Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette, vom Herrn Noverre.
Aus dem Französischen übersetzt.
Hamburg und Bremen,1769.
Bey Johann Hinrich Cramer.
Briefe über die Tanzkunst.
[↔]
M. H. [↔] Die Poesie, die Mahlerey und der Tanz,
sind, oder sollten wenigstens nichts seyn, als getreue Abbildungen
der schönen Natur. Nur durch dieWahrheit
dieser Nachahmung sind die Werke eines Racine,
eines Raphaels, auf die
Nachwelt gekommen; nachdem sie,
was noch weit seltner ist, auch den Beyfall ihres
Jahrhunderts erlangt hatten. Warum können wir den Namen
dieser großen Männer nicht
auch die Namen der Balletmeister, die zu ihrer Zeit die
berühmtesten waren,
beyfügen! Aber kaum kennt man sie; und gleichwohl liegt
die Schuld nicht an der Kunst. Ein Ballet ist ein
Gemählde:
die Bühne ist das Tuch; die mechanischenBewegungen der Figuranten sind die Farben; ihre Physiognomie ist, wenn ich mich
so ausdrücken darf, der Pinsel; die Verknüpfung und die Lebhaftigkeit
der Scenen, die Wahl der Musik, die
Auszierung und das Kostume, machen das Kolorit aus; und
der Kompositeur ist der Mahler. Wenn ihm
dieNatur das Feuer und den
Enthusiasmus gegeben hat, welcher die Seele der Mahlerey und der Poesie ist, so kann er
der Unsterblichkeit eben so
gewiß seyn. Der Künstler, getraue ich mir zu sagen, hat hier weit mehr
Schwierigkeiten zu übersteigen, als in den andern Künsten; der Pinsel und die Farben sind nicht in seiner Hand; seine
Gema<ä>hlde müssen beständig abändern, und nur einen
Augenblick dauern; kurz, er muß die Kunst der Gebehrden,
die Pantomime,
die zu den
Zeiten des Augustus so
bekannt war, wieder herstellen. Ohne Zweifel haben sich
meine Vorgänger durch diese Schwierigkeiten abschrecken lassen. An Talenten
bin ich vielleicht weit unter ihnen; und doch habe ich es
gewagt, mir neue Wege zu
bahnen. Die Nachsicht des Publikums hat mich ermuntert, und hat mich in den kritischsten Augenblicken, wo die
Eigenliebe so leicht niederzuschlagen gewesen wäre, aufrecht erhalten. Mein glücklicher Fortgang scheinet
mich also zu berechtigen, Ihre
Neugierde über eine Kunst, die Sie lieben, und der ich
alle Augenblicke widme, zu befriedigen. [↔] Die Ballette sind bisher weiter nichts als
schwache Entwürfe von dem gewesen, was sie einmal seyn
können. Geschmack und Genie können die Kunst derselben verschönern, und sie unendlicher Veränderungen fähig machen. Die Geschichte, die Mythologie, die Poesie, die
Mahlerey, alles bietet ihr die Hand, um sie
aus der Dunkelheit, in der sie begraben liegt, hervor zu
ziehen; und man muß sich mit Recht verwundern, daß die
Kompositeurs so schätzbare Hülfsmittel vernachläßigen. [↔] Die Programmen, die man ungefehr vor hundert
Jahren, an verschiedenen europäischenHöfen, über die aufgeführten Ballette
ausgegeben, sollten fast auf die Vermuthung bringen, daß
die Kunst eher ab, als zugenommen habe. Doch diese Zettel sind ein wenig
verdächtig, und es ist mit den Ballets wie mit allen
Feyerlichkeiten überhaupt; nichts kann schöner und
zierlicher seyn, als wie es auf dem Papiere steht; nichts
plumper und abgeschmackter, als wie es öfters ausgeführet worden. [↔] Mich dünket, mein Herr, daß diese Kunst nur
darum in ihrer Kindheit geblieben, weil man ihr nicht viel
größere Wirkungen zugemuthet,
als ungefehr die Feuerwerkskunst haben kann; die bloßen
Augen auf eine kurze Zeit zu belustigen. Ob sie schon mit
den besten Schauspielen das Vermögen zu interessiren, zu bewegen, und den Zuschauer durch die Reitze der vollkommensten
Illusion zu fesseln, gemein hat: so hat
man ihr doch nie zugetrauet, daß
sie für den Geist arbeiten, und sich dem
Herze verständlich machen könne. [↔] Wenn fast alle Ballette ohne Kraft, einförmig und langweilig sind; wenn sie gar nichts von dem
Ausdrucke haben, der sie beseelen muß: so ist es, ich
wiederhole es noch einmal, nicht der Fehler der Kunst, sondern des Künstlers. Wußte er denn nicht, daß die Tanzkunst zu den nachahmenden Künsten gehöre? Fast
sollte ich glauben, daß er es nicht gewußt habe, indem es
kaum einen einzigen Kompositeur
giebt, der nicht die wahren Schönheiten des Tanzes
aufgegeben, und die reitzenden Ausdrücke der
Empfindung völlig bey Seite gesetzt habe,
um sich lediglich auf die knechtische Nachbildung einer gewissen Anzahl von
Figuren einzuschränken, die das Publikum seit hundert Jahren bis zum Ueberdrusse
sehen und wieder sehen muß; so daß, wenn ein Kompositeur
zum Phaethon, oder zu sonst einer alten Oper, neue Ballette machen muß, diese neue Ballette von den alten, die bey den ersten Vorstellungen dieser Opern aufgeführet worden, so wenig unterschieden seyn werden, daß man leicht glauben sollte, es wären noch immer die nehmlichen. [↔] Freylich muß es wohl etwas sehr Seltnes, ich
will nicht sagen etwas ganz Unmögliches seyn, in der
Anlage der Ballette Genie, Zierlichkeit in den Formen,
Leichtigkeit in den Gruppen, Richtigkeit und Sauberkeit in
den Wegen, die zu den verschiedenen Figuren führen, zu finden: da man kaum die Kunst, das Alte zu verkleiden, und ihm einen Anschein von Neuheit zu geben, verstehet. [↔] Die Balletmeister sollten die Meisterstücke
der größten Mahler zu Rathe ziehen; die
Untersuchung derselben würde sie ohne Zweifel der Natur
näher bringen; sie würden besonders, so viel möglich, das Symmetrische in den
Figuren vermeiden lernen, das den nehmlichen Gegenstand
vervielfältiget, und auf Einem Tuche zwey ähnliche
Gemählde zeiget. [↔] Ich will damit nicht überhaupt alle symmetrische Figuren tadeln. Den Gebrauch derselben gänzlich verbiethen wollen, würde sehr sonderbar lassen, und mir das Ansehen eines Reformators geben, das ich auf alle Weise
vermeiden will. [↔] Die besten Dinge können durch den Mißbrauch schädlich werden; ich mißbillige blos
die allzuhäufige, allzuoft wiederhohlte Anwendung dieser Art von Figuren;
und sobald sich meine Kunstverwandte nur angelegen seyn
lassen wollen, die Natur
recht getreulich nachzubilden,
und die verschiedenen Leidenschaften
auf der Scene mit allen
den Farben und Schattirungen zu mahlen, die einer jeden
insbesondere zukommen, so
werden sie das Fehlerhafte
derselben schon selbst empfinden. [↔] Die symmetrischen Figuren rechter und linker
Hand, sind, meiner Meinung nach, nur in den vollen Entreen
zu dulden, die eigentlich nichts
ausdrücken sollen, sondern bloß da sind, damit die ersten
Tänzer indeß wieder zu Athem kommen können. In einem
allgemeinen Ballette, zum
Schlusse einer Lustbarkeit, können sie auch noch Statt
haben; desgleichen in den kleinern Tanzstücken zwischen
vieren, sechsen u. s. w. ob es mich gleich auch schon hier sehr lächerlich dünket, wenn man
Empfindung
und Ausdruck der
Geschmeidigkeit des Körpers und der
Fertigkeit in den Füßen aufopfert. Aber in allen Scenen,
die Handlung haben, muß die Symmetrie nothwendig der Natur
weichen. Ein Exempel, so schwach es auch gewählt seyn dürfte, wird mich vielleicht verständlicher machen, und hinlänglich seyn, meinen Satz zu erhärten. [↔] Ein Haufe Nymphen ergreift, bey der
unvermutheten Erblickung eines Haufens junger Faunen,
voller Bestürzung die Flucht; die Faunen verfolgen die
Nymphen mit dem Eifer, mit dem man natürlicher Weise auf
ein bevorstehendes Vergnügen zueilet; auf einmal bleiben sie stehen, um zu sehen, was für Eindruck sie auf die Nymphen machen;
diese halten in ihrem Laufe gleichfalls inne, betrachten
furchtsam ihre Verfolger, forschen, wo sie hinaus wollen,
und sehen sich nach einem sichern Orte um, wohin sie wider
die drohende Gefahr ihre Zuflucht nehmen können; allmälich stoßen beide
Haufen zusammen, die Nymphen
widerstehen, vertheidigen sich,
entrinnen, so gewandt als leicht — [↔] Eine solche Scene, sage ich, hat >Handlung; und hier muß
der Tanz mit Feuer und Nachdruck sprechen. Hier lassen
sich keine symmetrisch abgemessene Figuren anbringen, ohneWahrheit und
Wahrscheinlichkeit zu beleidigen, ohne die Handlung und den Antheil,
den die Zuschauer daran
nehmen sollen, zu schwächen. Eine solche Scene muß nichts
als eine schöne Unordnung zeigen, und die Kunst des Kompositeurs muß hier bloß die Natur zu verschönern suchen. [↔] Ein Balletmeister ohne Einsicht und Geschmack wird hier
nach der gewöhnlichen Leyer zu Werke gehen, und die ganze
Scene um ihre Wirkung bringen, weil er den
Geistdavon nicht einsieht. Er wird
die Nymphen und Faunen auf verschiedenen Parallellinien
einander gegenüber stellen; er wird sorgfältig verlangen, daß keine Nymphe eine andere
Wendung machen soll, als die andere; kein Faun wird ihm
den Arm höher heben dürfen, als der andere; er wird sich
wohl hüten, die Nymphen so zu vertheilen, daß auf der
einen Seite fünfe, und auf der andern sieben zu stehen kommen; denn das würde wider die alten
Oper Regeln sündigen heissen; und ehe er diese übertritt, eher macht er aus einer Scene, die voller Feuer und Ausdruck seyn könnte, das
langweiligste, frostigste Spiegelgefechte. [↔] Wer dieKunst nicht hinlänglich
versteht, um von allen ihren verschiedenen Wirkungen urtheilen zu können, dürfte vielleicht einwenden, daß diese Scene eigentlich
nur zwey Gemählde
haben müsse; das eine, welches die Begierde der Faunen,
und das andere, wel ches die
Furchtsamkeit der Nymphen zeige. Aber wie
vieler Abänderungen ist diese Begierde und diese Furchtsamkeit fähig! wie vieler Kontraste! wie vieler Staffeln von dem Wenigern zum Mehrern! Sollen die nicht genützet
werden? Sollen die umsonst eine Menge Gemählde darbieten,
deren eines immer kräftiger und reitzender seyn kann, als
das andere? [↔] Die Leidenschaften sind bey allen Menschen die nehmlichen, und unterscheiden sich nur nach den Graden ihrer Empfindlichkeit; bey
diesem entstehen sie schneller, bey jenem langsamer; bey dem einen äußern sie mehr, bey
dem andern weniger Stärke und Heftigkeit; hier sind sie anhaltender, dort überhingehender. Dieses lehrt uns die
tägliche Erfahrung;
und es muß folglich der Wahrheit weit gemäßer seyn, die
Stellungen abzuändern, und dem
Ausdrucke Verschiedenheit zu geben, als jeder Person die
nehmliche Pantomime vorzuschreiben, und das ganze Spiel
monotonisch zu machen. DieNatur recht nachzuahmen, den Ruhm eines trefflichenMahlers zu verdienen, muß jeder Kopf seinen
besondern und eigenen Ausdruck haben; einige von den Faunen müssen mehr Wildheit, andere weniger Ungestüm verrathen; diese müssen einen zärtlichern Anstand
haben, und jene nichts als Wollust athmen; diese müßten den Nymphen ihre Furcht benehmen zu wollen, und jene sie mit
ihnen zu theilen scheinen. Die
Anordnung dieser Seite des Gemähldes würde
natürlicher Weise auch die Anordnung der andern Seite
bestimmen; hier würden wir Nymphen erblicken, die zwischen Furcht und Wollust schwimmen; da würden sich einige weit spröder und stolzer gebehrden, als ihre Gespielinnen; dort würden andere mit ihrer Furcht eine
Art von Neubegierde verbinden;
kurz, alle würden durch die Verschiedenheit ihrer
Stellungen die verschiedenenBewegungen ihrer Seele zu erkennen geben,
und diese Verschiedenheit würde um so mehr bezaubern, je
näher sie derNatur käme. [↔] Gestehen Sie mir also, m. H., daß die
Symmetrie, diese Tochter der Kunst, aus allen Tänzen, die
Handlung haben, nothwendig müsse verbannt seyn. [↔] Ich frage alle, die von dem, was sie einmal gewohnt sind, nicht gern abgehen wollen, ob sie wohl in einer
Heerde Schafe, die ein reissender Wolf aus einander
sprenget, Symmetrie finden? oder in einer Schaar
Bauern, die ihre Hütten und Felder verlassen, um sich vor der Wuth des Feindes zu retten? Ganz gewiß nicht. Aber dieKunst ist, die Kunst zu verstecken wissen. Ich predige nicht Unordnung und
Verwirrung; ich will vielmehr, daß auch in der Unordnung
noch Ordnung herrschen soll; ich verlange
sinnreiche Gruppen, kräftige Stellungen, nur daß sie auch natürlich sind; sie müssen so angeordnet seyn, daß man nirgend die Mühe des Anordners merkt. Jede Figur muß mit Geschmack gezeichnet seyn, aber keine, sie
mag noch so zierlich seyn, muß lange anhalten; auf eine reitzende muß schnell eine
eben so reitzende folgen.
Erster Brief.
M. H. [↔] Die Poesie, die Mahlerey und der Tanz,
sind, oder sollten wenigstens nichts seyn, als getreue Abbildungen
der schönen Natur. Nur durch dieWahrheit
dieser Nachahmung sind die Werke eines Racine,
eines Raphaels, auf die
Nachwelt gekommen; nachdem sie,
was noch weit seltner ist, auch den Beyfall ihres
Jahrhunderts erlangt hatten. Warum können wir den Namen
dieser großen Männer nicht
auch die Namen der Balletmeister, die zu ihrer Zeit die
berühmtesten waren,
beyfügen! Aber kaum kennt man sie; und gleichwohl liegt
die Schuld nicht an der Kunst. Ein Ballet ist ein
Gemählde:
die Bühne ist das Tuch; die mechanischenBewegungen der Figuranten sind die Farben; ihre Physiognomie ist, wenn ich mich
so ausdrücken darf, der Pinsel; die Verknüpfung und die Lebhaftigkeit
der Scenen, die Wahl der Musik, die
Auszierung und das Kostume, machen das Kolorit aus; und
der Kompositeur ist der Mahler. Wenn ihm
dieNatur das Feuer und den
Enthusiasmus gegeben hat, welcher die Seele der Mahlerey und der Poesie ist, so kann er
der Unsterblichkeit eben so
gewiß seyn. Der Künstler, getraue ich mir zu sagen, hat hier weit mehr
Schwierigkeiten zu übersteigen, als in den andern Künsten; der Pinsel und die Farben sind nicht in seiner Hand; seine
Gema<ä>hlde müssen beständig abändern, und nur einen
Augenblick dauern; kurz, er muß die Kunst der Gebehrden,
die Pantomime,
die zu den
Zeiten des Augustus so
bekannt war, wieder herstellen. Ohne Zweifel haben sich
meine Vorgänger durch diese Schwierigkeiten abschrecken lassen. An Talenten
bin ich vielleicht weit unter ihnen; und doch habe ich es
gewagt, mir neue Wege zu
bahnen. Die Nachsicht des Publikums hat mich ermuntert, und hat mich in den kritischsten Augenblicken, wo die
Eigenliebe so leicht niederzuschlagen gewesen wäre, aufrecht erhalten. Mein glücklicher Fortgang scheinet
mich also zu berechtigen, Ihre
Neugierde über eine Kunst, die Sie lieben, und der ich
alle Augenblicke widme, zu befriedigen. [↔] Die Ballette sind bisher weiter nichts als
schwache Entwürfe von dem gewesen, was sie einmal seyn
können. Geschmack und Genie können die Kunst derselben verschönern, und sie unendlicher Veränderungen fähig machen. Die Geschichte, die Mythologie, die Poesie, die
Mahlerey, alles bietet ihr die Hand, um sie
aus der Dunkelheit, in der sie begraben liegt, hervor zu
ziehen; und man muß sich mit Recht verwundern, daß die
Kompositeurs so schätzbare Hülfsmittel vernachläßigen. [↔] Die Programmen, die man ungefehr vor hundert
Jahren, an verschiedenen europäischenHöfen, über die aufgeführten Ballette
ausgegeben, sollten fast auf die Vermuthung bringen, daß
die Kunst eher ab, als zugenommen habe. Doch diese Zettel sind ein wenig
verdächtig, und es ist mit den Ballets wie mit allen
Feyerlichkeiten überhaupt; nichts kann schöner und
zierlicher seyn, als wie es auf dem Papiere steht; nichts
plumper und abgeschmackter, als wie es öfters ausgeführet worden. [↔] Mich dünket, mein Herr, daß diese Kunst nur
darum in ihrer Kindheit geblieben, weil man ihr nicht viel
größere Wirkungen zugemuthet,
als ungefehr die Feuerwerkskunst haben kann; die bloßen
Augen auf eine kurze Zeit zu belustigen. Ob sie schon mit
den besten Schauspielen das Vermögen zu interessiren, zu bewegen, und den Zuschauer durch die Reitze der vollkommensten
Illusion zu fesseln, gemein hat: so hat
man ihr doch nie zugetrauet, daß
sie für den Geist arbeiten, und sich dem
Herze verständlich machen könne. [↔] Wenn fast alle Ballette ohne Kraft, einförmig und langweilig sind; wenn sie gar nichts von dem
Ausdrucke haben, der sie beseelen muß: so ist es, ich
wiederhole es noch einmal, nicht der Fehler der Kunst, sondern des Künstlers. Wußte er denn nicht, daß die Tanzkunst zu den nachahmenden Künsten gehöre? Fast
sollte ich glauben, daß er es nicht gewußt habe, indem es
kaum einen einzigen Kompositeur
giebt, der nicht die wahren Schönheiten des Tanzes
aufgegeben, und die reitzenden Ausdrücke der
Empfindung völlig bey Seite gesetzt habe,
um sich lediglich auf die knechtische Nachbildung einer gewissen Anzahl von
Figuren einzuschränken, die das Publikum seit hundert Jahren bis zum Ueberdrusse
sehen und wieder sehen muß; so daß, wenn ein Kompositeur
zum Phaethon, oder zu sonst einer alten Oper, neue Ballette machen muß, diese neue Ballette von den alten, die bey den ersten Vorstellungen dieser Opern aufgeführet worden, so wenig unterschieden seyn werden, daß man leicht glauben sollte, es wären noch immer die nehmlichen. [↔] Freylich muß es wohl etwas sehr Seltnes, ich
will nicht sagen etwas ganz Unmögliches seyn, in der
Anlage der Ballette Genie, Zierlichkeit in den Formen,
Leichtigkeit in den Gruppen, Richtigkeit und Sauberkeit in
den Wegen, die zu den verschiedenen Figuren führen, zu finden: da man kaum die Kunst, das Alte zu verkleiden, und ihm einen Anschein von Neuheit zu geben, verstehet. [↔] Die Balletmeister sollten die Meisterstücke
der größten Mahler zu Rathe ziehen; die
Untersuchung derselben würde sie ohne Zweifel der Natur
näher bringen; sie würden besonders, so viel möglich, das Symmetrische in den
Figuren vermeiden lernen, das den nehmlichen Gegenstand
vervielfältiget, und auf Einem Tuche zwey ähnliche
Gemählde zeiget. [↔] Ich will damit nicht überhaupt alle symmetrische Figuren tadeln. Den Gebrauch derselben gänzlich verbiethen wollen, würde sehr sonderbar lassen, und mir das Ansehen eines Reformators geben, das ich auf alle Weise
vermeiden will. [↔] Die besten Dinge können durch den Mißbrauch schädlich werden; ich mißbillige blos
die allzuhäufige, allzuoft wiederhohlte Anwendung dieser Art von Figuren;
und sobald sich meine Kunstverwandte nur angelegen seyn
lassen wollen, die Natur
recht getreulich nachzubilden,
und die verschiedenen Leidenschaften
auf der Scene mit allen
den Farben und Schattirungen zu mahlen, die einer jeden
insbesondere zukommen, so
werden sie das Fehlerhafte
derselben schon selbst empfinden. [↔] Die symmetrischen Figuren rechter und linker
Hand, sind, meiner Meinung nach, nur in den vollen Entreen
zu dulden, die eigentlich nichts
ausdrücken sollen, sondern bloß da sind, damit die ersten
Tänzer indeß wieder zu Athem kommen können. In einem
allgemeinen Ballette, zum
Schlusse einer Lustbarkeit, können sie auch noch Statt
haben; desgleichen in den kleinern Tanzstücken zwischen
vieren, sechsen u. s. w. ob es mich gleich auch schon hier sehr lächerlich dünket, wenn man
Empfindung
und Ausdruck der
Geschmeidigkeit des Körpers und der
Fertigkeit in den Füßen aufopfert. Aber in allen Scenen,
die Handlung haben, muß die Symmetrie nothwendig der Natur
weichen. Ein Exempel, so schwach es auch gewählt seyn dürfte, wird mich vielleicht verständlicher machen, und hinlänglich seyn, meinen Satz zu erhärten. [↔] Ein Haufe Nymphen ergreift, bey der
unvermutheten Erblickung eines Haufens junger Faunen,
voller Bestürzung die Flucht; die Faunen verfolgen die
Nymphen mit dem Eifer, mit dem man natürlicher Weise auf
ein bevorstehendes Vergnügen zueilet; auf einmal bleiben sie stehen, um zu sehen, was für Eindruck sie auf die Nymphen machen;
diese halten in ihrem Laufe gleichfalls inne, betrachten
furchtsam ihre Verfolger, forschen, wo sie hinaus wollen,
und sehen sich nach einem sichern Orte um, wohin sie wider
die drohende Gefahr ihre Zuflucht nehmen können; allmälich stoßen beide
Haufen zusammen, die Nymphen
widerstehen, vertheidigen sich,
entrinnen, so gewandt als leicht — [↔] Eine solche Scene, sage ich, hat >Handlung; und hier muß
der Tanz mit Feuer und Nachdruck sprechen. Hier lassen
sich keine symmetrisch abgemessene Figuren anbringen, ohneWahrheit und
Wahrscheinlichkeit zu beleidigen, ohne die Handlung und den Antheil,
den die Zuschauer daran
nehmen sollen, zu schwächen. Eine solche Scene muß nichts
als eine schöne Unordnung zeigen, und die Kunst des Kompositeurs muß hier bloß die Natur zu verschönern suchen. [↔] Ein Balletmeister ohne Einsicht und Geschmack wird hier
nach der gewöhnlichen Leyer zu Werke gehen, und die ganze
Scene um ihre Wirkung bringen, weil er den
Geistdavon nicht einsieht. Er wird
die Nymphen und Faunen auf verschiedenen Parallellinien
einander gegenüber stellen; er wird sorgfältig verlangen, daß keine Nymphe eine andere
Wendung machen soll, als die andere; kein Faun wird ihm
den Arm höher heben dürfen, als der andere; er wird sich
wohl hüten, die Nymphen so zu vertheilen, daß auf der
einen Seite fünfe, und auf der andern sieben zu stehen kommen; denn das würde wider die alten
Oper Regeln sündigen heissen; und ehe er diese übertritt, eher macht er aus einer Scene, die voller Feuer und Ausdruck seyn könnte, das
langweiligste, frostigste Spiegelgefechte. [↔] Wer dieKunst nicht hinlänglich
versteht, um von allen ihren verschiedenen Wirkungen urtheilen zu können, dürfte vielleicht einwenden, daß diese Scene eigentlich
nur zwey Gemählde
haben müsse; das eine, welches die Begierde der Faunen,
und das andere, wel ches die
Furchtsamkeit der Nymphen zeige. Aber wie
vieler Abänderungen ist diese Begierde und diese Furchtsamkeit fähig! wie vieler Kontraste! wie vieler Staffeln von dem Wenigern zum Mehrern! Sollen die nicht genützet
werden? Sollen die umsonst eine Menge Gemählde darbieten,
deren eines immer kräftiger und reitzender seyn kann, als
das andere? [↔] Die Leidenschaften sind bey allen Menschen die nehmlichen, und unterscheiden sich nur nach den Graden ihrer Empfindlichkeit; bey
diesem entstehen sie schneller, bey jenem langsamer; bey dem einen äußern sie mehr, bey
dem andern weniger Stärke und Heftigkeit; hier sind sie anhaltender, dort überhingehender. Dieses lehrt uns die
tägliche Erfahrung;
und es muß folglich der Wahrheit weit gemäßer seyn, die
Stellungen abzuändern, und dem
Ausdrucke Verschiedenheit zu geben, als jeder Person die
nehmliche Pantomime vorzuschreiben, und das ganze Spiel
monotonisch zu machen. DieNatur recht nachzuahmen, den Ruhm eines trefflichenMahlers zu verdienen, muß jeder Kopf seinen
besondern und eigenen Ausdruck haben; einige von den Faunen müssen mehr Wildheit, andere weniger Ungestüm verrathen; diese müssen einen zärtlichern Anstand
haben, und jene nichts als Wollust athmen; diese müßten den Nymphen ihre Furcht benehmen zu wollen, und jene sie mit
ihnen zu theilen scheinen. Die
Anordnung dieser Seite des Gemähldes würde
natürlicher Weise auch die Anordnung der andern Seite
bestimmen; hier würden wir Nymphen erblicken, die zwischen Furcht und Wollust schwimmen; da würden sich einige weit spröder und stolzer gebehrden, als ihre Gespielinnen; dort würden andere mit ihrer Furcht eine
Art von Neubegierde verbinden;
kurz, alle würden durch die Verschiedenheit ihrer
Stellungen die verschiedenenBewegungen ihrer Seele zu erkennen geben,
und diese Verschiedenheit würde um so mehr bezaubern, je
näher sie derNatur käme. [↔] Gestehen Sie mir also, m. H., daß die
Symmetrie, diese Tochter der Kunst, aus allen Tänzen, die
Handlung haben, nothwendig müsse verbannt seyn. [↔] Ich frage alle, die von dem, was sie einmal gewohnt sind, nicht gern abgehen wollen, ob sie wohl in einer
Heerde Schafe, die ein reissender Wolf aus einander
sprenget, Symmetrie finden? oder in einer Schaar
Bauern, die ihre Hütten und Felder verlassen, um sich vor der Wuth des Feindes zu retten? Ganz gewiß nicht. Aber dieKunst ist, die Kunst zu verstecken wissen. Ich predige nicht Unordnung und
Verwirrung; ich will vielmehr, daß auch in der Unordnung
noch Ordnung herrschen soll; ich verlange
sinnreiche Gruppen, kräftige Stellungen, nur daß sie auch natürlich sind; sie müssen so angeordnet seyn, daß man nirgend die Mühe des Anordners merkt. Jede Figur muß mit Geschmack gezeichnet seyn, aber keine, sie
mag noch so zierlich seyn, muß lange anhalten; auf eine reitzende muß schnell eine
eben so reitzende folgen.
[↔]
[↔] Ich kann diejenigen Balletmeister, m. H., nicht anders als tadeln, die sich lächerlicher Weise in den Kopf setzen,
daß sich alle Figuranten und Figurantinnen genau nach ihnen bilden müßten. Keines soll eine andere Bewegung, eine andere Gebehrde, eine andere Stellung machen und annehmen, als sie
zu machen und anzunehmen gewöhnt sind. Eine so seltsame Foderung kann nicht anders, als die
Auswicklung der natürlichen Reitze dieser ihrer Werkzeuge
verhindern, und muß nothwendig alle eigenthümliche
Empfindung des Ausdrucks ersticken. [↔] Ja es ist dieser Grundsatz um so verwerflicher, je seltner die Balletmeister sind,
welche selbst empfinden. Es giebt so wenige
unter ihnen, die gute
Komödianten wären, und sich auf die Kunst, die Bewegungen des Gemüths durch Gebehrden zu schildern, verstünden; ein Bathyllus und Pylades, sage ich, ist ein solches Wunder unter uns, daß ich unmöglich umhin kann, alle
diejenigen zu verdammen, die
eitel genug sind, sich für Muster der Nachahmung zu halten. Wenn sie kein warmes Gefühl haben, so wird auch ihr
Ausdruck frostig seyn; ihren Gebehrden wird es an Geist, ihrer Physiognomie an
Charakter,
und ihren Stellungen an Affekte fehlen. Was kann aber die Figuranten mehr
verderben, als verlangen, daß sie sich nach so etwas
Mittelmäßigem bilden sollen? Und durch was kann die
Ausführung mehr verunglücken,
als wenn man sie solchen Marionetten überträgt? Uebrigens lassen sich gar nicht
einmal allgemeine und feste Regeln für die Pantomime vorschreiben. Denn die Gebehrden müssen blos das Werk der Seele, und die unmittelbare
Eingebung ihrer Regungen seyn. [↔] Ein vernünftiger Balletmeister müßte in
diesen Umständen thun, was die meisten Dichter zu thun
pflegen, die, weil ihnen die zur Deklamation
erforderlichen Talente fehlen,
ihre Stücke von andern lesen lassen, und die Vorstellung
derselben lediglich den Komödianten anvertrauen. Sie sind zwar bey den Proben zugegen; aber sie schreiben doch nichts vor, sondern sie rathen blos. Diese Scene
ist zu schwach ausgefallen; jene hätte mit mehr Feuer, mit mehr Wahrheit
können gespielt werden; das Gemählde,
welches aus dieser Situation entspringt,
müßte mehr Geist und Kraft haben: mehr fällt dem
Dichter selten ein, zu sagen. Und nicht anders sollte auch
der Balletmeister bloß und allein eine Scene von
Handlungimmer wieder von vorne anfangen
lassen, bis seine Tänzer den eigentlichen Ausdruck der Natur träffen; und sie werden ihn gewiß treffen, da er allen Menschen angebohren ist, wenn sie nur empfinden und ihrer Empfindung folgen dürfen. [↔] Ein wohl eingerichtetes Ballet ist ein lebendiges Gemählde der
Leidenschaften, der Sitten, der Gebräuche, des ganzen
Costums aller Völker auf Erden; folglich muß es in allen seinen Gattungenpantomimisch seyn, und sich durch die Augen
der Seele verständlich machen.
Fehlt es ihm an Ausdruck, an kräftigen
Gemählden, an starken Situationen, so ist es nichts, als ein kaltes
einförmiges Spektakel. Es
leidet durchaus keine Mittelmäßigkeit; es verlangt, wie
die Mahlerey, eine Vollkommenheit, die
um so viel schwerer zu erreichen ist, je mehr sie der allertreulichsten Nachahmung der Naturuntergeordnet seyn muß; es soll
den Zuschauer täuschen, und ihn so täuschen,
daß er sich in einem Augenblicke an den wirklichen Ort der Scene versetzt zu seyn glaubet, daß seine Seele eben so gerühret wird, als
sie die Handlung
selbst rühren würde, von welcher ihm die Kunst eine bloße Nachahmung
darstellet. Welche Genauigkeit erfodert es nicht, weder
unter dem Gegenstande, den man nachahmen will, zu bleiben, noch sich über denselben zu erheben! Es ist eben so gefährlich, sein Musterschöner, als häßlicher zu machen: beide Fehler streiten mit der Aehnlichkeit; der eine, indem er die Natur verunstaltet, der andere, indem er
sie durch Liebäugeleyen, durch Schminke und
Schönpflästerchen unkenntlich macht. [↔] Da die Ballette Vorstellungen sind, so
müssen sie alle Theile eines Drama haben.
Gemeiniglich ist der Inhalt unsrer Tänze ohne Sinn und Verstand; gemeiniglich zeigen
sie nichts, als einen Wirrwarr von Scenen, die eben so ungeschickt verbunden, als geschmacklos
ausgeführet sind: gleichwohl ist es überhaupt durchaus
nothwendig, sich gewissenRegeln zu unterwerfen. Jeder Inhalt eines
Ballets muß seine Einleitung, seinen Knoten und seine
Entwickelung haben; und aller Beyfall, welchen diese
Gattung von Schauspielen erhalten kann, hanget von der
guten Wahl des Stoffes und der schicklichen Vertheilung
desselben ab. [↔] Die Kunst der Pantomime ist unstreitig heut zu Tage weit eingeschränkter, als sie unter der Regierung des Augustus war; es giebt eine Menge Dinge, die
sich, vermittelst der Gebehrden,
keinesweges deutlich ausdrücken
lassen. Alles, was ruhige Unterredung heißt, kann in der Pantomime keine Statt
finden. Wenn der Kompositeur nicht die Geschicklichkeit
hat, von seinem Stoffe alles, was ihm kalt und monotonisch
scheinet, abzusondern, so wird sein Ballet wenig oder keinen Eindruck machen. Die Schuld, warum die Spektakel des Hrn. Servandoniweniger als gleichgültig
ausfielen, lag nicht an den Gebehrden; die Arme seiner
Akteurs waren nichts weniger als unthätig; gleichwohl waren seine pantomimischen
Vorstellungen so kalt, wie
Eis; denn in ganzen anderthalb
Stunden, voller Bewegungen und Gebehrden, äußerte sich kaum ein
einziger Augenblick, den ein
Mahler hätte nutzen können. [↔] Diana und Aktäon, Diana und Endymion, Apollo
und Daphne, Tithon und Aurora, Acis und Galatea, so wie
viele andere Fa beln dieser Art,
sind zur Verwickelung eines handelnden Ballets lange nicht
hinreichend, wenn nicht ein wahres poetisches Genie dabey zu Hülfe kömmt.
Telemachus in der Insel der Kalypso würde einen Plan von
weiterem Umfange geben, und kann wirklich der Stoff zu einem sehr schönen Ballete werden, wenn der Kompositeur die Kunst verstehet, alles noch
herauszuschneiden, was dem Mahler nicht dienlich ist, und wenn er den Mentor zur rechten Zeit erscheinen zu lassen und wiederum von der Scene zu entfernen weiß, sobald seine Gegenwart sie
frostig machen würde. [↔] Wenn die Freyheiten, die man sich täglich in
theatralischen Kompositionen herausnimmt, sich nicht
soweit erstrecken können, daß man den Mentor selbst, in
einem Ballete vom Telemachus,
darf tanzen lassen; so hat der Kompositeur hinlängliche Ursache, sich dieser Person nicht anders, als mit der äußersten
Behutsamkeit, zu bedienen.
Wenn er nicht tanzt, so scheint es, als ob er gar nicht zu
dem Ballete gehörte; und wenn
seinem Ausdrucke alle die Reitze fehlen, welche die
Tanzkunst den Bewegungen und Stellungen ertheilet, so muß er uns nothwendig weniger lebhaft, weniger feurig, und folglich weniger interessant vorkommen. Doch ein Mann
von Talenten kann und darf sich
von den gewöhnlichenRegeln entfernen; ihm sind alle neue Wege
vergönnt, wenn sie dieKunst ihrer Vollkommenheit nur näher bringen. Warum sollte Mentor, was er zu handeln hat, nicht tanzend verrichten können? Wenn der Kompositeur nur die Kunst besitzt, ihm eine
Gattung von
Tanz und Ausdruck zu geben, der seinem
Charakter, seinem Alter und seinem Amte
angemessen ist, so sehe ich nicht, was die
Wahrscheinlichkeit darunter leiden könnte. Kurz, mein Herr, ich dächte, ich wollte das Ding wohl
wagen; und wenn ich von zwey Uebeln eines zu vermeiden
hätte, lieber die Langeweile vermeiden, die sich auf die
Scene durchaus niemals einschleichen sollte. [↔] Es ist ein Hauptfehler, wenn man ganz
verschiedne Gattungen mit einander vermischt,
und das Ernsthafte mit dem Lustigen, das Edle mit dem
Gemeinen, das Galante mit dem Burlesken verbindet. Durch
nichts verräth sich der kleine
Geist, der üble Geschmack und die Unwissenheit des Kompositeurs mehr, als durch diesen Fehler, der, so grob er auch ist, dennoch sehr häufig begangen wird. Der Charakter und die Gattung des Ballets müssen durch keine Episoden von einer andern Gattung und einem andern Charakter, entstellt werden. Die Veränderungen und Verwandlungen, die in den
englischen Pantomimen der Seiltänzer so gewöhnlich sind, schicken sich zu ernsthaften und edeln Vorwürfen nicht. Auch ist
es ein Fehler, wenn die nehmlichen Gegenstände zwey,
dreymal vorkommen; dergleichen
Wiederholungen von einerley Scene machen die Handlung
frostig, und zeigen von der Armseligkeit des Inhalts. [↔] Eines der wesentlichsten Stücke eines Ballets ist ohnstreitig die Abwechselung; die
Zwischenfälle und Gemählde, die daraus
entspringen, müssen schnell auf einander folgen; wenn die
Handlung nicht mit großen Schritten
fortgehet, wenn die Scenen langweilig werden, wenn sich ein gleiches Feuer
nicht durch alle Theile verbreitet, wenn sich dieses Feuer
mit der Entwickelung der Intrigue nicht immer mehr und mehr spüren läßt: so ist
der Plan übel angelegt, übel verbunden, so sündiget er
wider die Regeln des Theaters, und die Vorstellung kann kein
anderes Gefühl bey dem Zuschauerhervor bringen, als das Gefühl
ihrer Kälte und Langweiligkeit. [↔] Sollten Sie es wohl glauben, m. H., daß ich
in einem und eben demselben Ballete vier Scenen gesehen,
die alle viere einander vollkommen ähnlich waren? daß ich,
in einem großen Nationalballete, Einleitung und Knoten und Entwickelung auf die
bloßen Verzierungen und Möbeln
habe hinauslaufen sehen? daß ich die edelste, anmuthigste
Handlung mit den allerpossenhaftesten Zwischenfällen habe verbinden sehen, ob die Scene gleich in einem Orte vorgieng, der dem ganzen Asien Achtung und Ehrfurcht erwecken mußte? Nichts kann dem
guten Geschmackeanstößiger seyn, als dergleichen
Mißhelligkeiten; und doch würden sie mich meines Theils
weit weniger befremdet haben, wenn ich nicht die anderweitigen Verdienste des Kompositeurs gekannt hätte. Fast bin ich hierdurch in der Meinung
bestärkt worden, daß große Leute niemals kleine Fehler
begehen, und daß man nirgends so viel Nachsicht findet,
als in der Hauptstadt. [↔] Jedes verwickelte und weitschweifige Ballet, welches mich die Handlung,
die es vorstellen soll, nicht
mit der größten Deutlich keit, ohne die geringste
Verwirrung fassen läßt, dessen Intrigue ich nicht anders,
als mit dem Anschlagezettel in der Hand, verstehen kann; jedes Ballet, dessen Plan ich nicht zu übersehen vermag, in welchem ich keine Einleitung, keinen Knoten, keine
Verwickelung wahrnehme, ist, meinen Gedanken nach, nichts als eine bloße Tanzübung, die mehr oder weniger gut ausgeführet wird, und die mich nur
sehr mittelmäßig rühren kann, weil sie gar
keinen Charakter hat, und von allem Ausdrucke
entblößt ist. [↔] Aber, wird man sagen, unser itziger Tanz ist
ja so schön, daß er mit gutem Rechte, auch ohne alle die
Empfindung, auch ohne alle den Geist, mit welchen er nach Eurer Meinung
belebet und ausgezieret werden soll, gefallen und
entzücken kann. Ich gebe es zu, daß die mechanische
Ausführung dieser Kunst zu einem Grade der Vollkommenheit gebracht ist, der
kaum etwas weiter zu verlangen übrig läßt; ich will nicht
in Abrede seyn, daß es ihr dann und wann auch nicht an
Reitzen fehlt; aber das Reitzende ist nur ein kleiner
Theil von den Eigenschaften, welche sie haben sollte. [↔] Die Schritte, das Geschmeidige und Glänzende ihrer Verbindung, das Senkrechte, die
Festigkeit, die Geschwindigkeit, die Leichtigkeit, die Genauigkeit, das
gegenseitige Spiel der Arme und Füße: das ist es, was ich
das Mechanische des Tanzes nenne. Wenn aber alle diese Dinge ohne Geist wirksam sind, wenn alle diese Bewegungen nicht
vom Genieregieret werden, wenn ihnen
Empfindung und Ausdruck nicht die
erforderliche Kraft geben, mich zu bewegen und zu
interessiren: so gefällt mir zwar alsdenn die Fertigkeit,
ich bewundere den gelenken Mann,
ich lasse seiner Flüchtigkeit
und Stärke Gerechtigkeit wiederfahren; nur innere Regungen
kann er bey mir nicht hervorbringen; er kann mich nicht
rühren, und vermag eben so wenig Empfindung bey mir zu erwecken, als etwa folgende Worte: nicht — Henkerbeil — macht — Block —
Laster — Schande. — Gleichwohl machen
diese Worte, von einem Dichter gehörig zusammen gesetzt, den schönen Vers
in dem Grafen Essex: [↔]
Nicht Henkerbeil und Block, das Laster macht die Schande. [↔] Folglich, wie aus dieser Vergleichung zu schliessen, enthält der Tanz alles, was zu einer schönen Sprache nöthig ist; man muß aber nur mehr, als das Alphabet, davon wissen. Sobald ein Mann von Genie die Buchstaben ordnet, Wörter daraus bildet, und diese verbindet: so wird die Sprache des Tanzes da seyn, er wird sich mit Kraft und Nachdruck ausdrücken, und die Ballete werden sodann die Ehre zu bewegen, zu rühren, und Thränen auszupressen, mit den besten dramatischen Stücken, und in den weniger ernsthaften Gattungen, den Vorzug angenehm zu beschäftigen, zu gefallen, zu reitzen, mit den beliebtesten Lustspielen theilen; bis endlich der Tanzkunst, auf diese Weise durch die Empfindung verschönert, und von dem Genie geleitet, nächst dem Beyfalle und den Lobsprüchen, welche ganz Europa der Mahlerey und der Poesie gewähret, auch die nehmlichen Belohnungen, mit welchen man jene Künste beehret, nicht entstehen werden. Ich bin etc.
Zweyter Brief.
[↔] Ich kann diejenigen Balletmeister, m. H., nicht anders als tadeln, die sich lächerlicher Weise in den Kopf setzen,
daß sich alle Figuranten und Figurantinnen genau nach ihnen bilden müßten. Keines soll eine andere Bewegung, eine andere Gebehrde, eine andere Stellung machen und annehmen, als sie
zu machen und anzunehmen gewöhnt sind. Eine so seltsame Foderung kann nicht anders, als die
Auswicklung der natürlichen Reitze dieser ihrer Werkzeuge
verhindern, und muß nothwendig alle eigenthümliche
Empfindung des Ausdrucks ersticken. [↔] Ja es ist dieser Grundsatz um so verwerflicher, je seltner die Balletmeister sind,
welche selbst empfinden. Es giebt so wenige
unter ihnen, die gute
Komödianten wären, und sich auf die Kunst, die Bewegungen des Gemüths durch Gebehrden zu schildern, verstünden; ein Bathyllus und Pylades, sage ich, ist ein solches Wunder unter uns, daß ich unmöglich umhin kann, alle
diejenigen zu verdammen, die
eitel genug sind, sich für Muster der Nachahmung zu halten. Wenn sie kein warmes Gefühl haben, so wird auch ihr
Ausdruck frostig seyn; ihren Gebehrden wird es an Geist, ihrer Physiognomie an
Charakter,
und ihren Stellungen an Affekte fehlen. Was kann aber die Figuranten mehr
verderben, als verlangen, daß sie sich nach so etwas
Mittelmäßigem bilden sollen? Und durch was kann die
Ausführung mehr verunglücken,
als wenn man sie solchen Marionetten überträgt? Uebrigens lassen sich gar nicht
einmal allgemeine und feste Regeln für die Pantomime vorschreiben. Denn die Gebehrden müssen blos das Werk der Seele, und die unmittelbare
Eingebung ihrer Regungen seyn. [↔] Ein vernünftiger Balletmeister müßte in
diesen Umständen thun, was die meisten Dichter zu thun
pflegen, die, weil ihnen die zur Deklamation
erforderlichen Talente fehlen,
ihre Stücke von andern lesen lassen, und die Vorstellung
derselben lediglich den Komödianten anvertrauen. Sie sind zwar bey den Proben zugegen; aber sie schreiben doch nichts vor, sondern sie rathen blos. Diese Scene
ist zu schwach ausgefallen; jene hätte mit mehr Feuer, mit mehr Wahrheit
können gespielt werden; das Gemählde,
welches aus dieser Situation entspringt,
müßte mehr Geist und Kraft haben: mehr fällt dem
Dichter selten ein, zu sagen. Und nicht anders sollte auch
der Balletmeister bloß und allein eine Scene von
Handlungimmer wieder von vorne anfangen
lassen, bis seine Tänzer den eigentlichen Ausdruck der Natur träffen; und sie werden ihn gewiß treffen, da er allen Menschen angebohren ist, wenn sie nur empfinden und ihrer Empfindung folgen dürfen. [↔] Ein wohl eingerichtetes Ballet ist ein lebendiges Gemählde der
Leidenschaften, der Sitten, der Gebräuche, des ganzen
Costums aller Völker auf Erden; folglich muß es in allen seinen Gattungenpantomimisch seyn, und sich durch die Augen
der Seele verständlich machen.
Fehlt es ihm an Ausdruck, an kräftigen
Gemählden, an starken Situationen, so ist es nichts, als ein kaltes
einförmiges Spektakel. Es
leidet durchaus keine Mittelmäßigkeit; es verlangt, wie
die Mahlerey, eine Vollkommenheit, die
um so viel schwerer zu erreichen ist, je mehr sie der allertreulichsten Nachahmung der Naturuntergeordnet seyn muß; es soll
den Zuschauer täuschen, und ihn so täuschen,
daß er sich in einem Augenblicke an den wirklichen Ort der Scene versetzt zu seyn glaubet, daß seine Seele eben so gerühret wird, als
sie die Handlung
selbst rühren würde, von welcher ihm die Kunst eine bloße Nachahmung
darstellet. Welche Genauigkeit erfodert es nicht, weder
unter dem Gegenstande, den man nachahmen will, zu bleiben, noch sich über denselben zu erheben! Es ist eben so gefährlich, sein Musterschöner, als häßlicher zu machen: beide Fehler streiten mit der Aehnlichkeit; der eine, indem er die Natur verunstaltet, der andere, indem er
sie durch Liebäugeleyen, durch Schminke und
Schönpflästerchen unkenntlich macht. [↔] Da die Ballette Vorstellungen sind, so
müssen sie alle Theile eines Drama haben.
Gemeiniglich ist der Inhalt unsrer Tänze ohne Sinn und Verstand; gemeiniglich zeigen
sie nichts, als einen Wirrwarr von Scenen, die eben so ungeschickt verbunden, als geschmacklos
ausgeführet sind: gleichwohl ist es überhaupt durchaus
nothwendig, sich gewissenRegeln zu unterwerfen. Jeder Inhalt eines
Ballets muß seine Einleitung, seinen Knoten und seine
Entwickelung haben; und aller Beyfall, welchen diese
Gattung von Schauspielen erhalten kann, hanget von der
guten Wahl des Stoffes und der schicklichen Vertheilung
desselben ab. [↔] Die Kunst der Pantomime ist unstreitig heut zu Tage weit eingeschränkter, als sie unter der Regierung des Augustus war; es giebt eine Menge Dinge, die
sich, vermittelst der Gebehrden,
keinesweges deutlich ausdrücken
lassen. Alles, was ruhige Unterredung heißt, kann in der Pantomime keine Statt
finden. Wenn der Kompositeur nicht die Geschicklichkeit
hat, von seinem Stoffe alles, was ihm kalt und monotonisch
scheinet, abzusondern, so wird sein Ballet wenig oder keinen Eindruck machen. Die Schuld, warum die Spektakel des Hrn. Servandoniweniger als gleichgültig
ausfielen, lag nicht an den Gebehrden; die Arme seiner
Akteurs waren nichts weniger als unthätig; gleichwohl waren seine pantomimischen
Vorstellungen so kalt, wie
Eis; denn in ganzen anderthalb
Stunden, voller Bewegungen und Gebehrden, äußerte sich kaum ein
einziger Augenblick, den ein
Mahler hätte nutzen können. [↔] Diana und Aktäon, Diana und Endymion, Apollo
und Daphne, Tithon und Aurora, Acis und Galatea, so wie
viele andere Fa beln dieser Art,
sind zur Verwickelung eines handelnden Ballets lange nicht
hinreichend, wenn nicht ein wahres poetisches Genie dabey zu Hülfe kömmt.
Telemachus in der Insel der Kalypso würde einen Plan von
weiterem Umfange geben, und kann wirklich der Stoff zu einem sehr schönen Ballete werden, wenn der Kompositeur die Kunst verstehet, alles noch
herauszuschneiden, was dem Mahler nicht dienlich ist, und wenn er den Mentor zur rechten Zeit erscheinen zu lassen und wiederum von der Scene zu entfernen weiß, sobald seine Gegenwart sie
frostig machen würde. [↔] Wenn die Freyheiten, die man sich täglich in
theatralischen Kompositionen herausnimmt, sich nicht
soweit erstrecken können, daß man den Mentor selbst, in
einem Ballete vom Telemachus,
darf tanzen lassen; so hat der Kompositeur hinlängliche Ursache, sich dieser Person nicht anders, als mit der äußersten
Behutsamkeit, zu bedienen.
Wenn er nicht tanzt, so scheint es, als ob er gar nicht zu
dem Ballete gehörte; und wenn
seinem Ausdrucke alle die Reitze fehlen, welche die
Tanzkunst den Bewegungen und Stellungen ertheilet, so muß er uns nothwendig weniger lebhaft, weniger feurig, und folglich weniger interessant vorkommen. Doch ein Mann
von Talenten kann und darf sich
von den gewöhnlichenRegeln entfernen; ihm sind alle neue Wege
vergönnt, wenn sie dieKunst ihrer Vollkommenheit nur näher bringen. Warum sollte Mentor, was er zu handeln hat, nicht tanzend verrichten können? Wenn der Kompositeur nur die Kunst besitzt, ihm eine
Gattung von
Tanz und Ausdruck zu geben, der seinem
Charakter, seinem Alter und seinem Amte
angemessen ist, so sehe ich nicht, was die
Wahrscheinlichkeit darunter leiden könnte. Kurz, mein Herr, ich dächte, ich wollte das Ding wohl
wagen; und wenn ich von zwey Uebeln eines zu vermeiden
hätte, lieber die Langeweile vermeiden, die sich auf die
Scene durchaus niemals einschleichen sollte. [↔] Es ist ein Hauptfehler, wenn man ganz
verschiedne Gattungen mit einander vermischt,
und das Ernsthafte mit dem Lustigen, das Edle mit dem
Gemeinen, das Galante mit dem Burlesken verbindet. Durch
nichts verräth sich der kleine
Geist, der üble Geschmack und die Unwissenheit des Kompositeurs mehr, als durch diesen Fehler, der, so grob er auch ist, dennoch sehr häufig begangen wird. Der Charakter und die Gattung des Ballets müssen durch keine Episoden von einer andern Gattung und einem andern Charakter, entstellt werden. Die Veränderungen und Verwandlungen, die in den
englischen Pantomimen der Seiltänzer so gewöhnlich sind, schicken sich zu ernsthaften und edeln Vorwürfen nicht. Auch ist
es ein Fehler, wenn die nehmlichen Gegenstände zwey,
dreymal vorkommen; dergleichen
Wiederholungen von einerley Scene machen die Handlung
frostig, und zeigen von der Armseligkeit des Inhalts. [↔] Eines der wesentlichsten Stücke eines Ballets ist ohnstreitig die Abwechselung; die
Zwischenfälle und Gemählde, die daraus
entspringen, müssen schnell auf einander folgen; wenn die
Handlung nicht mit großen Schritten
fortgehet, wenn die Scenen langweilig werden, wenn sich ein gleiches Feuer
nicht durch alle Theile verbreitet, wenn sich dieses Feuer
mit der Entwickelung der Intrigue nicht immer mehr und mehr spüren läßt: so ist
der Plan übel angelegt, übel verbunden, so sündiget er
wider die Regeln des Theaters, und die Vorstellung kann kein
anderes Gefühl bey dem Zuschauerhervor bringen, als das Gefühl
ihrer Kälte und Langweiligkeit. [↔] Sollten Sie es wohl glauben, m. H., daß ich
in einem und eben demselben Ballete vier Scenen gesehen,
die alle viere einander vollkommen ähnlich waren? daß ich,
in einem großen Nationalballete, Einleitung und Knoten und Entwickelung auf die
bloßen Verzierungen und Möbeln
habe hinauslaufen sehen? daß ich die edelste, anmuthigste
Handlung mit den allerpossenhaftesten Zwischenfällen habe verbinden sehen, ob die Scene gleich in einem Orte vorgieng, der dem ganzen Asien Achtung und Ehrfurcht erwecken mußte? Nichts kann dem
guten Geschmackeanstößiger seyn, als dergleichen
Mißhelligkeiten; und doch würden sie mich meines Theils
weit weniger befremdet haben, wenn ich nicht die anderweitigen Verdienste des Kompositeurs gekannt hätte. Fast bin ich hierdurch in der Meinung
bestärkt worden, daß große Leute niemals kleine Fehler
begehen, und daß man nirgends so viel Nachsicht findet,
als in der Hauptstadt. [↔] Jedes verwickelte und weitschweifige Ballet, welches mich die Handlung,
die es vorstellen soll, nicht
mit der größten Deutlich keit, ohne die geringste
Verwirrung fassen läßt, dessen Intrigue ich nicht anders,
als mit dem Anschlagezettel in der Hand, verstehen kann; jedes Ballet, dessen Plan ich nicht zu übersehen vermag, in welchem ich keine Einleitung, keinen Knoten, keine
Verwickelung wahrnehme, ist, meinen Gedanken nach, nichts als eine bloße Tanzübung, die mehr oder weniger gut ausgeführet wird, und die mich nur
sehr mittelmäßig rühren kann, weil sie gar
keinen Charakter hat, und von allem Ausdrucke
entblößt ist. [↔] Aber, wird man sagen, unser itziger Tanz ist
ja so schön, daß er mit gutem Rechte, auch ohne alle die
Empfindung, auch ohne alle den Geist, mit welchen er nach Eurer Meinung
belebet und ausgezieret werden soll, gefallen und
entzücken kann. Ich gebe es zu, daß die mechanische
Ausführung dieser Kunst zu einem Grade der Vollkommenheit gebracht ist, der
kaum etwas weiter zu verlangen übrig läßt; ich will nicht
in Abrede seyn, daß es ihr dann und wann auch nicht an
Reitzen fehlt; aber das Reitzende ist nur ein kleiner
Theil von den Eigenschaften, welche sie haben sollte. [↔] Die Schritte, das Geschmeidige und Glänzende ihrer Verbindung, das Senkrechte, die
Festigkeit, die Geschwindigkeit, die Leichtigkeit, die Genauigkeit, das
gegenseitige Spiel der Arme und Füße: das ist es, was ich
das Mechanische des Tanzes nenne. Wenn aber alle diese Dinge ohne Geist wirksam sind, wenn alle diese Bewegungen nicht
vom Genieregieret werden, wenn ihnen
Empfindung und Ausdruck nicht die
erforderliche Kraft geben, mich zu bewegen und zu
interessiren: so gefällt mir zwar alsdenn die Fertigkeit,
ich bewundere den gelenken Mann,
ich lasse seiner Flüchtigkeit
und Stärke Gerechtigkeit wiederfahren; nur innere Regungen
kann er bey mir nicht hervorbringen; er kann mich nicht
rühren, und vermag eben so wenig Empfindung bey mir zu erwecken, als etwa folgende Worte: nicht — Henkerbeil — macht — Block —
Laster — Schande. — Gleichwohl machen
diese Worte, von einem Dichter gehörig zusammen gesetzt, den schönen Vers
in dem Grafen Essex: [↔] Nicht Henkerbeil und Block, das Laster macht die Schande. [↔] Folglich, wie aus dieser Vergleichung zu schliessen, enthält der Tanz alles, was zu einer schönen Sprache nöthig ist; man muß aber nur mehr, als das Alphabet, davon wissen. Sobald ein Mann von Genie die Buchstaben ordnet, Wörter daraus bildet, und diese verbindet: so wird die Sprache des Tanzes da seyn, er wird sich mit Kraft und Nachdruck ausdrücken, und die Ballete werden sodann die Ehre zu bewegen, zu rühren, und Thränen auszupressen, mit den besten dramatischen Stücken, und in den weniger ernsthaften Gattungen, den Vorzug angenehm zu beschäftigen, zu gefallen, zu reitzen, mit den beliebtesten Lustspielen theilen; bis endlich der Tanzkunst, auf diese Weise durch die Empfindung verschönert, und von dem Genie geleitet, nächst dem Beyfalle und den Lobsprüchen, welche ganz Europa der Mahlerey und der Poesie gewähret, auch die nehmlichen Belohnungen, mit welchen man jene Künste beehret, nicht entstehen werden. Ich bin etc.
[↔]
[↔] Kaum können heftige
Leidenschaften der Tragödie nothwendiger seyn, als sie
der Pantomime sind.
Unsere Kunst ist gewissermaaßen der
Perspektiv unterworfen; das Kleine verliert
sich in der Entfernung. Die Gemählde des
Tanzes erfordern Züge, die sich ausnehmen, große kühne
Massen, kräftige Charaktere, und Gegenstellungen und
Kontraste, die eben so künstlich ausgesparet, als in die
Augen fallend seyn müssen. [↔] Es ist sehr sonderbar, daß man es bis itzt
gar nicht gewußt zu haben scheinet, daß die tragische Gattung gerade diejenige ist, welche sich zu dem Ausdrucke des Tanzes am meisten schickt;
denn sie hat die größten Gemählde, die
edelsten Situationen und die glücklichsten Theaterspiele.
Da hiernächst die Leidenschaften bey Helden weit stärker und entschiedener sind, als bey gewöhnlichen Menschen, so muß die Nachahmung derselben leichter, und die
Handlung der Pantomime feuriger, wahrer und verständlicher werden. [↔] Ein geschickter Meister muß mit einem Blicke
die allgemeine Wirkung seiner ganzen Maschine zu übersehen vermögen, und das Ganze
niemals einem Theile aufopfern. [↔] Er muß nicht immer nur die vornehmsten
Personen seiner Vorstellung vor Augen haben, sondern von
Zeit zu Zeit auch an die größere Zahl denken. Denn richtet
er seine Aufmerksamkeit einzig
und allein auf die ersten Tänzer und Tänzerinnen, so wird
der Strom der Handlung dadurch gehemmt, die Scenen stocken,
und die Ausführung bleibt ohne Wirkung. [↔] Die vornehmsten Personen in dem TrauerspieleMerope, sind Merope,
Polyphont, Aegisth, Narbas; aber obschon die übrigen Personen weder so schöne noch so wichtige Rollen haben, so sind sie darum zur
allgemeinen Handlung doch nicht weniger nothwendig, und
der Gang des Stücks würde unterbrochen und zerrissen
werden, wenn auch nur die allergeringste bey der Vorstellung desselben fehlte. [↔] Freylich muß man auf dem Theater
alles Ueberflüßige vermeiden, folglich alles, was die Handlung frostig machen kann, von der Scene verbannen, und nicht mehr und nicht weniger Personen einführen, als zur Vorstellung des Stücks unumgänglich nothwendig sind. [↔] Auch darinn kömmt das Ballet mit dem Drama völlig überein, daß es in Akte und
Scenen eingetheilet seyn, und jede Scene insbesondere, so wie jeder Akt, ihren Anfang,
ihr Mittel und ihr Ende, das ist, ihre Einleitung, ihren Knoten und ihre
Entwickelung haben muß. [↔] Ich habe gesagt, daß man die vornehmsten
Personen des Ballets manchmal auf einige Augenblicke
vergessen müsse; und ich denke immer, daß es auch weit
leichter ist, einen Herkules mit seiner Omphale, einer
Ariadne mit ihrem Bacchus, einen Ajax und Ulysses, u. s. w. ihre ausserordentlichen Rollen spielen zu lassen, als vier und zwanzig Personen, die ihr Gefolge ausmachen, zu beschäftigen.
Wenn diese Personen auf der Scene nichts zu sagen haben,
so sind sie überflüßig und müssen wegbleiben; haben sie aber zu reden, so muß ihr
Gespräch dem Gespräche der Hauptakteurs beständig gemäß seyn. [↔] Die Schwierigkeit liegt also nicht darinn,
daß man dem Ajax oder Ulysses einen unterscheidenden und vorragenden
Charakter zu geben weiß, weil sie, als die
Helden der Scene, diesen von selbst haben; sondern darinn, daß man die Figuranten auf eine an ständige Art dabey
einzuführen, ihnen allen mehr oder weniger starke Rollen
zu geben, sie an der Handlung der zwey Helden
mehr oder weniger Antheil nehmen zu lassen, das Frauenzimmer in diesem Ballete schicklich anzubringen, einige davon für den Ajax, die
mehresten aber für den Ulysses zu interessiren verstehet. Der Triumph des einen, und der Tod des andern, bieten dem Genie
eine Menge Gemählde an, unter denen es nur die kräftigsten und mahlerischsten, deren Kontrast
und Kolorit die lebhaftesten Empfindungen hervorbringen müssen, zu wählen braucht.
Man begreift, nach meiner Idee, leicht, daß ein
pantomimisches Ballet beständig in
Handlung seyn muß, und daß die Figuranten, wenn sie an die Stelle des abgehenden
Akteurs treten, die Scene nun auch ihres Theils füllen
müssen, und zwar nicht blos durch symmetrische Figuren und
abgemessene Schritte, sondern durch einen lebhaften und
begeisterten Ausdruck, welcher die Zuschauer beständig auf den, von den vorhergehenden Akteurs angekündigten und eröfneten Inhalt aufmerksam
erhalte. [↔] Doch träge Gewohnheit und Unwissenheit haben
zur Zeit nur noch sehr wenig solche mit Ueberlegung abgefaßte Ballette zum Vorscheine kommen lassen; man tanzt lediglich,
um zu tanzen; man bildet sich ein, daß alles auf die Bewegung der Füße und auf hohe Sprünge ankomme, und daß man den Begriff, den sich Leute von
Geschmack von einem
Ballete machen, vollkommen erfüllt habe, wenn man es mit
Ausführern überladet, die nichts
ausführen, die brav unter einander laufen, sich brav
drengen und stossen, und nichts
als kalte und verwirrte Gemählde hervor bringen, die ohne Geschmack gezeichnet, ohne Anmuth gruppiret, und aller Harmonie, alles Ausdruckes
beraubet sind, der allein dieKunst verschönert, indem er ihr Leben und
Empfindung ertheilet. [↔] Zwar findet man in dergleichen Kompositionen dann und wann schöne Theile, und
Funken vom Genie; aber
sehr selten machen sie ein schönes Ganze, und es fehlt
ihnen an der Uebereinstimmung; das Gemähldesündiget entweder wider die
Anordnung, oder wider das
Kolorit; und wenn es auch noch so richtig gezeichnet ist,
so kann es darum doch immer ohne Geschmack,
ohne Reitz und ohne Erfindung seyn. [↔] Man schliesse ja nicht aus dem, was ich oben
von den Figuranten und Figurantinnen gesagt habe, daß sie
eben so starke Rollen haben müßten, als die Hauptakteurs;
ich will nur, weil die Handlung eines Ballets
lau wird, sobald sie nicht allgemein ist, daß sie Antheil
daran nehmen sollen, den ihnen aber die Kunst allerdings so sorgfältig abmessen und zutheilen muß, daß diejenigen
Personen, welche die Hauptrollen haben, immer noch ihre
vorzügliche Stärke behalten,
und über alles, was sie umringt, hervorragen. Die Kunst
des Kompositeurs bestehet also darin, daß er seine Ideen zu sammeln, und sie alle auf einen einzigen Punkt zu bringen weiß, damit alle Wirkungen seines Geistes zugleich dahin abzwecken können. Hat er dieses
Talent, so werden seine Charaktere in dem
schönsten Lichte erscheinen, und durch die Gegenstände,
welche blos da sind, um ihnen Kraft und Schatten zu ertheilen, sich weder verdrengt noch verdunkelt finden. [↔] Ein Balletmeister muß sich bemühen, alle
seine tanzenden Personen an Handlung, Ausdruck und Charakter verschieden
zu machen; sie müssen zwar alle an einem Ziele, aber auf
entgegen gesetzten Wegen, zusammen kom men, und sich einmüthig
beeifern, durch die Verschiedenheit ihrer Gebehrden und
Nachahmung
das auszudrücken, was ihnen der Kompositeur vorzuschreiben für gut befunden. Wenn
das Ballet zu einförmig ist, wenn man nicht die
Verschiedenheit des Ausdrucks, der Form, der Stellung, des
Charakters darinn bemerkt, die man in der Natur antrift, wenn
die leichten und kaum merklichen Schattirungen, durch welche sich die
Leidenschaften mit mehr oder weniger
starken Zügen, mit mehr oder weniger lebhaften Farben
schildern, nicht mit Kunst ausgesparet, und mit
Geschmack und Feinheit vertheilet sind: so ist das Gemählde kaum eine
mittelmäßige Kopie eines vortrefflichen Originals, die
ohne alle Wahrheit ist, und
folglich auf unsere Rührungkeinen Anspruch machen kann. [↔] Was mich, vor einigen Jahren, in dem Ballete
Diana und Endymion, welches ich zu Paris aufführen sah, am meisten beleidigte, war nicht sowohl die
mechanische Ausübung, als die
üble Vertheilung des Plans. Welch ein Einfall, gerade den
Augenblick zur Handlung zu wählen, wenn Diana beschäftiget ist, dem Endymion Beweise ihrer
Zärtlichkeit zu geben! Ist der Kompositeur wohl zu entschuldigen, daß er seine Göttinn in Gesellschaft von Bauern bringt,
und diese zu Zeugen ihrer
Leidenschaft und Schwachheit macht? Kann
man wohl gröblicher gegen die Wahrscheinlichkeit verstoßen? Diana,
wie die Fabel
meldet, sahe ihren Endymion nur zu Nachtzeit, wenn alles
schlief; was kann also für ein Gefolge dabey Statt finden?
Amor allein konnte von der
Partie seyn; aber Bauern, Nymphen, und Diana auf der Jagd
— welch ein Wiedersinn! Das heißt, sich zu viel
Freyheit
verstatten, oder vielmehr, gar zu unwissend seyn! Man sieht deutlich, daß der
Verfasser nur eine sehr verwirrte und unvollkommene Kenntniß der Mythologie hatte, und
daß er die Fabel des Aktaions, wo sich
Diana mit ihren Nymphen im Bade befindet, mit der Fabel des Endymions vermengt hat.
Der Knoten dieses Ballets war ganz sonderbar; die Nymphen spielten die Rolle der Keuschheit; sie wollten den Hirten mit sammt dem Amor umbringen; aber Diana war so tugendhaft nicht, ihre Leidenschaft riß sie dahin, sie widersetzte sich den wüthenden Nymphen, die Amor, um sie wegen ihrer allzugroßen
Tugend zu strafen, endlich ebenfallsEmpfindlich machte. Sie gingen von dem Haße plötzlich zur Zärtlichkeit über, und
der Liebesgott verband sie mit den Bauern. Sie sehen, m. H., daß dieser Plan wider alle Regeln streitet, und die Ausführung eben so
wenig sinnreich, als falsch ist. Ich merke wohl, der
Kompositeur hat alles einer einzigen sonderbaren Wirkung aufgeopfert, und die Scene
mit den Pfeilen, alle gegen den Amor erhoben und bereit
ihn zu durchbohren, hat ihn verführt; aber diese Scene
stand am unrechten Orte. Uebrigens war auch nicht die geringste Aehnlichkeit in dem Gemählde;
den Nymphen hatte man den Charakter und die Wuth der Bacchantinnen gegeben, wenn
sie den Orpheus zerreißen; Diana hatte mehr
den Ausdruck einer Furie, als einer Liebhaberinn; Endymion war gegen das, was er zu seinem Besten geschehen sah, gar nicht erkenntlich, und schien mehr gleichgültig als zärtlich; Amor war nichts als ein schüchterner Knabe, der über den geringsten Lerm erschrickt und aus Furcht davon läuft: lauter verfehlte
Charaktere, die das Gemählde schwächen, die es seiner Wirkung berauben, und einen sehr kleinen Begriff von dem Kompositeur erwecken. [↔] Welcher Balletmeister sich eine richtige Idee von seiner Kunst machen will, der betrachte nur mit Aufmerksamkeit die Schlachten
Alexanders, vom
Le Brun gemahlt, oder die
Schlachten Ludewigs XIV.vom Van der Meulen, und er wird finden, daß diese zwey Helden, ob sie schon die vornehmsten Gegenstände in jedem einzeln
Gemählde sind, dennoch nicht einzig und allein das bewundernde
Auge auf sich ziehen; jene ausserordentliche Menge von
Streitern, von Besiegten und Siegern, theilen auf eine
angenehme Weise, unsere Blicke, und tragen zur Schönheit
und Vollkommenheit dieser Meisterstücke, jeder das seinige, bey; jeder Kopf hat seinen besondern Ausdruck und eigenthümlichen Charakter;
jede Stellung ist bedeutend und kräftig; die Gruppen, die
Niederwerfungen und Stürzungen
sind eben so mahlerisch, als sinnreich; alles
spricht, alles interessiret, weil alles wahr ist, weil die
Nachahmung der Natur überall getreu geblieben, weil, mit einem Worte, die Leinewand zu leben scheinet. Man versuche es
und ziehe hernach einen Vorhang
über dieses Gemählde, um die Belagerungen, die Schlachten, die Trophäen und
Triumphe zu bedecken, und weiter nichts als die zwey
Helden sehen zu lassen: sogleich ist das Interesse
geschwächt, und es bleibet nichts als die Portraite zweyer großen Regenten
übrig. [↔] Gemählde verlangen eine Handlung,
eine gewisse Ausführlichkeit dieser Handlung, eine gewisse Anzahl Personen, deren Charaktere,
Stellungen und Gebehrden eben so wahr und
natürlich, als bedeutend und ausdrückend seyn
müssen. Wenn ein nicht ganz unwissender Betrachter nicht, mit dem ersten Blicke, die
Gedanken des
Mahlers begreift; wenn der Zug aus der
Geschichte, den er gewählt hat, dem
Kenner nicht sogleich beyfällt: so ist die Anordnung fehlerhaft, der Augenblick ist
falsch gewählt, und die ganze Komposition ist kalt und von schlechtem Geschmacke. [↔] Der Unterschied zwischen Portrait und Gemählde, sollte auch
bey dem Tanzen angenommen
werden; ein Ballet, so wie ich mir es einbilde, so wie es seyn muß, heißt allein
mit Recht ein Ballet; jene einförmige, ausdruckleere Ballette hingegen, die uns nichts
als laue und unvollkommene Kopieen der Natur zeigen, sind nichts als eckelhafte, kalte
und unbelebte Gauckeleyen. [↔] Das Ballet ist das Abbild eines wohlgeordnetenGemähldes, wenn es nicht vielmehr das Urbild
desselben zu nennen. Man wird zwar sagen, daß der Mahler nur einen einzigen Zug braucht, nur einen
einzigen Augenblick, um den
Inhalt seines Gemähldes verständlich zu machen; daß
hingegen das Ballet eine Folge von
Handlungen, eine Kette von Umständen ist, die
eine Menge solcher mahlerischen Augenblicke darbietet. Ich
gebe das zu; und damit meine Vergleichung desto richtiger sey, so will ich das handelnde Ballet mit der Gallerie in Luxenbourg,
die Rubens gemahlt hat, in Parallele setzen: jedes Gemählde ist eine besondere Scene,
diese Scene führet natürlicher Weise zu einer andern, bis
man von Scene zu Scene endlich zur Entwikelung gelanget, und das Auge
ohne Mühe, ohne Verwirrung, die Geschichte eines Prinzen gelesen hat, dessen
Andenken Liebe und Erkenntlichkeit in den Herzen aller
Franzosen verewigen. [↔] Ich glaube fest, m. H., daß es einem großen
Mahler und einem Balletmeister, der
diesen Namen verdienet, eben so leicht ist, ein Gedicht
oder Drama in Gemählden und in
Tänzen zu machen, als dessen Abfassung nur immer einem
vortreflichen Dichter seyn kann. Aber ohne
Genie gelangt man zu nichts; mit den Füssen kann man freylich nicht mahlen, und so lange der Kopf der Tänzer nicht ihre Füße lenken wird, werden sie sich allezeit verirren, ihre Ausführung wird
maschinenmäßig seyn, und sie werden nichts mahlen, als ihre eigne linke und frostige Figur. Ich bin etc.
