisten Ge schichtschreiber der Kreuzzüge, als einen Treulosen angegeben haben, weil er von dieser gefährlichen Menge kein Sklave seyn wollte. Nachdem er sich endlich glücklich los gemacht hatte, und alles nach Kleinasien übergesetzet war, hielt man
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unweit Nicäa eine Musterung, bey der man hun dert tausend Reuter und sechshundert tausend Mann zu Fuß, die Weiber mitgerechnet, fand. Wenn man diese Anzahl zu den ersten Kreuzfahrern, die unter dem Einsiedler und unter andern umkamen, rechnet, betragen sie zusammen ungefähr eilfhundert tausend. Dieses beweist einigermaßen das, was man von den Armeen der Könige der Perser saget, die Griechenland ehemals überschwemmet haben, und was man von den Versetzungen einer so ungeheuern Menge Barbaren erzählt. Endlich befanden sich die Franzosen und insonderheit Raimund von Thou louse überall auf demjenigen Gebiethe, welches die mittägigen Gallier 1300 Jahre vorher durchstreift hatten, als sie Kleinasien verwüsteten, und der Pro vinz Galatien ihren Namen beylegten. Die Geschichtschreiber melden uns selten, wie sich diese Haufen Menschen unterhielten. Es war eine Sache, die eben so viel Sorgfalt, als der Krieg selbst, erfodert. Die Venetianer wollten es anfangs nicht über sich nehmen. Sie bereicherten sich mehr als jemals, durch ihren Handel mit den Mahometanern, und fürchteten, die Vortheile, die sie in Asien hatten, zu verlieren, wenn sie sich in einen zweifelhaften Krieg mischeten. Die Genueser, Pisaner, und Griechen rüsteten Schiffe, die sie mit Lebensmitteln beluden, aus, und verkauften sie an die Kreuzfahrer, indem sie an Kleinasien wegschiffeten. Durch dieses Mittel kam ein Theil des Goldes und Silbers, wovon sich die Franzosen entblößet hatten, wieder in die Christen heit zurück. Das Glück der Genueser wuchs da
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durch, und man wurde bald darauf in Erstaunen gesetzet, zu sehen, daß Genua eine Macht worden war. Weder der alte Solymann, noch sein Sohn, konnten dem ersten Strome aller dieser kreuzfahren den Fürsten widerstehen. Ihre Truppen waren bes ser ausgesucht, als des Einsiedler Peters seine, und wurden so gut in Zucht und Ordnung erhalten, als die Ungebundenheit der Enthusiasterey es verstattete. Man nahm Nicäa ein (1097). Man schlug die Armeen des jungen Solymanns zweymal. Die Tür ken und Araber konnten im Anfange den Anfall die ser mit Eisen, mit großen spanischen Reutern, und mit Wäldern von Lanzen bedeckten Menge, derglei chen sie nicht gewohnt waren, nicht aushalten. Bo hemund (1098) brauchte die List, sich von den Kreuzfahrern das fruchtbare Land Antiochia abtreten zu lassen. Balduin gieng bis nach Mesopotamien, sich der Stadt Edessa zu bemächtigen, und errichtete allda einen kleinen Staat für sich. Endlich schloß man Jerusalem ein, dessen sich der Kalife von Aegy pten durch seine Feldherren bemeistert hatte. Die meisten Geschichtschreiber geben vor, daß die durch Schlachten, durch Krankheiten, und durch Besa tzungen, die man in die eroberten Plätze hatte legen müssen, verminderte Armee, bis auf zwanzig tau send Mann zu Fuß, und funfzehn hundert zu Pferde geschmolzen, Jerusalem hingegen mit allem wohl versehen, und von einer Besatzung von vierzig tau send Mann vertheidiget worden sey. Man vergißt nicht hinzu zu fügen, daß außer dieser Besatzung sich noch zwanzig tausend beherzte Einwohner darinnen befunden. Es wird kein vernünftiger Leser seyn, der
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nicht einsehen sollte, daß es menschlichem Ansehen nach unmöglich sey, daß eine Armee von zwanzig tausend Mann eine von sechzig tausend in einem be festigten Platze sollte belagern können. Hiernächst, daß Jerusalem vor der Belagerung zwanzig tausend Einwohner, die die Waffen trugen, erhalten konnte, mußte es wenigstens mit ungefähr sechzig tausend Seelen damals bevölkert seyn; es fehlte aber gar viel, daß dieses verwüstete Land nur den fünften Theil hätte in seinen Mauren ernähren können. Würden endlich nicht sechzig tausend Tür ken und Araber zwanzig tausend Christen im freyen Felde überfalley haben? Würden sie nicht diese kleine Armee der Belagerer durch unaufhörliche Aus fälle zu Grunde gerichtet haben? Die Geschicht schreiber aber haben allezeit das Wunderbare geliebt. Das ist wahr, die Stadt wurde nach einer nur fünf wöchentlichen Belagerung (1099) im Sturm ero bert, und alles, was nicht ein Christ war, wurde viele Tage nach einander, ohne Unterschied des Al ters und Geschlechts, jämmerlich ermordet. Der Einsiedler Peter, der aus einem General ein Kapellan worden war, befand sich bey der Ero berung Jerusalems. Einige Christen, die die Mu selmänner in der Stadt hatten leben lassen, führten die Sieger in die entferntesten und verborgensten Kel ler, wo sich die Mütter mit ihren Kindern versteckt hatten, und nichts wurde verschonet. Die Herren und Meister von Jerusalem ver sammelten sich schon, dem jüdischen Lande einen Kö nig zu geben. Die Geistlichen, die der Armee nach folgeten, begaben sich in die Versammlung, und er
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kläreten alle Wahl, die man anstellen wollte, für null und nichtig, weil man ihrem Vorgeben nach erst einen Patriarchen machen müsse, ehe man einen König ernennen wollte. Unterdessen wurde doch Gottfried von Bouillon, nicht zwar zum Könige, sondern zum Herzoge von Jerusalem erwählet. Einige Monate darnach kam ein päbstlicher Legat, Namens Daimbarto, an, der sich durch die Geistlichkeit zu einem Patriarchen er nennen ließ. Das erste, was dieser Patriarch that, war, Jerusalem für sich selbst zu nehmen. Gott fried von Bouillon, der die Stadt mit Aufsetzung seines Blutes erobert hatte, mußte sie diesem Bi schofe abtreten. Er behielt sich den Hafen Joppe und einige Rechte in Jerusalem vor; ziemlich mittel mäßige Rechte in diesem verwüsteten Lande. Sein Vaterland, das er verlassen hatte, war weit mehr werth, als er in dem gelobten Lande erworben hatte. Einerley Umstände bringen auch einerley Wirkun gen hervor. Man hat gesehen, daß, nachdem die Nachfolger des Mahomets so viele Staaten erobert hatten, die Uneinigkeit sie trennete; die Kreuzfahrer erfuhren ein bey nahe gleiches Schicksal; sie erober ten weniger, und wurden eher getrennet. Man sieht itzo schon drey kleine christliche Staaten, die auf einmal in Asien errichtet worden, zu Antiochia, Je rusalem und Edessa. Einige Jahre darnach ent stund ein vierter, nämlich der zu Tripoli in Syrien, welchen der junge Bertrand, ein Sohn des Grafen von Thoulouse, überkam; allein um Tripoli zu erobern, mußte man zu den venetianischen Schiffen seine Zu flucht nehmen. Sie nahmen damals an den Kreuz
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zügen Antheil, und ließen sich einen Theil dieser neuen Eroberung abtreten. Alle diese neuen Fürsten hatten versprochen, dem griechischen Kaiser den Lehnseid von allem, was sie an sich bringen würden, abzulegen. Keiner hielt sein Wort, und alle waren einer auf den andern eifersüchtig. In kurzer Zeit kamen diese zertheilten und abermals zertheilten Staaten in viele verschiedene Hände. Es erhoben sich, wie in Frankreich, kleine Herren, Grafen von Joppe, Marquis von Galiläa, von Sidon, von Akre, von Cäsarea. Solymann, der Antiochia und Nicäa verloren hatte, hielt sich beständig auf dem platten Lande, das ohnedem von Muselmännern bewohnet war; und unter diesem Solymann und nach ihm sahe man in Syrien und Kleinasien eine Vermischung von Chri sten, Türken und Arabern, die einander alle in Haaren lagen. Ein türkisches schloßSchloß gränzte mit ei nem christlichen, so wie in Deutschland die Länder der Protestanten und Katholiken wechselsweise einander begränzen. Von dieser Million Kreuzfahrer war damals nur noch wenig übrig. Auf das Gerücht von ihrem glück lichen Fortgange, welches durch den Ruf vergrößert wurde, brach noch ein neuer Schwarm aus dem Oc cidente auf. Der Prinz Hugo, ein Bruder Phi lipps des Ersten, der vor der Eroberung von Jeru salem wieder zurück nach Frankreich gekommen war, führete, ohne das geringste von seinem Bruder dazu erhalten zu haben, eine neue Menge, welche Deutsche und Italiener vermehreten, dahin ab. Man rechnete deren drey hundert tausend, und wenn man sie auch
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auf zwey Drittheile herunter setzet, so sind es doch abermals wenigstens zwey hundert tausend, die es der Christenheit kostete. Diesen wurde in der Ge gend von Constantinopel ungefähr so begegnet, wie man den Nachfolgern des Einsiedlers Peter begegnet hatte. Die in Asien anlandeten, wurden von Soly mannen über den Haufen geworfen, und der Prinz Hugo starb, fast im äußersten Elende, in Kleinasien. Was vielleicht die Schwäche des neuen Herzog thums zu Jerusalem gleichfalls erweist, ist die Er richtung (1092) der geistlichen Soldaten, der Tem pelherren und der Hospitalier. Diese Mönche, die anfangs nur zu Wartung der Kranken bestellet wa ren, müssen wohl nicht in genugsamer Sicherheit ge wesen seyn, weil sie Waffen nahmen. Wenn hier nächst die allgemeine Gesellschaft wohl regieret wird, macht man so leicht keine besondere Verbindungen. Die zum Dienste der Verwundeten geweihten Mön che verpflichteten sich durch ein Gelübde im Jahre 1118, sich zu schlagen, und sodann entstund auf ein mal unter dem Namen der Tempelherren eine Militz, die diesen Titel deswegen annahm, weil sie nicht weit von derjenigen Kirche wohnte, die ehemals der Tem pel Salomo gewesen seyn sollte. Diese Stiftungen hat man allein den Franzosen zu danken. Raimund Dupuis, erster Großmeister und Stifter des Hospi talierordens war aus Dauphine gebürtig. Die Stif ter der Tempelherren waren andere Franzosen. Kaum waren diese beyden Orden durch die Bullen der Päbste bestätiget, als sie reich und gegen einander eifersüch tig wurden. Sie schlugen sich eben so oft mit einan der, als wider die Mahometaner. Das weiße Kleid
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der Tempelherren und der schwarze Oberrock der Hospi talier war eine beständige Losung zu Schlachten. Bald darauf entstund noch ein neuer Orden zum Besten der im gelobten Lande zurück gebliebenen Deutschen, und das war der Orden deutscher Mönche, der nachher in Europa eine Miliz von Länder bezwingenden Mön chen wurde. Die Sachen der Christen waren so wenig sicher und gegründet, daß Balduin, erster König von Je rusalem, der nach dem Tode seines Bruders Gott fried regierte, fast an den Thoren der selbst von einem türkischen Prinzen gefangen wurde, dessen Witwe ihn kurz darnach lieber für eine gute Summe Geldes loslassen, als durch seinen Tod die Verwüstung Je rusalems rächen wollte. Die Eroberungen der Chri sten nahmen von Tag zu Tag ab; die ersten Bezwin ger waren nicht mehr vorhanden; ihre Nachfolger waren verzärtelt; das Ländgen Edessa hatten die Tür ken 1140 wieder eingenommen, und bedroheten nun mehr Jerusalem. Die griechischen Kaiser, die in den Fürsten von Antiochia, ihren Nachbarn, nichts als unrechtmäßige Besitzer sahen, führeten mit ihnen, nicht ohne Gerechtigkeit, Krieg. Die Christen in Asien, die von allen Seiten bedrohet wurden, hielten in Europa um eine neue Kreuzfahrt an. Die Päbste hatten nicht geringere Ursache, so viele Kirchen, die ihre Rechte und Reichthümer vermehren sollten, zu schützen. Frankreich hatte den Anfang zur ersten Ueber schwemmung gemacht; an dasselbe wendete man sich auch wegen der zweyten. Pabst Eugen der Dritte, der vormals ein Schüler des heiligen Bernhards,
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des Stifters von Clairvaux, gewesen war, suchte mit gutem Bedachte seinen ehemaligen Lehrer zum WerzeugeWerkzeuge einer neuen Entvölkerung aus. Niemals hat ein Mensch die Unruhen der öffentli lichen Angelegenheiten mit der Strenge seines Stan des geschickter zu verbinden gewußt, als Bernhard. Kein Mensch hatte noch eine so bloß persönliche Hoch achtung, die über das Ansehen selbst hinaus war, er halten. Sein Zeitgenoß, der Abt Suger, war der vornehmste Staatsbediente in Frankreich; sein Schü ler Eugen war Pabst; aber Bernhard, schlechter Abt von Clairvaux, war das Orakel von Frankreich und von Europa. Zu Vezelay in Burgund wurde 1146 auf dem offe nen Marktplatze ein Gerüste aufgerichtet, auf welchem Bernhard, den König von Frankreich, Ludewig den jüngern an der Seite habend, erschien. Er redete zuerst, hernach der König. Alles, was zugegen war, nahm das Kreuz; der König empfing es aus den Händen des heiligen Bernhards zuerst. Der Minister Suger fand nicht für gut, daß der König den wirklichen Vortheil, den er seinen Staaten schaf fen könnte, in Wind schlüge, um in Syrien auf un gewisse Eroberungen auszugehen. Allein die Beredt samkeit Bernhardsnndund die Meynung der Zeit, ohne welche diese Beredtsamkeit nichts war, behielten über den Rath des Ministers die Oberhand. Man malet uns Ludewig den jüngern als einen Prinzen ab, der mit mehr Gewissenszweifel, als Tu gend erfüllet war. In einem von den kleinen inner lichen Kriegen, welche die lehensherrliche Regierung in Frankreich unvermeidlich machte, hatten die
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Truppen des Königs die Kirche von Vitri verbrannt, und das Volk, das sich in diese Kirche geflüchtet hatte, war in den Flammen umgekommen. Man beredete den König leicht, daß er dieses Verbrechen nicht anders, als im gelobten Lande büßen könnte, da es doch in Frankreich durch eine kluge Regierung weit besser hätte können ersetzet werden. Seine junge Gemahlinn Eleonora von Guyenne trat den Kreuzzug mit dem Könige an, entweder weil sie ihn damals liebte, oder weil es die Anständigkeit in die sen Zeiten erfoderte, den Mann in dergleichen Kriegen zu begleiten. Bernhard hatte sich ein so besonderes Ansehen er worben, daß man ihn in einer neuen Versammlung zu Chartres zum Haupt und Anführer des Kreuzzu ges erwählte. Dieses scheint fast unglaublich. Man hatte einen König von Frankreich, und man wählte einen Mönch; allein, alles ist von der Unbe sonnenheit des Volkes glaublich. Doch der heilige Bernhard hatte zu viel Verstand, als daß er sich dem Lächerlichen, das ihn bedrohte, hätte aussetzen sollen. Das Beyspiel des Einsiedlers Peter war noch neu. Er schlug es also aus. Aus Frankreich gieng er nach Deutschland. Er fand daselbst einen andern Mönch, der ebenfalls das Kreuz predigte. Er legte demselben ein Stillschwei gen auf, weil er seine Sendung nicht vom Pabste hatte. Er gab endlich dem Kaiser, Conrad dem drit ten, selbst das Kreuz, und versprach öffentlich den Sieg über die Ungläubigen. Die Hoffnung eines gewissen Sieges machte, daß dem Kaiser und Könige von Frankreich der meiste
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Theil der Ritterschaft ihrer Staaten nachfolgeten. Man zählte bey jeder von beyden Armeen siebenzig tausend mit Lanzen bewaffnete Reuter, mit einer er staunend starken leichten Reuterey. Das Fußvolk zählte man nicht. Der heilige Bernhard saget in seinen Briefen, daß in den meisten Flecken, außer den Weibern und Kindern, niemand zurück geblieben sey. Wer sich mit einem Kreuze konnte bezeichnen lassen, und that es nicht, dem schickte man einen Spinnrocken und eine Spindel. Die mehresten Weiber der Kreuzfahrer folgten ihren Männern. Man kann diese zweyte Auswanderung nicht weniger rechnen, als aufs geringste zu dreymal hundert tau send Mann, welche mit den dreyzehn hundert tau send, die wir im vorhergehenden bemerket haben, zusammen gerechnet bis auf diesen Zeitpunct, sech zehn hundert tausend versetzter Einwohner betragen. Die Deutschen brachen zum ersten auf, und die Fran zosen folgten ihnen. Es ist natürlich, daß von die sen Haufen, die unter einen andern Erdstrich kom men, die Krankheiten einen großen Theil hinreißen. (1147) Die Unmäßigkeit verursachte insonderheit unter der Armee des Conrads in den Ebenen Con stantinopels ein Sterben. Daher breitete sich so gleich in dem ganzen Occidente das Gerücht aus, daß die Griechen die Brunnen und Quellen vergiftet hät ten. Eben diejenigen Ausschweifungen, die die er sten Kreuzfahrer begangen hatten, wurden von den zweyten erneuert, und erweckten dem Kaiser Manuel Comnenus eben diejenigen Unruhen, die sie seinem Großvater Alexius verursachet hatten.
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Nachdem Conrad über den Bosphorus gegangen war, führete er sich mit derjenigen Unbehutsamkeit auf, die mit dergleichen Unternehmungen verknüpfet ist. Das Fürstenthum zu Antiochia hielt sich noch. Man hätte sich mit diesen Christen in Syrien vereini gen, und den König in Frankreich erwarten können. Solchergestalt hätte die Menge siegen müssen. Al lein der deutsche Kaiser, der gegen den Fürsten von Antiochia und den König von Frankreich eifersüchtig war, vertiefte sich mitten in Kleinasien. Ein Sul tan von Ikonium, der listiger als er war, zog diese schwere deutsche Reuterey, welche ermüdet, ohne Muth, und nicht im Stande war, in dieser Gegend zu fechten in die Gebirge. Die Türken hatten nichts weiter zu thun, als nur zu morden. Der Kaiser, der verwundet war, und nur einige flüchtige Trup pen noch um sich hatte, floh nach Antiochia, und that von dar, als ein Pilgrim, eine Reise nach Je rusalem, an statt daß er als ein General der Armee hätte daselbst erscheinen sollen. Der berühmte Frie drich der Rothbart, sein Neffe und Nachfolger im deutschen Reiche, folgte ihm auf seinen Reisen, und lernte bey den Türken eine Standhaftigkeit ausüben, die die Päbste nachher auf weit größere Proben setzten. Das Unternehmen Ludwigs des jüngern hatte eben den Erfolg. Man muß gestehen, daß, wenn die, welche ihn begleiteten, eben so wenig Vorsichtigkeit bezeigten, wie die Deutschen, sie noch weit weniger Gerechtigkeit bewiesen. Kaum war man in Thracien angekommen, als ein Bischof von Langres den Vor schlag that, sich Constantinopels, dem Entwurfe des
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päbstlichen Legatens bey dem ersten Kreuzzuge zu fol ge, zu bemächtigen; allein der Schimpf war wegen einer solchen Handlung gewiß, der Erfolg ungewiß. Die französische Armee gieng auf den Fußtapfen des Kaisers Conrad über den Hellespont. Ich glaube nicht, daß jemand sey, der nicht sollte bemerket haben, daß diese mächtigen Armeen der Christen in eben den Ländern den Krieg führeten, wo Alexander der große mit weit wenigern Truppen über ungleich mächtigere Feinde, als die Türken und Ara ber damals waren, allezeit gesieget hatte. Es mußte aber wohl in der Kriegszucht der kreuzfahrenden Prinzen ein Grundfehler seyn, der allen ihren Muth unnütze machte. Dieser Fehler war wahrscheinlicher Weise der Geist der Unabhängigkeit, den die Lehns herrliche Regierungsform in Europa eingeführet hatte. Häupter ohne Erfahrung und Verstand führe ten unordentliche Haufen in unbekanten Ländern an. Der König von Frankreich, (1149) der, wie der Kaiser, in den Felsen bey Laodicäa überrumpelt wur de, wurde, wie er, geschlagen; er erfuhr aber zu Antiochia häusliche Widerwärtigkeiten, welche em pfindlicher waren, als die allgemeine Noth. Raimund, Fürst von Antiochia, zu dem er mit der Königinn Eleonora, seiner Gemahlinn, seine Zu flucht nahm, wurde im Verdacht einer Liebe gegen diese Prinzeßinn gehalten. Ja, man saget, daß sie alle Beschwerlichkeiten einer so verdrüßlichen Reise mit einem jungen Türken von einer seltenen Schön heit, Namens Saladin, vergessen habe. Das En de dieser ganzen Unternehmung war, daß der Kaiser Conrad fast ganz allein nach Deutschland zurück
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gieng, und der König nur seine Gemahlinn und ei nige Hofleute nach Frankreich zurück führete. Nach seiner Rückkunft ließ er seine Ehe mit Eleonora von Guyenne aufheben, und verlor also diese schöne Pro vinz von Frankreich, nachdem er in Asien die schönste Armee, die sein Land noch jemals auf die Beine ge bracht, verloren hatte. Tausend betrübte Familien zogen wider den heiligen Bernhard los. Nach diesen unglücklichen Feldzügen waren die Christen in Asien weit mehr unter einander uneins, als jemals. Eben diese Wuth herrschte unter den Muselmännern. Der Vorwand der Religion hatte weiter keinen Antheil an den politischen Angelegenhei ten. Es trug sich im Jahre 1166 gar zu, daß Al merich, König von Jerusalem, sich mit dem Sultan von Aegypten wider die Türken vereinigte. Aber kaum hatte der König von Jerusalem diesen Tractat unterzeichnet, als er ihn wider brach. Die Ritter des Hospitals zu St. Johann zu Jerusalem unter stützten ihn mit ihrem Gelde und mit ihrer Macht, die nicht gering waren. Sie hofften, sich Aegypten unterwürfig zu machen, sahen sich aber alle genöthi get, mit der Schande, ihren Eid gebrochen zu ha ben, wieder nach Jerusalem zurück zu gehen. Mitten unter diesen Unruhen kam der große Sa ladin, ein Neffe des Noradins, Sultans von Alep po, zum Vorschein; er eroberte Syrien, Arabien, Persien und Mesopotamien. Ein Tempelherr, Na mens Melieu, verließ seinen Orden und seine Reli gion, um unter diesem Bezwinger zu dienen, und trug viel bey, ihm Armenien zu unterwerfen. Sala din, Herr so vieler Länder, wollte mitten unter seinen
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Staaten das Königreich Jerusalem nicht lassen. Heftig gegen einander erbitterte Parteyen zerfleischten diesen kleinen Staat, und beförderten seinen Unter gang. Gvido von Lusignan, gekrönter König, dem man aber die Krone streitig machte, versammlete in Galiläa alle die getrennten Christen, die die Gefahr vereinigte, und marschirte gegen den Saladin. Der Bischof von Ptolemais, der seine Kappe über dem Küraß trug, und zwischen seinen Händen ein Kreuz hielt, munterte die Truppen auf, auf demjenigen Gebiethe, wo ihr Gott so viele Wunder gethan hät te, tapfer zu fechten; nichts desto weniger wurden alle Christen entweder getödtet oder gefangen. Der gefangene König, der nichts, als den Tod, erwartete, war verwundert, von dem Saladin, so wie es heut zu Tage die leutseligsten Generale den Kriegsgefangenen thun, zu begegnen pflegen, tractirt zu werden. Sa ladin reichte mit seiner Hand dem Lusignan einen Be cher mit einem in Schnee abgekühlten Tranke dar. Nachdem der König getrunken hatte, wollte er den Becher auch einem seiner Officiers, Namens Re naud von Chatillon, geben. Es war eine unverletz liche Gewohnheit bey den Muselmännern, und die sich noch bey einigen Arabern erhält, die Gefangenen, denen sie zu essen und zu trinken gegeben haben, nicht um bringen zu lassen. Dieses Recht der alten Gast freundschaft war für den Saladin geheiliget. Er gab es nicht zu, daß Renaud von Chatillon nach dem Könige trank. Dieser Officier hatte sein Ver sprechen vielmals übertreten, der Sieger hatte einen Eid gethan, ihn zu strafen, und, indem er zeigte, daß er eben so sich zu rächen, als zu vergeben wüßte,
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ließ er demjenigen, den er für treulos hielt, den Kopf mit einem Sebelhiebe herunter hauen. Da er vor den Thoren Jerusalems, das sich nicht weiter weh ren konnte, ankam, stund Saladin der Gemahlinn des Lusignans, wegen Uebergabe der Stadt, einen Vergleich zu, dergleichen sie nicht hoffte. Er er laubte ihr, sich hinzuwenden, wo sie hin wollte. (1187) Er verlangte von den Griechen, die in der Stadt blieben, keine Ranzion, und von den Latei nern nahm er nur eine geringe. Als er seinen Ein zug in Jerusalem hielt, warfen sich eine Menge Weibespersonen zu seinen Füßen, deren einige um ihre Männer, andere um ihre Kinder, noch andere um ihre Väter baten, die er gefangen hielt. Er gab sie ihnen insgesammt mit einer Großmuth, die in diesem Theile der Welt noch kein Exempel hatte, wieder. Saladin ließ durch die Hände der Christen selbst die Moschee, die in eine Kirche war verwandelt worden, mit Rosenwasser waschen. Er ließ 1187 einen prächtigen Lehrstuhl darinnen aufrichten, daran sein Oheim Noradin, Sultan von Aleppo, selbst gearbeitet hatte, und über die Thür ließ er diese Worte graben: „Der König Saladin, der Knecht Gottes, setzte diese Ueberschrift, als Gott durch seine Hände Jerusalem eingenommen hatte.„ Aber ungeachtet seines Eifers für seine Religion, gab er doch den morgenländischen Christen die Kirche des heiligen Grabes wieder. Wenn man dieses Bezei gen mit der Christen ihrem, als sie Jerusalem ein nahmen, in Vergleichung zieht, sieht man leider! wer die Barbaren seyn. Man muß noch hinzu fü gen, daß Saladin, nach Verlauf eines Jahres,
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dem Gvido von Lusignan die Freyheit wieder gab, nachdem er einen Eid von ihm genommen hatte, daß er niemals die Waffen wider seinen Befreyer tragen wollte. Lusignan hielt sein Wort nicht. Während daß Kleinasien der Schauplatz des Ei fers, des Ruhms, der Schandthaten und des Un glücks so vieler tausend Kreuzfahrer gewesen war, hat te sich die Wuth, die Religion mit den Waffen in der Hand anzukündigen, auch mitten in Norden ausge breitet. Wir haben Carln den großen das nordliche Deutsch land, das man Sachsen nannte, mit Feuer und Schwerdt bekehren sehen. Hernach sahen wir die abgöttischen Dänen Europa zitternd machen, und die Normandie erobern, ohne daß sie jemals einen Versuch thaten, daselbst die Abgötterey einzuführen. Kaum war das Christenthum in Dänemark, in dem alten Sachsen und in Scandinavien befestigt, als man wider die Heiden in Norden, die man Sklaven oder Slaven nannte, und die ihren Namen dem Lande, das an Un garn stößt, und Sklavonien heißt, gegeben haben, das Kreuz predigte. Sie wohneten damals an dem östlichen Ufer der Ostsee, in Ingermanland, Liefland, Samogitien, Curland, Pommern, Preußen, die Christen rüsteten sich von Bremen an bis in das Herz von Scandinavien wider sie. Ueber hunderttausend Kreuzfahrer richteten Verwüstung und Zerstörung unter diesen Abgöttern an. Man tödtete eine große Menge, und bekehrte niemand. Dieser Kreuzzug endigte sich bald in einem wilden Lande, wo die Trup pen nicht lange stehen konnten, und wo die Kriegs kunst nichts als ein Sengen und Brennen wilder Men
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schen war. Man kann den Verlust dieser hundert tausend Menschen zu den sechzehen hundert tausend, die diese Art Kriege unserm Europa gekostet hatte, noch hinzufügen. Indessen hatten die Christen in Asien nichts mehr, als Antiochia, Tripoli, Joppe nnd die Stadt Tyr, die ehemalige Beherrscherinn der Meere, damals aber schlechte Zuflucht der Ueberwundenen. Saladin besaß alles das übrige, theils für sich, theils durch seinen Eidam den Sultan zu Ikonium oder Cogni, der das Land, das wir heut zu Tage Karamanien nennen, beherrschete. Durch das Gerüchte von den Siegen des Sala dins, wurde ganz Europa beunruhigt. Der Pabst Clemens der dritte erregte Frankreich, England und Deutschland. Philipp August, der damals in Frankreich regierte, und der alte Heinrich der zweyte, König von Eng land, setzten inzwischen ihre Zwistigkeiten bey seite, und richteten alle ihre Gedanken darauf, wie sie es einander in Rettung Asiens zuvor thun möchten. Sie ließen, jeder in seinen Staaten eine Verordnung ergehen, daß alle, welche das Kreuz anzunehmen sich weigerten, den zehnten Theil ihrer Einkünfte und ih rer beweglichen Güter zu den Unkosten der Ausrüstung zahlen sollten; und dieses nennete man den Saladin schen Zehnten, eine Auflage, die dem Ruhme des Bezwingers zum Siegeszeichen diente. Dieser Kaiser, Friedrich der Rothbart, der von den Verfolgungen, die er von den Päbsten erlitten, und die er ihnen wieder anthat, berühmt ist, nahm fast zu gleicher Zeit das Kreuz an, und that sich un
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ter allen am ersten hervor. Es schien, als ob er dar zu bestimmt wäre, bey den Christen Asiens dasjenige zu seyn, was Saladin bey den Türken war. Er führte als ein Staatsverständiger, als ein großer Ge neral, und der durch das Glück gnugsam geprüft war, eine Armee von hundert und funfzig tausend Mann ins Feld. Er brauchte die Vorsicht, zu verordnen, daß man keinen mit dem Kreuze bezeichnen sollte, der nicht wenigstens hundert und funfzig Franken Sil bers nach unsrer heutigen Münze baar hätte, da mit ein jeder durch seinen Fleiß und sein Geld dem grausamen Mangel, der die vorigen Armeen größten theils aufgerieben hatte, vorkommen könnte. Er mußte Anfangs mit den Griechen sich herumschlagen. Der Hof zu Constantinopel, der es müde war, be ständig von den Lateinern bedrohet zu werden, machte endlich mit dem Saladin ein Bündniß. Ganz Eu ropa schrye über dieses Bündniß, es ist aber augen scheinlich, daß es unumgänglich nothwendig war. Man verbindet sich mit seinem natürlichen Feinde nicht ohne Noth. Unsre heutige Bündnisse mit den Türken, die vielleicht weniger nöthig sind, verursa chen nicht so viel Murren. Friedrich machte sich mit Gewalt wider den Kaiser Isaac Angelus einen Weg durch Thracien, wie er über die Griechen ge siegt, so gewann er auch (1190) zween Siege wider den Sultan von Cogni. Da er sich aber ganz im Schweiße in dem Wasser eines Flusses, den man für den Cydnus hält, gebadet, starb er davon, und alle seine Siege waren ohne Nutzen. Sie hatten ohne Zweifel viel gekostet, weil sein Sohn, der Herzog Friedrich von Schwaben, von hundert und funfzig
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tausend Mann, die seinem Vater nachgefolget waren, aufs höchste nicht mehr als sieben bis achttausend zu sammen bringen konnte. Er führte sie nach Antio chia, und stieß mit diesen Ueberbleibseln zu dem Heere des Königes von Jerusalem Gvido von Lusignan, der, ungeachtet des gethanen Eides und der Ungleichheit der Waffen, dennoch seinen Sieger noch einmal an greifen wollte. Nach verschiedenen Schlachten, deren keine ent scheidend war, verlor dieser Sohn Friedrichs des Rothbarts, welcher Kaiser im Occident hätte seyn sol len, sein Leben ohnweit Ptolemais an einer Krankheit, die alle Deutsche in diesem Erdstriche hinriß. Die, welche aufgezeichnet haben, daß dieser Prinz, als ein Märtyrer der Keuschheit gestorben sey, und daß er durch den Gebrauch der Weiber hätte davon kommen können, sind zugleich sehr verwegene Lobredner und schlecht unterrichtete Naturkündiger. Man sagt eben das seitdem auch von dem Könige in Frankreich Lud wig dem achten. Kleinasien war ein Abgrund, worein sich Europa gestürzet hatte. Nicht allein diese unbeschreibliche Armee des Kaisers Friedrichs war verloren, sondern die englischen, französischen, italiänischen und deut schen Flotten, die noch vor der Ankunft Philipp Au gusts und Richards, genannt Löwenherz, anlangten, hatten neue Kreuzfahrer und neue Schlachtopfer her beygebracht. Endlich kamen die Könige von Frank reich und England in Syrien vor Ptolemais, das man Akre nennt, an. Fast alle Christen im Oriente
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hatten sich versammlet, diese Stadt, die man als den Schlüssel des Landes ansahe, zu belagern. Sa ladin war in der Gegend des Euphrats in einen in nerlichen Krieg verwickelt. Nachdem die beyden Könige ihre Macht mit der orientalischen Christen ihrer vereiniget hatten, zählte man über dreymal hun dert tausend Soldaten. Ptolemais wurde zwar wirklich erobert (1190), al lein die Uneinigkeit, die nothwendig zween Prinzen, wie Philippus und Richard, die nach gleichen Ehren und Vortheilen mit gleichem Eifer trachteten, trennen mußte, richtete größern Schaden an, als diese drey mal hundert tausend Mann glückliche Thaten verrich teten. Philippus, dieser Trennungen müde, noch mehr aber über die Ueberlegenheit und über das zu sehr überhand nehmende Ansehen, welches Richard sein Lehnsmann, in allem hatte, verdrüßlich, kehrte in sein Vaterland zurück, welches er vielleicht gar nicht hätte verlassen, itzt aber wenigstens mit meh rerm Ruhm hätte wiedersehen sollen. Richard, der nun Herr von dem Felde der Ehren, nicht aber von dieser Menge der Kreuzfahrer war, die unter einander noch weniger, als die beyden Kö nige, eins waren, ließ vergebens die heldenmäßigste Tapferkeit sehen. Saladin, der siegreich aus Meso potamien zurück kam, lieferte den Kreuzfahrern eine Schlacht bey Cäsarea. Man sahe diesen Bezwinger an der Spitze seiner Mahometaner und den Richard an der Christen ihrer, einer gegen den andern, als zween Ritter auf dem Turnierplatze, fechten. Richard
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hatte die Ehre, den Saladin aus dem Sattel zu he ben; und das war fast alles, was er in dieser merk würdigen Schlacht gewann. Die Strapatzen, die Krankheiten, die kleinen Schlachten, die beständigen Zänkereyen rieben diese große Armee auf, und Richard kehrte zwar mit mehrerem Ruhm, als Philipp Au gust, aber auch auf eine weit unbehutsamere Art zu rück. Er gieng mit einem einzigen Schiffe von der jenigen Küste Syriens ab, auf welche er ein Jahr vorher mit einer fürchterlichen Flotte losgeseegelt war, und da sein Schiff auf den Küsten von Venedig schei terte, wanderte er verkleidet und in schlechter Beglei tung durch die Hälfte von Deutschland. In Syrien hatte er einen Herzog von Oesterreich durch seinen Stolz beleidigt, und itzt hatte er die Unachtsamkeit durch dessen Länder zu reisen. Dieser Herzog von Oesterreich legte ihn in Ketten, und lieferte ihn dem Kaiser Heinrich dem sechsten, der ihn, als einen Feind, den er im Kriege gefangen genommen hätte, im Ge fängnisse verwahrte, aus. Er verlangte von ihm statt der Loskaufung hunderttausend Mark Silbers. England verlor also bey diesem neuen Kreuzzuge weit mehr, als Frankreich, in welchem ein mächtiger und tapferer Kaiser, und zween dergleichen Könige, mit der ganzen Macht von Europa dem Saladin nichts abgewinnen konnten. Dieser berühmte Muselmann, der mit dem Ri chard einen Tractat gemacht hatte, vermöge dessen er den Christen die Seeküste von Tyr bis nach Joppe überließ, und das übrige alles für sich behielt, hielt sein Wort, davon er ein Sklave war, redlich. Er
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starb (1195) funfzehn Jahre darnach zu Damasco, von den Christen selbst bewundert. Er hatte in seiner letzten Krankheit, statt der Fahne, die man vor seine Thüre zu pflanzen pflegte, das Tuch, darinnen man ihn begraben sollte, bringen lassen. Der, welcher die Todesfahne hielt, rufte mit lauter Stimme aus: „das ist alles, was Saladin, der Bezwinger des Orients, von seinen Siegen davon trägt.„ Man sagt, er habe in seinem Testamente verord net, gleichgroße Summen unter die armen Mahome taner, Juden und Christen, als Allmosen, auszuthei len, durch welche Verordnungen er habe zu verstehen geben wollen, daß alle Menschen Brüder wären, und man, um ihnen beyzustehen, sich nicht darnach, was sie glaubten, sondern, was sie auszustehen hätten, erkundigen müßte. Er hatte auch niemals um der Religion willen jemand verfolget; er war zugleich ein Bezwinger, ein Mensch, und ein Philosoph. Ludwig der neunte, schien recht darzu bestimmt zu seyn, nicht nur Europa wieder in Ordnung zu brin gen, wenn es darzu zur Zeit noch fähig gewesen wäre, sondern auch Frankreich triumphirend und gesittet zu machen, und selbst in allen Stücken ein Muster der Menschen zu seyn. Seine Gottesfurcht, welche der, eines Einsiedlers nichts nachgab, entzog ihm die kö niglichen Tugenden nicht. Seine Freygebigkeit hin derte ihn nicht an einer klugen Haushaltung. Er wußte eine tiefe Politik mit einer genauen Gerechtigkeit zu verbinden, und vielleicht ist er der einzige Monarch, der dieses Lob verdienet. Klug und standhaft in sei
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nen Entschließungen; unerschrocken in Schlachten, ohne hitzig zu seyn; mitleidig, als wenn er beständig unglücklich gewesen wäre. Kaum ist es möglich, daß ein Mensch die Tugend weiter treiben könne. Er hatte zugleich mit der Regentinn, seiner Mutter, die zu regieren wußte, den Misbrauch, der zu weit greifenden Gerichtsbarkeit der Geistlichen Einhalt ge than. Er wollte nicht, daß die Gerichtsbedienten die Güter dererjenigen, die im Banne waren, einzögen, ohne zu untersuchen, ob der Bann recht oder unrecht wäre. Der König, der einen sehr klugen Unterschied zwischen den bürgerlichen Gesetzen, denen alles gehor chen muß, und den Gesetzen der Kirchen machte, de ren Herrschaft sich nicht weiter, als auf die Gewissen erstrecken soll, gab nicht zu, daß die Gesetze des Kö nigreichs unter diesen Misbrauch der Bannstrahlen sich hätten biegen sollen. Dadurch, daß er von An fange seiner Regierung die Ansprüche der Bischöfe und der Layen klüglich eingeschränkt hielt, unterdrückte er die Meutereyen in Bretagne: er hatte eine kluge Neutralität zwischen Gregorius dem neunten und Friedrich dem zweyten beobachtet. Seine Kammergüter, die an sich selbst schon an sehnlich waren, vermehrte er durch viele Stücke Lan des, die er darzu kaufte. Die Einkünfte der Könige von Frankreich bestunden damals in ihren eigenen Gü tern; ihre Hoheit kam eben so wohl, als eines Pri vatedelmannes seine, auf eine wohleingerichtete Haus haltung an.
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Diese Haushaltung hatte ihn in den Stand ge setzt, mächtige Armeen wider den König von England Heinrich den dritten, und wider die Vasallen von Frankreich, die es mit England hielten, anzuwerben. Heinrich der dritte, der weniger reich war, und dem die Engländer weniger gehorchten, hatte weder so gute Truppen, noch die so geschwind fertig waren. Ludwig, der ihn, an Muth, wie an Behutsamkeit und Vorsicht übertraf, schlug ihn zweymal, und in sonderheit zu Tailleburg in Poitou. Der englische König nahm die Flucht vor ihm. Auf diesen rühm lichen Krieg folgte ein vortheilhafter Friede. Die Vasallen von Frankreich bequemten sich wieder zu ih rer Schuldigkeit, und handelten weiter nicht darwi der. Der König vergaß auch nicht, den Engländern fünf tausend Pfund Sterlings statt einer Ersetzung der Kriegsunkosten aufzulegen. Wenn man bedenkt, daß er noch nicht vier und zwanzig Jahr alt war, da er sich also aufführte, und daß seine Gemüthsart weit über sein Glück erhoben war, so sieht man leicht, was er würde gethan haben, wenn er in seinem Vaterlan de geblieben wäre, und man bejammert, daß Frank reich durch seine Tugenden selbst, die das Glück der Welt hätten machen sollen, hat unglücklich seyn müs sen. Als Ludwig im Jahr 1244 in eine heftige Krank heit verfiel, glaubte er, wie man vorgiebt, in einer Schlafsucht eine Stimme zu hören, die ihm anbe fohlen, das Kreuz wider die Ungläubigen zu nehmen. Kaum konnte er reden, so that er das Gelübde, einen Kreuzzug zu thun. Die Königinn seine Mutter, die
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Königinn seine Gemahlinn, sein Rath, und alles, was sich ihm näherte, sahe die Gefahr dieses betrüb ten Gelübdes wohl ein. Der Bischof von Paris selbst stellte ihm die gefährlichen Folgen davon vor. Allein Ludwig sahe dieses Gelübde als ein heiliges Band an, welches aufzulösen bey Menschen nicht stünde. Er machte die Anstalten zu diesem Zuge binnen vier Jahren; endlich übergab er die Regie rung des Königreichs seiner Mutter, und brach mit seiner Gemahlinn und drey Brüdern, denen ihre Ge mahlinnen gleichfalls folgeten, auf. Fast die ganze Ritterschaft Frankreichs begleitete ihn. Ein Herzog von Burgund, ein Graf von Bretagne, ein Graf von Flandern, ein Graf von Soissons, ein Graf von Vendome fanden sich mit ihren Lehnsleuten ein. Es waren auf drey tausend Bannerherren bey der Ar mee. Frankreich wurde öder und einsamer, als zur Zeit des Kreuzzuges des heil. Bernhards, und doch griff man ihn nicht an. Der Kaiser und der König von England hatten bey sich genug zu thun. Ein Theil der erstaunenden Flotte, die so viele Prinzen und Soldaten führte, ging von Marseille, und der andre von Aiguemorte ab, welches heut zu Tage kein Hafen mehr ist. Mit dieser ganzen großen Macht war man über Aegypten herzufallen gesonnen. Ludwig legte sich in der Insel Cypern vor Anker. Der König dieser Insel vereinigte sich mit ihm, man landete in Aegypten an, und verjagte anfangs die Bar baren aus Damiate. Der alte Maleksala, der fast unvermögend war, etwas zu unternehmen, bath um Frieden, und man versagte ihm selbigen.