Dritter Brief.
[↔] Kaum können heftige
Leidenschaften der Tragödie nothwendiger seyn, als sie
der Pantomime sind.
Unsere Kunst ist gewissermaaßen der
Perspektiv unterworfen; das Kleine verliert
sich in der Entfernung. Die Gemählde des
Tanzes erfordern Züge, die sich ausnehmen, große kühne
Massen, kräftige Charaktere, und Gegenstellungen und
Kontraste, die eben so künstlich ausgesparet, als in die
Augen fallend seyn müssen. [↔] Es ist sehr sonderbar, daß man es bis itzt
gar nicht gewußt zu haben scheinet, daß die tragische Gattung gerade diejenige ist, welche sich zu dem Ausdrucke des Tanzes am meisten schickt;
denn sie hat die größten Gemählde, die
edelsten Situationen und die glücklichsten Theaterspiele.
Da hiernächst die Leidenschaften bey Helden weit stärker und entschiedener sind, als bey gewöhnlichen Menschen, so muß die Nachahmung derselben leichter, und die
Handlung der Pantomime feuriger, wahrer und verständlicher werden. [↔] Ein geschickter Meister muß mit einem Blicke
die allgemeine Wirkung seiner ganzen Maschine zu übersehen vermögen, und das Ganze
niemals einem Theile aufopfern. [↔] Er muß nicht immer nur die vornehmsten
Personen seiner Vorstellung vor Augen haben, sondern von
Zeit zu Zeit auch an die größere Zahl denken. Denn richtet
er seine Aufmerksamkeit einzig
und allein auf die ersten Tänzer und Tänzerinnen, so wird
der Strom der Handlung dadurch gehemmt, die Scenen stocken,
und die Ausführung bleibt ohne Wirkung. [↔] Die vornehmsten Personen in dem TrauerspieleMerope, sind Merope,
Polyphont, Aegisth, Narbas; aber obschon die übrigen Personen weder so schöne noch so wichtige Rollen haben, so sind sie darum zur
allgemeinen Handlung doch nicht weniger nothwendig, und
der Gang des Stücks würde unterbrochen und zerrissen
werden, wenn auch nur die allergeringste bey der Vorstellung desselben fehlte. [↔] Freylich muß man auf dem Theater
alles Ueberflüßige vermeiden, folglich alles, was die Handlung frostig machen kann, von der Scene verbannen, und nicht mehr und nicht weniger Personen einführen, als zur Vorstellung des Stücks unumgänglich nothwendig sind. [↔] Auch darinn kömmt das Ballet mit dem Drama völlig überein, daß es in Akte und
Scenen eingetheilet seyn, und jede Scene insbesondere, so wie jeder Akt, ihren Anfang,
ihr Mittel und ihr Ende, das ist, ihre Einleitung, ihren Knoten und ihre
Entwickelung haben muß. [↔] Ich habe gesagt, daß man die vornehmsten
Personen des Ballets manchmal auf einige Augenblicke
vergessen müsse; und ich denke immer, daß es auch weit
leichter ist, einen Herkules mit seiner Omphale, einer
Ariadne mit ihrem Bacchus, einen Ajax und Ulysses, u. s. w. ihre ausserordentlichen Rollen spielen zu lassen, als vier und zwanzig Personen, die ihr Gefolge ausmachen, zu beschäftigen.
Wenn diese Personen auf der Scene nichts zu sagen haben,
so sind sie überflüßig und müssen wegbleiben; haben sie aber zu reden, so muß ihr
Gespräch dem Gespräche der Hauptakteurs beständig gemäß seyn. [↔] Die Schwierigkeit liegt also nicht darinn,
daß man dem Ajax oder Ulysses einen unterscheidenden und vorragenden
Charakter zu geben weiß, weil sie, als die
Helden der Scene, diesen von selbst haben; sondern darinn, daß man die Figuranten auf eine an ständige Art dabey
einzuführen, ihnen allen mehr oder weniger starke Rollen
zu geben, sie an der Handlung der zwey Helden
mehr oder weniger Antheil nehmen zu lassen, das Frauenzimmer in diesem Ballete schicklich anzubringen, einige davon für den Ajax, die
mehresten aber für den Ulysses zu interessiren verstehet. Der Triumph des einen, und der Tod des andern, bieten dem Genie
eine Menge Gemählde an, unter denen es nur die kräftigsten und mahlerischsten, deren Kontrast
und Kolorit die lebhaftesten Empfindungen hervorbringen müssen, zu wählen braucht.
Man begreift, nach meiner Idee, leicht, daß ein
pantomimisches Ballet beständig in
Handlung seyn muß, und daß die Figuranten, wenn sie an die Stelle des abgehenden
Akteurs treten, die Scene nun auch ihres Theils füllen
müssen, und zwar nicht blos durch symmetrische Figuren und
abgemessene Schritte, sondern durch einen lebhaften und
begeisterten Ausdruck, welcher die Zuschauer beständig auf den, von den vorhergehenden Akteurs angekündigten und eröfneten Inhalt aufmerksam
erhalte. [↔] Doch träge Gewohnheit und Unwissenheit haben
zur Zeit nur noch sehr wenig solche mit Ueberlegung abgefaßte Ballette zum Vorscheine kommen lassen; man tanzt lediglich,
um zu tanzen; man bildet sich ein, daß alles auf die Bewegung der Füße und auf hohe Sprünge ankomme, und daß man den Begriff, den sich Leute von
Geschmack von einem
Ballete machen, vollkommen erfüllt habe, wenn man es mit
Ausführern überladet, die nichts
ausführen, die brav unter einander laufen, sich brav
drengen und stossen, und nichts
als kalte und verwirrte Gemählde hervor bringen, die ohne Geschmack gezeichnet, ohne Anmuth gruppiret, und aller Harmonie, alles Ausdruckes
beraubet sind, der allein dieKunst verschönert, indem er ihr Leben und
Empfindung ertheilet. [↔] Zwar findet man in dergleichen Kompositionen dann und wann schöne Theile, und
Funken vom Genie; aber
sehr selten machen sie ein schönes Ganze, und es fehlt
ihnen an der Uebereinstimmung; das Gemähldesündiget entweder wider die
Anordnung, oder wider das
Kolorit; und wenn es auch noch so richtig gezeichnet ist,
so kann es darum doch immer ohne Geschmack,
ohne Reitz und ohne Erfindung seyn. [↔] Man schliesse ja nicht aus dem, was ich oben
von den Figuranten und Figurantinnen gesagt habe, daß sie
eben so starke Rollen haben müßten, als die Hauptakteurs;
ich will nur, weil die Handlung eines Ballets
lau wird, sobald sie nicht allgemein ist, daß sie Antheil
daran nehmen sollen, den ihnen aber die Kunst allerdings so sorgfältig abmessen und zutheilen muß, daß diejenigen
Personen, welche die Hauptrollen haben, immer noch ihre
vorzügliche Stärke behalten,
und über alles, was sie umringt, hervorragen. Die Kunst
des Kompositeurs bestehet also darin, daß er seine Ideen zu sammeln, und sie alle auf einen einzigen Punkt zu bringen weiß, damit alle Wirkungen seines Geistes zugleich dahin abzwecken können. Hat er dieses
Talent, so werden seine Charaktere in dem
schönsten Lichte erscheinen, und durch die Gegenstände,
welche blos da sind, um ihnen Kraft und Schatten zu ertheilen, sich weder verdrengt noch verdunkelt finden. [↔] Ein Balletmeister muß sich bemühen, alle
seine tanzenden Personen an Handlung, Ausdruck und Charakter verschieden
zu machen; sie müssen zwar alle an einem Ziele, aber auf
entgegen gesetzten Wegen, zusammen kom men, und sich einmüthig
beeifern, durch die Verschiedenheit ihrer Gebehrden und
Nachahmung
das auszudrücken, was ihnen der Kompositeur vorzuschreiben für gut befunden. Wenn
das Ballet zu einförmig ist, wenn man nicht die
Verschiedenheit des Ausdrucks, der Form, der Stellung, des
Charakters darinn bemerkt, die man in der Natur antrift, wenn
die leichten und kaum merklichen Schattirungen, durch welche sich die
Leidenschaften mit mehr oder weniger
starken Zügen, mit mehr oder weniger lebhaften Farben
schildern, nicht mit Kunst ausgesparet, und mit
Geschmack und Feinheit vertheilet sind: so ist das Gemählde kaum eine
mittelmäßige Kopie eines vortrefflichen Originals, die
ohne alle Wahrheit ist, und
folglich auf unsere Rührungkeinen Anspruch machen kann. [↔] Was mich, vor einigen Jahren, in dem Ballete
Diana und Endymion, welches ich zu Paris aufführen sah, am meisten beleidigte, war nicht sowohl die
mechanische Ausübung, als die
üble Vertheilung des Plans. Welch ein Einfall, gerade den
Augenblick zur Handlung zu wählen, wenn Diana beschäftiget ist, dem Endymion Beweise ihrer
Zärtlichkeit zu geben! Ist der Kompositeur wohl zu entschuldigen, daß er seine Göttinn in Gesellschaft von Bauern bringt,
und diese zu Zeugen ihrer
Leidenschaft und Schwachheit macht? Kann
man wohl gröblicher gegen die Wahrscheinlichkeit verstoßen? Diana,
wie die Fabel
meldet, sahe ihren Endymion nur zu Nachtzeit, wenn alles
schlief; was kann also für ein Gefolge dabey Statt finden?
Amor allein konnte von der
Partie seyn; aber Bauern, Nymphen, und Diana auf der Jagd
— welch ein Wiedersinn! Das heißt, sich zu viel
Freyheit
verstatten, oder vielmehr, gar zu unwissend seyn! Man sieht deutlich, daß der
Verfasser nur eine sehr verwirrte und unvollkommene Kenntniß der Mythologie hatte, und
daß er die Fabel des Aktaions, wo sich
Diana mit ihren Nymphen im Bade befindet, mit der Fabel des Endymions vermengt hat.
Der Knoten dieses Ballets war ganz sonderbar; die Nymphen spielten die Rolle der Keuschheit; sie wollten den Hirten mit sammt dem Amor umbringen; aber Diana war so tugendhaft nicht, ihre Leidenschaft riß sie dahin, sie widersetzte sich den wüthenden Nymphen, die Amor, um sie wegen ihrer allzugroßen
Tugend zu strafen, endlich ebenfallsEmpfindlich machte. Sie gingen von dem Haße plötzlich zur Zärtlichkeit über, und
der Liebesgott verband sie mit den Bauern. Sie sehen, m. H., daß dieser Plan wider alle Regeln streitet, und die Ausführung eben so
wenig sinnreich, als falsch ist. Ich merke wohl, der
Kompositeur hat alles einer einzigen sonderbaren Wirkung aufgeopfert, und die Scene
mit den Pfeilen, alle gegen den Amor erhoben und bereit
ihn zu durchbohren, hat ihn verführt; aber diese Scene
stand am unrechten Orte. Uebrigens war auch nicht die geringste Aehnlichkeit in dem Gemählde;
den Nymphen hatte man den Charakter und die Wuth der Bacchantinnen gegeben, wenn
sie den Orpheus zerreißen; Diana hatte mehr
den Ausdruck einer Furie, als einer Liebhaberinn; Endymion war gegen das, was er zu seinem Besten geschehen sah, gar nicht erkenntlich, und schien mehr gleichgültig als zärtlich; Amor war nichts als ein schüchterner Knabe, der über den geringsten Lerm erschrickt und aus Furcht davon läuft: lauter verfehlte
Charaktere, die das Gemählde schwächen, die es seiner Wirkung berauben, und einen sehr kleinen Begriff von dem Kompositeur erwecken. [↔] Welcher Balletmeister sich eine richtige Idee von seiner Kunst machen will, der betrachte nur mit Aufmerksamkeit die Schlachten
Alexanders, vom
Le Brun gemahlt, oder die
Schlachten Ludewigs XIV.vom Van der Meulen, und er wird finden, daß diese zwey Helden, ob sie schon die vornehmsten Gegenstände in jedem einzeln
Gemählde sind, dennoch nicht einzig und allein das bewundernde
Auge auf sich ziehen; jene ausserordentliche Menge von
Streitern, von Besiegten und Siegern, theilen auf eine
angenehme Weise, unsere Blicke, und tragen zur Schönheit
und Vollkommenheit dieser Meisterstücke, jeder das seinige, bey; jeder Kopf hat seinen besondern Ausdruck und eigenthümlichen Charakter;
jede Stellung ist bedeutend und kräftig; die Gruppen, die
Niederwerfungen und Stürzungen
sind eben so mahlerisch, als sinnreich; alles
spricht, alles interessiret, weil alles wahr ist, weil die
Nachahmung der Natur überall getreu geblieben, weil, mit einem Worte, die Leinewand zu leben scheinet. Man versuche es
und ziehe hernach einen Vorhang
über dieses Gemählde, um die Belagerungen, die Schlachten, die Trophäen und
Triumphe zu bedecken, und weiter nichts als die zwey
Helden sehen zu lassen: sogleich ist das Interesse
geschwächt, und es bleibet nichts als die Portraite zweyer großen Regenten
übrig. [↔] Gemählde verlangen eine Handlung,
eine gewisse Ausführlichkeit dieser Handlung, eine gewisse Anzahl Personen, deren Charaktere,
Stellungen und Gebehrden eben so wahr und
natürlich, als bedeutend und ausdrückend seyn
müssen. Wenn ein nicht ganz unwissender Betrachter nicht, mit dem ersten Blicke, die
Gedanken des
Mahlers begreift; wenn der Zug aus der
Geschichte, den er gewählt hat, dem
Kenner nicht sogleich beyfällt: so ist die Anordnung fehlerhaft, der Augenblick ist
falsch gewählt, und die ganze Komposition ist kalt und von schlechtem Geschmacke. [↔] Der Unterschied zwischen Portrait und Gemählde, sollte auch
bey dem Tanzen angenommen
werden; ein Ballet, so wie ich mir es einbilde, so wie es seyn muß, heißt allein
mit Recht ein Ballet; jene einförmige, ausdruckleere Ballette hingegen, die uns nichts
als laue und unvollkommene Kopieen der Natur zeigen, sind nichts als eckelhafte, kalte
und unbelebte Gauckeleyen. [↔] Das Ballet ist das Abbild eines wohlgeordnetenGemähldes, wenn es nicht vielmehr das Urbild
desselben zu nennen. Man wird zwar sagen, daß der Mahler nur einen einzigen Zug braucht, nur einen
einzigen Augenblick, um den
Inhalt seines Gemähldes verständlich zu machen; daß
hingegen das Ballet eine Folge von
Handlungen, eine Kette von Umständen ist, die
eine Menge solcher mahlerischen Augenblicke darbietet. Ich
gebe das zu; und damit meine Vergleichung desto richtiger sey, so will ich das handelnde Ballet mit der Gallerie in Luxenbourg,
die Rubens gemahlt hat, in Parallele setzen: jedes Gemählde ist eine besondere Scene,
diese Scene führet natürlicher Weise zu einer andern, bis
man von Scene zu Scene endlich zur Entwikelung gelanget, und das Auge
ohne Mühe, ohne Verwirrung, die Geschichte eines Prinzen gelesen hat, dessen
Andenken Liebe und Erkenntlichkeit in den Herzen aller
Franzosen verewigen. [↔] Ich glaube fest, m. H., daß es einem großen
Mahler und einem Balletmeister, der
diesen Namen verdienet, eben so leicht ist, ein Gedicht
oder Drama in Gemählden und in
Tänzen zu machen, als dessen Abfassung nur immer einem
vortreflichen Dichter seyn kann. Aber ohne
Genie gelangt man zu nichts; mit den Füssen kann man freylich nicht mahlen, und so lange der Kopf der Tänzer nicht ihre Füße lenken wird, werden sie sich allezeit verirren, ihre Ausführung wird
maschinenmäßig seyn, und sie werden nichts mahlen, als ihre eigne linke und frostige Figur. Ich bin etc. [↔]
[↔] Tanz und Ballette, m. H., sind heut
zu Tage eine Modeseuche: man läuft mit einer Art von Raserey darnach, und nie ist eine Kunst durch den Beyfall mehr aufgemuntert worden, als
unsere. Die französische Bühne, die unstreitig an Stücken
von allerley Gattung die reichste in Europa, und die fruchtbarste an großen Talenten ist, hat sich, um den Geschmack des Publikums zu befriedigen, gewissermaaßen gezwungen gesehen, die Mode mit
zumachen, ihren Vorstellungen Tänze beyzufügen, und, so zu reden, die
Meisterstücke der berühmtesten Dichter durch Lustbarkeiten
und Bambodschiaden aufzustutzen, die sich so wenig zu dem Adel und der Majestät
dieses Theaters schicken. Diese
Mißhelligkeit, dieser beleidigende Kontrast zwischen zwey so verschiede nen Arten von Schauspiel,
brachte denn auch die französischen
Komödianten zu dem Entschlusse, den Herrn Huß anzunehmen. Man schreibt mir, daß er seinen
Anfang mit einem Ballete, der Tod des Orpheus, gemacht habe, welches ausnehmend wohl aufgenommen worden. Der ernsthafte und heroische Tanz ist unstreitig der einzige, der einem Theater geziemet,
auf dem sich alles mit Anstand und Größe äußert. Möchte
ihn doch sein Genie jederzeit auf dergleichen edle und erhabene Vorwürfe führen! Möchte er doch verschiedne aus den Tragödien wählen, die er täglich vorstellen sieht, und alles andere, was unter dem Galanten und Reitzenden ist, dem gemeinen Haufen von Balletmeistern
überlassen, die nichts selbst erfinden können, sondern
sich beständig mit Diebstählen behelfen müssen. [↔] Der Geschmack an Balletten ist allgemein, und geht sehr weit; alle Regenten zieren ihre Schauspiele damit aus, nicht so wohl um sich nach unseren Gebräuchen zu richten, als vielmehr um sich das Vergnügen zu
verschaffen, welches diese Kunst gewähret. Der kleinste
herumziehende Trupp schleppt einen Schwarm Tänzer und Tänzerinnen mit sich; ja die Possenreisser und Marktschreyer
rechnen mehr auf die Tugend ihrer Ballette, als ihrer Tropfen
und Pulver; sie blenden die Augen des Pöbels mit Entrechats, und der Absatz ihrer
Arzeneyen ist stärker oder
geringer, so wie ihre Lustbarkeiten mehr oder weniger
zahlreich sind. [↔] Die Nachsicht, mit welcher das Publikum
bloße Versuche aufmuntert, müßte, dünkt mich, den Artisten
anfeuren, nach der Vollkommenheit zu streben. Lob und Beyfall sollen ermuntern, nicht aber so verblenden, daß man
sich überredet, man habe schon alles geleistet, und das
äußerste Ziel, zu welchem man nur gelangen könne, bereits
erreichet. Gleichwohl scheinet die ruhige Zufriedenheit,
die so manche Künstler mit sich selbst hägen, und die wenige Sorgfalt, die sie anwenden weiter zu kommen, den Verdacht zu bestätigen, daß
sie sich einbilden, mehr, als sie wissen, könne man gar nicht wissen, und die ganze Sphäre der Kunst
sey von ihnen erfüllet. [↔] Hierzu kömmt, daß sich das Publikum selbst gern täuschet, sich gern die
Schmeicheley macht, sein
Jahrhundert übertreffe die vorgehnden Jahrhunderte an
Geschmack und Talenten weit; es
beklatscht also, wie toll, die Kabriolen seiner Tänzer und
die Liebäugeleyen seiner
Tänzerinnen. Ich meine damit nicht denjenigen Theil des Publikums, der eigentlich die Seele und die Triebfeder desselben seyn sollte; nicht die gesetzten
vernünftigen Leute, die von allen Vorurtheilen der Gewohnheit frey, über die
Verderbniß des Geschmaks
seufzen, die ruhig anhören und aufmerksam zusehen, die alles wohl überlegen, ehe
sie urtheilen, die nur da ihren Beyfall geben, wo sie sich
bewegt, gerührt, entzückt fühlen. Alles,
auf gut Glück, ohne den geringsten Unterschied,
beklatschen, verdirbt die jungen Leute, die sich dem
Theater widmen. Der Beyfall, ich
weiß es wohl, ist die Nahrung der Künste, aber er höret
auf heilsam zu seyn, wenn er nicht mit Einsicht ausgetheilet wird; eine allzu starke Speise, anstatt das Temparament zu stärken, schwächt es und bringt es in Unordnung: die Anfänger auf dem Theater sind wie
Kinder, die eine allzu blinde
und zärtliche Liebe unvermeidlich verdirbt. Die Fehler und Unvollkommenheiten werden immer
merklicher, so wie die erste Täuschung
aufhöret und die Bezauberung der
Neuheit sich nach und nach verringert. [↔] Die Mahlerey und der Tanz haben vor den andern Künsten den Vortheil, daß sie in allen Ländern, unter allen Völkern zu Hause sind; ihre Sprache ist allgemein verständlich, und
sie machen überall gleichen Eindruck. [↔] Wenn unsereKunst, so unvollkommen
sie noch ist, gleichwohl die Zuschauer
täuschet und fesselt, wenn der Tanz, auch
ohne die Zauberey des Ausdrucks,
uns manchmal rühret und in unserer Seele einen angenehmen Tumult erreget: welche Gewalt,
welche Herrschaft müßte er nicht
über unsere Sinnen haben, wenn alle seine Bewegungen durch den Verstand gelenket, alle seine itzt
kaum entworfnen Gemählde durch die Empfindung ausgeführet würden! Ohnstreitig werden die Ballette den Vorzug über die Mahlerey erhalten, sobald die, welche sie ausführen, mehr als Maschinen, und die, welche
sie machen, Männer von Genie und Gefühl sind. [↔] Ein schönes Gemählde ist nur eine Kopie derNatur; ein schönes Ballet
ist die Natur selbst, durch alle Reitze derKunst verschönert. Wenn mich bloße Bilder bis zur
Illusionhinreissen; wenn mich die
Zauberkunst der Mahlerey entzückt; wenn der Anblick eines Gemähldes mitleidige Empfindungen
in mir erregen kann; wenn Farben und Pinsel, in den Händen eines geschickten Mahlers meine Sinne so zu täuschen wissen, daß ich die
Natur selbst zu sehen
glaube, sie reden höre, sie verstehe und ihr antworte: wie
sehr wird meine Empfindlichkeit
zunehmen, wie ungleich stärker werde ich durch den Anblick
einer Vorstellung gerührt
werden, die sich der Wahrheit noch mehr nähert, durch eine
Handlung, die durch meines Gleichen
nachgeahmet wird! Welche Herrschaft
werden diese lebendige immer
abwechselnde Gemählde über meine Einbildungskraft nicht haben! Nichts
interessiret die Menschheit mehr, als die Menschheit selbst. Kurz, m. H., es ist schimpflich, daß der Tanz der Gewalt, welche er über unsere Seele haben kann, ensagt, und sich nur den Augen zu gefallen begnüget. Ein schönes
Ballet ist zur Zeit nur ein Wesen der Einbildung; ein Phönix, den man überall vergebens sucht. [↔] Umsonst hoft man ihm eine neue Gestalt zu
geben, so lange man sich noch an die alten Methoden, an
den abgedroschnen Schlendrian der Opern bindet. Wir sehen
auf unsern Theatern nichts als höchst unvollkommene Kopieen von Kopieen, die unsere Väter und Großväter schon gesehen haben; weil man sich nur in
Schritten übet, und die Leidenschaften zu studieren unterläßt. Gleichwohl ist dieses die Hauptsache: wir müssen unsere Seele die Leidenschaften
zu empfinden gewöhnen, und die Schwierigkeit,
sie auszudrücken, wird verschwinden; das Gesicht wird von selbst seine Minen
nach dem, was in dem Herzen vorgeht, bequemen, und seinen
Ausdruck auf tausend verschiedne Art abändern; es wird den
äußern Bewegungen Kraft ertheilen, und mit feurigen Zügen die Verwirrung der Sinne und den innern Tumult unserer Seelenkräfte
schildern. [↔] Dem Tanze fehlt es nur noch an einem schönen
Vorbilde, an einem Manne von Genie, und die Ballette werden auf einmal ganz etwas anders seyn, als sie itzt sind. Er erscheine nur, dieser Wiederhersteller des wahren
Tanzes, dieser Verbesserer des falschen Geschmacks und der fehlerhaften
Gewohnheiten, welche dieKunst
so arm gemacht haben: aber er erscheine in der Hauptstadt!
Er suche den jungen Tänzern die Augen zu eröfnen, und wage es ihnen mit Ueberzeugung zu sagen: Weg mit den Kabriolen, den Entrechats und
den allzu verwickelten Schritten! Weg mit diesen
liebäugelnden Grimassen, um euch ganz den
Empfindungen, den ungekünstelten Reitzen und dem Ausdrucke zu überlassen! Befleißiget euch einer edeln Pantomime,
vergesset nie, daß sie die Seele eurer Kunst ist; bringt Geist und Verstand in euer Pasdedeux; Anmuth und Wollust
bezeichne den Gang desselben, und das Genie ordne jede seiner
Stellungen; leget die frostigen Larven ab, diese
unvollkommene Kopieen derNatur; sie verbergen eure Gesichtszüge, sie verfinstern, so zu reden, eure
Seele, und berauben euch desjenigen, was zu dem Ausdrucke das
unentbehrlichste ist; werffet die großen gräßlichen
Parruquen, die ungeheuren
Aufsätze weg, die den Kopf um das gehörige Verhältniß bringen, welches er
mit dem Körper haben muß; schaffet den
Gebrauch der runden,
steifen Fischbeinröcke ab, welche die Ausführung alles
Reitzes berauben, den
Stellungen ihre Zärtlichkeitbenehmen, und die sanften
Aussenlinien verderben, welche die Form in allen
verschiednen Lagen haben muß.
[↔] Enthaltet euch der knechtischen Nachahmung, welche die
Kunst unmerklich wieder um zu ihrer Kindheit zurück bringt; bekümmert euch um alles, was mit
euerm Talente in einiger Verbindung stehet; seyd
original; sucht euch nach euern eignen besten Einsich ten eine neue
Gattung zu machen; kopieret, aber
kopieret nichts als dieNatur; die Natur ist das beste Muster, das keinen, der ihm genau folgt, irre leitet. [↔] Und ihr besonders, ihr jungen Leute, die
ihr euch mit Verfertigung der Ballette selbst abgeben
wollt, und in der Meinung stehet, um darinn glücklich
zu seyn, brauche es weiter nichts, als ein Paar Jahre
unter einem Manne von Genie figurirt zu haben: vor allen Dingen müßt
ihr selbst Genie besitzen!
Wie könnt ihr ohne Feuer, ohne Geist,
ohne Einbildungskraft, ohne Geschmack und ohne Kenntnisse, Mahler zu werden hoffen? Ihr wollt nach der Historie komponiren, und ihr wißt nichts von der
Historie; nach den Dichtern, und ihr
kennt die Dichter nicht. Lernt sie kennen; denn eure
Ballette müssen Gedichte seyn, aber Gedichte, deren
Inhalt gut gewählt ist. Unterfangt euch nie, große Vorwürfe zu behandeln, ohne vorher einen vernünftigen Plan gemacht zu haben; bringt eure Gedanken zu Papiere, und
überleset sie hundertmal; theilt euer Drama in Scenen, deren jede interessant sey und uns ohne Verwirrung, ohne Umschweiffe einem glücklichen Ausgange
immer näher und näher bringe; vermeidet sorgfältig alles Gedehnte, welches die Handlung kalt und
den Verlauf schläfrig macht! Bedenkt, daß Gemählde und Stellungen die schönsten
Augenblicke einer Komposition sind; laßt also eure Figuranten und Figurantinnen
nicht blos tanzen, sondern durch Tanzen reden und mahlen; sie müssen allesamt
Pantomimen seyn, sie müssen sich alle in alle Gestalten zu verwandeln wissen.
Wenn ihre Gebehrden und ihre
Physiognomie beständig mit ihrer
Seele übereinstimmen, so wird der daraus entspringende Ausdruck der wahre Ausdruck der Empfindung seyn, und euer
Werk beleben. Wenn ihr zu den Proben geht, so habt nicht den Kopf blos von euren Figuren voll, nehmt auch euern Verstand mit, und seyd von euerm Vorwurfe ganz durchdrungen. Wenn eure Einbildungskraft von dem Gegenstande,
den ihr mahlen wollt, lebbaft gerührt
ist, so wird sie euch Züge und Farben und Pinsel
geben. Eure Gemählde werden Feuer und Energie haben,
sie werden ganzWahrheit seyn, wenn euer Vorbild nur die
rechte Wirkung auf euch gehabt hat. Treibet die Liebe
zu eurer Kunst bis zum Enthusiasmus. Denn in theatra lischen Kompositionen
nicht zu verunglücken, muß das Herz gerührt und die
ganze Seele in Bewegung seyn; die
Leidenschaften müssen donnern und das
Genie muß leuchten. [↔] Seyd ihr hingegen lau; schleichet euer
Blut ruhig in euern Adern umher; ist euer Herz von
Eis; ist eure Seele ohne
Gefühl: o, so gebt das Theater ja auf,
und verlaßt eine Kunst, die nicht für euch gemacht
ist. Greifet dafür zu einem Gewerbe, zu welchem die Bewegungen der Seele weniger nöthig sind,
als die Bewegungen der Arme, bey dem es mehr auf die
Wirksamkeit der Hände, als des Genies ankömmt. [↔] Wenn dieser Rath, m. H., fleißig gegeben und befolgt würde, so sollten sich die
Bühnen bald von einer unzählbaren Menge schlechter Tänzer und elender Balletmeister befreyet, die Werkstellen und Bauplätze hingegen von eben so viel Arbeiter
dafür erfüllt sehen, die den nothwendigen Bedürfnissen des Staats weit ersprießlicher wären, als sie den Ergötzungen desselben seyn können.
Vierter Brief.
[↔] Tanz und Ballette, m. H., sind heut
zu Tage eine Modeseuche: man läuft mit einer Art von Raserey darnach, und nie ist eine Kunst durch den Beyfall mehr aufgemuntert worden, als
unsere. Die französische Bühne, die unstreitig an Stücken
von allerley Gattung die reichste in Europa, und die fruchtbarste an großen Talenten ist, hat sich, um den Geschmack des Publikums zu befriedigen, gewissermaaßen gezwungen gesehen, die Mode mit
zumachen, ihren Vorstellungen Tänze beyzufügen, und, so zu reden, die
Meisterstücke der berühmtesten Dichter durch Lustbarkeiten
und Bambodschiaden aufzustutzen, die sich so wenig zu dem Adel und der Majestät
dieses Theaters schicken. Diese
Mißhelligkeit, dieser beleidigende Kontrast zwischen zwey so verschiede nen Arten von Schauspiel,
brachte denn auch die französischen
Komödianten zu dem Entschlusse, den Herrn Huß anzunehmen. Man schreibt mir, daß er seinen
Anfang mit einem Ballete, der Tod des Orpheus, gemacht habe, welches ausnehmend wohl aufgenommen worden. Der ernsthafte und heroische Tanz ist unstreitig der einzige, der einem Theater geziemet,
auf dem sich alles mit Anstand und Größe äußert. Möchte
ihn doch sein Genie jederzeit auf dergleichen edle und erhabene Vorwürfe führen! Möchte er doch verschiedne aus den Tragödien wählen, die er täglich vorstellen sieht, und alles andere, was unter dem Galanten und Reitzenden ist, dem gemeinen Haufen von Balletmeistern
überlassen, die nichts selbst erfinden können, sondern
sich beständig mit Diebstählen behelfen müssen. [↔] Der Geschmack an Balletten ist allgemein, und geht sehr weit; alle Regenten zieren ihre Schauspiele damit aus, nicht so wohl um sich nach unseren Gebräuchen zu richten, als vielmehr um sich das Vergnügen zu
verschaffen, welches diese Kunst gewähret. Der kleinste
herumziehende Trupp schleppt einen Schwarm Tänzer und Tänzerinnen mit sich; ja die Possenreisser und Marktschreyer
rechnen mehr auf die Tugend ihrer Ballette, als ihrer Tropfen
und Pulver; sie blenden die Augen des Pöbels mit Entrechats, und der Absatz ihrer
Arzeneyen ist stärker oder
geringer, so wie ihre Lustbarkeiten mehr oder weniger
zahlreich sind. [↔] Die Nachsicht, mit welcher das Publikum
bloße Versuche aufmuntert, müßte, dünkt mich, den Artisten
anfeuren, nach der Vollkommenheit zu streben. Lob und Beyfall sollen ermuntern, nicht aber so verblenden, daß man
sich überredet, man habe schon alles geleistet, und das
äußerste Ziel, zu welchem man nur gelangen könne, bereits
erreichet. Gleichwohl scheinet die ruhige Zufriedenheit,
die so manche Künstler mit sich selbst hägen, und die wenige Sorgfalt, die sie anwenden weiter zu kommen, den Verdacht zu bestätigen, daß
sie sich einbilden, mehr, als sie wissen, könne man gar nicht wissen, und die ganze Sphäre der Kunst
sey von ihnen erfüllet. [↔] Hierzu kömmt, daß sich das Publikum selbst gern täuschet, sich gern die
Schmeicheley macht, sein
Jahrhundert übertreffe die vorgehnden Jahrhunderte an
Geschmack und Talenten weit; es
beklatscht also, wie toll, die Kabriolen seiner Tänzer und
die Liebäugeleyen seiner
Tänzerinnen. Ich meine damit nicht denjenigen Theil des Publikums, der eigentlich die Seele und die Triebfeder desselben seyn sollte; nicht die gesetzten
vernünftigen Leute, die von allen Vorurtheilen der Gewohnheit frey, über die
Verderbniß des Geschmaks
seufzen, die ruhig anhören und aufmerksam zusehen, die alles wohl überlegen, ehe
sie urtheilen, die nur da ihren Beyfall geben, wo sie sich
bewegt, gerührt, entzückt fühlen. Alles,
auf gut Glück, ohne den geringsten Unterschied,
beklatschen, verdirbt die jungen Leute, die sich dem
Theater widmen. Der Beyfall, ich
weiß es wohl, ist die Nahrung der Künste, aber er höret
auf heilsam zu seyn, wenn er nicht mit Einsicht ausgetheilet wird; eine allzu starke Speise, anstatt das Temparament zu stärken, schwächt es und bringt es in Unordnung: die Anfänger auf dem Theater sind wie
Kinder, die eine allzu blinde
und zärtliche Liebe unvermeidlich verdirbt. Die Fehler und Unvollkommenheiten werden immer
merklicher, so wie die erste Täuschung
aufhöret und die Bezauberung der
Neuheit sich nach und nach verringert. [↔] Die Mahlerey und der Tanz haben vor den andern Künsten den Vortheil, daß sie in allen Ländern, unter allen Völkern zu Hause sind; ihre Sprache ist allgemein verständlich, und
sie machen überall gleichen Eindruck. [↔] Wenn unsereKunst, so unvollkommen
sie noch ist, gleichwohl die Zuschauer
täuschet und fesselt, wenn der Tanz, auch
ohne die Zauberey des Ausdrucks,
uns manchmal rühret und in unserer Seele einen angenehmen Tumult erreget: welche Gewalt,
welche Herrschaft müßte er nicht
über unsere Sinnen haben, wenn alle seine Bewegungen durch den Verstand gelenket, alle seine itzt
kaum entworfnen Gemählde durch die Empfindung ausgeführet würden! Ohnstreitig werden die Ballette den Vorzug über die Mahlerey erhalten, sobald die, welche sie ausführen, mehr als Maschinen, und die, welche
sie machen, Männer von Genie und Gefühl sind. [↔] Ein schönes Gemählde ist nur eine Kopie derNatur; ein schönes Ballet
ist die Natur selbst, durch alle Reitze derKunst verschönert. Wenn mich bloße Bilder bis zur
Illusionhinreissen; wenn mich die
Zauberkunst der Mahlerey entzückt; wenn der Anblick eines Gemähldes mitleidige Empfindungen
in mir erregen kann; wenn Farben und Pinsel, in den Händen eines geschickten Mahlers meine Sinne so zu täuschen wissen, daß ich die
Natur selbst zu sehen
glaube, sie reden höre, sie verstehe und ihr antworte: wie
sehr wird meine Empfindlichkeit
zunehmen, wie ungleich stärker werde ich durch den Anblick
einer Vorstellung gerührt
werden, die sich der Wahrheit noch mehr nähert, durch eine
Handlung, die durch meines Gleichen
nachgeahmet wird! Welche Herrschaft
werden diese lebendige immer
abwechselnde Gemählde über meine Einbildungskraft nicht haben! Nichts
interessiret die Menschheit mehr, als die Menschheit selbst. Kurz, m. H., es ist schimpflich, daß der Tanz der Gewalt, welche er über unsere Seele haben kann, ensagt, und sich nur den Augen zu gefallen begnüget. Ein schönes
Ballet ist zur Zeit nur ein Wesen der Einbildung; ein Phönix, den man überall vergebens sucht. [↔] Umsonst hoft man ihm eine neue Gestalt zu
geben, so lange man sich noch an die alten Methoden, an
den abgedroschnen Schlendrian der Opern bindet. Wir sehen
auf unsern Theatern nichts als höchst unvollkommene Kopieen von Kopieen, die unsere Väter und Großväter schon gesehen haben; weil man sich nur in
Schritten übet, und die Leidenschaften zu studieren unterläßt. Gleichwohl ist dieses die Hauptsache: wir müssen unsere Seele die Leidenschaften
zu empfinden gewöhnen, und die Schwierigkeit,
sie auszudrücken, wird verschwinden; das Gesicht wird von selbst seine Minen
nach dem, was in dem Herzen vorgeht, bequemen, und seinen
Ausdruck auf tausend verschiedne Art abändern; es wird den
äußern Bewegungen Kraft ertheilen, und mit feurigen Zügen die Verwirrung der Sinne und den innern Tumult unserer Seelenkräfte
schildern. [↔] Dem Tanze fehlt es nur noch an einem schönen
Vorbilde, an einem Manne von Genie, und die Ballette werden auf einmal ganz etwas anders seyn, als sie itzt sind. Er erscheine nur, dieser Wiederhersteller des wahren
Tanzes, dieser Verbesserer des falschen Geschmacks und der fehlerhaften
Gewohnheiten, welche dieKunst
so arm gemacht haben: aber er erscheine in der Hauptstadt!
Er suche den jungen Tänzern die Augen zu eröfnen, und wage es ihnen mit Ueberzeugung zu sagen: Weg mit den Kabriolen, den Entrechats und
den allzu verwickelten Schritten! Weg mit diesen
liebäugelnden Grimassen, um euch ganz den
Empfindungen, den ungekünstelten Reitzen und dem Ausdrucke zu überlassen! Befleißiget euch einer edeln Pantomime,
vergesset nie, daß sie die Seele eurer Kunst ist; bringt Geist und Verstand in euer Pasdedeux; Anmuth und Wollust
bezeichne den Gang desselben, und das Genie ordne jede seiner
Stellungen; leget die frostigen Larven ab, diese
unvollkommene Kopieen derNatur; sie verbergen eure Gesichtszüge, sie verfinstern, so zu reden, eure
Seele, und berauben euch desjenigen, was zu dem Ausdrucke das
unentbehrlichste ist; werffet die großen gräßlichen
Parruquen, die ungeheuren
Aufsätze weg, die den Kopf um das gehörige Verhältniß bringen, welches er
mit dem Körper haben muß; schaffet den
Gebrauch der runden,
steifen Fischbeinröcke ab, welche die Ausführung alles
Reitzes berauben, den
Stellungen ihre Zärtlichkeitbenehmen, und die sanften
Aussenlinien verderben, welche die Form in allen
verschiednen Lagen haben muß.
[↔] Enthaltet euch der knechtischen Nachahmung, welche die
Kunst unmerklich wieder um zu ihrer Kindheit zurück bringt; bekümmert euch um alles, was mit
euerm Talente in einiger Verbindung stehet; seyd
original; sucht euch nach euern eignen besten Einsich ten eine neue
Gattung zu machen; kopieret, aber
kopieret nichts als dieNatur; die Natur ist das beste Muster, das keinen, der ihm genau folgt, irre leitet. [↔] Und ihr besonders, ihr jungen Leute, die
ihr euch mit Verfertigung der Ballette selbst abgeben
wollt, und in der Meinung stehet, um darinn glücklich
zu seyn, brauche es weiter nichts, als ein Paar Jahre
unter einem Manne von Genie figurirt zu haben: vor allen Dingen müßt
ihr selbst Genie besitzen!
Wie könnt ihr ohne Feuer, ohne Geist,
ohne Einbildungskraft, ohne Geschmack und ohne Kenntnisse, Mahler zu werden hoffen? Ihr wollt nach der Historie komponiren, und ihr wißt nichts von der
Historie; nach den Dichtern, und ihr
kennt die Dichter nicht. Lernt sie kennen; denn eure
Ballette müssen Gedichte seyn, aber Gedichte, deren
Inhalt gut gewählt ist. Unterfangt euch nie, große Vorwürfe zu behandeln, ohne vorher einen vernünftigen Plan gemacht zu haben; bringt eure Gedanken zu Papiere, und
überleset sie hundertmal; theilt euer Drama in Scenen, deren jede interessant sey und uns ohne Verwirrung, ohne Umschweiffe einem glücklichen Ausgange
immer näher und näher bringe; vermeidet sorgfältig alles Gedehnte, welches die Handlung kalt und
den Verlauf schläfrig macht! Bedenkt, daß Gemählde und Stellungen die schönsten
Augenblicke einer Komposition sind; laßt also eure Figuranten und Figurantinnen
nicht blos tanzen, sondern durch Tanzen reden und mahlen; sie müssen allesamt
Pantomimen seyn, sie müssen sich alle in alle Gestalten zu verwandeln wissen.
Wenn ihre Gebehrden und ihre
Physiognomie beständig mit ihrer
Seele übereinstimmen, so wird der daraus entspringende Ausdruck der wahre Ausdruck der Empfindung seyn, und euer
Werk beleben. Wenn ihr zu den Proben geht, so habt nicht den Kopf blos von euren Figuren voll, nehmt auch euern Verstand mit, und seyd von euerm Vorwurfe ganz durchdrungen. Wenn eure Einbildungskraft von dem Gegenstande,
den ihr mahlen wollt, lebbaft gerührt
ist, so wird sie euch Züge und Farben und Pinsel
geben. Eure Gemählde werden Feuer und Energie haben,
sie werden ganzWahrheit seyn, wenn euer Vorbild nur die
rechte Wirkung auf euch gehabt hat. Treibet die Liebe
zu eurer Kunst bis zum Enthusiasmus. Denn in theatra lischen Kompositionen
nicht zu verunglücken, muß das Herz gerührt und die
ganze Seele in Bewegung seyn; die
Leidenschaften müssen donnern und das
Genie muß leuchten. [↔] Seyd ihr hingegen lau; schleichet euer
Blut ruhig in euern Adern umher; ist euer Herz von
Eis; ist eure Seele ohne
Gefühl: o, so gebt das Theater ja auf,
und verlaßt eine Kunst, die nicht für euch gemacht
ist. Greifet dafür zu einem Gewerbe, zu welchem die Bewegungen der Seele weniger nöthig sind,
als die Bewegungen der Arme, bey dem es mehr auf die
Wirksamkeit der Hände, als des Genies ankömmt. [↔] Wenn dieser Rath, m. H., fleißig gegeben und befolgt würde, so sollten sich die
Bühnen bald von einer unzählbaren Menge schlechter Tänzer und elender Balletmeister befreyet, die Werkstellen und Bauplätze hingegen von eben so viel Arbeiter
dafür erfüllt sehen, die den nothwendigen Bedürfnissen des Staats weit ersprießlicher wären, als sie den Ergötzungen desselben seyn können.
[↔]
[↔] Um Sie zu überzeugen, m. H., wie
schwer es ist, in unserer Kunst vortrefflich zu werden, darf ich nur alle die Kenntnisse nennen, welche wir haben sollten,
und die, so unentbehrlich sie
auch sind, darum doch einen Balletmeister nicht eigentlich
charakterisiren, weil man sie alle besitzen und gleichwohl
nicht im Stande seyn kann, das geringste
Gemählde anzuordnen, die geringste Gruppe zu schaffen, die geringste Situation zu erfinden. [↔] Nach der ungeheuren Menge der Künstler
dieser Art, die in Europa verstreuet sind, zu urtheilen,
sollte man fast glauben, daß die Kunst eben so leicht, als
angenehm seyn müßte; nichts aber zeiget
unwidersprechlicher, wie hart es hält, zur Vollkommenheit darinn zu
gelangen, als dieser Titel eines Balletmeisters selbst,
den sich so viele anmassen, und den doch so gar wenige
verdienen. Keiner von ihnen kann es zu etwas bringen, wenn
ihn die Natur nicht ganz besonders begabt hat. Wozu kann man ohne Genie, ohne
Einbildungskraft, ohne Geschmack fähig seyn? Wie will man die Schwierrigkeiten überwinden, die Hindernisse übersteigen, und sich über die Grenzen der Mittelmäßigkeit hinaussetzen, wenn man
nicht den Keim seiner Kunst mit auf die Welt gebracht?
wenn man nicht mit allen den Eigenschaften und Gaben
ausgerüstet ist, die durch
kein Studieren, durch keine Uebungen zu erlangen sind,
sondern die den Künstler angebohren seyn müssen, und durch
die allein, wie auf Flügeln, er sich zur äussersten Staffel der Vollkommenheit und zum
höchsten Gipfel der Ehre zu
erheben vermögend ist? [↔] Wenn Sie den Lucian, m. H.,
zu Rathe ziehen wollen, so können Sie von ihm lernen, was alles für Eigenschaften einen großen Balletmeister bilden müssen, und
Sie werden sehn, wie sehr er sich auf die
Geschichte, auf die Mythologie, auf das
Studium der Alten Dichter zu legen habe. Ohne die genaueste Kenntniß aller dieser Theile, hoffen wir vergebens, in unseren Kompositionen glücklich
zu seyn. Wir müssen das Genie
des Poeten mit dem Genie des Mahlers verbinden, weil unsere Kunst alle ihre Reitze
nur von der vollkommenenNachahmung der Gegenstände entlehnet,. [↔] Einige Erfahrenheit in der Geometrie kann
ebenfalls von grssem<grossem> Nutzen seyn, um den Figuren Deutlichkeit, den Verbindungen
Richtigkeit, und den Formen Genauigkeit zu ertheilen. Sie
wird uns alles Uberflüßige vermeiden lehren, und die
Ausführung wird dadurch desto feuriger werden, indem sich
der Geschmack mit dem Zierlichen beschäftiget, das Genie das Mannigfaltige hervorbringt, und der Verstand die Anordnung übernimt. [↔] Das Ballet ist eine mehr oder weniger verwickelteMaschine, deren Wirkungen uns nur durch ihre
Verschiedenheit und Schnelligkeit aufmerksam machen, und
in Verwunderung setzen. Jene Verbindungen und Folgen von
Figuren; jene Bewegungen,
die so plötzlich eine auf die andere folgen; jene Formen,
die auf einmal ganz widrige Richtungen annehmen; jene durcheinander laufende
Ketten; jene Uebereinstimmung und Harmonie, die in dem Zeitmaaße und in den Entwikelungen
herrschet: was sind sie anders, als das Bild einer
sinnreich gebaueten Maschine? [↔] Die Ballette hingegen, welche Unordnung und
Verwirrung mit sich schleppen, deren Verlauf ungleich und
unterbrochen ist, deren Figuren ohne Licht und Ordnung
durch einander kreutzen,
gleichen sie nicht vollkommen jenen
mechanischen Werken, die Räder über Räder haben, und mit Feder und Gewichten
überladen, so übel zusammen gepfuscht sind, daß sie die
Erwartung des Künstlers und die Hoffnung des Publikums betriegen, weil es
ihnen so wohl an innerer Richtigkeit, als an dem gehörigen
Verhältnisse zu der Wirkung fehlet, die man durch sie
hervorbringen wollen? [↔] Wir bedienen uns in unsern Vorstellungen
noch oft des Wunderbaren. Verschiedne
derselben verlangen nothwendig Maschinen; so werden sich,
zum Exempel, unur wenig Fabeln aus dem Ovid, ohne
Verwandlung und Flugwerk aufführen lassen. Auf dergleichen
Vorwürfe muß ein Balletmeister daher Verzicht thun, wenn er das
Maschinenwesen nicht selbst verstehet.
Denn in den Provinzen ist dieses unglücklicher Weise immer
unter der Verwaltung von Handlangern, oder irgend eines theatralischen
Beyläuffers, den die komische
Gunst zu diesem Geschäfte erhoben, und der höchstens die
Kronenleuchter, die er ehedem geputzt hat, aufzuziehen,
oder eine armselige Gloria schlecht genug herab zu laßen
verstehet. Die Bühnen in Italien nehmen sich mit ihren Maschinen nicht sehr aus; die
Bühnen in Deutschland sind nach dem nehmlichen Plane gebaut, und also
von dieser Seite gleichfalls sehr mangelhaft, so daß sich ein Balletmeister auf beiden oft sehr verlegen befinden muß, wenn er nicht selbst einige Kenntniß von den Maschienwesen hat, wenn er seine Ideen
desfalls nicht deutlich entwickeln, wenn er, im Fall der
Noth, nicht selbst ein kleines
Modell machen kann, aus welchem sich die Arbeitsleute
immer leichter vernehmen, als aus mündlichen Vorschriften,
wenn sie auch noch so umständlich und genau sind. [↔] Die meiste Hülfe gewähren, in diesem Stücke,
noch die Pariser und Londner Bühnen. Die
Engländer sind sinnreich; ihre theatralischeMaschienen sind einfacher als unsere; die
Wirkung derselben ist daher auch geschwinder und feiner. Alles was zur Auszierung und Veränderung des Theaters erforderlich ist, ist bey ihnen von einer bewundernswürdigen Sauberkeit und Geschmeidigkeit; diese
Pracht, diese Sorgfalt, diese Genauigkeit, die sie in den kleinsten Stücken beobachten, müssen nothwendig vieles zu der Geschwindigkeit und Richtigkeit des Ganzen
beytragen. Besonders bringen sie in ihren
Pantomimen wahre Meisterstücke des Mechanismus zum
Vorscheine; in dieser sonst so gemeinen Gattung, die immer auf der
allerniedrigsten In trigue beruhet, und ohne
allen Geschmack, ohne alles Interesse ist.
Man kann sagen, daß dieses Schauspiel, welches unendliche
Kosten erfodert, nur für Augen gemacht ist, die ganz und gar nichts zu beleidigen fähig ist; und daß es auf unsern Theatern nur sehr
mäßigen Beyfall finden dürfte, wo man das Luftige nur in
so fern liebt, als es sich mit dem Anständigen verträgt;
nur in so fern, als es fein ist, nicht in das Unsinnige
fällt, und weder die Sitten, noch die
Menschheit beleidiget. [↔] Ein Kompositeur, der sich über den gemeinen Hauffen erheben will, muß die
Mahler studieren, und ihnen, in allen ihren verschiednen Arten anzuordnen und
auszuführen, folgen. Seine Kunst hat mit der ihrigen
einerley Absicht und Vorwurf; beide kommen in Ansehung der Aehnlichkeit, der
Farbenmischung des Helldunkeln, der Art zu gruppieren und
die Figuren zu bekleiden, sie in die zierlichsten Stellungen zu bringen, ihnen Charakter und Feuer und Ausdruck zu geben, überein. Wie kann der
Balletmeister also etwas Besonders zu leisten hoffen, wenn
er nicht alle Gaben und Eigenschaften, die zu einem
grossen Mahler erforderlich
sind, in sich vereiniget? [↔] Und hieraus glaube ich schliessen zu dürfen,
daß auch die Kenntniß der Anatomie ihm nicht undienlich
seyn dürfte, um den Körperbau seiner zu bildenden Schüler richtig zu beurtheilen, die wirklichen Mängel
desselben von den blossen übeln Angewohnheiten zu
unterscheiden, und seine
Vorschriften genau darnach einzurichten. Wenn er das Uebel
nur erst recht kennt, so kann er es um so viel leichter
heben; und wenn er seinen Unterricht und seine Lehren auf die gründliche Kenntniß seines Subjects bauet, so können
sie das Ziel um so weniger verfehlen. Blos die geringe Achtsamkeit, welche der
Meister auf den Körperbau seiner Lehrlinge wendet (ein Bau, der wenigstens eben so verschieden ist, als mancherley die Physiognomieen sind) ist Ursache, daß man so unzählig schlechte Tänzer findet, deren unstreitig weit wenigere seyn würden, wenn man die
Geschicklichkeit gehabt hätte, ihnen ihre eigentliche
Bestimmung anzuweisen. [↔] Herr Bourgelat,
Königlicher Stallmeister und
Direktor der Reitbahn zu Lyon, ein Mann, der den
Ausländern noch weit schätzbarer
ist, als seinen Laudesleuten, hat sich nicht damit
begnügt, einen großen Theil seines Lebens, Pferde blos zu dressiren; er hat auch ihre Natur sorgfältig
erforschet, und ihren Bau bis auf die kleinsten Nerven
studiret. Auch waren die
Krankheiten dieser Thiere nicht die einzige Absicht seiner
anatomischen Untersuchungen; er hat die Natur so zu reden
gezwungen, ihm Dinge zu entdecken, die sie sonst noch
niemanden entdecken wollen; seine tiefe Einsicht in die
harmonische Folge der Glieder des Pferdes bey jeder seiner
Stellungen und Wendungen,
seine Entdeckung der Quelle und der Mittel aller der Bewegungen, deren dieses Thier
fähig ist, haben ihn auf eine so leichte, und einfache und
ihm ganz eigne Methode geführet, die dahin abzielet, daß
man nie etwas von dem Pferde fodert, als zu der rechten Zeit, wenn das, was man fodert, möglich und natürlich ist, und ihm die Ausübung so leicht fällt, daß es
nicht den geringsten Anlaß haben
kann, sich ungehorsam zu erweisen. [↔] Auch der Mahler studieret die Anatomie nicht, um Gerippe zu mahlen; er übt sich
nicht, geschundene Körper zu zeichnen, um diese
häßliche Figuren in seinen Gemählden anzubringen: und doch sind ihm diese Uebungen unumgänglich nöthig, um dem
Menschen die gehörigen Verhältniße zu ertheilen, um sie
in allen Bewegungen und
Stellungen, in welchen er ihn mahlet, beobachten zu
lernen. [↔] So wie sich das Nakte unter dem Gewande
muß spüren lassen, so muß sich auch das Bein unter dem Fleische zeigen. Man muß eigentlich unterscheiden können, wo
jedes seinen Platz hat; der Mensch muß unter dem Gewande, der Geschundene unter der
Haut, das Gerippe unter dem Fleische zu erkennen seyn, wenn man die Figur nach derWahrheit derNatur und nach den
festgesetzten Verhältnissen
derKunst, soll gezeichnet finden. [↔] Das Zeichnen ist bey den Balletten von gar
zu grossem Nutzen, als daß die Kompositeurs sich nicht mit allem Fleiße darauf zu
legen hätten. Mann muß nothwendig zeichnen können, um den Formen
Schönheit, den Figuren Zierlichkeit und
Neuheit, den Gruppen Anmuth, den
Richtungen des Körpers Reitz, und den Stellungen Wahrheit und
Genauigkeit zu ertheilen; und nur auf diese Weise kann der
Tanz der Weg, welchen ihm der Geschmack
zeichnet, gleichsam mit Blumen
bestreuen. Vernachläßiget man hingegen das Zeichnen, so
wird man die gröbsten Fehler in
der Komposition begehen. Die Köpfe werden steif und
verwandt seyn und mit den Richtungen des Körpers übel kontrastiren; die Hände werden sich nicht in ihrer leichtesten und
ungezwungensten Lage befinden; alles wird plump seyn und
die Mühe, die es kostet, verrathen; überall wird
Uebereinstimmung und Harmonie fehlen. [↔] Ein Balletmeister, der keine Musik verstehet, wird schwerlich die Arien richtig
abschreiten; denn da er ihren Geist und Charakter nicht
einsieht, so kann er auch die Bewegungen des Tanzes nicht so vollkommen nach dem
Takte einrichten, als es seyn müßte; es wäre denn, daß er
von Natur ein sehr scharfes
und feines Gehör hätte, welches die Kunst freylich nicht zu geben im Stande ist,
und ohne welches ihn alle Kenntniß und Uebung nicht weit bringen kann. [↔] Die gute Wahl der Arien ist bey dem Tanze
ein eben so wesentliches Stück, als die Wahl der Worte und
Redensarten in der Beredsamkeit.
Es sind die Bewegungen und Wendungen der Musik,
welche die Bewegungen und Wendungen des Tänzers begleiten
müssen. Ist die Melodie der Arien einförmig und ohne Geschmack, so wird sich auch das Ballet darnach einrichten und kalt und schläfrig
werden. [↔] Es ist also, zu Folge der genauen Verbindung, die sich zwischen der Musik und dem Tanze
befindet, unstreitig, daß ein Balletmeister aus der
praktischen Kenntniß dieser Kunst grosse Vortheile ziehen
kann: er kann seine Ideen dem Tonkünstler
mittheilen, und wenn er Geschmack mit
Wissenschaft verbindet, so kann er
entweder seine Arien selbst komponiren, oder doch dem
Komponisten die vornehmsten Züge angeben, die seine
Handlungcharakterisiren müßen; und wenn
diese Züge bedeutend und
mannigfaltig genug sind, so wird es auch der Tanz zu seyn
nicht ermangeln. Eine gute Musik muß mahlen
und sprechen; und der Tanz muß, durch die
Nachahmung ihrer Töne, gleichsam das Echo seyn, das
alles, was sie ihm vorartikuliret, nachspricht. Ist die
Musik aber stumm, und spricht sie dem Tänzer nichts vor:
so kann er ihr auch nichts nachsprechen, und es ist
hiermit um alle Empfindung, um allen Ausdruck in der Ausführung gethan. [↔] Dem Genie ist nichts gleichgültig:
also muß auch dem Balletmeister nichts gleichgültig seyn. Er kann sich in seiner
Kunst nicht anders
hervorthun, als wenn er auch zugleich diejenigen Künste
mit studiret, deren ich eben erwähnt habe. Freylich muß man nicht verlangen, daß er sie alle in dem
hohen Grade der Vollkommenheit
besitzen soll, der nur denen vorbehalten seyn kann, die
sich auf jede besonders legen: denn das hiesse eine Unmöglichkeit verlangen. [↔] Ich verlange nur allgemeine Kenntnisse, ich
verlange, daß er nur nicht ganz fremd in den
Wissenschaften seyn soll, die vermöge ihre Verbindung zur Verschönerung und zum Ruhme der unsrigen etwas beytragen können. [↔] Alle Künste bieten einander die Hand, und sind das Bild einer zahlreichen Familie, die sich in die Höhe schwingen will. Der Nutzen, den die Gesellschaft aus ihnen ziehet,
erwecket ihre Beeiferung; die Ehre ist der Zweck, und sie stehen sich einander gern bey, diesen Zweck zu erreichen. Eine jede nimmt zwar ihren besondern Weg; denn eine jede hat
ihre eigenen Grundsätze: aber dem ohngeachtet finden sich
doch gewisse Züge, eine gewisse Art von Aehnlichkeit, die ihre genaue
Verbindung verrathen und genugsam zeigen, wie
unentbehrlich eine der andern ist, um sich selbst zu
erweitern, zu verschönern, und zu verewigen. [↔] Ich schliesse also aus dieser Verwandschaft
und Uebereinstimmung aller Künste, daß der jenige Balletmeister,
welcher die ausgebreitesten
Kenntnisse, das meiste Genie und die meiste Einbildungskraft besitzet, auch
derjenige seyn wird, dessen
Kompositionen das meiste Feuer, die meiste Wahrheit, den
meisten Geist, und das
meiste Interesse haben werden. Ich bin etc.
Fünfter Brief.
[↔] Um Sie zu überzeugen, m. H., wie
schwer es ist, in unserer Kunst vortrefflich zu werden, darf ich nur alle die Kenntnisse nennen, welche wir haben sollten,
und die, so unentbehrlich sie
auch sind, darum doch einen Balletmeister nicht eigentlich
charakterisiren, weil man sie alle besitzen und gleichwohl
nicht im Stande seyn kann, das geringste
Gemählde anzuordnen, die geringste Gruppe zu schaffen, die geringste Situation zu erfinden. [↔] Nach der ungeheuren Menge der Künstler
dieser Art, die in Europa verstreuet sind, zu urtheilen,
sollte man fast glauben, daß die Kunst eben so leicht, als
angenehm seyn müßte; nichts aber zeiget
unwidersprechlicher, wie hart es hält, zur Vollkommenheit darinn zu
gelangen, als dieser Titel eines Balletmeisters selbst,
den sich so viele anmassen, und den doch so gar wenige
verdienen. Keiner von ihnen kann es zu etwas bringen, wenn
ihn die Natur nicht ganz besonders begabt hat. Wozu kann man ohne Genie, ohne
Einbildungskraft, ohne Geschmack fähig seyn? Wie will man die Schwierrigkeiten überwinden, die Hindernisse übersteigen, und sich über die Grenzen der Mittelmäßigkeit hinaussetzen, wenn man
nicht den Keim seiner Kunst mit auf die Welt gebracht?
wenn man nicht mit allen den Eigenschaften und Gaben
ausgerüstet ist, die durch
kein Studieren, durch keine Uebungen zu erlangen sind,
sondern die den Künstler angebohren seyn müssen, und durch
die allein, wie auf Flügeln, er sich zur äussersten Staffel der Vollkommenheit und zum
höchsten Gipfel der Ehre zu
erheben vermögend ist? [↔] Wenn Sie den Lucian, m. H.,
zu Rathe ziehen wollen, so können Sie von ihm lernen, was alles für Eigenschaften einen großen Balletmeister bilden müssen, und
Sie werden sehn, wie sehr er sich auf die
Geschichte, auf die Mythologie, auf das
Studium der Alten Dichter zu legen habe. Ohne die genaueste Kenntniß aller dieser Theile, hoffen wir vergebens, in unseren Kompositionen glücklich
zu seyn. Wir müssen das Genie
des Poeten mit dem Genie des Mahlers verbinden, weil unsere Kunst alle ihre Reitze
nur von der vollkommenenNachahmung der Gegenstände entlehnet,. [↔] Einige Erfahrenheit in der Geometrie kann
ebenfalls von grssem<grossem> Nutzen seyn, um den Figuren Deutlichkeit, den Verbindungen
Richtigkeit, und den Formen Genauigkeit zu ertheilen. Sie
wird uns alles Uberflüßige vermeiden lehren, und die
Ausführung wird dadurch desto feuriger werden, indem sich
der Geschmack mit dem Zierlichen beschäftiget, das Genie das Mannigfaltige hervorbringt, und der Verstand die Anordnung übernimt. [↔] Das Ballet ist eine mehr oder weniger verwickelteMaschine, deren Wirkungen uns nur durch ihre
Verschiedenheit und Schnelligkeit aufmerksam machen, und
in Verwunderung setzen. Jene Verbindungen und Folgen von
Figuren; jene Bewegungen,
die so plötzlich eine auf die andere folgen; jene Formen,
die auf einmal ganz widrige Richtungen annehmen; jene durcheinander laufende
Ketten; jene Uebereinstimmung und Harmonie, die in dem Zeitmaaße und in den Entwikelungen
herrschet: was sind sie anders, als das Bild einer
sinnreich gebaueten Maschine? [↔] Die Ballette hingegen, welche Unordnung und
Verwirrung mit sich schleppen, deren Verlauf ungleich und
unterbrochen ist, deren Figuren ohne Licht und Ordnung
durch einander kreutzen,
gleichen sie nicht vollkommen jenen
mechanischen Werken, die Räder über Räder haben, und mit Feder und Gewichten
überladen, so übel zusammen gepfuscht sind, daß sie die
Erwartung des Künstlers und die Hoffnung des Publikums betriegen, weil es
ihnen so wohl an innerer Richtigkeit, als an dem gehörigen
Verhältnisse zu der Wirkung fehlet, die man durch sie
hervorbringen wollen? [↔] Wir bedienen uns in unsern Vorstellungen
noch oft des Wunderbaren. Verschiedne
derselben verlangen nothwendig Maschinen; so werden sich,
zum Exempel, unur wenig Fabeln aus dem Ovid, ohne
Verwandlung und Flugwerk aufführen lassen. Auf dergleichen
Vorwürfe muß ein Balletmeister daher Verzicht thun, wenn er das
Maschinenwesen nicht selbst verstehet.
Denn in den Provinzen ist dieses unglücklicher Weise immer
unter der Verwaltung von Handlangern, oder irgend eines theatralischen
Beyläuffers, den die komische
Gunst zu diesem Geschäfte erhoben, und der höchstens die
Kronenleuchter, die er ehedem geputzt hat, aufzuziehen,
oder eine armselige Gloria schlecht genug herab zu laßen
verstehet. Die Bühnen in Italien nehmen sich mit ihren Maschinen nicht sehr aus; die
Bühnen in Deutschland sind nach dem nehmlichen Plane gebaut, und also
von dieser Seite gleichfalls sehr mangelhaft, so daß sich ein Balletmeister auf beiden oft sehr verlegen befinden muß, wenn er nicht selbst einige Kenntniß von den Maschienwesen hat, wenn er seine Ideen
desfalls nicht deutlich entwickeln, wenn er, im Fall der
Noth, nicht selbst ein kleines
Modell machen kann, aus welchem sich die Arbeitsleute
immer leichter vernehmen, als aus mündlichen Vorschriften,
wenn sie auch noch so umständlich und genau sind. [↔] Die meiste Hülfe gewähren, in diesem Stücke,
noch die Pariser und Londner Bühnen. Die
Engländer sind sinnreich; ihre theatralischeMaschienen sind einfacher als unsere; die
Wirkung derselben ist daher auch geschwinder und feiner. Alles was zur Auszierung und Veränderung des Theaters erforderlich ist, ist bey ihnen von einer bewundernswürdigen Sauberkeit und Geschmeidigkeit; diese
Pracht, diese Sorgfalt, diese Genauigkeit, die sie in den kleinsten Stücken beobachten, müssen nothwendig vieles zu der Geschwindigkeit und Richtigkeit des Ganzen
beytragen. Besonders bringen sie in ihren
Pantomimen wahre Meisterstücke des Mechanismus zum
Vorscheine; in dieser sonst so gemeinen Gattung, die immer auf der
allerniedrigsten In trigue beruhet, und ohne
allen Geschmack, ohne alles Interesse ist.
Man kann sagen, daß dieses Schauspiel, welches unendliche
Kosten erfodert, nur für Augen gemacht ist, die ganz und gar nichts zu beleidigen fähig ist; und daß es auf unsern Theatern nur sehr
mäßigen Beyfall finden dürfte, wo man das Luftige nur in
so fern liebt, als es sich mit dem Anständigen verträgt;
nur in so fern, als es fein ist, nicht in das Unsinnige
fällt, und weder die Sitten, noch die
Menschheit beleidiget. [↔] Ein Kompositeur, der sich über den gemeinen Hauffen erheben will, muß die
Mahler studieren, und ihnen, in allen ihren verschiednen Arten anzuordnen und
auszuführen, folgen. Seine Kunst hat mit der ihrigen
einerley Absicht und Vorwurf; beide kommen in Ansehung der Aehnlichkeit, der
Farbenmischung des Helldunkeln, der Art zu gruppieren und
die Figuren zu bekleiden, sie in die zierlichsten Stellungen zu bringen, ihnen Charakter und Feuer und Ausdruck zu geben, überein. Wie kann der
Balletmeister also etwas Besonders zu leisten hoffen, wenn
er nicht alle Gaben und Eigenschaften, die zu einem
grossen Mahler erforderlich
sind, in sich vereiniget? [↔] Und hieraus glaube ich schliessen zu dürfen,
daß auch die Kenntniß der Anatomie ihm nicht undienlich
seyn dürfte, um den Körperbau seiner zu bildenden Schüler richtig zu beurtheilen, die wirklichen Mängel
desselben von den blossen übeln Angewohnheiten zu
unterscheiden, und seine
Vorschriften genau darnach einzurichten. Wenn er das Uebel
nur erst recht kennt, so kann er es um so viel leichter
heben; und wenn er seinen Unterricht und seine Lehren auf die gründliche Kenntniß seines Subjects bauet, so können
sie das Ziel um so weniger verfehlen. Blos die geringe Achtsamkeit, welche der
Meister auf den Körperbau seiner Lehrlinge wendet (ein Bau, der wenigstens eben so verschieden ist, als mancherley die Physiognomieen sind) ist Ursache, daß man so unzählig schlechte Tänzer findet, deren unstreitig weit wenigere seyn würden, wenn man die
Geschicklichkeit gehabt hätte, ihnen ihre eigentliche
Bestimmung anzuweisen. [↔] Herr Bourgelat,
Königlicher Stallmeister und
Direktor der Reitbahn zu Lyon, ein Mann, der den
Ausländern noch weit schätzbarer
ist, als seinen Laudesleuten, hat sich nicht damit
begnügt, einen großen Theil seines Lebens, Pferde blos zu dressiren; er hat auch ihre Natur sorgfältig
erforschet, und ihren Bau bis auf die kleinsten Nerven
studiret. Auch waren die
Krankheiten dieser Thiere nicht die einzige Absicht seiner
anatomischen Untersuchungen; er hat die Natur so zu reden
gezwungen, ihm Dinge zu entdecken, die sie sonst noch
niemanden entdecken wollen; seine tiefe Einsicht in die
harmonische Folge der Glieder des Pferdes bey jeder seiner
Stellungen und Wendungen,
seine Entdeckung der Quelle und der Mittel aller der Bewegungen, deren dieses Thier
fähig ist, haben ihn auf eine so leichte, und einfache und
ihm ganz eigne Methode geführet, die dahin abzielet, daß
man nie etwas von dem Pferde fodert, als zu der rechten Zeit, wenn das, was man fodert, möglich und natürlich ist, und ihm die Ausübung so leicht fällt, daß es
nicht den geringsten Anlaß haben
kann, sich ungehorsam zu erweisen. [↔] Auch der Mahler studieret die Anatomie nicht, um Gerippe zu mahlen; er übt sich
nicht, geschundene Körper zu zeichnen, um diese
häßliche Figuren in seinen Gemählden anzubringen: und doch sind ihm diese Uebungen unumgänglich nöthig, um dem
Menschen die gehörigen Verhältniße zu ertheilen, um sie
in allen Bewegungen und
Stellungen, in welchen er ihn mahlet, beobachten zu
lernen. [↔] So wie sich das Nakte unter dem Gewande
muß spüren lassen, so muß sich auch das Bein unter dem Fleische zeigen. Man muß eigentlich unterscheiden können, wo
jedes seinen Platz hat; der Mensch muß unter dem Gewande, der Geschundene unter der
Haut, das Gerippe unter dem Fleische zu erkennen seyn, wenn man die Figur nach derWahrheit derNatur und nach den
festgesetzten Verhältnissen
derKunst, soll gezeichnet finden. [↔] Das Zeichnen ist bey den Balletten von gar
zu grossem Nutzen, als daß die Kompositeurs sich nicht mit allem Fleiße darauf zu
legen hätten. Mann muß nothwendig zeichnen können, um den Formen
Schönheit, den Figuren Zierlichkeit und
Neuheit, den Gruppen Anmuth, den
Richtungen des Körpers Reitz, und den Stellungen Wahrheit und
Genauigkeit zu ertheilen; und nur auf diese Weise kann der
Tanz der Weg, welchen ihm der Geschmack
zeichnet, gleichsam mit Blumen
bestreuen. Vernachläßiget man hingegen das Zeichnen, so
wird man die gröbsten Fehler in
der Komposition begehen. Die Köpfe werden steif und
verwandt seyn und mit den Richtungen des Körpers übel kontrastiren; die Hände werden sich nicht in ihrer leichtesten und
ungezwungensten Lage befinden; alles wird plump seyn und
die Mühe, die es kostet, verrathen; überall wird
Uebereinstimmung und Harmonie fehlen. [↔] Ein Balletmeister, der keine Musik verstehet, wird schwerlich die Arien richtig
abschreiten; denn da er ihren Geist und Charakter nicht
einsieht, so kann er auch die Bewegungen des Tanzes nicht so vollkommen nach dem
Takte einrichten, als es seyn müßte; es wäre denn, daß er
von Natur ein sehr scharfes
und feines Gehör hätte, welches die Kunst freylich nicht zu geben im Stande ist,
und ohne welches ihn alle Kenntniß und Uebung nicht weit bringen kann. [↔] Die gute Wahl der Arien ist bey dem Tanze
ein eben so wesentliches Stück, als die Wahl der Worte und
Redensarten in der Beredsamkeit.