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Der heilige Ludwig wurde durch neue aus Frank reich angekommene Hülfe verstärket, worauf noch sech zig tausend Soldaten nachkamen. Man folgte ihm, man liebte ihn, und er selbst ließ sich das Unglück, das Johann von Brienne, in einem gleichen Vorfalle er fahren hatte, zu einem Beyspiele dienen, indem er schon überwundene Feinde und einen Sultan, der sich seinem Ende nahete, vor sich hatte. Wer hätte nicht glauben sollen, daß Aegypten und bald darauf Syrien hätten sollen bezwungen werden. Unterdessen kam die Hälfte dieser unvergleichlichen Armee an Krankheiten um; die andre Hälfte wurde bey Masura überwunden. Der heilige Ludwig sahe seinen Bruder Robert von Artois ermorden; er wurde mit seinen beyden andern Brüdern dem Grafen von Anjou und dem Grafen von Poitiers gefangen. Der meiste Theil seiner Ritter wurde mit ihm gefangen genommen. Damals regier te nicht mehr Maleksala in Aegypten, sondern sein Sohn Almoadan. Dieser neue Sultan hatte aller dings eine große Seele, denn, da ihm der König Lud wig für seine und der ihm angehörigen Gefangenen Ranzion eine Million Goldner * Bezans anbot, er ließ ihm Almoadan den fünften Theil davon. Malek sala, sein Vater, hatte das Corps der Mammelu ken aufgerichtet, das mit der ehmaligen Leibwache der Römischen Kaiser, und mit den Janitscharen heut zu Tage viele Aehnlichkeit hatte. Diese Mammelu ken waren kaum entstanden, so wurden sie ihren Herren schon furchtbar. Almoadan, der ihnen Einhalt thun 34
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wollte, wurde von ihnen eben in der Zeit, da er mit dem heil. Ludwig wegen der Ranzion in Unterhandlung stund, meuchelmörderischer Weise ermordet. Die Regierung, die damals unter die Emirs vertheilt war, schien den gefangenen Christen höchstnachtheilig zu seyn; dem ungeachtet fuhr der ägyptische Rath fort mit dem Könige zu tractiren. Der Herr von Joinvilleerzählt, daß selbst diese Emirs in einer von ihren Versammlungen in Vorschlag gebracht hätten, Ludwigen zu ihrem Sultan zu erwählen. Joinville war mit dem Könige gefangen. Was ein Mann von seinem Character und von seiner Aufrich tigkeit erzählt, hat allerdings einen großen Nachdruck. Man überlege aber nur, wie schlecht man öfters in ei nem Lager, und in einem Hause von den besondern Vorfällen unterrichtet ist, die in einem benachbarten Lager, und in einem angränzenden Hause sich ereignen; wie unwahrscheinlich es ferner ist, daß die Muselmän ner auf die Gedanken kommen sollten, einen feindse ligen Christen der weder ihre Sprache versteht, noch ihre Sitten liebt, und der ihre Religion verabscheuet, zu ihrem Könige zu ernennen; so wird man leicht sehen, daß Joinville weiter nichts, als ein Gewäsche des ge meinen Volks erzählt. Das, was man hat sagen hören, aufrichtig wieder sagen, ist öfters nichts an ders, als Sachen, die wenigstens verdächtig sind, auf Treu und Glauben erzählen. Ich kann das, was die Geschichtschreiber von der Art, wie die Muselmänner den Gefangenen begeg neten melden, noch nicht recht mit einander vereini
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gen. Sie erzählen, man habe sie einzeln aus einer Festung, darinnen sie eingesperrt waren; heraus ge hen lassen; man habe sie gefragt, ob sie Jesum Chri stum verleugnen wollten; und man habe allen denen den Kopf herunter gehauen, die bey dem Christen thum fest beharret wären. Andern Theils bezeugen sie auch, daß ein alter Emir durch einen Dollmetscher die Gefangenen habe fragen lassen, ob sie an Jesum Christum glaubeten, und und da sie geantwortet, daß sie an ihn glaubeten, solle er gesagt haben: „Seyd getrost, weil er für euch gestorben, und wieder aufgestanden ist, so wird er euch auch schon zu helfen wissen. Diese beyden Er zählungen scheinen ein wenig widersprechend, am aller meisten widersprechend aber ist, daß die Emirs Ge fangene, von denen sie eine Ranzion erwarteten, soll ten getödtet haben. Uebrigens dünkt mir, daß diese Emirs, ob sie schon ihren Sultan getödtet haben, dennoch diejenige Art der Redlichkeit und Tugend an sich hatten, ohne welche keine Gesellschaft bestehen kann. Sie blie ben bey den achthundert tausend Bezans, auf welche ihr Sultan die Ranzion der Gefangenen gesetzet hat te; und als die französischen Truppen, die in Da miate waren, dem geschlossenen Tractate zu Folge, diese Stadt übergaben, findet man nicht, daß die Sieger dem Frauenzimmer, das in großer Menge allda war, einigen Schimpf angethan hätten. Man ließ die Königinn nebst ihren beyden Schwägerinnen, mit Bezeigung vieler Ehrerbiethung, abreisen. Es
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ist nicht gesaget, daß alle muselmännische Soldaten eingezogen gewesen wären; der gemeine Pöbel ist in allen Ländern wild und unbändig. Es wurden ohne Zweifel viele Gewaltthätigkeiten ausgeübet, und viele Gefangene gemishandelt und getödtet; allein ich muß gestehen, daß ich mich keinesweges wundere, wenn der gemeine mahometanische Soldat sich wild gegen Ausländer bezeiget hat, die aus den Hafen von Eu ropa gekommen waren, das Gebieth von Aegypten zu verwüsten und zu verheeren. Nachdem der heilige Ludewig aus der Gefangen schaft los war, begab er sich nach dem gelobten Lande, und blieb allda mit den Ueberbleibseln seiner Schiffe und seiner Armee beynahe vier Jahre. An statt nach Frankreich zurück zu gehen, besuchte er Nazareth, kam auch nicht eher in sein Vaterland zurück, als nach dem Tode der Königinn Blanca, seiner Mutter; und zwar mit den Gedanken zu einer neuen Kreuzfahrt Anstalten zu machen. Sein Aufenthalt zu Paris verschaffte ihm bestän dige Vortheile und beständigen Ruhm. Er genoß einer Ehre, die nur ein tugendhafter König erlangen kann. Der König von England und seine Barons erwähleten ihn zum Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten. Er sprach das Urtheil als ein unumschränkter König, und wenn dieses Urtheil, das Heinrich dem dritten günstig war, die Unruhen in England nicht stillen konnte, gab es doch wenigstens dem ganzen Europa zu erkennen, was für Ehrerbiethung die Menschen auch wider ihren Willen, gegen die Tugend haben.
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Sein Bruder der Graf von Anjou hatte dem Ruhme Ludewigs, und der guten Ordnung seines Königrei ches die Ehre zu danken, daß er von dem Pabste zum Könige von Sicilien erwählet wurde. Ludewig vermehrte indessen durch die Erwerbung von Namur, Peronne, Avranches, Mortagne, und Perche, seine Kammergüter. Er konnte den Köni gen von England alles, was sie in Frankreich besas sen, entreißen. Die Streitigkeiten Heinrichs des dritten mit seinen Barons, erleichterten ihm die Mit tel darzu; er zog aber die Gerechtigkeit einem unrecht mäßigen Besitze vor; er ließ sie in ruhigem Besitze von Guyenne, Perigord, Limosin; er nöthigte sie aber auf immerdar der Normandie, dem Ländgen Tauraine und Poitou zu entsagen, die Philipp Au gust mit der Krone wieder vereinigt hatte. Solcher gestalt wurde der Friede mit Ehren bestätiget. Er führte zuerst gewisse Gerichtsbarkeiten ein; und die durch die willkührlichen Aussprüche der Rich ter der Baronien unterdruckten Unterthanen fingen an, ihre Klagen vor die vier großen königlichen Aem ter, die sie zu hören waren angeleget worden, zu brin gen. Unter ihm fingen die Gelehrten an, zu den Sitzungen der Parlemente, in denen Ritter, die gar selten lesen konnten, das Glück der Bürger ent schieden, zugelassen zu werden. Er vereinigte mit der Frömmigkeit eines Mönchen die erleuchtete Standhaftigkeit eines Königs, indem er den Unter nehmungen des Hofes zu Rom durch diejenige be rühmte pragmatische Sanction Einhalt that, welche
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die alten Rechte der Kirche, die die Freyheiten der gallicanischen Kirche heißen, erhält. Dreyzehn Jahre seiner Gegenwart ersetzten endlich alles wieder in Frankreich, was seine Abwesenheit verdorben hatte; allein die heftige Neigung zu einem Kreuzzuge riß ihn hin. Die Päbste munterten ihn auf; Clemens der vierte stund ihm den Zehnten von der Geistlich keit zu heben, auf drey Jahre zu. Die Geistlichkeit, die zur Zeit des Saladinischen Zehnten eine Menge Vorstellungen gemacht hatte, um nichts zahlen zu dürfen; that itzt dergleichen von großem Nachdruck. Sie waren eben so unnütz, als wenig anständig un ter einem Könige, der sein Blut und sein Vermögen in einem Kriege, den die Geistlichkeit so sehr predigte verschwendete. Er gieng endlich zum zweytenmale, und beynahe mit einer eben so starken Macht ab. Sein Bruder, den er zum Könige von Sicilien ge macht hat, soll ihm folgen. Allein es ist nicht mehr weder das gelobte Land, noch Aegypten, wohin er seine Andacht und seine Waffen richtet. Er läßt seine Flotte auf Tunis zuseegeln. Carl von Anjou, König von Neapel und Sicilien, bediente sich eigentlich der heroischen Frömmigkeit Lu dewigs zu seinen Absichten. Er gab vor, der Kö nig von Tunis wäre ihm einige Jahre Tribut schul dig. Er wollte sich dieser Lande bemächtigen, und der heilige Ludewig hoffte, wenigstens nach dem Vor geben aller Geschichtschreiber, (auf was für einen Grund, weiß ich nicht,) den König von Tunis zu bekehren. Die christlichen Truppen stiegen unweit
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der Ruinen Karthagens ans Land; gar bald aber wurde der König in seinem Lager von den vereinigten Mauren belagert. Eben die Krankheiten, welche die Unmäßigkeit seiner versetzten Unterthanen und die Veränderung der Himmelsgegenden, in sein Lager in Aegypten gezogen hatten, verstörten auch sein Lager bey Karthago. Einer von seinen Söhnen, der ihm während seiner Gefangenschaft zu Damiate war ge bohren worden, starb an dieser Art von Pest vor Tu nis. Endlich wurde der König selbst davon ange griffen; er ließ sich auf der Asche ausstrecken, und gab in einem Alter von fünf und funfzig Jahren mit der Gottesfurcht eines Mönchen und dem Muthe ei nes Helden seinen Geist auf. Kaum war er todt, so langte sein Bruder der König von Sicilien an; man machte Friede mit den Mauren, und führte die Ueberbleibsel der Christen nach Europa zurück. Man kann nicht weniger als hundert tausend Perso nen rechnen, die in diesen beyden Feldzügen des heil. Ludewigs sind aufgeopfert worden. Fügt man hier zu die hundert und funfzig tausend, die Friedrich dem Rothbarte nachfolgeten, die dreyhundert tausend von dem Kreuzzuge Philipps Augusts und Richards; wenigstens zweyhundert tausend von der Zeit des Jo hanns von Brienne: rechnet man die sechzehn hun dert tausend Kreuzfahrer, die schon nach Asien über gegangen waren, und was in dem Zuge nach Con stantinopel und in den Kriegen, die auf diese Ver änderung erfolgten, umgekommen ist, ohne von dem nordischen Kreuzzuge und dem wider die Albigenser etwas zu gedenken; so wird man finden, daß der
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Orient das Grab von mehr als zwo Millionen Euro päern geworden ist. Verschiedene Länder wurden dadurch entvölkert, und in Armuth versetzet. Der Herr von Joinville saget ausdrücklich, er habe den König Ludewig in seinem zweyten Kreuzzuge nicht begleiten wollen, weil er es nicht gekonnt hätte, und der erstere seine ganze Herr schaft zu Grunde gerichtet hätte. Die Ranzion des heil. Ludewigs hatte achthundert tausend Bezans, welche wenigstens neun Millionen unserer heutigen Münze betragen, gekostet. Wenn von zwo Millionen Menschen, die im Oriente um kamen, jeder nur hundert Franken mit sich dahin ge nommen, so sind es wieder zweyhundert Millionen französische Pfunde, die der Krieg kostete. Die Genueser, Pisaner, und insonderheit die Venetianer, bereicherten sich dabey; Frankreich aber, England und Deutschland wurden erschöpfet. Man saget, die Könige von Frankreich hätten bey diesen Kreuzzügen gewonnen, weil der heilige Lude wig seine Kammergüter durch Ankauf einiger Lände reyen herunter gekommener von Adel vermehret hät te; allein er vermehrte sie nur durch seine gute Haus haltung, während seines Aufenthalts in seinen Staten. Das einzige Gute, daß diese Unternehmungen et wan verschaffeten, war die Freyheit, die etliche kleine Marktflecken von ihren Herren erkauften. Das städ tische Regiment kam ziemlich auf; diese Gemeinden,
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die zu ihrem eigenen Nutzen arbeiten und handeln konnten, trieben die Künste und den Handel, die die Sklaverey unterdrückt hatte. Indessen wurde das wenige von Christen, das sich auf der Küste von Syrien noch befand, in weniger Zeit theils ausgerottet, theils in die Sklaverey ver setzet. Ptolemais, ihre vornehmste Freystadt, die aber wirklich nichts, als eine Zuflucht einiger Räuber war, die sich durch ihre Verbrechen berüchtigt ge macht hatten, konnte der Macht des Sultans von Aegypten Melek Seraph nicht Widerstand thun. Er nahm sie im Jahre 1291 ein: Tyr und Sidon ergaben sich ihm. Gegen das Ende des zwölften Jahr hunderts endlich war keine deutliche Spur von den Kreuzzügen in Asien mehr übrig.
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XI. Von Titeln.

|| [leer]
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Da ich den Horaz einmal wieder vornahm, merkte ich in einem Briefe an den Mä cenas folgende Zeile an: Te dulcis amice reuisam: ich werde dich zu be suchen kommen, liebster Freund. Die ser Mäcenas war die zweyte Person des römischen Reichs, das ist ein weit mächtigerer und angesehe nerer Mann, als itzo der größte Monarch in Europa ist. Indem ich den Corneille wieder vornahm, be merkte ich in dem Briefe an den großen Scudery, den Gouverneur unsrer L. Fr., daß er sich in Ansehung des Kardinals von Richelieu folgender Gestalt aus drücke: Der Herr Kardinal euer und mein Ge biether. So lange in der Welt Minister, Könige und Schmeichler gewesen sind, ist es vielleicht das erstemal, daß man von einem Minister auf diese Art gesprochen hat. Eben dieser Peter Corneille, der Verfasser des Cinna, eignet diesen Cinna dem Herrn von Montauron, königlichen Schatzmeister, zu, wel chen er ohne Umstände mit dem Augustus vergleicht. Es ärgert mich, daß er nicht den Montauron Mon seigneur genannt hat. Man erzählet, ein alter Offi cier, welcher sich wenig um das Protocol der Eitelkeit
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bekümmert, habe an den Marquis von Louvois, Monsieur geschrieben; als er keine Antwort erhal ten, habe er ihn Monseigneur genannt, aber eben so wenig dadurch ausgerichtet, weil der Minister noch das Monsieur auf dem Herzen gehabt. Endlich schrieb er ihm: An meinen Gott, mein Gott Louvois, und zu Anfange des Briefes setzte er: mein Gott und mein Schöpfer. Beweiset die ses nicht alles, daß die guten alten Römer groß und bescheiden gewesen, und daß wir klein und eitel sind? Wie befinden sie sich, mein lieber Freund, sagte ein Herzog oder ein Pair zu einem Edelmanne; zu ihren Diensten, mein lieber Freund, antwortete der andere; und von diesem Augenblicke an ward sein lieber Freund sein unversöhnlichster Feind. Ein Grand von Portugal redete mit einem Grand von Spanien; und nannte ihn alle Augenblicke Ew. Excellenz. Der Spanier antwortete ihm mit Ew. Gnaden; (vuestra merced) dieses ist in Spanien ein Titel, den man Leuten giebt, die keinen haben. Der Portugiese ward verdrüßlich, und nannte den Spanier gleichfalls Ew. Gnaden; und nunmehr gab ihm der andere den Titel Ew. Ex cellenz. Endlich ward der Portugiese müde, und fragte ihn, warum er ihn allezeit Ew. Gnaden nennte, wenn er ihn Ew. Excellenz hieß, und Ew. Excellenz, wenn er ihn Ew. Gnaden nennte. Weil, sagte der Spanier ganz demüthig, mir alle Titel gleich sind, wenn sie nur nicht mit dem eurigen gleich sind. Die Eitelkeit der Titel schlich sich in unsere mit ternächtliche Gegenden Europens nicht eher ein, als die Römer mit dem asiatischen Uebermuthe Bekannt
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schaft gemacht hatten. Alle Könige in Asien wa ren, und sind noch bis itzo leibliche Vettern der Sonne und des Mondes: diese Verbindung mußten sich ihre Unterthanen aus dem Sinne schlagen, und der Gouverneur einer Provinz, welcher sich die Muscatennuß des Trostes und die Rose des Ver gnügens nennet, würde gespießet werden, wenn er sich für einen Anverwandten der Welt, des Mondes oder der Sonne ausgäbe. Constantius war, so viel ich weiß, der erste römische Kaiser, welcher die christliche Demuth mit einer ganzen Seite der hochmüthigsten Titel belustigte. Es ist wahr, vor seiner Zeit nannte man die Kaiser Gott. Allein, dieses Wort Gott hatte damals gar nicht die Be deutung, die wir ihm itzo geben. Divus Augu stus, Divus Trajanus hieß nichts als der heilige August, der heilige Trajan. Man glaubte, es sey der Würde des römischen Reiches anständig, daß die Seele seines Hauptes sogleich nach dem Tode in Himmel fahre, und oft gab man den Titel des heiligen oder Divus einem Kaiser im voraus. Bey nahe aus eben diesem Grunde nannten sich die ersten Patriarchen der christlichen Kirche alle Ew. Heiligkeit. Man nannte sie also, um sie an das zu erinnern, was sie seyn sollten. Man giebt sich manchmal sehr demüthige Titel, wenn man nur von andern desto rühmlichere erhält. Ein Abt, der sich Bruder nennet, läßt sich von seinen Mönchen Monseigneur nennen. Der Pabst nennt sich einen Knecht aller Knechte Gottes; und ein ehrlicher Prediger im Holsteinischen schrieb ein mal an den Pabst Pius den IVten: an denIVten Pius, den Knecht aller Knechte Gottes.