Es sind die Bewegungen und Wendungen der Musik,
welche die Bewegungen und Wendungen des Tänzers begleiten
müssen. Ist die Melodie der Arien einförmig und ohne Geschmack, so wird sich auch das Ballet darnach einrichten und kalt und schläfrig
werden. [↔] Es ist also, zu Folge der genauen Verbindung, die sich zwischen der Musik und dem Tanze
befindet, unstreitig, daß ein Balletmeister aus der
praktischen Kenntniß dieser Kunst grosse Vortheile ziehen
kann: er kann seine Ideen dem Tonkünstler
mittheilen, und wenn er Geschmack mit
Wissenschaft verbindet, so kann er
entweder seine Arien selbst komponiren, oder doch dem
Komponisten die vornehmsten Züge angeben, die seine
Handlungcharakterisiren müßen; und wenn
diese Züge bedeutend und
mannigfaltig genug sind, so wird es auch der Tanz zu seyn
nicht ermangeln. Eine gute Musik muß mahlen
und sprechen; und der Tanz muß, durch die
Nachahmung ihrer Töne, gleichsam das Echo seyn, das
alles, was sie ihm vorartikuliret, nachspricht. Ist die
Musik aber stumm, und spricht sie dem Tänzer nichts vor:
so kann er ihr auch nichts nachsprechen, und es ist
hiermit um alle Empfindung, um allen Ausdruck in der Ausführung gethan. [↔] Dem Genie ist nichts gleichgültig:
also muß auch dem Balletmeister nichts gleichgültig seyn. Er kann sich in seiner
Kunst nicht anders
hervorthun, als wenn er auch zugleich diejenigen Künste
mit studiret, deren ich eben erwähnt habe. Freylich muß man nicht verlangen, daß er sie alle in dem
hohen Grade der Vollkommenheit
besitzen soll, der nur denen vorbehalten seyn kann, die
sich auf jede besonders legen: denn das hiesse eine Unmöglichkeit verlangen. [↔] Ich verlange nur allgemeine Kenntnisse, ich
verlange, daß er nur nicht ganz fremd in den
Wissenschaften seyn soll, die vermöge ihre Verbindung zur Verschönerung und zum Ruhme der unsrigen etwas beytragen können. [↔] Alle Künste bieten einander die Hand, und sind das Bild einer zahlreichen Familie, die sich in die Höhe schwingen will. Der Nutzen, den die Gesellschaft aus ihnen ziehet,
erwecket ihre Beeiferung; die Ehre ist der Zweck, und sie stehen sich einander gern bey, diesen Zweck zu erreichen. Eine jede nimmt zwar ihren besondern Weg; denn eine jede hat
ihre eigenen Grundsätze: aber dem ohngeachtet finden sich
doch gewisse Züge, eine gewisse Art von Aehnlichkeit, die ihre genaue
Verbindung verrathen und genugsam zeigen, wie
unentbehrlich eine der andern ist, um sich selbst zu
erweitern, zu verschönern, und zu verewigen. [↔] Ich schliesse also aus dieser Verwandschaft
und Uebereinstimmung aller Künste, daß der jenige Balletmeister,
welcher die ausgebreitesten
Kenntnisse, das meiste Genie und die meiste Einbildungskraft besitzet, auch
derjenige seyn wird, dessen
Kompositionen das meiste Feuer, die meiste Wahrheit, den
meisten Geist, und das
meiste Interesse haben werden. Ich bin etc. [↔]
[↔] Wenn die Künste einander
die Hand reichen, wenn sie alle bereit sind, dem Tanze mit ihren Reichthümern zu Hülfe zu kommen: so ist es die Natur noch ungleich mehr, die
ihm alle Augenblicke neue Schätze anbietet. Der Hof und das Land, die Elemente und
die Witterungen, alles beeifert sich um die Wette, ihn mit
Mitteln zu versehen, durch die er sich verschönern und
abändern kann. [↔] Ein Balletmeister muß folglich alles sehen,
alles untersuchen; weil alles, was in der Welt vorhanden
ist, ihm zum Vorbilde dienen
kann. [↔] Wie viel und mancherley Gemählde wird er nicht bey den Handwerkern finden! Jeder von ihnen hat seine eigene Stellungen, so wie sie sich zu seiner Arbeit, und zu dem besondernBewegungen, die diese Arbeit erfodert, schicken. Diese Positur,
dieses Betragen, diesen Gang,
der immer mit der Profession übereinstimmet und immer
ergötzet, muß der Kompositeur zu treffen wissen. Die Nachahmung ist hier um so viel leichter, je
unveränderlicher sich dieses Aeuserliche auch dann noch
bey den Handwerksleuten erhält, wenn sie ihr Glück gemacht
und ihre Arbeit aufgegeben haben; so wie es mit allen
Fertigkeiten geschiehet, die
mit der Zeit erlangt und durch Mühe und Arbeit bestärkt
werden. [↔] Wie viel drollige und sonderbare Gemählde findet er nicht
auch unter der Menge der müßigen Stutzer, die das
Lächerlichederjenigen so links nachäffen,
und so unsinnig übertrieben, welche ihr Alter, ihr Stand,
ihre Glücksumstände gewissermaaßen berechtiget, den Leichtsinnigen und
den Geck zu spielen. [↔] Das Gedrenge in den Gassen; die öffentlichen Spaziergänge; die Ergötzungen und Beschäftigungen des Landes; eine Bauernhochzeit; die Jagd; die Fischerey; die
Erndte; die Weinlese; die bäurische Art eine
Blumen<>
zu begiessen, abzupflücken, und sie seiner Dirne zu überreichen; die Art Vögelnester auszunehmen; auf der Schalmey zu
spielen: alles bietet ihm die mahlerischsten Gegenstände
an, aus welchen sich die mannichfaltigsten und reitzendsten Gemählde zusammen setzen lassen. [↔] Ein Lager; eine Exerzierung; eine Musterung; der Angriff und die Vertheidigung eines festen Platzes; ein Seehafen, eine
Rehde, eine Einschiffung, eine Ausladung: sind alles
Dinge, die es verdienen, daß wir sie mit ansehen, weil sie
unsere Kunst vollkommen machen
können, wenn sie gut und natürlich
nachgeahmet werden. [↔] Und können nicht auch, die Meisterstücke
eines Racine, eines Corneille, eines Voltaire, eines Crebillon, Vorbilder zu Tänzen von der edlern Gattung gewähren? Haben
die Werke eines Moliere,
eines Regnard, und anderer berühmten Dichter, nicht Gemählde, die man zu
Tänzen von der mittlern Gattung brauchen kann? Ich sehe es voraus,
welches Geschrey der Gemeine Hauffe von Tänzern über
diesen Vorschlag erheben wird: sie werden mich für nicht
klug halten, daß ich Tragödien und
Komödien in Tänze bringen will! Welcher Unsinn! werden sie rufen;
wie wäre das wohl möglich! Gar wohl ist es möglich. Presset, zum Exempel, die Handlung des Geitzigen zusammen, lasset alle
ruhige Unterredungen weg,
rücket die Begebenheiten näher
an einander, verbindet alle die Gemählde, die durch das
ganze Stück zerstreut sind: und
es wird gehen. [↔] Die Scene mit dem Ringe, die Scene wo der
Geitzige den Bedienten visitiret, die Scene wo Euphrosine
ihn von seiner Geliebten
unterhält, alle diese Scenen lassen sich sehr deutlich
ausdrücken; und zu der wüthenden Verzweiflung des Harpagon
werdet ihr eben so wahre und lebhafte Farben finden, als
die sind, mit welchen sie Moliere geschildert hat, wenn ihr anders nicht
ganz ohne Geist und Gefühl seyd. Was der Mahler nutzen kann, muß auch der Tänzer brauchen können. Man
beweise mir also erst, daß die Stücke der Verfasser,
welche ich genannt habe, ohne Charakter, ohne Intresse, ohne starke Situationen sind; man beweise mir, das ein Boucher und ein Vanloo nichts als frostige
und unangenehme Gemählde nach diesen
Meisterstücken machen
könnte: und dann will ich es zugeben, daß es nichts wie
Grillen sind, auf die ich verfallen bin. Wenn aber aus diesen Stücken eine Menge vortrefflicher Gemählde können gezogen werden: so habe
ich meine Sache gewonnen; und es ist nicht meine Schuld,
wenn es uns an mahlerischen Pantomimen fehlt, und unsere Tänzer ohne Genie sind. [↔] Traten nicht Bathyllus, Pylades,
Hylas, in die Stelle der
Komödianten, als diese von Rom vertrieben wurden? Fingen
sie nicht an, die schönsten Scenen der besten Stücke damaliger Zeit durch bloße Gebehrden auszudrücken? Als sie sahen,
daß ihnen das gelang, so versuchten sie es mit einzeln Akten; und als sie auch damit glücklich waren, so wagten sie es endlich, ganze Stücke auf diese Art vorzustellen, welche mit dem allgemeinsten Beyfall aufgenommen wurden. [↔] Aber diese Stücke, wird man sagen, waren durchaus bekannt; sie dienten den
Zuschauern,
so zu reden, anstatt der Programmen, die wir von unsern Balleten austheilen; der
Zuschauer wußte sie auswendig, und konnte also dem
Schauspieler ohne Mühe folgen, ja ihn schon errathen, ehe er sich noch
ausdrückte. Werden wir diesen Vortheil nicht auch haben, wenn wir die berühmtesten Stücke
unsers Theaters in Tänze bringen? Und sollten wir wohl schlechter organisirt seyn, als die Tänzer in Rom? Sollte das heut zu Tage nicht mehr möglich seyn, was es zu den Zeiten des
Augustus war? So etwas zu glauben, würde den Menschen sehr erniedrigen, und den
Geschmack und den Geist unsers Jahrhunderts sehr gering schätzen
heissen. [↔] Ich wende mich wieder zu meinem Vorwurfe: ein Balletmeister muß die
Schönheiten
und Unvollkommenheiten der Naturkennen. Diese Kenntniß wird ihn
fähig machen, beständig das Beste daraus zu wählen; und
da seine Gemählde bald historisch, bald
poetisch, bald kritisch,
bald allegorisch, bald moralisch seyn können:
so wird er nothwendig seine
Muster aus allen Klassen und Ständen der Menschen nehmen müssen. Endlich, wenn er
sich einen gewissen Ruhm erworben hat, wird er, durch die
Reitze und Zauberey seiner Kunst, eben so gut als der
Dichter und der Mahler, das
Laster verächtlich machen und bestrafen,
die Tugend aber erhöhen und belohnen können. [↔] Wenn der Balletmeister die Naturstudieren, und eine gute Wahl
daraus treffen muß; wenn von der Wahl der Gegenstände, die
er in seinem Tanze behandeln will, das Glück seines Werkes zum Theil mit abhängt: so kömmt doch noch
immer das meiste darauf an, daß erKunst und Genie besitzt, sie zu
verschönern, sie zu ordnen,
und auf eine edle und mahlerische Art zu vertheilen. Will er, zum Exempel, die Eifersucht, und
alle die Bewegungen der Wuth und Verzweiflung, welche sie begleiten,
schildern: so nehme er einen Menschen zum Muster, dessen
natürliche
Wildheit durch die Erziehung gebessert ist;
ein Karnschieber würde in seiner Art ein eben so wahres
Muster seyn; aber nicht ein eben so schönes; der Prügel in
seinen Händen würde den Mangel des Ausdrucks ersetzen; und diese Nachahmung, ob sie schon aus der
Natur genommen wäre, würde unsere feinernEmpfindungen empören, indem sie uns nichts
als das widrige Gemählde der menschlichenUnvollkommenheit zeigte. Uebrigens ist die
Handlung eines eifersüchtigen Karnschiebers bey weiten so mahlerisch nicht, als eines Menschen von erhabnern Gesinnungen. Jener wird sich den Augenblick rächen und die Wuth
seines Armes empfinden lassen; dieser hingegen wird sich
gegen die bloße Vorstellung einer so niedrigen und
schimpflichen Rache sträuben; der innere Kampf seiner Wuth mit seiner edlern Denkungsart, wird seinem Gange, seinen Gebehrden, seinen Stellungen, seinen Mienen, seinen Blicken, Stärke und Ausdruck ertheilen; alles wird seine Leidenschaft bezeichnen, alles die
Verfassung seines Herzens an den Tag legen; die Bemühungen
selbst, die er anwendet, sich zu mäßigen, werden nur dienen, die stürmischen Bewegungen seiner Seele desto heftiger und lebhafter ausbrechen zu lassen; je mehr er seine
Leidenschaft wird zwingen
wollen, desto koncentrirter wird
die Wärme, desto feuriger werden die Funken derselben
seyn. [↔] Gleich einem Volcane, der ganz ruhig zu seyn
scheinet, aber durch ein dunkles verwirrtes Getöse eine nahe Verwüstung verkündiget; er arbeitet und wühlet
und sprengt und macht sich neue unterirdische Wege, bis er
endlich an die Fläche gelangt; nun schaft er sich auf einmal Luft, und sein Ausbruch ist um so viel schrecklicher und gefährlicher, je länger er zurückgehalten worden. [↔] Der grobe und bäuerische Mensch kann dem
Mahler nur einen einzigen Augenblick
gewähren; der nächste nach seiner Rache, zeiget von
nichts, als von einer gemeinen und niederträchtigen Freude. Der wohlerzogne
Mensch hingegen bietet ihm eine ganze Menge dienlicher
Augenblicke dar; denn er drückt seine
Leidenschaft und seine Unruhe auf hundert
verschiedne Arten aus, deren jede feurig und edel ist.
Welche Gegenstellungen und Kontraste in seinen Gebehrden! welcher staffelmäßige Abfall und Anwuchs seiner Heftigkeiten!
welche Schattirungen und Uebergänge in seiner Physiognomie! welche
Lebhaftigkeit in seinen Blicken!
welcher Ausdruck, welche Energie
in seinem Stillschweigen! Der Augenblick, da er aus seinem
Irrthume gerissen wird, giebt noch mannigfaltigere, noch
verführendereGemählde, von einem noch feineren noch
gefälligern Kolorit. Aller dieser Züge muß sich der
Balletmeister zu bemächtigen wissen; und bey jedem muß ihm
die Liebe des Wahren, des Grossen, des
Erhabnen, Reißbley und Pinsel führen. [↔] Berühmte Kompositeurs, so wie berühmte
Mahler und Dichter, erniedrigen sich allezeit, wenn sie
ihre Zeit und ihr Genie an Werke von einer schlechten und gemeinen Gattung wenden. Grosse Männer müssen nur grosse
Dinge schaffen, und alles Kindische jenen subalternen Geistern, jenen halben Talenten überlassen, von deren Daseyn man gar nichts wissen würde, wenn man sie nicht knechtisch zu den Füssen der Grossen kriechen, und den Götzen des Ueberflusses räuchern sähe. [↔] DieNatur gewähret uns nicht immer
vollkommene
Muster; man muß also die Kunst verstehen, sie zu
verbessern, sie in angenehme Gegenstellungen, in ein
ve<o>rtheilhaftes Licht, in glückliche
Situationen zu setzen, welche dem Auge ihre mangelhafte
Seite entziehen und ihnen diejenigen Reitze ertheilen, die
sie noch haben müßten, wenn sie durchaus schön seyn sollten. [↔] Die Schwierigkeit, wie ich schon gesagt
habe, besteht darinn, daß man die Natur zu verschönern weis, ohne sie zu entstellen; daß man alle ihre Züge beyzubehalten, und diese bald sanfter, bald bedeutender zu machen
verstehet. Der Augenblick ist die Seele der Gemählde; es ist nicht leicht, ihn zu finden,
und noch schwerer ist es, ihn in aller seiner Wahrheit darzustellen. Die Natur! die Natur!
und unsere Kompositionen werden gewiß schön seyn. Weg mit
derKunst, wenn sie nicht
die Züge der Natur entlehnet, wenn sie sich nicht mit der Einfalt der Naturausschmücket. Die Kunst entzückt
nur, wenn sie versteckt ist, und triumphirt nur alsdann wirklich, wenn sie verkannt und für die Natur selbst gehalten wird. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß ein Balletmeister, welcher das Tanzen nicht vollkommen verstehet, nur
mittelmäßig komponiren wird. Ich rede von dem ernsthaften
Tanzen; es ist die Grundlage des Ballets. Wenn man mit seinen Grundsätzen unbekannt ist, wird man sich sehr oft gar nicht zu helfen wissen und wird genöthiget seyn, dem Grossen,
der Geschichte, der Fabel,
den nationalen Gattungen zu entsagen, und sich mit den Bauerballeten abzugeben, an denen man sich seit dem Fossan, diesem
vortrefflichen
komischen [→] Tänzer, welchen die Raserey zu springen
nach Franckreich brachte, so satt und eckel
gesehen. Ich vergleiche den schönen Tanz einer
Hauptsprache, und die vermischten und verdorbnen
Gattungen, die daraus herkommen, mit den Dialekten, die man kaum versteht, und die immer verschiedner werden, je weiter man sich von der Residenz entfernet, wo die gereinigte Sprache herrschet. [↔] Die Mischung der Farben, ihr allmäliger
Abfall, ihre Wirkungen bey Lichte, verdienen ebenfalls die Aufmerksamkeit des Ballet meisters. Ich weis es aus
der Erfahrung, wie sehr sich die Figuren dadurch
ausnehmen, wie rein und sauber die Formen, wie zierlich
die Gruppen dadurch erscheinen. In dem Ballet, die Eifersucht oder die
Ergötzlichkeiten des Serraglio genannt,
habe ich eben die Degradation der Lichter anzubringen
gesucht, welche die
Mahler in ihren Gemählden beobachten; die starken und ganzen Farben hatten den ersten Platz, und machten den Vorgrund; darauf folgten die weniger lebhaften
und minder hellen, und die ganz zarten und duftigen hatte ich in die Vertiefung verspart. Die nehmliche Degradation hatte ich auch in den Taille beobachtet; und man spürte diese glückliche Vertheilung bey der Ausführung sehr: alles war einig, alles war ruhig, nichts stieß
sich, nichts schadete dem andern. Das Auge ward durch
diese Harmonie geschmeichelt und konnte alle Theile ohne
die geringste Mühe fassen. So glücklich dadurch dieses
Ballet ausfiel, so sehr beleidigte in einem andern, welches ich das Chinesische Ballet nannte, und zu Lyon wieder
aufs Theater brachte, (*)
1
die üble Ordnung der Farben, und die unangenehme Mischung derselben:
alle Figuren flatterten unter einander und schienen
äusserst verwirrt, ob sie gleich sehr richtig gezeichnet
waren; kurz, nichts that die Wirkung die es thun sollte. Die Kleidungen tödteten gleichsam das Werk, weil sie mit den
Verzierungen von einerley Tinten waren; alles war von den glänzendsten Farben; eines stach so gut vor, wie das andere; kein Theil war dem
andern aufgeopfert, und diese durchgängige Gleichheit
beraubte das Gemählde seiner Wirkung, weil nichts dem andern darinn entgegen gesetzet war. Das
ermüdete Auge des Zuschauers>, konnte keine Form unterscheiden;
die Menge Tänzer mit ihren glänzenden Schweifen von
Flittergolde, und die seltsame Vermischung der hellesten
Farben, verblendeten die Augen,
ohne sie zu vergnügen. Die Kleidungen waren von der
Beschaffenheit, daß der Mensch den Augenblick verschwand,
sobald er sich zu bewegen aufhörte. Gleichwohl ward dieses Ballet mit
aller möglichen Genauigkeit ausgeführet; und das schöne
Theater gab ihm einen Reitz, den es zu Paris, auf dem Theater des Herrn
Monnet, nicht haben konnte. Es sey nun aber, daß entwe der die Kleidungen mit der
Decoration nicht übereinstimmten, oder daß die
Gattung, die ich itzt angenommen,
überhaupt besser ist als die, von der ich abgegangen: ich
muß allezeit bekennen, daß von
allen meinen Balleten dieses dasjenige ist, welches hier
den wenigsten Eindruck gemacht
hat. [↔] Der allmälige Abfall der Taillen, und Farben
der Kleider, ist auf dem Theater etwas ganz Unbekanntes; wo mehrere Dinge dieser Art völlig vernachläßiget werden. Gleichwohl ist eine solche Vernachläßigung bey
gewissen Umständen,
besonders in der Oper, auf keine Weise zu
entschuldigen. Denn die Oper ist das Theater der
Erdichtung, auf welchem die Mahlerey alle
ihre Schätze auslegen darf, und
das, bey dem Mangel, den es nicht selten an starken
Handlungen und einem lebhaften Interesse
hat, an Gemählden
von allerley Art desto reicher seyn sollte. [↔] Eine jede Decoration ist ein grosses Gemählde, in welches
Figuren staffiret werden sollen. Die Akteurs und Aktrisen,
die Tänzer und Tänzerinnen, sind die Personen, die es ausschmücken und verschönern sollen; soll nun dieses Gemählde gefallen, und das Auge nicht beleidigen, so muß in allen den verschiednen Theilen, aus welchen es besteht, das genaueste Verhältniß beobachtet
werden. [↔] Wenn in einer Decoration, die einen güldnen und azurnen Tempel oder Pallast
vorstellet, die Kleidungen der Akteurs blau und Gold sind, so werden sie die Wirkung der Decoration vernichten, und die
Decoration wird ihnen hinwiederum den Glanz nehmen, den
sie auf einem ruhigern Grunde gehabt hätten. Bey einer solchen Vertheilung der Farben
verschwindet das Gemählde; und das Ganze wird
ein Stück von Grau in Grau, welche kalte und monotonische
Gattung alle Kenner als ein unechtes Kind
der Mahlerey betrachten. [↔] Die Farben der Gewänder und Kleider, müssen
mit der Decoration abstechen; ich vergleiche sie mit einem schönen Grunde, der ruhig
und harmonisch, und von keinen allzulebhaften und glänzenden Farben seyn muß, wenn
er die Täuschung des Gemähldes nicht vernichten soll. Die Figuren werden die
Rundung nicht haben, die sie haben sollten; nichts wird
sich heraus heben, weil nichts mit Kunst ausgesparet ist;
der ungewisse Schimmer, der aus
dem schlechten Verständnisse der Farben entspringt, wird
uns weiter nichts als ein vielstreifiges Tuch zeigen, das
man, ohne Geschmack, fein scheckigt und bunt
zu machen gesucht hat. [↔] In Decorationen, die simpel schön und nicht
von allzu verschiednen Farben sind, werden sich reiche und
glänzende Kleidungen, so wie alle von sehr vollen und
hellen Farben, am besten ausnehmen. [↔] In Decorationen hingegen, die aus der
blossen Idee genommen werden, z. E. ein chinesischer
Pallast, ein öffentlicher Platz in Konstantinopel, wo
Lustbarkeiten angestellet werden
sollen; in dergleichen Decorationen, sage ich, die keinen strengen Regelnunterworfen sind, die so
sonderbar, so glänzend an Farben, mit den buntesten
Stoffen so behangen, mit Gold
und Silber so überladen seyn können, als sie nur wollen:
müssen die Kleidungen nach dem Kostume gemacht, aber schlecht und recht, und durchaus von einer Schattirung seyn, die derjenigen, welche sich in der
Decoration am meisten ausnimt, gerade entgegen gesetzt
ist. Wenn man diese Regel nicht genau beobachtet, so wird,
aus Mangel des Schattens und der Opposition, eines das andere vernichten. Auf dem Theater muß alles mit
einander harmoniren; und nur alsdenn, wenn die Decoration
eben so wohl für die Kleider, als
die Kleider für die Decoration gemacht sind, wird die
Vorstellung ihre möglichste
Täuschung äußern können. [↔] Nicht weniger sorgfältig muß der Abfall der
Taillen in den Augenblicken beobachtet werden, wenn der
Tanz ein Theil der Decoration
ist. Von dieser Art sind der Olymp oder Parnaß, wo das
Ballet drey Viertheile des Gemähldes
ausmacht, und deren Vorstellung
unmöglich gefallen und täuschen kann, wenn
sich der Mahler und der Balletmeister, wegen der
Verhältnisse, der Vertheilung und Stellung der Personen,
nicht mit einander verstanden haben. [↔] Ist es in einem so prächtigen und an Erfindung so reichen Schauspiele,
als unsere Oper ist, nicht äusserst anstößig und lächerlich, wenn man gar keinen
Abfall der Taillen bemerkt: da ihn gleichwohl der
Mahler auf den Maschinen
beobachtet hat, die doch lange nicht das wesentlichste
Stück des ganzen Theatergemähldes sind. Sollte z. E.
Jupiter in den Wolken des Olymps, oder Apollo auf der Spitze des Parnasses, nicht eben so viel kleiner scheinen, als näher die übrigen Gottheiten und Musen,
die unter ihnen stehen, sich den Zuschauern
befinden? Wenn sich der Mahler, der Täuschung wegen, den
Regeln der Perspektiv unterwirft, wie kömmt es, daß
der Balletmeister, der doch auch eine Art von Mahler ist, wenigstens seyn sollte, ihnen den Gehorsam verweigern darf? Wie kann ein
Gemählde gefallen, das nicht wahrscheinlich ist, dem es an
den gehörigen Verhältnissen
fehlt, das wieder die Regeln sündiget, welche
dieKunst, durch Vergleichung der Gegenstände, aus derNatur
selbst geschöpft hat? Die ruhigen
unbeweglichen Gemählde des Tanzes sind es, wo
die Degradation der Taillen am nöthigsten ist; in den
veränderlichen, die sich im
Tanzen selbst erzeugen, ist sie so wichtig nicht. Ich
verstehe unter einem unbeweglichen Gemählde alles, was in
der Entfernung eine Gruppe macht; alles, was von der Decoration abhangt, und mit dieser gemeinschaftlich eine grosse und schickliche Maschine formiret. [↔] Aber, wie ist denn, werden Sie mich fragen, diese Degradation zu beobachten? Wenn
ein Vestris den Apollo tanzen könnte, soll man das
Ballet lieber dieser Zierde berauben, und alle Reitze, mit
welchen er es beseelen würde, dem Reitze eines einzigen
Augenblikes aufopfern? Nein,
mein Herr; sondern man muß zu den ruhigen Gemählden einen
kleinern Apollo nehmen, so wie ihn das Verhältniß zu den verschiednen Theilen der
Maschinen erfodert; einen
jungen Menschen von funfzehn Jahren, den man eben so wie
den wirklichen Apoll ankleidet; dieser wird von den Parnasse herab kommen, und wenn er
nahe genug ist, wird er hinter den Flügeln der Scene
verschwinden, und die grössere schönre Taille, der
vollkommnere Künstler, wird an seiner
Stell auf einmal da stehn. [↔] Ich habe es zu wiederhohlten malen erfahren, was für vortreffliche Wirkungen die Degradation hervorbringt. Den ersten Versuch, den ich damit machte, und
der mir gelang, war in einem Jägerballete; und den Einfall dazu, der bey Balletten vielleicht neu war, bekam ich durch den Eindruck, den ein sehr grober Fehler des Herrn Servandoni auf mich machte, welcher Fehler indeß den Verdiensten dieses grossen Mahlers nichts benehmen
kann, weil er aus blosser Unachtsamkeit herrührte. Es war, wenn ich mich recht
erinnere, in der Vorstellung des bezauberten
Waldes, diesem sonst so vortrefflichen
Schauspiele, das er aus dem Tassogenommen. Rechter Hand auf dem
Theater war in der Entfernung eine Brücke angebracht, welche eine grosse Anzahl Ritter passiren mußten. Jeder
von diesen Rittern hatte das Ansehen und die Taille eines
Riesen, weil er weit grösser schien als die Brücke selbst;
die ausgestopften Pferde hingegen waren kleiner, und diese Fehler gegen das Verhältniß beleidigten auch das ungelehrteste
Auge. Die Brücke mochte wohl die Proportion haben, welche sie zur Decoration haben mußte, aber sie hatte keine zu den lebendigen Gegenständen, die über sie weggehen sollten. Man hätte
diese also entweder gänzlich weglassen, oder kleinere an
ihre Stelle setzen müssen; Kinder, zum Exempel, auf
Maschinenpferden, so wie sie sich zu
ihren Taillen geschickt hätten: und alsdenn würde die
Brücke, die bey diesen Umständen derjenige Theil war, nach
welchem sich der Decorateur mit den übrigen richten mußte, das wirklich geschienen haben, was sie seyn sollte. [↔] Ich versuchte also bey einer Jagd das auszuführen, was ich in dem Schauspiele des Herrn Servandoni vermißt hatte. Die Decoration stellte
einen Wald vor, dessen Wege mit dem Parterre parallel
liefen. Eine Brücke schloß das Gemählde,
jeneseit welcher sich eine entfernte Landschaft zeigte. Ich hatte meine Entree in sechs Klassen getheilet, die alle der Grösse nach von einander abfielen; jede Klasse bestand aus drey Jägern und eben so viel Jägerinnen, welches in allen sechs und dreyßig Figuranten und Figurantinnen ausmachte. Die Taillen von der
ersten Klasse hielten sich in dem Wege, der den Zuschauern
am nächsten war; die von der zweyten löseten sie ab, und blieben auf dem zweyten Wege; die darauf folgenden von der dritten Klasse auf dem
dritten Wege, und so weiter, bis die letzte Klasse, die
aus kleinen Kindern bestand und
über die Brücke ging, den ganzen Zug beschloß. Die
Degradation war so genau beobachtet, daß sich das Auge
betrügen mußte; was weiter nichts als die Wirkung der
Kunst und des abnehmenden Verhältnisses war, hatte das allerwahrste und
natürlichste Ansehen; die Täuschung war so
stark, daß das Publicum diese Degradation blos der Entfernung der Gegenstände zuschrieb, und sich einbildete, daß es
immer eben dieselben Tänzer und Tänzerinnen wären, welche die verschiednen Wege des
Waldes durchliefen. Die Musikbeobachtete in ihren Tönen die
nehmliche Degradation, und ward
immer schwächer je tiefer sich die Jagd in den Wald zog, der sehr weitläuftig und mit vielem
Geschmacke gemahlt war. [↔] Sehen Sie, mein Herr; einer solchen Täuschung ist das
Theater fähig, wenn alle Theile mit einander
übereinstimmen, und die Künstler
dieNatur zu ihrer Wegweiserinn und zu ihrem Muster nehmen. [↔] Und so glaubte ich das, was ich in diesem
Briefe vortragen wollte, ungefehr gesagt zu haben; nur
eine einzige Anmerkung über das Verständniß der Farben,
habe ich Ihnen noch mitzutheilen. Wie sie in den
Quadrillen des Ballets zu vertheilen sind, davon habe ich
in der Eifersucht, oder den Lustbarkeiten
des Serraglio, eine Probe zu geben
gesucht: da man aber gewöhnlichermaaßen die Tänzer und Tänzerinnen überein zu kleiden pflegt, so habe ich einen Versuch gemacht, dieser Einförmigkeit der Kleidung das Harte
und Monotonische zu nehmen,
welches sie gemeiniglich zu haben pflegt, und es ist mir
damit gelungen. Ich habe
nehmlich eben dieselbe Farbe stuffenweise in alle ihre
Schattirungen genau vertheilet; von dem dunkelsten Blau
bis zum hellesten, von dem brennendsten Rosenroth bis zum Blaßrothen, vom Violet bis zum
feinsten Lilla; diese Vertheilung macht reine und grosse Figuren; alles hebt sich, alles verlieret sich, wie es soll; alles
bekömmt seine Rundung, und nimt sich von dem Grunde auf die angenehmste Weise aus. [↔] Wenn in einer Decoration, die den Eingang zur Hölle vorstellt, der Balletmeister
uns auf einmal, sobald der Vorhang in die Höhe geht, sowohl diesen schrecklichen Ort,
als die verschiednen Martern der Danaiden, des Ixion, des
Tantalus, des Sisyphus, und die verschiednen Geschäfte der unterirdischen Gottheiten, zeigen will;
wenn er uns gern mit dem ersten Anblicke ein bewegliches
und schreckliches Gemählde von den
Strafen der Hölle darstellen möchte: wie ist
es möglich, daß ihm diese augenblickliche Komposition
gelingen kann, falls er
nicht die Kunst versteht, die Gegenstände zu vertheilen,
und einem jeden den Platz anzuweisen, der ihm zukömmt;
falls er nicht die Grundidee des Mahlers vollkommen faßt, und seine Ideen gerade
da anzubringen weiß, wo ihm
dieser Raum dazu gemacht hat? Das Gemählde besteht aus dunkeln und lichten Felsen, aus theils schwarzen und verloschnen, theils
glühenden und brennenden Strichen; durchaus herrschet das
Fürchterliche und Grause; alles ist
schrecklich, alles verräth den Ort der Scene, alles verkündiget die Martern und
Schmerzen seiner Bewohner. Diese, so wie sie auf dem
Theater vorgestellt werden, müssen also Kleider von so verschiednen Farben haben, als sich in der Flamme nur immer äußern; bald muß der
Grund derselben schwarz, bald dunkelroth, bald feuerroth
seyn; kurz, sie müssen alle Schattirungen haben, die in
der Decoration angebracht sind. Sodann muß der Balletmeister Acht haben, die
hellsten und feurigsteu<n> Kleidungen auf die dunkelsten Theile der Decoration zu stellen; auf die
lichten hingegen, die aller finstersten und mattesten. Aus
dieser weisen Vertheilung wird die schönste Harmonie entspringen; die Decoration
wird dem Ballete zur Schattenmasse gleichsam dienen, durch deren Hülfe es bald zurückweicht, bald vorsticht; und das Ballet wird hinwiederum den Reitz der Mahlerey vermehren und sie auf alle Weise fähiger machen, den Zuschauer zu täuschen und zu bewegen.
Sechster Brief.
[↔] Wenn die Künste einander
die Hand reichen, wenn sie alle bereit sind, dem Tanze mit ihren Reichthümern zu Hülfe zu kommen: so ist es die Natur noch ungleich mehr, die
ihm alle Augenblicke neue Schätze anbietet. Der Hof und das Land, die Elemente und
die Witterungen, alles beeifert sich um die Wette, ihn mit
Mitteln zu versehen, durch die er sich verschönern und
abändern kann. [↔] Ein Balletmeister muß folglich alles sehen,
alles untersuchen; weil alles, was in der Welt vorhanden
ist, ihm zum Vorbilde dienen
kann. [↔] Wie viel und mancherley Gemählde wird er nicht bey den Handwerkern finden! Jeder von ihnen hat seine eigene Stellungen, so wie sie sich zu seiner Arbeit, und zu dem besondernBewegungen, die diese Arbeit erfodert, schicken. Diese Positur,
dieses Betragen, diesen Gang,
der immer mit der Profession übereinstimmet und immer
ergötzet, muß der Kompositeur zu treffen wissen. Die Nachahmung ist hier um so viel leichter, je
unveränderlicher sich dieses Aeuserliche auch dann noch
bey den Handwerksleuten erhält, wenn sie ihr Glück gemacht
und ihre Arbeit aufgegeben haben; so wie es mit allen
Fertigkeiten geschiehet, die
mit der Zeit erlangt und durch Mühe und Arbeit bestärkt
werden. [↔] Wie viel drollige und sonderbare Gemählde findet er nicht
auch unter der Menge der müßigen Stutzer, die das
Lächerlichederjenigen so links nachäffen,
und so unsinnig übertrieben, welche ihr Alter, ihr Stand,
ihre Glücksumstände gewissermaaßen berechtiget, den Leichtsinnigen und
den Geck zu spielen. [↔] Das Gedrenge in den Gassen; die öffentlichen Spaziergänge; die Ergötzungen und Beschäftigungen des Landes; eine Bauernhochzeit; die Jagd; die Fischerey; die
Erndte; die Weinlese; die bäurische Art eine
Blumen<>
zu begiessen, abzupflücken, und sie seiner Dirne zu überreichen; die Art Vögelnester auszunehmen; auf der Schalmey zu
spielen: alles bietet ihm die mahlerischsten Gegenstände
an, aus welchen sich die mannichfaltigsten und reitzendsten Gemählde zusammen setzen lassen. [↔] Ein Lager; eine Exerzierung; eine Musterung; der Angriff und die Vertheidigung eines festen Platzes; ein Seehafen, eine
Rehde, eine Einschiffung, eine Ausladung: sind alles
Dinge, die es verdienen, daß wir sie mit ansehen, weil sie
unsere Kunst vollkommen machen
können, wenn sie gut und natürlich
nachgeahmet werden. [↔] Und können nicht auch, die Meisterstücke
eines Racine, eines Corneille, eines Voltaire, eines Crebillon, Vorbilder zu Tänzen von der edlern Gattung gewähren? Haben
die Werke eines Moliere,
eines Regnard, und anderer berühmten Dichter, nicht Gemählde, die man zu
Tänzen von der mittlern Gattung brauchen kann? Ich sehe es voraus,
welches Geschrey der Gemeine Hauffe von Tänzern über
diesen Vorschlag erheben wird: sie werden mich für nicht
klug halten, daß ich Tragödien und
Komödien in Tänze bringen will! Welcher Unsinn! werden sie rufen;
wie wäre das wohl möglich! Gar wohl ist es möglich. Presset, zum Exempel, die Handlung des Geitzigen zusammen, lasset alle
ruhige Unterredungen weg,
rücket die Begebenheiten näher
an einander, verbindet alle die Gemählde, die durch das
ganze Stück zerstreut sind: und
es wird gehen. [↔] Die Scene mit dem Ringe, die Scene wo der
Geitzige den Bedienten visitiret, die Scene wo Euphrosine
ihn von seiner Geliebten
unterhält, alle diese Scenen lassen sich sehr deutlich
ausdrücken; und zu der wüthenden Verzweiflung des Harpagon
werdet ihr eben so wahre und lebhafte Farben finden, als
die sind, mit welchen sie Moliere geschildert hat, wenn ihr anders nicht
ganz ohne Geist und Gefühl seyd. Was der Mahler nutzen kann, muß auch der Tänzer brauchen können. Man
beweise mir also erst, daß die Stücke der Verfasser,
welche ich genannt habe, ohne Charakter, ohne Intresse, ohne starke Situationen sind; man beweise mir, das ein Boucher und ein Vanloo nichts als frostige
und unangenehme Gemählde nach diesen
Meisterstücken machen
könnte: und dann will ich es zugeben, daß es nichts wie
Grillen sind, auf die ich verfallen bin. Wenn aber aus diesen Stücken eine Menge vortrefflicher Gemählde können gezogen werden: so habe
ich meine Sache gewonnen; und es ist nicht meine Schuld,
wenn es uns an mahlerischen Pantomimen fehlt, und unsere Tänzer ohne Genie sind. [↔] Traten nicht Bathyllus, Pylades,
Hylas, in die Stelle der
Komödianten, als diese von Rom vertrieben wurden? Fingen
sie nicht an, die schönsten Scenen der besten Stücke damaliger Zeit durch bloße Gebehrden auszudrücken? Als sie sahen,
daß ihnen das gelang, so versuchten sie es mit einzeln Akten; und als sie auch damit glücklich waren, so wagten sie es endlich, ganze Stücke auf diese Art vorzustellen, welche mit dem allgemeinsten Beyfall aufgenommen wurden. [↔] Aber diese Stücke, wird man sagen, waren durchaus bekannt; sie dienten den
Zuschauern,
so zu reden, anstatt der Programmen, die wir von unsern Balleten austheilen; der
Zuschauer wußte sie auswendig, und konnte also dem
Schauspieler ohne Mühe folgen, ja ihn schon errathen, ehe er sich noch
ausdrückte. Werden wir diesen Vortheil nicht auch haben, wenn wir die berühmtesten Stücke
unsers Theaters in Tänze bringen? Und sollten wir wohl schlechter organisirt seyn, als die Tänzer in Rom? Sollte das heut zu Tage nicht mehr möglich seyn, was es zu den Zeiten des
Augustus war? So etwas zu glauben, würde den Menschen sehr erniedrigen, und den
Geschmack und den Geist unsers Jahrhunderts sehr gering schätzen
heissen. [↔] Ich wende mich wieder zu meinem Vorwurfe: ein Balletmeister muß die
Schönheiten
und Unvollkommenheiten der Naturkennen. Diese Kenntniß wird ihn
fähig machen, beständig das Beste daraus zu wählen; und
da seine Gemählde bald historisch, bald
poetisch, bald kritisch,
bald allegorisch, bald moralisch seyn können:
so wird er nothwendig seine
Muster aus allen Klassen und Ständen der Menschen nehmen müssen. Endlich, wenn er
sich einen gewissen Ruhm erworben hat, wird er, durch die
Reitze und Zauberey seiner Kunst, eben so gut als der
Dichter und der Mahler, das
Laster verächtlich machen und bestrafen,
die Tugend aber erhöhen und belohnen können. [↔] Wenn der Balletmeister die Naturstudieren, und eine gute Wahl
daraus treffen muß; wenn von der Wahl der Gegenstände, die
er in seinem Tanze behandeln will, das Glück seines Werkes zum Theil mit abhängt: so kömmt doch noch
immer das meiste darauf an, daß erKunst und Genie besitzt, sie zu
verschönern, sie zu ordnen,
und auf eine edle und mahlerische Art zu vertheilen. Will er, zum Exempel, die Eifersucht, und
alle die Bewegungen der Wuth und Verzweiflung, welche sie begleiten,
schildern: so nehme er einen Menschen zum Muster, dessen
natürliche
Wildheit durch die Erziehung gebessert ist;
ein Karnschieber würde in seiner Art ein eben so wahres
Muster seyn; aber nicht ein eben so schönes; der Prügel in
seinen Händen würde den Mangel des Ausdrucks ersetzen; und diese Nachahmung, ob sie schon aus der
Natur genommen wäre, würde unsere feinernEmpfindungen empören, indem sie uns nichts
als das widrige Gemählde der menschlichenUnvollkommenheit zeigte. Uebrigens ist die
Handlung eines eifersüchtigen Karnschiebers bey weiten so mahlerisch nicht, als eines Menschen von erhabnern Gesinnungen. Jener wird sich den Augenblick rächen und die Wuth
seines Armes empfinden lassen; dieser hingegen wird sich
gegen die bloße Vorstellung einer so niedrigen und
schimpflichen Rache sträuben; der innere Kampf seiner Wuth mit seiner edlern Denkungsart, wird seinem Gange, seinen Gebehrden, seinen Stellungen, seinen Mienen, seinen Blicken, Stärke und Ausdruck ertheilen; alles wird seine Leidenschaft bezeichnen, alles die
Verfassung seines Herzens an den Tag legen; die Bemühungen
selbst, die er anwendet, sich zu mäßigen, werden nur dienen, die stürmischen Bewegungen seiner Seele desto heftiger und lebhafter ausbrechen zu lassen; je mehr er seine
Leidenschaft wird zwingen
wollen, desto koncentrirter wird
die Wärme, desto feuriger werden die Funken derselben
seyn. [↔] Gleich einem Volcane, der ganz ruhig zu seyn
scheinet, aber durch ein dunkles verwirrtes Getöse eine nahe Verwüstung verkündiget; er arbeitet und wühlet
und sprengt und macht sich neue unterirdische Wege, bis er
endlich an die Fläche gelangt; nun schaft er sich auf einmal Luft, und sein Ausbruch ist um so viel schrecklicher und gefährlicher, je länger er zurückgehalten worden. [↔] Der grobe und bäuerische Mensch kann dem
Mahler nur einen einzigen Augenblick
gewähren; der nächste nach seiner Rache, zeiget von
nichts, als von einer gemeinen und niederträchtigen Freude. Der wohlerzogne
Mensch hingegen bietet ihm eine ganze Menge dienlicher
Augenblicke dar; denn er drückt seine
Leidenschaft und seine Unruhe auf hundert
verschiedne Arten aus, deren jede feurig und edel ist.
Welche Gegenstellungen und Kontraste in seinen Gebehrden! welcher staffelmäßige Abfall und Anwuchs seiner Heftigkeiten!
welche Schattirungen und Uebergänge in seiner Physiognomie! welche
Lebhaftigkeit in seinen Blicken!
welcher Ausdruck, welche Energie
in seinem Stillschweigen! Der Augenblick, da er aus seinem
Irrthume gerissen wird, giebt noch mannigfaltigere, noch
verführendereGemählde, von einem noch feineren noch
gefälligern Kolorit. Aller dieser Züge muß sich der
Balletmeister zu bemächtigen wissen; und bey jedem muß ihm
die Liebe des Wahren, des Grossen, des
Erhabnen, Reißbley und Pinsel führen. [↔] Berühmte Kompositeurs, so wie berühmte
Mahler und Dichter, erniedrigen sich allezeit, wenn sie
ihre Zeit und ihr Genie an Werke von einer schlechten und gemeinen Gattung wenden. Grosse Männer müssen nur grosse
Dinge schaffen, und alles Kindische jenen subalternen Geistern, jenen halben Talenten überlassen, von deren Daseyn man gar nichts wissen würde, wenn man sie nicht knechtisch zu den Füssen der Grossen kriechen, und den Götzen des Ueberflusses räuchern sähe. [↔] DieNatur gewähret uns nicht immer
vollkommene
Muster; man muß also die Kunst verstehen, sie zu
verbessern, sie in angenehme Gegenstellungen, in ein
ve<o>rtheilhaftes Licht, in glückliche
Situationen zu setzen, welche dem Auge ihre mangelhafte
Seite entziehen und ihnen diejenigen Reitze ertheilen, die
sie noch haben müßten, wenn sie durchaus schön seyn sollten. [↔] Die Schwierigkeit, wie ich schon gesagt
habe, besteht darinn, daß man die Natur zu verschönern weis, ohne sie zu entstellen; daß man alle ihre Züge beyzubehalten, und diese bald sanfter, bald bedeutender zu machen
verstehet. Der Augenblick ist die Seele der Gemählde; es ist nicht leicht, ihn zu finden,
und noch schwerer ist es, ihn in aller seiner Wahrheit darzustellen. Die Natur! die Natur!
und unsere Kompositionen werden gewiß schön seyn. Weg mit
derKunst, wenn sie nicht
die Züge der Natur entlehnet, wenn sie sich nicht mit der Einfalt der Naturausschmücket. Die Kunst entzückt
nur, wenn sie versteckt ist, und triumphirt nur alsdann wirklich, wenn sie verkannt und für die Natur selbst gehalten wird. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß ein Balletmeister, welcher das Tanzen nicht vollkommen verstehet, nur
mittelmäßig komponiren wird. Ich rede von dem ernsthaften
Tanzen; es ist die Grundlage des Ballets. Wenn man mit seinen Grundsätzen unbekannt ist, wird man sich sehr oft gar nicht zu helfen wissen und wird genöthiget seyn, dem Grossen,
der Geschichte, der Fabel,
den nationalen Gattungen zu entsagen, und sich mit den Bauerballeten abzugeben, an denen man sich seit dem Fossan, diesem
vortrefflichen
komischen [→] Tänzer, welchen die Raserey zu springen
nach Franckreich brachte, so satt und eckel
gesehen. Ich vergleiche den schönen Tanz einer
Hauptsprache, und die vermischten und verdorbnen
Gattungen, die daraus herkommen, mit den Dialekten, die man kaum versteht, und die immer verschiedner werden, je weiter man sich von der Residenz entfernet, wo die gereinigte Sprache herrschet. [↔] Die Mischung der Farben, ihr allmäliger
Abfall, ihre Wirkungen bey Lichte, verdienen ebenfalls die Aufmerksamkeit des Ballet meisters. Ich weis es aus
der Erfahrung, wie sehr sich die Figuren dadurch
ausnehmen, wie rein und sauber die Formen, wie zierlich
die Gruppen dadurch erscheinen. In dem Ballet, die Eifersucht oder die
Ergötzlichkeiten des Serraglio genannt,
habe ich eben die Degradation der Lichter anzubringen
gesucht, welche die
Mahler in ihren Gemählden beobachten; die starken und ganzen Farben hatten den ersten Platz, und machten den Vorgrund; darauf folgten die weniger lebhaften
und minder hellen, und die ganz zarten und duftigen hatte ich in die Vertiefung verspart. Die nehmliche Degradation hatte ich auch in den Taille beobachtet; und man spürte diese glückliche Vertheilung bey der Ausführung sehr: alles war einig, alles war ruhig, nichts stieß
sich, nichts schadete dem andern. Das Auge ward durch
diese Harmonie geschmeichelt und konnte alle Theile ohne
die geringste Mühe fassen. So glücklich dadurch dieses
Ballet ausfiel, so sehr beleidigte in einem andern, welches ich das Chinesische Ballet nannte, und zu Lyon wieder
aufs Theater brachte, (*)
1
die üble Ordnung der Farben, und die unangenehme Mischung derselben:
alle Figuren flatterten unter einander und schienen
äusserst verwirrt, ob sie gleich sehr richtig gezeichnet
waren; kurz, nichts that die Wirkung die es thun sollte. Die Kleidungen tödteten gleichsam das Werk, weil sie mit den
Verzierungen von einerley Tinten waren; alles war von den glänzendsten Farben; eines stach so gut vor, wie das andere; kein Theil war dem
andern aufgeopfert, und diese durchgängige Gleichheit
beraubte das Gemählde seiner Wirkung, weil nichts dem andern darinn entgegen gesetzet war. Das
ermüdete Auge des Zuschauers>, konnte keine Form unterscheiden;
die Menge Tänzer mit ihren glänzenden Schweifen von
Flittergolde, und die seltsame Vermischung der hellesten
Farben, verblendeten die Augen,
ohne sie zu vergnügen. Die Kleidungen waren von der
Beschaffenheit, daß der Mensch den Augenblick verschwand,
sobald er sich zu bewegen aufhörte. Gleichwohl ward dieses Ballet mit
aller möglichen Genauigkeit ausgeführet; und das schöne
Theater gab ihm einen Reitz, den es zu Paris, auf dem Theater des Herrn
Monnet, nicht haben konnte. Es sey nun aber, daß entwe der die Kleidungen mit der
Decoration nicht übereinstimmten, oder daß die
Gattung, die ich itzt angenommen,
überhaupt besser ist als die, von der ich abgegangen: ich
muß allezeit bekennen, daß von
allen meinen Balleten dieses dasjenige ist, welches hier
den wenigsten Eindruck gemacht
hat. [↔] Der allmälige Abfall der Taillen, und Farben
der Kleider, ist auf dem Theater etwas ganz Unbekanntes; wo mehrere Dinge dieser Art völlig vernachläßiget werden. Gleichwohl ist eine solche Vernachläßigung bey
gewissen Umständen,
besonders in der Oper, auf keine Weise zu
entschuldigen. Denn die Oper ist das Theater der
Erdichtung, auf welchem die Mahlerey alle
ihre Schätze auslegen darf, und
das, bey dem Mangel, den es nicht selten an starken
Handlungen und einem lebhaften Interesse
hat, an Gemählden
von allerley Art desto reicher seyn sollte. [↔] Eine jede Decoration ist ein grosses Gemählde, in welches
Figuren staffiret werden sollen. Die Akteurs und Aktrisen,
die Tänzer und Tänzerinnen, sind die Personen, die es ausschmücken und verschönern sollen; soll nun dieses Gemählde gefallen, und das Auge nicht beleidigen, so muß in allen den verschiednen Theilen, aus welchen es besteht, das genaueste Verhältniß beobachtet
werden. [↔] Wenn in einer Decoration, die einen güldnen und azurnen Tempel oder Pallast
vorstellet, die Kleidungen der Akteurs blau und Gold sind, so werden sie die Wirkung der Decoration vernichten, und die
Decoration wird ihnen hinwiederum den Glanz nehmen, den
sie auf einem ruhigern Grunde gehabt hätten. Bey einer solchen Vertheilung der Farben
verschwindet das Gemählde; und das Ganze wird
ein Stück von Grau in Grau, welche kalte und monotonische
Gattung alle Kenner als ein unechtes Kind
der Mahlerey betrachten. [↔] Die Farben der Gewänder und Kleider, müssen
mit der Decoration abstechen; ich vergleiche sie mit einem schönen Grunde, der ruhig
und harmonisch, und von keinen allzulebhaften und glänzenden Farben seyn muß, wenn
er die Täuschung des Gemähldes nicht vernichten soll. Die Figuren werden die
Rundung nicht haben, die sie haben sollten; nichts wird
sich heraus heben, weil nichts mit Kunst ausgesparet ist;
der ungewisse Schimmer, der aus
dem schlechten Verständnisse der Farben entspringt, wird
uns weiter nichts als ein vielstreifiges Tuch zeigen, das
man, ohne Geschmack, fein scheckigt und bunt
zu machen gesucht hat. [↔] In Decorationen, die simpel schön und nicht
von allzu verschiednen Farben sind, werden sich reiche und
glänzende Kleidungen, so wie alle von sehr vollen und
hellen Farben, am besten ausnehmen. [↔] In Decorationen hingegen, die aus der
blossen Idee genommen werden, z. E. ein chinesischer
Pallast, ein öffentlicher Platz in Konstantinopel, wo
Lustbarkeiten angestellet werden
sollen; in dergleichen Decorationen, sage ich, die keinen strengen Regelnunterworfen sind, die so
sonderbar, so glänzend an Farben, mit den buntesten
Stoffen so behangen, mit Gold
und Silber so überladen seyn können, als sie nur wollen:
müssen die Kleidungen nach dem Kostume gemacht, aber schlecht und recht, und durchaus von einer Schattirung seyn, die derjenigen, welche sich in der
Decoration am meisten ausnimt, gerade entgegen gesetzt
ist. Wenn man diese Regel nicht genau beobachtet, so wird,
aus Mangel des Schattens und der Opposition, eines das andere vernichten. Auf dem Theater muß alles mit
einander harmoniren; und nur alsdenn, wenn die Decoration
eben so wohl für die Kleider, als
die Kleider für die Decoration gemacht sind, wird die
Vorstellung ihre möglichste
Täuschung äußern können. [↔] Nicht weniger sorgfältig muß der Abfall der
Taillen in den Augenblicken beobachtet werden, wenn der
Tanz ein Theil der Decoration
ist. Von dieser Art sind der Olymp oder Parnaß, wo das
Ballet drey Viertheile des Gemähldes
ausmacht, und deren Vorstellung
unmöglich gefallen und täuschen kann, wenn
sich der Mahler und der Balletmeister, wegen der
Verhältnisse, der Vertheilung und Stellung der Personen,
nicht mit einander verstanden haben. [↔] Ist es in einem so prächtigen und an Erfindung so reichen Schauspiele,
als unsere Oper ist, nicht äusserst anstößig und lächerlich, wenn man gar keinen
Abfall der Taillen bemerkt: da ihn gleichwohl der
Mahler auf den Maschinen
beobachtet hat, die doch lange nicht das wesentlichste
Stück des ganzen Theatergemähldes sind. Sollte z. E.
Jupiter in den Wolken des Olymps, oder Apollo auf der Spitze des Parnasses, nicht eben so viel kleiner scheinen, als näher die übrigen Gottheiten und Musen,
die unter ihnen stehen, sich den Zuschauern
befinden? Wenn sich der Mahler, der Täuschung wegen, den
Regeln der Perspektiv unterwirft, wie kömmt es, daß
der Balletmeister, der doch auch eine Art von Mahler ist, wenigstens seyn sollte, ihnen den Gehorsam verweigern darf? Wie kann ein
Gemählde gefallen, das nicht wahrscheinlich ist, dem es an
den gehörigen Verhältnissen
fehlt, das wieder die Regeln sündiget, welche
dieKunst, durch Vergleichung der Gegenstände, aus derNatur
selbst geschöpft hat? Die ruhigen
unbeweglichen Gemählde des Tanzes sind es, wo
die Degradation der Taillen am nöthigsten ist; in den
veränderlichen, die sich im
Tanzen selbst erzeugen, ist sie so wichtig nicht. Ich
verstehe unter einem unbeweglichen Gemählde alles, was in
der Entfernung eine Gruppe macht; alles, was von der Decoration abhangt, und mit dieser gemeinschaftlich eine grosse und schickliche Maschine formiret. [↔] Aber, wie ist denn, werden Sie mich fragen, diese Degradation zu beobachten? Wenn
ein Vestris den Apollo tanzen könnte, soll man das
Ballet lieber dieser Zierde berauben, und alle Reitze, mit
welchen er es beseelen würde, dem Reitze eines einzigen
Augenblikes aufopfern? Nein,
mein Herr; sondern man muß zu den ruhigen Gemählden einen
kleinern Apollo nehmen, so wie ihn das Verhältniß zu den verschiednen Theilen der
Maschinen erfodert; einen
jungen Menschen von funfzehn Jahren, den man eben so wie
den wirklichen Apoll ankleidet; dieser wird von den Parnasse herab kommen, und wenn er
nahe genug ist, wird er hinter den Flügeln der Scene
verschwinden, und die grössere schönre Taille, der
vollkommnere Künstler, wird an seiner
Stell auf einmal da stehn. [↔] Ich habe es zu wiederhohlten malen erfahren, was für vortreffliche Wirkungen die Degradation hervorbringt. Den ersten Versuch, den ich damit machte, und
der mir gelang, war in einem Jägerballete; und den Einfall dazu, der bey Balletten vielleicht neu war, bekam ich durch den Eindruck, den ein sehr grober Fehler des Herrn Servandoni auf mich machte, welcher Fehler indeß den Verdiensten dieses grossen Mahlers nichts benehmen
kann, weil er aus blosser Unachtsamkeit herrührte. Es war, wenn ich mich recht
erinnere, in der Vorstellung des bezauberten
Waldes, diesem sonst so vortrefflichen
Schauspiele, das er aus dem Tassogenommen. Rechter Hand auf dem
Theater war in der Entfernung eine Brücke angebracht, welche eine grosse Anzahl Ritter passiren mußten. Jeder
von diesen Rittern hatte das Ansehen und die Taille eines
Riesen, weil er weit grösser schien als die Brücke selbst;
die ausgestopften Pferde hingegen waren kleiner, und diese Fehler gegen das Verhältniß beleidigten auch das ungelehrteste
Auge. Die Brücke mochte wohl die Proportion haben, welche sie zur Decoration haben mußte, aber sie hatte keine zu den lebendigen Gegenständen, die über sie weggehen sollten. Man hätte
diese also entweder gänzlich weglassen, oder kleinere an
ihre Stelle setzen müssen; Kinder, zum Exempel, auf
Maschinenpferden, so wie sie sich zu
ihren Taillen geschickt hätten: und alsdenn würde die
Brücke, die bey diesen Umständen derjenige Theil war, nach
welchem sich der Decorateur mit den übrigen richten mußte, das wirklich geschienen haben, was sie seyn sollte. [↔] Ich versuchte also bey einer Jagd das auszuführen, was ich in dem Schauspiele des Herrn Servandoni vermißt hatte. Die Decoration stellte
einen Wald vor, dessen Wege mit dem Parterre parallel
liefen. Eine Brücke schloß das Gemählde,
jeneseit welcher sich eine entfernte Landschaft zeigte. Ich hatte meine Entree in sechs Klassen getheilet, die alle der Grösse nach von einander abfielen; jede Klasse bestand aus drey Jägern und eben so viel Jägerinnen, welches in allen sechs und dreyßig Figuranten und Figurantinnen ausmachte. Die Taillen von der
ersten Klasse hielten sich in dem Wege, der den Zuschauern
am nächsten war; die von der zweyten löseten sie ab, und blieben auf dem zweyten Wege; die darauf folgenden von der dritten Klasse auf dem
dritten Wege, und so weiter, bis die letzte Klasse, die
aus kleinen Kindern bestand und
über die Brücke ging, den ganzen Zug beschloß. Die
Degradation war so genau beobachtet, daß sich das Auge
betrügen mußte; was weiter nichts als die Wirkung der
Kunst und des abnehmenden Verhältnisses war, hatte das allerwahrste und
natürlichste Ansehen; die Täuschung war so
stark, daß das Publicum diese Degradation blos der Entfernung der Gegenstände zuschrieb, und sich einbildete, daß es
immer eben dieselben Tänzer und Tänzerinnen wären, welche die verschiednen Wege des
Waldes durchliefen. Die Musikbeobachtete in ihren Tönen die
nehmliche Degradation, und ward
immer schwächer je tiefer sich die Jagd in den Wald zog, der sehr weitläuftig und mit vielem
Geschmacke gemahlt war. [↔] Sehen Sie, mein Herr; einer solchen Täuschung ist das
Theater fähig, wenn alle Theile mit einander
übereinstimmen, und die Künstler
dieNatur zu ihrer Wegweiserinn und zu ihrem Muster nehmen. [↔] Und so glaubte ich das, was ich in diesem
Briefe vortragen wollte, ungefehr gesagt zu haben; nur
eine einzige Anmerkung über das Verständniß der Farben,
habe ich Ihnen noch mitzutheilen. Wie sie in den
Quadrillen des Ballets zu vertheilen sind, davon habe ich
in der Eifersucht, oder den Lustbarkeiten
des Serraglio, eine Probe zu geben
gesucht: da man aber gewöhnlichermaaßen die Tänzer und Tänzerinnen überein zu kleiden pflegt, so habe ich einen Versuch gemacht, dieser Einförmigkeit der Kleidung das Harte
und Monotonische zu nehmen,
welches sie gemeiniglich zu haben pflegt, und es ist mir
damit gelungen. Ich habe
nehmlich eben dieselbe Farbe stuffenweise in alle ihre
Schattirungen genau vertheilet; von dem dunkelsten Blau
bis zum hellesten, von dem brennendsten Rosenroth bis zum Blaßrothen, vom Violet bis zum
feinsten Lilla; diese Vertheilung macht reine und grosse Figuren; alles hebt sich, alles verlieret sich, wie es soll; alles
bekömmt seine Rundung, und nimt sich von dem Grunde auf die angenehmste Weise aus. [↔] Wenn in einer Decoration, die den Eingang zur Hölle vorstellt, der Balletmeister
uns auf einmal, sobald der Vorhang in die Höhe geht, sowohl diesen schrecklichen Ort,
als die verschiednen Martern der Danaiden, des Ixion, des
Tantalus, des Sisyphus, und die verschiednen Geschäfte der unterirdischen Gottheiten, zeigen will;
wenn er uns gern mit dem ersten Anblicke ein bewegliches
und schreckliches Gemählde von den
Strafen der Hölle darstellen möchte: wie ist
es möglich, daß ihm diese augenblickliche Komposition
gelingen kann, falls er
nicht die Kunst versteht, die Gegenstände zu vertheilen,
und einem jeden den Platz anzuweisen, der ihm zukömmt;
falls er nicht die Grundidee des Mahlers vollkommen faßt, und seine Ideen gerade
da anzubringen weiß, wo ihm
dieser Raum dazu gemacht hat? Das Gemählde besteht aus dunkeln und lichten Felsen, aus theils schwarzen und verloschnen, theils
glühenden und brennenden Strichen; durchaus herrschet das
Fürchterliche und Grause; alles ist
schrecklich, alles verräth den Ort der Scene, alles verkündiget die Martern und
Schmerzen seiner Bewohner. Diese, so wie sie auf dem
Theater vorgestellt werden, müssen also Kleider von so verschiednen Farben haben, als sich in der Flamme nur immer äußern; bald muß der
Grund derselben schwarz, bald dunkelroth, bald feuerroth
seyn; kurz, sie müssen alle Schattirungen haben, die in
der Decoration angebracht sind. Sodann muß der Balletmeister Acht haben, die
hellsten und feurigsteu<n> Kleidungen auf die dunkelsten Theile der Decoration zu stellen; auf die
lichten hingegen, die aller finstersten und mattesten. Aus
dieser weisen Vertheilung wird die schönste Harmonie entspringen; die Decoration
wird dem Ballete zur Schattenmasse gleichsam dienen, durch deren Hülfe es bald zurückweicht, bald vorsticht; und das Ballet wird hinwiederum den Reitz der Mahlerey vermehren und sie auf alle Weise fähiger machen, den Zuschauer zu täuschen und zu bewegen.
[↔]
[↔] Was sagen Sie, mein Herr, zu allen
den Titeln, mit welchen man täglich jene
elenden Lustbarkeiten ausschmücket, die gewissermaaßen der Langenweile geheiliget sind,
und denen nichts als Kälte und Melancholienachfolgt? Man nennt sie alle
pantomimische Ballette, ob sie gleich in der That wenig oder nichts sagen. Die meisten Tänzer und Kompositeurs sollten den Gebrauch
annehmen, den die Mahler in den Jahrhunderten
der Unwissenheit hatten; anstatt
des mahlerischen Ausdruckes bedienten sie sich schmaler
Papierstreife, die aus dem
Munde der Personen gingen, und auf welchen die
Handlung oder Empfindung, die jede haben oder äußern sollte, geschrieben war. Diese nützliche Vorsicht,
welche den Betrachter auf die Idee des Mahlers half, die in der unvollkommnen
Ausführung so unverständlich
geblieben war, würde bey den mechanischen und unbestimmten
Bewegungen unserer Pantomimen eben
so gute Dienste leisten können. Das sinnreiche Gespräch in den Pas de deux, die
angenehmen Betrachtungen in den Soloentreen, die zu sammenhangende Unterredung
der Figuranten und Figurantinnen heutiges Tages, würden
bald erkläret seyn. Ein Blumenstrauß, ein Rechen, ein Vogelbauer, eine Leyer oder
eine Guitarre: das ist es ungefehr alles, was den Stoff zu
den Intriguen unsrer prächtigen Ballette giebt; das sind
die grossen und erhabnen
Gegenständen, welche der schöpferische Geist unsrer Kompositeurs hervor bringt.
Bekennen sie nur, mein Herr, daß ein sehr besonders Talent
dazu gehöret, sie nach Würden zu behandeln. Ein kleiner
Schritt, auf der Spitze des Fußes schlecht genug gehüppelt, dient diesen
Meisterstücken zur Einleitung,
zum Knoten, und zur Entwicklung. Das heißt so viel, als:
wollt ihr mit mir tanzen? und dann tanzen sie. Solche
sinnreiche Dinge sind es,
mit denen man uns, unter den Namen der Ballette von
Erfindung, der pantomimischen Tänze,
abspeiset. Doch ihre Verfasser — mögen sie doch nur
ruhig fortkriechen! Flügel sind eine unschickliche Zierde und ganz unnütze Werkzeuge für den, der sich nicht aus eignen Kräften erheben, der sich
seinen Glanz nicht selbst geben kann, sondern ihn, wie die
leuchtenden Würmchen, den Schatten und der Dunkelheit
verdanken muß. [↔] Fossan, der
angenehmste und sinnreichste von allen komischen Tänzern,
hat den Schülern der Terpsichore den Kopf verrückt; alle
haben ihm nachahmen wollen, wenn sie ihn auch
schon nicht gesehen hatten. Man hat die edle
Gattung der niedrigen aufgeopfert; man hat
das Joch der Regeln abgeschüttelt; man hat
sich der Sprünge, der gewaltsamen Hebungen und Wendungen,
beflissen; kurtz, man hat aufgehört zu tanzen, und hat
sich Pantomime zu seyn eingebildet: als ob man sich so nennen könnte, wenn man ganz und
gar keinen Ausdruck hat; wenn man schlechterdings nichts mahlt; wenn der
Tanz durch die gröbsten Uebertreibungen gänzlich entstellt
wird; wenn er sich auf die häßlichstenVerrenkungen einschränkt; wenn
das Gesicht widersinnige Grimassen schneidet; wenn endlich
die Handlung, die durchaus Reitz und
Anstand begleiten sollte,
nichts als eine Folge wiederholter Anstrengungen ist, die
dem Zuschauer so
viel unangenehmer sind, da er bey der mühsamen und
gezwungnen Arbeit des Ausführers nicht anders als selbst
leiden kann. Gleichwohl, mein Herr, ist das die Gattung,
die im Besitze des Theaters ist; und von der wir, welches nicht zu leugnen, so viele und mancherley Muster haben. Diese Raserey
nachzuahmen was nicht nachzuahmen ist, hat uns schon um so
viele Tänzer und Balletmeister gebracht, und wird uns noch
um mehrere bringen. Eine vollkommneNachahmungverlangt, daß man selbst den
nehmlichen Geschmack, die nehmlichen Fähigkeiten, den
nehmlichen Bau, die nehmliche Einsicht, die nehmlichen
Organa habe, welche das Original
hat, das man sich zur Nachahmung vorstellet. So wenig man also zwey Wesen finden
kann, die einander vollkommen gleich sind, so selten
werden sich auch zwey Menschen finden, deren Talente, Art
und Manier völlig eben dieselben wären. Die Vermischung
der Kabriole mit dem schönern
Tanze, hat den Charakter desselben verdorben und seinen
Adel erniedriget; durch diesen Zusatz wird sein Werth nothwendig geringer, denn er ist, wie ich in dem Folgenden erweisen werde, denn lebhaften Ausdrücken und der beseelten Handlung gänzlich zuwider, die er
haben könnte, wenn er sich von allen den unnützen Dingen
frey machte, die er mit zu seinen Vollkommenheiten rechnet. Es
ist nicht erst seit gestern Mode, daß man den Namen eines
Ballets figürlichen Tänzen giebt, die weiter nichts als Lustbarkeiten zu heissen verdienen; man hat schon vor längst diesen Titel an die Prungfeste verschwendet, welche an
den verschiednen Europäischen Höfen angestellet wurden.
Ich habe aber diese Feste untersucht, und bin überzeugt, das er ihnen nicht zukömmt. Ich habe den Tanz in Handlung nie darinn wahrgenommen; weitläuftige Erzehlungen mußten
den Mangel des Ausdrucks der Tänzer ersetzen, um den Zuschauer von dem, was
vorgestellet werden sollte, zu unterrichten; und dieses
zeiget genugsam von der Unwissenheit ihrer Angeber, und von den kalten nichts
sagenden Bewegungen ihrer Ausführer. Bereits im dritten Jahrhunderte
fing man an, die Monotonie dieser Kunst und die
Nachläßigkeit ihrer Künstler zu spüren. Der H. Augustinus selbst sagt, wenn er von
Balletten redet, das man genöthiget gewesen, jemanden vorne an die Scene zu stellen, welcher die Handlung, die gemahlet werden sollen, mit lauter Stimme
erklären müssen. Und mußten nicht auch unter Ludewig dem XIV.Erzehlungen, Gespräche,
Monologen, dem Tanze auf gleiche Weise zu
Auslegungen dienen? Der Tanz stammelte nur. Seine
schwachen und unartikulirten Töne brauchten noch von der Musick unterstützt, und von der Poesie erklärt zu werden, welches ohne Zweifel nicht viel besser war, als der Gebrauch des Herolds oder Ausrufers, dessen Augustinus
erwähnet. Es ist
wirklich sehr zu verwundern, mein Herr, daß die ruhmreiche
Epoche des Triumphs der schönen Künste, der Nacheiferung
und des Fortganges der Künstler, nicht zugleich auch die Epoche einer glücklichen Verbesserung des Tanzes und der Ballette gewesen ist; und daß unsere Meister, die der Beyfall, den sie sich in einem Jahrhunderte versprechen konnten, in welchem alles dem Genie aufhelfen zu wollen schien, nicht weniger hätte ermuntern und reitzen sollen, gleichwohl in ihrer Kraftlosigkeit und in dem Stande
einer schimpflichen
Mittelmäßigkeit verblieben sind. Sie wissen, daß die
Sprache der Mahlerey, der Poesie, der Bildhauerkunst, bereits
alle ihre Beredsamkeit, allen ihren Nachdruck hatte. Selbst die Musik, ob sie schon noch in der
Wiege war, fing an sich mit Würde auszudrücken. Nur der Tanz war ohne
Leben, ohne Charakter und ohne
Handlung. Wenn das Ballet der ältere Bruder
der übrigen Künste ist, so ist er es nur in so fern, als
er die Vollkommenheit von
ihnen allen in sich vereinigen kann. In dem elenden Zustande
aber, in welchem er sich itzt befindet, kann man ihm diese
Ehrenbezeugung unmöglich bewilligen; vielmehr müssen Sie
mir zugestehen, mein Herr, das
dieser ältere Bruder, so sehr
ihn auch dieNatur zu gefallen
bestimmte, eine sehr jämmerliche Figur macht, weder
Geschmack, noch Geist, noch Einbildungskraft zeigt,
und auf alle Weise die Gleichgültigkeit und Verachtung
seiner Schwestern verdienet. [↔] Wir wissen die Namen aller der berühmten Männer, die sich damals vorgethan haben; sogar die Namen der Sprünger, die
eine besondere Geschmeidigkeit und Behändigkeit zeigten: nur von den Namen
derjenigen, welche die
Ballete komponirten, ist uns sehr wenig zu Ohren gekommen;
was können wir uns also von ihren Talenten für einen besondern Begriff machen? Ich betrachte
alle Werke, die von dieser Gattung an den verschiednen
Höfen von Europa zum Vorschein
gekommen, als unvollständige Schattenrisse von dem, was sie heut zu Tage sind,
aber noch mehr von dem, was sie einmal werden können; und
halte es für sehr Unrecht, daß man diesen Namen den
kostbaren Schau spielen, den
glänzenden Festen gegeben hat, welche die Pracht der
Verzierungen, das Wunderbare der Maschinen, den Reichthum der Kleider, den Pomp des Kostume, die
Reitze der Poesie, der Musik und
der Deklamation, die
Bezauberungen der Stimme, das Blendende der Kunstfeuer und
Erleuchtungen, die
Annehmlichkeiten des Tanzes und der Ballette, die
Verwunderung über gefährliche Sprünge und künstliche
Aeuserungen von Stärke,
alles mit eins in sich vereinigten. Jedes von diesen Theilen macht ein eignes
Schauspiel, und alle zusammen machen
eines, das der größten Könige würdig ist; je
mannigfaltiger es war, desto angenehmer war es, weil jeder
Zuschauer sich an etwas
sättigen konnte, was seinem Geschmacke und
seinem Genie am gemäßesten war. Nur finde ich in alle diesem nichts, was ich in einem Ballete finden sollte. Frey von den Vorurtheilen meines
Standes, frey von allem Enthusiasmus, betrachte ich dieses
zusammengesetzte Schauspiel
als das Schauspiel der Abwechslung und Pracht, oder als
eine innige Verbindung der
liebenswürdigen Künste überhaupt, die alle einen gleichen
Rang darinn behaupten, die alle
einen gleichen Antheil an dem Programma, das darüber abgefaßt
ward, verlangen. Aber das kann ich nicht einsehen, warum
diese Lustbarkeiten ihren Namen von dem Tanze haben
sollen, der sich doch gar niche<t> in Handlung darinn
zeigt, der doch gar nichts sagt, und auch vor den übrigen Künsten nicht vorsticht,
die alle zur Verschönerung
derselben das ihrige eben sowohl beytragen. [↔] Das Ballet ist, nach dem Plutarch, eine stumme Unterredung,
ein belebtes und redendesGemählde, welches sich durch Bewegungen, Figuren und Gebehrden
ausdrückt. Dieser Figuren, sagt eben derselbe Verfasser,
sind unzählige, weil es unendlich viele Dinge giebt, welche das Ballet ausdrücken kann. Phrynichus, einer von den
ältesten tragischen Dichtern, sagte, daß das Meer, bey der
höchsten Fluth im Winter, nicht so viele Wällen habe, als das Ballet
verschiedne Züge und Figuren haben könne. [↔] Folglich kann ein wohleingerichtetes Ballet
die Hülfe der Worte gar wohl entbehren; ich habe sogar
bemerkt, daß sie die Handlung kalt machen und das Interesse schwächen.
Der Inhalt einer Pantomime, der, um verständlich zu seyn, nothwendig eine
Erzehlung, oder ein Gespräch erfordert, taugt nicht viel; und jedes Ballet, das ohne Verwicklung,
ohne lebhafte Handlung und Interesse ist, das mir nichts
als die mechanischen Schönheiten der Kunst zeigt, das bey
seinem schönen Titel mir nichts verständliches sagt,
gleichet jenen Bildnissen und Schildereyen, welche die
ersten Mahler machten, und unter die sie die Namen der Personen und die Auslegung der Handlung schreiben mußten, die sie mahlen und vorstellen wollen; so unvollkommen war die
Nachahmung, so übel ausgedrückt die Empfindung, so schlecht getroffen die Leidenschaft, so unrichtig
die Zeichnung, so unwahrscheinlich das Kolorit. Wenn der Tänzer, von einem innigen Gefühle
belebt, sich in tausend verschiedne Gestalten, mit den einer jeden, nach Beschaffenheit der Leidenschaft, gehörigen Zügen, werden
zu verwandeln wissen; wenn jeder
von ihnen ein Proteus seyn wird, und ihre Physiognomie und
ihre Blicke alle Bewegungen
ihrer Seele ausdrücken werden;
wenn ihre Arme sich aus den engen Schranken wagen werden,
die ihnen dieKunst
vorgeschrieben hat; wenn sie sich einen weitern Raum
erlauben, und sich in diesem mit eben so viel Reitz
alsWahrheit zu bewegen lernen werden; wenn sie, durch richtige Stellungen, alle auf einander folgende Regungen einer jeden Leidenschaft werden ausdrücken können; kurz, wenn sie Geist und Genie mit ihrer Kunst
verbinden werden: so werden sie in einem ganz andern
Glanze erscheinen; alle
Auslegungen werden unnütz werden; alles wird sprechen;
jede Bewegung wird eine Redensart seyn; jede Stellung
wird eine Situation schildern; jede Gebehrde wird einen
Gedanken enthüllen; jeder Blick wird eine neue
Empfindung ankündigen; alles wird
entzücken und täuschen, weil alles wahr ist,
weil die Nachahmung aus der Natur selbst geschöpft ist. [↔] Wenn ich allen diesen Prungfesten den Namen
der Ballette absprechen; wenn mir die meisten Opertänze,
so wohl sie mir auch übrigens gefallen, doch nicht das zu
haben scheinen, worinn nach meinem Begriffe das Wesen des Ballets besteht, so ist es nicht sowohl der Fehler des berühmten
Meisters, der sie komponirt hat, als der Fehler des Dichters. [↔] Das Ballet, es mag von einer Gattung seyn, von welcher es will, muß, nach dem Aristoteles, so wie ein Gedicht, zweyerley Theile haben, die er Theile der
Quantität, und Theile der
Qualität, nennet. Alle sinnliche Gegenstände haben ihre Materie, ihre Form und ihre Figur: folglich kann auch kein Ballet bestehen, wenn es nicht diese wesentliche Theile enthält, die
alle sowohl belebte als unbelebte Wesen haben müssen.
Seine Materie ist der Vorwurf, den man vorstellen will; seine Form ist die sinnreiche Wendung, die man ihm giebt, und seine Figur hängt
von den verschiednen Theile ab, aus welchen es zusammen
gesetzt ist. Seine Form macht also die Theile der Qualität, und seine Grösse, sein
Umfang, die Theile der Quantität aus. Und solchergestalt sind
die Ballette gewissermaaßen den
Regeln der Poesie unterworffen; doch unterscheiden sie sich von den Tragödien und Komödien
darinn, daß sie nicht verbunden sind die Einheit des Orts,
die Einheit der Zeit, und die Einheit der Handlung zu beobachten. Aber wohl müßen sie
unumgänglich eine Einheit der Absicht haben, damit die
Scenen unter einander verbunden
seyn, und alle zu einem Ziele abzwecken können. Das Ballet ist also zwar der
Bruder des Gedichts; nur das er den Zwang der engen
Regeln des Drama nicht vertragen kann, so wenig vertragen kann,
daß diese Fesseln, die sich das Genie anlegt und dadurch dem Geist Zwang anthut und die
Einbildungskraft einschränkt, ganz und gar
die Komposition des Ballets aufheben, und demselben die
Mannichfaltigkeit, darin eben seine Schönheit
besteht, rauben würden. [↔] Es ist freylich gut für einen Autor sich über alle Regeln wegzusetzen, nur muß er behutsam genug seyn die Freiheit
nicht zu misbrauchen, und die
Fallstrike zu meiden, die sie der Imagination stellt. Dieß ist ein sehr kritischer Punkt, haben sich doch die
berühmtesten englischen Dichter nicht dafür hüten können.
Dieser Unterschied zwischen Drama und Gedicht ist dem gar nicht zuwider, was ich in
meinen andern Briefen gesagt habe; denn beyde Gattungen der Poesie müssen doch eine
wie die andere eine Einleitung, einen Knoten, und eine Entwickelung
haben. [↔] Wenn ich zusammenfasse, was ich gesagt habe,
wenn ich damit die Gedanken der Alten von den Balletten vergleiche, wenn ich meine Kunst aus dem rechten Gesichtspunkt ansehe, ihre Schwierigkeiten erwäge, und bedenke
was sie ehedem war, was sie nun ist, und was sie werden
kann, wenn der Verstand ihr zu Hülfe kommt; so kann ich mich nicht so weit verblenden, den Tanz ohne Handlung,
ohne Regel, ohne Geist, ohne Interesse ein Ballet, oder ein Gedicht im Tanze zu nennen. Sagen, daß wir gar keine Ballette in der
Oper hatten, wäre mehr sagen, als wahr ist. Die Acte des Fleurs, acte d'Eglé in
den Talens lyriques, der Prolog
des Fêtes
grecques & Romaines, der türkische Akt aus der Europe
Galante, ein Akt unter andern von Castor und
Pollux und viele dergleichen darin der Tanz in Handlung ist, oder sehr leicht und
ohne Anstrengung des Genies von Seiten des Komponisten in Handlung gebracht werden kann, sind in der That
angenehme und sehr interessante Ballette; aber die
figurirten Tänze, die keine Bedeutung keinen Character und keine
bestimmte Handlung haben, keine zusammenhängende und
durchgeführte Intrigue schildern, kurtz, die nicht zum
Drama gehören, und die so zu reden aus den Wolken fallen, sind, wie ich schon gesagt habe, nach meinen Gedanken nichts als simple Tanzdivertissements, die mir nichts als
schwere abgezirkelte mechanische
Bewegungen der Kunst
auskramen. Alles dieses ist aber blosses Material, es ist reines Gold, wenn Sie wollen,
das nur einen sehr mässigen Werth hat, wenn die Erfindungskraft des Künstlers es nicht behandelt, und ihm tausend neue Gestalten gibt; dieses
kann den geringfüggigsten Dingen
einen unschätzbaren Werth geben, und dem gemeinen Thon mit
einem kühnen Zuge das Siegel der Unsterblichkeit
aufdrücken. [↔] Es bleibet also dabey, daß es in der That
wenige zusammenhängende Ballette giebt; daß der Tantz eine
schöne allerliebst geformte Statue sey, die so wohl durch
ihre Umrisse, als durch ihre anmuthige und edle Stellung
den Blick reitzt, daß ihr aber eine Seele fehle. Kenner sehen sie so
an, als Pygmalion das Werk seiner Hände, und wünschen eben
so herzlich als er, daß Empfindung sie
beleben, Genie sie begeistern, und die Begeisterung sie den Ausdruck lehren möge. Ich bin etc.
Siebender Brief.
[↔] Was sagen Sie, mein Herr, zu allen
den Titeln, mit welchen man täglich jene
elenden Lustbarkeiten ausschmücket, die gewissermaaßen der Langenweile geheiliget sind,
und denen nichts als Kälte und Melancholienachfolgt? Man nennt sie alle
pantomimische Ballette, ob sie gleich in der That wenig oder nichts sagen. Die meisten Tänzer und Kompositeurs sollten den Gebrauch
annehmen, den die Mahler in den Jahrhunderten
der Unwissenheit hatten; anstatt
des mahlerischen Ausdruckes bedienten sie sich schmaler
Papierstreife, die aus dem
Munde der Personen gingen, und auf welchen die
Handlung oder Empfindung, die jede haben oder äußern sollte, geschrieben war. Diese nützliche Vorsicht,
welche den Betrachter auf die Idee des Mahlers half, die in der unvollkommnen
Ausführung so unverständlich
geblieben war, würde bey den mechanischen und unbestimmten
Bewegungen unserer Pantomimen eben
so gute Dienste leisten können. Das sinnreiche Gespräch in den Pas de deux, die
angenehmen Betrachtungen in den Soloentreen, die zu sammenhangende Unterredung
der Figuranten und Figurantinnen heutiges Tages, würden
bald erkläret seyn. Ein Blumenstrauß, ein Rechen, ein Vogelbauer, eine Leyer oder
eine Guitarre: das ist es ungefehr alles, was den Stoff zu
den Intriguen unsrer prächtigen Ballette giebt; das sind
die grossen und erhabnen
Gegenständen, welche der schöpferische Geist unsrer Kompositeurs hervor bringt.
Bekennen sie nur, mein Herr, daß ein sehr besonders Talent
dazu gehöret, sie nach Würden zu behandeln. Ein kleiner
Schritt, auf der Spitze des Fußes schlecht genug gehüppelt, dient diesen
Meisterstücken zur Einleitung,
zum Knoten, und zur Entwicklung. Das heißt so viel, als:
wollt ihr mit mir tanzen? und dann tanzen sie. Solche
sinnreiche Dinge sind es,
mit denen man uns, unter den Namen der Ballette von
Erfindung, der pantomimischen Tänze,
abspeiset. Doch ihre Verfasser — mögen sie doch nur
ruhig fortkriechen! Flügel sind eine unschickliche Zierde und ganz unnütze Werkzeuge für den, der sich nicht aus eignen Kräften erheben, der sich
seinen Glanz nicht selbst geben kann, sondern ihn, wie die
leuchtenden Würmchen, den Schatten und der Dunkelheit
verdanken muß. [↔] Fossan, der
angenehmste und sinnreichste von allen komischen Tänzern,
hat den Schülern der Terpsichore den Kopf verrückt; alle
haben ihm nachahmen wollen, wenn sie ihn auch
schon nicht gesehen hatten. Man hat die edle
Gattung der niedrigen aufgeopfert; man hat
das Joch der Regeln abgeschüttelt; man hat
sich der Sprünge, der gewaltsamen Hebungen und Wendungen,
beflissen; kurtz, man hat aufgehört zu tanzen, und hat
sich Pantomime zu seyn eingebildet: als ob man sich so nennen könnte, wenn man ganz und
gar keinen Ausdruck hat; wenn man schlechterdings nichts mahlt; wenn der
Tanz durch die gröbsten Uebertreibungen gänzlich entstellt
wird; wenn er sich auf die häßlichstenVerrenkungen einschränkt; wenn
das Gesicht widersinnige Grimassen schneidet; wenn endlich
die Handlung, die durchaus Reitz und
Anstand begleiten sollte,
nichts als eine Folge wiederholter Anstrengungen ist, die
dem Zuschauer so
viel unangenehmer sind, da er bey der mühsamen und
gezwungnen Arbeit des Ausführers nicht anders als selbst
leiden kann. Gleichwohl, mein Herr, ist das die Gattung,
die im Besitze des Theaters ist; und von der wir, welches nicht zu leugnen, so viele und mancherley Muster haben. Diese Raserey
nachzuahmen was nicht nachzuahmen ist, hat uns schon um so
viele Tänzer und Balletmeister gebracht, und wird uns noch
um mehrere bringen. Eine vollkommneNachahmungverlangt, daß man selbst den
nehmlichen Geschmack, die nehmlichen Fähigkeiten, den
nehmlichen Bau, die nehmliche Einsicht, die nehmlichen
Organa habe, welche das Original
hat, das man sich zur Nachahmung vorstellet. So wenig man also zwey Wesen finden
kann, die einander vollkommen gleich sind, so selten
werden sich auch zwey Menschen finden, deren Talente, Art
und Manier völlig eben dieselben wären. Die Vermischung
der Kabriole mit dem schönern
Tanze, hat den Charakter desselben verdorben und seinen
Adel erniedriget; durch diesen Zusatz wird sein Werth nothwendig geringer, denn er ist, wie ich in dem Folgenden erweisen werde, denn lebhaften Ausdrücken und der beseelten Handlung gänzlich zuwider, die er
haben könnte, wenn er sich von allen den unnützen Dingen
frey machte, die er mit zu seinen Vollkommenheiten rechnet. Es
ist nicht erst seit gestern Mode, daß man den Namen eines
Ballets figürlichen Tänzen giebt, die weiter nichts als Lustbarkeiten zu heissen verdienen; man hat schon vor längst diesen Titel an die Prungfeste verschwendet, welche an
den verschiednen Europäischen Höfen angestellet wurden.
Ich habe aber diese Feste untersucht, und bin überzeugt, das er ihnen nicht zukömmt. Ich habe den Tanz in Handlung nie darinn wahrgenommen; weitläuftige Erzehlungen mußten
den Mangel des Ausdrucks der Tänzer ersetzen, um den Zuschauer von dem, was
vorgestellet werden sollte, zu unterrichten; und dieses
zeiget genugsam von der Unwissenheit ihrer Angeber, und von den kalten nichts
sagenden Bewegungen ihrer Ausführer. Bereits im dritten Jahrhunderte
fing man an, die Monotonie dieser Kunst und die
Nachläßigkeit ihrer Künstler zu spüren. Der H. Augustinus selbst sagt, wenn er von
Balletten redet, das man genöthiget gewesen, jemanden vorne an die Scene zu stellen, welcher die Handlung, die gemahlet werden sollen, mit lauter Stimme
erklären müssen. Und mußten nicht auch unter Ludewig dem XIV.Erzehlungen, Gespräche,
Monologen, dem Tanze auf gleiche Weise zu
Auslegungen dienen? Der Tanz stammelte nur. Seine
schwachen und unartikulirten Töne brauchten noch von der Musick unterstützt, und von der Poesie erklärt zu werden, welches ohne Zweifel nicht viel besser war, als der Gebrauch des Herolds oder Ausrufers, dessen Augustinus
erwähnet. Es ist
wirklich sehr zu verwundern, mein Herr, daß die ruhmreiche
Epoche des Triumphs der schönen Künste, der Nacheiferung
und des Fortganges der Künstler, nicht zugleich auch die Epoche einer glücklichen Verbesserung des Tanzes und der Ballette gewesen ist; und daß unsere Meister, die der Beyfall, den sie sich in einem Jahrhunderte versprechen konnten, in welchem alles dem Genie aufhelfen zu wollen schien, nicht weniger hätte ermuntern und reitzen sollen, gleichwohl in ihrer Kraftlosigkeit und in dem Stande
einer schimpflichen
Mittelmäßigkeit verblieben sind. Sie wissen, daß die
Sprache der Mahlerey, der Poesie, der Bildhauerkunst, bereits
alle ihre Beredsamkeit, allen ihren Nachdruck hatte. Selbst die Musik, ob sie schon noch in der
Wiege war, fing an sich mit Würde auszudrücken. Nur der Tanz war ohne
Leben, ohne Charakter und ohne
Handlung. Wenn das Ballet der ältere Bruder
der übrigen Künste ist, so ist er es nur in so fern, als
er die Vollkommenheit von
ihnen allen in sich vereinigen kann. In dem elenden Zustande
aber, in welchem er sich itzt befindet, kann man ihm diese
Ehrenbezeugung unmöglich bewilligen; vielmehr müssen Sie
mir zugestehen, mein Herr, das
dieser ältere Bruder, so sehr
ihn auch dieNatur zu gefallen
bestimmte, eine sehr jämmerliche Figur macht, weder
Geschmack, noch Geist, noch Einbildungskraft zeigt,
und auf alle Weise die Gleichgültigkeit und Verachtung
seiner Schwestern verdienet. [↔] Wir wissen die Namen aller der berühmten Männer, die sich damals vorgethan haben; sogar die Namen der Sprünger, die
eine besondere Geschmeidigkeit und Behändigkeit zeigten: nur von den Namen
derjenigen, welche die
Ballete komponirten, ist uns sehr wenig zu Ohren gekommen;
was können wir uns also von ihren Talenten für einen besondern Begriff machen? Ich betrachte
alle Werke, die von dieser Gattung an den verschiednen
Höfen von Europa zum Vorschein
gekommen, als unvollständige Schattenrisse von dem, was sie heut zu Tage sind,
aber noch mehr von dem, was sie einmal werden können; und
halte es für sehr Unrecht, daß man diesen Namen den
kostbaren Schau spielen, den
glänzenden Festen gegeben hat, welche die Pracht der
Verzierungen, das Wunderbare der Maschinen, den Reichthum der Kleider, den Pomp des Kostume, die
Reitze der Poesie, der Musik und
der Deklamation, die
Bezauberungen der Stimme, das Blendende der Kunstfeuer und
Erleuchtungen, die
Annehmlichkeiten des Tanzes und der Ballette, die
Verwunderung über gefährliche Sprünge und künstliche
Aeuserungen von Stärke,
alles mit eins in sich vereinigten. Jedes von diesen Theilen macht ein eignes
Schauspiel, und alle zusammen machen
eines, das der größten Könige würdig ist; je
mannigfaltiger es war, desto angenehmer war es, weil jeder
Zuschauer sich an etwas
sättigen konnte, was seinem Geschmacke und
seinem Genie am gemäßesten war. Nur finde ich in alle diesem nichts, was ich in einem Ballete finden sollte. Frey von den Vorurtheilen meines
Standes, frey von allem Enthusiasmus, betrachte ich dieses
zusammengesetzte Schauspiel
als das Schauspiel der Abwechslung und Pracht, oder als
eine innige Verbindung der
liebenswürdigen Künste überhaupt, die alle einen gleichen
Rang darinn behaupten, die alle
einen gleichen Antheil an dem Programma, das darüber abgefaßt
ward, verlangen. Aber das kann ich nicht einsehen, warum
diese Lustbarkeiten ihren Namen von dem Tanze haben
sollen, der sich doch gar niche<t> in Handlung darinn
zeigt, der doch gar nichts sagt, und auch vor den übrigen Künsten nicht vorsticht,
die alle zur Verschönerung
derselben das ihrige eben sowohl beytragen. [↔] Das Ballet ist, nach dem Plutarch, eine stumme Unterredung,
ein belebtes und redendesGemählde, welches sich durch Bewegungen, Figuren und Gebehrden
ausdrückt. Dieser Figuren, sagt eben derselbe Verfasser,
sind unzählige, weil es unendlich viele Dinge giebt, welche das Ballet ausdrücken kann. Phrynichus, einer von den
ältesten tragischen Dichtern, sagte, daß das Meer, bey der
höchsten Fluth im Winter, nicht so viele Wällen habe, als das Ballet
verschiedne Züge und Figuren haben könne. [↔] Folglich kann ein wohleingerichtetes Ballet
die Hülfe der Worte gar wohl entbehren; ich habe sogar
bemerkt, daß sie die Handlung kalt machen und das Interesse schwächen.
Der Inhalt einer Pantomime, der, um verständlich zu seyn, nothwendig eine
Erzehlung, oder ein Gespräch erfordert, taugt nicht viel; und jedes Ballet, das ohne Verwicklung,
ohne lebhafte Handlung und Interesse ist, das mir nichts
als die mechanischen Schönheiten der Kunst zeigt, das bey
seinem schönen Titel mir nichts verständliches sagt,
gleichet jenen Bildnissen und Schildereyen, welche die
ersten Mahler machten, und unter die sie die Namen der Personen und die Auslegung der Handlung schreiben mußten, die sie mahlen und vorstellen wollen; so unvollkommen war die
Nachahmung, so übel ausgedrückt die Empfindung, so schlecht getroffen die Leidenschaft, so unrichtig
die Zeichnung, so unwahrscheinlich das Kolorit. Wenn der Tänzer, von einem innigen Gefühle
belebt, sich in tausend verschiedne Gestalten, mit den einer jeden, nach Beschaffenheit der Leidenschaft, gehörigen Zügen, werden
zu verwandeln wissen; wenn jeder
von ihnen ein Proteus seyn wird, und ihre Physiognomie und
ihre Blicke alle Bewegungen
ihrer Seele ausdrücken werden;
wenn ihre Arme sich aus den engen Schranken wagen werden,
die ihnen dieKunst
vorgeschrieben hat; wenn sie sich einen weitern Raum
erlauben, und sich in diesem mit eben so viel Reitz
alsWahrheit zu bewegen lernen werden; wenn sie, durch richtige Stellungen, alle auf einander folgende Regungen einer jeden Leidenschaft werden ausdrücken können; kurz, wenn sie Geist und Genie mit ihrer Kunst
verbinden werden: so werden sie in einem ganz andern
Glanze erscheinen; alle
Auslegungen werden unnütz werden; alles wird sprechen;
jede Bewegung wird eine Redensart seyn; jede Stellung
wird eine Situation schildern; jede Gebehrde wird einen
Gedanken enthüllen; jeder Blick wird eine neue
Empfindung ankündigen; alles wird
entzücken und täuschen, weil alles wahr ist,
weil die Nachahmung aus der Natur selbst geschöpft ist. [↔] Wenn ich allen diesen Prungfesten den Namen
der Ballette absprechen; wenn mir die meisten Opertänze,
so wohl sie mir auch übrigens gefallen, doch nicht das zu
haben scheinen, worinn nach meinem Begriffe das Wesen des Ballets besteht, so ist es nicht sowohl der Fehler des berühmten
Meisters, der sie komponirt hat, als der Fehler des Dichters. [↔] Das Ballet, es mag von einer Gattung seyn, von welcher es will, muß, nach dem Aristoteles, so wie ein Gedicht, zweyerley Theile haben, die er Theile der
Quantität, und Theile der
Qualität, nennet. Alle sinnliche Gegenstände haben ihre Materie, ihre Form und ihre Figur: folglich kann auch kein Ballet bestehen, wenn es nicht diese wesentliche Theile enthält, die
alle sowohl belebte als unbelebte Wesen haben müssen.
Seine Materie ist der Vorwurf, den man vorstellen will; seine Form ist die sinnreiche Wendung, die man ihm giebt, und seine Figur hängt
von den verschiednen Theile ab, aus welchen es zusammen
gesetzt ist. Seine Form macht also die Theile der Qualität, und seine Grösse, sein
Umfang, die Theile der Quantität aus. Und solchergestalt sind
die Ballette gewissermaaßen den
Regeln der Poesie unterworffen; doch unterscheiden sie sich von den Tragödien und Komödien
darinn, daß sie nicht verbunden sind die Einheit des Orts,
die Einheit der Zeit, und die Einheit der Handlung zu beobachten. Aber wohl müßen sie
unumgänglich eine Einheit der Absicht haben, damit die
Scenen unter einander verbunden
seyn, und alle zu einem Ziele abzwecken können. Das Ballet ist also zwar der
Bruder des Gedichts; nur das er den Zwang der engen
Regeln des Drama nicht vertragen kann, so wenig vertragen kann,
daß diese Fesseln, die sich das Genie anlegt und dadurch dem Geist Zwang anthut und die
Einbildungskraft einschränkt, ganz und gar
die Komposition des Ballets aufheben, und demselben die
Mannichfaltigkeit, darin eben seine Schönheit
besteht, rauben würden. [↔] Es ist freylich gut für einen Autor sich über alle Regeln wegzusetzen, nur muß er behutsam genug seyn die Freiheit
nicht zu misbrauchen, und die
Fallstrike zu meiden, die sie der Imagination stellt. Dieß ist ein sehr kritischer Punkt, haben sich doch die
berühmtesten englischen Dichter nicht dafür hüten können.
Dieser Unterschied zwischen Drama und Gedicht ist dem gar nicht zuwider, was ich in
meinen andern Briefen gesagt habe; denn beyde Gattungen der Poesie müssen doch eine
wie die andere eine Einleitung, einen Knoten, und eine Entwickelung
haben. [↔] Wenn ich zusammenfasse, was ich gesagt habe,
wenn ich damit die Gedanken der Alten von den Balletten vergleiche, wenn ich meine Kunst aus dem rechten Gesichtspunkt ansehe, ihre Schwierigkeiten erwäge, und bedenke
was sie ehedem war, was sie nun ist, und was sie werden
kann, wenn der Verstand ihr zu Hülfe kommt; so kann ich mich nicht so weit verblenden, den Tanz ohne Handlung,
ohne Regel, ohne Geist, ohne Interesse ein Ballet, oder ein Gedicht im Tanze zu nennen. Sagen, daß wir gar keine Ballette in der
Oper hatten, wäre mehr sagen, als wahr ist. Die Acte des Fleurs, acte d'Eglé in
den Talens lyriques, der Prolog
des Fêtes
grecques & Romaines, der türkische Akt aus der Europe
Galante, ein Akt unter andern von Castor und
Pollux und viele dergleichen darin der Tanz in Handlung ist, oder sehr leicht und
ohne Anstrengung des Genies von Seiten des Komponisten in Handlung gebracht werden kann, sind in der That
angenehme und sehr interessante Ballette; aber die
figurirten Tänze, die keine Bedeutung keinen Character und keine
bestimmte Handlung haben, keine zusammenhängende und
durchgeführte Intrigue schildern, kurtz, die nicht zum
Drama gehören, und die so zu reden aus den Wolken fallen, sind, wie ich schon gesagt habe, nach meinen Gedanken nichts als simple Tanzdivertissements, die mir nichts als
schwere abgezirkelte mechanische
Bewegungen der Kunst
auskramen. Alles dieses ist aber blosses Material, es ist reines Gold, wenn Sie wollen,
das nur einen sehr mässigen Werth hat, wenn die Erfindungskraft des Künstlers es nicht behandelt, und ihm tausend neue Gestalten gibt; dieses
kann den geringfüggigsten Dingen
einen unschätzbaren Werth geben, und dem gemeinen Thon mit
einem kühnen Zuge das Siegel der Unsterblichkeit
aufdrücken. [↔] Es bleibet also dabey, daß es in der That
wenige zusammenhängende Ballette giebt; daß der Tantz eine
schöne allerliebst geformte Statue sey, die so wohl durch
ihre Umrisse, als durch ihre anmuthige und edle Stellung
den Blick reitzt, daß ihr aber eine Seele fehle. Kenner sehen sie so
an, als Pygmalion das Werk seiner Hände, und wünschen eben
so herzlich als er, daß Empfindung sie
beleben, Genie sie begeistern, und die Begeisterung sie den Ausdruck lehren möge. Ich bin etc. [↔]
[↔] Ein Balletmeister, der Opernballette
komponiren soll, müßte aller
dings nach meiner Meynung ein grosses und
poetischesGeniehaben. Aktion in den Tanz
bringen, Scenen erfinden, die dem Drama analogisch sind,
und sie in die Süjets hineinpassen, da Schöpfer werden, wo das Genie des Poeten unfruchtbar gewesen war, und
endlich alle Lücken und Mängel in ihren Werken ausfüllen
und ausbilden, das ist das Feld, das der Komponist bearbeiten muß, und darin
er sich über den Pöbel solcher Balletmeister erheben kann,
die Wunderdinge meinen gethan zu haben, wenn sie Pas und Figuren angeordnet, darinn man weiter nichts sieht, als Zirkel, Vierecke, grade Linien, Räder und Ketten. [↔] Die Oper ist bloß für die Augen und Ohren,
sie soll mehr durch Abänderung und Mannichfaltigkeit vergnügen, als ein
Schauspiel für den Verstand und fürs Herz
seyn. Man könnte ihr indessen
eine interessantere Gestalt und Charakter geben: doch
diese Materie ist von meiner Kunst und von
dem Gegenstande, den ich behandle, zu entfernt, ich
überlasse sie daher solchen Köpfen, die der Monotonie, der
Feyerie und der Langenweile abzuhelfen wissen, die das Wunderbare mit sich schleppt, und
begnüge mich bloß zu sagen,
daß der Tanz in diesemSchauspiele in ein vortheilhafteres Licht
gesetzt werden müßte, ja, was noch mehr ist, daß selbst
die Oper sein Element sey, und er sich eben da hervorthun und in seinen vortheilhaftesten Lichte zeigen sollte.
Aber durch ein Unglück, woran der Eigensinn oder die Unschicklichkeit der Poeten
schuld ist, hängt der Tanz mit diesen Schauspielen nicht
zusammen, und sagt nichts; er ist in tausend Umständen dem Süjet so wenig angemessen, und so unabhängig vom Drama,
daß man ihn ganz weglassen kann,
ohne das Interesse zu schwächen, ohne die Fortschreitung
der Scenen zu unterbrechen, und
die Action kälter zu machen. Die meisten neuern Poeten
bedienen sich der Ballette, als eines blossen Zierrahts
der Fantasie, die ihrem Werke
weder neuen Werth noch Schmuck geben kann; sie sehen, so
zu sagen, die Divertissements,
damit sich die Acten schliessen, als so viele artig
gezeichnete und künstlich gemahlte Streifen an, wodurch
sie ohne andre Absicht ihre Gemählde Abtheilen. Welch ein Irrthum! oder um es gerade zu sagen, welch eine Unwissenheit!
Ein Drama ist nichts anders, als ein grosses Gemählde,
das nach und nach und schnell hinter einander eine Menge kleinerer darstellen soll, ist es nun aber nicht thöricht, dieses grosse Gemählde zu zerschneiden, die Folge desselben zu unterbrechen, den Fortgang der Intrigue
zu hemmen, und das ganze und die Harmonie
desselben zu zerstören? diese der Handlung
fremde Zusätze und Episoden
schaden dem Werke; diese wiedersprechende und allemal
abgerissene Gegenstände, dieß
Chaos von übel verbundenen Sachen theilen die
Aufmerksamkeit, und ermüden die
Einbildungskraft mehr als sie solche befriedigen: sogleich verschwindet der
Plan des Verfassers, der Faden verliert sich und wird zerrissen, die Handlung verschwindet, das Interesse nimmt ab, und das Vergnügen ist dahin. Die Opernballette werden so
lange kalt und unangenehm seyn, als sie nicht genau mit dem Drama verbunden werden,
und nicht zu seiner Einleitung, zu seinem Knoten und zu
seiner Entwickelung das Ihrige beytragen. Jedes Ballet sollte, meiner Meynung nach,
eine Scene geben, die den ersten Akt mit den zweyten, den
zweyten mit dem dritten u. s. w.
auf das allergenaueste verbände und zusammenknüpfte. Diese
Scenen die zur Fortschreitung des Drama unumgänglich nöthig wären, würden beseelt
und voll Sinn seyn. Die Tänzer würden gezwungen werden, ihren mechanischen Gang
aufzugeben und einen gewissen Enthusiasmus anzunehmen, um ihre Rollen mitWahrheit und
Richtigkeit zu machen; sie würden gezwungen seyn, auf gewisse weise ihre Füsse und Schenkel zu vergessen, und auf ihre Physiognomie und
Gebehrden zu denken; jedes
Ballet wäre ein Gedicht das den Akt auf eine glückliche
weise schlösse; der Poet müße diese, aus dem Innern des
Drama geschöpften Gedichte
schreiben, der Musikus sie treu übersetzen, und die Tänzer sie
durch ihre Gestus recitiren und sie mit nachdruck vortragen. Auf die Weise würde in den Operntänzen nichts Leeres nichts Un nn<n>ützes, nichts
Langweiliges noch Kaltes seyn; alles wäre bedeutend und
beseelt, alles zielte auf einen gemeinschaftlichen Zweck
ab; alles würde täuschen, weil alles voll
Geist wäre, und in einem vortheilhafteren
Licht erschiene, alles würde endlich die
Illusion befördern und interessant seyn, weil
alles zusammenstimmte, und alle Theile, die ein jeder an
seinem rechten Ort stünden, sich
forthülfen, und sich wechselsweise einander Nachdruck
gäben. [↔] Ich habe es nimmer bedaurt, mein Herr, daß
Hr. Rameau und Hr. Quinault ihre Talente nicht vereinigt haben; sie würden einer für den andern gemacht gewesen seyn, denn beyde waren schöpferisch und unnachahmlich; aber das Vorurtheil, die Sprache der Kenner ohne Kentniße, die
albernen Einfälle titelführender Dumköpfe, die von allen Künsten in einem stolzen und entscheidenden Tone sprechen, ohne von
einer den geringsten Begriff zu
haben; des Schreyen und Lärmen
wichtigthuender Subalternen, dieser herumgehenden Wesen, die mit ihrem Denken Thun und Reden Leuten vom Bonton nachahmen, die zischen und
klatschen, ohne gesehen und
gehört zu haben; auch die Halbgelehrten, die zwar selbst nichts wissen, aber doch
für den grossen Haufen den Ton angeben, giftige Raupen, die den Künsten schädlich sind,
und das Genie entblättern,
würden, wenn sie nicht zertreten würden so bald sie sich
an dessen äusserste Zweige
anhängen, endlich die Menge der Anhänger und Gönner, die
selbst wieder um Beyfall betteln, die das Echo aller Lächerlichkeiten und der privilegirten Unwissenheit unserer Petitmaitres sind, die selbst nicht
Geschmack und Einsicht genug zum Urtheilen haben, immer mit ihren
Vergleichungen angezogen
kommen, und auf diese Weise oft den grossen Mann
demüthigen; alles dieses hat dem
Herrn Rameau ein solches
Unternehmen verleidet und
ihn vermocht die grossen Ideen fahren zu lassen, die er
haben mochte. Hierzu kommen noch die mancherley Verdrießlichkeiten, die die Directeurs
der Oper einem jeden Autor machen. Man scheint ihnen
strafbar und profan, wenn
man nicht einen so gotischenGeschmack hat als sie, wenn man nicht
einfältig genug ist, die alten Gesetze dieses Schauspiels
und jeden alten Schlendrian gutwillig anzunehmen, an die sie von Vater auf Sohn
gewöhnt sind. Kaum ist es einem Balletmeister erlaubt, das
Tempo einer alten Tanzmelodie zu verändern; vergebens sagt
man ihnen, daß unsere Vorfahren eine simple Execution hatten, daß die
langsahmen Stücke sich zu
ihrer schläfrigen und pflegmatischen Ausführung schickten — sie kennen
die alten Tempos, sie wissen den Tackt zu schlagen; diese
Leute haben nichts weiter als Gehör, und sie können den
Vorstellungen nichts nachgeben die eine verschönerte Kunst
ihnen machen kann; sie betrachten alles von dem Fleck wo sie sind stehen geblieben, und können dem Genie in der
unermeßlichen Bahn, die es durchlaufen ist, nicht folgen.
Unterdessen hat der Tanz
seit einiger Zeit, durch den erhaltenen Beyfall und Schutz
ermuntert, sich von dem Zwange, den ihm die Musik anthun wollte, frey gemacht.
Hr. Lany läst nicht allein die Melodien in dem wahren Geschmacke spielen sondern er
macht auch neue zu den alten Opern; an die Stelle der
einfachen monotonischen
Melodien von Lülly setzt er Stücke voll Ausdruck und Mannigfaltigkeit. [↔] Die Italiener sind in diesem Punckt viel klüger gewesen als wir. Ihrer alten Musik sind sie nicht sehr getreu, aber desto getreuer ihrem Metastasio, sie haben ihn von allen Kapell meistern
die Talente haben, komponiren lassen, und thun es noch
täglich. Die Deutschen Höfe, Spanien, Portugal und England haben dieselbe Achtung für
diesen grossen Dichter beybehalten. Die Musik
variirt unendlich, und die Worte, ob sie gleich immer dieselben sind, haben doch
allemal den Werth der Neuheit; jeder Musikus giebt diesem Dichter neuen Ausdruck
und neue Anmuth; einer
vernachläßiget diese oder jene Empfindung, ein anderer verschönert sie; dieser schwächt einen gewissen Gedanken und
jener trägt ihn mit Nachdruck
vor; der schöne Vers wird durch Graun
(*) matt gemacht, und Hasse (**) mahlt
ihn mit Feuer und Genie.
2
3
Nicht der Tanz allein, sondern alle andern Künste, die zur Schönheit und Vollkommenheit der Oper etwas beytragen, würden unendlich dabey gewonnen
haben, wenn der berühmteRameau, ohne die Nestors
seiner Zeit und den Schwarm von Leuten, die nichts über
Lülly kennen, zu beleidigen, die
Meisterstücke des Vaters und Schöpfers der lyrischen
Poesie hätte in Musik setzen
können. Dieser Mann hatte ein uneingeschränktes und erhabnes Genie und umfaßte alle
Theile mit einmal; seine Kompositions sind oder können
doch leicht der Triumph der Künste werden; alles ist groß,
alles harmonisch; jeder Artist, wenn er mit diesem Autor gemeinschaftliche Sache macht, kann Meisterstücke von verschiedner Art hervorbringen. Musikus, Balletmeister, Sänger und Tänzer, Chöre, Mahler, Erfinder der Dekoration, Kleidungen und Maschinerie können alle Antheil an seinem
Ruhme haben. Ich behaupte keinesweges, daß der Tanz in
allen Opern von Quineault durchaus nach der Natur eingerichtet und immer in
Handlung sey; aber es wäre leicht, das zu ersetzen, was der Dichter versäumt hat, und das vollends auszubilden, was man bloß als die ersten Einfälle ansehn muß, die er nur so hingeworfen. [↔] Und sollte ich mir auch eine Menge sechszigjähriger Feinde machen, so muß ich es sagen,
daß die Tanzmusik des Lülly kalt, langweilig und ohne Charakter ist:
sie ist freilich zu einer Zeit gemacht, wo der Tanz ruhig
war, und die Tänzer ganz und gar das nicht kannten, was man Ausdruck nennt. Also war alles
vortreflich; die Musik war für den Tanz gemacht, und der Tanz für die Musik; aber was dazumal zusammen paßte läßt sich Heut zu Tage nicht mehr paaren. Die Pas sind vielfältiger
geworden, die Bewegungen sind
schnell, und folgen geschwind aufeinander; die
Verknüpfungen und Vermischung der Tempos sind unendlich;
die Schwierigkeiten, die Cabriolen, das Glänzende, die Geschwindigkeit, die
Ruhe, die Unentschlossenheiten, die Kräftigen Stellungen, die veränderten Positions,
alles dieses, sage ich, kann sich unmöglich mit der ruhigen Musik und der einförmigen Melodie, die durchgängig in den
Kompositions der alten Meister herrscht vereinigen lassen.
Der Tanz nach einigen Melodien des Lülly macht bey mir eben den
Eindruck, den die beyden Dokters in MolierensMariage Forcé machen. Dieser
Kontrast einer äußersten Geläufigkeit und eines
unbeweglichen Pflegma bringt bey mir einerley Wirkung hervor. Solche Beleidigende Widersinnigkeiten dürfen
gar nicht aufs Theater gebracht werden, sie vernichten die
Anmuth und Harmonie, und machen daß das Gemählde kein Ganzes mehr bleibt. [↔] Die Musike ist beym Tanz, was die Worte bey der Musik sind; diese
Vergleichung will nichts weiter sagen, als daß die Tanzmusik das geschriebene
Gedicht ist oder seyn, und mithin die Bewegungen und Handlung des Tänzers festsetzen und bestimmen sollte; dieser soll also das Gedicht recitiren, und durch die Energie und Wahrheit seiner Gebehrden, durch den lebendigen und
beseelten Ausdruck seiner
Physiognomie verständlich machen; der Tanz ist folglich das Organ, das die
vorgeschriebenen Ideen der Musik ausdrükken und hinlänglig erklären soll. [↔] Man kann sich nichts lächerlichers denken, als eine Oper ohne Worte; stellen Sie sich die Scene vom Antonin
Caracalla in dem kleinen Stücke de la Nouveaute vor, und nehmen Sie an, daß der Dialog der vorhergeht, nicht da sey, würde man
das geringste aus der blossen Handlung der Sänger
verstehen können? Nun gut,
mein Herr, der Tanz ohne Musik ist nicht
verständlicher, als der Gesang ohne Worte; es ist eine Art von Raserey, alle seine Bewegungen sind wild und haben
keine Bedeutung. Kühne und glänzende Pas machen; nach
einer kalten und monotonischen Melodie auf dem Theater so schnell als leicht herum tanzen, das nenne ich Tanz ohne Musik. Der mannigfaltigen
und harmonischen Musik des Herrn Rameau, den Meisterzügen und sinnreichen
Unterredungen in seinen
Arien hat der Tanz sein ganzes Fortkommen zu danken.
Seitdem dieser Schöpfer einer gelehrten aber allemal
angenehmen und
schmeichelnden Musik erschien, ist der Tanz von neuem
aufgeweckt und hat sich aus der Schlafsucht herausgerissen, worin er begraben lag.
Was würde Rameau nicht
gethan haben, wenn die Gewohnheit, sich wechselsweise zu
Rathe zu ziehen bey der Oper Mode gewesen wäre; wenn der
Poet und Balletmeister ihm ihre
Ideen mitgetheilet, wenn mann sich die Mühe genommen
hätte, ihm einen Grundriß von der Handlung
des Tanzes, von den Leidenschaften, die er in
einem zusammenhängenden Süjet
nach einander schildern, und von den
Gemählden die er in dieser oder jener
Situation vorstellen sollte gegeben hätte! Alsdann hätte die Musik den
Charakter des Ge dichts gehabt, und die
Ideen des Poeten ausgedrückt;
dann wäre sie redend und expressiv geworden, und der Tänzer wäre gezwungen gewesen ihre Züge zu erhaschen,
Mannichfaltigkeit anzunehmen und auch das Seinige zur
Vollendung des Gemähldes
beyzutragen. Diese Harmonie
zwischen zwo so nah verwandten Künsten würde einen äusserst täuschenden und bewundernswürdigen Effect gethan
haben; aber durch eine unglückliche Wirkung der Eigenliebe
meiden sich die Artisten
sorgfältig statt sich kennen zu lernen und statt sich
gemeinschaftlich zu besprechen.
Wie ist es möglich, daß ein so sehr zusammengesetztes
Schauspiel, als eine Oper ist, gerathen
kann, wenn die Artisten für ihre
verschiedene wesentlichen Theile, arbeiten, ohne sich
einander ihre Ideen mitzutheilen? [↔] Der Poet bildet sich ein, daß seine Kunst ihn weit über den Musikum wegsetze, und
dieser würde glauben, sich
etwas zu vergeben, wenn er den Balletmeister zu Rath zöge;
der Dekorationsmahler spricht mit niemand als mit den Mahlern die unter ihm stehen, und der Maschienenmeister, den der Mahler oft verachtet, hat allein über die Veränderungen des Theaters zu gebieten. Wenn der Poet
sich nur ein wenig herabliesse, so würde er den Ton angeben, und die Sachen würden eine
ganz andre Gestalt gewinnen; aber er hört nichts, als was
ihm seine Muse eingiebt, und da er die übrigen Künste
verachtet; so kann er nur eine sehr unvollständige Idee
davon haben. Er weiß weder dir
Wirkung die eine jede derselben insbesondre hervorbringen
kann, noch was ihre Vereinigung und Harmonie vermögen. Der Musikus nimmt nach
seinem Beyspiele die Worte,
lauft sie nachlässig durch, überläßt sich nun der Fruchtbarkeit seines Genies, und komponirt Musik die
nichts sagt, entweder weil er
nur die Worte sah ohne ihren Sinn zu begreifen, oder weil
er den wahren Ausdruck, den er
ins Recitativ legen sollte, dem Glänzenden seiner Kunst
oder einer Menge harmonischer Gänge darinn er sich
verliebt hat, aufopfert. Macht er eine Overtüre so hat sie gar keine Beziehung auf das was vorgehen soll. Doch was macht er
sich daraus? Er ist des Beyfals sicher, wenn sie nur brav
rauscht. Die Tanzmelodien kosten ihm immer die wenigste Mühe, er folgt hierin den alten Mustern; seine Vorgänger sind seine Führer, er lästs sich auch im geringsten nicht angelegen seyn, Mannichfaltigkeit in
diese Art Stücke zu bringen, und ihnen einen
neuen Cha<>
neuen Charakter zu geben. Er sollte sich für
eine monotonische Melodie, die den Tanz schläfrig macht und den Zuschauer einwiegt, hüten, und grade wählt er die,
und warum? sie kostet ihm die wenigste Mühe, denn eine knechtische Nachahmung der alten Melodien erfodert weder viel Geschmack, noch Talente,
noch Genie. [↔] Der Decorationsmahler begeht manchen Fehler, weil er das Drama nicht genug kennt; er befrägt sich nicht bey dem Verfasser, sondern folgt seinen Einfällen, die
manchmal falsch sind und die
Wahrscheinlichkeitbeleidigen, die in den
Decorations in Absicht auf die Anzeige des Orts der Scene
seyn soll. Wie kann er aber glücklich darinn seyn, wenn er
nicht einmal weiß, wo die Scene ist? und doch sollte er die genaueste Kenntniß
von der Handlung und dem Ort, wo sie vorgeht, haben,
ehe er anfinge zu arbeiten, sonst geht alles, Wahrheit,
Kostume und das Pittoreske
verlohren. [↔] Jedes Volk hat seine eigne Gesetze, Gebräuche, Gewohnheiten, Herkommen, Moden und Ceremonien; jede
Nation hat ihren besondern
Geschmack in ihren Lustbarkeiten, in
ihrer Bauart, in ihrer Art, die Künste zu pflegen; ein geschickter Mahler muß uns diese
Verschiedenheit bemerken lassen; sein Pinsel muß getreu seyn; wofern er nicht allenthalben zu Hause ist, hört er auf
wahr zu seyn, und darf nicht mehr verlangen zu gefallen. [↔] Der Zeichner der Theaterkleider fragt niemand um Rath; oft opfert er das Kostume eines alten Volks der herrschenden neuen
Mode auf, oder dem Eigensinne einer ModeSänger- oder Tänzerinn. [↔] Dem Balletmeister wird nichts bekannt gemacht; man schickt ihm eine Partitur, er
komponirt Tänze auf die
erhaltene Musik; er vertheilt die verschiedenen Pas, und das Ballet
bekommt hernach seinen Namen und Charakter von der
Kleidung. [↔] Der Maschienenmeister hat das Amt, die Gemählde des Mahlers in ihrem gehörigen Punkt der Perspective und in das verschiedene
Licht zu bringen, das sie erfodern; seine vornehmste Pflicht ist, die
verschiedenen Stücke der Decoration mit so vieler
Richtigkeit anzuordnen, daß aus
allen ein vernünftiges und zusammenhängendes Ganze wird;
seine Geschicklichkeit besteht
darinn, daß er sie schnell hervor und wieder weg bringt.
Versteht er die Kunst nicht, die Erleuchtung gehörig zu
vertheilen, so schwächt er das Werk des Mahlers und wirft die Wirkung der
Decoration übern Haufen. Eine Parthie des Gemähldes, welche Lichtvoll seyn
sollte, wird schwarz und dunkel; eine andere, welche ohne
Licht zu seyn verlangt, steht da hell und schimmernd. Mit einer großen Menge Lampen allein ist es nicht ausgerichtet, wenn man ein Theatergehörig und vortheilhaft
erleuchten will, man mag sie nun aufs Gerathewohl oder
nach der Symetrie anbringen; die Kunst steckt darinn, daß man das Licht nach ungleichen Theilen oder Massen zu vertheilen wisse, um die Stellen, welche
ein starkes Licht erfodern, hervor zu zwingen, die zu
schonen, welche weniger verlangen, und die zu
vernachläßigen, welche noch
weniger annehmen können. Der Mahler muß, der
Perspective wegen, Nüancen und
Farbenschwächung in diesen Gemählden anbringen; derjenige also, der es erleuchten soll, dünkt mich, sollte ihn zu
Rath ziehen, um die nehmlichen Nüancen und Schwächungen in den Lichtern zu beobachten. Nichts wäre
so schlecht als eine, in einem Tone der Farbe und in einerley Nüancen gemahlte Decoration; sie hätte
weder Entfernung noch
Perspectiv; eben so, wenn die ge mahlten Stücke, welche
nach ihrer Vertheilung ein
Ganzes machen sollen, mit gleicher Stärke erleuchtet
werden, gehen Anordnung, Masse und Gegenprallung
verlohren, und das Gemählde bleibt ohne
Wirkung. Erlauben Sie mir, mein Herr, eine Ausschweifung, die zwar nicht zu meiner Kunst
gehört, aber doch der Oper vielleicht nützlich werden
kann. [↔] Der Tanz erinnert gewissermaßen den Maschienenmeister, sich
zur Veränderung der Decoration
bereit zu halten. Sie wissen, daß man den Ort vertauscht,
wenn das Divertissement vorbey
ist. Wie füllt man den Raum zwischen den Akten aus,
welcher nothwendig erfodert wird, um das Theater in
Ordnung zu bringen, die Akteurs sich ausruhn zu lassen, und den Chorsängern und
Tänzern Zeit zu geben, sich umzukleiden? Was thut das Orchestre? Es löscht die Ideen aus, die der vorhergegangene Auftritt in meine Seelegedrückt hatte; es spielt ein
Passepied; wiederholt ein
lustiges Rigaudon oder Tambourin, da ich noch durch die
vorigen ernsthaften Handlungen lebhaft bewegt und höchst gerührt bin; es stört das
Entzücken eines so süßen Augenblicks; es wischt aus meinem
Herzen die Bilder weg, woran es hing; es
erstickt und vernichtet die Empfindung, welche ihm gefielen; das ist aber noch nicht alles, und das
höchst Unschickliche kommt erst; diese rührende Handlung war nur erst eingeleitet;
der folgende Akt soll sie ausführen und meine Leidenschaft auf den höchsten Grad bringen;
nun fällt die Musik plötzlich aus einem gemeinen lustigen Stückchen, in ein
klagendes trauriges Ritornell:
welch ein widersinniger Abfall!
Wenn er auch dem Akteur erlaubt, mich zu dem Interesse
zurück zu führen, welches mir aus dem Herzen weggegeiget
war, so wirds doch nur mit langsamen Schritten geschehen; meine Seele wird lange Zeit zwischen
der Zerstreuung, darinn man sie gezogen, und dem
Schmerze, wozu man sie zurück zu rufen
sucht, herum schwanken; das Garn, welches mir die
Ficktion zum zweytenmale aufstellt, ist
zu sichtbar; ganz mechanischer Weise, und ohne michs
bewußt zu seyn, suche ich ihm auszuweichen, und dann muß
die Kunst die unerhörtesten Kräfte anstrengen, um
mich von neuem zu täuschen und zu
besiegen. Sie werden gestehen, daß diese alte Methode, der unsere Musici noch so getreu anhängen, wider alle Wahrscheinlichkeit verstößt. Sie dürfen sich nicht schmeicheln, mich bis zu dem Punkte in ihrer Gewalt zu haben, daß sie so schnell, als sie nur wollen, alle diese verschiedenen Erschütterungen in meiner
Seeleerregen können; der erste
Augenblick machte mich geneigt, dem Eindrucke Raum zu
geben, der aus den Gegenständen, die man mir darbot, entspringen sollte; der zweete hebt diese Wirkung völlig auf, und das neue
Gefühl, was er bey mir hervorbringt, ist
von demjenigen, welchem ich mich anfangs überlassen hatte,
so verschieden, so entfernt, daß ich nur mit ausserordentlicher Mühe wieder dahin gelangen kann, besonders, wenn meine
Fibern natürlicher Weise mehr
Hang und Reitzbarkeit für die letztere Art Bewegungen haben. Mit einem
Worte, mein Herr, dieser plötzliche Abfall, dieser
unvorbereitete Uebergang vom Pathetischen zum Lustigen,
vom Diatonischenharmonischen
(*) oder vom Chromatisch
4
enharmonischen zu einer Gavotte oder einer
Art Gassenhauer, scheint mir eben so widrig, als eine Arie, die in einer andern Tonart schließt, als sie angefangen. Ich darf glauben, daß eine solche Unschicklichkeit von
allen denjenigen empfunden wird, welche das Vergnügen zu empfinden
ins Schauspiel lockt, denn nur solche
Geschöpfe können sie übersehn, welche der Mode wegen da
sind, welche mit ungeheuren Ferngläsern in der Hand
zufrieden sind, wenn sie ihre
Lächerlichkeitenauskramen, sehen und gesehen
werden können, und sich um das Vergnügen, welches die
durch Verstand, Geschmack und Genie vereinten Künste gewähren können, nicht
bekümmern. [↔] Laß die Poeten von ihrem Parnaß herabkommen, laß die Artisten, welche
die ver schiedenen Theile
besorgen, die eine Oper ausmachen, mit Eintracht arbeiten und sich einander die Hand bieten, so wird dieses
Schauspiel sehr in Aufnahme
kommen, und die vereinigten
Talente werden ihres Zwecks nie verfehlen. Nur ein niederträchtiger Neid und ein,
großen Männern unanständiger Zwist, können die Künste
entehren, die Künstler verächtlich machen, und sich der Vollkommenheit eines Werkes widersetzen, welches so viele Fächer und so verschiedene Schönheiten erfodert, als die Oper. [↔] Ich habe dieses Schauspiel beständig betrachtet als ein großes Gemählde, welches
das Wunderbare und Erhabene
aller Gattungen der
Mahlerey darstellen soll; wovon ein
berühmter Mann die Skitze auf der Leinewand entworfen, und
das darauf von geschickten Mahlern, in den
entgegengesetzten Gattungen ausgeführt werden müßte, die
alle von Ehre und der edlen Begierde zu gefallen beseelt,
dieses Meisterstück mit der Eintracht und dem Einverständnisse vollendeten, welche das
Kenntzeichen wahrer Talente sind. Der berühmte Mann, der den Stoff gewählt, der ihn in seine Theile geordnet, der ihn mit so vieler Kunst als Geschmack vertheilet, und
die Skitze auf der Leinwand entworfen hat, ist der Poet; von ihm hängt eigentlich die
glückliche Ausführung ab, weil er erfindet, austheilt,
zeichnet, und nach Maaßgabe seinesGenies mehr oder weniger
Schönheiten, mehr oder weniger
Handlung und folglich mehr oder weniger
Interesse in sein Gemählde leget. Die Mahler, welche nach seiner Imagination arbeiten, sind der
Kapellmeister, der Balletmeister, der Dekorationsmahler,
der Zeichner der Kleidungen, in Ansehung des Kostume, und der Maschienenmeister: alle
fünfe müssen gleichviel zu der Vollkommenheit des Werks das Ihrige beytragen, indem sie die ursprüngliche Idee des Poeten genau befolgen, welcher seiner Seits ein wachsames
Auge auf das Ganze haben muß. Das Auge des Meisters ist bey allen Kleinigkeiten nöthig; ob es gleich eigentlich bey der Oper
keine unwichtige Kleinigkeiten giebt, denn die geringfügigsten Dinge fallen auf,
beleidigen und mißfallen, wenn sie nicht mit aller Ordnung
und Genauigkeit herbeygeführt werden. Dieses Schauspiel kann also keine
Mittelmäßigkeit vertragen,
es täuscht nur in so fern es in allen seinen
Theilen vollkommen ist. Gestehn Sie, mein Herr, daß ein
Autor, der sein Werk diesen fünf Personen überläßt, die er niemals spricht, die sich unter einander kaum kennen
und sich sorgfältig vermeiden, so ziemlich denen Vätern
gleicht, welche die Erziehung ihrer Kinder fremden Händen übergeben, und die aus Zerstreuung
oder Vornehmthun sich zu
erniedrigen glaubten, wenn sie diese Sorge selbst
übernähmen. Was sind die Folgen dieses falschen Vorurtheils? Ein Kind, das die
Natur zum Gefallen bestimmt hatte, wird abgeschmackt und mißfällig. Der Poet ist
der Vater, das Drama das Kind. [↔] Sie sagen vielleicht, daß ich von einem
Poeten alles und also zu viel verlange; nein, mein Herr,
aber ein Poet muß Verstand und Geschmack haben. Ich bin der Meinung eines Schriftstellers, welcher sagt, daß die
großen Stücke der Mahlerey, der
Musik und der Tanzkunst, welche einen
Nichtkenner, der aber gesunde Sinne hat, nicht auf einen
gewissen Grad
rühren, entweder ganz schlecht oder
mittelmäßig sind. [↔] Kann der Poet nicht, ohne selbst Musikus zu
seyn, empfinden, ob dieser oder jener Zug in der
Musik seinen Gedanken ausdrückt, ob ein
anderer nicht den Ausdruck schwächt, ob ein dritter nicht der Leidenschaft Stärke,
oder der Empfindung Anmuth und Leben giebt?
Kann er nicht, ohne ein Decorationsmahler zu seyn, einsehen, ob eine Decoration, die einen afrikanischen Wald vorstellen soll, nicht zu viel
von dem Wäldchen zu Fontainebleau entlehnt hat? Ob eine
andere, die ein amerikanisches
Gestade nachbilden soll, nicht der Gegend bey Toulon zu
ähnlich sieht? Ob eine dritte, die den Pallast eines
chinesischen Kaisers vorstellen
soll, nicht zu viel von Versailles hat? und ob endlich
eine, die die Gärten der Semiramis zeigen soll, nicht
Marly aufweiset? Er braucht kein
Balletmeister zu seyn, um zu merken, wenn in den Tänzen
Unordnung herrscht, wenn die
Tänzer wenig Ausdruck haben; er
kann, sage ich, beurtheilen, ob seine
Handlung feurig vorgestellt wird; ob die
Gemählde treffend, ob die Pantomime wahr sind, und ob der Charakter des Tanzes dem Volke der Nation entspricht, welchen er vorstellen soll. Kann er nicht eben so gut auch die
Fehler merken, welche in den Kleidungen stecken, entweder
aus Nachläßigkeit oder aus falschem
Geschmacke, die, dadurch, daß sie sich vom
Kostume entfernen, alle Illusion aufheben? Braucht er eben Maschienenmei ster zu seyn, um gewahr zu
werden, daß diese oder jene Maschiene nicht
geschwind genug hervorkömmt?
Nichts ist leichter, als ihre Langsamkeit oder richtige Geschwindigkeit zu bemerken. Uebrigens ist es die Sache des Maschienenmeisters, dafür zu
sorgen, daß die Räder, Seile und Schieber im richtigen Stande sind. [↔] Der Komponist sollte die Tanzkunst verstehn, oder zum wenigsten die Tacktarten und
die Möglichkeit der Bewegungen, die jeder Gattung, jedem Charakter und jeder Leidenschaft eigen
sind, kennen, um zu jeder Situation, die der Tänzer nach einander mahlen kann, die
gehörigen Noten zu schreiben; aber anstatt die
Anfangsgründe dieserKunst und
ihre Theorie zu lernen, flieht er den Balletmeister; er glaubt, daß ihm seine Kunst
einen großen Rang über den Tanzkünstler giebt. Ich will ihm solchen nicht streitig machen, obgleich die vorzügliche
Wissenschaft in einer Kunst, und nicht
die Natur der Kunst allein
Vorzug und Ansehen verdienen. [↔] Ich wiederhole es, die meisten Komponisten folgen dem alten Schlendrian der Oper;
sie machen Passepieds, weil
Mademoiselle Prevot ein zierlich Passepied
lief; Müsetten, weil Mademoiselle Salle und Monsieur Dumoulin
solche mit eben so vieler Anmuth als Wollust tanzten; Tambourin, weil MademoiselleCamargo in dieser Gattung
vortrefflich war; endlich
Chacconen und Passecaillen,
weil Monsieur Dupre sich an diese Bewegungen gleichsam allein gewöhnt
hatte; weil sie sich für seinen Geschmack, für seine Art
zu tanzen und für seinen edlen Wuchs am besten schickten. Aber diese vortrefflichen Leute sind nicht mehr da, sie sind in gewissen Theilen mehr als ersetzt, und in gewissen werden sie es vielleicht niemals. Mademoiselle Lany läßt alle weit hinter sich, die sich durch Schönheit, Richtigkeit und Kühnheit
in der Ausführung hervorgethan
hatten; es ist die grösseste
Tänzerinn in der Welt; man hat aber den naifen Ausdruck
der Mademoiselle Salle nicht vergessen; ihre Anmuth ist noch immer im Andenken, und die Mienenspielerey der
Tänzerinnen in ihrer Gattung, hat diesen Adel, diese
harmonische Simplicität der zärtlichen und wollüstigen, aber dabey immer anständigenBewegungen dieser liebenswürdigen Tänzerinn noch nicht ins Vergessen bringen können. Vor Monsieur Dumoulin haben wir noch keinen andern; er tanzte die
Pas
de Deux mit einer Kunst, die es zu erreichen Mühe kosten möchte; beständig war er zärtlich, beständig von
der Grazie begleitet, bald Papillon, bald Zephir, einen
Augenblick ungetreu, den andern
beständig, immer von einer neuen
Empfindung beseelt, und stellte alle
Gemählde der Zärtlichkeit bis zum Entzücken vor. Monsieur Vestris hat den berühmtenDupre ersetzt, das ist zu
seinem Ruhme alles auf einmal gesagt; aber wir haben
MonsieurLany, dessen vorzügliche
Kunst ihm Bewunderung erwirbt, und ihn über alles das
wegsetzt, was ich zu seinem Ruhme sagen könnte. Wir haben
Tänzer und Tänzerinnen, die hier eine Apologie verdienten,
wenn mich das nicht zu weit von meinem Zwecke ableitete. Endlich haben wir Schenkel
und eine Execution, die unsere Vorgänger nicht hatten; diese Ursache sollte,
deucht mich, die Komponisten dahin bringen, in ihren Tackt
Bewegungen abwechselnder zu
seyn, und nicht länger für diejenigen zu arbeiten, welche
nur noch in dem Andenken des Publikumsexistiren, und deren
Gattung fast völlig ausgestorben ist. Die Art zu tanzen ist heut zu Tage
neu, es ist also platterdings nöthig, daß die Tanzmusik ihrer Seits es gleichfalls werde. [↔] Man beklagt sich, daß die Tänzer Bewegung ohne Aktion, Anmuth ohne
Ausdruck haben; könnte man aber nicht bis zur Quelle des Uebels zurückgehen? Man entwickle nur seine Ursachen, so kann man es mit Vortheil angreifen,
und die dienlichen Mittel zur Heilung anwenden. [↔] Ich habe gesagt, daß die meisten Ballette
bey diesem Schauspiele, so gut sie auch entworfen und ausgeführt werden mögen, dennoch kalt sind: ist es bloß
die Schuld des Erfinders? wäre
es ihm wohl möglich, jeden Tag neue Plane auszusinnen, und
den Tanz am Ende eines jeden Akts der Oper in Handlung zu bringen? Nein,
wahrhaftig nicht; das wäre ein zu schweres Stück Arbeit;
ein solches Vorhaben könnte auch nicht ohne unendliche Widersprüche ausgeführt
werden, es müßten denn die Poeten zu dieser Einrichtung
das ihrige thun, und über alle Projekte, welche den Tanz zum Zwecke haben,
mit dem Balletmeister gemeinschaftlich arbeiten. [↔] Lassen Sie uns sehen, was der Balletmeister bey diesem Schauspiele thut, und
untersuchen, was man ihm für
Arbeit zuschneidet. Man giebt ihm die ausgeschriebene
erste Violinstimme zum
Repetiren, er schlägt sie auf und liest:
Prolog, Passepied für
die Spiele und Scherze; Gavotte für die Amouretten und Rigaudon für die angenehmen Traumgötter. Im
ersten Akt, March für die Krieger, Grave für
dieselben; Müsette für die Priesterinnen. Im zweeten Akt, Loure für das
Volk, Tambourin und Rigaudon für die Schäfer. Im dritten Akt, Grave Staccato
für die Teufel, Presto für dieselben. Im vierten Akt, Entree der Griechen und Chacconne, die
Winde, die Tritonen, die
Najaden, die Stunden, die Zeichen des Zodiakus, die
Bachanten, die Zephyre, die
Gnomen, die unglücklichen Träume nicht mit gezählt, denn wir kämen nicht zu
Ende. Da hat nun der Balletmeister seinen völligen
Unterricht; nun mag er den prächtigen und sinnreichen Plan
ausführen! Was verlangt der Poet? daß alle Personen des Ballets tanzen sollen, und man giebt ihnen zu tanzen: aus diesem
Mißbrauche entspringenlächerliche Foderungen. Mein Herr,
sagt der erste Tänzer zum Balletmei ster, ich bin an dieses oder jenes Stelle gekommen und ich muß dieß oder jenes Stück
tanzen. Aus eben der Ursache verlangt eine Tänzerin die Passepieds; diese die Tam bourins; dieser die
Louren; jener die Chacconnen für
sich alleine zu behalten; und dieses eingebildete Recht,
dieses Haberechten über Stellen und Gattungen
veranlaßt in jeder Oper zwanzig Soloentreen, welche man in
entgegengesetzten Kleidungen, Geschmack
und Gattungen tanzt, die aber weder durch den Charakter, noch durch den Sinn, durch die Zusammensetzung der Pas, noch durch die Stellungen
verschieden sind. Diese Eintönigkeit kömmt von der maschienenmäßigenNachahmung.
Monsieur Vestris ist der
erste Tänzer, er tanzt nicht
eher, als im letzten Akt; das ist die Regel; sie geht auch
nach dem Sprichworte, das Beste zuletzt. Was thun die übrigen Tänzer dieser Gattung? Sie verstümmeln ihr Original, überladen
es, und behalten nur seine Fehler; denn es ist leichter,
sich das Lächerliche, als Vollkommenheit zu eigen zu machen; Alexanders
Höflinge, die seine Tapferkeit nicht erreichen konnten,
fanden es leichter, seinen schiefen Hals nachzuahmen. Es sind also die
frostigen Copien, welche das Original auf hunderterley
Arten vervielfältigen, und es unaufhörlich verstellen. Die von einer andern
Gattung sind eben so schaal und eben so lächerlich: sie
wollen die Präcision, die Munterkeit und die schön durchflochtnen Schritte des Monsieur
Lanyerhaschen, und sind
unausstehlich. Alle Tänzerinnen
wollen tanzen wie Mademoiselle Lany, und dadurch
werden sie alle sehr lächerlich.
Kurz, mein Herr, die Oper, wenn ich so sagen darf, ist ein
Schauspiel der Affen. Der Mensch vermeidet und scheuet,
sich in seiner eignen Gestalt zu
zeigen, er borget immer eine fremde, und er würde
erröthen, sich selbst ähnlich zu seyn; daher muß man das
Vergnügen, ein Paar gute Originale zu bewundern, mit der Langenweile
erkaufen, vorher eine Menge
elender Copien zu sehen. Und was will man denn mit dieser
Anzahl Soloentreen sagen, die
mit nichts in der Welt Zusammenhang oder Aehnlichkeit haben? Was stellen
diese seelenlose Körper vor, die, ohne
angenehm zu seyn, herum trippeln, ohne Geschmack mit den
Armen wedeln, ohne sich grade zu tragen ohne Festigkeit
Pirouetten schneiden, und die von Akt zu Akt mit eben demselben Froste wiederkommen? Kann man
diese Arten von Interesse und Ausdruck entblößte Entreen wohl Monologen nennen? Nein, auf keine Weise, denn der Monolog gehört zur Aktion, und geht mit der Hand lung fort,
mahlt und unterrichtet. Wie kann man aber
ein Soloentree reden lassen, fragen Sie? Nichts ist
leichter, mein Herr, und ich will Sie deutlich davon
überführen. [↔] Zwey Schäfer, zum Exempel, die sterblich in eine Schäferinn verliebt sind,
dringen in sie, zu wählen, und sich für einen von beyden zu erklären; Themire, so heiße die Schäferinn, ist schüchtern, unschlüßig, und wagt
es nicht, den Namen ihres Ueberwinders auszusprechen; endlich giebt sie
den lebhaften Bitten und der
Liebe nach, und giebt dem Aristeus den Vorzug; sie flieht in das
Gebüsch um ihre Verwirrung zu verbergen; aber ihr Geliebter folgt ihr, um seines Sieges zu geniessen. Der verlaßne, der
verachtete Tyrsis, mahlt seine Unruhe und seinen Schmerz; bald darauf bemächtigen sich Eifersucht und Wuth seines Herzens: er überläßt sich denselben ganz, und läßt mich bey
seinem Weggehn errathen, daß er zur Rache eilt und seinen
Nebenbuhler verfolgt. Dieser erscheint gleich darauf; alle seine Bewegungen
sind mir ein Bild der Glückseligkeit, seinen Minen, Gebehrden, Stellungen und
Blicke stellen mir das Gemählde der glücklichen Liebe und
der Wollust vor. Tyrsis voller
Verzweiflung sucht seinen Nebenbuhler, und wird ihn in dem Augenblicke gewahr, da er die reinste und
empfindungsvolleste Freude ausdrückt.
Diese Contraste sind nicht weit gesucht, sondern natürlich; das Glück des einen vermehrt
die Quaal des andern; Tyrsis
denkt auf nichts anders als Rache; er fällt den Aristeus
mit der Wuth und der Heftigkeit an, welche die Eifersucht
und der Verdruß über Verachtung zu erzeugen pflegen; der
andre vertheidigt sich zwar, aber es sey nun, daß Uebermaße des Glücks den Muth schwächt,
oder daß die befriedigte Liebe ein Kind des Friedens ist,
er steht auf dem Punkte unter dem Tyrsis zu erliegen; sie führen ihren Kampf mit ihren
Schäferstäben; Blumen und Kränze, welche die
Liebe gepflückt und geflochten, und zur
Wollust geweihet, werden die
Tropheen ihrer Rache: alles wird in diesen Augenblicken
ein Opfer der Wuth; selbst der Strauß, womit Themire den glücklichenAristeus geziert, vermag nicht der
Bosheit des beleidigten Liebhabers zu entgehen. Nun kommt Themire
darüber zu; man hat ihren Geliebten mit dem Blumenkranze
gefesselt, damit sie ihn geschmückt; sie sieht ihn zu Tyrsis Füßen liegen: welche
Unruh! welche Furcht! Sie zittert vor der Gefahr den
Geliebten zu verlieren: alles zeugt von ihrer Angst, alles drückt ihre Leidenschaft aus.