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Er gieng hernach nach Rom, seine Angelegenheiten da selbst zu treiben, und die Inquisition ließ ihn ins Ge fängniß werfen, damit er besser schreiben lernte. Es war eine Zeit, da allein der Kaiser den Titel Majestät hatte. Die andern Könige nannten sich Ew. Hoheit, Ew. Durchlaucht et cetera Ludewig der XI war der erste in Frankreich, den man gemeiniglich Majestät nannte, ein Titel, der sich wenigstens eben so gut für die Würde eines großen Erbkönigreichs, als für ein Wahlreich, schi cket. Man brauchte aber gegen die Könige von Frankreich die Benennung Hoheit noch lange Zeit nach ihm, und man kann noch Briefe an Heinrichen den IIIten sehen, worinne man ihm diesen Titel giebt. Die Stände von Orleans wollten durchaus nicht, daß man die Königinn Katharina von Medi cis Ihro Majestät nennen sollte. Nach und nach aber behielt diese Benennung doch die Oberhand. Der Name ist gleichgültig, und nur die Gewalt ist es nicht. Die deutsche Kanzeley, die allezeit unveränderlich in ihren edeln Gebräuchen ist, will noch itzo die Kö nige nicht anders als Durchlaucht nennen; so gar in den bekannten westphälischen Friedenshandlungen, wo Frankreich und Schweden dem heiligen römischen Reiche Gesetze vorschrieb. So oft die Gevollmäch tigten des Kaisers lateinische Aufsätze überreicheten, so oft nannte Se. geheiligte kaiserliche Majestät die Kö nige von Frankreich und Schweden nicht anders als Durchlauchteste (Serenissimi) die Franzosen und Schweden aber ermangelten nicht, zu versichern, daß Ihre geheiligten Majestäten von Frankreich und Schweden viel Beschwerden wider den Durchlauch
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tigsten Kaiser hätten. Kurz, in diesen Friedens handlungen war alles auf beyden Seiten gleich. Seit der Zeit sind in den Gedanken des Volkes die großen Monarchen alle einander gleich, und derjenige der seinen Nachbar geschlagen hat, der hat, nach der Meynung des Volkes, den Vorzug. Philippus der II war die erste Majestät in Spa nien, denn Se. Durchlaucht, Carl der V, ward nur Majestät in Ansehung des Kaiserthums. Die Kinder des zweyten Philipps waren die ersten Ho heiten, und wurden zuletzt königliche Hoheiten. Der Herzog von Orleans, der Bruder Ludewigs des XIII, nahm erst im Jahre 1631 den Titel könig liche Hoheit an; und damals gab sich der Prinz von Conde den Titel Durchlauchtigste Hoheit, den sich die Herzoge von Vendeme anzumaßen nicht unterstanden. Der Herzog von Savoyen ward damals königliche Hoheit, und ward in der Folge zu einer Majestät. Der Großherzog von Florenz that desgleichen, nur die Majestät ausgenommen, und der Czaar endlich, welcher in Europa nicht anders, als unter dem Namen des Großherzogs be kannt war, ließ sich zum Kaiser erklären und ward auch dafür erkannt. Vor diesem waren nicht mehr als zween Mark grafen in Deutschland, zween in Frankreich, und zween in Italien. Der Markgraf von Branden burg ist König geworden, und ein großer König, die italienischen und französischen Marquis aber sind heut zu Tage von einer etwas andern Art. Wenn ein Bürger die Ehre hat, einen Legaten seiner Provinz zu bewirthen, und der Legat trinkt ihm mit den Worten zu: Herr Marquis, ihre Ge
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sundheit; so sind er und seine Kinder auf immer dar Marquis. Wenn ein Landjunker in Frank reich, dessen ganzes Vermögen etwa in dem Be sitze des vierten Theils eines alten eingefallenen Schlosses besteht, nach Paris kömmt, und sein Glück nur ein klein wenig macht, oder es doch zu machen scheint, so nennet er sich in seinen Acten: hoher und mächtiger Her, Marquis und Graf; und sein Sohn ist bey seinem Notare der sehr hohe und sehr mächtige Herr. Weil dieser Hochmuth der Regierung und der bürgerlichen Gesellschaft nichts schadet, so hat man keine Acht darauf. Einige fran zösische Herren rühmen sich, deutsche Barons in ihren Ställen zu haben; und einige deutsche Herren sagen, daß sie in ihrer Küche französische Marquis hätten. Es ist nicht lange, als ein Fremder in Neapel seinen Kutscher zum Herzoge machte. Der Gebrauch ist hierinne stärker, als das königliche Ansehen. Wenn man in Paris wenig bekannt ist, so kann man sich, wie man will, Graf oder Marquis nennen lassen. Ist es aber eine Gerichtsperson oder ein Finanzbe dienter, und der König selbst hätte ihm das wirklich ste Marquisat gegeben, so wird er doch deswegen nicht Marquis heißen. Der berühmte Samuel Bernard, war weit eher Graf als fünf hundert an dere Grafen, die nicht eine Spanne Landes besitzen, weil der König sein Landgut Coubert zur Grafschaft erhoben hatte. Hätte er sich aber bey einem Besuche als der Graf Bernard anmelden lassen, man würde ihn ausgelacht haben. In England ist es ganz anders. Wenn der Kö nig einem Handelsmanne den Titel Graf oder Baron giebt, so empfängt er von der ganzen Nation ohne
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Schwierigkeit den Namen, der ihm zugehöret. Leute von der größten Geburt, der König selbst, nennen ihn Mylord, Monseigneur. Eben so ist es in Ita lien, wo das Protocol der Monsignors ist. Der Pabst selbst giebt ihnen diesen Titel. Sein Medicus heißt Monsignor, und niemand hält sich darüber auf. In Frankreich ist Monseigneur eine schreckliche Sache. Ein Bischof war vor dem Kardinale von Richelieu nichts als hochwürdigster Vater in Gott; als aber Richelieu Staatssecretär wurde, und noch Bischof von Lusson war, so wurden seine Brüder die Bischöfe, damit er nicht allein den Titel Monseigneur haben möchte, den sich damals die Staatssecretäre anmaßten, einig, sich diesen Titel selbst zu ge ben. Dieses Unternehmen fand bey dem Publico keinen Widerspruch. Weil es aber ein neuer Titel war, welchen der König den Bischöfen nicht gegeben hatte, so fuhr man in den Edicten, Declarationen, Verordnungen und allem, was vom Hofe kam, fort, sie schlechtweg Sieurs zu nennen, und die Herren des Raths schreiben niemals anders an einen Bischof, als Monsieur. Die Herzoge und Pairs haben mehr Mühe gehabt, sich in den Besitz des Monseigneurs zu setzen. Der große Adel spricht ihm diesen Vorzug durchaus ab. Die höchste Spitze des menschlichen Hochmuths ist, wenn man Ehrentitel von denjenigen erhält, die un sers gleichen zu seyn glauben; allein es ist sehr schwer, zu dieser Spitze zu gelangen: man findet überall den Hochmuth mit dem Hochmuthe streiten. Wenn die Herzoge verlangen, daß arme Edelleute an sie Mon seigneur schreiben sollen, so verlangen die Gerichts präsidenten von den Advocaten und Procuratoren
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ein gleiches. Man hat einen Präsidenten gekannt, welcher sich die Ader nicht wollte öffnen lassen, weil der Wundarzt zu ihm gesagt hatte: Monsieur, an welchem Arme wollen sie lassen? Ein gewisser Rath, in dem Obergerichte war hierinne von weniger Um ständen. Ein Kläger sagte zu ihm: Monseigneur, Dero Herr Secretär ..... Hier fiel ihm der Rath ins Wort; sie haben in drey Worten drey Un gereimtheiten gesaget. Ich bin nicht Monseigneur, mein Secretär ist nicht Herr, es ist mein Schreiber. Diesen großen Proceß der Eitelkeit zu beschließen, wird endlich jedermann in der ganzen Welt Monsei gneur werden müssen; so wie alles Frauenzimmer, das vor diesem Mademoiselle hieß, itzo Madame heißt. Wenn in Spanien ein Bettler, einem andern begeg net, so fraget er ihn: haben Ew. Gnaden schon Schokelade genossen? Diese höfliche Art, sich auszu drücken erhebt die Seele und befestiget die Würde des Geschlechts. Cäsar und Pompejus nannten sich im Senate Cäsar und Pompejus. Allein diese Leute wußten nicht zu leben. Sie beschlossen ihre Briefe mit einem Lebe wohl. Wir waren vor sechzig Jahren geneigte Diener; seit dem sind wir demüthigste und gehorsamste Diener ge worden, und itzo haben wir die Ehre demüthigste und gehorsamste Diener zu seyn. Ich beklage unsere Nachwelt, sie wird schwerlich etwas zu diesen schönen Formeln hinzu setzen können.
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XII. Ueber die Widersprüche in dieser Welt.

|| [leer]
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Je mehr man die Welt betrachtet, desto mehr Widersprüche findet man darin nen. Mit dem Großsultane anzu fangen; er läßt alle Köpfe abschlagen, die ihm misfallen, und kann seinen eigenen selten behalten. Von dem Großsultane auf den heil. Vater zu kommen: er bestätiget die Wahl der Kaiser, er hat Könige zu Vasallen; und ist nicht einmal so mächtig, als der Herzog von Savoyen. Er fertiget Befehle nach America und Africa aus, und kann der Republik Lucca nicht einmal ein Privilegium nehmen. Der Kaiser ist römischer König, das Recht des römischen Königs aber besteht darinn, daß er ihm den Steigbügel halten, und in der Messe das Becken reichen muß. Die Engländer bedienen ihren Monarchen auf den Knien; sie setzen ihn aber ab, werfen ihn ins Gefäng niß, und lassen ihn auf der Henkerbühne sterben. Leute, welche das Gelübde der Armuth thun, erhal ten, vermöge dieses Gelübdes, bis zweyhundert tausend Thaler jährlicher Einkünfte, und werden, vermöge ihres Gelübdes der Demuth, unumschränkte Herren.
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Man verbrennet diejenigen öffentlich, die der Sünde der Nonconformität überzeuget werden, und man erkläret in allen Schulen ganz ernsthaft die zweyte Ecloga des Virgils, worinnen Corydon dem Alexis eine Liebeserklärung thut: Formosum pastor Corydon ardebat Alexin; und man läßt junge Leu te noch die Anmerkung machen, daß, obgleich Alexis blond und Amyntas braun sey, Amyntas gleichwol den Vorzug haben könne. Wenn ein armer Philosoph, der nichts übels denkt, die Erde sich bewegen läßt, oder sich einbildet, das Licht komme von der Sonne, oder voraus setzet, die Materie könne wohl noch andere Eigenschaften ha ben, als diejenigen, die wir kennen; so schreyt man ihn als einen Ruchlosen, als einen Stöhrer des Frie dens aus, und die Tusculane des Cicero und den Lu crez, zwey vollständige Lehrgebäude der Gottlosigkeit, hat man ad usum Delphini übersetzet. Die Gerichte glauben die Besitzungen nicht mehr, und man lachet über die Hexenmeister; gleichwol werden Gauffredy und Grandier wegen der Wahr sagerey verbrannt, und vor nicht langer Zeit wollte das halbe Parlement einen Geistlichen zum Feuer verdammen, welcher ein Mägdchen durch seinen Athem behext haben sollte. Der zweifelnde Weltweise, Bayle, wurde sogar in Holland verfolget; La Motte le Vayer, welcher ein größerer Zweifler und ein kleinerer Weltweise war, ist Lehrmeister des Königs Ludewig des XIVten, und des Bruders des Königs gewesen. Gouville war zu gleicher Zeit in Paris im Bildnisse am Galgen, und Minister von Frankreich in Deutschland.
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Der berüchtigte GottesleugnerSpinoza lebte und starb ruhig. Vanini, welcher bloß wider den Ari stoteles geschrieben hatte, ward als ein Gottesleugner verbrannt. Er hat die Ehre in allen Geschichten der Gelehrten, in allen Wörterbüchern, den Archi ven unzähliger Lügen und sehr weniger Wahrheiten, einen Artikel als ein Gottesleugner zu füllen. Oeff net diese Bücher, ihr werdet darinnen sehen, daß Vanini in seinen Schriften nicht allein die Gottes leugnung öffentlich gelehret, sondern auch zwölf Pro fessores von seiner Secte von Neapel aus in der Welt herum geschickt hat, überall Proselyten zu ma chen. Oeffnet nunmehr die Bücher des Vanini, und ihr werdet nicht wenig erstaunen, überall Be weise von dem Daseyn Gottes anzutreffen. Folgen des saget er in seinem Amphitheatrum, einem Werke, das eben so unbekannt als verworfen ist. „Gott ist sein Ursprung und sein Ziel ohne Ende und ohne Anfang; er brauchet weder das eine noch das andere; er ist der Vater von allem Anfange und Ende; er ist beständig aber in keiner Zeit. Vor ihm flieht das Vergangene nicht; und das Zu künftige wird nicht kommen. Er regieret überall, ohne an einem Orte zu seyn; er ist unbeweglich, ohne sich wo aufzuhalten; schnell ohne Bewegung; er ist alles und außer allem; er ist in allen, aber ohne eingeschlossen zu seyn; er ist außer allen, aber ohne ausgeschlossen von etwas zu seyn; er ist gut, ohne Eigenschaft; groß ohne Größe; ganz ohne Theile; unveränderlich indem er die ganze Welt verändert; sein Wollen ist seine Gewalt. Er ist einfach; nichts ist in ihm, das nur bloß möglich
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wäre, alles ist in ihm wirklich; er ist die erste, die mittelste und letzte Handlung. Kurz, er ist alles, über alle Wesen, außer allen, in allen, ewig vor allen und nach allen.„ Nach einem solchen Glaubensbekenntnisse ward Vanini für einen Gottesleugner erkläret. Aus wel chem Grunde ward er verdammt? Auf die bloße Aussage eines gewissen Franzosen. Umsonst zeugten seine Bücher für ihn. Ein einziger Feind brachte ihn um das Leben, und in ganz Europa um seinen Namen. Das kleine Buch, symbolum mundi, welches nichts als eine frostige Nachahmung des Lucians ist, und welches die allergeringste Verwandtschaft mit dem Christenthume hat, ist gleichfalls zum Feuer verdammt worden. Rabelais aber ist mit Privile giis gedruckt worden, und dem türkischen Spione hat man freyen Lauf gelassen, eben sowol als dem persianischen Briefe, diesem leichten, sinnreichen und verwegenen Buche, worinnen sich ein ganzer Brief für den Selbstmord befindet; ein anderer, worinnen man die eigentlichen Worte findet, wenn man eine Religion voraus setzet; ein anderer, worinnen ausdrücklich gesaget wird, daß die Bischöfe keine an dere Verrichtungen hätten, als von der Beob achtung der Gesetze Erlassung zu urtheilen; ein anderer endlich, wo gesaget wird, der Pabst sey ein Magicus, der uns glaubend mache, drey wären nur eins, und das Brodt, welches man ißt, wäre kein Brodt. Der Abt von St. Pierre, ein Mann, welcher sich oft hat betriegen können, der aber niemals aus einer
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andern Absicht geschrieben hat, als das gemeine Beste zu befördern, und dessen Werke der Kardinal du Bois Träume eines redlichen Bürgers nannte; der Abt von St. Pierre, sage ich, ist einmüthig aus der französischen Akademie ausgeschlossen worden, weil er in einem politischenWerke die Stiftung der Rathsversammlungen der Stiftung der Staatssecre tariate vorgezogen, und gesaget hat, die Finanzen wären zu Ende dieser glorreichen Regierung übel ver waltet worden. Der Verfasser der persianischen Briefe, hatte in seinem Buche von Ludewig dem XIVten nichts weiter gesaget, als, daß er ein He xenmeister wäre, welcher machte, daß seine Unterthanen glauben müßten, Papier wäre Geld; daß er bloß die türkische Regierungs art liebte; daß er einen Mann, der ihm die Serviette reichte, einem Manne vorzöge, der ihm Schlachten gewonnen hätte; daß er einem Manne eine Pension gegeben habe, der zwey Meilen geflohen wäre, und einem andern ein Gouvernement, welcher vier Meilen geflohen wäre; daß er endlich in Armuth versunken sey; obgleich in eben dem Briefe gesaget wird, daß seine Finanzen unerschöpflich wären. Dieses ist es alles, daß ich es noch einmal wiederhole, was dieser Verfasser, in dem einzigen Buche, das von ihm be kannt ist, von dem XIVten Ludewig, dem Beschützer der französischen Akademie, gesaget hat; und gleichwol ist dieses Buch der einzige Grund, aus welchem man ihn in die französische Akademie aufgenommen hat. Diesen Widerspruch auf das höchste zu treiben, darf man nur hinzufügen, daß ihn diese Gesellschaft
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aufgenommen, weil sie von ihm lächerlich gemacht worden. Denn unter allen Büchern, worinnen man sich auf Unkosten dieser Akademie lustig gemacht hat, ist kein einziges, worinnen sie mehr gemishandelt wor den ist, als in den persianischen Briefen. Man darf nur den Brief nachsehen, worinnen gesaget wird: diejenigen, welche diese Gesellschaft ausma chen, haben keine andere Verrichtung, als ohne Unterlaß zu plaudern. Die Lobeserhe bungen mischen sich wie von selbst in ihr ewi ges Geschwätze ein et cetera Nachdem er der Gesell schaft auf diese Art mitgefahren war, war er bey sei ner Aufnahme von ihr gelobet, daß er die Gabe ha be, in seinen Schildereyen ungemein zu treffen. Wenn ich diese Untersuchung der Widersprüche fortsetzen wollte, die man in dem Reiche der Gelehr samkeit findet, so müßte ich die Geschichte aller Ge lehrten und aller witzigen Köpfe beschreiben; so wie ich, wenn ich die Widersprüche in der Gesellschaft alle durchgehen wollte, die Geschichte des menschlichen Geschlechts schreiben müßte. Einer aus Asia, wel cher in Europa reiste, könnte uns gar leicht für Hei den ansehen. Unsere Tage in der Woche werden nach dem Mars, dem Mercurius, dem Jupiter, und der Venus genannt. Die Hochzeit des Cupido und der Psyche ist in dem Pallaste der Päbste abgemalet. Wenn dieser Reisende aus Asien vollends unsere Opern sehen sollte, so würde er ganz gewiß glauben, es wäre ein Fest zu Ehren der heidnischen Götter. Wenn er sich ein wenig genauer nach unsern Sit ten erkundigte, so würde er noch mehr erstaunen. In Spanien würde er sehen, daß ein strenges Gesetz ver
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biethet, daß ein Ausländer unmittelbarer Weise den geringsten Antheil an dem Handel nach America habe, und daß gleichwol die Ausländer daselbst, durch die spanischen Factors jährlich einen Handel von 50 Mil lionen dahin unterhalten; so daß Spanien nicht reich werden kann, als durch die Uebertretung des Gesetzes, welches beständig bleibt, und beständig verachtet wird. Er würde sehen, daß in einem andern Lande die Re gierung eine indische Gesellschaft in der Blüte erhält, obschon die Theologen den Dividenden der Actien für strafbar vor Gott erkläret haben. Er würde sehen, daß man das Recht die Menschen zu richten, das Recht im Kriege zu commandiren, das Recht in einem Rathe zu sitzen, kaufen könne. Er würde nicht begreifen kön nen, warum in den Patenten gesaget würde, diese Stel len wären umsonst und ohne Anhalten ertheilet wor den, da doch die Quittung der Finanzkammer gleich dem Patente beygefüget sey. Sollte unser asiatischer Reisender nicht erstaunen, wenn er sehen müßte, daß die Schauspiele von Mo narchen unterhalten und von den Geistlichen in Bann gethan würden? Er würde fragen, warum ein Lieute nantgeneral von bürgerlichem Herkommen, wenn er auch Schlachten gewonnen hätte, wie ein Bauer zum Kopfgelde geschätzet würde, ein Scabinus aber so ade lich wäre, als die Montmorencis? Er würde fragen, warum die regelmäßigen Schauspiele in einer der An dacht geheiligten Woche verbothen wären, und doch Possenspielern Erlaubniß gäbe, welche doch Ohren, die nichts weniger als zärtlich wären, beleidigten. Er würde sehen, daß fast beständig unsere Gebräuche mit unsern Sitten im Widerspruche stehen, und wenn wir
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nach Asien reiseten, so würden wir beynahe eben solche Widersprüche daselbst entdecken. Die Menschen sind überall gleich närrisch. Sie ha ben die Gesetze gemacht, so wie man die Einstürzungen der Mauren wieder zubauet. Hier haben die ältesten Söhne den jüngsten alles weggenommen, was sie ge konnt haben; dort gehen beyde in gleiche Theile. Bald hat die Kirche den Zweykampf befohlen, bald hat sie den Fluch darauf geleget. Man hat, nach der Reihe, bald die Feinde und bald die Freunde des Aristoteles, bald diejenigen, welche lange Haare tragen, und bald die, welche kurze tragen, in Bann gethan. Wir haben in der Welt kein vollkommenes Gesetz, als eines für eine gewisse Art der Narrheit, für das Spiel. Die Regeln des Spiels sind die einzigen, wel che keine Ausnahme, keine Nachsicht, keine Verände rung, keine Tyranney leiden. Wenn auch ein Mensch Bedienter gewesen wäre, und er spielte mit Königen Lansquenet, so wird er ohne Schwierigkeit bezahlet, wenn er gewonnen hat. Sonst ist das Gesetz überall ein Schwerdt, womit der Stärkste den Schwächsten in Stücken hauet. Gleichwol besteht diese Welt, als wenn alles wohl darinnen geordnet wäre. Das Unregelmäßige ist uns natürlich; unsere politische Welt ist wie unsere Erdku gel, etwas Ungestaltetes, welches beständig so bleibt. Es wäre thöricht, wenn man wollte, daß die Berge, die Meere, die Flüsse, alle nach regelmäßigen Figuren abgeordnet wären; noch thörichter wäre es, von allen Menschen eine vollkommeneWeisheit zu verlangen; das wäre, den Hunden Flügel, und den Adlern Hörner geben wollen.