Bestrebt sie sich ihren Aristeus zu befreyen; so ist es die
aufgebrachte Liebe voller Bosheit, die sie
handeln läßt. Wüthend ergreift sie einen Pfeil, der auf
der Jagd verlohren, fährt auf den Tyrsis zu, und giebt ihm damit verschiedene Stiche. Bey diesem rührendenGemählde wird die Handlung allgemein, von allen Seiten eilen Schäfer und Schäferinnen herbey; Themire ist voller Verzweiflung, eine so
grausame That verübt zu haben, will sich dafür strafen und
sich das Herz durchbohren; die
Schäfer wollen sie diesen verzweifelten Vorsatz nicht ausführen lassen; Aristeus,
halb Freund, halb Liebhaber, fliegt zu Themiren, bittet,
fleht, beschwört sie, ihm ihr Leben zu erhalten: er läuft
zum Tyrsis: er ist geschäftig ihm zu
helfen, ersucht die Schäfer für
ihn zu sorgen. Themire voller Wehmuth, voller Schmerz, drängt
sich zum Tyrsis, umfaßt seine Kniee, und bezeugt ihm auf
alle Art eine aufrichtige Reue; diesen hat seine
Zärtlichkeit, seine heftige Leidenschaft noch nicht verlassen, und er scheint den Streich zu segnen, der ihm das Leben kosten wird. Die mitleidigen Schäferinnen führen Themiren
wider ihren Willen von diesem Orte, der ein Theater der
Klagen und des Jammers geworden, hinweg. Die Schäfer ihrer
Seits tragen den Tyrsis fort; er
ringt mit dem Tode, und mahlt
noch den Schmerz, den er fühlt, entfernt von Themiren und nicht in ihren Armen zu
sterben. Der zärtliche Freund, aber getreue Liebhaber, Aristeus, drückt seinen Kummer und seine
Empfindungen auf tausenderley Art aus; seine Seele ist in
einem unaufhörlichen Kampfe; er
möchte Themiren folgen, will aber Tyrsis nicht
verlassen; er will die Geliebte trösten, aber auch seinem
Freunde Hülfe leisten. Dieser Tumult stillt sich, diese Unschlüßigkeit hört auf: ein Augenblick der Ueberlegung
entscheidet für die Freundschaft; er entreißt sich endlich
der Themire
und eilt zum Tyrsis. [↔] Dieser Plan mag sich auf dem Papiere
schlecht ausnehmen, er thut aber auf dem Theater gewiß große Wirkung; er enthält keinen Augenblick, der nicht mahlerisch ist;
die mannichfaltigen Situationen und Gemählde, die er giebt, sind beständig
neu im Colorit, in der Handlung
und im Interesse; die Soloentree des Tyrsis und Aristeus seine, sind voller Leidenschaften, sie mahlen,
reden, und sind wahre Monologen. Die beyden
Pas de trois sind das Bild eines dramatischen Dialogs von entgegen
gesetzten Gattungen, und das
pantomimische Ballet, welches diesen
kleinen Roman schließt, wird denjenigen immer sehr lebhaft rühren,
der Augen und ein Herz hat; wenn nur die, welche es ausführen, Seelen haben, und
Empfindung mit gehörigem Nachdruck und Leben vorstellen können. [↔] Sie wissen, mein Herr, daß, um eine Aktion
zu mahlen, worinn die Leidenschaften abwechseln, und wo die Uebergänge eben dieser Leidenschaften so schnell
sind, als in dem Programma, das ich Ihnen hier vorgelegt
habe, nothwendig erfodert wird, daß die Musik die armseligen Taktarten und Modulationen verlasse, in welchen
bisher die Tanzmelodien gesetzt
worden. Trockne und maschienenmäßig ohne Absicht zusammen gesetzte Töne, können dem Tänzer nicht zu Hülfe
kommen, noch zu einer lebhaften Handlung passen. Es ist
also nicht hinlänglich nach den Generalbaßregeln richtig
die Noten zusammen zu schreiben; die harmonische Folge der
Töne muß in diesem Falle die Töne der Naturnach ahmen, und ihre richtigen
Inflexions ein Bild vom Dialog geben. [↔] Ueberhaupt, m. H., verwerfe ich Soloentreen in der Oper
nicht; ich bewundre die Schönheiten, die man
oft hin und wieder darinn antrift, aber nicht so häufig
wünsch ich sie. Alles Ueberhäufte wird langweilig; ich wollte, daß man in die Ausführung mehr Abwechslung brächte: denn was ist wohl lächerlicher, als die Schäfer aus Tempe eben so tanzen zu sehen, wie
die Gottheiten des Olymps? Man hat bey diesem Schauspiele unzählige Arten von Kleidungen und Charakteren; deswegen möcht ich wohl, daß der Tanz
nicht immer einerley bliebe. Diese ekelhafte Einförmigkeit würde gewiß verschwinden,
wenn die Tänzer den Charakter der Person, die
sie vorstellen sollen, ihre Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten studirten; man wird niemals die Rolle eines Helden oder eines andern mit vollkommner
Nachahmungvorstellen, wenn man sich nicht
an seine Stelle versetzt. Niemand kann den Soloentreen mehr Gerechtigkeit wiederfahren lassen, wenn sie von
den geschicktesten Tänzern getanzt werden, als ich; sie
legen mir alle mechanische Schönheiten der harmonischen Bewegung des
Kör pers dar; aber,
ich glaube nicht, daß es ihr Tanzen verachten, ihre
Geschicklichkeiten herunter
setzen und ihre Lieblingsgattung verschreyen heißt, wenn ich herzlich wünsche, daß
diese für den Ruhm gebohrne Personen, in die
Annehmlichkeit ihres Körpers Bewegungen der Seele mischen möchten, daß ich sie unter einer
reitzendern Gestalt bewundern und nicht immer
eingeschränkt seyn dürfte, sie bloß als schöne
Maschienen, die nach richtigen Proportionen zusammen gesetzt sind, zu
betrachten; vielmehr denke ich sie dadurch anzumahnen, ihre Kunst noch mehr
zu verschönern und
mannichfaltiger zu machen. [↔] Auf die Kleidung zu kommen. Abwechselung und Wahrheit im Kostume sind dabey eben so selten als in der
Musik, in den Balletten und im bloßen Tanze. Der Eigensinn
regieret in allen Theilen der Oper gleich stark, er ist
der Tyrann dieses Schauspiels. Die Kleider der
Griechen, Römer, Schäfer, Jäger, Helden, Faunen, Silphen,
Scherze, Spiele, Liebesgötter, Tritonen, Winde, Salamander, Träume, Hohenpriester, Unterpriester, alle sind nach einem Muster
geschnitten, und durch
nichts unterschieden, als durch die Farben und die
Verzierungen, wel che mehr die Verschwendung
als der Geschmack aufs Gerathewohl darauf wirft. Allenthalben schimmert das unächte Gold
oder Silber: der Bauer, der Matrose und der Held sind gleich dick damit besäet. Je mehr Flinkern, Gase und Verbrämungen auf ein Kleid angebracht sind, je schöner ists in
den Augen des geschmackslosen Zuschauers>.
Nichts läßt so sonderbar, als wenn man ein Haufen Krieger ankommen sieht, die eben
gefochten und gesieget haben. Kann man ihnen wohl das Schreckliche des Blutbades ansehn? Sind ihre
Mienen lebhaft und aufgebracht? Ihre Blicke fürchterlich?
Fliegen ihre Haare in wilder Unordnung? Nein, m. H.,
nichts von alle dem; sie sind mit der äußersten Sorgfalt geputzt und geschmückt;
sie sehn mehr einem Sybariten
ähnlich, der eben den Bader von sich gelassen, als einem
Helden, der eben den Feind in die Flucht geschlagen hat.
Wo bleibt dieWahrheit, die
Wahrscheinlichkeit? wo soll die Illusion herkommen? Wer kann sich wohl bey einer so falschen und so schlecht vorgebrachten Aktion des Verdrusses erwehren? Das Theater fodert
seine eigene Anständigkeit; das geb' ich zu; es erfodert
aber auchWahrheit und
Natur in der Vor stellung, Kraft und Stärke
in den Gemählden,
und da, wo es nöthig ist, eine wohlverstandneUnordnung. Ich möchte die steifen Korbröcke weggeschaft wissen, welche in
gewissen Stellungen des Tanzens die Hüften gleichsam bis an die Schultern bringen, und ihre Umrisse verbergen. Ich möchte aus den Kleidern alle frostige Anordnungen nach der Symetrie,
welche nur Kunst ohne Geschmack verräth, und nichts Reitzendes hat, verbannen. Ich würde lieber die
leichter ungekünstelten
Drapperien wählen, welche nach den Farben abstächen und
dergestalt eingerichtet wären, daß sie den Wuchs des
Tänzers nicht versteckten. Ich möchte sie leicht haben,
ohne das deswegen eben der Stoff gespart werden müßte. Schöne Falten, schöne Gewände
wünsch ich, und sie würden immer das Ansehn von
Leichtigkeit haben, weil die äußern Theile dieser
Drapperie fliegen, und so wie der Tanz an Hurtigkeit und
Lebhaftigkeit zunähme, immer
neue Lagen annehmen würden. Ein Sprung, ein lebhafter Pas,
eine Flucht gäben diesem Gewande
beständig einen andern Fall: das würde uns der
Mahlerey und folglich derNatur näher bringen; das würde
den Stellungen Zierlichkeit und den Lagen des Körpers Anmuth geben; das würde endlich
dem Tänzer dieses Ansehn von Stärke und Leichtigkeit
geben, welches er in den gothischen Harnischen der Oper nicht haben kann. Ich
würde die lächerlichen Steifröcke unserer Tänzer um
Dreyviertheil kleiner machen; sie stehen sowohl der
Freyheit und Leichtigkeit, als der
richtigen und lebhaften Aktion des Tanzes im Wege. Sie
benehmen dem Wuchse seine Zierlichkeit und die richtigen
Proportions, die er haben
muß. Sie vermindern das Angenehme in den Bewegungen der Arme; sie begraben, so zu sagen, die Grazien,
und zwängen und schnüren die Tänzerinn dergestalt, daß sie zuweilen mehr
und emsiger auf die Bewegungen
ihres Steifrockes, als ihrer Arme und Füße denkt. Jeder
Akteur muß auf dem Theater ungezwungen scheinen: er muß nicht einmal von der Rolle oder Person, die er vorzustellen hat,
Zwang annehmen. Ist seine
Aufmerksamkeit getheilt, legt ihm die Mode eines
lächerlichenKostume so viel Zwang auf, daß er die
drückende Schwere seines Habits mit Verdruß fühlt, daß er
darüber seine Rolle vergißt,
daß er nicht mehr den gehörigen Antheil an der
Handlung nimmt, die vorgeht, oder die er
mit Wärme vorstellen sollte: so muß er sich alsobald von einer Mode befreyen, welche derKunst
eine armselige Figur giebt, und
der Geschicklichkeit wehret, sich zu zeigen. Mademoiselle
Clairon, diese unnachahmliche Aktrice, welche
geschaffen ist, die Gewohnheiten, die ein langer Brauch
geheiligt, abzuschaffen, hat
die Steifröcke ungescheut und
ohne Vorbereitung verbannt. Das wahre Talent ist
allenthalben einerley; es gefällt ohne Kunst. Mademois.
Clairon wird ohne oder mit den Steifrock eine vortreffliche Aktrice bleiben; sie würde
die erste Trauerspielerinn seyn, wenn das französische Theater nicht die mit den seltensten und erhabensten Talenten begabte
Mademoiselle Dumenil aufzuweisen hätte, die
unfehlbar allemal die Herzen
derjenigen rühren wird, welche
ein Gefühl für die Töne derNatur haben. Es war nichts weniger als Eigensinn, was
Mademois. Clairon bewog,
einen eben so lächerlichen als beschwerlichen Putz zu verwerfen. Sie hat den Steifrock weniger deswegen
abgelegt, als wollte sie das Ansehen haben, etwas zu reformiren, denn weil sie wirklich eine große Aktrice ist. Einsicht, Verstand,
Vernunft und dieNatur haben sie bey
dieser Reform geleitet; sie hat die Alten zu Rathe gezogen, und geglaubt, daß Medea,
Electra und Ariadne nicht aussehn, reden,
gehn und sich kleiden könnten, als unsre Modedamens. Sie hat gefühlt, daß sie
sich den altenSitten eben so weit näherte, als sie sich von
den unsrigen entfernte; daß die Nachahmung der Personen, die sie
vorstellte, wahrer und
natürlicher seyn würde; daß sie ihre ohne dem lebhafte und
geistvolle Aktion noch mit mehr Seele und Feuer herausbringen könnte, wenn sie
sich von dem Zwange und der Last einer
lächerlichen Kleidung befreyet hätte; sie ist
endlich überzeugt gewesen, daß das Publikum ihre Talente nicht nach der Weite
ihres Steifrockes abmessen würde. Freylich steht es nur
vorzüglichen Verdiensten zu, Neuerungen einzuführen, und
auf einmal die Gestalt solcher
Dinge zu ändern, denen wir weit mehr aus Gewohnheit, als
aus Geschmack und
Ueberlegung anhingen. Herr Chasse, der einzige Akteur
in seiner Art, der die Kunst gefunden, in eiskalte
Auftritte was Anziehendes zu bringen, und abgenutzte und frostige Gedanken durch seine Gestus zu heben, hat gleichfals die beschwerlichen Korboder Steifröcke abgeworfen,
welche dem Akteur nichts
Ungezwungnes ließen, und ihn, so zu sagen, zu einer schlecht eingerichteten Maschiene machten. Die Caskete und die
symetrischen Habite hat dieser große Mann gleichfals
verwiesen; statt der aufgedunseten Korbröcke wählte er
wohl ausgesonnene Gewände, und
statt der antiquen Federbüsche bedient er sich Plümen, die
er mit Geschmack und Wahl anbringt. In seinem Anzuge herrschten Verstand und mahlerische Natur. [↔] Herr Le Kain,
ein vortrefflicher Trauerspieler, ist dem Beyspiele des Chasse gefolgt; er ist noch weiter
gegangen. In Voltairens Semiramis ist er mit zurückgestreiften Aermeln, mit blutigen Händen, mit
sträubigten Haaren und verwildertem Blicke, aus dem Grabmale des Ninus hervor gekommen.
Dieses starke aber natürliche Gemählde
traf auf den Zuschauer,
erhielt seine Aufmerksamkeit und
warf Schrecken und Entsetzen in seine Seele. Der kritische Witz kam zwar
einen Augenblick nach der Rührung mit seinen
Anmerkungen hervor, aber es
war zu spät; der Eindruck war gemacht, der Pfeil
abgedrückt, der Akteur hatte sein Ziel getroffen, und ein
allgemeiner Beyfall belohnte eine zwar kühne aber glückliche Aktion, die ohne Zweifel mißglückt seyn würde, wenn sie ein
mittelmäßi ger und minder gelittner
Akteur gewagt hätte. Herr Boquet, der seit einiger Zeit
die Aufsicht über die Zeichnung und das Kostume der Opernkleider hat, wird den Fehlern in diesem, der Illusion so wesentlichen Theile, leicht abhelfen, wenn man ihm nur freye Hand läßt, und
sich seinen Ideen nicht widersetzt, welche immer auf die Vollkommenheit abzwecken werden. [↔] Von den Decorations werde ich Ihnen nichts
sagen, mein Herr; ihr Fehler in der Oper liegt nicht am
Geschmacke, sie könnten sogar schön seyn,
weil die Mahler, die in diesem Fache
arbeiten, wirkliche Verdienste besitzen; die Cabale aber,
und eine übel angebrachte
Sparsamkeit setzen ihrem Genie Schranken und ersticken ihre Talente. Uebrigens wird der Mahler einer
Decoration niemals genannt,
besonders wenn ihr Beyfall zugeklatscht wird; daher findet
nicht viel Nacheiferung statt,
und folglich sieht man wenig Decorationen, die nicht
ungemein vieles zu wünschen übrig ließen. [↔] Ich will diesen Brief mit einer Anmerkung
schließen, die mir sehr natürlich scheint. Der Tanz hat
bey diesem Schauspiele zu viel idealischeCharaktere, und muß zu viele Hirnge spinste und schimärische
Personen vorstellen, um solche mit verschiedenen Zügen und
Farben vorzustellen. Mit
weniger Feyengeschöpfen, weniger
Wunderbarem, mehr Wahrheit und mehr
Natürlichem, wird der Tanz in viel besserm
Lichte erscheinen. Ich würde, zum Exempel, sehr verlegen
seyn, wie ich die Action eines Kometen, der
Zeichen des Thierkraises, der Horas u. s. w. vorstellen sollte.
Die Ausleger des Sophokles,
des Euripides und Aristophanes sagen wohl, daß die Tänze der Egyptier die Bewegungen und Harmonien
der Weltkörper vorstellten; sie tanzten in die Runde um
Altäre, die sie als die Sonne betrachteten, und diese
Figur, die sie beschrieben,
indem sie sich bey den Händen angefaßt hielten, stellte
den Zodiakus, oder die Zeichen
des Thierkraises vor; aber alles das war also, wie viele
andere Dinge, nichts anders, als verabredete Figuren und
Bewegungen, womit man eine unveränderliche Bedeutung verknüpfte. Ich glaube also, mein Herr,
daß es uns viel leichter seyn würde, unsers Gleichen zu
mahlen; daß diese Nachahmung natürlicher und täuschender seyn würde. Aber, wie ich schon gesagt habe, es ist die Sache der Poeten, darauf zu sinnen, wie sie Menschen aufs Operntheater bringen wollen. Wo steckte denn die Unmöglichkeit? Was einmal geschehen ist, kann eben so gut
tausendmal wieder geschehen. Es ist gewiß, daß die Thränen
der Andromacha, die Liebe der Junia und des Britanicus, die Zärtlichkeit der Merope gegen den
Egisth, die Unterwerfung der Iphygenia und die mütterliche Liebe der Clytemnestre unendlich stärker rührendwären, als alle unsere
Opernhexerey. Die Geschichtchen
vom Prinzen Blaubart und der Feye Fanferlusche mögen wohl Kinder weichherzig machen; aber nur
Gemählde der Menschheit können zur Seele reden, sie in
Bewegung
setzen, erschüttern und hinreissen; um die
Gottheiten der Fabel ist man nie ängstlich besorgt, weil man weiß, daß ihnen alle Macht und Weisheit, die sie zeigen, von dem
Poeten
geliehen ist, man ist über den Ausgang gar nicht
bekümmert; man weiß vorher, sie werden ganz gut hindurch
kommen, und gewissermaaßen nimmt
ihre Macht ab, so wie unsere Zuversicht zunimmt. Unser
Herz und Verstand lassen sich bey diesem Schauspiele
nichts weiß machen; es ist selten, um nicht unmöglich zu
sagen, daß man mit eben der Unruhe, dem Tumulte der
Leidenschaften, den wollüstigen Thränen aus einer Oper gehe, wie aus einer schönen Tragödie oder aus einemrührenden Lustspiele, wie Cenie; wir würden lange in der Fassung bleiben, worinn sie uns versetzt, wenn die lustigen Bilder unserer kleinen Nachspiele nicht
unsere Unruhe besänftigte und unsere Thränen wegtrocknete.
Ich bin u. s. w.
Achter Brief.
[↔] Ein Balletmeister, der Opernballette
komponiren soll, müßte aller
dings nach meiner Meynung ein grosses und
poetischesGeniehaben. Aktion in den Tanz
bringen, Scenen erfinden, die dem Drama analogisch sind,
und sie in die Süjets hineinpassen, da Schöpfer werden, wo das Genie des Poeten unfruchtbar gewesen war, und
endlich alle Lücken und Mängel in ihren Werken ausfüllen
und ausbilden, das ist das Feld, das der Komponist bearbeiten muß, und darin
er sich über den Pöbel solcher Balletmeister erheben kann,
die Wunderdinge meinen gethan zu haben, wenn sie Pas und Figuren angeordnet, darinn man weiter nichts sieht, als Zirkel, Vierecke, grade Linien, Räder und Ketten. [↔] Die Oper ist bloß für die Augen und Ohren,
sie soll mehr durch Abänderung und Mannichfaltigkeit vergnügen, als ein
Schauspiel für den Verstand und fürs Herz
seyn. Man könnte ihr indessen
eine interessantere Gestalt und Charakter geben: doch
diese Materie ist von meiner Kunst und von
dem Gegenstande, den ich behandle, zu entfernt, ich
überlasse sie daher solchen Köpfen, die der Monotonie, der
Feyerie und der Langenweile abzuhelfen wissen, die das Wunderbare mit sich schleppt, und
begnüge mich bloß zu sagen,
daß der Tanz in diesemSchauspiele in ein vortheilhafteres Licht
gesetzt werden müßte, ja, was noch mehr ist, daß selbst
die Oper sein Element sey, und er sich eben da hervorthun und in seinen vortheilhaftesten Lichte zeigen sollte.
Aber durch ein Unglück, woran der Eigensinn oder die Unschicklichkeit der Poeten
schuld ist, hängt der Tanz mit diesen Schauspielen nicht
zusammen, und sagt nichts; er ist in tausend Umständen dem Süjet so wenig angemessen, und so unabhängig vom Drama,
daß man ihn ganz weglassen kann,
ohne das Interesse zu schwächen, ohne die Fortschreitung
der Scenen zu unterbrechen, und
die Action kälter zu machen. Die meisten neuern Poeten
bedienen sich der Ballette, als eines blossen Zierrahts
der Fantasie, die ihrem Werke
weder neuen Werth noch Schmuck geben kann; sie sehen, so
zu sagen, die Divertissements,
damit sich die Acten schliessen, als so viele artig
gezeichnete und künstlich gemahlte Streifen an, wodurch
sie ohne andre Absicht ihre Gemählde Abtheilen. Welch ein Irrthum! oder um es gerade zu sagen, welch eine Unwissenheit!
Ein Drama ist nichts anders, als ein grosses Gemählde,
das nach und nach und schnell hinter einander eine Menge kleinerer darstellen soll, ist es nun aber nicht thöricht, dieses grosse Gemählde zu zerschneiden, die Folge desselben zu unterbrechen, den Fortgang der Intrigue
zu hemmen, und das ganze und die Harmonie
desselben zu zerstören? diese der Handlung
fremde Zusätze und Episoden
schaden dem Werke; diese wiedersprechende und allemal
abgerissene Gegenstände, dieß
Chaos von übel verbundenen Sachen theilen die
Aufmerksamkeit, und ermüden die
Einbildungskraft mehr als sie solche befriedigen: sogleich verschwindet der
Plan des Verfassers, der Faden verliert sich und wird zerrissen, die Handlung verschwindet, das Interesse nimmt ab, und das Vergnügen ist dahin. Die Opernballette werden so
lange kalt und unangenehm seyn, als sie nicht genau mit dem Drama verbunden werden,
und nicht zu seiner Einleitung, zu seinem Knoten und zu
seiner Entwickelung das Ihrige beytragen. Jedes Ballet sollte, meiner Meynung nach,
eine Scene geben, die den ersten Akt mit den zweyten, den
zweyten mit dem dritten u. s. w.
auf das allergenaueste verbände und zusammenknüpfte. Diese
Scenen die zur Fortschreitung des Drama unumgänglich nöthig wären, würden beseelt
und voll Sinn seyn. Die Tänzer würden gezwungen werden, ihren mechanischen Gang
aufzugeben und einen gewissen Enthusiasmus anzunehmen, um ihre Rollen mitWahrheit und
Richtigkeit zu machen; sie würden gezwungen seyn, auf gewisse weise ihre Füsse und Schenkel zu vergessen, und auf ihre Physiognomie und
Gebehrden zu denken; jedes
Ballet wäre ein Gedicht das den Akt auf eine glückliche
weise schlösse; der Poet müße diese, aus dem Innern des
Drama geschöpften Gedichte
schreiben, der Musikus sie treu übersetzen, und die Tänzer sie
durch ihre Gestus recitiren und sie mit nachdruck vortragen. Auf die Weise würde in den Operntänzen nichts Leeres nichts Un nn<n>ützes, nichts
Langweiliges noch Kaltes seyn; alles wäre bedeutend und
beseelt, alles zielte auf einen gemeinschaftlichen Zweck
ab; alles würde täuschen, weil alles voll
Geist wäre, und in einem vortheilhafteren
Licht erschiene, alles würde endlich die
Illusion befördern und interessant seyn, weil
alles zusammenstimmte, und alle Theile, die ein jeder an
seinem rechten Ort stünden, sich
forthülfen, und sich wechselsweise einander Nachdruck
gäben. [↔] Ich habe es nimmer bedaurt, mein Herr, daß
Hr. Rameau und Hr. Quinault ihre Talente nicht vereinigt haben; sie würden einer für den andern gemacht gewesen seyn, denn beyde waren schöpferisch und unnachahmlich; aber das Vorurtheil, die Sprache der Kenner ohne Kentniße, die
albernen Einfälle titelführender Dumköpfe, die von allen Künsten in einem stolzen und entscheidenden Tone sprechen, ohne von
einer den geringsten Begriff zu
haben; des Schreyen und Lärmen
wichtigthuender Subalternen, dieser herumgehenden Wesen, die mit ihrem Denken Thun und Reden Leuten vom Bonton nachahmen, die zischen und
klatschen, ohne gesehen und
gehört zu haben; auch die Halbgelehrten, die zwar selbst nichts wissen, aber doch
für den grossen Haufen den Ton angeben, giftige Raupen, die den Künsten schädlich sind,
und das Genie entblättern,
würden, wenn sie nicht zertreten würden so bald sie sich
an dessen äusserste Zweige
anhängen, endlich die Menge der Anhänger und Gönner, die
selbst wieder um Beyfall betteln, die das Echo aller Lächerlichkeiten und der privilegirten Unwissenheit unserer Petitmaitres sind, die selbst nicht
Geschmack und Einsicht genug zum Urtheilen haben, immer mit ihren
Vergleichungen angezogen
kommen, und auf diese Weise oft den grossen Mann
demüthigen; alles dieses hat dem
Herrn Rameau ein solches
Unternehmen verleidet und
ihn vermocht die grossen Ideen fahren zu lassen, die er
haben mochte. Hierzu kommen noch die mancherley Verdrießlichkeiten, die die Directeurs
der Oper einem jeden Autor machen. Man scheint ihnen
strafbar und profan, wenn
man nicht einen so gotischenGeschmack hat als sie, wenn man nicht
einfältig genug ist, die alten Gesetze dieses Schauspiels
und jeden alten Schlendrian gutwillig anzunehmen, an die sie von Vater auf Sohn
gewöhnt sind. Kaum ist es einem Balletmeister erlaubt, das
Tempo einer alten Tanzmelodie zu verändern; vergebens sagt
man ihnen, daß unsere Vorfahren eine simple Execution hatten, daß die
langsahmen Stücke sich zu
ihrer schläfrigen und pflegmatischen Ausführung schickten — sie kennen
die alten Tempos, sie wissen den Tackt zu schlagen; diese
Leute haben nichts weiter als Gehör, und sie können den
Vorstellungen nichts nachgeben die eine verschönerte Kunst
ihnen machen kann; sie betrachten alles von dem Fleck wo sie sind stehen geblieben, und können dem Genie in der
unermeßlichen Bahn, die es durchlaufen ist, nicht folgen.
Unterdessen hat der Tanz
seit einiger Zeit, durch den erhaltenen Beyfall und Schutz
ermuntert, sich von dem Zwange, den ihm die Musik anthun wollte, frey gemacht.
Hr. Lany läst nicht allein die Melodien in dem wahren Geschmacke spielen sondern er
macht auch neue zu den alten Opern; an die Stelle der
einfachen monotonischen
Melodien von Lülly setzt er Stücke voll Ausdruck und Mannigfaltigkeit. [↔] Die Italiener sind in diesem Punckt viel klüger gewesen als wir. Ihrer alten Musik sind sie nicht sehr getreu, aber desto getreuer ihrem Metastasio, sie haben ihn von allen Kapell meistern
die Talente haben, komponiren lassen, und thun es noch
täglich. Die Deutschen Höfe, Spanien, Portugal und England haben dieselbe Achtung für
diesen grossen Dichter beybehalten. Die Musik
variirt unendlich, und die Worte, ob sie gleich immer dieselben sind, haben doch
allemal den Werth der Neuheit; jeder Musikus giebt diesem Dichter neuen Ausdruck
und neue Anmuth; einer
vernachläßiget diese oder jene Empfindung, ein anderer verschönert sie; dieser schwächt einen gewissen Gedanken und
jener trägt ihn mit Nachdruck
vor; der schöne Vers wird durch Graun
(*) matt gemacht, und Hasse (**) mahlt
ihn mit Feuer und Genie.
2
3
Nicht der Tanz allein, sondern alle andern Künste, die zur Schönheit und Vollkommenheit der Oper etwas beytragen, würden unendlich dabey gewonnen
haben, wenn der berühmteRameau, ohne die Nestors
seiner Zeit und den Schwarm von Leuten, die nichts über
Lülly kennen, zu beleidigen, die
Meisterstücke des Vaters und Schöpfers der lyrischen
Poesie hätte in Musik setzen
können. Dieser Mann hatte ein uneingeschränktes und erhabnes Genie und umfaßte alle
Theile mit einmal; seine Kompositions sind oder können
doch leicht der Triumph der Künste werden; alles ist groß,
alles harmonisch; jeder Artist, wenn er mit diesem Autor gemeinschaftliche Sache macht, kann Meisterstücke von verschiedner Art hervorbringen. Musikus, Balletmeister, Sänger und Tänzer, Chöre, Mahler, Erfinder der Dekoration, Kleidungen und Maschinerie können alle Antheil an seinem
Ruhme haben. Ich behaupte keinesweges, daß der Tanz in
allen Opern von Quineault durchaus nach der Natur eingerichtet und immer in
Handlung sey; aber es wäre leicht, das zu ersetzen, was der Dichter versäumt hat, und das vollends auszubilden, was man bloß als die ersten Einfälle ansehn muß, die er nur so hingeworfen. [↔] Und sollte ich mir auch eine Menge sechszigjähriger Feinde machen, so muß ich es sagen,
daß die Tanzmusik des Lülly kalt, langweilig und ohne Charakter ist:
sie ist freilich zu einer Zeit gemacht, wo der Tanz ruhig
war, und die Tänzer ganz und gar das nicht kannten, was man Ausdruck nennt. Also war alles
vortreflich; die Musik war für den Tanz gemacht, und der Tanz für die Musik; aber was dazumal zusammen paßte läßt sich Heut zu Tage nicht mehr paaren. Die Pas sind vielfältiger
geworden, die Bewegungen sind
schnell, und folgen geschwind aufeinander; die
Verknüpfungen und Vermischung der Tempos sind unendlich;
die Schwierigkeiten, die Cabriolen, das Glänzende, die Geschwindigkeit, die
Ruhe, die Unentschlossenheiten, die Kräftigen Stellungen, die veränderten Positions,
alles dieses, sage ich, kann sich unmöglich mit der ruhigen Musik und der einförmigen Melodie, die durchgängig in den
Kompositions der alten Meister herrscht vereinigen lassen.
Der Tanz nach einigen Melodien des Lülly macht bey mir eben den
Eindruck, den die beyden Dokters in MolierensMariage Forcé machen. Dieser
Kontrast einer äußersten Geläufigkeit und eines
unbeweglichen Pflegma bringt bey mir einerley Wirkung hervor. Solche Beleidigende Widersinnigkeiten dürfen
gar nicht aufs Theater gebracht werden, sie vernichten die
Anmuth und Harmonie, und machen daß das Gemählde kein Ganzes mehr bleibt. [↔] Die Musike ist beym Tanz, was die Worte bey der Musik sind; diese
Vergleichung will nichts weiter sagen, als daß die Tanzmusik das geschriebene
Gedicht ist oder seyn, und mithin die Bewegungen und Handlung des Tänzers festsetzen und bestimmen sollte; dieser soll also das Gedicht recitiren, und durch die Energie und Wahrheit seiner Gebehrden, durch den lebendigen und
beseelten Ausdruck seiner
Physiognomie verständlich machen; der Tanz ist folglich das Organ, das die
vorgeschriebenen Ideen der Musik ausdrükken und hinlänglig erklären soll. [↔] Man kann sich nichts lächerlichers denken, als eine Oper ohne Worte; stellen Sie sich die Scene vom Antonin
Caracalla in dem kleinen Stücke de la Nouveaute vor, und nehmen Sie an, daß der Dialog der vorhergeht, nicht da sey, würde man
das geringste aus der blossen Handlung der Sänger
verstehen können? Nun gut,
mein Herr, der Tanz ohne Musik ist nicht
verständlicher, als der Gesang ohne Worte; es ist eine Art von Raserey, alle seine Bewegungen sind wild und haben
keine Bedeutung. Kühne und glänzende Pas machen; nach
einer kalten und monotonischen Melodie auf dem Theater so schnell als leicht herum tanzen, das nenne ich Tanz ohne Musik. Der mannigfaltigen
und harmonischen Musik des Herrn Rameau, den Meisterzügen und sinnreichen
Unterredungen in seinen
Arien hat der Tanz sein ganzes Fortkommen zu danken.
Seitdem dieser Schöpfer einer gelehrten aber allemal
angenehmen und
schmeichelnden Musik erschien, ist der Tanz von neuem
aufgeweckt und hat sich aus der Schlafsucht herausgerissen, worin er begraben lag.
Was würde Rameau nicht
gethan haben, wenn die Gewohnheit, sich wechselsweise zu
Rathe zu ziehen bey der Oper Mode gewesen wäre; wenn der
Poet und Balletmeister ihm ihre
Ideen mitgetheilet, wenn mann sich die Mühe genommen
hätte, ihm einen Grundriß von der Handlung
des Tanzes, von den Leidenschaften, die er in
einem zusammenhängenden Süjet
nach einander schildern, und von den
Gemählden die er in dieser oder jener
Situation vorstellen sollte gegeben hätte! Alsdann hätte die Musik den
Charakter des Ge dichts gehabt, und die
Ideen des Poeten ausgedrückt;
dann wäre sie redend und expressiv geworden, und der Tänzer wäre gezwungen gewesen ihre Züge zu erhaschen,
Mannichfaltigkeit anzunehmen und auch das Seinige zur
Vollendung des Gemähldes
beyzutragen. Diese Harmonie
zwischen zwo so nah verwandten Künsten würde einen äusserst täuschenden und bewundernswürdigen Effect gethan
haben; aber durch eine unglückliche Wirkung der Eigenliebe
meiden sich die Artisten
sorgfältig statt sich kennen zu lernen und statt sich
gemeinschaftlich zu besprechen.
Wie ist es möglich, daß ein so sehr zusammengesetztes
Schauspiel, als eine Oper ist, gerathen
kann, wenn die Artisten für ihre
verschiedene wesentlichen Theile, arbeiten, ohne sich
einander ihre Ideen mitzutheilen? [↔] Der Poet bildet sich ein, daß seine Kunst ihn weit über den Musikum wegsetze, und
dieser würde glauben, sich
etwas zu vergeben, wenn er den Balletmeister zu Rath zöge;
der Dekorationsmahler spricht mit niemand als mit den Mahlern die unter ihm stehen, und der Maschienenmeister, den der Mahler oft verachtet, hat allein über die Veränderungen des Theaters zu gebieten. Wenn der Poet
sich nur ein wenig herabliesse, so würde er den Ton angeben, und die Sachen würden eine
ganz andre Gestalt gewinnen; aber er hört nichts, als was
ihm seine Muse eingiebt, und da er die übrigen Künste
verachtet; so kann er nur eine sehr unvollständige Idee
davon haben. Er weiß weder dir
Wirkung die eine jede derselben insbesondre hervorbringen
kann, noch was ihre Vereinigung und Harmonie vermögen. Der Musikus nimmt nach
seinem Beyspiele die Worte,
lauft sie nachlässig durch, überläßt sich nun der Fruchtbarkeit seines Genies, und komponirt Musik die
nichts sagt, entweder weil er
nur die Worte sah ohne ihren Sinn zu begreifen, oder weil
er den wahren Ausdruck, den er
ins Recitativ legen sollte, dem Glänzenden seiner Kunst
oder einer Menge harmonischer Gänge darinn er sich
verliebt hat, aufopfert. Macht er eine Overtüre so hat sie gar keine Beziehung auf das was vorgehen soll. Doch was macht er
sich daraus? Er ist des Beyfals sicher, wenn sie nur brav
rauscht. Die Tanzmelodien kosten ihm immer die wenigste Mühe, er folgt hierin den alten Mustern; seine Vorgänger sind seine Führer, er lästs sich auch im geringsten nicht angelegen seyn, Mannichfaltigkeit in
diese Art Stücke zu bringen, und ihnen einen
neuen Cha<>
neuen Charakter zu geben. Er sollte sich für
eine monotonische Melodie, die den Tanz schläfrig macht und den Zuschauer einwiegt, hüten, und grade wählt er die,
und warum? sie kostet ihm die wenigste Mühe, denn eine knechtische Nachahmung der alten Melodien erfodert weder viel Geschmack, noch Talente,
noch Genie. [↔] Der Decorationsmahler begeht manchen Fehler, weil er das Drama nicht genug kennt; er befrägt sich nicht bey dem Verfasser, sondern folgt seinen Einfällen, die
manchmal falsch sind und die
Wahrscheinlichkeitbeleidigen, die in den
Decorations in Absicht auf die Anzeige des Orts der Scene
seyn soll. Wie kann er aber glücklich darinn seyn, wenn er
nicht einmal weiß, wo die Scene ist? und doch sollte er die genaueste Kenntniß
von der Handlung und dem Ort, wo sie vorgeht, haben,
ehe er anfinge zu arbeiten, sonst geht alles, Wahrheit,
Kostume und das Pittoreske
verlohren. [↔] Jedes Volk hat seine eigne Gesetze, Gebräuche, Gewohnheiten, Herkommen, Moden und Ceremonien; jede
Nation hat ihren besondern
Geschmack in ihren Lustbarkeiten, in
ihrer Bauart, in ihrer Art, die Künste zu pflegen; ein geschickter Mahler muß uns diese
Verschiedenheit bemerken lassen; sein Pinsel muß getreu seyn; wofern er nicht allenthalben zu Hause ist, hört er auf
wahr zu seyn, und darf nicht mehr verlangen zu gefallen. [↔] Der Zeichner der Theaterkleider fragt niemand um Rath; oft opfert er das Kostume eines alten Volks der herrschenden neuen
Mode auf, oder dem Eigensinne einer ModeSänger- oder Tänzerinn. [↔] Dem Balletmeister wird nichts bekannt gemacht; man schickt ihm eine Partitur, er
komponirt Tänze auf die
erhaltene Musik; er vertheilt die verschiedenen Pas, und das Ballet
bekommt hernach seinen Namen und Charakter von der
Kleidung. [↔] Der Maschienenmeister hat das Amt, die Gemählde des Mahlers in ihrem gehörigen Punkt der Perspective und in das verschiedene
Licht zu bringen, das sie erfodern; seine vornehmste Pflicht ist, die
verschiedenen Stücke der Decoration mit so vieler
Richtigkeit anzuordnen, daß aus
allen ein vernünftiges und zusammenhängendes Ganze wird;
seine Geschicklichkeit besteht
darinn, daß er sie schnell hervor und wieder weg bringt.
Versteht er die Kunst nicht, die Erleuchtung gehörig zu
vertheilen, so schwächt er das Werk des Mahlers und wirft die Wirkung der
Decoration übern Haufen. Eine Parthie des Gemähldes, welche Lichtvoll seyn
sollte, wird schwarz und dunkel; eine andere, welche ohne
Licht zu seyn verlangt, steht da hell und schimmernd. Mit einer großen Menge Lampen allein ist es nicht ausgerichtet, wenn man ein Theatergehörig und vortheilhaft
erleuchten will, man mag sie nun aufs Gerathewohl oder
nach der Symetrie anbringen; die Kunst steckt darinn, daß man das Licht nach ungleichen Theilen oder Massen zu vertheilen wisse, um die Stellen, welche
ein starkes Licht erfodern, hervor zu zwingen, die zu
schonen, welche weniger verlangen, und die zu
vernachläßigen, welche noch
weniger annehmen können. Der Mahler muß, der
Perspective wegen, Nüancen und
Farbenschwächung in diesen Gemählden anbringen; derjenige also, der es erleuchten soll, dünkt mich, sollte ihn zu
Rath ziehen, um die nehmlichen Nüancen und Schwächungen in den Lichtern zu beobachten. Nichts wäre
so schlecht als eine, in einem Tone der Farbe und in einerley Nüancen gemahlte Decoration; sie hätte
weder Entfernung noch
Perspectiv; eben so, wenn die ge mahlten Stücke, welche
nach ihrer Vertheilung ein
Ganzes machen sollen, mit gleicher Stärke erleuchtet
werden, gehen Anordnung, Masse und Gegenprallung
verlohren, und das Gemählde bleibt ohne
Wirkung. Erlauben Sie mir, mein Herr, eine Ausschweifung, die zwar nicht zu meiner Kunst
gehört, aber doch der Oper vielleicht nützlich werden
kann. [↔] Der Tanz erinnert gewissermaßen den Maschienenmeister, sich
zur Veränderung der Decoration
bereit zu halten. Sie wissen, daß man den Ort vertauscht,
wenn das Divertissement vorbey
ist. Wie füllt man den Raum zwischen den Akten aus,
welcher nothwendig erfodert wird, um das Theater in
Ordnung zu bringen, die Akteurs sich ausruhn zu lassen, und den Chorsängern und
Tänzern Zeit zu geben, sich umzukleiden? Was thut das Orchestre? Es löscht die Ideen aus, die der vorhergegangene Auftritt in meine Seelegedrückt hatte; es spielt ein
Passepied; wiederholt ein
lustiges Rigaudon oder Tambourin, da ich noch durch die
vorigen ernsthaften Handlungen lebhaft bewegt und höchst gerührt bin; es stört das
Entzücken eines so süßen Augenblicks; es wischt aus meinem
Herzen die Bilder weg, woran es hing; es
erstickt und vernichtet die Empfindung, welche ihm gefielen; das ist aber noch nicht alles, und das
höchst Unschickliche kommt erst; diese rührende Handlung war nur erst eingeleitet;
der folgende Akt soll sie ausführen und meine Leidenschaft auf den höchsten Grad bringen;
nun fällt die Musik plötzlich aus einem gemeinen lustigen Stückchen, in ein
klagendes trauriges Ritornell:
welch ein widersinniger Abfall!
Wenn er auch dem Akteur erlaubt, mich zu dem Interesse
zurück zu führen, welches mir aus dem Herzen weggegeiget
war, so wirds doch nur mit langsamen Schritten geschehen; meine Seele wird lange Zeit zwischen
der Zerstreuung, darinn man sie gezogen, und dem
Schmerze, wozu man sie zurück zu rufen
sucht, herum schwanken; das Garn, welches mir die
Ficktion zum zweytenmale aufstellt, ist
zu sichtbar; ganz mechanischer Weise, und ohne michs
bewußt zu seyn, suche ich ihm auszuweichen, und dann muß
die Kunst die unerhörtesten Kräfte anstrengen, um
mich von neuem zu täuschen und zu
besiegen. Sie werden gestehen, daß diese alte Methode, der unsere Musici noch so getreu anhängen, wider alle Wahrscheinlichkeit verstößt. Sie dürfen sich nicht schmeicheln, mich bis zu dem Punkte in ihrer Gewalt zu haben, daß sie so schnell, als sie nur wollen, alle diese verschiedenen Erschütterungen in meiner
Seeleerregen können; der erste
Augenblick machte mich geneigt, dem Eindrucke Raum zu
geben, der aus den Gegenständen, die man mir darbot, entspringen sollte; der zweete hebt diese Wirkung völlig auf, und das neue
Gefühl, was er bey mir hervorbringt, ist
von demjenigen, welchem ich mich anfangs überlassen hatte,
so verschieden, so entfernt, daß ich nur mit ausserordentlicher Mühe wieder dahin gelangen kann, besonders, wenn meine
Fibern natürlicher Weise mehr
Hang und Reitzbarkeit für die letztere Art Bewegungen haben. Mit einem
Worte, mein Herr, dieser plötzliche Abfall, dieser
unvorbereitete Uebergang vom Pathetischen zum Lustigen,
vom Diatonischenharmonischen
(*) oder vom Chromatisch
4
enharmonischen zu einer Gavotte oder einer
Art Gassenhauer, scheint mir eben so widrig, als eine Arie, die in einer andern Tonart schließt, als sie angefangen. Ich darf glauben, daß eine solche Unschicklichkeit von
allen denjenigen empfunden wird, welche das Vergnügen zu empfinden
ins Schauspiel lockt, denn nur solche
Geschöpfe können sie übersehn, welche der Mode wegen da
sind, welche mit ungeheuren Ferngläsern in der Hand
zufrieden sind, wenn sie ihre
Lächerlichkeitenauskramen, sehen und gesehen
werden können, und sich um das Vergnügen, welches die
durch Verstand, Geschmack und Genie vereinten Künste gewähren können, nicht
bekümmern. [↔] Laß die Poeten von ihrem Parnaß herabkommen, laß die Artisten, welche
die ver schiedenen Theile
besorgen, die eine Oper ausmachen, mit Eintracht arbeiten und sich einander die Hand bieten, so wird dieses
Schauspiel sehr in Aufnahme
kommen, und die vereinigten
Talente werden ihres Zwecks nie verfehlen. Nur ein niederträchtiger Neid und ein,
großen Männern unanständiger Zwist, können die Künste
entehren, die Künstler verächtlich machen, und sich der Vollkommenheit eines Werkes widersetzen, welches so viele Fächer und so verschiedene Schönheiten erfodert, als die Oper. [↔] Ich habe dieses Schauspiel beständig betrachtet als ein großes Gemählde, welches
das Wunderbare und Erhabene
aller Gattungen der
Mahlerey darstellen soll; wovon ein
berühmter Mann die Skitze auf der Leinewand entworfen, und
das darauf von geschickten Mahlern, in den
entgegengesetzten Gattungen ausgeführt werden müßte, die
alle von Ehre und der edlen Begierde zu gefallen beseelt,
dieses Meisterstück mit der Eintracht und dem Einverständnisse vollendeten, welche das
Kenntzeichen wahrer Talente sind. Der berühmte Mann, der den Stoff gewählt, der ihn in seine Theile geordnet, der ihn mit so vieler Kunst als Geschmack vertheilet, und
die Skitze auf der Leinwand entworfen hat, ist der Poet; von ihm hängt eigentlich die
glückliche Ausführung ab, weil er erfindet, austheilt,
zeichnet, und nach Maaßgabe seinesGenies mehr oder weniger
Schönheiten, mehr oder weniger
Handlung und folglich mehr oder weniger
Interesse in sein Gemählde leget. Die Mahler, welche nach seiner Imagination arbeiten, sind der
Kapellmeister, der Balletmeister, der Dekorationsmahler,
der Zeichner der Kleidungen, in Ansehung des Kostume, und der Maschienenmeister: alle
fünfe müssen gleichviel zu der Vollkommenheit des Werks das Ihrige beytragen, indem sie die ursprüngliche Idee des Poeten genau befolgen, welcher seiner Seits ein wachsames
Auge auf das Ganze haben muß. Das Auge des Meisters ist bey allen Kleinigkeiten nöthig; ob es gleich eigentlich bey der Oper
keine unwichtige Kleinigkeiten giebt, denn die geringfügigsten Dinge fallen auf,
beleidigen und mißfallen, wenn sie nicht mit aller Ordnung
und Genauigkeit herbeygeführt werden. Dieses Schauspiel kann also keine
Mittelmäßigkeit vertragen,
es täuscht nur in so fern es in allen seinen
Theilen vollkommen ist. Gestehn Sie, mein Herr, daß ein
Autor, der sein Werk diesen fünf Personen überläßt, die er niemals spricht, die sich unter einander kaum kennen
und sich sorgfältig vermeiden, so ziemlich denen Vätern
gleicht, welche die Erziehung ihrer Kinder fremden Händen übergeben, und die aus Zerstreuung
oder Vornehmthun sich zu
erniedrigen glaubten, wenn sie diese Sorge selbst
übernähmen. Was sind die Folgen dieses falschen Vorurtheils? Ein Kind, das die
Natur zum Gefallen bestimmt hatte, wird abgeschmackt und mißfällig. Der Poet ist
der Vater, das Drama das Kind. [↔] Sie sagen vielleicht, daß ich von einem
Poeten alles und also zu viel verlange; nein, mein Herr,
aber ein Poet muß Verstand und Geschmack haben. Ich bin der Meinung eines Schriftstellers, welcher sagt, daß die
großen Stücke der Mahlerey, der
Musik und der Tanzkunst, welche einen
Nichtkenner, der aber gesunde Sinne hat, nicht auf einen
gewissen Grad
rühren, entweder ganz schlecht oder
mittelmäßig sind. [↔] Kann der Poet nicht, ohne selbst Musikus zu
seyn, empfinden, ob dieser oder jener Zug in der
Musik seinen Gedanken ausdrückt, ob ein
anderer nicht den Ausdruck schwächt, ob ein dritter nicht der Leidenschaft Stärke,
oder der Empfindung Anmuth und Leben giebt?
Kann er nicht, ohne ein Decorationsmahler zu seyn, einsehen, ob eine Decoration, die einen afrikanischen Wald vorstellen soll, nicht zu viel
von dem Wäldchen zu Fontainebleau entlehnt hat? Ob eine
andere, die ein amerikanisches
Gestade nachbilden soll, nicht der Gegend bey Toulon zu
ähnlich sieht? Ob eine dritte, die den Pallast eines
chinesischen Kaisers vorstellen
soll, nicht zu viel von Versailles hat? und ob endlich
eine, die die Gärten der Semiramis zeigen soll, nicht
Marly aufweiset? Er braucht kein
Balletmeister zu seyn, um zu merken, wenn in den Tänzen
Unordnung herrscht, wenn die
Tänzer wenig Ausdruck haben; er
kann, sage ich, beurtheilen, ob seine
Handlung feurig vorgestellt wird; ob die
Gemählde treffend, ob die Pantomime wahr sind, und ob der Charakter des Tanzes dem Volke der Nation entspricht, welchen er vorstellen soll. Kann er nicht eben so gut auch die
Fehler merken, welche in den Kleidungen stecken, entweder
aus Nachläßigkeit oder aus falschem
Geschmacke, die, dadurch, daß sie sich vom
Kostume entfernen, alle Illusion aufheben? Braucht er eben Maschienenmei ster zu seyn, um gewahr zu
werden, daß diese oder jene Maschiene nicht
geschwind genug hervorkömmt?
Nichts ist leichter, als ihre Langsamkeit oder richtige Geschwindigkeit zu bemerken. Uebrigens ist es die Sache des Maschienenmeisters, dafür zu
sorgen, daß die Räder, Seile und Schieber im richtigen Stande sind. [↔] Der Komponist sollte die Tanzkunst verstehn, oder zum wenigsten die Tacktarten und
die Möglichkeit der Bewegungen, die jeder Gattung, jedem Charakter und jeder Leidenschaft eigen
sind, kennen, um zu jeder Situation, die der Tänzer nach einander mahlen kann, die
gehörigen Noten zu schreiben; aber anstatt die
Anfangsgründe dieserKunst und
ihre Theorie zu lernen, flieht er den Balletmeister; er glaubt, daß ihm seine Kunst
einen großen Rang über den Tanzkünstler giebt. Ich will ihm solchen nicht streitig machen, obgleich die vorzügliche
Wissenschaft in einer Kunst, und nicht
die Natur der Kunst allein
Vorzug und Ansehen verdienen. [↔] Ich wiederhole es, die meisten Komponisten folgen dem alten Schlendrian der Oper;
sie machen Passepieds, weil
Mademoiselle Prevot ein zierlich Passepied
lief; Müsetten, weil Mademoiselle Salle und Monsieur Dumoulin
solche mit eben so vieler Anmuth als Wollust tanzten; Tambourin, weil MademoiselleCamargo in dieser Gattung
vortrefflich war; endlich
Chacconen und Passecaillen,
weil Monsieur Dupre sich an diese Bewegungen gleichsam allein gewöhnt
hatte; weil sie sich für seinen Geschmack, für seine Art
zu tanzen und für seinen edlen Wuchs am besten schickten. Aber diese vortrefflichen Leute sind nicht mehr da, sie sind in gewissen Theilen mehr als ersetzt, und in gewissen werden sie es vielleicht niemals. Mademoiselle Lany läßt alle weit hinter sich, die sich durch Schönheit, Richtigkeit und Kühnheit
in der Ausführung hervorgethan
hatten; es ist die grösseste
Tänzerinn in der Welt; man hat aber den naifen Ausdruck
der Mademoiselle Salle nicht vergessen; ihre Anmuth ist noch immer im Andenken, und die Mienenspielerey der
Tänzerinnen in ihrer Gattung, hat diesen Adel, diese
harmonische Simplicität der zärtlichen und wollüstigen, aber dabey immer anständigenBewegungen dieser liebenswürdigen Tänzerinn noch nicht ins Vergessen bringen können. Vor Monsieur Dumoulin haben wir noch keinen andern; er tanzte die
Pas
de Deux mit einer Kunst, die es zu erreichen Mühe kosten möchte; beständig war er zärtlich, beständig von
der Grazie begleitet, bald Papillon, bald Zephir, einen
Augenblick ungetreu, den andern
beständig, immer von einer neuen
Empfindung beseelt, und stellte alle
Gemählde der Zärtlichkeit bis zum Entzücken vor. Monsieur Vestris hat den berühmtenDupre ersetzt, das ist zu
seinem Ruhme alles auf einmal gesagt; aber wir haben
MonsieurLany, dessen vorzügliche
Kunst ihm Bewunderung erwirbt, und ihn über alles das
wegsetzt, was ich zu seinem Ruhme sagen könnte. Wir haben
Tänzer und Tänzerinnen, die hier eine Apologie verdienten,
wenn mich das nicht zu weit von meinem Zwecke ableitete. Endlich haben wir Schenkel
und eine Execution, die unsere Vorgänger nicht hatten; diese Ursache sollte,
deucht mich, die Komponisten dahin bringen, in ihren Tackt
Bewegungen abwechselnder zu
seyn, und nicht länger für diejenigen zu arbeiten, welche
nur noch in dem Andenken des Publikumsexistiren, und deren
Gattung fast völlig ausgestorben ist. Die Art zu tanzen ist heut zu Tage
neu, es ist also platterdings nöthig, daß die Tanzmusik ihrer Seits es gleichfalls werde. [↔] Man beklagt sich, daß die Tänzer Bewegung ohne Aktion, Anmuth ohne
Ausdruck haben; könnte man aber nicht bis zur Quelle des Uebels zurückgehen? Man entwickle nur seine Ursachen, so kann man es mit Vortheil angreifen,
und die dienlichen Mittel zur Heilung anwenden. [↔] Ich habe gesagt, daß die meisten Ballette
bey diesem Schauspiele, so gut sie auch entworfen und ausgeführt werden mögen, dennoch kalt sind: ist es bloß
die Schuld des Erfinders? wäre
es ihm wohl möglich, jeden Tag neue Plane auszusinnen, und
den Tanz am Ende eines jeden Akts der Oper in Handlung zu bringen? Nein,
wahrhaftig nicht; das wäre ein zu schweres Stück Arbeit;
ein solches Vorhaben könnte auch nicht ohne unendliche Widersprüche ausgeführt
werden, es müßten denn die Poeten zu dieser Einrichtung
das ihrige thun, und über alle Projekte, welche den Tanz zum Zwecke haben,
mit dem Balletmeister gemeinschaftlich arbeiten. [↔] Lassen Sie uns sehen, was der Balletmeister bey diesem Schauspiele thut, und
untersuchen, was man ihm für
Arbeit zuschneidet. Man giebt ihm die ausgeschriebene
erste Violinstimme zum
Repetiren, er schlägt sie auf und liest:
Prolog, Passepied für
die Spiele und Scherze; Gavotte für die Amouretten und Rigaudon für die angenehmen Traumgötter. Im
ersten Akt, March für die Krieger, Grave für
dieselben; Müsette für die Priesterinnen. Im zweeten Akt, Loure für das
Volk, Tambourin und Rigaudon für die Schäfer. Im dritten Akt, Grave Staccato
für die Teufel, Presto für dieselben. Im vierten Akt, Entree der Griechen und Chacconne, die
Winde, die Tritonen, die
Najaden, die Stunden, die Zeichen des Zodiakus, die
Bachanten, die Zephyre, die
Gnomen, die unglücklichen Träume nicht mit gezählt, denn wir kämen nicht zu
Ende. Da hat nun der Balletmeister seinen völligen
Unterricht; nun mag er den prächtigen und sinnreichen Plan
ausführen! Was verlangt der Poet? daß alle Personen des Ballets tanzen sollen, und man giebt ihnen zu tanzen: aus diesem
Mißbrauche entspringenlächerliche Foderungen. Mein Herr,
sagt der erste Tänzer zum Balletmei ster, ich bin an dieses oder jenes Stelle gekommen und ich muß dieß oder jenes Stück
tanzen. Aus eben der Ursache verlangt eine Tänzerin die Passepieds; diese die Tam bourins; dieser die
Louren; jener die Chacconnen für
sich alleine zu behalten; und dieses eingebildete Recht,
dieses Haberechten über Stellen und Gattungen
veranlaßt in jeder Oper zwanzig Soloentreen, welche man in
entgegengesetzten Kleidungen, Geschmack
und Gattungen tanzt, die aber weder durch den Charakter, noch durch den Sinn, durch die Zusammensetzung der Pas, noch durch die Stellungen
verschieden sind. Diese Eintönigkeit kömmt von der maschienenmäßigenNachahmung.
Monsieur Vestris ist der
erste Tänzer, er tanzt nicht
eher, als im letzten Akt; das ist die Regel; sie geht auch
nach dem Sprichworte, das Beste zuletzt. Was thun die übrigen Tänzer dieser Gattung? Sie verstümmeln ihr Original, überladen
es, und behalten nur seine Fehler; denn es ist leichter,
sich das Lächerliche, als Vollkommenheit zu eigen zu machen; Alexanders
Höflinge, die seine Tapferkeit nicht erreichen konnten,
fanden es leichter, seinen schiefen Hals nachzuahmen. Es sind also die
frostigen Copien, welche das Original auf hunderterley
Arten vervielfältigen, und es unaufhörlich verstellen. Die von einer andern
Gattung sind eben so schaal und eben so lächerlich: sie
wollen die Präcision, die Munterkeit und die schön durchflochtnen Schritte des Monsieur
Lanyerhaschen, und sind
unausstehlich. Alle Tänzerinnen
wollen tanzen wie Mademoiselle Lany, und dadurch
werden sie alle sehr lächerlich.
Kurz, mein Herr, die Oper, wenn ich so sagen darf, ist ein
Schauspiel der Affen. Der Mensch vermeidet und scheuet,
sich in seiner eignen Gestalt zu
zeigen, er borget immer eine fremde, und er würde
erröthen, sich selbst ähnlich zu seyn; daher muß man das
Vergnügen, ein Paar gute Originale zu bewundern, mit der Langenweile
erkaufen, vorher eine Menge
elender Copien zu sehen. Und was will man denn mit dieser
Anzahl Soloentreen sagen, die
mit nichts in der Welt Zusammenhang oder Aehnlichkeit haben? Was stellen
diese seelenlose Körper vor, die, ohne
angenehm zu seyn, herum trippeln, ohne Geschmack mit den
Armen wedeln, ohne sich grade zu tragen ohne Festigkeit
Pirouetten schneiden, und die von Akt zu Akt mit eben demselben Froste wiederkommen? Kann man
diese Arten von Interesse und Ausdruck entblößte Entreen wohl Monologen nennen? Nein, auf keine Weise, denn der Monolog gehört zur Aktion, und geht mit der Hand lung fort,
mahlt und unterrichtet. Wie kann man aber
ein Soloentree reden lassen, fragen Sie? Nichts ist
leichter, mein Herr, und ich will Sie deutlich davon
überführen. [↔] Zwey Schäfer, zum Exempel, die sterblich in eine Schäferinn verliebt sind,
dringen in sie, zu wählen, und sich für einen von beyden zu erklären; Themire, so heiße die Schäferinn, ist schüchtern, unschlüßig, und wagt
es nicht, den Namen ihres Ueberwinders auszusprechen; endlich giebt sie
den lebhaften Bitten und der
Liebe nach, und giebt dem Aristeus den Vorzug; sie flieht in das
Gebüsch um ihre Verwirrung zu verbergen; aber ihr Geliebter folgt ihr, um seines Sieges zu geniessen. Der verlaßne, der
verachtete Tyrsis, mahlt seine Unruhe und seinen Schmerz; bald darauf bemächtigen sich Eifersucht und Wuth seines Herzens: er überläßt sich denselben ganz, und läßt mich bey
seinem Weggehn errathen, daß er zur Rache eilt und seinen
Nebenbuhler verfolgt. Dieser erscheint gleich darauf; alle seine Bewegungen
sind mir ein Bild der Glückseligkeit, seinen Minen, Gebehrden, Stellungen und
Blicke stellen mir das Gemählde der glücklichen Liebe und
der Wollust vor. Tyrsis voller
Verzweiflung sucht seinen Nebenbuhler, und wird ihn in dem Augenblicke gewahr, da er die reinste und
empfindungsvolleste Freude ausdrückt.
Diese Contraste sind nicht weit gesucht, sondern natürlich; das Glück des einen vermehrt
die Quaal des andern; Tyrsis
denkt auf nichts anders als Rache; er fällt den Aristeus
mit der Wuth und der Heftigkeit an, welche die Eifersucht
und der Verdruß über Verachtung zu erzeugen pflegen; der
andre vertheidigt sich zwar, aber es sey nun, daß Uebermaße des Glücks den Muth schwächt,
oder daß die befriedigte Liebe ein Kind des Friedens ist,
er steht auf dem Punkte unter dem Tyrsis zu erliegen; sie führen ihren Kampf mit ihren
Schäferstäben; Blumen und Kränze, welche die
Liebe gepflückt und geflochten, und zur
Wollust geweihet, werden die
Tropheen ihrer Rache: alles wird in diesen Augenblicken
ein Opfer der Wuth; selbst der Strauß, womit Themire den glücklichenAristeus geziert, vermag nicht der
Bosheit des beleidigten Liebhabers zu entgehen. Nun kommt Themire
darüber zu; man hat ihren Geliebten mit dem Blumenkranze
gefesselt, damit sie ihn geschmückt; sie sieht ihn zu Tyrsis Füßen liegen: welche
Unruh! welche Furcht! Sie zittert vor der Gefahr den
Geliebten zu verlieren: alles zeugt von ihrer Angst, alles drückt ihre Leidenschaft aus.
Bestrebt sie sich ihren Aristeus zu befreyen; so ist es die
aufgebrachte Liebe voller Bosheit, die sie
handeln läßt. Wüthend ergreift sie einen Pfeil, der auf
der Jagd verlohren, fährt auf den Tyrsis zu, und giebt ihm damit verschiedene Stiche. Bey diesem rührendenGemählde wird die Handlung allgemein, von allen Seiten eilen Schäfer und Schäferinnen herbey; Themire ist voller Verzweiflung, eine so
grausame That verübt zu haben, will sich dafür strafen und
sich das Herz durchbohren; die
Schäfer wollen sie diesen verzweifelten Vorsatz nicht ausführen lassen; Aristeus,
halb Freund, halb Liebhaber, fliegt zu Themiren, bittet,
fleht, beschwört sie, ihm ihr Leben zu erhalten: er läuft
zum Tyrsis: er ist geschäftig ihm zu
helfen, ersucht die Schäfer für
ihn zu sorgen. Themire voller Wehmuth, voller Schmerz, drängt
sich zum Tyrsis, umfaßt seine Kniee, und bezeugt ihm auf
alle Art eine aufrichtige Reue; diesen hat seine
Zärtlichkeit, seine heftige Leidenschaft noch nicht verlassen, und er scheint den Streich zu segnen, der ihm das Leben kosten wird. Die mitleidigen Schäferinnen führen Themiren
wider ihren Willen von diesem Orte, der ein Theater der
Klagen und des Jammers geworden, hinweg. Die Schäfer ihrer
Seits tragen den Tyrsis fort; er
ringt mit dem Tode, und mahlt
noch den Schmerz, den er fühlt, entfernt von Themiren und nicht in ihren Armen zu
sterben. Der zärtliche Freund, aber getreue Liebhaber, Aristeus, drückt seinen Kummer und seine
Empfindungen auf tausenderley Art aus; seine Seele ist in
einem unaufhörlichen Kampfe; er
möchte Themiren folgen, will aber Tyrsis nicht
verlassen; er will die Geliebte trösten, aber auch seinem
Freunde Hülfe leisten. Dieser Tumult stillt sich, diese Unschlüßigkeit hört auf: ein Augenblick der Ueberlegung
entscheidet für die Freundschaft; er entreißt sich endlich
der Themire
und eilt zum Tyrsis. [↔] Dieser Plan mag sich auf dem Papiere
schlecht ausnehmen, er thut aber auf dem Theater gewiß große Wirkung; er enthält keinen Augenblick, der nicht mahlerisch ist;
die mannichfaltigen Situationen und Gemählde, die er giebt, sind beständig
neu im Colorit, in der Handlung
und im Interesse; die Soloentree des Tyrsis und Aristeus seine, sind voller Leidenschaften, sie mahlen,
reden, und sind wahre Monologen. Die beyden
Pas de trois sind das Bild eines dramatischen Dialogs von entgegen
gesetzten Gattungen, und das
pantomimische Ballet, welches diesen
kleinen Roman schließt, wird denjenigen immer sehr lebhaft rühren,
der Augen und ein Herz hat; wenn nur die, welche es ausführen, Seelen haben, und
Empfindung mit gehörigem Nachdruck und Leben vorstellen können. [↔] Sie wissen, mein Herr, daß, um eine Aktion
zu mahlen, worinn die Leidenschaften abwechseln, und wo die Uebergänge eben dieser Leidenschaften so schnell
sind, als in dem Programma, das ich Ihnen hier vorgelegt
habe, nothwendig erfodert wird, daß die Musik die armseligen Taktarten und Modulationen verlasse, in welchen
bisher die Tanzmelodien gesetzt
worden. Trockne und maschienenmäßig ohne Absicht zusammen gesetzte Töne, können dem Tänzer nicht zu Hülfe
kommen, noch zu einer lebhaften Handlung passen. Es ist
also nicht hinlänglich nach den Generalbaßregeln richtig
die Noten zusammen zu schreiben; die harmonische Folge der
Töne muß in diesem Falle die Töne der Naturnach ahmen, und ihre richtigen
Inflexions ein Bild vom Dialog geben. [↔] Ueberhaupt, m. H., verwerfe ich Soloentreen in der Oper
nicht; ich bewundre die Schönheiten, die man
oft hin und wieder darinn antrift, aber nicht so häufig
wünsch ich sie. Alles Ueberhäufte wird langweilig; ich wollte, daß man in die Ausführung mehr Abwechslung brächte: denn was ist wohl lächerlicher, als die Schäfer aus Tempe eben so tanzen zu sehen, wie
die Gottheiten des Olymps? Man hat bey diesem Schauspiele unzählige Arten von Kleidungen und Charakteren; deswegen möcht ich wohl, daß der Tanz
nicht immer einerley bliebe. Diese ekelhafte Einförmigkeit würde gewiß verschwinden,
wenn die Tänzer den Charakter der Person, die
sie vorstellen sollen, ihre Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten studirten; man wird niemals die Rolle eines Helden oder eines andern mit vollkommner
Nachahmungvorstellen, wenn man sich nicht
an seine Stelle versetzt. Niemand kann den Soloentreen mehr Gerechtigkeit wiederfahren lassen, wenn sie von
den geschicktesten Tänzern getanzt werden, als ich; sie
legen mir alle mechanische Schönheiten der harmonischen Bewegung des
Kör pers dar; aber,
ich glaube nicht, daß es ihr Tanzen verachten, ihre
Geschicklichkeiten herunter
setzen und ihre Lieblingsgattung verschreyen heißt, wenn ich herzlich wünsche, daß
diese für den Ruhm gebohrne Personen, in die
Annehmlichkeit ihres Körpers Bewegungen der Seele mischen möchten, daß ich sie unter einer
reitzendern Gestalt bewundern und nicht immer
eingeschränkt seyn dürfte, sie bloß als schöne
Maschienen, die nach richtigen Proportionen zusammen gesetzt sind, zu
betrachten; vielmehr denke ich sie dadurch anzumahnen, ihre Kunst noch mehr
zu verschönern und
mannichfaltiger zu machen. [↔] Auf die Kleidung zu kommen. Abwechselung und Wahrheit im Kostume sind dabey eben so selten als in der
Musik, in den Balletten und im bloßen Tanze. Der Eigensinn
regieret in allen Theilen der Oper gleich stark, er ist
der Tyrann dieses Schauspiels. Die Kleider der
Griechen, Römer, Schäfer, Jäger, Helden, Faunen, Silphen,
Scherze, Spiele, Liebesgötter, Tritonen, Winde, Salamander, Träume, Hohenpriester, Unterpriester, alle sind nach einem Muster
geschnitten, und durch
nichts unterschieden, als durch die Farben und die
Verzierungen, wel che mehr die Verschwendung
als der Geschmack aufs Gerathewohl darauf wirft. Allenthalben schimmert das unächte Gold
oder Silber: der Bauer, der Matrose und der Held sind gleich dick damit besäet. Je mehr Flinkern, Gase und Verbrämungen auf ein Kleid angebracht sind, je schöner ists in
den Augen des geschmackslosen Zuschauers>.
Nichts läßt so sonderbar, als wenn man ein Haufen Krieger ankommen sieht, die eben
gefochten und gesieget haben. Kann man ihnen wohl das Schreckliche des Blutbades ansehn? Sind ihre
Mienen lebhaft und aufgebracht? Ihre Blicke fürchterlich?
Fliegen ihre Haare in wilder Unordnung? Nein, m. H.,
nichts von alle dem; sie sind mit der äußersten Sorgfalt geputzt und geschmückt;
sie sehn mehr einem Sybariten
ähnlich, der eben den Bader von sich gelassen, als einem
Helden, der eben den Feind in die Flucht geschlagen hat.
Wo bleibt dieWahrheit, die
Wahrscheinlichkeit? wo soll die Illusion herkommen? Wer kann sich wohl bey einer so falschen und so schlecht vorgebrachten Aktion des Verdrusses erwehren? Das Theater fodert
seine eigene Anständigkeit; das geb' ich zu; es erfodert
aber auchWahrheit und
Natur in der Vor stellung, Kraft und Stärke
in den Gemählden,
und da, wo es nöthig ist, eine wohlverstandneUnordnung. Ich möchte die steifen Korbröcke weggeschaft wissen, welche in
gewissen Stellungen des Tanzens die Hüften gleichsam bis an die Schultern bringen, und ihre Umrisse verbergen. Ich möchte aus den Kleidern alle frostige Anordnungen nach der Symetrie,
welche nur Kunst ohne Geschmack verräth, und nichts Reitzendes hat, verbannen. Ich würde lieber die
leichter ungekünstelten
Drapperien wählen, welche nach den Farben abstächen und
dergestalt eingerichtet wären, daß sie den Wuchs des
Tänzers nicht versteckten. Ich möchte sie leicht haben,
ohne das deswegen eben der Stoff gespart werden müßte. Schöne Falten, schöne Gewände
wünsch ich, und sie würden immer das Ansehn von
Leichtigkeit haben, weil die äußern Theile dieser
Drapperie fliegen, und so wie der Tanz an Hurtigkeit und
Lebhaftigkeit zunähme, immer
neue Lagen annehmen würden. Ein Sprung, ein lebhafter Pas,
eine Flucht gäben diesem Gewande
beständig einen andern Fall: das würde uns der
Mahlerey und folglich derNatur näher bringen; das würde
den Stellungen Zierlichkeit und den Lagen des Körpers Anmuth geben; das würde endlich
dem Tänzer dieses Ansehn von Stärke und Leichtigkeit
geben, welches er in den gothischen Harnischen der Oper nicht haben kann. Ich
würde die lächerlichen Steifröcke unserer Tänzer um
Dreyviertheil kleiner machen; sie stehen sowohl der
Freyheit und Leichtigkeit, als der
richtigen und lebhaften Aktion des Tanzes im Wege. Sie
benehmen dem Wuchse seine Zierlichkeit und die richtigen
Proportions, die er haben
muß. Sie vermindern das Angenehme in den Bewegungen der Arme; sie begraben, so zu sagen, die Grazien,
und zwängen und schnüren die Tänzerinn dergestalt, daß sie zuweilen mehr
und emsiger auf die Bewegungen
ihres Steifrockes, als ihrer Arme und Füße denkt. Jeder
Akteur muß auf dem Theater ungezwungen scheinen: er muß nicht einmal von der Rolle oder Person, die er vorzustellen hat,
Zwang annehmen. Ist seine
Aufmerksamkeit getheilt, legt ihm die Mode eines
lächerlichenKostume so viel Zwang auf, daß er die
drückende Schwere seines Habits mit Verdruß fühlt, daß er
darüber seine Rolle vergißt,
daß er nicht mehr den gehörigen Antheil an der
Handlung nimmt, die vorgeht, oder die er
mit Wärme vorstellen sollte: so muß er sich alsobald von einer Mode befreyen, welche derKunst
eine armselige Figur giebt, und
der Geschicklichkeit wehret, sich zu zeigen. Mademoiselle
Clairon, diese unnachahmliche Aktrice, welche
geschaffen ist, die Gewohnheiten, die ein langer Brauch
geheiligt, abzuschaffen, hat
die Steifröcke ungescheut und
ohne Vorbereitung verbannt. Das wahre Talent ist
allenthalben einerley; es gefällt ohne Kunst. Mademois.
Clairon wird ohne oder mit den Steifrock eine vortreffliche Aktrice bleiben; sie würde
die erste Trauerspielerinn seyn, wenn das französische Theater nicht die mit den seltensten und erhabensten Talenten begabte
Mademoiselle Dumenil aufzuweisen hätte, die
unfehlbar allemal die Herzen
derjenigen rühren wird, welche
ein Gefühl für die Töne derNatur haben. Es war nichts weniger als Eigensinn, was
Mademois. Clairon bewog,
einen eben so lächerlichen als beschwerlichen Putz zu verwerfen. Sie hat den Steifrock weniger deswegen
abgelegt, als wollte sie das Ansehen haben, etwas zu reformiren, denn weil sie wirklich eine große Aktrice ist. Einsicht, Verstand,
Vernunft und dieNatur haben sie bey
dieser Reform geleitet; sie hat die Alten zu Rathe gezogen, und geglaubt, daß Medea,
Electra und Ariadne nicht aussehn, reden,
gehn und sich kleiden könnten, als unsre Modedamens. Sie hat gefühlt, daß sie
sich den altenSitten eben so weit näherte, als sie sich von
den unsrigen entfernte; daß die Nachahmung der Personen, die sie
vorstellte, wahrer und
natürlicher seyn würde; daß sie ihre ohne dem lebhafte und
geistvolle Aktion noch mit mehr Seele und Feuer herausbringen könnte, wenn sie
sich von dem Zwange und der Last einer
lächerlichen Kleidung befreyet hätte; sie ist
endlich überzeugt gewesen, daß das Publikum ihre Talente nicht nach der Weite
ihres Steifrockes abmessen würde. Freylich steht es nur
vorzüglichen Verdiensten zu, Neuerungen einzuführen, und
auf einmal die Gestalt solcher
Dinge zu ändern, denen wir weit mehr aus Gewohnheit, als
aus Geschmack und
Ueberlegung anhingen. Herr Chasse, der einzige Akteur
in seiner Art, der die Kunst gefunden, in eiskalte
Auftritte was Anziehendes zu bringen, und abgenutzte und frostige Gedanken durch seine Gestus zu heben, hat gleichfals die beschwerlichen Korboder Steifröcke abgeworfen,
welche dem Akteur nichts
Ungezwungnes ließen, und ihn, so zu sagen, zu einer schlecht eingerichteten Maschiene machten. Die Caskete und die
symetrischen Habite hat dieser große Mann gleichfals
verwiesen; statt der aufgedunseten Korbröcke wählte er
wohl ausgesonnene Gewände, und
statt der antiquen Federbüsche bedient er sich Plümen, die
er mit Geschmack und Wahl anbringt. In seinem Anzuge herrschten Verstand und mahlerische Natur. [↔] Herr Le Kain,
ein vortrefflicher Trauerspieler, ist dem Beyspiele des Chasse gefolgt; er ist noch weiter
gegangen. In Voltairens Semiramis ist er mit zurückgestreiften Aermeln, mit blutigen Händen, mit
sträubigten Haaren und verwildertem Blicke, aus dem Grabmale des Ninus hervor gekommen.
Dieses starke aber natürliche Gemählde
traf auf den Zuschauer,
erhielt seine Aufmerksamkeit und
warf Schrecken und Entsetzen in seine Seele. Der kritische Witz kam zwar
einen Augenblick nach der Rührung mit seinen
Anmerkungen hervor, aber es
war zu spät; der Eindruck war gemacht, der Pfeil
abgedrückt, der Akteur hatte sein Ziel getroffen, und ein
allgemeiner Beyfall belohnte eine zwar kühne aber glückliche Aktion, die ohne Zweifel mißglückt seyn würde, wenn sie ein
mittelmäßi ger und minder gelittner
Akteur gewagt hätte. Herr Boquet, der seit einiger Zeit
die Aufsicht über die Zeichnung und das Kostume der Opernkleider hat, wird den Fehlern in diesem, der Illusion so wesentlichen Theile, leicht abhelfen, wenn man ihm nur freye Hand läßt, und
sich seinen Ideen nicht widersetzt, welche immer auf die Vollkommenheit abzwecken werden. [↔] Von den Decorations werde ich Ihnen nichts
sagen, mein Herr; ihr Fehler in der Oper liegt nicht am
Geschmacke, sie könnten sogar schön seyn,
weil die Mahler, die in diesem Fache
arbeiten, wirkliche Verdienste besitzen; die Cabale aber,
und eine übel angebrachte
Sparsamkeit setzen ihrem Genie Schranken und ersticken ihre Talente. Uebrigens wird der Mahler einer
Decoration niemals genannt,
besonders wenn ihr Beyfall zugeklatscht wird; daher findet
nicht viel Nacheiferung statt,
und folglich sieht man wenig Decorationen, die nicht
ungemein vieles zu wünschen übrig ließen. [↔] Ich will diesen Brief mit einer Anmerkung
schließen, die mir sehr natürlich scheint. Der Tanz hat
bey diesem Schauspiele zu viel idealischeCharaktere, und muß zu viele Hirnge spinste und schimärische
Personen vorstellen, um solche mit verschiedenen Zügen und
Farben vorzustellen. Mit
weniger Feyengeschöpfen, weniger
Wunderbarem, mehr Wahrheit und mehr
Natürlichem, wird der Tanz in viel besserm
Lichte erscheinen. Ich würde, zum Exempel, sehr verlegen
seyn, wie ich die Action eines Kometen, der
Zeichen des Thierkraises, der Horas u. s. w. vorstellen sollte.
Die Ausleger des Sophokles,
des Euripides und Aristophanes sagen wohl, daß die Tänze der Egyptier die Bewegungen und Harmonien
der Weltkörper vorstellten; sie tanzten in die Runde um
Altäre, die sie als die Sonne betrachteten, und diese
Figur, die sie beschrieben,
indem sie sich bey den Händen angefaßt hielten, stellte
den Zodiakus, oder die Zeichen
des Thierkraises vor; aber alles das war also, wie viele
andere Dinge, nichts anders, als verabredete Figuren und
Bewegungen, womit man eine unveränderliche Bedeutung verknüpfte. Ich glaube also, mein Herr,
daß es uns viel leichter seyn würde, unsers Gleichen zu
mahlen; daß diese Nachahmung natürlicher und täuschender seyn würde. Aber, wie ich schon gesagt habe, es ist die Sache der Poeten, darauf zu sinnen, wie sie Menschen aufs Operntheater bringen wollen. Wo steckte denn die Unmöglichkeit? Was einmal geschehen ist, kann eben so gut
tausendmal wieder geschehen. Es ist gewiß, daß die Thränen
der Andromacha, die Liebe der Junia und des Britanicus, die Zärtlichkeit der Merope gegen den
Egisth, die Unterwerfung der Iphygenia und die mütterliche Liebe der Clytemnestre unendlich stärker rührendwären, als alle unsere
Opernhexerey. Die Geschichtchen
vom Prinzen Blaubart und der Feye Fanferlusche mögen wohl Kinder weichherzig machen; aber nur
Gemählde der Menschheit können zur Seele reden, sie in
Bewegung
setzen, erschüttern und hinreissen; um die
Gottheiten der Fabel ist man nie ängstlich besorgt, weil man weiß, daß ihnen alle Macht und Weisheit, die sie zeigen, von dem
Poeten
geliehen ist, man ist über den Ausgang gar nicht
bekümmert; man weiß vorher, sie werden ganz gut hindurch
kommen, und gewissermaaßen nimmt
ihre Macht ab, so wie unsere Zuversicht zunimmt. Unser
Herz und Verstand lassen sich bey diesem Schauspiele
nichts weiß machen; es ist selten, um nicht unmöglich zu
sagen, daß man mit eben der Unruhe, dem Tumulte der
Leidenschaften, den wollüstigen Thränen aus einer Oper gehe, wie aus einer schönen Tragödie oder aus einemrührenden Lustspiele, wie Cenie; wir würden lange in der Fassung bleiben, worinn sie uns versetzt, wenn die lustigen Bilder unserer kleinen Nachspiele nicht
unsere Unruhe besänftigte und unsere Thränen wegtrocknete.
Ich bin u. s. w. [↔]
[↔] Auf dem Gesichte ist es, wie Sie
wissen, mein Herr, wo der Mensch sehen läßt, was in seiner Seele vorgeht,
wo man seine Affecten und Leidenschaften lesen, und wechselsweise Ruhe, Unruhe,
Vergnügen, Schmerz, Furcht und Hoffnung abgebildet finden kann.
Sein Ausdruck ist hundertmal wärmer, lebhafter und bestimmter, als das Resultat der
feurigsten Rede. Einen Gedanken durch Worte vorzustellen, dazu gehört gewisse Zeit, die
Gebehrden zeigen ihn auf einmal mit Nachdruck; es ist ein
Blitz, der aus dem Herzen fährt,
in den Augen flammt, alle Gesichtszüge hell macht, den Knall der Leiden schaften verkündigt, und
uns gleichsam die Seele nackend sehen läßt. Alle unsere
übrigenBewegungen sind blos mechanisch und sagen nichts, wenn das Gesicht
dabey stumm bleibt, und ihnen nicht Seele und Leben giebt. Wir haben also kein
nützlicher Werkzeug zum Ausdruck in unserer Gewalt, als
die Physionomie; warum denn
versteckt man sie auf dem Theater hinter eine Maske, und
zieht die plumpeKunst der
schönen Natur vor? Womit soll der Tänzer mahlen, wenn
man ihm seine nothwendigsten Farben wegnimmt? Wie will er die Bewegungen seiner eigenen Seele, in die Seelen der Zuschauer übertragen, wenn er sich des
Hülfsmittels beraubt, wenn er sich mit einem Stück Pappe,
mit einem gemahlten, mienenlosen
Gesichte bedeckt. Das Gesicht ist das
Sprachwerkzeug der stummen Scene, es ist der
getreue Dollmetscher aller Bewegungen der Pantomime: dieß ist genug, um aus der Tanzkunst, die unter die blos nachahmenden gehört, deren Aktion keinen
andern Zweck hat, als zu mahlen, und durch die Wahrheit und gefällige Natur ihrer Gemählde zu
täuschen und zu rühren, alle Masken zu
verbannen. [↔] Ich wüßte nicht, wie ichs machen sollte, die
Idee eines Mahlers auszufinden, und zu
errathen, was er auf der Leinewand habe vorstellen wollen,
wenn alle Köpfe seiner Figuren
so einförmig wären, als die Köpfe in der Oper, und sich
durch keine Züge und Charaktere unterscheideten. Ich würde nicht begreifen, sag' ich, aus was
Ursachen eine Person den Arm aufhebt, und eine andere die Hand an den Säbel legt; es würde mir
unmöglich seyn, die Empfindung zu ergründen, nach welcher der eine mit emporgehobnen Kopf und Armen da steht,
und der andere zurück weicht; wären auch alle Figuren
kunstrichtig und nach der
besten Proportion gezeichnet,
würde ich doch die Meinung des Künstlers sehr schwerlich treffen. Vergebens würde ich alle Physionomien zu Rathe ziehen,
sie wären stumm; ihre monotonische Züge würden mich nicht belehren; ihre
Blicke ohne Feuer, ohne Leidenschaft, ohne
Leben, würden mir nichts sagen;
am Ende könnte ich dieses
Gemählde nicht anders betrachten, als eine unvollkommene
Nachahmung der Natur, weil ich nicht diese Mannichfaltigkeit, die sie immer schön und neu vorstellt, darinn anträfe. [↔] Wird das Publikum die Idee und die Absicht eines Tänzers leichter fassen, wenn er
ihm beständig seine Physionomie hinter einem fremden Körper verbirgt? wenn er den
Geist in die Materie einhüllt, und ihm, statt der
abwechselnden Züge der Natur, eine schlecht gezeichnete
und höchst elend gemahlte Larve zeigt? Können sich da die
Leidenschaftenzeigen, und durch den Vorhang
dringen, welchen die Maske
zwischen ihn und den Zuschauer zieht? Wird er wohl mit einem einzigen von diesen künstlichen
Gesichtern, die unzähligen
Charaktere der Leidenschaften ausdrücken können? wird es ihm möglich seyn, die
Gestallt zu verändern, welche die Maske von der Patrone
bekommen? Denn eine Maske, sie sey von welcher Gattung sie
wolle, ist entweder
unbedeutend oder drolligt, ernsthaft oder
komisch [←] [→], traurig oder Fratze. Der
Formschneider giebt ihr nur einen und unveränderlichen
Charakter; so leicht es ihm gelingt, scheusliche,
verzerrte Gesichter, und alle dergleichen Hirngeburten zu
machen, so sauer wird es ihm, wenn er die Carikatur verlassen, und suchen soll, die schöne Natur nachzuahmen. Läßt er sie keine Grimassen
machen, so wird er frostig, seine Patronen sind Eis und seine Masken ohne Charakter, ohne Leben; er weiß die Feinheit der Züge und alle die
unmerklichen Schattirungen nicht zu treffen, welche der
Physionomie, indem sie solche gleichsam gruppiren,
tausenderley verschiedene Gestallten geben. Wo ist der Formschneider, der so kühn wäre, die Leidenschaften in allen
ihren Gradationen vorstellen zu wollen? Sollte wohl ein
Maskenmacher diese unzählbare Mannichfaltigkeit hervorbringen können, die zuweilen
der Mahlerey entwischt, und der Probierstein des großen Mahlers ist? Nein, m. H., DucreuxLaden war niemals das Magazin
derNatur; seine Masken
stellen sie in der Carikatur vor, und sind ihr nichts
weniger als ähnlich. [↔] Um den Gebrauch der Masken beym handelnden Tanze zu billigen, müßte man eben
so viele von verschiedener Gattung vors Gesicht nehmen, als Don Japhet von Armenien Calotten von allerley Farben auf seinen Kopf setzt; sie nach den Umständen, und
nach den Bewegungen, die man in einem Pas de Deux fühlte, wieder ab und
vorthun. Man klebt aber an einer leichtern Gewohnheit, man begnügt sich blos mit einem geborgten Gesichte, und der Tanz, der nothwendig darunter leidet, sagt eben so wenig, und ist völlig ohne Leben. [↔] Diejenigen, welche die Masken vertheidigen, denen aus alter Gewohnheit das Herz daran hängt, die glauben, es wäre um die Kunst geschehen, wenn man sich von dem alten Schlendrian der Oper
losmachte, werden, um ihren
schlechten Geschmackdurchzusetzen, sagen, daß es
solche Charaktere auf dem Theater giebt,
welche die Masken nothwendig
machen, als die Furien, die Tritonen, die Winde, die Faunen, u. s. w. Dieser Einwurf ist schwach, er gründet sich auf ein Vorurtheil, das leichter zu zerstören
als zu bekämpfen ist. Ich werde beweisen, erstlich, daß die Masken, deren man sich zu dieser Gattung von Charakteren bedient,
schlecht geformt und schlecht gemahlt sind, und gar keine
Wahrscheinlichkeit haben: zweytens, daß es leicht ist, diese Personen ohne
fremde Hülfe mitWahrheit
vorzustellen. Ich werde hernach diese Meinung durch
lebende Beyspiele unterstützen, die man nicht verwerfen kann, wenn man die Natur liebt, wenn das Simple
gefällt, wenn die Wahrheit den Vorzug vor der plumpen
Kunst zu verdienen scheint, die die Illusion aufhebt, und das
Vergnügen des Zuschauers> vermindert. [↔] Die Charaktere, die ich eben genannt habe, sind idealisch und bloße Wesen der
Einbildung,
Geschöpfe der Poeten; die Mahler haben ihnen nachher durch verschiedene Züge und Attributa, die nach dem Maaße, wie
die Künste fortgeschritten, und der Künstler durch die
Fackel des Geschmacks erleuchtet, anders
geworden sind, eine Art von wirklichem Daseyn gegeben. Die Winde werden nicht mehr mit Blasebälgen in den Händen, mit Windmühlen auf den Köpfen und mit Kleidern von
Federn, zum Zeichen der Leichtigkeit, gemahlt oder getanzt; man würde die Welt nicht mehr mahlen und tanzen wie
ehedem, mit einem Kopfputze, der den Olymp abbildete, mit
einem Habit, der eine geographische Charte vorstellt; und ihre Kleidung nicht
mehr mit Inschriften verzieren; man wird nicht mehr auf
die linke Brust setzen: Gallia, auf den Bauch: Germania,
auf ein Bein: Italia, auf das
Hintertheil: Terra australis incognita,
auf einen Arm: Hispania, u. s. w. Man wird
die Musik nicht mehr durch ein Kleid, worauf verschiedene Linien mit Achtel- und Sechszehntelnoten angebracht sind, charakterisiren; man wird ihr nicht mehr
den Kopf mit G -, C - und F - Schlüsseln aufputzen. Man wird
endlich die Lüge nicht mehr mit einem hölzernen Beine, mit einem Habite voller Masken und einer
Blendlanterne in der Hand im Tanze aufführen. Diese einfältigenAllegorien gehören nicht für unsere Zeiten. Da wir aber, über diese schimärischen
Wesen, die Natur nicht zu Rathe ziehen können, so lassen Sie uns wenigstens die
Gedanken der Mahler nützen; sie stellen die
Winde, die Furien und die Dämonen unter
menschlichen Gestallten vor; die Faunen und Tritonen sind am Oberntheile des Körpers dem
Menu schen, und am Untertheile dem Bock oder
Fische ähnlich. [↔] Die Masken der Tritonen sind grün, mit
Silber; der Dämonen Feuerfarbe,
mit Silber; der Faunen
schwarzbräunlich; der Winde pausbäckig, oder als jemand, der die Backen voll nimmt zu blasen; so sehen unsere Masken aus. Laß uns nun sehen, ob sie einige Aehnlichkeit haben, wenn wir sie mit den Meisterstücken der Mahlereyvergleichen? In den
vortrefflichsten Gemählden finde ich Tritonen, deren Gesicht nicht grün ist; ich bemerke Faunen und Satyren von röthlicher und
braungelber Gesichtsfarbe, aber ich bemerke nicht, daß ein
dunkles Braun über alle Züge verbreitet wäre; ich kann keine Gesichter von Feuerfarbe und Silber finden; die Dämonen sind von dem Elemente, das sie bewohnen, röthlich; allenthalbenempfind und seh ich die Natur, sie
verliert sich weder unter dick aufgetragenen Farben, noch unter der schweren Pinselbürste; ich unterscheide die Gestallt eines jeden Zuges, sie kommen mir freylich scheußlich, überladen und übertrieben vor, aber alles zeigt mir doch den Menschen, nicht wie er ist, sondern wie er, ohne die Wahrscheinlichkeit zu
beleidigen, seyn kann. Sollte übrigens der Abstand zwischen dem Menschen und den
von der Fiktion und dem Gehirne der Poeten erzeugten Wesen, nicht nothwendig, und
sollten die Bewohner der
Elemente in Etwas von der Menschheit unterschieden seyn?
Die Masken der Winde gleichen nach
den Originalen, die uns die Mahler davon gegeben, am
besten, und wenn das Theater
ja eine Maske nöthig hat: so ist es gewiß diese. Ich würde
solche aus zwey Gründen brauchen. Erstlich, wegen der Schwierigkeit, lange die
aufgeblase nen Backen zu behalten,
zweytens, weil diese Gattung sehr wenig Ausdruck hat. Sie sagt
nichts, kräuselt mit Schnelligkeit herum, hat viel
Bewegung und wenig Aktion; es ist ein
Wirbelwind von Schritten ohne Geschmack, und
oft ohne Richtigkeit, welche blenden, ohne zu vergnügen,
welche überraschen, ohne anzuziehen, und also verdirbt
dabey die Maske nichts. Ja, mein Herr, ich finde diese
Gattung so frostig und
langweilig, daß meinenthalben
der Tänzer viele dergleichen anbringen möchte, wenn er
dadurch ihre Liebhaber zu belustigen denkt. Wenn man den
Boreas in dem sinnreichen Ballette des fleursausnimmt: so sind alle übrigen
Winde der Oper lästige und uns
langweilige Dinger. [↔] Wäre es bey Abschaffung der Masken nicht
möglich, die Tänzer dahin zu vermögen, daß sie sich auf
eine mehr wahre und mahlerische Art ankleideten? Sollten
sie nicht die Degradation des
Entfernten hervorbringen, und mit Hülfe einiger leichter
Tinten, und durch ein Paar nach der Kunst angebrachte
Pinselzüge, ihren
Physionomien den Hauptcharakter geben können, den sie
haben sollten? Wer diesen Vorschlag verwirft, muß nicht
wissen, was die Natur hervorbringen kann, wenn ihr die Zauberey derKunst
hilft und sie verschönert; der
kann mich tadeln, sag' ich, der gar nichts von der
verführerischen Wirkung weiß,
die dieser Handgriff thut, und was er für wichtige
Verwandelungen hervorbringt,
ohne die Natur zu verdunkeln oder zu entstellen, ohne ihre Züge zu schwächen oder zu verzerren. Ein Beyspiel wird diese Wahrheit in
ihr Licht setzen, und ihr das Vermögen geben, Leute ohne Geschmack zu überreden, und einen Haufen
unwissender Ungläubigen, womit
das Theater verunreinigt ist, zu überzeugen. [↔] Der berühmte englische Comödiant, Garrick, ist das Muster, das ich aufstellen will. Ich weiß kein schöneres, vollkommneres und das mehr Bewunderung verdiente; man könnte ihn den Protheus unserer Zeit nennen,
denn er spielt alle Gattungen von Rollen, und zwar mit einer Vollkommenheit und
Wahrheit, die ihm nicht
allein den Beyfall seiner Nation, sondern auch von allen
Fremden Lob und Bewunderung
erwerben. Er ist so natürlich, sein Ausdruck
ist so mannichfaltig, seine Gestus, seine Physionomie und seine Blicke sind so
rednerisch, so überzeugend, daß ihn selbst der versteht,
der kein Englisch weiß; es wird einem nicht schwer, ihm zu folgen. Er rührt im Pathetischen; im Tragischen erregt er die
auf einander folgenden Bewegungen der heftigstenLeidenschaften, er wühlt, wenn ich so sagen
darf, im Eingeweide des Zuschauers>, zerreißt
ihm das Herz, durchbohrt ihm die Seele, und preßt ihm blutige Thränen aus. Im hohen
komischen [←] [→] gefällt und entzückt er;
er ergötzt und belustigt in der niedern
Gattung, und weiß sich mit solcher Kunst fürs
Theater einzurichten, daß ihn oft diejenigen verkennen, die täglich mit ihm umgehen. Sie kennen
die unendliche Zahl von Charakteren, welche
das englische Theater aufzuweisen hat: er spielt sie alle mit gleich großer Geschicklichkeit; er hat gleichsam zu jeder Rolle ein eigenes Gesicht. Er versteht die Kunst, nach Erforderniß der Charaktere
gelegentlich an den Stellen der Physionomie, die gruppiren oder ein Gemählde machen sollen, einige
Pinselstriche anzubringen;
das Alter, die Situation, der
Charakter, die Lebensart und der Rang der Person, die er
vorzustellen hat, schreiben ihm die Farben und Züge vor.
Glauben Sie nicht, daß dieser große Akteur niedrig und gemein sey, oder Grimassen mache; er ist ein getreuer
Nachahmer der Natur, und weiß aus derselben allemal das Schönste zu wählen; er zeigt sie beständig in glücklichen Stellungen und in einem vortheilhaften Lichte: selbst in solchen Rollen,
welche Grazie und Anmuth am wenigsten leiden, weiß er die,
dem Theater wesentliche
Wohlanständigkeit beyzuhalten. Er ist niemals weder unter
noch über seiner vorzustellenden Person. Er trift den richtigen Punkt der Nachahmung, welchen die Komödianten fast beständig verfehlen; dieses glückliche
Gefühl, ohne welches keiner ein großer Akteur werden kann, und
welches zum Wahren leitet, ist die seltene
Eigenschaft, welche Garrick
besitzt; dieses Talent ist um desto schätzbarer, weil es
den Akteur abhält, sich zu verirren und sich in den Tinten zu betriegen, die er zu seinen Gemählden anwenden
soll; denn man hält oft das Frostige für Würde,
Eintönigkeit für vernünftiges Wesen, Aufgeblasenheit für edles Ansehn, Mienenspielerey für Anmuth, Schreyen für Heftigkeit, vieles Herumtummeln für Aktion, Klotzigkeit für
ungekünstelte Natur, schnelles Plappern für Feuer, und eine verzerrte Physionomie für einen lebendigen Ausdruck der Seele. Bey Garrick ist es ganz anders; er
studirt seine Rollen, noch mehr aber die Leidenschaften. Er liebt seine
Kunst so sehr, daß er sich an den Tagen, da er wichtige Rollen zu spielen hat, in der Einsamkeit vorbereitet, und keinen
Menschen zu sich läßt. Sein Genie erhebt ihn zu den Prinzen, den er vorstellen soll; er nimmt seine Tugenden und
Schwachheiten an; er dringt in ihren
Charakter und Geschmack; er schmilzt sich um; es ist nicht mehr Garrick, welcher hört oder spricht;
wenn die Verwandelung einmal vorgegangen, steht der Held
da, und der Komödiant verschwindet; er nimmt
seinen natürlichen Charakter nicht eher wieder, als nach geendigter Rolle. Sie können leicht denken, m. H., daß er wenig frey ist; daß er den Kopf beständig voll hat; daß seine Gedanken immerfort arbeiten; daß er drey
Viertheile von seinem Leben in einem abmattenden
Enthusiasmus hinbringt, der
seine Gesundheit um desto mehr angreifen muß, weil er vier
und zwanzig Stunden vorher
anfängt, sich zu quälen und in eine traurige und
unglückliche Situation zu
versetzen, ehe er sie mahlt und vorstellt. Hingegen kann man niemand munterer
sehen, als ihn, die Tage, wo er einen Poeten zu machen hat, einen Künstler, einen
gemeinen Mann, einen
wichtigen Zeitungs schreiber, einen
Petitmaitre; denn dieser Art Leute giebts in
England eben sowol, obgleich unter einer
andern Gestalt, als bey uns in Frankreich; das Genie ist
verschieden, das geb' ich Ihnen zu, aber der Ausdruck des
Lächerlichen und der Unverschämtheit ist sich
gleich. In dieser Art von Rollen, sag' ich, entfaltet sich
seine Physionomie gleichsam von selbst; seine Seele ist immer darauf sichtbar;
seine Gesichtszüge sind so viel Vorhänge, die er sehr
geschickt aufzuziehen weiß, um jeden Augenblick neue
Gemählde voller Wahrheit und Empfindung sehen zu lassen. Man kann ihn ohne Partheylichkeit Englands Roscius nennen, weil er mit der Diction, der Deklamation, dem Feuer, der Natur, dem Geiste und der Feinheit, diese Pantomime und diesen seltenen Ausdruck der
stummen Scene verbindet, welche
den großen Akteur und den vollkommnen
Schauspieler auszeichnen. Ich will nur noch
ein Wort von diesem vortrefflichen Akteur sagen, woraus die Größe seiner Talente
erhellen wird. Ich sah ihn eines Tages in einem Trauerspiele agiren, welches er
nach seiner eigenen Veränderung wieder aufs Theater
gebracht hatte, denn er ist nicht allein ein großer
Schauspieler, sondern er hat auch das Verdienst, ein bey seiner Nation sehr
beliebter Dichter zu seyn;
ich sah ihn, sag ich, einen Tyrannen vorstellen, welcher
voller Schrecken über die Abscheulichkeit seiner Verbrechen in der heftigsten
Gewissensangst stirbt. Der ganze letzte Akt war zu dieser
angstvollen Reue angewendet; die Menschlichkeit siegte über Mordsucht und Blutdurst; der Tyrann
empfand ihre Stimme, verabscheuete seine Laster; stuffenweise ward er sein Richter und
sein Henker; jeden Augenblick zeigte sich der Tod auf seinem Gesichte; seine Augen wurden
dunkel; seine Stimme wollte kaum dem Bestreben gehorchen, das er anwendete, seine
Gedanken in Worte zu fassen; seine Gestus, ohne von ihrem Ausdrucke zu verlieren, verkündigten die Annäherung des
letzten Augenblickes; seine
Kniee schlotterten; seine Gesichtszüge verlängerten sich; Quaal und Reue
hatten ihn mit Todesblässe übermahlt. In diesem
Augenblicke sank er endlich auf den Boden nieder; seine Schandthaten stellten sich
seiner Einbildung unter den furchtbarsten Gestalten vor. Voller Entsetzen über das
schreckliche Gemählde,
welches ihm seine Blutschulden vorhielten, rang er mit dem
Tode; die Natur schien ihre
letzten Kräfte anzustrengen: diese Situation erregte Schaudern. Er kratzte auf der Erde, und scharrte gleichsam sein Grab auf; aber der Augenblick rückte heran, man sah den Tod vor Augen; alles mahlte den
Zeitpunkt, der alle Ungleichheit aufhebt; endlich verschied er; das Todesschluchsen und
die konvulsivischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln, der Arme und der Brust, gaben diesem
graunvollen Gemählde den letzten Pinselzug [↔] Sehn Sie, m. H., was ich gesehn habe, und
was die Schauspieler sehen sollten. Das ist
der Mann, den ich zum Muster aufstelle; schlimm genug für
diejenigen, die es nicht der Mühe wehrt halten, ihm zu
folgen! Wenn man diesem großen Manne
nachahmte, würde es nicht schwer seyn, die
Masken abzuschaffen, weil
alsdann die Physionomien beseelt wären und sprächen, und
man das Talent besäße, sie mit
eben der Einsicht und Kunst zu charakterisiren, als Garrick selbst. [↔] Verschiedene Leute behaupten, daß die Masken
einen zwiefachen Nutzen hätten; einmal, die Gleichförmigkeit zu erhalten; und zum
andern, die eignen Gewohnheitsmienen, oder die Grimassen,
welche die heftigen Anstrengungen beym Tanzen hervorbringen, zu verbergen. Nun ist erst die Frage: ob diese Gleichförmigkeit was Gutes sey? ich bin meines Theils ganz anderer Meinung;
ich halte dafür, daß sie derWahrheit nachtheilig sey, und die
Wahrscheinlichkeit zerstöre. Ist die Natur sich gleichförmig in ihren Produkten? Wo ist das Volk unter der Sonne, dem sie
eine genaue Aehnlichkeit ertheilt hätte? Ist nicht alles
mannichfaltig? Haben nicht alle Dinge in der Welt ihre
verschiedene Gestalten, Farben
und Schattirungen? Bringt wohl ein Baum zwey vollkommen
gleiche Blätter, Blumen oder Früchte hervor? Gewiß nicht; die Abstuffungen in
den Naturprodukten sind ohne
Ende; ihre Mannichfaltigkeit ist
ohne Gränzen und unbegreiflich. Da man so selten zwey Menechmen
findet, da
die Gleichförmigkeit der Gesichtszüge, und eine große
Aehnlichkeit an Zwillingen, als ein Spiel der Naturbewundert wird, wie groß muß dann nicht meine
Verwunderung seyn, wann ich in der Oper ein Dutzend Menschen zu sehen bekomme,
welche alle ein und dasselbe Gesicht haben! und wie muß
ich nicht erstaunen, wenn ich finde, daß die
Griechen, Römer, Schäfer, Matrosen, Scherze, Spiele, Amoureten, Priester und Wahrsager alle
einerley Physionomie haben? Abgeschmackt
genug! Besonders in einem Spektakel, das voller
Mannichfaltigkeit, wo alles in Bewegung ist, wo der Ort abwechselt,
wo eine Nation der andern folgt, wo jeden Augenblick
verschiedene Trachten vorkommen, indessen daß die
Physionomien der Tänzer allemal dieselben bleiben; keinen Unterschied in den Zügen, keinen Ausdruck, keinen
Charakter, nichts von alle dem findet man:
alles ist todt und langweilig, und die Natur seufzt unter
einer frostigen eckelhaften Maske. Warum läßt man den
Akteurs und Chorsängern ihre Physionomien, wenn man sie
denen wegnimmt, die sie deswegen
noch nöthiger haben, weil ihnen der Gebrauch der Stimme
und der Worte untersagt ist? Wie widersinnig ist nicht der GottPan, der zu seinem Gefolge einen
Theil Faunen und Waldgötter mit weissen Gesichtern hat, indessen daß der andere mit
braunen Masken daher tanzt. Die tanzenden Dämonen sind feuerfarbigt, und die,
welche ihnen zur Seite singen, sind bleich und blaß. Die
Meergötter, die Tritonen, die Flüsse und ihre Bewohner
sind, wenn sie singen, gestaltet
wie Menschen; läßt man sie tanzen, so sind es grasgrüne
Gesichter, wel che man kaum in einer blos
zum Vermummen bestimmten Maskerade ausstehen könnte. Hierdurch wird also die vorgegebene Gleichförmigkeit völlig aufgehoben.
Ist sie nöthig: so gebe man jedem Gesichte, das aufs
Theater kömmt, seine Maske.
Ist sie es aber nicht: fort denn mit den Masken; denn die
Gründe, welche ihren Gebrauch den Sänngern nicht erlauben, sind eben dieselben, welche solche beym Tanze verbieten. Sie sehen, mein Herr, daß alle diese
buntscheckigten Physionomien
zu nichts dienen, als bey jedem Liebhaber des
Wahren, des Simplen und des
Natürlichen Unwillen zu erwecken. [↔] Aber zu den eigenen Gewohnheitsmienen;
dieser Einwurf ist so schwach, daß es mir leicht seyn
wird, darauf zu antworten. Die Mienen, die Verzerrungen und Grimassen entstehen nicht so wohl von der Gewohnheit, als
von der heftigen Anstrengung beym Springen; diese Anstrengungen, welche
alle Muskeln zusammen drängen,
verzerren das Gesicht auf
hunderterley Arten, und zeigen mir blos einen zur Arbeit
geprügelten Sklaven, keinen Tänzer, keinen Artisten. Jeder
Tänzer, der durch
Anstrengung seine Züge verändert, und dessen Gesicht in beständiger Con vulsion ist, ist ein
Tänzer ohne Seele, der nur auf
seine Beine denkt, der das A. B. C. seiner Kunst nicht
weiß, der nur an den groben
Theilen seiner Kunst hängt, und ihr wahres Wesen niemals gefühlt hat.
Ein solcher Mensch hat gerade so viel Geschicke, als zu
einem Salto Mortale gehört. Das
Tramplain und die Batudo (*) mögen sein Theater seyn, weil er die Nachahmung, das und
den Reitz seiner Kunst einem elenden Schlendriane
aufgeopfert; weil er, statt zu studieren, wie er
empfinden soll, sich nur auf das
Mechanische seiner Profeßion beflissen hat; weil endlich
seine Physionomie, da, wo sie mir
Leidenschaften und das Gefühl seiner Seele zeigen sollte, nichts weist, als ängstliche Mühe: kurz, ein solcher Mensch ist ein Stümper, dessen Execution allezeit schwerfällig und unangenehm bleibt.
Geben Sie mir nicht Beyfall, m. H., daß uns nichts angenehmer ist, als ungezwungene Leichtigkeit? Die Schwierigkeiten können
uns nur dann gefallen, wann sie sich mit Zügen des Geschmacks und der Grazie zeigen, und wann
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sie dieses leichte und edle Wesen annehmen, das mir die mühsame Arbeit verbirgt, und
gewandte Fertigkeit finden läßt. Verhältnißmäßig betrachtet, haben die Tänzerinnen heut zu Tage mehr Execution als die Tänzer; sie machen alles, was nur möglich zu machen ist. Mademoiselle Lany wird jedem Tänzer viel zu
schaffen machen, der nicht sicher, stark, lebhaft,
glänzend und genau ist. Ich frage also: woher kömmt es,
daß die Tänzerinnen selbst in den Augenblicken der
heftigsten Execution ihre
lächelnde Physionomie beybehalten? Warum ziehen sich ihre Gesichtsmuskeln nicht
zusammen, wenn die ganze Maschiene durch die heftigsten Bewegungen und wiederholte Anstrengungen erschüttert wird? Warum, sag' ich, das Frauenzimmer,
das von Natur weniger Nerven, Muskeln und Stärke hat, als wir, auch dann noch eine zärtliche,
wollüstige, lebhafte, seelen- und ausdrucksvolle Physionomie behält, wenn
die Sehnen und Muskeln, die bey den Bewegungen mitwirken, auf eine gewaltsame und
widernatürliche Art gespannt
sind? Woher kömmt es endlich, daß sie die Kunst wissen,
die Mühe des Körpers und die unangenehmen
Eindrücke zu verbergen, indem sie, statt der convulsivi schen Grimasse, welche die
Anstrengungen hervorzubringen
pflegt, die Feinheit des gewähltesten und zärtlichsten Ausdrucks zeigen? Daher kömmt es, daß die Tänzerinnen bey ihren
Uebungen äußerst sorgfältig auf sich selbst Acht haben; daß sie wissen, wie eine Verzerrung die Züge verunstaltet und den Charakter der Physionomie
verändert; daß sie fühlen, wie die Seele sich auf dem Gesichte entfaltet, sich in
den Augen abdrückt, und die Bildung beseelt und belebt; daß sie endlich überzeugt
sind, daß die Physionomie, wie ich schon gesagt habe, der
Theil unsers Körpers ist, wo sich der Ausdruck versammlet,
und daß solche ein getreuer Spiegel unserer
Empfindungen, Regungen und Affecten ist. Sie
bringen auch weit mehr Geist, Ausdruck und
Interesse in ihre Execution, als die Mannspersonen. Laß uns nur eben so sorgfältig werden, so werden wir weder häßlich noch unangenehm scheinen; so werden wir keine
fehlerhafte Gewohnheiten annehmen; wir werden nicht mehr
den eignen Tic haben, und wir werden
der Larve nicht länger bedürfen,
welche in diesem Falle das Uebel ehe verschlimmert als
wegnimmt; sie ist ein Pflaster,
welches dem Auge die Unvollkommenhei ten entzieht und dabey
fortdauren läßt. Das Mittel kann auch nicht einmal
gebraucht werden, wenn man seine
Physionomie beständig verbirgt. Was kann man wohl einer
Larve für einen Rath geben? Man sage ihr so viel man will, sie wird immer kalt und abgeschmackt bleiben. Man befreye aber nur die
Physionomie von diesem fremden Körper;
man hebe diese Gewohnheit auf, die der Seele Fesseln anlegt, und sie hindert, sich auf der Gesichtsbildung zu enthüllen: so wird man den Tänzer beurtheilen und sein Spiel schätzen können. Derjenige, der mit den Schwierigkeiten
und Anmuthsvollen der Kunst, eine lebhafte und geistreiche
Pantomime,
und einen seltnen Ausdruck der Empfindungen verbindet, wird zugleich den Ruhm
eines vortreflichen Tänzers und vollkommnen Schauspielers erhalten; Lobsprüche
werden ihn aufmuntern, und der Rath und die Erinnerungen
der Kenner werden ihn zur Vollkommenheit in seiner Kunst führen. Dann würde man zu ihm sagen: In dieser oder jener Stelle war eure Physionomie zu kalt; in jener andern waren eure Blicke nicht beseelt genug; die
Empfindung, die ihr nachbilden solltet, fühltet ihr selbst nicht
stark
genug, ihr konntet sie also nicht mit der gehörigen Stärke und Energie zeigen, daher
merkte man auch euren Gestus und Stellungen an, daß ihr wenig Feuer
in die Aktion legtet; ein andermal müßt ihr euch
derselben mehr überlassen; setzt euch ganz in die
Situation, die ihr
vorstellen sollt, und vergeßt niemals, daß man empfinden, lebhaft empfinden muß, wenn man glücklich mahlen will. Dergleichen Rath, mein
Herr, würde die Tanzkunst zu eben dem Flor bringen, worinn die
Pantomime bey den Alten war, und würde ihr einen Glanz geben, den sie niemals erreichen kann, so lange die Gewohnheit über den guten
Geschmack herrscht. [↔] Erlauben Sie mir also, daß ich den lebendigen und beseelten Physionomien den Vorzug gebe. Ihre Abwechselung
unterscheidet uns, zeigt an, was wir sind, und errettet
uns also von der allgemeinen Verwirrung, die in der Welt herrschen würde, wenn sie alle einander so ähnlich wären, als wie in der Oper. [↔] Sie haben mir oftmals gesagt, um den
Gebrauch der Larven abzuschaffen, wäre es unumgänglich
nöthig, daß alle Tänzer eine theatralische Physionomie
hätten. Ich bin völlig Ihrer Meinung, und halte ein trocknes, frostiges, nichts sagendes
Gesicht um nichts besser als eine Maske; aber es giebt drey verschiedene Gattungen vom Tanze, die
für verschiedene Wüchse und Physionomien gehören; wenn sich also die Tänzer mit Sorgfalt und ohne Eigenliebe
untersuchen wollen: so können sie alle ihre vortheilhafte
Stelle finden. Ihr Zweck ist
einerley: was für eine Gattung es auch sey: so müssen sie
nachbilden, Pantomimen seyn
und kräftig ausdrücken. Es kömmt also nur darauf an, den
Tanz, nach der Würde seines Gegenstandes, oder der Art seiner Gattung, eine höhere oder niedrigereSprache reden zu lassen. [↔] Der ernsthafte und heroische Tanz führt den
Charakter der Tragödie. Der vermischte oder
halb ernsthafte, den man gewöhnlich Demi-Caracter nennt, gleicht der edlen Comödie, oder dem hohen Komischen, wie man zu sagen pflegt. Der groteske Tanz,
den man sehr uneigentlich Pantomime nennt, weil er gar nichts sagt, borgt seine Züge von einer Gattung lustiger und
schnakischer Comödien. Die
historischen Gemählde des berühmten Vanloo sind das Bild des heroischen Tanzes; die von dem
galanten un nachahmlichenBoucher des Demi-Caracters;
und die von dem unvergleichlichen Teniers des komischen Tanzes. Das Genie der drey Tänzer, die sich auf diese
Gattungen besonders legen
wollen, muß eben so verschieden seyn, als ihr Wuchs, ihre
Physionomie und ihr Studium. Der eine muß groß seyn, der
andere galant, die dritte drolligt. Der erste muß seine Sujets aus der Geschichte und der
Mythologie, der zweyte aus der Schäferwelt und der dritte aus dem
gewöhnlichen gemeinen Leben schöpfen. [↔] Nicht weniger müssen sie, wie drey große
Mahler in den entgegen gesetzten Gattungen, nothwendig
Einsicht, Geschmack und Einbildungskraft haben. Diese drey
Tänzer müssen diesen Punkt der
Wahrheit, die richtige Nachahmung treffen, welche die Copie zum
Range des Originals erhebt, und das Nachgebildete wirklich in der Nachbildung darstellt. [↔] Für den heroischen Tanz schickt sich ohnstreitig ein zierlicher und edler Wuchs am
besten. Diejenigen, welche sich dieser Gattung widmen, haben freylich die
meisten Schwierigkeiten zu überwinden und die meisten Hindernisse aus dem Wege zu
räumen, um zur Vollkommenheit zu
gelangen. Sie können sich nicht ohne Mühe in eine
gefällige Zeichnung bringen; denn je ausgewickelter die
Partien sind, je schwerer ist es, sie zu ründen, und in angenehme Biegungen
zu bringen. An den kleinen
Kindern ist alles niedlich,
alles reitzend! Die Bewegungen ihrer Glieder, ihre Stellungen, sind voller Anmuth, ihre Umrisse sind
vortrefflich. Wenn dieser Reitz schwindet, wenn ein Kind
zu gefallen aufhört, wenn seine
Arme nicht mehr so schön gezeichnet zu seyn scheinen, wenn
sein Kopf nicht mehr die Lieblichkeit hat, die den Blick vergnügte, so entsteht das daher, weil es wächst, weil seine Gliedmaaßen durch das Ausdehnen ihre Niedlichkeit verlieren, und weil die nahe bey einander liegenden Schönheiten eher ins Auge fallen, als wenn sie
zerstreuet sind. Das Auge
mag gerne sehen, und nicht lange suchen. Alles, was sich
unsern Sinnen nicht mit den
Zügen der Schönheit
darstellt, erweckt uns nur ein mittelmäßiges Gefallen. Bey den schönen Künsten flieht
man die Mühe, man fürchtet das Untersuchen, wir suchen das Vergnügen,
um welchen Preiß? das bekümmert
uns nicht. Der Augenblick ist der Gott, der das Herz des
Publikums lenkt; wenn der Artist den zu nützen weiß, kann er seines Beyfalls versichert seyn. [↔] Der Wuchs, der sich am besten für den Demi-Caracter und den wollüstigen Tanz schickt, ist der mittlere; er kann alle Schönheiten des zierlichen Wuchses
zugleich haben. Was thut die Länge, wenn aus allen Theilen
des Körpers das schöne Verhältniß gleich stark hervorleuchtet? [↔] Der Wuchs des
komischen [←] [→] Tänzers braucht nicht so vollkommen zu seyn; je mehr er verkürzt ist, je gefälliger und
niedlicher und angenehmer wird
er den Ausdruck machen. [↔] Die Physionomien müssen sowohl als die
Wüchse unterschieden seyn. Eine edle Figur, völlige Züge,
ein stolzer Charakter, ein majestätischer Blick, gehören für den
ernsthaften Tänzer. [↔] Zur Physionomie des Demi-Caracters, oder der
Pastoralgattung, wird eine eben so angenehme als
interessante Figur, und ein für die Wollust
und Zärtlichkeit gebildetes Gesicht
erfordert. [↔] Eine drolligte Physionomie, beständig von
Scherz und Freude beseelet, ist die einzige, die für die
komischen Tänzer paßt. Sie müs sen gleichsam die Affen
derNatur seyn, und
beständig diese kunstlose Einfalt, diese herzliche Fröhligkeit und diesen ungesuchten
Ausdrucknachahmen, der in den Hütten des Landmanns
herrscht. [↔] Um also der Masken entübrigt zu seyn, und
doch seine Absicht zu erreichen, kömmt es nur darauf an,
mein Herr, daß man sich selbst studiere. Laß uns fleißig
unsern Spiegel zu Rathe ziehen;
er ist ein großer Lehrer, der uns beständig unsere Fehler
zeigen, und die Mittel weisen wird, sie zu verbergen oder
abzuschaffen, wenn wir nur ohne Eigenliebe und ohne lächerlichen Eigendünkel vor ihn treten. [↔] Das Schöne ist der Physionomie lange nicht so unentbehrlich als das Redende. Alle Gesichter, die ohne regelmäßig schön zu seyn, vom Gefühl beseelt werden, gefallen weit mehr, als solche, welche ohne Leben und
Ausdruck schön sind. Ueberdem kömmt noch das Theater dem
Akteur zu statten; der Schein der Lampen verschönert
gewöhnlicherweise die Züge,
und geistreiche Physionomien
gewinnen dabey, sich auf der Bühne sehen zu lassen. Im Uebrigen, mein Herr, sollten
die Tänzer, welchen es an Wuchs, an Figur und Geist fehlt, und welche widrige auffallende Fehler haben, dem Theater entsagen, und wie ich bereits
gesagt habe, hübsch ein Handwerk ergreifen, wozu keine
Vollkommenheit, weder im Bau des Körpers, noch in
den Gesichtszügen, erfodert wird. Diejenigen aber, welche von der Natur begünstigt
sind, welche eine unwiderstehliche Neigung zum Tanzen bey
sich verspüren, und gleichsam einen Beruf zur Ausübung
dieser Kunst fühlen, laß ihre
rechte Stelle kennen lernen, und die Gattung ergreifen,
wofür sie eigentlich gemacht
sind; oder, ohne diese Vorsichtigkeit, gute Nacht, große und vorzügliche Geschicklichkeit! Es würde Molieren fehl geschlagen seyn, wenn
er getrachtet hätte, Corneille zu werden, und Racine wäre in seinem Leben kein Moliere geworden. [↔] Herr Preville
hat keine Königsrollen gewählt,
weil der drolligte und lustige Charakter seiner Figur statt Ehrfurcht Lachen erregt haben würde; und er würde nicht so vortrefflich in seiner Art Rollen seyn,
wenn er nicht diejenige zu wählen verstanden hätte, die
sich am besten für ihn schickte, und wofür er gebohren war. Herr Lany hat sich aus eben der Ursache zum
komischen [←] [→] Tanzen begeben; er ist darinn vortrefflich, weil diese
Gattung für ihn, oder vielmehr, er für diese Gattung gemacht zu seyn scheint; er würde an der unrechten Stelle stehn, und es
nicht so hoch gebracht haben,
wenn er des berühmten Dupre seine erwählt hätte. [↔] Der Herr Grandval spielt weder die Crispine noch die Finanzpächter. Sein edler Wuchs,
die liebenswürdige Gestalt seiner Figur, die Zärtlichkeit seines Ausdrucks, hätten ihm bey solchen Rollen
nichts genützt, worinn man einem Manne von Stande gar nicht ähnlich zu seyn braucht. Gleicherweise wollte sich Herr Dumoulin mit dem niedrig
komischen [←] gar nicht abgeben; er tanzte die Pas de Deux, und in der zärtlichen und
ausdrucksvollenGattung, als welche sich am besten für ihn
schickten. [↔] Herr Sarrazin
hätte das nicht an sich gefunden, was dazu gehört, die tölpelischen oder alle
Karrikaturrollen zu machen. Der
Schwung seiner Seele, der ehrwürdige Charakter seiner Physionomie, seine
Organen, die so fähig sind, das Pathetische auszudrücken,
und Thränen abzulocken, hätten sich nicht zu den niedrigen Charakteren schicken können,
welche eben so wenig Talent, als Vollkom menheit erfodern. Er macht
also die Könige und zärtlichen Alten, in welchen Rollen er
vortrefflich ist. Herr Vestris hat nach seinem Beyspiele, das Burlesque Burlesque seyn
lassen, und sich gänzlich auf das Heroisch ernsthafte Tanzen gelegt; dafür
ist er auch gegenwärtig in
dieser Gattung das vollkommenste Muster. [↔] Um die Tanzkunst bis zu dem Punkte der Höhe
zu bringen, den sie leicht erreichen kann, würde es gut
seyn, wenn die Tanzmeister bey ihrem Unterricht eben die
Fortschreitung beobachteten, als
wie die Mahler bey den ihrigen. Diese lassen ihre Schüler erst Ovale zeichnen, darauf geben sie ihnen die einzelnen Theile des Gesichts vor, und lassen sie solche darnach zusammen setzen, um einen Kopf,
oder andern Theil des Körpers heraus zu
bringen. Wenn der Schüler so weit gekommen ist, daß er eine ganze Figur zusammen setzen kann, so weiset ihm sein
Meister, wie er sie beseelen muß, indem er Stärke und Charakter hineinbringt; er lehrt ihn die mechanischen Regeln, wonach sich die Körper
bewegen; er
zeigt ihm die Manier, nach der er mit seinem Reißbley
diese Züge künstlich anbringen
muß, welche die Leidenschaften und Empfindungen auf die Physiognomie prägen,
wovon die Seele angefüllt ist. [↔] Der Tanzmeister sollte es machen, wie der Mahler; nachdem er seinen Schüler die Pas,
die Manier, sie an einander zu hängen, die Gegenbewegung
der Arme, die Biegungen des Leibes und die Richtungen des
Kopfes gelehrt hätte, sollte er
ihm noch zeigen, wie er alle dem durch Hülfe der
Physionomie Bedeutung und
Ausdruck geben könnte. Zu dieser Absicht müßte er nur
solche Entreen für ihn machen, worinn
er verschiedene Leidenschaften auszudrücken hätte. Es würde nicht hinreichen, ihn diese Leidenschaften
in aller ihrer Stärke schildern zu lassen, er müßte ihn
dabey ihre auf einander
folgende Bewegungen, ihr
Steigen und Abnehmen, und die verschiedenen Wirkungen, die sie auf dem Gesichte hervor
bringen, lehren. Dergleichen Unterricht würde dem Tanze Sprache und dem Tänzer Urtheil geben; er lernte
schildern, indem er tanzen lernte, und fügte zu unserer
Kunst ein Verdienst, das ihr weit mehr Achtung erwerben würde. [↔] In der Lage aber, worinn sich die Sachen
gegenwärtig befinden, rührt mich ein gutes Gemählde mehr, als ein Ballet. Dort seh ich Verstand, Ordnung und
Richtigkeit im Ganzen,Wahrheit im Kostume, Zuverläßigkeit in Anführung der Geschichte, Leben in
den Figuren, treffende und abgeänderte Charaktere in den
Köpfen, und Ausdruck überall; es ist die Natur, welche mir die geübte Hand der Kunst darlegt:
hier aber seh ich nichts, als Gemählde von eben so
schlechter Erfindung als
unangenehmer Zeichnung. Hier hab ich meine Meinung gesagt,
und wenn man den Weg, den ich hier ausgezeichnet, genau befolgte: so
würde man die Larven zerreissen, man würde den Götzen zu
Boden werfen, um sich der Natur zu weihen, und der Tanz würde
solche unerwartete Wirkungen
thun, daß man genöthigt seyn würde, ihn mit der
Mahlerey und Poesie in gleichen
Rang zu setzen. [↔] Wären unsere Balletmeister erfinderische
Köpfe, unsere Tänzer vortreffliche Schauspieler, wo wäre alsdann die Schwierigkeit,
den Tanz nach Rollen auszutheilen, und dem Gebrauche zu folgen, den die Comödieangenommen hat? Wenn die
Ballette Gedichte wären, so würden sie, wie die
dramatischen Werke, eine gewisse Anzahl Rollen erfodern,
um sie aufzuführen; man würde alsdann nicht länger sagen: Dieser Tänzer ist vortrefflich in der Chaconne, jener in der Loure; diese Tänzerinn ist zum Bewundern in den Tambourins, die ist die einzige in ihrer Art für die Passepieds, und jene ganz
vorzüglich in den Müsetten; sondern
man würde sagen, (und dieses Lob
wäre weit schmeichelhafter,)
jener Tänzer ist unnachahmlich in den
zärtlichen und sanften Rollen, dieser ist
vortrefflich in den Rollen der Tyrannen, und allen
übrigen, welche eine starke Aktion verlangen; die Tänzerinn ist reitzend in den verliebten, und diese ist unvergleichlich in
den heftigen Rollen; und jene endlich macht die zänkischen Scenen ganz besonders wahrhaft. [↔] Ich weiß wohl, daß eine solche Einrichtung nicht statt finden kann, wenn die
Kompositeurs nicht die
niedrigste Gattung mit einer höheren
vertauschen, und wenn die Tänzer sich nicht von der Sucht
befreyen, sich maschienenmäßig mit den Füßen und Armen herum zu
tummeln. [↔] Der Charakter des schönen Tanzens verlangt, statt Klotzigkeit, vernünftige
Ueberlegung; statt starker
Sprünge, Verstand; statt der Schwierigkeiten,
Expreßion; Gemählde, statt der Kabriolen; Reitz, statt Lieb äugeley;
Gefühl, statt Schritte nach der alten Leyer, und abwechselnde Charakter in der
Physiognomie, statt der laulichten Masken, welche gar keinen haben. [↔] Man könnte mir noch einwenden, daß die
heroische Maske einen edlen
CEharakter habe;
daß sie die Augen des Tänzers nicht bedecke, sondern in
seinen Blicken die Regungen seiner Seele sehen lasse. Hierauf erwiedere ich erstlich, daß eine Physiognomie,
die nicht mehr als einen Charakter hat, keine
theatralische Physiognomie ist: zweytens, daß eine Maske
unmöglich genau auf alle Gesichtszüge des Tänzers anliegen kann, weil sie nicht nach seinem, sondern nach einem andern Gesichte geformt ist;
sie hat immer eine gewisse Dicke, welche nicht allein dem
Kopfe ein geschwollnes Ansehen giebt, und seine richtigen
Verhältnisse hinwegnimmt,
sondern Blick und Auge dazu erstickt und begräbt.
Zugegeben auch, daß sie den Augen nicht den Ausdruck
nähme, den sie haben müssen, steht sie denn nicht der Veränderung im Wege, welche die Leidenschaften in den Zügen
und der Farbe des Gesichts
hervorbringen? Kann das Publikum sehen, wie sie entstehn, wie sie wachsen, und kann es dem Tänzer in seinen Gemüthsbewegungen folgen? [↔] Die Einbildungskraft, werden die Vertheidiger der Maske sagen, denkt
sich das hinzu, was uns verdeckt ist, und wenn wir die Augen von Eifersucht funkeln sehen, so glauben wir, das Feuer dieser Leidenschaft auf den übrigen Theilen der Physiognomie
ausgebreitet zu erblicken. Nein, mein Herr, die
Einbildungskraft mag so lebhaft seyn, als sie immer will,
so läßt sie sich von so widersinnigen Dingen nicht täuschen; Augen, welche Zärtlichkeit ausdrücken, indessen daß die
Gesichtszüge den Haß mahlen, Blicke voller Wuth, bey einer
muntern und freundlichen Physiognomie, sind Contraste, die
man in der Natur nicht findet, und zu mißhellig, als daß sie die allerdienstfertigste Imagination vereinigen könnte. Gleichwohl ist das die Wirkung, welche die ernsthafte Maske thut; sie bleibt
immer das holde Gesicht und kann ihren Charakter nicht
ändern, derweile die Augen sehr
plötzlich auf einander einen neuen annehmen. [↔] Weiter werden die Fürsprecher der Masken
sagen, daß die geborgten Gesichter schon seit zwey tausend
Jahren üblich sind; das heißt aber nichts weiter, als daß man sich über diesen Punkt seit zwey tausend
Jahren geirret hat; den Alten war gleichwohl
dieser Irrthum zu verzeihen, auf
keine Weise aber den Neuern. [↔] Bey den Alten waren die Schauspiele
so gut für das gemeine Volk, als für Leute von einem gewissen Range. Arme, Reiche, alle
ohne Ausnahme wurden dabey zugelassen; daher wurden so ausserordentlich große
Amphytheater erfodert, um
eine unendliche Zahl Zuschauer zu fassen, die das Vergnügen, so sie suchten, nicht würden gefunden haben, wenn man nicht zu über großen Masken, zu falschen
Bäuchen und Waden, und sehr hohen Cothurnen seine Zuflucht genommen hätte. [↔] Heut zu Tage aber, da unsere Comödienhäuser eng und klein sind, da man jedem, der
nicht bezahlt, die Thüre verschließt, hat man nicht nöthig, den Gradationen der Entfernung zu Hülfe zu kommen; der
Akteur sowohl als der Tänzer
müssen auf der Scene in ihren natürlichen Proportionen
erscheinen; die Larve wird unnütz; sie thut weiter nichts,
als daß sie die Bewegungen
ihrer Seele verbirgt, und dem
Fortgange und der Vollkommenheit der Kunst im Wege steht. [↔] Indessen, wird man fortfahren, sind die
Masken für den Tanz erfunden worden. Das ist aber nicht
ausgemacht, mein Herr, und es ist sogar wahrscheinlicher,
daß es für die Tragödie und
Comödie geschehen sey. Um hiervon eine
überzeugende Gewißheit zu haben,
lassen Sie uns, wo möglich, zu ihrem ersten Ursprunge
zurück gehen. [↔] Nach dem Quintilian redeten Orpheus und Linus davon in ihren Gedichten.
Wozu aber dienten solche zu der Zeit auf dem Theater? Man kannte sie noch nicht. [↔] Thespis, der
nach ihnen kam,
. . . . Fut le premier qui barbouillé de lie,
Promena par les Bourgs cette heureuse folie,
Et d'Acteurs mal ornés, chargeant un tombereau
Amusa les Passants d'un Spectacle nouveau. (*) [↔] Eschylus folgte auf ihn, und 6
. . . . Dans les Chœurs jetta les Personnages,
D'un Masque plus honnête habilla les visages,
Sur les ais d'un Théatre en public exhaussé,
Fit paroître l'Acteur d'un Brodequin chaussé. (*) [↔] Hier finden wir also die Masken; waren sie aber für die Tänzer gemacht? Die Autoren erklären sich nicht darüber, und sprechen nur von den Akteurs. [↔] Sophocles und Euripides führten nachher nichts Neues ein, sie brachten nur die Tragödie zur Vollkommenheit, und veränderten an den Masken des Eschylus nichts als die Form, derer sie für die verschiedenen Charaktere ihrer Stücke benöthigt waren. [↔] Ungefehr um dieselbe Zeit erschien Crates; nach dem Beyspiele des Epicharmus und des Pharmis, sicilianischer Dichter, gab er der Comödie ein anständiger und regelmäßiger Theater. Die Geschichte erwähnt 7 nichts davon, was sie in Ansehung der Masken thaten; vielleicht führten sie einen Unterschied zwischen den tragischen und komischen Masken ein. [↔] Ich suche Unterricht beym Aristophanes, beym Menander, aber sie lassen mich eben so klug, als ich war; ich sehe, daß der erste in seinen Wolken den Sokrates auf die Bühne bringt, und daß er eine Maske verfertigen läßt, welche das Gelächter des Volks erregte, und also, ohne Zweifel, die Züge dieses großen Philosophen nur in Karikatur vorstellte. [↔] Ich wende mich zu den Römern; Plautus und Terenz sagen mir nichts von für die Pantomimen bestimmten Masken. In den alten Handschriften, auf den geschnittenen Steinen, auf den Medaillen und vor den Comödien des Terenz, seh ich eben so scheußliche Masken, als die, deren man sich zu Athen bediente. [↔] Roscius und Aesop fallen mir in die Augen, aber das sind Akteurs und keine Tänzer. Ich bemühe mich vergebens, die Zeit ausfindig zu machen, wo man in Rom zuerst die Masken eingeführt hat; ich entdecke nichts. Diomed sagt wohl, daß es ein gewisser Roscius Gallus war, der sich derselben zuerst bediente, um einen Fehler, den er an den Augen hatte, zu verbergen, er sagt aber nicht, zu welcher Zeit dieser Roscius lebte; wessen man sich anfangs blos bediente, eine Mißgestalt zu verstecken, das ward in der Folge, wegen der ungeheuren Größe der Theater, unumgänglich nothwendig, und man machte, wie zu Athen, übermäßige Larven. Große schiefe Augen, ein großes blöckendes Maul, Hangelippen, Beulen an der Stirn, aufgeblasene Pausbacken, so sahen die Larven der Alten aus. [↔] Zu diesen Masken fügte man noch eine Art Stürzen oder Sprachröhre, welche den Ton mit Schmettern zu dem entferntesten Zuschauer brachten; sie waren inwendig mit Metal ausgelegt; nachher brauchte man dazu eine Art Marmor, welche Plinius Calcophonos, oder Erztklang, nennt, weil er eben so tönend war, als das Erzt. [↔] Die Alten hatten auch noch Masken mit zweyerley Gesichtern; das Profil der rechten Seite war munter, und das an der Linken finster und traurig; der Akteur wandte immer die Seite nach dem Zuschauer, die sich zu der Situation, darinn er sich befand, und der Aktion, die er vorzustellen hatte, am besten schickte. [↔] Endlich machte man auch satyrischeMasken; man nahm sich die Freyheit, die Bürger aufs Theater zu bringen, und die Bildhauer ahmten die Gesichter derjenigen nach, welche man auf der Bühne dem Gespötte Preiß geben wollte. [↔] Diese ungeheuren Masken waren aus Holz geschnitzt, und ganz und gar nicht leicht; sie gingen ganz um den Kopf und ruheten auf den Schultern. Nun mögen Sie urtheilen, mein Herr, ob es möglich sey, zu denken, daß man solche Lasten für den Tanz erdacht habe; nehmen Sie noch den andern Kram, als den ausgestopften Bauch, die Waden, die Lenden und die Stelzen dazu, so werden Sie es höchst unwahrscheinlich finden, daß diese Rüstung für eine Kunst erdacht seyn sollte, die ein Kind der Freyheit ist, die die Fesseln einer beschwerlichen Mode fürchtet, und die aufhört, sich zu zeigen, so bald sie aufhört, frey zu seyn. [↔] Dieses Kostume war so beschwerlich und lästig, daß der sprechende Akteur keine Bewegung machte. Die Deklamation wurde oft unter zwo Personen vertheilt, die eine deklamirte und die andere machte dazu die Gestus. [↔] Fast sollte man auf die Vermuthung kommen, daß die Alten vom Tanzen, wie unseres heut zu Tage, gar keine Idee gehabt hätten; denn wie könnte man unsere lebhafte und brillante Execution mit dem schweren und drückenden Kleiderkrame derGriechen und Römer zusammen reimen? [↔] Es ist wahr, Lucian sagt, daß die Pantomimen nicht so ungestalte Masken hatten, als die Akteurs; daß ihr Anzug nett und schicklich war; allein, waren die Masken weniger groß? hatten die Tänzer weniger nöthig, sich aufzublasen und größer zu machen? mußten sie nicht eben so wohl, als die Akteurs, auf die Entfernung Rücksicht nehmen? Es wäre abgeschmackt, das zu denken, weil die einen Collossen und die andern Pygmäen würden geschienen haben. [↔] Dieß ist die einzige Stelle, mein Herr, welche beweisen könnte, daß die Pantomimen Masken brauchten; bey allen alten oder neuen Schriftstellern aber, die über diese Materie geschrieben, finde ich keine einzige, die mich überzeugte, daß diese collossalische Figuren für den Tanz erfunden wären. [↔] Kurz, mein Herr, die französische Comödie hat diesen Gebrauch nicht aus Leichtsinn, sondern aus guten Gründen abgeschaft. Man hat eingesehen, daß diese leblose und unvollkommene Schattenbilder der schönenNatur, aller Wahrheit und aller Vollkommenheit des Schauspielers im Wege stunden. [↔] Die Oper, welche unter allen Schauspielen der Griechen ihren am nächsten kömmt, hat die Masken blos für den Tanz angenommen; ein überzeugender Beweiß, daß man nicht auf die Vermuthung gefallen ist, ob vielleicht die Tanzkunst reden könnte. Hätte man es für möglich gehalten, daß sie nachahmen könnte, so würde man ihr gewiß keine Maske gegeben und sie des besten Hülfsmittels beraubt haben, das sie zu einer Sprache ohne Worte, und zu dem lebhaften und beseelten Ausdrucke der Bewegungen des Gemüths durch sinnliche Zeichen besitzt. [↔] Wenn man immer so zu tanzen fortfährt, als man bisher getanzt hat; wenn man in der Oper mit den Balletten weiter nichts will, als den Sängern Zeit zum Athemholen zu schaffen; wenn sie dem Gedichte nicht wesentlicher nöthig sind, als die zwischen den Akten der Comödie aufgespielten Symphonien: so sind die Popansgesichter eben so gut, als die stummen und todten Physiognomien der Tänzer. Wenn aber die Kunst steigt, wenn der Tänzer sich befleißiget, nachzubilden: so muß man den Zwang entfernen, die Masken wegwerfen, und die Patronen in Stücken zerschlagen. Die Natur verträgt sich nicht mit der stümperhaftenKunst; der vernünftige Artist muß alles das fortschaffen, was sie verdunklen oder heruntersetzen kann. [↔] Es ist eben so schwer, mein Herr, den ersten Ursprung der Masken auszuforschen, als sich einen richtigen Begriff von den Schauspielen und Tänzen der Alten zu machen. Diese Kunst ist zugleich mit vielen andern vortrefflichen Dingen, gleichsam unter dem Schutte des Alterthums vergraben gewesen. Von so vielen Schönheiten haben wir fast nichts übrig behalten, als verbleichte Skitzen, die ein jeder Autor mit seinen eignen Zügen und Farben ausmahlt; ein jeder von ihnen giebt ihr den Charakter, den er nach seinem Genie und Geschmacke für den besten hält. Die unaufhörlichen Widersprüche, welche sich in ihren Schriften finden, stürzen uns, anstatt uns Licht zu geben, wieder in unsre erste Dunkelheit zurück. [↔] Die Antiquität ist in gewissen Betrachtungen ein Cahos, das wir unmöglich entwickeln können; es ist eine Welt von unbekanntem Umfange; ein jeder glaubt sie durchreisen zu können, ohne sich zu verirren oder zu verlieren. Diese mancherley Dinge, welche wir in der größesten Entfernung erblicken, sind gleich einer zu weit gedehnten Perspektive; das Auge verirrt sich und unterscheidet darinn nur sehr undeutlich; aber die Einbildungskraft überhüpft den Zwischenraum, und kömmt der Schwäche des Blickes zu Hülfe; der Enthusiasmus rückt die Gegenstände näher; schaft neu; bildet sich Mißgestallten; alles kommt ihm groß, kommt ihm gigantisch vor. Man könnte hier die Verse des Moliere aus seinen gelehrten Weibernanwenden:
— — J'ai vû clairement des hommes dans la Lune.
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Je n'ai point encore vû d'hommes, comme je crois,
Mais j'ai vû des clochers tout comme je vous vois. (*) 8 [↔] Veränderung und Unbeständigkeit ist das Looß aller Dinge. Die Künste haben sowohl als Reiche und Monarchen ihre Perioden; was heute im blendenden Glanze erscheint, wird mit der Zeit matt, und fällt darauf in eine tiefe Dunkelheit. Wie dem auch sey, die Alten (und hierüber sind die Meinungen ungetheilt) sprachen mit den Händen; ihre Finger waren, so zu sagen, eben so viel Zungen, welche sich mit Leichtigkeit, mit Stärke und Beredsamkeit ausdrückten. Das Clima, das Temperament, und der Fleiß, den man anwendete, die Kunst des Gestus vollkommen zu machen, hatten sie zu einer Höhe gebracht, die wir niemals erreichen werden, wenn wir uns nicht eben so viel Mühe geben als sie, um uns in diesem Theile hervorzuthun. Der Wettstreit zwischen Cicero und Roscius, wer von beyden einen Gedanken am besten ausdrücken würde; ob Cicero durch die Anordnung und Stellung der Worte, oder Roscius durch die Bewegung der Arme und den Ausdruck der Physiognomie, beweiset sehr klar, daß wir nur noch bloße Kinder sind, daß wir nur noch bloße maschienenmäßige und unbedeutendeBewegungen haben, die ohne Charakter und ohne Leben sind. [↔] Die Alten hatten Arme, und wir haben Schenkel; lassen Sie uns, mein Herr, mit der Schönheit unsrer Execution den bedeutenden und lebhaften Ausdruck der Pantomimen verbinden; lassen Sie uns die Masken zerbrechen, laß uns Seelen anschaffen, und wir werden die ersten Tänzer von der Welt seyn. Ich bin u. s. w.
Neunter Brief.
[↔] Auf dem Gesichte ist es, wie Sie
wissen, mein Herr, wo der Mensch sehen läßt, was in seiner Seele vorgeht,
wo man seine Affecten und Leidenschaften lesen, und wechselsweise Ruhe, Unruhe,
Vergnügen, Schmerz, Furcht und Hoffnung abgebildet finden kann.