|| [0309.01]

XIII. Gedruckte Lügen.

|| [leer]
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Man kann itzo die Einwohner von Europa in Leser und Schriftsteller eintheilen, so wie man sie ganzer sieben bis acht Jahrhunderte in kleine barbarische Tyrannen, wel che einen Vogel auf der Faust trugen, und in Scla ven eintheilte, welchen alles gebrach. Es sind ungefähr zwey hundert und funfzig Jahre, daß sich die Menschen nach und nach wieder besonnen haben, daß sie eine Seele hätten. Jeder will lesen, entweder diese Seele zu stärken, oder sie zu zieren, oder sich rühmen zu können gelesen zu haben. Als die Holländer diese neue Bedürfniß des menschlichen Geschlechts sahen, so wurden sie die Factors unserer Gedanken, so wie sie es von unsern Weinen und Sal zen gewesen waren. Mancher Buchhändler in Am sterdam, welcher nicht einmal lesen konnte, gewann eine Million, weil er einige Franzosen bey der Hand hatte, die sich mit dem schreiben abgaben. Diese Kaufleute erkundigten sich durch ihre Correspondenten,
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welche Lebensmittel am meisten im Gange wären, und nach den verschiedenen Bedürfnissen befohlen sie ihren Werkmeistern, entweder eine Historie oder einen Roman; vornehmlich aber Historien, weil man doch am Ende etwas mehr Wahrheit in demjenigen zu fin den glaubet, was neue Geschichte, historische Denk würdigkeiten, geheime Nachrichten heißt, als was ein Roman überschrieben ist. Auf solche Befehle der Papier- und Dintenhändler also haben ihre Arbeits leute die Denkwürdigkeiten des von Artagnan, des von Pointes, von Vordoc, von Rochefort und so vieler anderer zusammen geschrieben, worinne man alles nach der Länge beschrieben findet, was die Kö nige oder die Ministers, wenn sie allein waren, ge dacht haben, und tausend andere öffentliche Hand lungen, von welchen man niemals ein Wort gehöret hatte. Die jungen deutschen Barons, die pohlni schen Woywoden, die Damen in Stockholm und Co penhagen lesen diese Bücher, und glauben, die aller geheimsten Nachrichten von dem französischen Hofe darinne zu finden. Varillas war weit über diese edeln Schriftsteller, von welchen ich rede, gleichwol nahm er sich sehr große Freyheiten. Er sagte einmal zu einem Freunde, welcher ihn ein wenig in Verwirrung antraf: ich muß drey Könige mit einander reden lassen; sie haben sich niemals gesehen, und ich weiß nicht, wie ich es an fangen soll. Wie? sagte der andere, machen sie denn eine Tragödie? Nicht jedermann hat die Gabe zu erfinden. Man läßt die Fabeln der alten Geschichte in 12. drucken, die man vor diesem in Folio hatte. Ich glaube, daß
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man in mehr als zwey hundert Schriftstellern alle die Wunder und Vorherverkündigungen wieder fin den kann, welche zu der Zeit sollen geschehen seyn, da die Astrologie eine Wissenschaft war. Man wird es uns vielleicht noch mehr als einmal sagen, daß zwey Juden, welche ohne Zweifel nichts als alte Kleider zu verkaufen und das Geld zu beschneiden wußten, dem Leo Isauriensis das Kaiserthum ver sprochen, und sich von ihm bedungen, daß er die Bilder der Christen sollte niederreißen lassen, wenn er zur Regierung käme. Als wenn sich ein Jude darum bekümmerte, ob wir Bilder haben oder nicht. Eben so wenig zweifle ich, daß man es nicht noch einmal drucken sollte, Mahomet der IIte, mit dem Zunamen der Große, der erlauchteste Prinz seiner Zeit, und der freygebigste Belohner der Künste, habe alles in Constantinopel verbrannt und ermordet, (da er doch die Stadt von der Plünderung befreyete) daß er alle Kirchen niederreißen lassen, (da er doch mehr als die Hälfte davon erhalten) daß er den Patriar chen spießen lassen, (da er doch diesem Patriarchen mehr Ehre erzeigte, als ihm von allen griechischen Kaisern war erzeiget worden) daß er vierzig Pagen den Leib aufschneiden lassen, zu wissen, welcher von ihnen eine Melone gegessen habe, und daß er seiner Geliebten den Kopf abgeschlagen, seinen Janitscha ren eine Lust zu machen. Alle diese Historien, wel che vortrefflich zu den Mährchen von Roberten dem Teufel und vom blauen Barte passen, werden alle Tage mit Billigung und Freyheiten verkauft. Tiefsinnigere Geister haben eine andere Art zu lü gen erfunden. Sie haben sich zu Erben aller großen
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Ministers gemacht, und sich aller ihrer Testamente bemächtiget. Wir haben Testamente vom Colbert und vom Louvois gesehen, welche für authentische Schriften von verschlagenen Staatskundigen sind ausgegeben worden, die in ihrem Leben kaum in das Vorgemach eines Kriegsraths oder einer Finanz kammer gekommen sind. Das Testament des Kar dinals von Richelieu, weil es von einer weniger un geschickten Hand gemacht worden, hat das meiste Glück gehabt, und der Betrug hat sehr lange ge dauert. Es ist ein Vergnügen, besonders in den Sammlungen von Reden zu sehen, wie verschwen derisch man mit den Lobsprüchen dieses vortreffli chenTestaments des unvergleichlichen Kardinals ge wesen ist: man fand darinne die ganze Tiefe seines Geistes; und der schwächste Verstand, welcher es gelesen, oder gar einen Auszug davon gemacht hatte, hielt sich für fähig, die ganze Welt zu regieren. Ich habe von meiner Jugend an geargwohnt, daß das Werk von einem Betrüger sey, welcher den Namen des Kardinals angenommen, seine Grillen auszukramen. Ich habe mich bey allen Erben dieses Ministers erkundigen lassen, ob sie wüßten, daß das Manuscript davon jemals in ihrem Hause gewesen wäre. Man hat mir einmüthig ge antwortet, daß niemand etwas davon gewußt hätte, ehe es im Drucke erschienen wäre. Ich habe seit dem diese Untersuchungen von neuem angestellet, nir gends aber die geringste Spur der Handschrift ent decken können. Ich habe mich auf der königlichen Bibliothek erkundiget, ich habe die Archive der Mi nisters um Rath gefraget, niemals habe ich nur
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jemand sagen hören, daß er eine Zeile von der Hand schrift des Kardinals gesehen habe. Alles dieses bestärkte meinen Argwohn, und hier sind die Gründe, die mich vollends überredet haben, daß der Kardinal nicht den geringsten Antheil an diesem Werke habe. 1. Das Testament ist erst 38 Jahre nach dem Tode seines vorgegebenen Verfassers erschienen. Der Herausgeber saget in der Vorrede nicht, auf was für Art ihm das Manuscript in die Hände gefallen sey. Wäre das Manuscript authentisch gewesen, so würde seine Schuldigkeit und sein Nutzen erfodert haben, es zu beweisen, es in eine öffentliche Bibliothek nie der zu legen, und jedem Manne von Bedienung es zu zeigen. Er nimmt keine von diesen Maßregeln; (die er ohne Zweifel nicht nehmen konnte) und die ses allein kann ihm seine ganze Glaubwürdigkeit nehmen. 2. Die Schreibart ist gänzlich von der Schreib art des Kardinals unterschieden. Man hat die Hand des Abts von Bourzeis darinne zu erkennen geglaubt; es ist aber leichter zu sagen, von wem dieses Buch nicht ist, als von wem es ist. 3. Man hat nicht allein die Schreibart des Kar dinals von Richelieu nicht nachahmen können, son dern man hat sogar die Unvorsichtigkeit gehabt, ihn Armand Duplessis unterzeichnen zu lassen, da er sich doch Zeit seines Lebens auf diese Art nicht unter schrieben hat. 4. Gleich in dem ersten Hauptstücke sieht man eine offenbare Falschheit. Man setzet den Frieden als geschlossen voraus, und gleichwol hatte man da mals nicht nur noch Krieg, sondern der Kardinal von
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Richelieu hatte noch gar keine Lust Friede zu machen. Eine solche Ungereimtheit ist eine offenbare Ueber führung der Falschheit. 5. Zu dem lächerlichen Lobe, welches sich der Kardinal in diesem ersten Hauptstücke selbst giebt, und dergleichen sich ein Mensch von Verstande nie mals zu geben pfleget, füget man eine noch weit un anständigere Verdammung derjenigen, welche in dem Rathe saßen, als der Kardinal in denselben trat. Man nennet daselbst den Herzog von Mantua, diesen armen Prinz. Wenn man der heimlichen Händel gedenkt, welche die Königinn Mutter unternahm, den Kardinal zu stürzen, so saget man ganz kurz die Königinn, als wenn die Rede von der Köni ginn, der Gemahlinn des Königs, wäre. Man nennet darinne die Marquisinn von Fargis, die Gemahlinn des Abgesandten in Spanien, und die Lieblinginn der Königinn Mutter, la Fargis, als ob der Kar dinal von Marion von Lorme geredet hätte. Nur groben Pedanten, welche die Geschichte Ludewigs des XIVten geschrieben haben, kömmt es zu, zu sagen, die Montespan, die Maintenon, die Fontange, die Portsmuth. Ein Mensch von Stande, der die Ar tigkeit besessen, welche der Kardinal besaß, wäre nimmermehr in eine solche Unanständigkeit verfallen. Ich verlange dieser Wahrscheinlichkeit nicht mehr Gewichte zu geben, als sie hat; ich betrachte sie auch nicht als einen entscheidenden Grund, sondern bloß als eine ziemlich starke Muthmaßung. 6. Hier ist ein Grund, welcher mir durchaus überzeugend scheint. Das Testament saget in dem ersten Hauptstücke, daß die fünf letzten Jahre des
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Krieges, jedes sechzig Millionen Livres damaliger Zeit, ohne außerordentliche Mittel anzuwenden, ge kostet habe, und in dem neunten Hauptstücke heißt es, daß jährlich fünf und dreyßig Millionen ersparet würden. Was kann man einem so offenbaren Wi derspruche entgegen setzen? Entdecket man nicht of fenbar einen Verfälscher, welcher in Eil schreibt, und im neunten Hauptstücke vergißt, was er im ersten gesaget hat. 7. Welcher vernünftige Mensch kann sich einbil den, daß ein Minister dem Könige vorschlagen sollte, die heimlichen Ausgaben von dem, was man baar (comptant) nennet, auf eine Million Goldes einzu schränken. Was soll dieses schweifende Wort, eine Million Goldes, sagen? Diese Ausdrücke sind für einen Mann gut, welcher die alte Historie zusammen schreibt, ohne zu wissen, was die Münzen gelten. Soll es eine Million Livres Goldes, Mark Goldes, oder eine Million Louisdor heißen. In dem letzten Falle, welches der vortheilhafteste ist, würde sich die Million Goldes auf zwey und zwanzig Millionen Livres nach itzigem Gelde belaufen haben; und das wäre eine wunderliche Einschränkung einer Ausgabe gewesen, die beynahe das dritte Theil der Einkünfte des Staats betragen hätte. Uebrigens ist es wol zu glauben, daß ein Minister auf die Abschaffung dieses Baaren dringen sollte? Es war eine heimliche Ausgabe, über welche der Minister nach seinem Gefallen schalten und walten konnte. Es war das kostbarste Privilegium seiner Bedienung.
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Die Untersuchung dieses Baaren machte eher kein Aufsehen, als zur Zeit der Ungenade des berühmten Fouquet, welcher dieses Vorrecht des Ministers ge misbrauchet hatte. Wer sieht also nicht, daß das vorgegebene Testament des Kardinals von Richelieu erst nach der Begebenheit mit dem Herrn von Fou quet muß seyn geschmiedet worden. 8. Wird wol ein Minister die Einkünfte des zwanzigsten Pfennigs, die Einkünfte des fünf ten Pfennigs nennen? Kaum ein Schreiber eines Notarius wird in diesen abgeschmackten Irrthum fal len. Die Einkünfte des fünften Pfennigs würden den fünften Theil des Capitals ausmachen. Ein Capital also von hundert tausend Franken, würde fünf und zwanzig tausend Franken Interessen tragen. Solche Einkünfte sind niemals gewesen. Die Ein künfte des zwanzigsten Pfennigs bringen Cent pro Cent, das thun aber nicht die Einkünfte des fünf ten Pfennigs. Das Testament muß also offenbar die Arbeit eines Menschen seyn, welcher keine auf die Stadt gelegte Einkünfte hatte. 9. Es erhellet offenbar, daß das ganze neunte Capitel, wo die Rede von Finanzen ist, von einem Projectmacher seyn muß, welcher in der Einsamkeit seines Kabinets, das ganze Regierungsgebäude in aller Stille über den Haufen wirft, den Salzzoll aufhebt, die Steuer dem Parlemente bezahlen läßt, die Bedienungen vergütet, ohne zu wissen, womit er sie vergüten soll. Es ist in der That besonders, daß man diese Grillen unter dem Namen eines gros sen Ministers auszukramen sich unterstanden hat, und daß das Publicum sich dabey hat betriegen las
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sen. Allein, wo sind die Leute, welche mit Auf merksamkeit lesen? Ich habe wenig Personen etwas anders mit tiefer Untersuchung lesen sehen, als Sa chen, die ihre eigenen Angelegenheiten betreffen. Daher kömmt es, daß der Irrthum in der ganzen Welt herrschet. Wenn man die Lesung der Bücher mit eben so viel Aufmerksamkeit verrichtete, als ein guter Hauswirth die Rechnungen seines Haushof meisters durchsieht, wie vieler Ungereimtheiten wür den wir uns nicht entschlagen lernen? 10. Ist es wohl wahrscheinlich, daß ein Staats mann, welcher sich ein so gründliches Werk vorge setzet, sagen sollte: Der König von Spanien habe dadurch, daß er den Hugenotten beyge standen, Indien der Hölle zinsbar gemacht; die Glieder der königlichen Collegien schätzten die Krone des Königes nach ihrer Form, welche rund sey, und also kein Ende habe; die Elemente hätten keine Schwere, als wenn sie in ihrer Stelle wären; das Feuer, die Luft, das Wasser, könnten keinen irdischen Kör per halten, weil dieser auch außer seiner Stelle schwer wäre; und hundert andere Ungereimthei ten, die sich kaum für einen Professor der Rhetorik aus dem sechzehnten Jahrhunderte schicken. 11. Kann man sich wohl überreden, daß der erste Minister eines Königes von Frankreich ein ganzes Capitel gemacht habe, seinen Herrn zu überreden, sich das Recht der Verwesung auf die Hälfte der Bisthümer seines Reichs zu entsagen; eines Rechts, worauf die Könige allezeit so eifersüchtig gewesen sind.
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12. Ist es möglich, daß in einem politischen Te stamente, welches an einen Prinzen gerichtet, wel cher schon das vierzigste Jahr zurück geleget, ein Minister, wie der Kardinal von Richelieu, so viel Ungereimtheiten gesaget, und nichts als die allerge meinsten Wahrheiten vorgebracht haben solle, die sich für ein klein Kind, das man erzieht, und nicht für einen König, welcher seit dreyßig Jahren regier te, schicken. Er versichert, daß die Könige gu ten Rath brauchten; daß ein Rathgeber des Königs ein geschickter und redlicher Mann seyn müsse; daß man der Vernunft folgen, und das Reich Gottes bauen solle; daß das allgemeine Wohl den besondern Vortheilen vorzuziehen sey; daß die Schmeichler gefähr lich sind; daß Gold und Silber nöthig sind. Große Staatslehren für einen König von vierzig Jahren! Wahrheiten, die von einer Feinheit und von einer Tiefe des Geistes zeigen, die des Kardinals von Richelieu würdig ist. 13. Wer wird endlich glauben, daß der Kardinal von Richelieu dem vierzehenten Ludwig die Reinigkeit und Keuschheit in seinem politischen Testamente anbefoh len habe? Er, welcher ganz öffentlich so viel Maitressen hatte, und welcher, wenn man den Denkwürdigkeiten des Kardinals von Rets glauben darf, seine Verwe genheit und seine Begierden bis auf Gegenstände ge trieben hatte, die ihm Schauer verursachen und sein Unglück hätten machen können. Man schätze diese Gründe und schreibe alsdenn, wenn man es wagt, dem Kardinale von Richelieu dieses Buch zu.
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Nicht weniger ist man mit dem Testamente Carls des IV, Herzogs von Lothringen, betrogen worden, wor inne man den Geist dieses Prinzen zu finden geglaubt hat; Leute aber, welche sich besser darauf verstanden, erkannten den Geist des Herrn von Chevremont dar inne, welcher auch wirklich der Verfasser davon war. Nach diesen Testamentmachern kommen die Samm ler geheimer Nachrichten. Wir haben eine kleine Hi storie, die 1700. gedruckt ist, und eine Jungfer Du rand, eine Person, die sehr wohl unterrichtet war, zur Verfasserinn hat. Der Titel heißt: Liebesgeschichte des 7ten Gregorius, des Kardinals von Richelieu, der Prinzeßinn von Conde, und der Marquise Durfe. Vor einigen Jahren habe ich die Liebsgeschichte des ehrwürdigen Vaters de la Chaise, des Beichtvaters Ludewigs des XIVten gelesen. Eine sehr ehrwürdige nach Haag geflüchtete Dame schrieb zu Anfange dieses Jahrhunderts sechs starke Bände, Schreiben eines Frauenzimmers von Stande in der Provinz, und eines Frauenzimmers von Stan de in Paris, die sich im Vertrauen die Neuigkeiten der Zeit mittheilen. In diesen Neuigkeiten der Zeit nun ist, wie ich gewiß versichern kann, nicht eine einzi ge wahrhafte. Alle vorgegebne Abendtheuer des Ritters von Bouillon, welcher seit der Zeit unter dem Namen des Prinzen von Auvergne bekannt geworden, sind darinne mit allen Umständen erzählet. Ich hatte einmal die Neugierde, den Ritter von Bouillon zu fra gen, ob dasjenige was die Frau Duniger auf seine Rechnung geschrieben, einigen Grund habe; und er schwor mir es zu, daß es nichts als ein Gewebe von Lügen wäre. Diese Dame hatte die Thorheiten des
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Pöbels zusammengerafft und in auswärtigen Ländern hielt man sie für die Geschichte des Hofes. Manchmal thun dergleichen Schriftsteller mehr Schaden, als sie meynen. Vor einigen Jahren wußte ein Bekannter von mir nicht, was er machen sollte, er ließ also ein klein Buch drucken, worinne er vorgab, daß eine gewisse berühmte Person auf die erschrecklich ste Weise wäre ermordet worden. Ich war ein Au genzeuge von dem Gegentheile gewesen; ich stellete dem Verfasser also vor, daß göttliche und menschliche Gesetze ihn verbänden, zu wiederrufen. Er versprach mir es auch; allein die Wirkung seines Buchs dauert noch, und ich habe diese Verleumdung hernach in mehr als einer vorgegebnen Historie der Zeit wiederhohlt ge funden. Es ist vor kurzem ein politisches Werk in London erschienen, dem Orte in der Welt, wo man die meisten übeln Neuigkeiten ausstreuet, und die übelsten Be trachtungen über die falschesten Neuigkeiten anstellt. Die ganze Welt weiß, sagt der Verfasser auf der 17ten Seite, daß der Kaiser Carl derVIte mit Aqua tuffana ist vergeben worden; man weiß, daß es ein Spanier, sein Liebling unter den Pa gen, dem er in seinem Testamente was ansehn liches vermacht hatte, war, welcher ihm das Gift beybrachte. Der Magistrat in Meyland, bey dem dieser Page, kurz vor seinem Tode sein Geständniß niedergelegt, und welcher es nach Wien geschickt hat, kann uns nähere Nach richt geben, wer seine Anstifter und seine Mit schuldige gewesen sind. Ich wünsche, daß uns
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der Wiener Hof bald die Umstände dieser ent setzlichen Schandthat mittheilen möge. Ich glaube der Wiener Hof wird die Welt lange auf die Mittheilung der Umstände dieser abgeschmack ten Grille warten lassen. Diese stets erneuerten Ver leumdungen erinnern mich an folgende Verse:
Les oisifs courtisans que leurs chagrins dévorent,
S'efforcent d' obscurcir les astres qu'ils adorent;
Si l'on croit de leurs yeux la regard penetrant,
Tout Ministre est un traitre et tout Prince un Tiran;
L'hymen n'est entouré que de feux adulteres;
Le frere à ses rivaux est vendu par ses freres;
Et sitot qu' un grand Roi penche vers son declin
Ou son fils ou sa femme aut haté son destin - - -
Qui croit toujours le crime en paroit trop capable. „das ist die müßigen Höflinge, die ihr Verdruß verzehret, bemühen sich aus allen Kräften, die Sonnen, welche sie anbethen zu verdunkeln. Wenn man denen durch dringenden Blicken ihrer Augen trauet, so ist jeder Mi nister ein Verräther, und jeder Fürst ein Tyrann; Hy men ist mit nichts als mit ehebrecherischen Flammen umgeben, und der Bruder wird an seine Mitbuhler von seinen Brüdern verkauft; und sobald ein großer König sich seinem Ende nahet, so muß entweder sein Sohn, oder seine Gemahlinn, seinen Tod beschleunigt haben. - - Wer das Laster allezeit glaubt, der scheint nur allzufähig dazu zu seyn.„ Und auf eben die Art sind die meisten vorgegebnen Geschichte der Zeit abgefasset.