Sein Ausdruck ist hundertmal wärmer, lebhafter und bestimmter, als das Resultat der
feurigsten Rede. Einen Gedanken durch Worte vorzustellen, dazu gehört gewisse Zeit, die
Gebehrden zeigen ihn auf einmal mit Nachdruck; es ist ein
Blitz, der aus dem Herzen fährt,
in den Augen flammt, alle Gesichtszüge hell macht, den Knall der Leiden schaften verkündigt, und
uns gleichsam die Seele nackend sehen läßt. Alle unsere
übrigenBewegungen sind blos mechanisch und sagen nichts, wenn das Gesicht
dabey stumm bleibt, und ihnen nicht Seele und Leben giebt. Wir haben also kein
nützlicher Werkzeug zum Ausdruck in unserer Gewalt, als
die Physionomie; warum denn
versteckt man sie auf dem Theater hinter eine Maske, und
zieht die plumpeKunst der
schönen Natur vor? Womit soll der Tänzer mahlen, wenn
man ihm seine nothwendigsten Farben wegnimmt? Wie will er die Bewegungen seiner eigenen Seele, in die Seelen der Zuschauer übertragen, wenn er sich des
Hülfsmittels beraubt, wenn er sich mit einem Stück Pappe,
mit einem gemahlten, mienenlosen
Gesichte bedeckt. Das Gesicht ist das
Sprachwerkzeug der stummen Scene, es ist der
getreue Dollmetscher aller Bewegungen der Pantomime: dieß ist genug, um aus der Tanzkunst, die unter die blos nachahmenden gehört, deren Aktion keinen
andern Zweck hat, als zu mahlen, und durch die Wahrheit und gefällige Natur ihrer Gemählde zu
täuschen und zu rühren, alle Masken zu
verbannen. [↔] Ich wüßte nicht, wie ichs machen sollte, die
Idee eines Mahlers auszufinden, und zu
errathen, was er auf der Leinewand habe vorstellen wollen,
wenn alle Köpfe seiner Figuren
so einförmig wären, als die Köpfe in der Oper, und sich
durch keine Züge und Charaktere unterscheideten. Ich würde nicht begreifen, sag' ich, aus was
Ursachen eine Person den Arm aufhebt, und eine andere die Hand an den Säbel legt; es würde mir
unmöglich seyn, die Empfindung zu ergründen, nach welcher der eine mit emporgehobnen Kopf und Armen da steht,
und der andere zurück weicht; wären auch alle Figuren
kunstrichtig und nach der
besten Proportion gezeichnet,
würde ich doch die Meinung des Künstlers sehr schwerlich treffen. Vergebens würde ich alle Physionomien zu Rathe ziehen,
sie wären stumm; ihre monotonische Züge würden mich nicht belehren; ihre
Blicke ohne Feuer, ohne Leidenschaft, ohne
Leben, würden mir nichts sagen;
am Ende könnte ich dieses
Gemählde nicht anders betrachten, als eine unvollkommene
Nachahmung der Natur, weil ich nicht diese Mannichfaltigkeit, die sie immer schön und neu vorstellt, darinn anträfe. [↔] Wird das Publikum die Idee und die Absicht eines Tänzers leichter fassen, wenn er
ihm beständig seine Physionomie hinter einem fremden Körper verbirgt? wenn er den
Geist in die Materie einhüllt, und ihm, statt der
abwechselnden Züge der Natur, eine schlecht gezeichnete
und höchst elend gemahlte Larve zeigt? Können sich da die
Leidenschaftenzeigen, und durch den Vorhang
dringen, welchen die Maske
zwischen ihn und den Zuschauer zieht? Wird er wohl mit einem einzigen von diesen künstlichen
Gesichtern, die unzähligen
Charaktere der Leidenschaften ausdrücken können? wird es ihm möglich seyn, die
Gestallt zu verändern, welche die Maske von der Patrone
bekommen? Denn eine Maske, sie sey von welcher Gattung sie
wolle, ist entweder
unbedeutend oder drolligt, ernsthaft oder
komisch [←] [→], traurig oder Fratze. Der
Formschneider giebt ihr nur einen und unveränderlichen
Charakter; so leicht es ihm gelingt, scheusliche,
verzerrte Gesichter, und alle dergleichen Hirngeburten zu
machen, so sauer wird es ihm, wenn er die Carikatur verlassen, und suchen soll, die schöne Natur nachzuahmen. Läßt er sie keine Grimassen
machen, so wird er frostig, seine Patronen sind Eis und seine Masken ohne Charakter, ohne Leben; er weiß die Feinheit der Züge und alle die
unmerklichen Schattirungen nicht zu treffen, welche der
Physionomie, indem sie solche gleichsam gruppiren,
tausenderley verschiedene Gestallten geben. Wo ist der Formschneider, der so kühn wäre, die Leidenschaften in allen
ihren Gradationen vorstellen zu wollen? Sollte wohl ein
Maskenmacher diese unzählbare Mannichfaltigkeit hervorbringen können, die zuweilen
der Mahlerey entwischt, und der Probierstein des großen Mahlers ist? Nein, m. H., DucreuxLaden war niemals das Magazin
derNatur; seine Masken
stellen sie in der Carikatur vor, und sind ihr nichts
weniger als ähnlich. [↔] Um den Gebrauch der Masken beym handelnden Tanze zu billigen, müßte man eben
so viele von verschiedener Gattung vors Gesicht nehmen, als Don Japhet von Armenien Calotten von allerley Farben auf seinen Kopf setzt; sie nach den Umständen, und
nach den Bewegungen, die man in einem Pas de Deux fühlte, wieder ab und
vorthun. Man klebt aber an einer leichtern Gewohnheit, man begnügt sich blos mit einem geborgten Gesichte, und der Tanz, der nothwendig darunter leidet, sagt eben so wenig, und ist völlig ohne Leben. [↔] Diejenigen, welche die Masken vertheidigen, denen aus alter Gewohnheit das Herz daran hängt, die glauben, es wäre um die Kunst geschehen, wenn man sich von dem alten Schlendrian der Oper
losmachte, werden, um ihren
schlechten Geschmackdurchzusetzen, sagen, daß es
solche Charaktere auf dem Theater giebt,
welche die Masken nothwendig
machen, als die Furien, die Tritonen, die Winde, die Faunen, u. s. w. Dieser Einwurf ist schwach, er gründet sich auf ein Vorurtheil, das leichter zu zerstören
als zu bekämpfen ist. Ich werde beweisen, erstlich, daß die Masken, deren man sich zu dieser Gattung von Charakteren bedient,
schlecht geformt und schlecht gemahlt sind, und gar keine
Wahrscheinlichkeit haben: zweytens, daß es leicht ist, diese Personen ohne
fremde Hülfe mitWahrheit
vorzustellen. Ich werde hernach diese Meinung durch
lebende Beyspiele unterstützen, die man nicht verwerfen kann, wenn man die Natur liebt, wenn das Simple
gefällt, wenn die Wahrheit den Vorzug vor der plumpen
Kunst zu verdienen scheint, die die Illusion aufhebt, und das
Vergnügen des Zuschauers> vermindert. [↔] Die Charaktere, die ich eben genannt habe, sind idealisch und bloße Wesen der
Einbildung,
Geschöpfe der Poeten; die Mahler haben ihnen nachher durch verschiedene Züge und Attributa, die nach dem Maaße, wie
die Künste fortgeschritten, und der Künstler durch die
Fackel des Geschmacks erleuchtet, anders
geworden sind, eine Art von wirklichem Daseyn gegeben. Die Winde werden nicht mehr mit Blasebälgen in den Händen, mit Windmühlen auf den Köpfen und mit Kleidern von
Federn, zum Zeichen der Leichtigkeit, gemahlt oder getanzt; man würde die Welt nicht mehr mahlen und tanzen wie
ehedem, mit einem Kopfputze, der den Olymp abbildete, mit
einem Habit, der eine geographische Charte vorstellt; und ihre Kleidung nicht
mehr mit Inschriften verzieren; man wird nicht mehr auf
die linke Brust setzen: Gallia, auf den Bauch: Germania,
auf ein Bein: Italia, auf das
Hintertheil: Terra australis incognita,
auf einen Arm: Hispania, u. s. w. Man wird
die Musik nicht mehr durch ein Kleid, worauf verschiedene Linien mit Achtel- und Sechszehntelnoten angebracht sind, charakterisiren; man wird ihr nicht mehr
den Kopf mit G -, C - und F - Schlüsseln aufputzen. Man wird
endlich die Lüge nicht mehr mit einem hölzernen Beine, mit einem Habite voller Masken und einer
Blendlanterne in der Hand im Tanze aufführen. Diese einfältigenAllegorien gehören nicht für unsere Zeiten. Da wir aber, über diese schimärischen
Wesen, die Natur nicht zu Rathe ziehen können, so lassen Sie uns wenigstens die
Gedanken der Mahler nützen; sie stellen die
Winde, die Furien und die Dämonen unter
menschlichen Gestallten vor; die Faunen und Tritonen sind am Oberntheile des Körpers dem
Menu schen, und am Untertheile dem Bock oder
Fische ähnlich. [↔] Die Masken der Tritonen sind grün, mit
Silber; der Dämonen Feuerfarbe,
mit Silber; der Faunen
schwarzbräunlich; der Winde pausbäckig, oder als jemand, der die Backen voll nimmt zu blasen; so sehen unsere Masken aus. Laß uns nun sehen, ob sie einige Aehnlichkeit haben, wenn wir sie mit den Meisterstücken der Mahlereyvergleichen? In den
vortrefflichsten Gemählden finde ich Tritonen, deren Gesicht nicht grün ist; ich bemerke Faunen und Satyren von röthlicher und
braungelber Gesichtsfarbe, aber ich bemerke nicht, daß ein
dunkles Braun über alle Züge verbreitet wäre; ich kann keine Gesichter von Feuerfarbe und Silber finden; die Dämonen sind von dem Elemente, das sie bewohnen, röthlich; allenthalbenempfind und seh ich die Natur, sie
verliert sich weder unter dick aufgetragenen Farben, noch unter der schweren Pinselbürste; ich unterscheide die Gestallt eines jeden Zuges, sie kommen mir freylich scheußlich, überladen und übertrieben vor, aber alles zeigt mir doch den Menschen, nicht wie er ist, sondern wie er, ohne die Wahrscheinlichkeit zu
beleidigen, seyn kann. Sollte übrigens der Abstand zwischen dem Menschen und den
von der Fiktion und dem Gehirne der Poeten erzeugten Wesen, nicht nothwendig, und
sollten die Bewohner der
Elemente in Etwas von der Menschheit unterschieden seyn?
Die Masken der Winde gleichen nach
den Originalen, die uns die Mahler davon gegeben, am
besten, und wenn das Theater
ja eine Maske nöthig hat: so ist es gewiß diese. Ich würde
solche aus zwey Gründen brauchen. Erstlich, wegen der Schwierigkeit, lange die
aufgeblase nen Backen zu behalten,
zweytens, weil diese Gattung sehr wenig Ausdruck hat. Sie sagt
nichts, kräuselt mit Schnelligkeit herum, hat viel
Bewegung und wenig Aktion; es ist ein
Wirbelwind von Schritten ohne Geschmack, und
oft ohne Richtigkeit, welche blenden, ohne zu vergnügen,
welche überraschen, ohne anzuziehen, und also verdirbt
dabey die Maske nichts. Ja, mein Herr, ich finde diese
Gattung so frostig und
langweilig, daß meinenthalben
der Tänzer viele dergleichen anbringen möchte, wenn er
dadurch ihre Liebhaber zu belustigen denkt. Wenn man den
Boreas in dem sinnreichen Ballette des fleursausnimmt: so sind alle übrigen
Winde der Oper lästige und uns
langweilige Dinger. [↔] Wäre es bey Abschaffung der Masken nicht
möglich, die Tänzer dahin zu vermögen, daß sie sich auf
eine mehr wahre und mahlerische Art ankleideten? Sollten
sie nicht die Degradation des
Entfernten hervorbringen, und mit Hülfe einiger leichter
Tinten, und durch ein Paar nach der Kunst angebrachte
Pinselzüge, ihren
Physionomien den Hauptcharakter geben können, den sie
haben sollten? Wer diesen Vorschlag verwirft, muß nicht
wissen, was die Natur hervorbringen kann, wenn ihr die Zauberey derKunst
hilft und sie verschönert; der
kann mich tadeln, sag' ich, der gar nichts von der
verführerischen Wirkung weiß,
die dieser Handgriff thut, und was er für wichtige
Verwandelungen hervorbringt,
ohne die Natur zu verdunkeln oder zu entstellen, ohne ihre Züge zu schwächen oder zu verzerren. Ein Beyspiel wird diese Wahrheit in
ihr Licht setzen, und ihr das Vermögen geben, Leute ohne Geschmack zu überreden, und einen Haufen
unwissender Ungläubigen, womit
das Theater verunreinigt ist, zu überzeugen. [↔] Der berühmte englische Comödiant, Garrick, ist das Muster, das ich aufstellen will. Ich weiß kein schöneres, vollkommneres und das mehr Bewunderung verdiente; man könnte ihn den Protheus unserer Zeit nennen,
denn er spielt alle Gattungen von Rollen, und zwar mit einer Vollkommenheit und
Wahrheit, die ihm nicht
allein den Beyfall seiner Nation, sondern auch von allen
Fremden Lob und Bewunderung
erwerben. Er ist so natürlich, sein Ausdruck
ist so mannichfaltig, seine Gestus, seine Physionomie und seine Blicke sind so
rednerisch, so überzeugend, daß ihn selbst der versteht,
der kein Englisch weiß; es wird einem nicht schwer, ihm zu folgen. Er rührt im Pathetischen; im Tragischen erregt er die
auf einander folgenden Bewegungen der heftigstenLeidenschaften, er wühlt, wenn ich so sagen
darf, im Eingeweide des Zuschauers>, zerreißt
ihm das Herz, durchbohrt ihm die Seele, und preßt ihm blutige Thränen aus. Im hohen
komischen [←] [→] gefällt und entzückt er;
er ergötzt und belustigt in der niedern
Gattung, und weiß sich mit solcher Kunst fürs
Theater einzurichten, daß ihn oft diejenigen verkennen, die täglich mit ihm umgehen. Sie kennen
die unendliche Zahl von Charakteren, welche
das englische Theater aufzuweisen hat: er spielt sie alle mit gleich großer Geschicklichkeit; er hat gleichsam zu jeder Rolle ein eigenes Gesicht. Er versteht die Kunst, nach Erforderniß der Charaktere
gelegentlich an den Stellen der Physionomie, die gruppiren oder ein Gemählde machen sollen, einige
Pinselstriche anzubringen;
das Alter, die Situation, der
Charakter, die Lebensart und der Rang der Person, die er
vorzustellen hat, schreiben ihm die Farben und Züge vor.
Glauben Sie nicht, daß dieser große Akteur niedrig und gemein sey, oder Grimassen mache; er ist ein getreuer
Nachahmer der Natur, und weiß aus derselben allemal das Schönste zu wählen; er zeigt sie beständig in glücklichen Stellungen und in einem vortheilhaften Lichte: selbst in solchen Rollen,
welche Grazie und Anmuth am wenigsten leiden, weiß er die,
dem Theater wesentliche
Wohlanständigkeit beyzuhalten. Er ist niemals weder unter
noch über seiner vorzustellenden Person. Er trift den richtigen Punkt der Nachahmung, welchen die Komödianten fast beständig verfehlen; dieses glückliche
Gefühl, ohne welches keiner ein großer Akteur werden kann, und
welches zum Wahren leitet, ist die seltene
Eigenschaft, welche Garrick
besitzt; dieses Talent ist um desto schätzbarer, weil es
den Akteur abhält, sich zu verirren und sich in den Tinten zu betriegen, die er zu seinen Gemählden anwenden
soll; denn man hält oft das Frostige für Würde,
Eintönigkeit für vernünftiges Wesen, Aufgeblasenheit für edles Ansehn, Mienenspielerey für Anmuth, Schreyen für Heftigkeit, vieles Herumtummeln für Aktion, Klotzigkeit für
ungekünstelte Natur, schnelles Plappern für Feuer, und eine verzerrte Physionomie für einen lebendigen Ausdruck der Seele. Bey Garrick ist es ganz anders; er
studirt seine Rollen, noch mehr aber die Leidenschaften. Er liebt seine
Kunst so sehr, daß er sich an den Tagen, da er wichtige Rollen zu spielen hat, in der Einsamkeit vorbereitet, und keinen
Menschen zu sich läßt. Sein Genie erhebt ihn zu den Prinzen, den er vorstellen soll; er nimmt seine Tugenden und
Schwachheiten an; er dringt in ihren
Charakter und Geschmack; er schmilzt sich um; es ist nicht mehr Garrick, welcher hört oder spricht;
wenn die Verwandelung einmal vorgegangen, steht der Held
da, und der Komödiant verschwindet; er nimmt
seinen natürlichen Charakter nicht eher wieder, als nach geendigter Rolle. Sie können leicht denken, m. H., daß er wenig frey ist; daß er den Kopf beständig voll hat; daß seine Gedanken immerfort arbeiten; daß er drey
Viertheile von seinem Leben in einem abmattenden
Enthusiasmus hinbringt, der
seine Gesundheit um desto mehr angreifen muß, weil er vier
und zwanzig Stunden vorher
anfängt, sich zu quälen und in eine traurige und
unglückliche Situation zu
versetzen, ehe er sie mahlt und vorstellt. Hingegen kann man niemand munterer
sehen, als ihn, die Tage, wo er einen Poeten zu machen hat, einen Künstler, einen
gemeinen Mann, einen
wichtigen Zeitungs schreiber, einen
Petitmaitre; denn dieser Art Leute giebts in
England eben sowol, obgleich unter einer
andern Gestalt, als bey uns in Frankreich; das Genie ist
verschieden, das geb' ich Ihnen zu, aber der Ausdruck des
Lächerlichen und der Unverschämtheit ist sich
gleich. In dieser Art von Rollen, sag' ich, entfaltet sich
seine Physionomie gleichsam von selbst; seine Seele ist immer darauf sichtbar;
seine Gesichtszüge sind so viel Vorhänge, die er sehr
geschickt aufzuziehen weiß, um jeden Augenblick neue
Gemählde voller Wahrheit und Empfindung sehen zu lassen. Man kann ihn ohne Partheylichkeit Englands Roscius nennen, weil er mit der Diction, der Deklamation, dem Feuer, der Natur, dem Geiste und der Feinheit, diese Pantomime und diesen seltenen Ausdruck der
stummen Scene verbindet, welche
den großen Akteur und den vollkommnen
Schauspieler auszeichnen. Ich will nur noch
ein Wort von diesem vortrefflichen Akteur sagen, woraus die Größe seiner Talente
erhellen wird. Ich sah ihn eines Tages in einem Trauerspiele agiren, welches er
nach seiner eigenen Veränderung wieder aufs Theater
gebracht hatte, denn er ist nicht allein ein großer
Schauspieler, sondern er hat auch das Verdienst, ein bey seiner Nation sehr
beliebter Dichter zu seyn;
ich sah ihn, sag ich, einen Tyrannen vorstellen, welcher
voller Schrecken über die Abscheulichkeit seiner Verbrechen in der heftigsten
Gewissensangst stirbt. Der ganze letzte Akt war zu dieser
angstvollen Reue angewendet; die Menschlichkeit siegte über Mordsucht und Blutdurst; der Tyrann
empfand ihre Stimme, verabscheuete seine Laster; stuffenweise ward er sein Richter und
sein Henker; jeden Augenblick zeigte sich der Tod auf seinem Gesichte; seine Augen wurden
dunkel; seine Stimme wollte kaum dem Bestreben gehorchen, das er anwendete, seine
Gedanken in Worte zu fassen; seine Gestus, ohne von ihrem Ausdrucke zu verlieren, verkündigten die Annäherung des
letzten Augenblickes; seine
Kniee schlotterten; seine Gesichtszüge verlängerten sich; Quaal und Reue
hatten ihn mit Todesblässe übermahlt. In diesem
Augenblicke sank er endlich auf den Boden nieder; seine Schandthaten stellten sich
seiner Einbildung unter den furchtbarsten Gestalten vor. Voller Entsetzen über das
schreckliche Gemählde,
welches ihm seine Blutschulden vorhielten, rang er mit dem
Tode; die Natur schien ihre
letzten Kräfte anzustrengen: diese Situation erregte Schaudern. Er kratzte auf der Erde, und scharrte gleichsam sein Grab auf; aber der Augenblick rückte heran, man sah den Tod vor Augen; alles mahlte den
Zeitpunkt, der alle Ungleichheit aufhebt; endlich verschied er; das Todesschluchsen und
die konvulsivischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln, der Arme und der Brust, gaben diesem
graunvollen Gemählde den letzten Pinselzug [↔] Sehn Sie, m. H., was ich gesehn habe, und
was die Schauspieler sehen sollten. Das ist
der Mann, den ich zum Muster aufstelle; schlimm genug für
diejenigen, die es nicht der Mühe wehrt halten, ihm zu
folgen! Wenn man diesem großen Manne
nachahmte, würde es nicht schwer seyn, die
Masken abzuschaffen, weil
alsdann die Physionomien beseelt wären und sprächen, und
man das Talent besäße, sie mit
eben der Einsicht und Kunst zu charakterisiren, als Garrick selbst. [↔] Verschiedene Leute behaupten, daß die Masken
einen zwiefachen Nutzen hätten; einmal, die Gleichförmigkeit zu erhalten; und zum
andern, die eignen Gewohnheitsmienen, oder die Grimassen,
welche die heftigen Anstrengungen beym Tanzen hervorbringen, zu verbergen. Nun ist erst die Frage: ob diese Gleichförmigkeit was Gutes sey? ich bin meines Theils ganz anderer Meinung;
ich halte dafür, daß sie derWahrheit nachtheilig sey, und die
Wahrscheinlichkeit zerstöre. Ist die Natur sich gleichförmig in ihren Produkten? Wo ist das Volk unter der Sonne, dem sie
eine genaue Aehnlichkeit ertheilt hätte? Ist nicht alles
mannichfaltig? Haben nicht alle Dinge in der Welt ihre
verschiedene Gestalten, Farben
und Schattirungen? Bringt wohl ein Baum zwey vollkommen
gleiche Blätter, Blumen oder Früchte hervor? Gewiß nicht; die Abstuffungen in
den Naturprodukten sind ohne
Ende; ihre Mannichfaltigkeit ist
ohne Gränzen und unbegreiflich. Da man so selten zwey Menechmen
findet, da
die Gleichförmigkeit der Gesichtszüge, und eine große
Aehnlichkeit an Zwillingen, als ein Spiel der Naturbewundert wird, wie groß muß dann nicht meine
Verwunderung seyn, wann ich in der Oper ein Dutzend Menschen zu sehen bekomme,
welche alle ein und dasselbe Gesicht haben! und wie muß
ich nicht erstaunen, wenn ich finde, daß die
Griechen, Römer, Schäfer, Matrosen, Scherze, Spiele, Amoureten, Priester und Wahrsager alle
einerley Physionomie haben? Abgeschmackt
genug! Besonders in einem Spektakel, das voller
Mannichfaltigkeit, wo alles in Bewegung ist, wo der Ort abwechselt,
wo eine Nation der andern folgt, wo jeden Augenblick
verschiedene Trachten vorkommen, indessen daß die
Physionomien der Tänzer allemal dieselben bleiben; keinen Unterschied in den Zügen, keinen Ausdruck, keinen
Charakter, nichts von alle dem findet man:
alles ist todt und langweilig, und die Natur seufzt unter
einer frostigen eckelhaften Maske. Warum läßt man den
Akteurs und Chorsängern ihre Physionomien, wenn man sie
denen wegnimmt, die sie deswegen
noch nöthiger haben, weil ihnen der Gebrauch der Stimme
und der Worte untersagt ist? Wie widersinnig ist nicht der GottPan, der zu seinem Gefolge einen
Theil Faunen und Waldgötter mit weissen Gesichtern hat, indessen daß der andere mit
braunen Masken daher tanzt. Die tanzenden Dämonen sind feuerfarbigt, und die,
welche ihnen zur Seite singen, sind bleich und blaß. Die
Meergötter, die Tritonen, die Flüsse und ihre Bewohner
sind, wenn sie singen, gestaltet
wie Menschen; läßt man sie tanzen, so sind es grasgrüne
Gesichter, wel che man kaum in einer blos
zum Vermummen bestimmten Maskerade ausstehen könnte. Hierdurch wird also die vorgegebene Gleichförmigkeit völlig aufgehoben.
Ist sie nöthig: so gebe man jedem Gesichte, das aufs
Theater kömmt, seine Maske.
Ist sie es aber nicht: fort denn mit den Masken; denn die
Gründe, welche ihren Gebrauch den Sänngern nicht erlauben, sind eben dieselben, welche solche beym Tanze verbieten. Sie sehen, mein Herr, daß alle diese
buntscheckigten Physionomien
zu nichts dienen, als bey jedem Liebhaber des
Wahren, des Simplen und des
Natürlichen Unwillen zu erwecken. [↔] Aber zu den eigenen Gewohnheitsmienen;
dieser Einwurf ist so schwach, daß es mir leicht seyn
wird, darauf zu antworten. Die Mienen, die Verzerrungen und Grimassen entstehen nicht so wohl von der Gewohnheit, als
von der heftigen Anstrengung beym Springen; diese Anstrengungen, welche
alle Muskeln zusammen drängen,
verzerren das Gesicht auf
hunderterley Arten, und zeigen mir blos einen zur Arbeit
geprügelten Sklaven, keinen Tänzer, keinen Artisten. Jeder
Tänzer, der durch
Anstrengung seine Züge verändert, und dessen Gesicht in beständiger Con vulsion ist, ist ein
Tänzer ohne Seele, der nur auf
seine Beine denkt, der das A. B. C. seiner Kunst nicht
weiß, der nur an den groben
Theilen seiner Kunst hängt, und ihr wahres Wesen niemals gefühlt hat.
Ein solcher Mensch hat gerade so viel Geschicke, als zu
einem Salto Mortale gehört. Das
Tramplain und die Batudo (*) mögen sein Theater seyn, weil er die Nachahmung, das und
den Reitz seiner Kunst einem elenden Schlendriane
aufgeopfert; weil er, statt zu studieren, wie er
empfinden soll, sich nur auf das
Mechanische seiner Profeßion beflissen hat; weil endlich
seine Physionomie, da, wo sie mir
Leidenschaften und das Gefühl seiner Seele zeigen sollte, nichts weist, als ängstliche Mühe: kurz, ein solcher Mensch ist ein Stümper, dessen Execution allezeit schwerfällig und unangenehm bleibt.
Geben Sie mir nicht Beyfall, m. H., daß uns nichts angenehmer ist, als ungezwungene Leichtigkeit? Die Schwierigkeiten können
uns nur dann gefallen, wann sie sich mit Zügen des Geschmacks und der Grazie zeigen, und wann
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sie dieses leichte und edle Wesen annehmen, das mir die mühsame Arbeit verbirgt, und
gewandte Fertigkeit finden läßt. Verhältnißmäßig betrachtet, haben die Tänzerinnen heut zu Tage mehr Execution als die Tänzer; sie machen alles, was nur möglich zu machen ist. Mademoiselle Lany wird jedem Tänzer viel zu
schaffen machen, der nicht sicher, stark, lebhaft,
glänzend und genau ist. Ich frage also: woher kömmt es,
daß die Tänzerinnen selbst in den Augenblicken der
heftigsten Execution ihre
lächelnde Physionomie beybehalten? Warum ziehen sich ihre Gesichtsmuskeln nicht
zusammen, wenn die ganze Maschiene durch die heftigsten Bewegungen und wiederholte Anstrengungen erschüttert wird? Warum, sag' ich, das Frauenzimmer,
das von Natur weniger Nerven, Muskeln und Stärke hat, als wir, auch dann noch eine zärtliche,
wollüstige, lebhafte, seelen- und ausdrucksvolle Physionomie behält, wenn
die Sehnen und Muskeln, die bey den Bewegungen mitwirken, auf eine gewaltsame und
widernatürliche Art gespannt
sind? Woher kömmt es endlich, daß sie die Kunst wissen,
die Mühe des Körpers und die unangenehmen
Eindrücke zu verbergen, indem sie, statt der convulsivi schen Grimasse, welche die
Anstrengungen hervorzubringen
pflegt, die Feinheit des gewähltesten und zärtlichsten Ausdrucks zeigen? Daher kömmt es, daß die Tänzerinnen bey ihren
Uebungen äußerst sorgfältig auf sich selbst Acht haben; daß sie wissen, wie eine Verzerrung die Züge verunstaltet und den Charakter der Physionomie
verändert; daß sie fühlen, wie die Seele sich auf dem Gesichte entfaltet, sich in
den Augen abdrückt, und die Bildung beseelt und belebt; daß sie endlich überzeugt
sind, daß die Physionomie, wie ich schon gesagt habe, der
Theil unsers Körpers ist, wo sich der Ausdruck versammlet,
und daß solche ein getreuer Spiegel unserer
Empfindungen, Regungen und Affecten ist. Sie
bringen auch weit mehr Geist, Ausdruck und
Interesse in ihre Execution, als die Mannspersonen. Laß uns nur eben so sorgfältig werden, so werden wir weder häßlich noch unangenehm scheinen; so werden wir keine
fehlerhafte Gewohnheiten annehmen; wir werden nicht mehr
den eignen Tic haben, und wir werden
der Larve nicht länger bedürfen,
welche in diesem Falle das Uebel ehe verschlimmert als
wegnimmt; sie ist ein Pflaster,
welches dem Auge die Unvollkommenhei ten entzieht und dabey
fortdauren läßt. Das Mittel kann auch nicht einmal
gebraucht werden, wenn man seine
Physionomie beständig verbirgt. Was kann man wohl einer
Larve für einen Rath geben? Man sage ihr so viel man will, sie wird immer kalt und abgeschmackt bleiben. Man befreye aber nur die
Physionomie von diesem fremden Körper;
man hebe diese Gewohnheit auf, die der Seele Fesseln anlegt, und sie hindert, sich auf der Gesichtsbildung zu enthüllen: so wird man den Tänzer beurtheilen und sein Spiel schätzen können. Derjenige, der mit den Schwierigkeiten
und Anmuthsvollen der Kunst, eine lebhafte und geistreiche
Pantomime,
und einen seltnen Ausdruck der Empfindungen verbindet, wird zugleich den Ruhm
eines vortreflichen Tänzers und vollkommnen Schauspielers erhalten; Lobsprüche
werden ihn aufmuntern, und der Rath und die Erinnerungen
der Kenner werden ihn zur Vollkommenheit in seiner Kunst führen. Dann würde man zu ihm sagen: In dieser oder jener Stelle war eure Physionomie zu kalt; in jener andern waren eure Blicke nicht beseelt genug; die
Empfindung, die ihr nachbilden solltet, fühltet ihr selbst nicht
stark
genug, ihr konntet sie also nicht mit der gehörigen Stärke und Energie zeigen, daher
merkte man auch euren Gestus und Stellungen an, daß ihr wenig Feuer
in die Aktion legtet; ein andermal müßt ihr euch
derselben mehr überlassen; setzt euch ganz in die
Situation, die ihr
vorstellen sollt, und vergeßt niemals, daß man empfinden, lebhaft empfinden muß, wenn man glücklich mahlen will. Dergleichen Rath, mein
Herr, würde die Tanzkunst zu eben dem Flor bringen, worinn die
Pantomime bey den Alten war, und würde ihr einen Glanz geben, den sie niemals erreichen kann, so lange die Gewohnheit über den guten
Geschmack herrscht. [↔] Erlauben Sie mir also, daß ich den lebendigen und beseelten Physionomien den Vorzug gebe. Ihre Abwechselung
unterscheidet uns, zeigt an, was wir sind, und errettet
uns also von der allgemeinen Verwirrung, die in der Welt herrschen würde, wenn sie alle einander so ähnlich wären, als wie in der Oper. [↔] Sie haben mir oftmals gesagt, um den
Gebrauch der Larven abzuschaffen, wäre es unumgänglich
nöthig, daß alle Tänzer eine theatralische Physionomie
hätten. Ich bin völlig Ihrer Meinung, und halte ein trocknes, frostiges, nichts sagendes
Gesicht um nichts besser als eine Maske; aber es giebt drey verschiedene Gattungen vom Tanze, die
für verschiedene Wüchse und Physionomien gehören; wenn sich also die Tänzer mit Sorgfalt und ohne Eigenliebe
untersuchen wollen: so können sie alle ihre vortheilhafte
Stelle finden. Ihr Zweck ist
einerley: was für eine Gattung es auch sey: so müssen sie
nachbilden, Pantomimen seyn
und kräftig ausdrücken. Es kömmt also nur darauf an, den
Tanz, nach der Würde seines Gegenstandes, oder der Art seiner Gattung, eine höhere oder niedrigereSprache reden zu lassen. [↔] Der ernsthafte und heroische Tanz führt den
Charakter der Tragödie. Der vermischte oder
halb ernsthafte, den man gewöhnlich Demi-Caracter nennt, gleicht der edlen Comödie, oder dem hohen Komischen, wie man zu sagen pflegt. Der groteske Tanz,
den man sehr uneigentlich Pantomime nennt, weil er gar nichts sagt, borgt seine Züge von einer Gattung lustiger und
schnakischer Comödien. Die
historischen Gemählde des berühmten Vanloo sind das Bild des heroischen Tanzes; die von dem
galanten un nachahmlichenBoucher des Demi-Caracters;
und die von dem unvergleichlichen Teniers des komischen Tanzes. Das Genie der drey Tänzer, die sich auf diese
Gattungen besonders legen
wollen, muß eben so verschieden seyn, als ihr Wuchs, ihre
Physionomie und ihr Studium. Der eine muß groß seyn, der
andere galant, die dritte drolligt. Der erste muß seine Sujets aus der Geschichte und der
Mythologie, der zweyte aus der Schäferwelt und der dritte aus dem
gewöhnlichen gemeinen Leben schöpfen. [↔] Nicht weniger müssen sie, wie drey große
Mahler in den entgegen gesetzten Gattungen, nothwendig
Einsicht, Geschmack und Einbildungskraft haben. Diese drey
Tänzer müssen diesen Punkt der
Wahrheit, die richtige Nachahmung treffen, welche die Copie zum
Range des Originals erhebt, und das Nachgebildete wirklich in der Nachbildung darstellt. [↔] Für den heroischen Tanz schickt sich ohnstreitig ein zierlicher und edler Wuchs am
besten. Diejenigen, welche sich dieser Gattung widmen, haben freylich die
meisten Schwierigkeiten zu überwinden und die meisten Hindernisse aus dem Wege zu
räumen, um zur Vollkommenheit zu
gelangen. Sie können sich nicht ohne Mühe in eine
gefällige Zeichnung bringen; denn je ausgewickelter die
Partien sind, je schwerer ist es, sie zu ründen, und in angenehme Biegungen
zu bringen. An den kleinen
Kindern ist alles niedlich,
alles reitzend! Die Bewegungen ihrer Glieder, ihre Stellungen, sind voller Anmuth, ihre Umrisse sind
vortrefflich. Wenn dieser Reitz schwindet, wenn ein Kind
zu gefallen aufhört, wenn seine
Arme nicht mehr so schön gezeichnet zu seyn scheinen, wenn
sein Kopf nicht mehr die Lieblichkeit hat, die den Blick vergnügte, so entsteht das daher, weil es wächst, weil seine Gliedmaaßen durch das Ausdehnen ihre Niedlichkeit verlieren, und weil die nahe bey einander liegenden Schönheiten eher ins Auge fallen, als wenn sie
zerstreuet sind. Das Auge
mag gerne sehen, und nicht lange suchen. Alles, was sich
unsern Sinnen nicht mit den
Zügen der Schönheit
darstellt, erweckt uns nur ein mittelmäßiges Gefallen. Bey den schönen Künsten flieht
man die Mühe, man fürchtet das Untersuchen, wir suchen das Vergnügen,
um welchen Preiß? das bekümmert
uns nicht. Der Augenblick ist der Gott, der das Herz des
Publikums lenkt; wenn der Artist den zu nützen weiß, kann er seines Beyfalls versichert seyn. [↔] Der Wuchs, der sich am besten für den Demi-Caracter und den wollüstigen Tanz schickt, ist der mittlere; er kann alle Schönheiten des zierlichen Wuchses
zugleich haben. Was thut die Länge, wenn aus allen Theilen
des Körpers das schöne Verhältniß gleich stark hervorleuchtet? [↔] Der Wuchs des
komischen [←] [→] Tänzers braucht nicht so vollkommen zu seyn; je mehr er verkürzt ist, je gefälliger und
niedlicher und angenehmer wird
er den Ausdruck machen. [↔] Die Physionomien müssen sowohl als die
Wüchse unterschieden seyn. Eine edle Figur, völlige Züge,
ein stolzer Charakter, ein majestätischer Blick, gehören für den
ernsthaften Tänzer. [↔] Zur Physionomie des Demi-Caracters, oder der
Pastoralgattung, wird eine eben so angenehme als
interessante Figur, und ein für die Wollust
und Zärtlichkeit gebildetes Gesicht
erfordert. [↔] Eine drolligte Physionomie, beständig von
Scherz und Freude beseelet, ist die einzige, die für die
komischen Tänzer paßt. Sie müs sen gleichsam die Affen
derNatur seyn, und
beständig diese kunstlose Einfalt, diese herzliche Fröhligkeit und diesen ungesuchten
Ausdrucknachahmen, der in den Hütten des Landmanns
herrscht. [↔] Um also der Masken entübrigt zu seyn, und
doch seine Absicht zu erreichen, kömmt es nur darauf an,
mein Herr, daß man sich selbst studiere. Laß uns fleißig
unsern Spiegel zu Rathe ziehen;
er ist ein großer Lehrer, der uns beständig unsere Fehler
zeigen, und die Mittel weisen wird, sie zu verbergen oder
abzuschaffen, wenn wir nur ohne Eigenliebe und ohne lächerlichen Eigendünkel vor ihn treten. [↔] Das Schöne ist der Physionomie lange nicht so unentbehrlich als das Redende. Alle Gesichter, die ohne regelmäßig schön zu seyn, vom Gefühl beseelt werden, gefallen weit mehr, als solche, welche ohne Leben und
Ausdruck schön sind. Ueberdem kömmt noch das Theater dem
Akteur zu statten; der Schein der Lampen verschönert
gewöhnlicherweise die Züge,
und geistreiche Physionomien
gewinnen dabey, sich auf der Bühne sehen zu lassen. Im Uebrigen, mein Herr, sollten
die Tänzer, welchen es an Wuchs, an Figur und Geist fehlt, und welche widrige auffallende Fehler haben, dem Theater entsagen, und wie ich bereits
gesagt habe, hübsch ein Handwerk ergreifen, wozu keine
Vollkommenheit, weder im Bau des Körpers, noch in
den Gesichtszügen, erfodert wird. Diejenigen aber, welche von der Natur begünstigt
sind, welche eine unwiderstehliche Neigung zum Tanzen bey
sich verspüren, und gleichsam einen Beruf zur Ausübung
dieser Kunst fühlen, laß ihre
rechte Stelle kennen lernen, und die Gattung ergreifen,
wofür sie eigentlich gemacht
sind; oder, ohne diese Vorsichtigkeit, gute Nacht, große und vorzügliche Geschicklichkeit! Es würde Molieren fehl geschlagen seyn, wenn
er getrachtet hätte, Corneille zu werden, und Racine wäre in seinem Leben kein Moliere geworden. [↔] Herr Preville
hat keine Königsrollen gewählt,
weil der drolligte und lustige Charakter seiner Figur statt Ehrfurcht Lachen erregt haben würde; und er würde nicht so vortrefflich in seiner Art Rollen seyn,
wenn er nicht diejenige zu wählen verstanden hätte, die
sich am besten für ihn schickte, und wofür er gebohren war. Herr Lany hat sich aus eben der Ursache zum
komischen [←] [→] Tanzen begeben; er ist darinn vortrefflich, weil diese
Gattung für ihn, oder vielmehr, er für diese Gattung gemacht zu seyn scheint; er würde an der unrechten Stelle stehn, und es
nicht so hoch gebracht haben,
wenn er des berühmten Dupre seine erwählt hätte. [↔] Der Herr Grandval spielt weder die Crispine noch die Finanzpächter. Sein edler Wuchs,
die liebenswürdige Gestalt seiner Figur, die Zärtlichkeit seines Ausdrucks, hätten ihm bey solchen Rollen
nichts genützt, worinn man einem Manne von Stande gar nicht ähnlich zu seyn braucht. Gleicherweise wollte sich Herr Dumoulin mit dem niedrig
komischen [←] gar nicht abgeben; er tanzte die Pas de Deux, und in der zärtlichen und
ausdrucksvollenGattung, als welche sich am besten für ihn
schickten. [↔] Herr Sarrazin
hätte das nicht an sich gefunden, was dazu gehört, die tölpelischen oder alle
Karrikaturrollen zu machen. Der
Schwung seiner Seele, der ehrwürdige Charakter seiner Physionomie, seine
Organen, die so fähig sind, das Pathetische auszudrücken,
und Thränen abzulocken, hätten sich nicht zu den niedrigen Charakteren schicken können,
welche eben so wenig Talent, als Vollkom menheit erfodern. Er macht
also die Könige und zärtlichen Alten, in welchen Rollen er
vortrefflich ist. Herr Vestris hat nach seinem Beyspiele, das Burlesque Burlesque seyn
lassen, und sich gänzlich auf das Heroisch ernsthafte Tanzen gelegt; dafür
ist er auch gegenwärtig in
dieser Gattung das vollkommenste Muster. [↔] Um die Tanzkunst bis zu dem Punkte der Höhe
zu bringen, den sie leicht erreichen kann, würde es gut
seyn, wenn die Tanzmeister bey ihrem Unterricht eben die
Fortschreitung beobachteten, als
wie die Mahler bey den ihrigen. Diese lassen ihre Schüler erst Ovale zeichnen, darauf geben sie ihnen die einzelnen Theile des Gesichts vor, und lassen sie solche darnach zusammen setzen, um einen Kopf,
oder andern Theil des Körpers heraus zu
bringen. Wenn der Schüler so weit gekommen ist, daß er eine ganze Figur zusammen setzen kann, so weiset ihm sein
Meister, wie er sie beseelen muß, indem er Stärke und Charakter hineinbringt; er lehrt ihn die mechanischen Regeln, wonach sich die Körper
bewegen; er
zeigt ihm die Manier, nach der er mit seinem Reißbley
diese Züge künstlich anbringen
muß, welche die Leidenschaften und Empfindungen auf die Physiognomie prägen,
wovon die Seele angefüllt ist. [↔] Der Tanzmeister sollte es machen, wie der Mahler; nachdem er seinen Schüler die Pas,
die Manier, sie an einander zu hängen, die Gegenbewegung
der Arme, die Biegungen des Leibes und die Richtungen des
Kopfes gelehrt hätte, sollte er
ihm noch zeigen, wie er alle dem durch Hülfe der
Physionomie Bedeutung und
Ausdruck geben könnte. Zu dieser Absicht müßte er nur
solche Entreen für ihn machen, worinn
er verschiedene Leidenschaften auszudrücken hätte. Es würde nicht hinreichen, ihn diese Leidenschaften
in aller ihrer Stärke schildern zu lassen, er müßte ihn
dabey ihre auf einander
folgende Bewegungen, ihr
Steigen und Abnehmen, und die verschiedenen Wirkungen, die sie auf dem Gesichte hervor
bringen, lehren. Dergleichen Unterricht würde dem Tanze Sprache und dem Tänzer Urtheil geben; er lernte
schildern, indem er tanzen lernte, und fügte zu unserer
Kunst ein Verdienst, das ihr weit mehr Achtung erwerben würde. [↔] In der Lage aber, worinn sich die Sachen
gegenwärtig befinden, rührt mich ein gutes Gemählde mehr, als ein Ballet. Dort seh ich Verstand, Ordnung und
Richtigkeit im Ganzen,Wahrheit im Kostume, Zuverläßigkeit in Anführung der Geschichte, Leben in
den Figuren, treffende und abgeänderte Charaktere in den
Köpfen, und Ausdruck überall; es ist die Natur, welche mir die geübte Hand der Kunst darlegt:
hier aber seh ich nichts, als Gemählde von eben so
schlechter Erfindung als
unangenehmer Zeichnung. Hier hab ich meine Meinung gesagt,
und wenn man den Weg, den ich hier ausgezeichnet, genau befolgte: so
würde man die Larven zerreissen, man würde den Götzen zu
Boden werfen, um sich der Natur zu weihen, und der Tanz würde
solche unerwartete Wirkungen
thun, daß man genöthigt seyn würde, ihn mit der
Mahlerey und Poesie in gleichen
Rang zu setzen. [↔] Wären unsere Balletmeister erfinderische
Köpfe, unsere Tänzer vortreffliche Schauspieler, wo wäre alsdann die Schwierigkeit,
den Tanz nach Rollen auszutheilen, und dem Gebrauche zu folgen, den die Comödieangenommen hat? Wenn die
Ballette Gedichte wären, so würden sie, wie die
dramatischen Werke, eine gewisse Anzahl Rollen erfodern,
um sie aufzuführen; man würde alsdann nicht länger sagen: Dieser Tänzer ist vortrefflich in der Chaconne, jener in der Loure; diese Tänzerinn ist zum Bewundern in den Tambourins, die ist die einzige in ihrer Art für die Passepieds, und jene ganz
vorzüglich in den Müsetten; sondern
man würde sagen, (und dieses Lob
wäre weit schmeichelhafter,)
jener Tänzer ist unnachahmlich in den
zärtlichen und sanften Rollen, dieser ist
vortrefflich in den Rollen der Tyrannen, und allen
übrigen, welche eine starke Aktion verlangen; die Tänzerinn ist reitzend in den verliebten, und diese ist unvergleichlich in
den heftigen Rollen; und jene endlich macht die zänkischen Scenen ganz besonders wahrhaft. [↔] Ich weiß wohl, daß eine solche Einrichtung nicht statt finden kann, wenn die
Kompositeurs nicht die
niedrigste Gattung mit einer höheren
vertauschen, und wenn die Tänzer sich nicht von der Sucht
befreyen, sich maschienenmäßig mit den Füßen und Armen herum zu
tummeln. [↔] Der Charakter des schönen Tanzens verlangt, statt Klotzigkeit, vernünftige
Ueberlegung; statt starker
Sprünge, Verstand; statt der Schwierigkeiten,
Expreßion; Gemählde, statt der Kabriolen; Reitz, statt Lieb äugeley;
Gefühl, statt Schritte nach der alten Leyer, und abwechselnde Charakter in der
Physiognomie, statt der laulichten Masken, welche gar keinen haben. [↔] Man könnte mir noch einwenden, daß die
heroische Maske einen edlen
CEharakter habe;
daß sie die Augen des Tänzers nicht bedecke, sondern in
seinen Blicken die Regungen seiner Seele sehen lasse. Hierauf erwiedere ich erstlich, daß eine Physiognomie,
die nicht mehr als einen Charakter hat, keine
theatralische Physiognomie ist: zweytens, daß eine Maske
unmöglich genau auf alle Gesichtszüge des Tänzers anliegen kann, weil sie nicht nach seinem, sondern nach einem andern Gesichte geformt ist;
sie hat immer eine gewisse Dicke, welche nicht allein dem
Kopfe ein geschwollnes Ansehen giebt, und seine richtigen
Verhältnisse hinwegnimmt,
sondern Blick und Auge dazu erstickt und begräbt.
Zugegeben auch, daß sie den Augen nicht den Ausdruck
nähme, den sie haben müssen, steht sie denn nicht der Veränderung im Wege, welche die Leidenschaften in den Zügen
und der Farbe des Gesichts
hervorbringen? Kann das Publikum sehen, wie sie entstehn, wie sie wachsen, und kann es dem Tänzer in seinen Gemüthsbewegungen folgen? [↔] Die Einbildungskraft, werden die Vertheidiger der Maske sagen, denkt
sich das hinzu, was uns verdeckt ist, und wenn wir die Augen von Eifersucht funkeln sehen, so glauben wir, das Feuer dieser Leidenschaft auf den übrigen Theilen der Physiognomie
ausgebreitet zu erblicken. Nein, mein Herr, die
Einbildungskraft mag so lebhaft seyn, als sie immer will,
so läßt sie sich von so widersinnigen Dingen nicht täuschen; Augen, welche Zärtlichkeit ausdrücken, indessen daß die
Gesichtszüge den Haß mahlen, Blicke voller Wuth, bey einer
muntern und freundlichen Physiognomie, sind Contraste, die
man in der Natur nicht findet, und zu mißhellig, als daß sie die allerdienstfertigste Imagination vereinigen könnte. Gleichwohl ist das die Wirkung, welche die ernsthafte Maske thut; sie bleibt
immer das holde Gesicht und kann ihren Charakter nicht
ändern, derweile die Augen sehr
plötzlich auf einander einen neuen annehmen. [↔] Weiter werden die Fürsprecher der Masken
sagen, daß die geborgten Gesichter schon seit zwey tausend
Jahren üblich sind; das heißt aber nichts weiter, als daß man sich über diesen Punkt seit zwey tausend
Jahren geirret hat; den Alten war gleichwohl
dieser Irrthum zu verzeihen, auf
keine Weise aber den Neuern. [↔] Bey den Alten waren die Schauspiele
so gut für das gemeine Volk, als für Leute von einem gewissen Range. Arme, Reiche, alle
ohne Ausnahme wurden dabey zugelassen; daher wurden so ausserordentlich große
Amphytheater erfodert, um
eine unendliche Zahl Zuschauer zu fassen, die das Vergnügen, so sie suchten, nicht würden gefunden haben, wenn man nicht zu über großen Masken, zu falschen
Bäuchen und Waden, und sehr hohen Cothurnen seine Zuflucht genommen hätte. [↔] Heut zu Tage aber, da unsere Comödienhäuser eng und klein sind, da man jedem, der
nicht bezahlt, die Thüre verschließt, hat man nicht nöthig, den Gradationen der Entfernung zu Hülfe zu kommen; der
Akteur sowohl als der Tänzer
müssen auf der Scene in ihren natürlichen Proportionen
erscheinen; die Larve wird unnütz; sie thut weiter nichts,
als daß sie die Bewegungen
ihrer Seele verbirgt, und dem
Fortgange und der Vollkommenheit der Kunst im Wege steht. [↔] Indessen, wird man fortfahren, sind die
Masken für den Tanz erfunden worden. Das ist aber nicht
ausgemacht, mein Herr, und es ist sogar wahrscheinlicher,
daß es für die Tragödie und
Comödie geschehen sey. Um hiervon eine
überzeugende Gewißheit zu haben,
lassen Sie uns, wo möglich, zu ihrem ersten Ursprunge
zurück gehen. [↔] Nach dem Quintilian redeten Orpheus und Linus davon in ihren Gedichten.
Wozu aber dienten solche zu der Zeit auf dem Theater? Man kannte sie noch nicht. [↔] Thespis, der
nach ihnen kam,. . . . Fut le premier qui barbouillé de lie,
Promena par les Bourgs cette heureuse folie,
Et d'Acteurs mal ornés, chargeant un tombereau
Amusa les Passants d'un Spectacle nouveau. (*) [↔] Eschylus folgte auf ihn, und 6
. . . . Dans les Chœurs jetta les Personnages,
D'un Masque plus honnête habilla les visages,
Sur les ais d'un Théatre en public exhaussé,
Fit paroître l'Acteur d'un Brodequin chaussé. (*) [↔] Hier finden wir also die Masken; waren sie aber für die Tänzer gemacht? Die Autoren erklären sich nicht darüber, und sprechen nur von den Akteurs. [↔] Sophocles und Euripides führten nachher nichts Neues ein, sie brachten nur die Tragödie zur Vollkommenheit, und veränderten an den Masken des Eschylus nichts als die Form, derer sie für die verschiedenen Charaktere ihrer Stücke benöthigt waren. [↔] Ungefehr um dieselbe Zeit erschien Crates; nach dem Beyspiele des Epicharmus und des Pharmis, sicilianischer Dichter, gab er der Comödie ein anständiger und regelmäßiger Theater. Die Geschichte erwähnt 7 nichts davon, was sie in Ansehung der Masken thaten; vielleicht führten sie einen Unterschied zwischen den tragischen und komischen Masken ein. [↔] Ich suche Unterricht beym Aristophanes, beym Menander, aber sie lassen mich eben so klug, als ich war; ich sehe, daß der erste in seinen Wolken den Sokrates auf die Bühne bringt, und daß er eine Maske verfertigen läßt, welche das Gelächter des Volks erregte, und also, ohne Zweifel, die Züge dieses großen Philosophen nur in Karikatur vorstellte. [↔] Ich wende mich zu den Römern; Plautus und Terenz sagen mir nichts von für die Pantomimen bestimmten Masken. In den alten Handschriften, auf den geschnittenen Steinen, auf den Medaillen und vor den Comödien des Terenz, seh ich eben so scheußliche Masken, als die, deren man sich zu Athen bediente. [↔] Roscius und Aesop fallen mir in die Augen, aber das sind Akteurs und keine Tänzer. Ich bemühe mich vergebens, die Zeit ausfindig zu machen, wo man in Rom zuerst die Masken eingeführt hat; ich entdecke nichts. Diomed sagt wohl, daß es ein gewisser Roscius Gallus war, der sich derselben zuerst bediente, um einen Fehler, den er an den Augen hatte, zu verbergen, er sagt aber nicht, zu welcher Zeit dieser Roscius lebte; wessen man sich anfangs blos bediente, eine Mißgestalt zu verstecken, das ward in der Folge, wegen der ungeheuren Größe der Theater, unumgänglich nothwendig, und man machte, wie zu Athen, übermäßige Larven. Große schiefe Augen, ein großes blöckendes Maul, Hangelippen, Beulen an der Stirn, aufgeblasene Pausbacken, so sahen die Larven der Alten aus. [↔] Zu diesen Masken fügte man noch eine Art Stürzen oder Sprachröhre, welche den Ton mit Schmettern zu dem entferntesten Zuschauer brachten; sie waren inwendig mit Metal ausgelegt; nachher brauchte man dazu eine Art Marmor, welche Plinius Calcophonos, oder Erztklang, nennt, weil er eben so tönend war, als das Erzt. [↔] Die Alten hatten auch noch Masken mit zweyerley Gesichtern; das Profil der rechten Seite war munter, und das an der Linken finster und traurig; der Akteur wandte immer die Seite nach dem Zuschauer, die sich zu der Situation, darinn er sich befand, und der Aktion, die er vorzustellen hatte, am besten schickte. [↔] Endlich machte man auch satyrischeMasken; man nahm sich die Freyheit, die Bürger aufs Theater zu bringen, und die Bildhauer ahmten die Gesichter derjenigen nach, welche man auf der Bühne dem Gespötte Preiß geben wollte. [↔] Diese ungeheuren Masken waren aus Holz geschnitzt, und ganz und gar nicht leicht; sie gingen ganz um den Kopf und ruheten auf den Schultern. Nun mögen Sie urtheilen, mein Herr, ob es möglich sey, zu denken, daß man solche Lasten für den Tanz erdacht habe; nehmen Sie noch den andern Kram, als den ausgestopften Bauch, die Waden, die Lenden und die Stelzen dazu, so werden Sie es höchst unwahrscheinlich finden, daß diese Rüstung für eine Kunst erdacht seyn sollte, die ein Kind der Freyheit ist, die die Fesseln einer beschwerlichen Mode fürchtet, und die aufhört, sich zu zeigen, so bald sie aufhört, frey zu seyn. [↔] Dieses Kostume war so beschwerlich und lästig, daß der sprechende Akteur keine Bewegung machte. Die Deklamation wurde oft unter zwo Personen vertheilt, die eine deklamirte und die andere machte dazu die Gestus. [↔] Fast sollte man auf die Vermuthung kommen, daß die Alten vom Tanzen, wie unseres heut zu Tage, gar keine Idee gehabt hätten; denn wie könnte man unsere lebhafte und brillante Execution mit dem schweren und drückenden Kleiderkrame derGriechen und Römer zusammen reimen? [↔] Es ist wahr, Lucian sagt, daß die Pantomimen nicht so ungestalte Masken hatten, als die Akteurs; daß ihr Anzug nett und schicklich war; allein, waren die Masken weniger groß? hatten die Tänzer weniger nöthig, sich aufzublasen und größer zu machen? mußten sie nicht eben so wohl, als die Akteurs, auf die Entfernung Rücksicht nehmen? Es wäre abgeschmackt, das zu denken, weil die einen Collossen und die andern Pygmäen würden geschienen haben. [↔] Dieß ist die einzige Stelle, mein Herr, welche beweisen könnte, daß die Pantomimen Masken brauchten; bey allen alten oder neuen Schriftstellern aber, die über diese Materie geschrieben, finde ich keine einzige, die mich überzeugte, daß diese collossalische Figuren für den Tanz erfunden wären. [↔] Kurz, mein Herr, die französische Comödie hat diesen Gebrauch nicht aus Leichtsinn, sondern aus guten Gründen abgeschaft. Man hat eingesehen, daß diese leblose und unvollkommene Schattenbilder der schönenNatur, aller Wahrheit und aller Vollkommenheit des Schauspielers im Wege stunden. [↔] Die Oper, welche unter allen Schauspielen der Griechen ihren am nächsten kömmt, hat die Masken blos für den Tanz angenommen; ein überzeugender Beweiß, daß man nicht auf die Vermuthung gefallen ist, ob vielleicht die Tanzkunst reden könnte. Hätte man es für möglich gehalten, daß sie nachahmen könnte, so würde man ihr gewiß keine Maske gegeben und sie des besten Hülfsmittels beraubt haben, das sie zu einer Sprache ohne Worte, und zu dem lebhaften und beseelten Ausdrucke der Bewegungen des Gemüths durch sinnliche Zeichen besitzt. [↔] Wenn man immer so zu tanzen fortfährt, als man bisher getanzt hat; wenn man in der Oper mit den Balletten weiter nichts will, als den Sängern Zeit zum Athemholen zu schaffen; wenn sie dem Gedichte nicht wesentlicher nöthig sind, als die zwischen den Akten der Comödie aufgespielten Symphonien: so sind die Popansgesichter eben so gut, als die stummen und todten Physiognomien der Tänzer. Wenn aber die Kunst steigt, wenn der Tänzer sich befleißiget, nachzubilden: so muß man den Zwang entfernen, die Masken wegwerfen, und die Patronen in Stücken zerschlagen. Die Natur verträgt sich nicht mit der stümperhaftenKunst; der vernünftige Artist muß alles das fortschaffen, was sie verdunklen oder heruntersetzen kann. [↔] Es ist eben so schwer, mein Herr, den ersten Ursprung der Masken auszuforschen, als sich einen richtigen Begriff von den Schauspielen und Tänzen der Alten zu machen. Diese Kunst ist zugleich mit vielen andern vortrefflichen Dingen, gleichsam unter dem Schutte des Alterthums vergraben gewesen. Von so vielen Schönheiten haben wir fast nichts übrig behalten, als verbleichte Skitzen, die ein jeder Autor mit seinen eignen Zügen und Farben ausmahlt; ein jeder von ihnen giebt ihr den Charakter, den er nach seinem Genie und Geschmacke für den besten hält. Die unaufhörlichen Widersprüche, welche sich in ihren Schriften finden, stürzen uns, anstatt uns Licht zu geben, wieder in unsre erste Dunkelheit zurück. [↔] Die Antiquität ist in gewissen Betrachtungen ein Cahos, das wir unmöglich entwickeln können; es ist eine Welt von unbekanntem Umfange; ein jeder glaubt sie durchreisen zu können, ohne sich zu verirren oder zu verlieren. Diese mancherley Dinge, welche wir in der größesten Entfernung erblicken, sind gleich einer zu weit gedehnten Perspektive; das Auge verirrt sich und unterscheidet darinn nur sehr undeutlich; aber die Einbildungskraft überhüpft den Zwischenraum, und kömmt der Schwäche des Blickes zu Hülfe; der Enthusiasmus rückt die Gegenstände näher; schaft neu; bildet sich Mißgestallten; alles kommt ihm groß, kommt ihm gigantisch vor. Man könnte hier die Verse des Moliere aus seinen gelehrten Weibernanwenden:
— — J'ai vû clairement des hommes dans la Lune.
---- ---- ---- ---- ----
Je n'ai point encore vû d'hommes, comme je crois,
Mais j'ai vû des clochers tout comme je vous vois. (*) 8 [↔] Veränderung und Unbeständigkeit ist das Looß aller Dinge. Die Künste haben sowohl als Reiche und Monarchen ihre Perioden; was heute im blendenden Glanze erscheint, wird mit der Zeit matt, und fällt darauf in eine tiefe Dunkelheit. Wie dem auch sey, die Alten (und hierüber sind die Meinungen ungetheilt) sprachen mit den Händen; ihre Finger waren, so zu sagen, eben so viel Zungen, welche sich mit Leichtigkeit, mit Stärke und Beredsamkeit ausdrückten. Das Clima, das Temperament, und der Fleiß, den man anwendete, die Kunst des Gestus vollkommen zu machen, hatten sie zu einer Höhe gebracht, die wir niemals erreichen werden, wenn wir uns nicht eben so viel Mühe geben als sie, um uns in diesem Theile hervorzuthun. Der Wettstreit zwischen Cicero und Roscius, wer von beyden einen Gedanken am besten ausdrücken würde; ob Cicero durch die Anordnung und Stellung der Worte, oder Roscius durch die Bewegung der Arme und den Ausdruck der Physiognomie, beweiset sehr klar, daß wir nur noch bloße Kinder sind, daß wir nur noch bloße maschienenmäßige und unbedeutendeBewegungen haben, die ohne Charakter und ohne Leben sind. [↔] Die Alten hatten Arme, und wir haben Schenkel; lassen Sie uns, mein Herr, mit der Schönheit unsrer Execution den bedeutenden und lebhaften Ausdruck der Pantomimen verbinden; lassen Sie uns die Masken zerbrechen, laß uns Seelen anschaffen, und wir werden die ersten Tänzer von der Welt seyn. Ich bin u. s. w.
[↔]
[↔] Jch habe gesagt, mein Herr, daß der
Tanz zu künstlich zusammengesetzt, und die symetrische Bewegung der Arme zu einförmig ist, und
also die Gemählde keine Abwechselung, keinen Ausdruck und Natur haben
können; wenn wir also unsre
Kunst derWahrheit näher bringen wollten, müßten wir mehr
Sorgfalt auf die Arme als auf die Schenkel verwenden;
müßten wir mehr Gestus und weniger Cabriolen machen; müßten wir nicht sowohl schwere Pas machen, als mit der Phy siognomie spielen; nicht
so viel Anstrengung auf die Execution wenden und mehr
Verstand hinein bringen; uns mit guter Art von den sklavischen Regeln der Schule entfernen, um den
Eindrücken derNatur zu folgen, und dem Tanze die Seele und die
Aktion zu geben, welche er haben muß, um zu intereßiren.
Unter dem Worte Aktion verstehe
ich aber ganz etwas anders, als das Herumtummeln mit Händen und Füßen, das mühselige Bestreben, wie ein Wahnsinniger zu springen,
oder auch eine Seele zu zeigen, die man nicht hat. [↔] Die Aktion beym Tanze ist die Kunst, durch den wahren Ausdruck unsrer Bewegungen, unsrer Gestus
und der Physiognomie, dem Zuschauer unsre Empfindungen und
mitzutheilen. Die Aktion ist also
nichts anders als die Pantomime. An dem Tänzer muß alles mahlen, alles reden; jeder Gestus, jede Stellung, jeder Port de Bras muß einen unterschiedenen Ausdruck haben. Die wahre Pantomime in jeder
Gattung, folgt der Natur
in allen ihren Verflößungen. Wofern sie sich nur einen
Augenblick davon entfernt,
so wird sie langweilig und
widrig. Junge angehende Tänzer mögen sich hüten, diese edle Pantomime, wovon ich rede, nicht mit jenem gemeinen
und niedrigen Ausdrucke zu verwechseln, welchen die italiänischen Gauckler nach
Frankreich übergebracht haben, und den der schlechte Geschmack angenommen zu
haben scheint. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß die Kunst des
Gestus zu eng eingeschränkt ist, um eine große Wirkung zu
thun. Die einzige Aktion des rechten Armes, welchen man
vorwärts biegt, um einen Viertheilzirkel zu beschreiben, indessen daß der Linke,
welcher in der Lage war, auf eben die Art zurück geführt
wird, um ihn von neuen auszudehnen, und damit eine Linie gegen das Bein zu machen, ist nicht hinlänglich, um die Leidenschaften auszudrücken. So lange man nicht mehr
Mannichfaltigkeit in die Führung der Arme bringt, werden
sie niemals das Vermögen erlangen, zu bewegen und zu rühren. Hierinn
waren die Alten unsre Meister, sie
kannten die Kunst des Gestus besser als wir, und bloß in diesem Theile der Tanzkunst hatten sie es weiter gebracht als die Neuern. Ich räume ihnen das mit Vergnügen ein, was uns fehlt, und welches
wir besitzen werden, sobald es den Tänzern gefallen wird,
die Regeln zu überschreiten, die sich der Schönheit und dem
Eigenthümlichen ihrer Kunst widersetzen. [↔] Da das Port de Bras (ich hätte Lust, es
Armgang zu nennen) eben so mancherley
seyn sollte, als die mancherley Leidenschaften, die der Tanz ausdrücken kann: so werden die
eingeführten Regeln fast unnütz; man müßte
sie alle Augenblicke übertreten, und sich darüber wegsetzen, oder wenn man sie befolgte,
gradezu den Bewegungen der
Seele entgegen arbeiten,
die sich nicht in eine bestimmte Anzahl Gestus einschränken lassen. [↔] Die Leidenschaften ändern und theilen sich ab bis ins Unendliche; man bedürfte also eben so vieler Vorschriften, als sie Abänderungen haben. Wo ist der Lehrer, der ein solches Werk unternehmen möchte? [↔] Der Gestus entspringt aus der Leidenschaft, die er darlegen soll; es
ist ein Pfeil, den die Seele
abdrückt; er muß plötzlich seine Wirkung thun, und das
Ziel treffen, indem ihn die Senne der
Empfindung fortschnellt. [↔] Wenn wir in den Grundwissenschaften unser Kunst unterrichtet sind: so laß uns den
Bewegungen unsrer Seele folgen, sie kann uns nicht mißleiten, wenn
sie lebhaft empfindet; und wenn sie in dergleichen Augenblicken den Arm zu diesem oder jenem Gestus fortreißt, so ist er gewiß allemal
richtig und treffend gezeichnet,
und seine Wirkung ist sicher. Die
Leidenschaften sind die Triebfedern, welche die Maschiene in Bewegung
setzen: die Bewegungen, die daher entstehen, mögen beschaffen seyn wie sie wollen, so können sie nicht anders als wahr seyn. Hieraus folgt, daß die trocknen Schulregeln bey dem Tanze in Aktion
weichen, und derNatur Platz machen müssen. [↔] Nichts ist so schwer auszusparen, als das,
was man Bonne grace nennt. Nur der Geschmack weiß sie anzuwenden, und es ist ein
Fehler, darnach zu haschen, und sie allenthalben ohne Unterschied anbringen zu wollen.
Wenig Bestreben, welche zu zeigen, eine überlegte
Nachläßigkeit, um sie zuweilen zu verstecken, macht sie
nur noch fühlbarer, und giebt ihr einen neuen Reitz. Der
Geschmack theilt sie aus, er
giebt den Grazien ihren Wehrt und macht sie liebenswürdig;
zeigen sie sich ohne ihn, so verlieren sie ihren Namen, ihren Reitz und ihre Wirkung; es
bleibt bloße Mienenspielerey, die unausstehlich frostig ist. [↔] Es ist nicht jedermanns Sache, Geschmack zu haben; die Natur allein
ertheilt ihn, und die Erziehung verfeinert
ihn und macht ihn vollkommen; alle Regeln,
die man geben wollte, um welchen einzuflössen, wären unnütz. Er ist uns entweder
angebohren oder nicht. Ist das Erste, so wird er sich von
selbst zeigen; im zweyten Falle wird sich der Tänzer nie über das Mittelmäßige erheben. [↔] Es ist das nämliche mit den Bewegungen der Arme; die Bonne grace ist diesen
Letzten das, was der Geschmack der Bonne
grace ist: man wird in der pantomimischenAktion nicht glücklich
seyn, wenn einem nicht ebenfalls die Natur zu statten kommt; giebt diese uns den
ersten Unterricht: so kanns nicht fehlen, wir müssen in
sehr kurzer Zeit weit kommen. [↔] Richtig also ist es, daß die Aktion des Tanzes zu eingeschränkt ist; daß man nicht
allen Geschöpfen Anmuth und Leben mittheilen kann; daß Geschmack und Grazie angebohren seyn müssen. Vergebens sucht man solche
denen beyzubringen, die nicht gemacht sind sie zu haben,
das heißt sein Korn auf dürren Felsen säen; eine Menge
Saalbader handeln damit, eine größre Menge Gimpel glauben,
diesen Schatz für Geld kaufen zu können, sie erhalten aber bloß einen falschen Firniß, welcher bald verfliegt und
verraucht. Der Verkäufer hat das
Geld und der Käufer die lange Nase; so umarmte Ixion eine Wolke. [↔] Die Römer hatten indessen Schulen, worinn man die Kunst der Mienensprache oder die Kunst des Gestus und des gefälligen Anstandes lehrte; waren aber die Lehrer mit ihren Schülern zufrieden? Roscius war es nur mit einem
einzigen, bey dem die Natur ohne Zweifel das Beste that, und dennoch
fand er beständig etwas an ihm zu tadeln.' [↔] Meine Mitbrüder belieben anzunehmen, daß ich
unter Gestus die ausdrucksvollen Bewegungen der Arme
verstehe, welche durch die treffenden und mannichfaltigen
Charaktere der Physiognomie unterstützt werden. Die Hände eines geschickten Tänzers müssen, so zu sagen, sprechen; wenn sein Gesicht nicht spielt,
wenn die Veränderung, welche die Leidenschaft auf seine Züge drückt, nicht merklich genug ist; wenn seine Augen
nicht deklamiren, und die
Fassung seines Herzens verrathen: so ist sein Ausdruck alsobald falsch, sein
Spiel das Spiel einer Maschiene, und thut
keine Wirkung, weil es ihm an An muth, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit fehlt. [↔] Man kann sich auf dem Theater nicht hervorthun, wenn die Natur nicht das Ihrige dazu hergiebt; so dachte
Roscius. Nach seiner Meinung, wie Quintilian sagt, besteht die Kunst der Pantomime in dem edlen
ungezwungnen Wesen und in
dem natürlichen Ausdrucke der Empfindungen
der Seele; sie ist über alle
Regeln weg, kann nicht gelehrt werden,
und ist bloß ein Geschenk der Natur. [↔] Um den Fortgang unsrer Kunst zu beschleunigen und sie derWahrheit näher zu bringen, muß man die zu
gekünstelten Schritte aufopfern;
das, was man von Seiten der Schenkel verliert, wird man an Seiten der Arme wieder
finden; je ungekünstelter die Schritte sind, je leichter
wird es, Ausdruck und Grazie
damit zu verbinden. Der Geschmack flieht vor
allem, was schwer ist, und mag niemals was damit zu
schaffen haben; mögen sich doch die Künstler in
Schwierigkeiten üben, aber öffentlich müssen sie solche
nicht zum Vorschein bringen; dem Publikum gefallen sie nicht; sogar denen, die
sie einsehen, machen solche nur ein mittelmäßiges
Vergnügen. Die gehäuften
Schwierigkeiten in der Musik und dem Tanzen kommen mir vor, als ein Geschwätz, das ihnen völlig fremde ist; ihre
Stimmen müssen rührend seyn, sie müssen beständig ans Herze reden; es
schickt sich keine andre Sprache für sie, als
die Sprache der Empfindungen; diese macht überall Eindruck,
weil sie überall, von allen Nationenverstanden wird. [↔] Dieser Geiger ist vortrefflich, sagt man
mir; das kann seyn, aber mir macht er gar kein Vergnügen,
er hat nichts Gefälliges für mich, und macht mir keine
angenehme Bewegung;
das glaub ich wohl, versetzt der Liebhaber, denn er spielt eine Sprache, die Sie nicht verstehen. Sein Gespräch ist gelehrt und nicht für Jedermann, fährt er fort, wer es aber
begreift und versteht, für den ist es erhaben, und seine
Töne sind jeder eine Empfindung, welche reitzen und rühren, wenn man seinen Styl versteht. [↔] Desto schlimmer für diesen großen Geiger,
werde ich antworten, wenn er sein ganzes Verdienst darinn
setzt, nur dem kleinen Häuflein
zu gefallen. Die Künste gehören allenthalben zu Hause; laß sie nur ihre natürliche Sprache reden, so werden sie keines Dollmetschers bedürfen, und sie werden jedermann
rühren, er mag Kenner seyn oder nicht;
schränkt sich hingegen ihre Wirkung nur darauf ein, dem Auge zu gefallen, ohne das Herz zu rühren, ohne die Leidenschaften zu
bewegen, ohne die Seele zu
erschüttern: so hören sie alsobald auf, liebenswürdig zu
seyn und zu gefallen; die Stimme der
NRatur,
und der getreue Ausdruck der Empfindung bemächtigt sich beständig auch der unempfindlichsten Seelen; das Vergnügen
ist ein Tribunt, den das Herz
solchen Sachen nicht verweigern
kann, die ihm schmeicheln und es interessiren. [↔] Sobald ein berühmter italiänischer Geiger nach Paris kommt, lauft ihm jedermann zu, und niemand versteht ihn; gleichwohl schreit man Bravo,
o Bravo! und klatscht. Sein Spielen ist nicht fürs Gehör;
seine Töne haben nicht
gerührt, die Augen aber haben was zu
sehen gehabt; er geht sehr geschickt mit der Hand herauf
und herunter, seine Finger laufen auf dem Griffbrette so schnell herum, daß es
eine Lust anzusehen ist; ja, was sag ich? er kletterte in
die Höhe bis ans Steg; diese Schwierigkeiten hat er mit
verschiedenen Grimassen
begleitet, die eben so viel Anschlagezettel waren, welche sagen wollten:
Meine
Herren, sehen Sie mich, aber hören Sie mich nicht: diese Passage ist höllisch schwer; sie wird Ihnen nicht ins Gehör fallen, so haspelnd sie auch ist, aber es kostet mich zwanzig Jahr Uebung, daß ich sie in Finger und Bogen gebracht habe.