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Die Kriege von 1702 und von 1741 haben in den Büchern eben so viel Lügen hervorgebracht; als Sol daten in den Feldzügen derselben umgekommen sind. Man hat es hundertmal wiederholt und wiederholt es noch hundertmal, daß das Ministerium von Versail les das Testament Carls des IIten, Königs von Spa nien, geschmiedet hätte. Geheime Nachrichten lehren uns, daß der letzte Marechal de la Feuillade ausdrück lich Turin verfehlte, und seine Ehre, sein Glück und sei ne Armee verlor durch eine große Hoflist; andre be richten uns, daß ein Minister aus Staatsklugheit eine Schlacht habe verlieren lassen. Man hat es in den Unterhandlungen von Europa auf das neue gedruckt, daß wir in der Schlacht bey Fontenai unsre Kanonen mit großen Stücken Glas und mit vergifteten Metallen hätten geladen gehabt: daß der General Cambel von einer dieser vergifteten Ladungen wäre getödtet worden, und daß der Herzog von Cumberland dem Könige von Frankreich in einem Kuffer das Glas und die Metalle zugeschickt habe, die man in seiner Wunde gefunden; daß er einen Brief beygelegt, worinne er dem Könige gesagt: Auch die allerbarbarischsten Völker hätten sich niemals solcher Waffen bedient; und daß sich der König bey LefungLesung dieses Briefes ent setzet habe. Alles dieses hat nicht den geringsten Schat ten der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit. Man fügt zu diesen ungereimten Lügen noch hinzu, daß wir mit kaltem Blute die verwundeten Engländer, welche auf dem Schlachtfelde gelegen, umgebracht, da man doch aus den Registern der Hospitäler beweisen kann, daß wir uns ihrer so wohl, als unsrer eignen Soldaten, an genommen haben. Diese häßlichen Lügen finden in
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verschiednen Ländern Europens Glauben, und dienen zur Unterhaltung des Hasses zwischen ganzen Völkern. Wie viel giebt es nicht geheime Denkwürdigkei ten, Historien von Feldzügen, Tagebücher von aller ley Art, deren Vorreden die billigste Unparteylichkeit, und die vollständigsten Nachrichten versprechen? Man sollte meynen, diese Werke wären von Gevollmächtig ten verfertiget, welchen alle Minister von allen Staaten, und alle Generale von allen Armeen, ihre aufgesetzten Nachrichten eingehändiget hätten. Man gehe einmal zu einem von diesen Gevollmächtigten, so wird man einen armen Schreiber in einem Schlafrocke und in ei ner Nachtmütze finden, ohne Hausrath und ohne Feuer, welcher die Zeitungen zusammen schreibt und verfälscht. Manchmal nehmen diese Herren eine gewisse Macht unter ihren Schutz. Das Mährchen, das man von einem solchen Schriftsteller erzählt, ist bekannt, welcher nach geendigtem Kriege von dem Kaiser Leopold eine Belohnung verlangte, daß er ihm an dem Rheine eine vollständige Armee von funfzigtausend Mann ganzer fünf Jahre lang unterhalten habe. Sie kündigen auch Krieg an, und lassen Feindseligkeiten begehen, und laufen Gefahr, selbst als Feinde tractirt zu werden. Ei ner von ihnen mit Namen Dubourg, welcher seine Zei tungsniederlage in Frankfurt hatte, ward daselbst un glücklicher Weise von einem unsrer Officirer im Jahr 1748 in Verhaft genommen, und auf den St. Mi chaelsberg gebracht, wo er in einem Kefige gestorben ist. Gleichwohl hat dieses Beyspiel den großen Muth seiner Brüder nicht niedergeschlagen. Eine von den edelsten und von den gemeinsten Be trügereyen ist diese, wenn sich Schriftsteller in Staats
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minister oder Hofleute desjenigen Hofes oder Landes, von welchem sie reden, verwandeln. Man hat uns eine dicke Geschichte von Ludewig dem XIVten geliefert, die nach den geschriebnen Aufsätzen eines Staatsministers abgefasset seyn soll. Dieser Staatsminister war ein aus seinem Orden verstoßener Jesuite, welcher nach Hol land unter dem Namen de la Hode geflüchtet war, und sich endlich in Holland zum Staatssecretär von Frankreich machte, damit er Brodt haben möchte. Weil man allezeit gute Muster nachahmen muß, und weil der Kanzler Clarendon und der Kardinal von Rets Abschilderungen der vornehmsten Personen gemacht ha ben, mit welchen sie Unterhandlung gepflogen, so darf man sich gar nicht verwundern, daß die heutigen Schrift steller, wenn sie sich zu einem Buchführer in Sold be geben, damit anfangen, daß sie von allen Regenten in Europa, von ihren Ministern, und von ihren Gene ralen, deren Liverey sie nicht einmal kennen, getreue Abschilderungen geben. Ein englischer Schriftsteller, dessen Annales von Europa gedruckt und wieder ge druckt worden sind, versichert uns, daß Ludewig der XVte nicht das große Ansehen habe, welches ei nen König ankündiget. Wahrhaftig dieser Mensch muß mit den Gesichtsbildungen sehr scharf verfah ren. Dagegen aber sagt er, der Kardinal von Fleu ry habe das Ansehen eines edeln Zutrauens. So ge genau er bey den Gestalten ist, so genau ist er auch bey den Gemüthsschilderungen und bey der Erzählung der Begebenheiten: er berichtet der Welt, daß der Kar dinal von Fleury den Titel des erstern Ministers (wel chen er niemals gehabt hat) dem Grafen von Toulose abgetreten habe; Er lehret uns, daß man die Armee
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des Marschalls Maillebois bloß nach Böhmen geschickt habe, weil eine Hofjungfer einen Brief auf dem Tische liegen lassen, und weil dieser Brief den Zustand der damaligen Angelegenheiten habe zu erkennen gegeben; er sagt, der Graf von Argenson wäre in dem Kriegsra the dem Herrn Amelot gefolget. Ich glaube wenn man alle Bücher in diesem Geschmacke zusammen su chen wollte, um sich die geheimen Nachrichten von Europa ein wenig bekannt zu machen, man würde eine unzählbare Bibliothek zusammen bringen, wovon kaum zehn Seiten Wahrheit wären. Ein andrer beträchtlicher Theil des Handels mit gedruckten Papieren, ist derjenige, welcher mit den polemischen Schriften, und zwar mit den eigentlichen polemischen Büchern, zu thun hat, worinnen man sei nen Nächsten verlästert, um Geld zu gewinnen. Ich will gar nicht von den Factums der Advocaten reden, welche das edle Recht haben, ihre Gegenpartey, so sehr als sie können, herunter zu machen, und ganze Fami lien rechtmäßig zu beschimpfen: ich rede nur von den jenigen, die in England wider das Ministerium de mosthenischePhilippica, aus lauter Liebe für das Vaterland, auf ihren Böden schreiben. Diese Stücke werden das Blatt für zwey Schillinge verkauft; man zieht manchmal vier bis fünf tausend Stücke davon ab, und dadurch bekömmt ein beredter Bürger wenigstens auf zwey bis drey Monate Lebensunterhalt. Ich habe den Ritter Walpole erzählen hören, daß einmal ein solcher Demosthenes für zwey Schillinge, der sich noch für keinen Theil des uneinigen Parlaments er kläret hatte, zu ihm gekommen sey, und ihm seine Feder zu Vertilgung aller seiner Feinde angeboten
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habe. Der Minister dankte ihm ganz höflich für sei nen Eifer, und nahm seine Dienste nicht an. Sie werden es also nicht übel nehmen, sagte der Schrift steller, daß ich ihrem Gegner, dem Herrn Pultney, meine Dienste antrage. Er ging sogleich zu ihm, und ward ebenfalls abgewiesen. Nunmehr erklärte er sich so wohl wider den einen, als wider den andern; des Montags schrieb er wider den Herrn Walpole, und des Mittewochs wider den Herrn Pultney. Nachdem er die ersten Wochen so ziemlich ehrlich da von gelebet hatte, so kam er endlich vor beyder Thü ren betteln. Mit dem berühmten Pope verfuhr man zu seiner Zeit wie mit einem Minister. Aus seinem Ruhme schlossen verschiedne studirte Leute, daß mit ihm was zu gewinnen sey. Man druckte seinetwegen, zur Ehre der Gelehrsamkeit, und zur Aufnahme des menschlichen Geistes, mehr als hundert Schmähschriften, worinne man ihm bewies, daß er ein Gottesleugner sey, und was noch ärger ist, in England warf man ihm so gar vor, daß er katholisch sey. Man versicherte, als er seine Uebersetzung des Homers herausgab, daß er kein Griechisch verstehe, weil er bucklicht sey, und nicht den besten Geruch habe. Es ist wahr, er war bucklicht; gleichwohl verstand er das Griechische sehr gut, und seine Uebersetzung des Homers war sehr wohl gerathen. Man verlästerte seine Sitten, seine Auf erziehung, seine Geburt; man fiel seinen Vater und seine Mutter an. Diese Schmähschriften hatten kein Ende. Pope hatte manchmal die Schwachheit, dar auf zu antworten, und dieses vermehrte ihre Anzahl. Endlich entschloß er sich, selbst einen kleinen Auszug
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aus allen diesen schönen Stücken zu machen, und ihn drucken zu lassen. Dieses war der tödtlichste Streich für die Schriftsteller, die bisher ziemlich ehrlich von den Lästerungen, die sie wider ihn ausspien, gelebt hat ten. Man hörte auf sie zu lesen, man begnügte sich mit dem Auszuge, und sie kamen nicht wieder auf. Ich bin der Gefahr ekel zu werden, sehr nahe ge wesen, wenn ich gesehen habe, daß große Schriftstel ler, mit mir eben so umgegangen sind, als mit Po pen. Ich kann sagen, daß ich mehr als einem Schrift steller ganz ansehnliche Honoraria verschaffet habe. Ich hatte, ich weiß nicht wie, dem berühmten Abte des Fontaines eine kleine Gefälligkeit erwiesen. Weil ihm aber diese Gefälligkeit nicht Lebensunterhalt verschaff te, so setzte er sich gleich Anfangs, als er aus dem Hause, woraus ich ihn gezogen hatte, gekommen war, durch ein Dutzend Schmähschriften wider mich, in bessere Umstände, die er in Wahrheit bloß zu Ehren der Gelehrsamkeit und aus übermäßigem Eifer für den guten Geschmack verfertigte. Er ließ die Hen riade drucken, in die er Verse, die er selbst gemacht hatte, hinein flickte, um hernach eben diese Verse ta deln zu können. Ich habe sehr sorgfältig einen Brief aufbehalten, den mir einmal ein solcher Schrift steller schrieb. Mein Herr, ich habe eine Smäh schrift<Schmähschriften> wider sie drucken lassen, wovon vier hundert Exemplaria abgezogen sind. Wenn sie mir 400 Livres übermachen wollen, so will ich ihnen diese vierhundert Exemplare treulich einhändigen. Ich schrieb ihm wieder, ich wolle seine Güte nicht misbrauchen, der Kauf wäre ihm allzunachtheilig; der Verkauf dieses Buchs könne ihm
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weit mehr eintragen; und am Ende hatte ich nicht Ursache, mich meine Großmuth reuen zu lassen. Es ist sehr gut, gelehrte Leute aufzumuntern, die nicht wissen, wozu sie greifen sollen. Eine von den mildesten Handlungen die man zu ihrem Vortheile unternehmen kann, ist, daß man ein Trauerspiel her aus giebt. Den Augenblick werden Schreiben an Frauenzimmer vom Stande erscheinen, unparteyi sche Beurtheilungen des neuen Stücks, Briefe ei nes Freundes an einen Freund, gründliche Untersu chung, Scenenweise Untersuchungen: und alles die ses findet seine Käufer. Das sicherste Geheimniß für einen ehrlichen Buch händler ist, am Ende der Werke, die er druckt, alle Abscheulichkeiten und Thorheiten, die man wider den Verfasser gedruckt hat, anzuhängen. Nichts ist dien licher, die Neugierde der Leser zu reizen, und den Ver kauf zu beschleunigen. Ich besinne mich, daß unter andern entsetzlichen Ausgaben meiner vorgegebenen Werke, ein geschickter Herausgeber in Amsterdam eine Ausgabe im Haag stürzen wollte, und also eine Samm lung von allen, was er wider mich hatte auftreiben können, beyfügte. Die ersten Worte dieser Samm lung sind, ich wäre ein nagender Hund. Ich fand dieses Buch in Magdeburg in den Händen des Postmeisters, welcher mir es nicht genug beschreiben konnte, mit wie vieler Beredsamkeit ihm dieses Stücke abgefaßt zu seyn schiene. Endlich erwiesen mir zwey Buchhändler in Amster dam, nachdem sie vorher, so viel wie möglich, die Henriade und andere Stücke von mir verunstaltet hat ten, die Ehre, mir zu schrribenschreiben, daß wenn ich es er
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laubte, daß man in Dresden eine bessere Ausgabe von meinen Werken besorge, die man damals unter Hän den hatte, so würden sie nach ihrem Gewissen verbun den seyn, einen Band abscheulicher Schmähungen wider mich, auf dem schönsten Papiere, mit breitem Rande, und mit den besten Littern , die sie haben könn ten, drucken zu lassen. Sie haben mir ihr Wort treulich gehalten. Sie haben sogar die Aufmerksam keit gehabt, ihre schöne Sammlung an einen der ver ehrungswürdigsten Monarchen in Europa zu schicken, an dessen Hofe ich damals zu seyn die Ehre hatte. Der Monarch hat ihr Buch in das Feuer geworfen, mit den Worten, auf eben die Art sollte man es mit den Herren Herausgebern machen. Es ist wahr, in Frankreich würden diese ehrlichen Leute auf die Galee ren geschicket werden. Allein das hieße den Handel allzusehr einschränken, dem man allezeit beförderlich seyn muß.

Fortsetzung der gedruckten Lügen.

Man hat nur sehr wenig von den gedruckten Lü gen gedacht, womit die Welt überschwemmt ist. Es wäre sehr leicht, von dieser Materie einen großen Band zu schreiben. Man weiß aber, daß man nicht alles thun muß, was leichte zu thun ist. Man will hier bloß einige allgemeine Regeln ge ben, die Menschen in Stand zu setzen, sich vor der Menge Bücher in Acht zu nehmen, welche die Irr thümer von einem Jahrhunderte auf das andere fort gepflanzet haben.
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Man erstaunt bey dem Anblicke einer zahlreichen Bibliothek; man sagt wohl bey sich selbst: es ist betrübt, daß man dazu verdammt ist, das meiste, was sie enthält, nicht zu wissen. Trö stet euch; es ist wenig dabey verloren. Sehet diese vier bis fünftausend Bände der alten Naturlehre, alles ist darinne falsch, bis auf die Zeiten des Gali läus. Betrachtet die Historien so vieler Völker; ihre ersten Jahrhunderte sind abgeschmackte Fabeln. Nach den fabelhaften Zeiten kommen die heroischen Zeiten, wie man sie nennt. Die ersten gleichen der Tausend und einen Nacht, worinne gar nichts wahr ist; die andern den Ritterbüchern, worinne nichts als einige Namen und Anspielungen wahr sind. Das ist schon mehr als ein Tausend Jahre, und mehr als ein Tausend Bücher, worinn man ohne Nachtheil unwissend seyn kann. Endlich kommen die historischen Zeiten, wo der Grund der Sachen wahr ist, und der meiste Theil der Umstände Lügen sind. Sind aber unter diesen Lügen nicht einige Wahrhei ten? Ja, so wie sich ein wenig Goldstaub in dem Sande, welchen die Flüsse mit sich fortstoßen findet. Man wird vielleicht wissen wollen, durch welches Mittel man dieses Gold zusammen sammeln kann? Hier ist das Mittel. Alles was nicht mit der Na turlehre, was nicht mit der Vernunft, was nicht mit der Art des menschlichen Herzens übereinkömmt, ist nichts als Sand; das übrige, welches von klugen Zeitverwandten bezeuget wird, ist der Goldstaub, wel chen ihr suchet. Herodotus erzählt dem versammleten Griechenlande die Geschichte der benachbarten Völker: die verständigen Leute lachen, wenn er von den Vor
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herverkündigungen des Apollo und von den ägypti schen und assyrischen Fabeln redet; er selbst glaubet sie nicht; alles was er von den ägyptischen Priestern hat, ist falsch; das, was er selbst gesehen hat, ist bestätiget worden. Man muß ihm ohne Zweifel glauben, wenn er zu den Griechen, die ihn anhören, saget: es ist in dem Schatze zu Corinth ein goldner Löwe, am Ge wichte 360 Pfund, welcher ein Geschenk des Crösus ist; man sieht noch den goldnen und den silbernen Zober, welche er in den Tempel zu Delphos schenkte; der goldne Zober wiegt ohngefähr fünfhundert Pfund, und in den silbernen gehen ohngefähr zweytausend und vierhundert Maaß. So groß diese Pracht auch sey, so weit sie auch alle übertrifft, die wir kennen, so kann man sie doch nicht in Zweifel ziehen. Herodotus re dete von etwas, wovon mehr als hunderttausend Zeu gen waren. Dieser Umstand ist übrigens sehr merkwür dig, weil er beweiset, daß zu den Zeiten des Crösus in klein Asien mehr Pracht war, als man heut zu Tage kennt; und diese Pracht welche uns allein die Frucht einer langen Reihe von Jahrhunderten seyn kann, beweiset ein großes Alterthum, wovon uns keine Kenntniß übrig geblieben ist. Die wunderba ren Denkmäler welche Herodotus in Aegypten und Babylon gesehen hatte, sind gleichfalls unverwerfliche Sachen. Es ist nicht eben so mit den festgesetzten feyerlichen Begehungen zum Andenken einer Bege benheit, weil, da die Feste zwar wahr, die Begeben heiten aber falsch seyn können. Die Griechen feyerten die pythischen Spiele zum Andenken der Schlange Python, die niemals Apollo getödtet hatte. Die Aegyptier feyerten die Aufnahme
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des Hercules unter die zwölf großen Götter, es ist aber gar nicht wahrscheinlich, daß dieser Hercules in Aegypten siebzehn Tausend Jahre vor der Regierung des Amasis solle gelebt haben, wie man in den Lie dern, die man ihm zu Ehren sang, sagte. Griechenland heiligte an dem Himmel neun Sterne für das Meerschwein, welches den Arion auf seinem Rücken getragen, und die Römer feyerten die schöne Begebenheit im Monate Februar. Die Priester des Mars, die Salii, trugen den ersten März die heiligen Schilde feyerlich umher, welche vom Himmel gefallen waren, als Nume den Faunus und Picus gefesselt, und von ihnen das Geheimniß den Donner abzuwenden gelernt hatte. Kurz, es ist kein Volk, welches nicht die allerabgeschmacktesten Einbildungen durch feyerliche Begehungen geheiliget habe. Was die Sitten der barbarischen Völker anbelangt, so werde ich alles, was mir ein weiser Augenzeuge davon närrisches, abergläubisches und abscheuliches sagt, von der menschlichen Natur zu glauben sehr ge neigt seyn. Herodotus bekräftiget vor dem ganzen Griechenlande, daß in den unermeßlichen Ländern über der Donau die Menschen sich eine Ehre daraus mach ten, das Blut ihrer Feinde aus menschlichen Hirn schädeln zu trinken, und sich mit ihrer Haut zu beklei den. Die Griechen, welche mit den Barbarn Hand lung trieben, würden ihn Lügen gestraft haben, wenn er die Sache übertrieben hätte. Es ist unwidersprech lich, daß mehr als drey Viertheile der Bewohner der Welt sehr lange Zeit als das wilde Vieh gelebet ha ben: sie sind so gebohren worden. Es sind Affen, welche die Erziehung tanzen lernt, und Bäre, welche
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sie an die Kette legt. Das, was der Czaar Peter noch in unsern Tagen in dem nördlichen Theile seines Reichs zu thun gefunden hat, beweiset mein Vorgeben, und macht das, was Herodotus erzählet hat, glaublich. Nach dem Herodotus ist der Grund der Historie um ein großes gewisser. Die Thaten sind umständli cher beschrieben, aber so viel Umstände manchmal, so viel Lügen. In dem Chaos vom Kriege, in der entsetz lichen Menge von Schlachten, sind der Rückzug der zehn tausend Mann des Xenophon, die Schlacht des Scipio wider den Hannibal bey Same, welche Poly bius beschrieben, und die pharsalische Schlacht, die der Sieger selbst erzählet, die einzigen, woraus sich der Leser erleuchten und unterrichten kann; bey allen den übrigen sehe ich, daß sich die Menschen einander um gebracht, und weiter nichts. Eine Sache ist in der Historie, welche allen unglaub lich vorkommen wird, die ein wenig gelebt haben; daß es nämlich Leute von unumschränkter Macht gegeben hat, welche die tugendhaftesten und weisesten unter al len Menschen gewesen sind. Wenn ein BürgerBöses thun soll, so darf er nur ein kleines Aemtgen haben, wo er es thun kann, und gleichwol kann man nicht zweifeln, daß nicht Titus, Trajan, Antonin, Marcus, Aureli us, Julius selbst (alle Irrthümer bey Seite) alles Gute gethan hätten, was man auf Erden thun kann. Es ist ein Mann in Europa, welcher des Morgens um fünf Uhr aufsteht, um zu arbeiten, daß jeder man ganzer vierhundert Meilen weit glücklich sey. Er ist König, Gesetzgeber, Minister und General: er hat fünf Schlachten gewonnen, und hat, im Schoße des Sieges, den Frieden geschenkt. Er hat sein Land
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reich und gesittet gemacht, er hat es erleuchtet. Er hat ausgeführet, was andre Monarchen kaum ver sucht haben; er hat in seinen Staaten der Kunst die Gesetze zu verewigen, Schranken gesetzt, und hat die Gerechtigkeit gezwungen gerecht zu seyn. Er giebt den geringsten von seinen Unterthanen die Erlaubniß ihm zu schreiben, und wenn der Brief eine Antwort ver dient, so würdiget er ihn der Antwort. Seine Erzäh lungen sind die Beschäfftigungen eines Menschen von Genie: Ich glaube nicht, daß in ganz Europa ein besse rer Metaphysicus ist, und wenn er zu den Zeiten und in dem Lande der Chapelles, der Bachauments und der Chauliaus wäre gebohren worden, so würden diese Herren so sehr nicht im Gange gewesen seyn. Als Philosoph und Monarch kennt er die Freundschaft. Kurz, er wird zeigen, daß es möglich sey, daß die Welt einen Marcus Aurelius gehabt habe. Was ich hier sage, ist keine gedruckte Lügen. Ich glaube, daß man den Menschen einen sehr gros sen Dienst thut, wenn man ihnen oft das Andenken der kleinen Anzahl der vortrefflichen Könige, welche die Ehre der Natur gewesen sind, wiederhohlt. Es ist eine sehr löbliche Gewohnheit, alle Jahre eine Lobrede auf den Stifter in einer Gesellschaft zu halten, die er gestiftet hat. Die letzten Jahre eines August aber er heben, und die erstern verabscheuen, einen Marcus Aurelius, einen Titus, einen Heinrich den vierten, und diejenigen loben, welche ihnen gleichen, heißt die Sache des ganzen menschlichen Geschlechts führen. Die großen Lobsprüche, die man mittelmäßigen Leu ten bey ihren Lebzeiten gegeben hat, sind lächerliche Lü gen. Die Verleumdungen, womit der Geist der Par
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teylichkeit so viel Monarchen, Minister und öffentli che Männer beschimpft hat, sind abscheuliche Lügen. Ich glaube anderwärts bewiesen zu haben, daß der Vorwurf, den mehr als zweyhundert Schriftsteller dem Pabst Alexander dem VIten gemacht haben, als ob er zwölf Kardinäle habe mit Gifte vergeben wol len, eine unvernünftige Verleumdung sey, welche ein rasender Rebel, der diesen Pabst zu hassen Ursache hat te, ausgesprengt. Ich glaube den fast allgemeinen Argwohn widerlegt zu haben, als ob diejenigen Per sonen, welche den vierten Heinrich am meisten hätten lieben sollen, Theil an seinem Tode gehabt hätten. Der gleichen Verbrechen zu glauben müßten sie bewiesen seyn. Sie ohne Beweis zu glauben, ist selbst ein Ver brechen. Wenn ich in der Historie lese, daß ein unumschränk ter und friedfertiger Monarche eines gesitteten und ge horsamen Volks, solche schreckliche Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten begangen haben solle, worüber man sich entsetzt, so glaube ich nichts davon. Es ist nicht natürlich, daß ein König, dem man sich nicht wider setzt, übels thun sollte; eben so unnatürlich als es ist, daß ein Eigenthumsherr sein Eigenthum verbrennen, oder daß ein Vater sich seiner Kinder berauben solle. Es gefällt fast allen Historienschreibern, jedem ersten Minister einen sehr tiefen Geist und ein sehr verderb tes Herz zu geben. Daß heißt sich artig betrügen; die meisten sind mittelmäßige Geister gewesen, so wohl in Ansehung des Genies, als der Tugenden und der Laster. Ein weiser Geschichtschreiber, als ein Thuanus, ein Rapin, Thoiras, ein Giannone, werden sich hierinne niemals vergehen. Die Historienschmierer aber halten
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sie alle für große Leute, so wie der vornehme und geringe Pöbel vor diesem alle Naturforscher für Hexenmeister hielt. In den Reisebeschreibungen besonders findet man die meisten gedruckten Briefe. Ich will des Paul Lu cas nicht gedenken, welcher in Oberägypten den Dämon Asmodeus will gesehen haben. Ich will nur von denen reden, die uns betriegen, indem sie die Wahrheit sa gen; welche bey einer Nation was außerordentliches gesehen haben, und es für eine Gewohnheit annehmen, welche einen Misbrauch beobachtet haben, und es für ein Gesetz ausgeben. Sie sind wie jener Deutsche, welcher, weil er mit seiner Wirthinn in Blois, die et was allzublondes Haar hatte, einen kleinen Zank be kam, in sein Stammbuch schrieb: Nota bene, alles Frauenzimmer in Blois hat rothes Haar, und ist zän kisch. Was das schlimmste ist, so ziehen die meisten, welche von der Regierung schreiben, aus solchen betrogenen Reisenden Beyspiele, um andre zu betriegen. Der türkische Kaiser hat sich etwa der Schätze eines Paches bemächtiget, der in seinem Serail als ein Sklave war gebohren worden, und hat der Familie so viel davon gegeben, als er gewollt hat; das türkische Gesetz muß also wollen, daß der Großsultan von allen seinen Un terthanen erbt: er ist ein Monarche, er muß also despotisch seyn, und zwar in dem erschrecklichsten Ver stande, welcher die Menschlichkeit am meisten erniedri get. Diese türkische Regierung, nach welcher es dem Kaiser nicht erlaubt ist, sich lange Zeit von der Haupt- Stadt zu entfernen, die Gesetze zu verrücken, sich an
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der Münze zu vergreifen et cetera wird als eine Regierung vorgestellt, in welcher das Haupt des Staats vom Morgen bis zum Abende tödten, und alles, was er will, gesetzmäßig beleidigen kann. Der Koran sagt, es sey erlaubt, vier Weiber zugleich zu nehmen; daher haben alle Handwerksleute und Arbeiter zu Constantinopel jeder vier Weiber, als wenn es so was leichtes wäre, sie zu haben und zu bewahren. Einige vornehme Personen haben Serails, man schließt also alle Muselmänner müß ten Sardanapale seyn: und so urtheilt man von allen. Wenn ein Türke in eine gewisse Hauptstadt käme, und den Auto de Fe ansähe, so würde er sich sehr betriegen, wenn er sagte: es giebt ein gesittetes Land, wo man manchmal recht feyerlich etliche zwanzig Mannsperso nen, Weiber oder kleine Kinder, zur Ergötzung der gnädigen Majestäten, verbrennt. In diesem Ge schmacke sind die meisten Nachrichten gemacht: noch weit schlimmer aber ist es, wenn sie voller Wunder sind. Man hat sich gegen die Bücher mehr in acht zu neh men als der Richter gegen die Advocaten. Es giebt unter uns noch eine große Quelle öffent licher Irrthümer. Eine welche unsrer Nation eigen thümlich ist, ist der Geschmack an Gassenhauern. Man macht welche auf die ehrwürdigsten Leute, und alle Ta ge hört man so wohl Lebendige als Todte aus dem schönen Grunde verlästern: Es muß doch wohl wahr seyn; ein Gassenhauer bezeugt es. Laßt uns unter der Zahl der Lügen den Geschmak an Allegorien nicht vergessen. Als man die Fragmen ta des Petrons gefunden hatte, zu welchen hernach Naudot ganz kühnlich die seinigen gefüget hatte, so hiel ten alle Gelehrte den Konsul Petronius für den Ver
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fasser; sie sahen den Nero und seinen ganzen Hof in einer Schaar wüster junger Schüler, welche die Hel den dieses Werks sind. Man ward durch den Namen betrogen, und ist es noch. Der lüderliche und unbe kannte Wüstling, welcher diese mehr schädliche als sinn reiche Satyre geschrieben, mußte der Konsul Titus Pe tronius gewesen seyn; Trimalcion, dieser abgeschmack te Alte, dieser Finanzmeister, der weit unter dem Tur caret ist, mußte der Kaiser Nero seyn; seine ekelma chende und erbärmliche Frau mußte die schöne Actea, der grobe Pedante Agamemnon mußte der Weltweise Seneca seyn: Das heißt den ganzen Hof Ludewigs des XIVten, im Gusman d'Alfarache oder im Gilblas suchen und finden. Aber, wird man sagen, was ge winnt man damit, den Menschen solcher Kleinigkeiten wegen ihren Irrthum zu benehmen? Ich gewinne nichts damit, ohne Zweifel, allein man muß sich ge wöhnen, die Wahrheit auch in den allerkleinesten Sa chen zu suchen; sonst wird man in den großen ziemlich betrogen werden.
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XIV. Thorheiten auf beyden Theilen.

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Thorheiten auf beyden Theilen, ist, wie man weiß, die Devise von allen Streitigkeiten. Ich rede hier nicht von denen, bey welchen Blut vergos sen wird. Die Anabaptisten, welche Westphalen verwüsteten, die Calvinisten, welche so viel Kriege in Frankreich ansponnen; die blutigen Parteyen der Armagnacs und der Bourguignons; die Strafe des Mägdchens von Orleans, welche von der einen Hälfte Frankreichs für eine himmlische Hel dinn, und von der andern für eine Hexe gehalten wurde; die Sorbonne, welche eine Bittschrift, sie zu verbrennen, eingab; die Ermordung des Herzogs von Orleans, welche von Doctoren gerechtfertiget ward; die durch ein Decret der heiligen Facultät von ihrer Pflicht los gesagten Unterthanen; die Scharfrichter, die man so oft, Meynungen zu unter stützen, gebrauchet hat; die Feuerhaufen, die man für Unglückliche anzündete, welche man beredete, daß sie Zauberer oder Ketzer wären: alles dieses geht über alle Thorheit. Diese Abscheulichkeiten geschahen gleichwol in der guten Zeit der alten deutschen Treue,
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der gallischen Aufrichtigkeit, und ich verweise alle die jenigen ehrlichen Leute dahin, welche die vergangene Zeit allezeit bedauren. Ich will hier nur, zu meiner eigenen Erbauung, ein klein unterrichtendes Verzeichniß von den schönen Sachen machen, welche die Geister unserer Voräl tern trenneten. In dem eilften Jahrhunderte, in der guten Zeit, wo man weder die Kunst Krieg zu führen, den man doch immer führete, kannte, noch die Kunst die Städte gesittet zu machen, noch die Handlung, noch die Ge sellschaft, wo wir weder lesen noch schreiben konnten; stritten Leute von großem Verstande ganz feyerlich, sehr lange und hitzig über das, was der Garderobbe begegnete, wenn man einer heiligen Pflicht genug ge than hatte, von der man nicht anders, als mit der tief sten Ehrfurcht reden muß. Dieses nennte man den Streit der Stercoristen. Dieser Streit erweckte kei nen Krieg, und war also eine von den stillsten Narr heiten des menschlichen Geistes. Der Streit, welcher zu eben der Zeit das gelehrte Spanien wegen der mosarabischen Uebersetzung trennete, endigte sich gleichfalls ohne Verwüstung der Provin zen und ohne Blutvergießung. Der Geist der Rit terschaft, welcher damals herrschete, ließ nicht zu, daß man diese Schwierigkeit anders entschied, als daß man das Endurtheil zweenen edeln Rittern auftrug; derjenige von den zween Don Quichottes, welcher seinen Gegner zu Boden werfen würde, sollte derjenigen Version den Triumph zuerkennen, für die er gestritten habe. Der Ruis de Martanza, der Ritter des mosarabischen Ri tualis, hob den Ritter des lateinischen aus dem Sattel.
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Weil aber die Gesetze der edeln Ritterschaft nicht aus drücklich festsetzten, daß ein Rituale abgeschafft werden müßte, weil sein Ritter aus dem Sattel gehoben worden, so nahm man seine Zuflucht zu einem weit sichrern und damals gebräuchlichern Geheimnisse, um zu erfahren, welches von beyden Büchern vorgezogen werden müsse; man warf sie nämlich ins Feuer. Denn es war un möglich, daß das gute Rituale von den Flammen nicht hätte unbeschädigt bleiben sollen. Ich weiß aber nicht wie es kam, daß alle beyde verbrannten, und daß der Streit, zum großen Erstauen der Spanier, also unent schieden blieb. Nach und nach bekam das lateinische Rituale den Vorzug; und wenn sich in der Folge ein Ritter aufgeworfen hätte, welcher das mosarabische hätte vertheidigen wollen, so würde man nicht das Ri tuale, sondern den Ritter ins Feuer geworfen haben. In diesen schönen Jahrhunderten mußten wir gesit teten Völker, wenn wir krank waren, unsere Zuflucht zu einem arabischen Arzte nehmen. Wenn wir wissen wollten, welchen Tag des Mondens wir hätten, so muß ten wir uns gleichfalls an sie wenden. Wenn wir ein Stücke Tuch wollten kommen lassen, so mußte man es einem Juden theuer bezahlen; und wenn der Ackers mann Regen brauchte, so gieng er zu einem Hexenmei ster. Als endlich einige von uns lateinisch gelernet hat ten, und nun eine übele Uebersetzung des Aristoteles da war, so machten wir eine ansehnliche Figur in der Welt. Drey oder vier Jahrhunderte brachten wir zu, einige Seiten des Stagyritens zu entziffern, sie anzubethen, und sie zu verdammen. Einige sagten, ohne ihn wür den wir keine Glaubensartikel haben, andere behaupte ten, er wäre ein Gottesleugner. Ein Spanier hat be wiesen, Aristoteles wäre ein Heiliger, dessen Fest man
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feyern müsse. Ein Concilium in Frankreich hat seine göttliche Schriften verbrennen lassen. Schulen, Uni versitäten, ganze geistliche Orden haben sich wechsels weise in Bann gethan, wegen verschiedener Stellen die ses großen Mannes, die weder sie, noch die Richter, welche ihr Ansehen dabey brauchen wollten, noch der Verfasser selbst jemals verstanden hatten. In Deutsch land hat es ziemliche Faustschläge wegen dieser wichti gen Streitigkeit gesetzt: Blut aber wurde doch wenig dabey vergossen. Es ist schade, daß man nicht zu Eh ren des Aristoteles einen bürgerlichenKrieg angespon nen, oder Schlachten für die Quidditäten, oder Univer salia geliefert hat. Unsere Väter haben um Fragen einander die Hälse gebrochen, die sie eben so wenig verstanden. Es ist wahr, ein berühmter Narr, Occam, mit dem Zunamen, der unüberwindliche Lehrer, das Haupt der sogenannten Nominalium, verlangte von dem Kaiser Ludewig dem Bayer, daß er seine Feder mit seinem kai serlichen Degen gegen einen andern Narren vertheidi gen solle, gegen den Scotus, einen Schottländer, wel cher an der Spitze der Realium war, und Doctor sub tilis genennet ward. Zu allem Glücke blieb das Schwerdt des Kaisers in seiner Scheide. Wer sollte glauben, daß diese Streitigkeiten bis auf unsere Zeiten gedauret haben, und daß das Parlement von Paris im Jahre 1624 einen schönen Befehl für den Aristo teles hat ergehen lassen? Gegen die Zeit des tapfern Occams und des muthi gen Scotus, erhob sich eine weit ernsthaftere Streitig keit, in welche die ehrwürdigen Franciscaner beynahe die ganze christliche Welt zogen. Man wollte nämlich wissen, ob ihre Suppe ihnen eigenthümlich zugehörte,
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oder ob sie nur die Nutzung davon zögen. Die Form der Kappe und die Weite des Aermels waren gleichfalls die Gegenstände dieses heiligen Krieges. Der Pabst Johann der XXII, welcher sich darein mischen wollte, fand seine Leute vor sich. Die Franciscaner verließen seine Partey, und schlugen sich zu dem Kaiser, der da mals seinen Degen zog. Uebrigens wurden drey oder vier Franciscaner als Ketzer verbrannt. Dieses ist ein wenig arg, weil aber doch dieser Handel weder Throne erschüttert, noch Provinzen ruiniret hat, so kann man ihn noch unter die feindlichen Thorheiten rechnen. Es hat immer welche von dieser Art gegeben. Die meisten sind in die tiefste Vergessenheit gefallen, und von vier bis fünfhundert Sekten, welche aufgekommen sind, sind keine in dem Gedächtnisse der Menschen mehr übrig, als die, welche entweder entsetzliche Unordnungen angerichtet, oder außerordentlich lächerlich gewesen sind; zweene Umstände, weswegen man etwas sehr leichte be hält. Wer weiß itzo, daß es Orebiten, Osmiten, Ins dorfianer gegeben hat? Wer kennt die Uncti, die Ar tocopi, die Iscariolisten? Als ich einmal bey einer holländischen Dame speiste, so gab mir einer von den Gästen liebreich den Rath, daß ich mich ja in Acht nehmen möchte, den Voetius zu lo ben. Ich habe keine Lust, sagte ich, weder Gutes noch Böses von ihrem Voetius zu sagen; aber warum geben sie mir diesen Rath? Weil, sagte mein Nachbar, die Dame eine Coccejanerinn ist. O, von Herzen gern, ant wortete ich. Er fügte hinzu, daß noch vier Coccejane rinnen in Holland wären, und daß es schade sey, daß diese Art von Leuten eingehen sollte. Es wird eine Zeit kom men, in welcher die Jansenisten, welche unter uns so viel Aufsehen machen, und von welchen man anderer
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Orten nichts weiß, das Schicksal der Coccejaner haben werden. Ein alter Doctor sagte zu mir: Mein Herr, in meiner Jugend habe ich mir es um die Mandata impossibilia volentibus et conantibus äußerst ange legen seyn lassen. Ich habe wider das Formular und den Pabst geschrieben, und geglaubet, ich sey ein Beken ner; man hat mich ins Gefängniß gelegt, und ich habe geglaubt, ich sey ein Märtyrer. Itzo menge ich mich in nichts mehr, und halte mich für vernünftig. Was sind denn ihre Beschäfftigungen, fragte ich ihn. Mein Herr, antwortete er, ich liebe das Geld sehr. So lachen fast alle Menschen in ihrem Alter innerlich über die Thor heiten, denen sie in ihrer Jugend eifrigst angehangen haben. Die Secten werden wie die Menschen alt. Diejenigen, welche von keinem großen Monarchen un terstützet werden, die kein großes Unglück angerichtet ha ben, veralten noch eher, als die übrigen. Es sind her umgehende Krankheiten, die bald wieder aufhören. Man bekümmert sich nicht mehr um die frommen Träume der Frau Guion. Man liest nicht mehr das unverständliche Buch der Lebensregeln der Heiligen; man liest den Telemach. Man gedenkt nicht mehr an das, was der beredte Bossuet wider den zärtlichen, zier lichen und liebenswürdigen Fenelon geschrieben; man giebt seinen Leichenreden den Vorzug. In dem ganzen Streite über den Quietismum ist nichts gutes gewesen, als die alte aufgewärmte Erzählung von einer guten Frau, die eine Glutpfanne herzu gebracht, das Paradies zu verbrennen, und einen Wasserkrug, das Feuer in der Hölle auszulöschen, damit man Gott nicht mehr aus Hoffnung oder aus Furcht diene. Ich will nur einen besondern Umstand aus diesem Processe anführen, wel cher bey weiten nicht so gut, als die Erzählung von der
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wackern Frau ist, nämlich daß die Jesuiten, welche in Frankreich von den Jansenisten so heftig beschuldiget worden, der heilige Ignatius habe ihren Orden aus drücklich zur Ausrottung der göttlichen Liebe gestiftet, daß, sage ich, diese sehr heftig für die Liebe des Hrn. von Cambray in Rom Vorstellungen thaten. Es gieng ih nen eben so, wie dem Herrn von Langerads, welchen seine Frau vor dem Parlemente wegen seines Unvermögens verfolgte, und der vor dem Parlemente zu Rennes von einem Mägdchen angeklaget wurde, welches er sollte ge schwängert haben. Einen von beyden Processen hätte er nothwendig gewinnen sollen; er verlor sie aber alle beyde. Die reine Liebe, für die sich die Jesuiten so viel Mühe gemacht, ward in Rom verdammt, und in Paris wurden sie immer für die Leute gehalten, welche es nicht haben wollten, daß man Gott liebte. Diese Meynung hatte in den Gemüthern solche Wurzel gefasset, daß, als man vor einigen Jahren einen Kupferstich verkaufen wollte, auf welchem unser Herr JesusChristus als ein Jesuit gebildet war, ein lustiger Kopf folgende Zeilen unter das Kupfer setzte:
Admirés l' artifice extreme
De ces Peres ingenieux,
Ils vous ont habillé comme eux
Mon Dieu depuis qu'on ne vous aime. „Bewundert die unbeschreibliche List dieser sinnrei chen Paters; sie haben dich, lieber Gott, gekleidet, wie sie gekleidet sind, aus Furcht, daß man dich nicht etwa lieben möchte.„ In Rom, wo man dergleichen Streitigkeiten nicht hat, und wo man über diejenigen urtheilet, die anderer Orten entstehen, war man der Streitigkeiten über die reine Liebe sehr überdrüßig geworden. Der Kardinal
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Carpeigne, welcher die Sache des Erzbischofs von Cam bray vortrug, war krank, und stand an einem Theile sehr viel aus, welches bey den Kardinälen eben so wenig ge schont wird, als bey andern Menschen. Sein Wundarzt steckte ihm kleine Fasern von Leinen hinein, welche man in Italien, und in verschiedenen andern Ländern Cambray nennet. Der Kardinal schrie. Es ist gleichwol, sagte der Wundarzt, von dem feinsten Cambray. Was auch hier Cambray, schrie der Kardinal. Ist es nicht genug, daß der Kopf davon ermüdet ist? Glückliche Streitigkeiten, die sich also schließen. Glückliche Menschen, wenn alle Streiter in der Welt, wenn alle Ketzer sich mit so viel Mäßigung, mit einer so großmüthigen Ergebenheit, als der große Erzbischof von Cambray unterwürfen, welcher nicht die geringste Lust hatte, das Haupt einer Sekte zu werden. Ich weiß nicht, ob er Recht hatte, wenn er woll te, daß man Gott um sein selbst willen lieben müsse; Hr. Fenelon wenigstens verdiente also geliebt zu werden. In den bloß gelehrten Streitigkeiten ist oft eben so viel Wuth, und so viel Geist der Parteylichkeit, als in den wichtigsten Streitigkeiten. Man würde, wenn man könn te, die Rotten des Circus wieder aufwecken, welche das römische Reich erschütterten. Zwey eifersüchtige Schau spielerinnen sind vermögend, eine ganze Stadt zu trennen. Die Menschen haben alle eine heimliche Neigung zu Rotten. Wenn es nicht Kronen, Tiaren und Infuls sind, derentwegen man Parteyen macht, sich verfolgt und sich schadet, so ist es ein Tänzer oder ein Musicus, dessent wegen wir gegen einander aufgebracht werden. Ra meau hat eine heftige Partey wider sich gehabt, die ihn gerne hätte ausrotten wollen, und er wußte nichts davon. Ich habe eine noch heftigere Partey wider mich gehabt, und ich habe es wohl gewußt.
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XV. Abhandlung von den Verschönerungen der Stadt Paris.

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Ein einziger Bürger, welcher eben nicht sehr reich war, der aber eine große Seele besaß, legte auf seine Unkosten den Platz des Victoires an, und er richtete dem Könige aus Dankbarkeit eine Bildsäule. Dieser Mann that mehr, als sie ben hundert tausend Einwohner in diesem Jahrhun derte noch gethan haben. Wir haben in Paris Reichthümer, womit wir ganze Königreiche kaufen könnten; wir sehen es alle Tage mit Augen, was unserer Stadt noch fehlet, und wir lassen es ge nug seyn, darüber zu murren. Man fährt das Louvre vorbey, und seufzet, wenn man sieht, daß dessen Vorderseite, das Denkmaal der Größe des vierzehnten Ludewigs, des Eifers eines Colberts, und der Erfindungskraft eines Perrault, mit Gebäu den der Gothen und Vandalen verdeckt ist. Wir laufen in die Schauspiele, und es verdreußt uns, daß wir auf eine so unbequeme und ekele Art hinein gehen müssen, daß wir darinne so übel sitzen, daß der Schauplatz so plump zugerichtet, und daß die Schaubühne so ungeschickt angeleget ist; und daß der
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Ausgang noch verdrüßlicher und beschwerlicher ist, als der Eingang gewesen war. Wir erröthen, und zwar mit Rechte, daß die Marktplätze in engen Gassen angeleget sind; wo die Unsauberkeit, der Ge stank und die immerwährende Unordnung einem jeden in die Augen fällt. Wir haben nur zween Brunnen nach dem großen Geschmacke, und diese sind nichts weniger, als an geschickten Orten angeleget. Alle andere gehören aufs Dorf. Große Quartiere wollen auch öffentliche Märkte haben; und indessen, da der Triumphbogen am St. Dionysiusthore, Heinrichs des großenBildsäule zu Pferde, die zwo Brücken, das Louvre, die Tuillerien, und die elysischen Felder den Schönheiten des alten Roms gleich kommen, oder sie gar übertreffen, so stellet das finstere, enge und scheußliche Mittel der Stadt die Zeiten der schändlichsten Barbarey vor. Das alles sagen wir ohn Unterlaß selber; aber wie lange werden wir es noch sagen, und der Sache gleichwol nicht abhelfen. Wem kömmt es denn zu, die Stadt zu verschö nern? Kömmt es nicht den Einwohnern zu, die in ihren Ringmauern alles das genießen, was der Ueberfluß und die Ergötzungen den Menschen nur darbiethen können? Man redet von einem Platze und von einer Bildsäule des Königs; in der Zeit aber, daß wir davon reden, hat man in London einen Markt, und eine Brücke über die Themse, und zwar mitten in einem Kriege gebauet, der für die Englän der viel verderblicher und kostbarer war, als für uns. da wir nun also die Ehre nicht mehr haben können,
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ihnen ein Beyspiel zu geben; so sollten wir doch we nigstens nach dem Ruhme streben, die Beyspiele, welche man uns giebt, zu übertreffen. Es ist ein mal Zeit, daß die Häupter der reichsten Hauptstadt von Europa, sie auch zur bequemsten und prächtig sten Stadt machen. Werden wir uns denn nicht endlich einmal schämen, daß wir bey kleinen Feuer werken, einem ungestalten Gebäude gegenüber, in einem engen Platze stehen bleiben, der zur Hinrich tung der armen Sünder bestimmt ist? Man erhebe seinen Geist nur einmal, und das andere wird sich alles geben. Ich verlange nur eine Sache, daß man nämlich mit Standhaftigkeit wolle. Wahrhaf tig, es kömmt hier nur auf einen Platz an! Paris würde noch sehr unbequem und sehr unordentlich seyn, wenn auch dieser Platz fertig wäre. Wir müssen öffentliche Märkte, Brunnen, die wirklich Wasser geben, ordentliche Kreuzwege und Schaubühnen ha ben. Man muß die engen und unsaubern Gassen erweitern, den versteckten Denkmälern Luft schaffen, und andere aufrichten, die man sehen kann. Die Niederträchtigkeit der Begriffe und die noch niederträchtigere Furcht vor den Unkosten, haben bis her noch alle die großen Anschläge zu Boden gedruckt, die jeder rechtschaffener Einwohner, wohl hundertmal bey sich gemacht hat. Der Muth entfällt, wenn man überschlägt, was es kosten würde, diese großen Werke aufzuführen, davon die meisten täglich unum gänglicher werden, und die man endlich wohl wird bauen müssen, sie mögen nun kosten was sie wollen.
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Im Grunde aber ist es gewiß, daß sie dem Staate nichts kosten werden. Das Geld, das man zu die sen edeln Arbeiten brauchen wird, das wird gewiß nicht an Ausländer bezahlet werden. Wenn man das Eisen dazu aus Deutschland, und die Steine aus England holen müßte; so wollte ich sagen: ver krummet immer in eurer weibischen Schläfrigkeit; genießt die Schönheiten, die ihr habt, in Ruhe, und entschlaget euch derer, die euch fehlen. Weit gefehlet aber, daß der Staat bey diesen Arbeiten et was verlieren sollte; er gewinnt dabey. Alsdenn werden alle Armen nützlich gebraucht; der Umlauf des Geldes nimmt zu; und dasjenige Volk ist immer das reichste, welches am meisten arbeitet. Allein, wo soll man das Geld hernehmen? Wo nahmen es denn alle die ersten Könige von Rom her, da sie, in den Zeiten der größten Armuth, die un terirdischen Schleußen baueten, welche noch sechs hun dert Jahre nach ihnen, ein Wunder des reichen und siegenden Roms waren? Glauben wir, daß wir weniger reich und arbeitsam sind, als jene Aegyptier, deren Pyramiden ich hier eben nicht rühmen mag, weil es nur plumpe Denkmäler des Hochmuths wa ren; deren so viel nützliche und vortreffliche Werke aber ich erwähnen will? Ist denn in Paris we niger Geld, als in dem neuen Rom damals war, als man die Peterskirche bauete, die ein Meisterstück des Geschmacks und der Pracht ist; als man so viel andere schöne Werke der Baukunst aufführte, darinne das Nützliche, das Edle, das Angenehme mit einander
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verbunden sind? London war gewiß nicht so reich, als itzo Paris ist, als seine Aldermänner die St. Pauluskirche baueten, welche die zweyte in Europa ist, und uns unsere gothische Kathedralkirche vorzu werfen scheint. Wo sollen wir das Geld dazu her nehmen? Gebricht uns denn das Geld, wenn so viel Zimmer und Kutschen verguldet, und alle Tage so viel Schmausereyen gegeben werden sollen, die die Gesundheit und das Vermögen schwächen, und endlich alle Kräfte der Seele verschlingen? Wenn wir nur ausrechneten, wie groß der Umlauf des Gel des ist, den bloß das Spiel in Paris beträgt, so würden wir erstaunen. Ich setze, daß in zehn tau send Häusern, nur wenigstens jährlich tausend Fran ken für jedes Haus im Gewinnste und Verluste um laufen, (die Summe aber kann leicht zehnmal stärker seyn,) so beläuft sich dieser Punkt allein, so wie ich ihn herunter setze, auf zehn Millionen: deren Verlust man nicht merken würde. Es ist heut zu Tage viel mehr gemünztes Geld im Lande, als vormals, da Ludewig der XIV. vierhundert Millionen und mehr, auf Versailles, Trianon und Marly verwendete; und diese vierhundert Millionen, die Mark zu sieben bis acht und zwanzig Pfund ge rechnet, machen anjetzt viel mehr als sieben hundert Millionen. Die Unkosten zu drey Lauben in jenen Lustorten hätten hingelanget, die Hauptstadt mit den nöthigen Zierrathen zu verschönern. Wenn ein Regent dergleichen Ausgaben für sich selbst macht, so zeiget er seine Größe: wenn er sie für das gemeine Wesen thut,
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so zeigt er seine Großmuth. In beyden Fällen aber muntert er die Künste auf, befördert den Umlauf des Geldes; und nichts geht bey dergleichen Unternehmun gen verloren, als diejenigen Gelder, die nach frem den Landen geschickt werden müssen; um verstümmelte alte Bildsäulen theuer zu bezahlen, indeß daß wir mehr als einen Phidias und Praxiteles unter uns haben. Der König würde, nach seiner Großmuth, und nach seiner Liebe zu seinem Volke, wohl etwas dazu beytragen, daß seine Hauptstadt seiner Hoheit gemäß sey. Allein ist er denn mehr ein König über Paris, als über Lyon und Bourdeaux? Eine jede Hauptstadt muß sich selbst zu helfen wissen. Soll man denn ei nem jeden Privatmanne erst einen Befehl aus dem geheimen Rathe zuschicken, daß er sein Haus ausbes sere? Uebrigens ist auch der König, nach einem lang wierigen Kriege, nicht im Stande, für unser Ver gnügen viel herzugeben: und ehe er die Häuser ein reißen kann, welche die Vorderseite von St. Gervais bedecken, muß erst das Blut bezahlt werden, welches für das Vaterland vergossen ist. Giebt es übrigens anjetzt mehr baares Geld im Lande, als zu Ludewigs des XIV Zeit, so reichen doch die wirklichen Einkünfte der Krone anjetzt bey weitem an diejenigen nicht, die jener Monarch hatte. Denn in den zwey und sieben zig Jahren seiner Regierung erhob man von dem Vol ke achtzehn Millionen Millionen an Münze; welches ein Jahr ins andre gerechnet, zwo hundert Millionen und fünfmal hundert tausend Livres, sieben und zwan
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zig bis dreyßig Livres auf die Mark, beträgt; und diese jährliche Summe beläuft sich ungefähr auf drey hundert und dreyßig heutige Millionen. Nun fehlt sehr viel, daß der König dieses einzunehmen habe. Es heißt immer, der König ist reich, in eben dem Verstande, als man es von einem vornehmen Herrn oder von einem Privatmanne sagen würde. In die sem Verstande aber ist der König nichts weniger als reich. Er hat fast keine Kammergüter, und ich be merke im Vorbeygehen, daß die allerunglückseligsten Zeiten der Monarchen diejenigen gewesen sind, da die Könige nichts als ihre Kammergüter hatten, ihren Feinden zu widerstehen, und ihre Unterthanen zu be lohnen. Der König ist eigentlich und dem Buchsta ben nach der Haushalter des französischen Volks. Die Hälfte des umlaufenden Geldes vom Königrei che geht durch die Hände seiner Schatzmeister, als durch ein Sieb, und ein jeder, der sich von dem Kö nige eine Belohnung oder einen Gnadengehalt ausbittet, der spricht eigentlich zu ihm: Wollten Ew. Majestät mir doch einen kleinen Theil von dem Gelde meiner Mitbürger geben. Nun fragt sichs, ob sich dieser Mensch auch um das Vaterland verdient gemacht hat? Alsdenn ist es offenbar, daß das Vaterland ihm schul dig sey, und der König bezahlt ihn im Namen des Staats. Es ist aber auch gewiß, daß der König zu willkührlichen Ausgaben nur dasjenige hat, was von den nothwendigen Ausgaben übrig bleibt. Auch ist es wahr, daß es bey weitem nicht Null vor Null aufgehe, das ist, daß alle jährliche Schul
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den mit dem Ausgange des Jahrs bezahlt würden. Ich glaube, daß es nur zwey Staaten in Europa giebt, wovon der eine sehr groß und der andere sehr klein ist, wo man diese Oekonomie eingeführet hat; und wir sind gleichwol unendlich reicher, als diese bey den Staaten. Kurz, der König mag viel, wenig, oder gar nichts schuldig seyn, so ist es doch gewiß, daß er keine Schä tze sammelt. Wenn er diese sammelte, so würde er und der Staat dabey verlieren. Heinrich der IVte als er noch, nach den unruhigen Zeiten, wo es noch so barbarisch hergieng, auf allen Seiten eingeschränkt war, und nichts als Verweise erhielt, als er Geld nöthig hatte, Amiens aus den Händen der Feinde wieder zu nehmen; Heinrich der IVte sage ich, hatte Ursache, einige Jahre von seinen Einkünften einen Schatz von ungefähr vierzig Millionen zu sammeln, wovon zwey und zwanzig in den Kellern der Bastille verschlossen waren. Dieser Schatz von vierzig Mil lionen betrug ungefähr hundert Millionen nach heu tiger Münze, und da alle Lebensmittel, (ausgenom men die Soldaten, welche ich die nothwendigsten Le bensmittel der Könige genannt habe,) jetzo wenigstens noch einmal so theuer sind, so ist es ausgemacht, daß der Schatz Heinrichs des IVten sich auf zwey hundert von unsern Millionen im Jahre 1749. beläuft. Die ses nöthige Geld, dieses Geld, welches dieser große Monarch nicht anders hätte heben können, war ver loren, wann es vergraben wurde: ward es wieder in den Handel gebracht, so hätte es wenigstens dem
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Staate jährlich zwey Millionen an Münze damaliger Zeit eingetragen. Heinrich der IVte verlor also da bey, und hätte diesen Schatz nicht verscharret, wenn er hätte gewiß seyn können, ihn allen Falls in den Beuteln seiner Unterthanen zu finden. Ob er gleich König war, that er doch, was zu den beweinenswür digen Zeiten der Ligue die Privatpersonen gethan hat ten: er vergrub sein Geld. Was damals sehr noth wendig war, würde jetzt sehr übel angebracht seyn. Der König hat statt seiner Schätze die Manutention, den Gebrauch des Geldes, welches ihm die Bebauung unsers Landes einbringt, unsre Handlung, unsern Fleiß; und mit diesem Gelde kann er unermeßliche Ausgaben bestreiten. Von diesen Einkünften der Ländereyen nun, von der Handlung, von der Arbeit samkeit des Königreichs, bleibt der größte Theil in Paris, und wenn der König am Ende des Jahres noch schuldig ist, das ist, wenn er von diesen jährli chen Einkünften nicht alle jährliche Ausgaben des Staats hat abtragen können, wenn er, in diesem Ver stande, nicht reich ist, so ist die Stadt Paris deswe gen nicht weniger vermögend. Heinrich der IVte hat te vierzig Millionen Livres seiner Zeit in seinen Kof fern; man übertreibt nichts, wenn man sagt, daß die Bürger in Paris wenigstens sechsmal so viel an gemünztem Gelde besitzen. Es kömmt also nicht dem Könige, sondern es kömmt uns zu, auf die Verschö nerungen unserer Stadt bedacht zu seyn; die reichen Bürger in Paris können sie zu einem Wunder der Pracht machen, indem sie ein weniges von ihrem Ue berflusse dazu geben. Sollte wohl ein Mensch so un
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verschämt seyn, zu sagen, ich will nicht, daß mir das allgemeine Beste und mein eigenes jährlich hundert Franken koste? Wenn auch einer niederträchtig genung seyn sollte, so zu denken, so wird er doch nimmermehr so verwegen seyn, es zu sagen. Es kömmt also nur darauf an, daß man eine Art, die dazu erforderlichen Gelder zu heben, erfindet, und es sind hundert Arten, unter welchen diejenigen, die sich drauf verstehen, wählen können. Der Stadtrath darf nur um Erlaubniß bitten, eine mäßige und proportionirte Steuer auf die Einwohner, auf die Häuser, oder auf die Lebensmittel legen zu dür fen. Diese fast unmerkliche Steuer, unsere Stadt zu verschönern, wird ohne Vergleichung weit geringer seyn, als diejenigen, die wir uns gefallen lassen, um unsere Landsleute an der Donau umkommen zu sehen. Der Stadtrath darf nur einige Millionen auf Leibren ten oder umlaufende Renten (rentes tournantes) auf nehmen, welche durch die Bezahlung des Kapitals endlich wieder wegfielen. Er darf nur eine ge schickte Lotterie machen; er darf nur eine gewisse Summe von seinen jährlichen Einkünften davon fest setzen; der König darf hernach nur, wenn es seine Umstände erlauben, diesen edeln Unternehmungen beyspringen, und einige außerordentliche Abgaben da zu bestimmen, die wir während des Krieges gege ben haben. Mit diesem Gelde müßte aber wohl gewirthschaftet werden; die Vorschläge der Künstler müßten im Concurse angenommen und nach deren An schlage ausgeführet werden. Es ist leicht zu bewei sen, daß man in weniger als zehn Jahren Paris zu einem Wunder der Welt machen kann.
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Die Erzählung von dem großen Colbert, welcher in wenig Monaten, selbst durch die Ausgaben eines Carousels, Geld in die königlichen Koffers gebracht haben solle, ist eine Fabel; denn die Rentmeisters saßen nicht auf königliche Rechnung. Uebrigens hät te man auch erst lange darauf diesen Vortheil empfin den können. Es ist aber eine Fabel, unter welcher ein großer Verstand verborgen liegt, und welche eine offenbare Wahrheit weiset. Es ist außer allem Zweifel, daß solche Unterneh mungen Paris mit vier bis fünf tausend Werkleuten mehr bevölkern würde, und daß selbst aus fremden Landen welche herzu kommen würden. Die meisten nun kommen mit ihren Familien an, und wenn diese Werkleute funfzehn hundert tausend Franken gewin nen, so geben sie eine Million dem Staate durch ih re Ausgaben und durch die Verzehrung der Lebens mittel wieder zurück. Der außerordentliche Umlauf des Geldes, welcher aus diesen Unternehmungen in Paris entstehen würde, wird um ein großes die Ein künfte der Oberpachter vermehren. Wenn die Bür ger, welche diese obersten Pachte auf sich genommen haben, dadurch jährlich funfzehn hundert tausend Franken gewinnen, wenn sie nur eine Million dadurch gewinnen, oder auch fünf hundert tausend Franken, würden sie gedrückt werden, wenn man ihnen vor schlüge, jährlich drey hundert tausend Livres von die sen fünf hundert tausend Franken zu diesem großen Werke beyzutragen? Es sind deren genug unter ih nen, die edel genug denken würden, es selber vorzu
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schlagen, und die uneigennützige Hülfe, die sie dem Könige während des Krieges geleistet haben, ist für das gut, was sie vermögen, und folglich in Friedens zeiten für ihr Vaterland thun müßten. Sie haben für den König um fünf pro Cent aufgeborgt, und haben von dem Könige nichts als diese fünf pro Cent genommen; sie haben ihm also ohne Interessen gelie hen. Als Herr Orri im Jahr 1743 dem äußerlichen Handel aufzuhelfen, alle Abgaben auf Leinenzeug, auf die Waaren der Hutmacher und Tapetenmacher, bey dem Ausgange aus dem Königreiche, von dem Jahre 1744 an, aufhob, verlangten die Oberpachter nicht einmal Schadloshaltung, sondern sie verlangten selbst, daß diese Abgaben von dem Augenblicke an aufhören sollten. Einer von ihnen versahe eine Pro vinz mit Korne, die keins hatte, ohne den geringsten Gewinnst dabey zu haben, und nahm keine andere Be lohnung, als eine Schaumünze an, welche die Provinz ihm zu Ehren schlagen ließ; und wie lange ist es, daß wir einen Menschen gesehen haben, welcher dem Staate mehr als einmal einzig und allein beygesprun gen, und welcher bey seinem Tode zehn Millionen ausgeliehenes Geld hinterließ, wovon fünfe keine In teressen gaben. Es giebt also sehr große Seelen un ter denjenigen, von welchen man glaubt, daß sie nur eigennützige Seelen hätten: und die Regierung kann die Nacheiferung unter denen erwecken, die, weil sie sich durch die Finanzen reich gemacht haben, zur Verschönerung der Stadt das ihrige beytragen müs sen, in welcher sie zu ihrem Glücke gekommen sind. Daß ich es noch einmal kurz sage, man muß wollen.
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Der berühmte Prediger von St. Sulpitius wollte, und er baute, ohne die dazu erforderlichen Gelder, ein weitläuftiges Gebäude. Es wird gewiß weit leichter seyn, mit unsern Reichthümern unsere Stadt zu verschönern, als es war, mit nichts St. Sulpitius und St. Roch zu bauen. Das Vorurtheil, welches sich über alles entsetzt, der Widersprechgeist, welcher alles bestreitet, werden sagen, daß solche Unterneh mungen allzu weitläuftig sind, daß die Ausführung allzu schwer und allzu langweilig seyn würde. Es wird gleichwol hundertmal leichter seyn, als es war die Eure und die Seine nach Versailles zu bringen, die Orangerie daselbst zu bauen, und die Lauben an zulegen. Als London in die Asche geleget wurde, sagte Eu ropa: London wird unter zwanzig Jahren nicht wie der aufgebauet seyn, und auch alsdenn werden sich noch nicht alle Spuren seines Unglücks verloren ha ben. Es war aber in zwey Jahren, und zwar mit Pracht, wieder aufgebauet. Wollen wir es denn allezeit auf das äußerste ankommen lassen, ehe wir was großes unternehmen? Wenn die Hälfte von Paris verbrannt wäre, wir würden sie prächtig und bequem wieder aufbauen; und itzo wollen wir ihr nicht einmal mit tausendmal weniger Unkosten, die Bequemlichkeiten und die Pracht geben, deren sie nöthig hat. Gleichwol würde ein solches Unterneh men der Nation zu Ehren gereichen, zu unsterblichen Ehren der Stadt Paris; es würde alle Künste an feuren, Ausländer aus allen Enden Europens her bey locken, den Staat bereichern und ihn nicht
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arm machen, tausend Müßiggänger zur Arbeit ge wöhnen, welche ihr elendes Leben itzo mit dem straf baren Betteln hinbringen, und unsere Stadt mit entehren helfen. Es wird auf alle und jede ein Vor theil daher entspringen, und zwar mehr als einerley Vortheil. Dieses ist ohne Widerspruch die Frucht der Arbeiten, die man vorschlägt, welche alle Bür ger wünschen, und alle Bürger verabsäumen. Der Himmel gebe, daß sich ein Mensch finden möge, welcher Eifer genug zu diesen Unternehmungen, Standhaftigkeit genug sie fortzuführen, Erleuchtung genug sie anzuordnen, und Glauben genug sie in Ausübung bey allen zu bringen, haben möge. Wenn in unserer unermeßlichen Stadt sich niemand findet, der es über sich nehmen will, wenn man es gut seyn läßt, bey Tische davon zu reden, unnütze Wünsche zu thun, oder gar alberne Spöttereyen darüber anzu bringen, so kann man nichts, als über Jerusalem weinen.
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Der geneigte Leser beliebe pag. 125. statt: Als er sei nen Neffen, den Herzog von Bourgogne, zu lesen: Als er seinen Enkel, den Herzog von Bourgogne.
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1 * Riencourt in seiner Historie Ludewigs des XIV ist so unverständig, daß er vorgiebt, das Testament Lude wigs des XIII sey durch das Parlement bestätiget wor den. Was diesen Schriftsteller mag irre gemacht ha ben, ist dieses, daß Ludewig der XIII die Königinn in der That zur Regentin erkläret hatte, und dieses wurde bestätiget: er hatte aber ihr Ansehen einge schränkt, und dieses wurde umgestoßen.
2 * Den 8. August 1643.
3 ** Den 31 August 1644.
4 * Den 3 August 1645.
5 *** Im Jahre 1647.
6 ** Den 7 October 1646.
7 * Den 20 August 1648.
8 ** Sein Vater starb 1646.
9 * Im Monat Julius 1644.
10 ** Im November 1644.
11 *** Im November 1647.
12 † Im Jahre 1645.
13 †† Im Jahre 1646.
14 * Im Monat May 1644.
15 ** Im März 1645.
16 *** Im Jahre 1647.
17 * Im Jahre 1647.
18 * Im Jahre 1649.
19 * Ein grausamer Titel für den ersten Minister, welcher seinen Bruder Coglione nannte.
20 ** Den 18 Jenner 1650.
21 * Im December 1651.
22 * Den 2ten Julius 1652.
23 * Den 12. August 1652.
24 * In den Denkwürdigkeiten des Gourville.
25 * Den 27. März 1654.
26 * Im Jahre 1651.
27 ** Im Jahre 1648.
28 * Im Jahre 1653.
29 * Gegeben den 11 Septemb. 1654. in Vincennes.
30 * Im Monat May 1655.
31 ** Den 2ten November 1655.
32 * Den 17 Julius 1656.
33 ** Den 30 May 1656.
34 * Byzantii numi, eine alte goldene Münze, welche die orien talischen Kaiser haben prägen lassen.

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