Das Klatschen geht los; Bogen und Finger verdienen Lob, und man ertheilt den Maschienenmanne ohne Kopfe und Seele, was man dem einheimischen Künstler, der
mit der saubersten Fertigkeit der Hand, den Ausdruck, die Wahrheit, das
Genie und das
Rührende seiner Kunst verbindet, beständig verweigern wird. [↔] Die italiänischen Tänzer machen es seit einiger Zeit gerade umgekehrt, wie
ihre Geiger. Da sie das Auge
nicht angenehm beschäftigen
können, und des Fossans
zierliche Art nicht ihr Erbtheil geworden: so machen sie viel Lermen, indem sie alle Noten mit den Füßen angeben, dergestalt, daß man die
Geiger dieser Nation mit Bewunderung sieht, und ihre Pantomimen mit
Vergnügen tanzen hört. Das ist
nicht das Ziel, das sich die schönen Künste
ausgesteckt haben; sie sollenmahlen, sie sollen nachahmen; ein kunstloser Schmuck kleidet ihre
Reitze am besten. Die Schönheit geht allemal unter dem
Prunktkrame der Mode
verlohren; das Simple ist ihre Schminke; Natur ihr Schmuck; Grazie
verschönert ihre Züge, Verstand belebt sie,
und giebt ihnen einen neuen Glanz. So lange, wie man den Geschmack den
Schwierigkeiten aufopfert,
wie man ohne Ueberlegung verfährt, wie man bloß ums Geld
tanzt, und aus einer freyen Kunst ein elend Handwerk macht, so lange wird die Tanzkunst nicht in die Höhe kommen, sondern vielmehr ausarten, und wieder in die Dunkelheit
zurückfallen, worinn sie vor
noch nicht hundert Jahren
begraben lag. [↔] Man würde mich unrecht verstehn, wenn man
dächte, ich wollte die gewöhnlichen Bewegungen der Arme, alle schwere
unud brillante Pas, und alle zierliche
Positions der Tanzkunst abgeschaft wissen; ich verlange
mehr Abwechselung, mehr Ausdruck mit den Armen; ich wünsche solche mit mehr Nachdruck reden zu sehen; sie mahlen die
und die Wollust; aber das ist noch
nicht genug, sie müssen auch die Wuth, die Eifersucht, den Unwillen, die
Unbeständigkeit, den Gram, die Rache, den Spott, mit einem
Worte, alle natürlichen Leidenschaften
des Menschen mahlen, und einhellig mit den Augen, der Physiognomie und den
Schritten mir den Ausdruck der Natur verständlich machen. Ich verlange ferner, daß die Pas mit eben so
viel Verstande als Kunst angeordnet seyn, und der Aktion
und den Bewegungen, die in der
Seele des Tänzers vorgehen, entsprechen mögen; ich fordre, daß
man in einem lebhaften
Ausdrucke, keine langsame, und in ernsthaften Scenen keine
schnelle Schritte anbringe; daß man in den Bewegungen des Unwillens alle die
leichten Schritte vermeide,
welche in den Augenblicken der Unbeständigkeit an ihrem
rechten Orte stehen; ich möchte endlich, daß man in den
Augenblicken der äußersten
Verwirrung und der Verzweiflung gar aufhörte, welche zu
machen: hier darf nur das
Gesicht mahlen, nur die Augen reden, selbst die Arme
müssen unbeweglich seyn, und in
dergleichen Scenen wird der Tänzer niemals so vortrefflich
seyn, als wenn er gar nicht tanzt; alle meine Absichten, alle meine Ideen zielen
bloß aufs Beste, und auf den Vortheil der jungen Tänzer und der angehenden
Balletmeister; wenn sie nur meine Ideen erwegen, und sich
eine neue Gattung wählen wollen: so werden
sie finden, daß alles, was ich vorschlage, auszuführen ist, und allgemeinen
Beyfall finden wird. [↔] Was die Positions (Stellungen der Füße)
anbetrift, so ist es bekannt genug, daß es deren fünfe
giebt; man will sogar zehne zählen, und macht die ziemlich besondre Abtheilung in gute und schlechte, in wahre und
falsche; doch auf die
Rechnung kommts nicht an, meinetwegen mag sie richtig
seyn; ich will nur bloß sagen, daß es gut sey, diese
Positions zu wissen, und
noch besser, sie zu vergessen,
und daß es eine Kunst des großen Tänzers ist, sich davon
auf eine angenehme Weise zu entfernen. Uebrigens sind alle
diejenigen vortrefflich,
wobey der Körper fest steht und wohl
gezeichnet ist; ich kenne keine schlechte, als wenn der
Körper übel gruppirt ist, wenn er wankt, und ihn die Füße
nicht tragen können. Diejenigen, die fest an dem A. B. C. ihrer Profeßion kleben, werden mich für einen fanatischen Neuerungsmacher ausschreien, ich aber werde sie in
die Schule der Mahler und Bildhauer schicken, und sie hernach fragen: ob sie die
Positions des schönen Gladiators und des Herkules
billigen oder verwerfen? Verwerfen sie solche: so habe ich
meine Sache gewonnen, denn so sind sie
blind; billigen sie sie aber: so haben sie verlohren, weil ich ihnen beweisen werde, daß
die Positions dieser beiden Statuen, dieser beiden Meisterstücke des Alterthums, nicht mit in den Grundsätzen der Tanzkunst angenommen sind. [↔] Die meisten von denen, die sich aufs Theater begeben, glauben, zum Tänzer gehören nur Beine, zum Komödianten Gedächtniß,
und Stimme zum Sänger. Nach einer so falschen
Voraussetzung thun sie nichts, als daß sie die Schenkel,
das Gedächtniß oder die Kehle üben; nach vieler Jahre
beschwerlicher Arbeit sind
sie höchlich verwundert, daß sie nur Stümper sind; aber es
ist nicht möglich, daß mans weit
in einer Kunst bringe, ohne ihre Grundsätze zu studieren,
ohne ihr innres Wesen zu kennen und ohne ihre Wirkung einzusehn. Ein guter
Ingenieur wird nicht trachten die schwächsten Werke einer
Festung einzunehmen, wenn
solche mit Anhöhen umgeben sind, die sie vertheidigen und
ihn wieder heraus treiben können; das einzige Mittel, ihn seine Eroberung zu versichern, ist, die Hauptwerke einzunehmen und zu besetzen, weil alsdann die schwächern keinen
son derlichen Widerstand thun,
oder sich von selbst ergeben werden. Mit den
Künsten ists, wie mit den Festungen, und mit
den Künstlern, wie mit den
Ingenieurs; nichts muß nur so obenhin, sondern alles
gründlich vorgenommen werden; es
ist nicht genug, die Schwierigkeiten zu kennen, sondern
man muß sie bekämpfen und überwinden. Beschäftigt man sich nur mit den Nebendingen, geht man nur bis auf die Oberfläche der Sachen: so wird man nur
mittelmäßig bleiben und in einer
schimpflichen Dunkelheit verborgen bleiben. [↔] Aus einem gemeinen Menschen will ich einen Tänzer machen, der so gut seyn soll, als
tausend andre, wenn er nur einigermaaßen gut gebildet ist. Ich will ihn lehren, Hände und Schenkel bewegen und den Kopf drehen; er soll Stärke, Brillant und Schnelligkeit bekommen,
aber mit diesem Feuer, diesem Genie, diesem Geiste, diesen Grazien und diesem empfindsamen Ausdrucke, welche die Seele der wahren Pantomime ausmachen, kann ich ihn nicht
begaben: die Naturbehauptet beständig ihren Vorzug
vor derKunst, nur sie kann
Wunder thun. [↔] Der Mangel an Einsichten und die klotzige
Einfalt, die man bey den meisten Tänzern antrift, ist eine
Frucht der schlechten Erziehung, die sie gewöhnlicherweise geniessen. Sie begeben sich zum Theater,
weniger um sich auf demselben hervor zu thun, als um das Joch der Abhängigkeit von sich zu werfen; nicht so wohl um sich einer ruhigern Profeßion zu entziehen, als um die Vergnügen zu geniessen, die ihnen nach ihrer
Meinung daselbst unaufhörlich zuströmen werden; in diesen
ersten Augenblicken des
Enthusiasmus sehen sie nichts als die Rosen der
Wissenschaft, auf die sie sich legen
wollen. Sie lernen das Tanzen mit Erpichtung; ihre Neigung
erkältet, so wie sich nach und nach die Schwierigkeiten
hervor thun und häufen; sie fassen nur die gröbsten Theile der Kunst; lernen höher oder niedriger springen; sie legen sich darauf maschinenmäßig eine
Menge Pas zu machen, und gleich denen Kindern, welche ohne
Zusammenhang und
Verstand eine Menge Worte herplappern,
machen sie viele Pas ohne Genie, ohne Geschmack und ohne Anmuth. [↔] Diese unzählige Vermischung von Schritten, die mehr oder weniger schlecht an
einander gekettet sind;
diese schwere Exekution; diese durch einander gefügten Bewegungen benehmen, so zu sagen, dem Tanze das Wort. Weniger Schnörkeley, mehr Sanftes und Markigtes in den
Bewegungen, würde dem Tänzer Raum geben, zu
mahlen und zu reden. Da könnte er seine Aufmerksamkeit zwischen dem
Mechanischen der Schritte und zwischen den Bewegungen, die
zum Ausdrucke der Leidenschaften erfodert
werden, theilen; dann wäre der Tanz von den Kleinigkeiten
befreyet, und könnte auf was Größers zielen. Es ist ausgemacht, daß die
Athemlosigkeit, die mit
einer so sauren Arbeit verbunden
ist, die Sprache der Empfindung erstickt; daß die Entrechats und die Cabriolen den Charakter des schönen Tanzes
verfälschen, und daß es moralischerweise unmöglich ist,
Seele, Wahrheit und Ausdruck in die Bewegungen zu bringen, wenn der Körper unaufhörlich durch das wiederholte Springen erschüttert wird, und die Gedanken auf nichts anders gerichtet seyn
können, als solchen vor Verrenkungen und Fallen, dem er alle Augenblicke ausgesetzt ist, zu bewahren. [↔] Man darf sich nicht wundern, wenn man
findet, daß die Schauspieler mehr Einsicht
haben, und den wahren Ausdruck leichter treffen, als die Tänzer. Die meisten unter den erstern haben gewöhnlicherweise eine bessre Erziehung als die letztern. Dazu kömmt, daß
ihr Stand sie zu einer gewissen Gattung Lektüre leitet,
durch diese, durch den Umgang,
und den Zutritt in guten Gesellschaften entsteht bey ihnen eine Wißbegierde, und ein Fleiß, ihre Kenntnisse über die Gränzen des Theaters hinaus zu erstrecken. Sie legen sich gewissermaaßen auf die Litteratur; sie lesen
die Dichter und die
Geschichtschreiber, und verschiedene
unter ihnen haben durch ihre Werke bewiesen, daß sie nicht
allein die Geschicklichkeit
besitzen, die Gedanken andrer gut herzusagen, sondern
selbst angenehme Schriftsteller sind. Wenn gleich diese
Kenntnisse nicht unmittelbar
zu ihrer Profeßion gehören, so
tragen sie doch das ihrige zu demjenigen Grade der Vollkommenheit bey,
wohin sie gelangen. Von
zween Akteurs, die von Natur
gleich gut dazu aufgelegt sind, wird derjenige, der sich
am meisten durchs Lesen gebildet hat, auch unstreitig den
meistenVerstand und die meiste Ungezwungenheit in
sein Spiel bringen. [↔] Die Tänzer sollten sich so gut als die
Schauspieler darauf befleißigen, zu empfin den und
nachzubilden, weil sie einerley Zweck mit ihnen haben.
Wenn sie von ihrer Rolle nicht lebhaft durchdrungen sind;
wenn sie den Charakter derselben nicht nach seiner ganzen
Wahrheit einsehen: so können sie sich nicht schmeicheln, daß es ihnen glücken, und daß sie gefallen werden; sie sollen eben so wohl das Publikum durch die Stärke der
Illusionfesseln, und ihm die
Empfindungen mittheilen, wovon sie belebt
sind. Diese Wahrheit, dieser
Enthusiasmus, welcher den Charakter des
großen Akteurs und die Seele der schönen Künste ausmacht,
ist, wenn ich so sagen darf, das Bild des elektrischen
Funkens; es ist ein Feuer, daß sich höchst schnell
mittheilt, die Imagination der Zuschauer plötzlich entflammt, ihre Seelen erschüttert, und ihre
Herzen zwingt, zu fühlen. [↔] Die Töne der Natur, oder die
wahren Bewegungen der pantomimischen Aktion müssen
eben so rühren; die erstern bestürmen das Herz durch das
Gehör, die letztern durchs Gesicht; sie machen beide
gleich starken Eindruck, wenn
nämlich die Gemählde der Pantomime eben so lebhaft, beseelt und
treffend sind, als die Rede. [↔] Es ist nicht möglich, diese Theilnehmung zu
bewirken, wenn man schöne Verse kalt und
maschienenmäßig hersagt, oder bloß schöne
Pas hermacht; es wird erfodert, daß die Seele, die Physiognomie, der Gestus und die Stellungen alle zugleich reden, und daß sie mit eben so viel Nachdruck als Wahrheit sprechen. Wird sich der
Zuschauer wohl an die
Stelle des Akteurs setzen, wenn sich dieser nicht an die
Stelle des Helden, den er vorstellt, versetzet hat? Kann
er hoffen, zu rühren und Thränen zu erpressen, wenn er
nicht selbst welche vergießt? Wird seine Situation unser Mitleid erregen,
wenn er sein Unglück leichtsinnig und ohne
Gefühl zu ertragen
scheint? [↔] Vielleicht wenden Sie mir ein, daß der Schauspieler vor dem Tänzer den Vortheil der
Sprache und die Stärke und den Nachdruck der Rede voraus habe. Aber haben diese letztern nicht die Gestus, die Stellungen, die Pas und die
Musik, welche man als das Sprachwerkzeug und
den Dollmetscher der auf einander folgenden Bewegungen des Tänzers,
betrachten muß? [↔] Um unsre Kunst bis zu dem Grade der Höhe zu bringen, den ich verlange, ist unum gänglich nöthig, daß die
Tänzer ihre Zeit und Studium zwischen dem
Geiste und dem Körper vertheilen, und beide zugleich der Gegenstand ihrer Betrachtungen
werden; unglücklicherweise aber
verwendet man alles auf den letztern, und versäumt den
andern völlig. Selten regiert der Kopf die Schenkel, und
da der Verstand und das Genie ihren Sitz nicht in den
Füßen haben: so verirrt man sich sehr oft, der Mensch
verschwindet, da steht dann die schlecht eingerichtete
Maschine, und erndtet die nichts
bedeutende Bewunderung der Narren und die billige Verachtung der Kenner ein. [↔] Lassen Sie uns also studieren, mein Herr;
lassen Sie uns nicht länger den Marionetten gleichen, die
am Drathe regiert werden, und nur den unwissenden Pöbel
täuschen. Wenn unsre Seele die Triebfedern unsrer
Maschiene in Bewegung setzt, so werden alsobald die Füße, Schenkel, Körper, Physiognomie und
Augen richtig spielen, und die Wirkung, die diese
natürliche Harmonie hervorbringt, wird sowohl über den
Verstand als das Herz gleich mächtig
seyn. Ich bin u. s. w.
Zehnter Brief.
[↔] Jch habe gesagt, mein Herr, daß der
Tanz zu künstlich zusammengesetzt, und die symetrische Bewegung der Arme zu einförmig ist, und
also die Gemählde keine Abwechselung, keinen Ausdruck und Natur haben
können; wenn wir also unsre
Kunst derWahrheit näher bringen wollten, müßten wir mehr
Sorgfalt auf die Arme als auf die Schenkel verwenden;
müßten wir mehr Gestus und weniger Cabriolen machen; müßten wir nicht sowohl schwere Pas machen, als mit der Phy siognomie spielen; nicht
so viel Anstrengung auf die Execution wenden und mehr
Verstand hinein bringen; uns mit guter Art von den sklavischen Regeln der Schule entfernen, um den
Eindrücken derNatur zu folgen, und dem Tanze die Seele und die
Aktion zu geben, welche er haben muß, um zu intereßiren.
Unter dem Worte Aktion verstehe
ich aber ganz etwas anders, als das Herumtummeln mit Händen und Füßen, das mühselige Bestreben, wie ein Wahnsinniger zu springen,
oder auch eine Seele zu zeigen, die man nicht hat. [↔] Die Aktion beym Tanze ist die Kunst, durch den wahren Ausdruck unsrer Bewegungen, unsrer Gestus
und der Physiognomie, dem Zuschauer unsre Empfindungen und
mitzutheilen. Die Aktion ist also
nichts anders als die Pantomime. An dem Tänzer muß alles mahlen, alles reden; jeder Gestus, jede Stellung, jeder Port de Bras muß einen unterschiedenen Ausdruck haben. Die wahre Pantomime in jeder
Gattung, folgt der Natur
in allen ihren Verflößungen. Wofern sie sich nur einen
Augenblick davon entfernt,
so wird sie langweilig und
widrig. Junge angehende Tänzer mögen sich hüten, diese edle Pantomime, wovon ich rede, nicht mit jenem gemeinen
und niedrigen Ausdrucke zu verwechseln, welchen die italiänischen Gauckler nach
Frankreich übergebracht haben, und den der schlechte Geschmack angenommen zu
haben scheint. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß die Kunst des
Gestus zu eng eingeschränkt ist, um eine große Wirkung zu
thun. Die einzige Aktion des rechten Armes, welchen man
vorwärts biegt, um einen Viertheilzirkel zu beschreiben, indessen daß der Linke,
welcher in der Lage war, auf eben die Art zurück geführt
wird, um ihn von neuen auszudehnen, und damit eine Linie gegen das Bein zu machen, ist nicht hinlänglich, um die Leidenschaften auszudrücken. So lange man nicht mehr
Mannichfaltigkeit in die Führung der Arme bringt, werden
sie niemals das Vermögen erlangen, zu bewegen und zu rühren. Hierinn
waren die Alten unsre Meister, sie
kannten die Kunst des Gestus besser als wir, und bloß in diesem Theile der Tanzkunst hatten sie es weiter gebracht als die Neuern. Ich räume ihnen das mit Vergnügen ein, was uns fehlt, und welches
wir besitzen werden, sobald es den Tänzern gefallen wird,
die Regeln zu überschreiten, die sich der Schönheit und dem
Eigenthümlichen ihrer Kunst widersetzen. [↔] Da das Port de Bras (ich hätte Lust, es
Armgang zu nennen) eben so mancherley
seyn sollte, als die mancherley Leidenschaften, die der Tanz ausdrücken kann: so werden die
eingeführten Regeln fast unnütz; man müßte
sie alle Augenblicke übertreten, und sich darüber wegsetzen, oder wenn man sie befolgte,
gradezu den Bewegungen der
Seele entgegen arbeiten,
die sich nicht in eine bestimmte Anzahl Gestus einschränken lassen. [↔] Die Leidenschaften ändern und theilen sich ab bis ins Unendliche; man bedürfte also eben so vieler Vorschriften, als sie Abänderungen haben. Wo ist der Lehrer, der ein solches Werk unternehmen möchte? [↔] Der Gestus entspringt aus der Leidenschaft, die er darlegen soll; es
ist ein Pfeil, den die Seele
abdrückt; er muß plötzlich seine Wirkung thun, und das
Ziel treffen, indem ihn die Senne der
Empfindung fortschnellt. [↔] Wenn wir in den Grundwissenschaften unser Kunst unterrichtet sind: so laß uns den
Bewegungen unsrer Seele folgen, sie kann uns nicht mißleiten, wenn
sie lebhaft empfindet; und wenn sie in dergleichen Augenblicken den Arm zu diesem oder jenem Gestus fortreißt, so ist er gewiß allemal
richtig und treffend gezeichnet,
und seine Wirkung ist sicher. Die
Leidenschaften sind die Triebfedern, welche die Maschiene in Bewegung
setzen: die Bewegungen, die daher entstehen, mögen beschaffen seyn wie sie wollen, so können sie nicht anders als wahr seyn. Hieraus folgt, daß die trocknen Schulregeln bey dem Tanze in Aktion
weichen, und derNatur Platz machen müssen. [↔] Nichts ist so schwer auszusparen, als das,
was man Bonne grace nennt. Nur der Geschmack weiß sie anzuwenden, und es ist ein
Fehler, darnach zu haschen, und sie allenthalben ohne Unterschied anbringen zu wollen.
Wenig Bestreben, welche zu zeigen, eine überlegte
Nachläßigkeit, um sie zuweilen zu verstecken, macht sie
nur noch fühlbarer, und giebt ihr einen neuen Reitz. Der
Geschmack theilt sie aus, er
giebt den Grazien ihren Wehrt und macht sie liebenswürdig;
zeigen sie sich ohne ihn, so verlieren sie ihren Namen, ihren Reitz und ihre Wirkung; es
bleibt bloße Mienenspielerey, die unausstehlich frostig ist. [↔] Es ist nicht jedermanns Sache, Geschmack zu haben; die Natur allein
ertheilt ihn, und die Erziehung verfeinert
ihn und macht ihn vollkommen; alle Regeln,
die man geben wollte, um welchen einzuflössen, wären unnütz. Er ist uns entweder
angebohren oder nicht. Ist das Erste, so wird er sich von
selbst zeigen; im zweyten Falle wird sich der Tänzer nie über das Mittelmäßige erheben. [↔] Es ist das nämliche mit den Bewegungen der Arme; die Bonne grace ist diesen
Letzten das, was der Geschmack der Bonne
grace ist: man wird in der pantomimischenAktion nicht glücklich
seyn, wenn einem nicht ebenfalls die Natur zu statten kommt; giebt diese uns den
ersten Unterricht: so kanns nicht fehlen, wir müssen in
sehr kurzer Zeit weit kommen. [↔] Richtig also ist es, daß die Aktion des Tanzes zu eingeschränkt ist; daß man nicht
allen Geschöpfen Anmuth und Leben mittheilen kann; daß Geschmack und Grazie angebohren seyn müssen. Vergebens sucht man solche
denen beyzubringen, die nicht gemacht sind sie zu haben,
das heißt sein Korn auf dürren Felsen säen; eine Menge
Saalbader handeln damit, eine größre Menge Gimpel glauben,
diesen Schatz für Geld kaufen zu können, sie erhalten aber bloß einen falschen Firniß, welcher bald verfliegt und
verraucht. Der Verkäufer hat das
Geld und der Käufer die lange Nase; so umarmte Ixion eine Wolke. [↔] Die Römer hatten indessen Schulen, worinn man die Kunst der Mienensprache oder die Kunst des Gestus und des gefälligen Anstandes lehrte; waren aber die Lehrer mit ihren Schülern zufrieden? Roscius war es nur mit einem
einzigen, bey dem die Natur ohne Zweifel das Beste that, und dennoch
fand er beständig etwas an ihm zu tadeln.' [↔] Meine Mitbrüder belieben anzunehmen, daß ich
unter Gestus die ausdrucksvollen Bewegungen der Arme
verstehe, welche durch die treffenden und mannichfaltigen
Charaktere der Physiognomie unterstützt werden. Die Hände eines geschickten Tänzers müssen, so zu sagen, sprechen; wenn sein Gesicht nicht spielt,
wenn die Veränderung, welche die Leidenschaft auf seine Züge drückt, nicht merklich genug ist; wenn seine Augen
nicht deklamiren, und die
Fassung seines Herzens verrathen: so ist sein Ausdruck alsobald falsch, sein
Spiel das Spiel einer Maschiene, und thut
keine Wirkung, weil es ihm an An muth, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit fehlt. [↔] Man kann sich auf dem Theater nicht hervorthun, wenn die Natur nicht das Ihrige dazu hergiebt; so dachte
Roscius. Nach seiner Meinung, wie Quintilian sagt, besteht die Kunst der Pantomime in dem edlen
ungezwungnen Wesen und in
dem natürlichen Ausdrucke der Empfindungen
der Seele; sie ist über alle
Regeln weg, kann nicht gelehrt werden,
und ist bloß ein Geschenk der Natur. [↔] Um den Fortgang unsrer Kunst zu beschleunigen und sie derWahrheit näher zu bringen, muß man die zu
gekünstelten Schritte aufopfern;
das, was man von Seiten der Schenkel verliert, wird man an Seiten der Arme wieder
finden; je ungekünstelter die Schritte sind, je leichter
wird es, Ausdruck und Grazie
damit zu verbinden. Der Geschmack flieht vor
allem, was schwer ist, und mag niemals was damit zu
schaffen haben; mögen sich doch die Künstler in
Schwierigkeiten üben, aber öffentlich müssen sie solche
nicht zum Vorschein bringen; dem Publikum gefallen sie nicht; sogar denen, die
sie einsehen, machen solche nur ein mittelmäßiges
Vergnügen. Die gehäuften
Schwierigkeiten in der Musik und dem Tanzen kommen mir vor, als ein Geschwätz, das ihnen völlig fremde ist; ihre
Stimmen müssen rührend seyn, sie müssen beständig ans Herze reden; es
schickt sich keine andre Sprache für sie, als
die Sprache der Empfindungen; diese macht überall Eindruck,
weil sie überall, von allen Nationenverstanden wird. [↔] Dieser Geiger ist vortrefflich, sagt man
mir; das kann seyn, aber mir macht er gar kein Vergnügen,
er hat nichts Gefälliges für mich, und macht mir keine
angenehme Bewegung;
das glaub ich wohl, versetzt der Liebhaber, denn er spielt eine Sprache, die Sie nicht verstehen. Sein Gespräch ist gelehrt und nicht für Jedermann, fährt er fort, wer es aber
begreift und versteht, für den ist es erhaben, und seine
Töne sind jeder eine Empfindung, welche reitzen und rühren, wenn man seinen Styl versteht. [↔] Desto schlimmer für diesen großen Geiger,
werde ich antworten, wenn er sein ganzes Verdienst darinn
setzt, nur dem kleinen Häuflein
zu gefallen. Die Künste gehören allenthalben zu Hause; laß sie nur ihre natürliche Sprache reden, so werden sie keines Dollmetschers bedürfen, und sie werden jedermann
rühren, er mag Kenner seyn oder nicht;
schränkt sich hingegen ihre Wirkung nur darauf ein, dem Auge zu gefallen, ohne das Herz zu rühren, ohne die Leidenschaften zu
bewegen, ohne die Seele zu
erschüttern: so hören sie alsobald auf, liebenswürdig zu
seyn und zu gefallen; die Stimme der
NRatur,
und der getreue Ausdruck der Empfindung bemächtigt sich beständig auch der unempfindlichsten Seelen; das Vergnügen
ist ein Tribunt, den das Herz
solchen Sachen nicht verweigern
kann, die ihm schmeicheln und es interessiren. [↔] Sobald ein berühmter italiänischer Geiger nach Paris kommt, lauft ihm jedermann zu, und niemand versteht ihn; gleichwohl schreit man Bravo,
o Bravo! und klatscht. Sein Spielen ist nicht fürs Gehör;
seine Töne haben nicht
gerührt, die Augen aber haben was zu
sehen gehabt; er geht sehr geschickt mit der Hand herauf
und herunter, seine Finger laufen auf dem Griffbrette so schnell herum, daß es
eine Lust anzusehen ist; ja, was sag ich? er kletterte in
die Höhe bis ans Steg; diese Schwierigkeiten hat er mit
verschiedenen Grimassen
begleitet, die eben so viel Anschlagezettel waren, welche sagen wollten:
Meine
Herren, sehen Sie mich, aber hören Sie mich nicht: diese Passage ist höllisch schwer; sie wird Ihnen nicht ins Gehör fallen, so haspelnd sie auch ist, aber es kostet mich zwanzig Jahr Uebung, daß ich sie in Finger und Bogen gebracht habe.
Das Klatschen geht los; Bogen und Finger verdienen Lob, und man ertheilt den Maschienenmanne ohne Kopfe und Seele, was man dem einheimischen Künstler, der
mit der saubersten Fertigkeit der Hand, den Ausdruck, die Wahrheit, das
Genie und das
Rührende seiner Kunst verbindet, beständig verweigern wird. [↔] Die italiänischen Tänzer machen es seit einiger Zeit gerade umgekehrt, wie
ihre Geiger. Da sie das Auge
nicht angenehm beschäftigen
können, und des Fossans
zierliche Art nicht ihr Erbtheil geworden: so machen sie viel Lermen, indem sie alle Noten mit den Füßen angeben, dergestalt, daß man die
Geiger dieser Nation mit Bewunderung sieht, und ihre Pantomimen mit
Vergnügen tanzen hört. Das ist
nicht das Ziel, das sich die schönen Künste
ausgesteckt haben; sie sollenmahlen, sie sollen nachahmen; ein kunstloser Schmuck kleidet ihre
Reitze am besten. Die Schönheit geht allemal unter dem
Prunktkrame der Mode
verlohren; das Simple ist ihre Schminke; Natur ihr Schmuck; Grazie
verschönert ihre Züge, Verstand belebt sie,
und giebt ihnen einen neuen Glanz. So lange, wie man den Geschmack den
Schwierigkeiten aufopfert,
wie man ohne Ueberlegung verfährt, wie man bloß ums Geld
tanzt, und aus einer freyen Kunst ein elend Handwerk macht, so lange wird die Tanzkunst nicht in die Höhe kommen, sondern vielmehr ausarten, und wieder in die Dunkelheit
zurückfallen, worinn sie vor
noch nicht hundert Jahren
begraben lag. [↔] Man würde mich unrecht verstehn, wenn man
dächte, ich wollte die gewöhnlichen Bewegungen der Arme, alle schwere
unud brillante Pas, und alle zierliche
Positions der Tanzkunst abgeschaft wissen; ich verlange
mehr Abwechselung, mehr Ausdruck mit den Armen; ich wünsche solche mit mehr Nachdruck reden zu sehen; sie mahlen die
und die Wollust; aber das ist noch
nicht genug, sie müssen auch die Wuth, die Eifersucht, den Unwillen, die
Unbeständigkeit, den Gram, die Rache, den Spott, mit einem
Worte, alle natürlichen Leidenschaften
des Menschen mahlen, und einhellig mit den Augen, der Physiognomie und den
Schritten mir den Ausdruck der Natur verständlich machen. Ich verlange ferner, daß die Pas mit eben so
viel Verstande als Kunst angeordnet seyn, und der Aktion
und den Bewegungen, die in der
Seele des Tänzers vorgehen, entsprechen mögen; ich fordre, daß
man in einem lebhaften
Ausdrucke, keine langsame, und in ernsthaften Scenen keine
schnelle Schritte anbringe; daß man in den Bewegungen des Unwillens alle die
leichten Schritte vermeide,
welche in den Augenblicken der Unbeständigkeit an ihrem
rechten Orte stehen; ich möchte endlich, daß man in den
Augenblicken der äußersten
Verwirrung und der Verzweiflung gar aufhörte, welche zu
machen: hier darf nur das
Gesicht mahlen, nur die Augen reden, selbst die Arme
müssen unbeweglich seyn, und in
dergleichen Scenen wird der Tänzer niemals so vortrefflich
seyn, als wenn er gar nicht tanzt; alle meine Absichten, alle meine Ideen zielen
bloß aufs Beste, und auf den Vortheil der jungen Tänzer und der angehenden
Balletmeister; wenn sie nur meine Ideen erwegen, und sich
eine neue Gattung wählen wollen: so werden
sie finden, daß alles, was ich vorschlage, auszuführen ist, und allgemeinen
Beyfall finden wird. [↔] Was die Positions (Stellungen der Füße)
anbetrift, so ist es bekannt genug, daß es deren fünfe
giebt; man will sogar zehne zählen, und macht die ziemlich besondre Abtheilung in gute und schlechte, in wahre und
falsche; doch auf die
Rechnung kommts nicht an, meinetwegen mag sie richtig
seyn; ich will nur bloß sagen, daß es gut sey, diese
Positions zu wissen, und
noch besser, sie zu vergessen,
und daß es eine Kunst des großen Tänzers ist, sich davon
auf eine angenehme Weise zu entfernen. Uebrigens sind alle
diejenigen vortrefflich,
wobey der Körper fest steht und wohl
gezeichnet ist; ich kenne keine schlechte, als wenn der
Körper übel gruppirt ist, wenn er wankt, und ihn die Füße
nicht tragen können. Diejenigen, die fest an dem A. B. C. ihrer Profeßion kleben, werden mich für einen fanatischen Neuerungsmacher ausschreien, ich aber werde sie in
die Schule der Mahler und Bildhauer schicken, und sie hernach fragen: ob sie die
Positions des schönen Gladiators und des Herkules
billigen oder verwerfen? Verwerfen sie solche: so habe ich
meine Sache gewonnen, denn so sind sie
blind; billigen sie sie aber: so haben sie verlohren, weil ich ihnen beweisen werde, daß
die Positions dieser beiden Statuen, dieser beiden Meisterstücke des Alterthums, nicht mit in den Grundsätzen der Tanzkunst angenommen sind. [↔] Die meisten von denen, die sich aufs Theater begeben, glauben, zum Tänzer gehören nur Beine, zum Komödianten Gedächtniß,
und Stimme zum Sänger. Nach einer so falschen
Voraussetzung thun sie nichts, als daß sie die Schenkel,
das Gedächtniß oder die Kehle üben; nach vieler Jahre
beschwerlicher Arbeit sind
sie höchlich verwundert, daß sie nur Stümper sind; aber es
ist nicht möglich, daß mans weit
in einer Kunst bringe, ohne ihre Grundsätze zu studieren,
ohne ihr innres Wesen zu kennen und ohne ihre Wirkung einzusehn. Ein guter
Ingenieur wird nicht trachten die schwächsten Werke einer
Festung einzunehmen, wenn
solche mit Anhöhen umgeben sind, die sie vertheidigen und
ihn wieder heraus treiben können; das einzige Mittel, ihn seine Eroberung zu versichern, ist, die Hauptwerke einzunehmen und zu besetzen, weil alsdann die schwächern keinen
son derlichen Widerstand thun,
oder sich von selbst ergeben werden. Mit den
Künsten ists, wie mit den Festungen, und mit
den Künstlern, wie mit den
Ingenieurs; nichts muß nur so obenhin, sondern alles
gründlich vorgenommen werden; es
ist nicht genug, die Schwierigkeiten zu kennen, sondern
man muß sie bekämpfen und überwinden. Beschäftigt man sich nur mit den Nebendingen, geht man nur bis auf die Oberfläche der Sachen: so wird man nur
mittelmäßig bleiben und in einer
schimpflichen Dunkelheit verborgen bleiben. [↔] Aus einem gemeinen Menschen will ich einen Tänzer machen, der so gut seyn soll, als
tausend andre, wenn er nur einigermaaßen gut gebildet ist. Ich will ihn lehren, Hände und Schenkel bewegen und den Kopf drehen; er soll Stärke, Brillant und Schnelligkeit bekommen,
aber mit diesem Feuer, diesem Genie, diesem Geiste, diesen Grazien und diesem empfindsamen Ausdrucke, welche die Seele der wahren Pantomime ausmachen, kann ich ihn nicht
begaben: die Naturbehauptet beständig ihren Vorzug
vor derKunst, nur sie kann
Wunder thun. [↔] Der Mangel an Einsichten und die klotzige
Einfalt, die man bey den meisten Tänzern antrift, ist eine
Frucht der schlechten Erziehung, die sie gewöhnlicherweise geniessen. Sie begeben sich zum Theater,
weniger um sich auf demselben hervor zu thun, als um das Joch der Abhängigkeit von sich zu werfen; nicht so wohl um sich einer ruhigern Profeßion zu entziehen, als um die Vergnügen zu geniessen, die ihnen nach ihrer
Meinung daselbst unaufhörlich zuströmen werden; in diesen
ersten Augenblicken des
Enthusiasmus sehen sie nichts als die Rosen der
Wissenschaft, auf die sie sich legen
wollen. Sie lernen das Tanzen mit Erpichtung; ihre Neigung
erkältet, so wie sich nach und nach die Schwierigkeiten
hervor thun und häufen; sie fassen nur die gröbsten Theile der Kunst; lernen höher oder niedriger springen; sie legen sich darauf maschinenmäßig eine
Menge Pas zu machen, und gleich denen Kindern, welche ohne
Zusammenhang und
Verstand eine Menge Worte herplappern,
machen sie viele Pas ohne Genie, ohne Geschmack und ohne Anmuth. [↔] Diese unzählige Vermischung von Schritten, die mehr oder weniger schlecht an
einander gekettet sind;
diese schwere Exekution; diese durch einander gefügten Bewegungen benehmen, so zu sagen, dem Tanze das Wort. Weniger Schnörkeley, mehr Sanftes und Markigtes in den
Bewegungen, würde dem Tänzer Raum geben, zu
mahlen und zu reden. Da könnte er seine Aufmerksamkeit zwischen dem
Mechanischen der Schritte und zwischen den Bewegungen, die
zum Ausdrucke der Leidenschaften erfodert
werden, theilen; dann wäre der Tanz von den Kleinigkeiten
befreyet, und könnte auf was Größers zielen. Es ist ausgemacht, daß die
Athemlosigkeit, die mit
einer so sauren Arbeit verbunden
ist, die Sprache der Empfindung erstickt; daß die Entrechats und die Cabriolen den Charakter des schönen Tanzes
verfälschen, und daß es moralischerweise unmöglich ist,
Seele, Wahrheit und Ausdruck in die Bewegungen zu bringen, wenn der Körper unaufhörlich durch das wiederholte Springen erschüttert wird, und die Gedanken auf nichts anders gerichtet seyn
können, als solchen vor Verrenkungen und Fallen, dem er alle Augenblicke ausgesetzt ist, zu bewahren. [↔] Man darf sich nicht wundern, wenn man
findet, daß die Schauspieler mehr Einsicht
haben, und den wahren Ausdruck leichter treffen, als die Tänzer. Die meisten unter den erstern haben gewöhnlicherweise eine bessre Erziehung als die letztern. Dazu kömmt, daß
ihr Stand sie zu einer gewissen Gattung Lektüre leitet,
durch diese, durch den Umgang,
und den Zutritt in guten Gesellschaften entsteht bey ihnen eine Wißbegierde, und ein Fleiß, ihre Kenntnisse über die Gränzen des Theaters hinaus zu erstrecken. Sie legen sich gewissermaaßen auf die Litteratur; sie lesen
die Dichter und die
Geschichtschreiber, und verschiedene
unter ihnen haben durch ihre Werke bewiesen, daß sie nicht
allein die Geschicklichkeit
besitzen, die Gedanken andrer gut herzusagen, sondern
selbst angenehme Schriftsteller sind. Wenn gleich diese
Kenntnisse nicht unmittelbar
zu ihrer Profeßion gehören, so
tragen sie doch das ihrige zu demjenigen Grade der Vollkommenheit bey,
wohin sie gelangen. Von
zween Akteurs, die von Natur
gleich gut dazu aufgelegt sind, wird derjenige, der sich
am meisten durchs Lesen gebildet hat, auch unstreitig den
meistenVerstand und die meiste Ungezwungenheit in
sein Spiel bringen. [↔] Die Tänzer sollten sich so gut als die
Schauspieler darauf befleißigen, zu empfin den und
nachzubilden, weil sie einerley Zweck mit ihnen haben.
Wenn sie von ihrer Rolle nicht lebhaft durchdrungen sind;
wenn sie den Charakter derselben nicht nach seiner ganzen
Wahrheit einsehen: so können sie sich nicht schmeicheln, daß es ihnen glücken, und daß sie gefallen werden; sie sollen eben so wohl das Publikum durch die Stärke der
Illusionfesseln, und ihm die
Empfindungen mittheilen, wovon sie belebt
sind. Diese Wahrheit, dieser
Enthusiasmus, welcher den Charakter des
großen Akteurs und die Seele der schönen Künste ausmacht,
ist, wenn ich so sagen darf, das Bild des elektrischen
Funkens; es ist ein Feuer, daß sich höchst schnell
mittheilt, die Imagination der Zuschauer plötzlich entflammt, ihre Seelen erschüttert, und ihre
Herzen zwingt, zu fühlen. [↔] Die Töne der Natur, oder die
wahren Bewegungen der pantomimischen Aktion müssen
eben so rühren; die erstern bestürmen das Herz durch das
Gehör, die letztern durchs Gesicht; sie machen beide
gleich starken Eindruck, wenn
nämlich die Gemählde der Pantomime eben so lebhaft, beseelt und
treffend sind, als die Rede. [↔] Es ist nicht möglich, diese Theilnehmung zu
bewirken, wenn man schöne Verse kalt und
maschienenmäßig hersagt, oder bloß schöne
Pas hermacht; es wird erfodert, daß die Seele, die Physiognomie, der Gestus und die Stellungen alle zugleich reden, und daß sie mit eben so viel Nachdruck als Wahrheit sprechen. Wird sich der
Zuschauer wohl an die
Stelle des Akteurs setzen, wenn sich dieser nicht an die
Stelle des Helden, den er vorstellt, versetzet hat? Kann
er hoffen, zu rühren und Thränen zu erpressen, wenn er
nicht selbst welche vergießt? Wird seine Situation unser Mitleid erregen,
wenn er sein Unglück leichtsinnig und ohne
Gefühl zu ertragen
scheint? [↔] Vielleicht wenden Sie mir ein, daß der Schauspieler vor dem Tänzer den Vortheil der
Sprache und die Stärke und den Nachdruck der Rede voraus habe. Aber haben diese letztern nicht die Gestus, die Stellungen, die Pas und die
Musik, welche man als das Sprachwerkzeug und
den Dollmetscher der auf einander folgenden Bewegungen des Tänzers,
betrachten muß? [↔] Um unsre Kunst bis zu dem Grade der Höhe zu bringen, den ich verlange, ist unum gänglich nöthig, daß die
Tänzer ihre Zeit und Studium zwischen dem
Geiste und dem Körper vertheilen, und beide zugleich der Gegenstand ihrer Betrachtungen
werden; unglücklicherweise aber
verwendet man alles auf den letztern, und versäumt den
andern völlig. Selten regiert der Kopf die Schenkel, und
da der Verstand und das Genie ihren Sitz nicht in den
Füßen haben: so verirrt man sich sehr oft, der Mensch
verschwindet, da steht dann die schlecht eingerichtete
Maschine, und erndtet die nichts
bedeutende Bewunderung der Narren und die billige Verachtung der Kenner ein. [↔] Lassen Sie uns also studieren, mein Herr;
lassen Sie uns nicht länger den Marionetten gleichen, die
am Drathe regiert werden, und nur den unwissenden Pöbel
täuschen. Wenn unsre Seele die Triebfedern unsrer
Maschiene in Bewegung setzt, so werden alsobald die Füße, Schenkel, Körper, Physiognomie und
Augen richtig spielen, und die Wirkung, die diese
natürliche Harmonie hervorbringt, wird sowohl über den
Verstand als das Herz gleich mächtig
seyn. Ich bin u. s. w.
[↔]
[↔] Es ist selten, wo nicht gar
unmöglich, mein Herr, völlig wohl gebauete Mannspersonen zu finden; daher ist es
sehr gewöhnlich, ein Haufen Tänzer von unangenehmen Wuchse
zu finden, woran man nur zu oft solche Bildungsfehler bemerkt, die mit
aller Hülfe der Kunst nicht gänzlich weggeschaft werden
können. Man sollte fast auf
den Gedanken fallen, daß es ein
Fluch sey, der auf der menschlichenNatur ruhete, daß wir uns immer von dem entfernen, was sich für uns schickt, und gewöhnlich eine Laufbahn wählen, deren Ziel wir nicht erreichen können. Dieser Verblendung, diesem Selbstbetruge haben
wir den Schwarm elender Reimer, mittelmäßiger Mahler, steifer Komödianten, lärmender Musikanten und unausstehlicher Tänzer oder Springer, (und, wer kann die erbärmlichen Stümper in
jeder Art alle nennen?) zu verdanken. Wären eben diese Menschen an ihren
rechtenu Ort zu stehen
kommen, hätten sie nützliche Glieder der menschlichen
Gesellschaft und des Staates werden können, nun aber
ist ihre wahre Fähigkeit vergraben, und sie können nichts weiter thun, als sich um die Wette lächerlich machen. [↔] Das Erste, worauf man zu sehen hat, wenn man
sich in einem Alter, darinn man schon Ueberlegungen machen
kann, der Tanzkunst widmet, ist
der Körperbau. Entweder sind die Fehler der
Bildung, die man an sich bemerkt, von der Beschaffenheit,
daß sie auf keine Weise zu verbessern sind; in dem Falle
muß man auf der Stelle den Gedanken von den Vortheilen fahren lassen, die man erlangen wollte, indem man zum
Vergnügen anderer tanzte; oder
diese Fehler können durch unabläßiges Studieren und
Bestreben, und nach den Anweisungen und dem Rathe eines
einsichtsvollen Lehrers fortgeschaft werden; und alsdann ist es wesentlich nöthig, daß man nichts an dem Fleisse ermangeln lasse, wodurch
ihnen abgeholfen werden kann; alsdann wird es nicht fehlen, wenn man es nur
früher anfängt, ehe die Glieder ihren letzten Grad von
Wachsthum und Festigkeit erlangt haben, ehe die Natur sich gesetzt, und ehe eine
eingewurzelte Gewohnheit die Hindernisse unüberwindlich gemacht hat. [↔] Zum Unglück giebt es wenig Tänzer, die zu
dieser Selbstuntersuchung fähig sind; et liche glauben, von
Eigenliebe geblendet, daß sie ohne Mängel sind; andre
drücken gleichsam, über
diejenigen, welche ihnen ein halber Blick entdecken würde, die Augen zu; man muß
aber für ausgemacht annehmen, daß ihre Arbeiten auf keine
richtige und zusammen hängende
Grundsätze gebaut sind, sobald
sie das nicht wissen, was jeder Mensch von einigen
Einsichten berechtigt ist, ihnen vorzuwerfen. Sie tanzen
weniger als Menschen denn als
Maschienen; das unrichtige Verhältniß in
den Theilen ihres Körpers steht ohn Unterlaß
dem Spiele der Sennen und Muskeln und der Harmonie im
Wege, die ein Ganzes machen sollte;
fort ist der Zusammenhang in den
Schritten; fort das Markigte in
den Bewegungen; fort die Zierlichkeit in den Stellungen und
Gegenlagen der Arme; fort sind die Proportions in den
Hebungen und Streckungen,
und folglich auch die Festigkeit und das Senkrechte. Hier
sehen Sie, mein Herr, wohin sich die Exekution solcher Tänzer erstreckt, welche glauben, das Tanzen bestehe bloß in irgend einer Bewegung der Hände und Füße, und welche es nicht der Mühe werth halten, in ihren Studier- und
Uebungsstunden auf sich selbst Achtung zu ge ben. Ohne sie zu
beleidigen, und ohne ihrem
Rechte etwas zu nehmen, kann man sie Tanzmaschienen nennen. [↔] Wenn der guten Lehrmeister mehr wären, so
würden wahrscheinlicherweise die guten Schüler nicht so
selten seyn; die Meister aber, welche im Stande sind, zu
unterrichten, geben keine Lexions, und die, welche selbst
noch lernen sollten, wollen mit aller Gewalt andre lehren. Was soll man von der Nachläßigkeit und der eintönigen Leyer sagen, womit sie unterweisen?
DieWahrheit bleibt immer
dieselbe, wird man schreien; zugegeben, aber giebts denn
nur eine Art, wie man eine Sache vortragen und den
Schülern beybringen kann, und ist es nicht nothwendig, sie
auf verschiedenen Wegen zu einem
Ziele zu führen? Ich gestehe, daß eine wesentliche
Geschicklichkeit dazu gehört, um dahin zu gelangen, denn
ohne Ueberlegung und Rachdenken ist es nicht möglich, die Grundsätze nach den verschiedenen Gebäuden der
Körper und den Stufen der Fähigkeiten
anzuwenden; es läßt sich nicht mit einem Blicke übersehen,
was für den einen sich schickt und für den andern gar nicht gehört, und dennoch ändert man die
Lexions nicht ab, um sie nach Verhältniß des Unterschiedes einzurichten, den die Natur, oder die Gewohnheit, welche oft noch
hartnäckigter ist als selbst
die Natur, hervor bringen. [↔] Eigentlich also sollte es die Sorge des Lehrmeisters seyn, jeden Schüler zu
der Gattung anzuführen, die eigentlich für ihn gehört. Hierzu aber ist es nicht genug, daß er die genaueste Kenntniß von seiner
Kunst habe; er muß sich auch noch sorgfältig vor dem
lächerlichen Eigendünkel hüten, welcher jedweden
überredet, daß seine Art zu tanzen die einzige sey, welche
zu gefallen vermöge; denn ein Lehrmeister, der beständig
sich selbst als ein Muster der Vollkommenheit vorschlägt, und nur darauf
sinnt, aus seinen Schülern Copien zu machen, davon er das
gute oder schlechte Original ist, wird nicht einmal
erträgliche ziehen, es sey denn, daß er welche unter die
Hände bekömmt, die gleichen Wuchs und Körperbau, gleiche Neigungen und Fähigkeiten mit ihm haben. [↔] Unter den Fehlern im Bau des Körpers,
bemerke ich gewöhnlicherweise zwey. Der eine, wenn man Dachsbeinig(étre jarreté) unnd der zweyte,
wenn man Säbelbeinig (étre arqué) ist. Diese beiden Fehler in der Bildung herrschen fast durchgängig, mehr
oder weniger, auch findet man wenig Tänzer, welche davon
frey sind. [↔] Man nennt einen Menschen Dachsbeinig, wenn seine Hüften eng sind und einwärts stehen, wenn seine Hüftschenkel
dicht an einander liegen, wenn
seine Knie dick und so stark einwärts gebogen sind, daß
sie sich berühren und fest schliessen, obgleich die Füße
ziemlich weit von einander stehen; dieß macht ungefehr die Figur eines Triangels
von den Knieen bis zu den Füßen; ich bemerke auch noch,
daß seine innern Knöchel übermäßig groß, und seine Fußspangen sehr hoch sind, seine Fersenflechse ist nicht allein zart
und schwach, sondern liegt auch
weit von dem Gelenke ab. [↔] Am Säbelbeinigen bemerkt man den entgegen gesetzten Fehler.
Dieser zeigt sich gleichfalls von den Hüften an bis zu den
Füssen; denn diese Theile
beschreiben eine Linie, welche gewissermaaßen die Figur
eines Säbels oder eines Bogens
macht. Seine Hüften sind weit,
seine Oberschenkel und Kniee stehn von einander, so, daß
wenn er die Füße dicht an einander stellt, sich die Kniee
nicht berühren, und der Raum
zwischen den Beinen und Lenden größer ist, als er
natürlicher weise seyn sollte. Die solchergestalt gebaute Personen haben übrigens lange und
platte Füße, hervorragende äußere Knöchel und eine dicke
Fersenflechse, die nahe am Geleiche liegt. Diese beiden Fehler, die sich einander schnurstracks entgegen stehn, beweisen
nachdrücklicher, als alle
Worte, daß der Unterricht, der dem ersten nützlich ist,
dem andern schädlich seyn würde, und daß zwey Tänzer von
so verschiedenem Wuchse und so
verschiedener Bildung nicht
einerley Uebungen haben können. Der Dachsbeinige muß sich beständig befleißigen, die zu nah gelegenen Theile aus
einander zu bringen; das erste Mittel hierzu ist, daß er die Oberschenkel fleißig auswärts dreht, und nach dieser Richtung bewegt, indem er sich der freyen
halbzirkelförmigen Bewegung des Hüftwirbels in seiner Schüssel zu Nutze macht. Durch Hülfe dieser Uebungen werden die Kniee eben der Richtung
folgen, und gleichsam an
ihre Stelle kommen. Die Knieschneibe, welche unter andern
Nutzen auch dazu bestimmt zu seyn scheint, das Kniegelenke vor dem Ueberweichen zu bewahren, wird grade auf die
Spitze des Fußes fallen, und auf diese Weise werden Hüft-
und Schienbeine nicht mehr eine schiefe, sondern eine senkrechte Linie beschreiben, auf welcher der Rumpf mit Festigkeit ruhet. [↔] Das zweyte Hülfsmittel bestehet darinn, daß
man eine ununterbrochne Biegsamkeit im Kniegelenke
unterhält, und sehr gestreckt zu scheinen ohn es in der
That zu seyn; dieses, mein Herr, ist ein Werk der Zeit und der Gewohnheit; wenn diese letztere erst einmal stark genug geworden, so ist es fast unmöglich, ohne Anstrengungen, welche in
diesen Theilen einen unausstehlichen Schmerz verursachen, die erste natürliche und fehlerhafte Lage wieder anzunehmen.
Ich habe Tänzer gekannt, welche die Kunst gefunden hatten, diesen Fehler dergestalt zu verbergen, daß man ihnen solchen niemals angemerkt haben würde, wenn ihn der gerade
Entrechat und zu starkes Battiren nicht verrathen hätte.
Die Ursach ist diese: das Zusammenziehen der Mäuslein bey dem Anstrengen des Springens, steifet die Geleiche und drängt jede Parthie nach ihrer
natürlichen Lage; durch diesen Zwang weichen also die
Kniee wieder einwärts und werden
wieder dick; diese Dicke hindert das Battiren im
Entrechat; je mehr sich die Kniee an einander schliessen,
je weiter stehn die Unterschenkel von einander; die Bei ne, die weder battiren, noch croisirenkönnen, scheinen sich gar nicht
zu bewegen, indessen daß die
Kniee unangenehmerweise sich an einander herumwälzen, und
ein Entrechat, der nach den Füßen zu weder coupirt, noch battirt, noch croisirt ist, kann
nicht das schimmernde Ansehen haben, worinn seine ganze Schönheit besteht. [↔] Nichts ist, nach meiner Meinung, so schwer,
als unsre Fehler zu verbergen, in den Augenblicken
besonders, wo durch eine heftige Execution die ganze
Maschine im Gange, und in einer fortwährenden starken Erschütterung ist, wo sie sich unnatürlichen
Bewegungen
und unaufhörlichen Anstrengungen überläßt. Wenn da die
Kunst die Natur überwindet, welche Lobsprüche verdient dann nicht der Tänzer! [↔] Wer also gebaut ist, muß sich mit keinen
Entrechats, Cabriolen und keinen schweren,
zusammengesetzten hohen Sprüngen abgeben, um desto
weniger, weil er unfehlbar schwach bleiben wird, denn da
seine Hüften, oder mit den Anatomisten zu reden, seine
Beckenbeine eng und nicht geräumig genug sind: so geben
solche den Mäuslein, welche davon ausgehen, und wovon zum Theil die
Bewegung des Rumpfes abhängen, nicht Spielraum
genug; diese Bewegungen und Biegungen sind um so viel
leichter und williger, je weiter die besagte Knochen sind,
weil alsdann die Mäuslein weiter vom Schwerpunkte wirken.
Dem sey aber wie ihm wolle, das edle, und an der Erde schwebende Tanzen, ist das einzige, welches sich für dergleichen Tänzer schickt.
Uebrigens, mein Herr, was die Dachsbeinigen Tänzer von Seiten der
Stärke verlieren, das scheinen sie an Seiten der Geschicklichkeit wieder zu gewinnen.
Ich habe bemerkt, daß sie markigt waren, schimmernd in den einfachsten Schritten, ungezwungen in solchen
Schwierigkeiten, die keine Anstrengung fodern, was sie
machten, das machten sie sauber, ihre
Gemählde waren zierlich, und ihre Percussions bringen sie mit
unendlicher Anmuth hervor, weil sie sich der Zehe und der
Flechsen bedienen, welche den Mittelfuß bewegen: dieses
sind die Vorzüge, welche sie
wegen der ihnen fehlenden Stärke schadlos halten, und beym
Tänzer werde ich immer die Geschicklichkeit der Stärke vorziehn. [↔] Diejenigen, welche Säbelbeine haben, müssen sich besonders bemühen, die entfernten
Glieder näher zusammen zu bringen, um den leeren Raum zu verringern, der sich vornehmlich zwischen den Knieen befindet; sie haben
eben so wohl als die andern der Uebung nöthig, welche die Oberschenkel
auswärts bewegt, und es ist
ihnen sogar schwerer, ihre Fehler zu bemänteln.
Gewöhnlicherweise sind sie munter und stark; folglich sind
ihre Mäuslein nicht so geschmeidig und ihre Gelenke nicht so biegsam. Es
versteht sich übrigens von
selbst, daß wenn dieser Fehler in der Bildung der Knochen
steckte, alle Mühe und Kunst vergebens seyn würde. Ich
habe gesagt, daß die Dachsbeinigen
Tänzer in der Execution eine kleine willige Oeffnung beybehalten müssen; diese aber müssen sich aus dem entgegen stehenden Grund, aufs genaueste gestreckt halten, und ihre Schläge
viel dichter an einander kreutzen, damit die Näherung der Theile, das Licht oder den
Zwischenraum, der sich in ihrer natürlichen Lage
dazwischen befindet, vermindre. Sie sind nervigt, lebhaft
und schimmernd in solchen
Sachen, die mehr in der Stärke als in der Geschicklichkeit
bestehen; nervigt und leicht, vermöge der Richtung ihrer
Fäserbündel, und der Stärke
ihrer Geleichbänder; lebhaft, weil sie mehr mit den Füßen als mit den Knieen kreutzen, und da sie also keinen weiten Weg haben, um ihre Schläge zu machen: so machen sie solche geschwinder;
schimmernd, weil durch die
Theile, welche sich kreutzen, Licht durchfällt; dieses
Licht, mein Herr, macht gerade das Helldunkle des Tanzes; denn wenn die Schläge
des Entrechats nicht geöffnet, nicht genug vorgeworfen
sind, sondern vielmehr an einander reiben und wälzen, so fehlt das Licht, welches
den Schatten hervor zwingt, und die zu eng geschlossenen
Beine zeigen bloß eine nicht zu unterscheidende Masse, die keine Wirkung thut; sie haben wenig Geschicklichkeit, weil sie sich zu viel auf ihre Stärke verlassen, und weil gerade diese Stärke bey ihnen der gewandten Biegsamkeit im Wege steht: verläßt sie ihre Stärke nur einen
Augenblick, so wissen sie sich nicht zu helfen, weil sie
nicht die Kunst wissen, durch solche einfache Bewegungen ihre Verlegenheit zu
verbergen, bey welchen man immer neue Kräfte sammlen kann,
weil sie selbst gar keine erfodern; sie haben über dem
sehr wenig Elasticität und heben
sich sehr selten mit den Fußspitzen. [↔] Die wahre Ursache hiervon glaube ich zu
entdecken, wenn ich ihre langen und platten Füße
betrachte. Ich vergleiche diese Gliedmaaßen mit einem Hebel von der zwoten Art,
mit einem Hebel nemlich, wo die
Last zwischen dem Ruhpunkte und
der Kraft liegt, und Kraft und Ruhpunkt an den beiden
äussersten Enden liegen.
Hier befindet sich der Ruhpunkt an der Spitze des Fußes,
die Last des Körpers fällt auf den Mittelfuß,
und die Kraft, welche diese Last hebt und unterstützt, steckt in der Ferse,
vermöge der großen Flechse; weil nun aber der Hebel in einem langen platten Fuße
verlängert wird: so wird die Last des Körpers weiter vom
Ruhpunkte und näher an die Kraft gebracht, folglich muß
in gleichem Verhältniß die Schwere des Körpers zu- und die Kraft der
Fersenflechse abnehmen. Ich sage
also, daß, weil diese Schwere sich bey den Säbelbeinigen
Tänzern nicht in dem genauen Verhältnisse befindet, wie bey den Dachsbeinigen, welche gewöhnlicherweise einen starken und
hohen Mittelfuß oder Spange haben, die ersten nothwendig
mehr Schwierigkeiten finden müssen, sich auf den Fußspitzen zu heben. [↔] Weiter habe ich angemerkt, mein Herr, daß
die Fehler, die man in den Theilen von den Hüften bis zu
den Füßen antrift, sich auch von der Schulter bis an die
Hand äussern; die meiste Zeit
richtet sich die Bildung der Schulter nach den Hüften, des
Ellenbogens nach dem Kniee,
der Faust nach dem Fuße; die geringste Untersuchung wird
Sie von dieser Wahrheit überzeugen, und Sie werden finden, daß überhaupt solche Mängel in der Bildung, die von einer fehlerhaften Lage einiger
Glieder herrühren, sich über alle erstrecken. Diesen
Grundsatz angenommen, muß der Künstler seine Schüler
verschiedene, sich für jeden schickende Bewegungen der Arme anweisen.
Diese Fürsicht ist sehr wichtig; kurze Arme verlangen nur
solche Bewegungen, die mit ihrer
Länge im Verhältniß stehen; die
langen kann man nur durch die ihnen gegebene Ründungen verkürzen; sich dieser
Unvollkommenheiten zu Nutze zu machen, darinn steckt die
Kunst, und ich kenne Tänzer,
welche durch das Verblasen(Effacement) des Körpers die Länge ihrer Arme sehr geschickt zu verbergen wissen; sie vertreiben davon einen Theil im
Schatten. [↔] Ich habe gesagt, daß die Dachsbeinigen Tänzer schwach wären; sie sind schmächtig und gewandt; die starken und machtvollen Säbelbeinigen sind völlig von Gliedmaaßen und nervigt. Man pflegt dafür zu halten,
daß ein dicker untersetzter Mann schwer seyn müsse; und in
Ansehung der wirklichen Schwere
des Körpers ist dieser Grundsatz wahr, falsch
aber in Beziehung aufs Tanzen, denn hier entspringt die
Leichtigkeit bloß aus der Stärke der Muskeln. Ein jeder
Mensch, der schwache Muskeln hat, wird immer schwer niederfallen. Die Ursache ist sehr begreiflich; die schwachen Partien, welche in dem Augenblicke des Fallens, den
stärkern, das ist, dem Gewichte des Körpers, welches nach
dem Verhältniß der Höhe, woraus er fällt, zunimmt, nicht widerstehen können, geben
nach und weichen aus, und gerade in den Augenblicken
dieses Weichens und Nachgebens
läßt sich das Getöse des Niederfallens hören, ein Getöse,
welches merklich schwächer wird,
oder sich gar verlieren mag, wenn sich der Körper in einer
genauen senkrechten Linie erhalten kann, und wenn die
Muskeln und Flechsen stark genug sind, der Gewalt zu widerstehen und den Stoß auszuhalten, der sie zum Nachgeben bringen könnte. Eh ich
diesen Brief schliesse, lassen Sie uns noch ein mal auf
die verschiedentlich gebildeten Tänzer kommen, und
erlauben Sie mir, daß ich Ihnen
zwey lebendige Beyspiele anführe: es sind die Herren Lany und Vestris; alle beide berühmt, beide unnachahmlich, die Sie überführen werden, daß es eine
Kunst giebt, welche der Natur zu
Hülfe kommen, und dadurch
verschönern kann. Der erste ist Säbelbeinig; er hat sich diesen
Fehler auf eine Art zu Nutze gemacht, die den klugen Mann
verräht; er hält sich gestreckt,
auswärts, hat Stärke, aber ist dabey behende; Genauigkeit
ist die Seele seiner Execution; er macht seine Pas mit einer Nettigkeit, Abwechselung und einem Schimmer, die man nur bey ihm findet; er ist der gelehrteste Tänzer, den ich
kenne, mein Herr, und es ist ihm kein geringer Ruhm, daß er, Trotz der
Natur, das Muster in
seiner Gattung ist. Herr Vestris hat eingebogene Kniee, aber selbst die Künstler würdens ihm nicht anmerken,
wenn ihn der gerade Entrechat nicht zuweilen verriethe;
er ist der beste oder der einzige serieuse Tänzer, den wir auf dem Theater haben; er ist elegant, er verbindet mit der
edelsten und unge zwungensten Ausführung das
seltene Verdienst, zu
rühren, zu interessiren und ans Herz zu
reden. [↔] Der berühmte Dupre war sein Muster, und itzt ist er es für alle
Tänzer seiner Gattung. Die
vortheilhafte Anwendung, die diese beiden Tänzer von ihrer
Körperbildung gemacht haben, spricht ihr Lob; ihre Gattung scheint für ihren Wuchs,
und ihr Wuchs für ihre Gattung gemacht zu
seyn, und daß ich sie als ein Beyspiel angeführt habe, ist
weniger geschehen, um ihre Bildung bloß zu stellen, als um ihre Kunst zu erheben. Sagen, daß sie ihre Fehler
gebessert haben, heißt gestehen, daß sie keine mehr haben. [↔] Die Natur hat das schöne
Geschlecht von den Unvollkommenheiten, wovon ich hier
geredet, nicht befreyet,
aber Verschlagenheit und die Mode der langen Röcke sind
den Tänzerinnen glücklicherweise
zu Hülfe gekommen. Der Reifrock bedeckt viele Mängel, aber
das neugierige Auge der Kritiker steigt nicht hoch genug, um zu entscheiden. Die meisten tanzen mit offnen Knieen, als ob
sie von Natur säbelbeinig wären; dieser üblen Angewohnheit und den langen Röcken haben
sie es zu verdanken, daß sie brillanter scheinen als die
Mannspersonen, weil sie, wie ich gesagt habe, nur mit den Unterschenkeln
battiren, können sie die Schläge
geschwinder machen als wir, die wir unsern ganzen Wuchs
dem Zuschauer zeigen, und daher
genöthigt sind, unsere Schläge
gestreckt, und ganz oben von den Hüften an, zu machen, und
es ist begreiflich, daß mehr
Zeit erfodert wird, ein Ganzes, als nur einen Theil zu
bewegen. Was das Schimmerreiche anbetrift, das sie an sich haben, so trägt die Lebhaftigkeit das ihrige dazu bey, aber doch lange nicht so viel, als die langen Röcke, welche, indem sie die Länge der Partien verhüllen, die Blicke mit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und
mehr in die Augen fallen; das ganze Feuer des Battirens ist, so zu sagen, in einem
Punkte vereinigt, und scheint deswegen lebhafter und schimmernder, das Auge kann es
ganz fassen, und ist wegen des kleinen Raums, den es zu durchlaufen hat, nicht so getheilt oder zerstreuet. [↔] Uebrigens, mein Herr, sind eine hübsche
Physiognomie, schöne Augen, ein feiner Wuchs, und runde
Arme unvermeidliche Klippen, woran die Kritik
scheitern muß, und an welcher oft Herz und
VernunftSchiff bruch leiden. Hübsche
Frauenzimmer sind wie künstlich gefaßte
Juwelen, man sieht sie selten ohne den Wunsch, sie zu
besitzen; und das Verlangen, sie zu besitzen, läßt es
nicht zu, daß man sich bey einer Menge Fehler aufhalte, welche niemals einem
absichtsvollen Lobe, und einem eigennützigen Beyfalle im
Wege stehen. Ich bin u. s. w.
Eilfter Brief.
[↔] Es ist selten, wo nicht gar
unmöglich, mein Herr, völlig wohl gebauete Mannspersonen zu finden; daher ist es
sehr gewöhnlich, ein Haufen Tänzer von unangenehmen Wuchse
zu finden, woran man nur zu oft solche Bildungsfehler bemerkt, die mit
aller Hülfe der Kunst nicht gänzlich weggeschaft werden
können. Man sollte fast auf
den Gedanken fallen, daß es ein
Fluch sey, der auf der menschlichenNatur ruhete, daß wir uns immer von dem entfernen, was sich für uns schickt, und gewöhnlich eine Laufbahn wählen, deren Ziel wir nicht erreichen können. Dieser Verblendung, diesem Selbstbetruge haben
wir den Schwarm elender Reimer, mittelmäßiger Mahler, steifer Komödianten, lärmender Musikanten und unausstehlicher Tänzer oder Springer, (und, wer kann die erbärmlichen Stümper in
jeder Art alle nennen?) zu verdanken. Wären eben diese Menschen an ihren
rechtenu Ort zu stehen
kommen, hätten sie nützliche Glieder der menschlichen
Gesellschaft und des Staates werden können, nun aber
ist ihre wahre Fähigkeit vergraben, und sie können nichts weiter thun, als sich um die Wette lächerlich machen. [↔] Das Erste, worauf man zu sehen hat, wenn man
sich in einem Alter, darinn man schon Ueberlegungen machen
kann, der Tanzkunst widmet, ist
der Körperbau. Entweder sind die Fehler der
Bildung, die man an sich bemerkt, von der Beschaffenheit,
daß sie auf keine Weise zu verbessern sind; in dem Falle
muß man auf der Stelle den Gedanken von den Vortheilen fahren lassen, die man erlangen wollte, indem man zum
Vergnügen anderer tanzte; oder
diese Fehler können durch unabläßiges Studieren und
Bestreben, und nach den Anweisungen und dem Rathe eines
einsichtsvollen Lehrers fortgeschaft werden; und alsdann ist es wesentlich nöthig, daß man nichts an dem Fleisse ermangeln lasse, wodurch
ihnen abgeholfen werden kann; alsdann wird es nicht fehlen, wenn man es nur
früher anfängt, ehe die Glieder ihren letzten Grad von
Wachsthum und Festigkeit erlangt haben, ehe die Natur sich gesetzt, und ehe eine
eingewurzelte Gewohnheit die Hindernisse unüberwindlich gemacht hat. [↔] Zum Unglück giebt es wenig Tänzer, die zu
dieser Selbstuntersuchung fähig sind; et liche glauben, von
Eigenliebe geblendet, daß sie ohne Mängel sind; andre
drücken gleichsam, über
diejenigen, welche ihnen ein halber Blick entdecken würde, die Augen zu; man muß
aber für ausgemacht annehmen, daß ihre Arbeiten auf keine
richtige und zusammen hängende
Grundsätze gebaut sind, sobald
sie das nicht wissen, was jeder Mensch von einigen
Einsichten berechtigt ist, ihnen vorzuwerfen. Sie tanzen
weniger als Menschen denn als
Maschienen; das unrichtige Verhältniß in
den Theilen ihres Körpers steht ohn Unterlaß
dem Spiele der Sennen und Muskeln und der Harmonie im
Wege, die ein Ganzes machen sollte;
fort ist der Zusammenhang in den
Schritten; fort das Markigte in
den Bewegungen; fort die Zierlichkeit in den Stellungen und
Gegenlagen der Arme; fort sind die Proportions in den
Hebungen und Streckungen,
und folglich auch die Festigkeit und das Senkrechte. Hier
sehen Sie, mein Herr, wohin sich die Exekution solcher Tänzer erstreckt, welche glauben, das Tanzen bestehe bloß in irgend einer Bewegung der Hände und Füße, und welche es nicht der Mühe werth halten, in ihren Studier- und
Uebungsstunden auf sich selbst Achtung zu ge ben. Ohne sie zu
beleidigen, und ohne ihrem
Rechte etwas zu nehmen, kann man sie Tanzmaschienen nennen. [↔] Wenn der guten Lehrmeister mehr wären, so
würden wahrscheinlicherweise die guten Schüler nicht so
selten seyn; die Meister aber, welche im Stande sind, zu
unterrichten, geben keine Lexions, und die, welche selbst
noch lernen sollten, wollen mit aller Gewalt andre lehren. Was soll man von der Nachläßigkeit und der eintönigen Leyer sagen, womit sie unterweisen?
DieWahrheit bleibt immer
dieselbe, wird man schreien; zugegeben, aber giebts denn
nur eine Art, wie man eine Sache vortragen und den
Schülern beybringen kann, und ist es nicht nothwendig, sie
auf verschiedenen Wegen zu einem
Ziele zu führen? Ich gestehe, daß eine wesentliche
Geschicklichkeit dazu gehört, um dahin zu gelangen, denn
ohne Ueberlegung und Rachdenken ist es nicht möglich, die Grundsätze nach den verschiedenen Gebäuden der
Körper und den Stufen der Fähigkeiten
anzuwenden; es läßt sich nicht mit einem Blicke übersehen,
was für den einen sich schickt und für den andern gar nicht gehört, und dennoch ändert man die
Lexions nicht ab, um sie nach Verhältniß des Unterschiedes einzurichten, den die Natur, oder die Gewohnheit, welche oft noch
hartnäckigter ist als selbst
die Natur, hervor bringen. [↔] Eigentlich also sollte es die Sorge des Lehrmeisters seyn, jeden Schüler zu
der Gattung anzuführen, die eigentlich für ihn gehört. Hierzu aber ist es nicht genug, daß er die genaueste Kenntniß von seiner
Kunst habe; er muß sich auch noch sorgfältig vor dem
lächerlichen Eigendünkel hüten, welcher jedweden
überredet, daß seine Art zu tanzen die einzige sey, welche
zu gefallen vermöge; denn ein Lehrmeister, der beständig
sich selbst als ein Muster der Vollkommenheit vorschlägt, und nur darauf
sinnt, aus seinen Schülern Copien zu machen, davon er das
gute oder schlechte Original ist, wird nicht einmal
erträgliche ziehen, es sey denn, daß er welche unter die
Hände bekömmt, die gleichen Wuchs und Körperbau, gleiche Neigungen und Fähigkeiten mit ihm haben. [↔] Unter den Fehlern im Bau des Körpers,
bemerke ich gewöhnlicherweise zwey. Der eine, wenn man Dachsbeinig(étre jarreté) unnd der zweyte,
wenn man Säbelbeinig (étre arqué) ist. Diese beiden Fehler in der Bildung herrschen fast durchgängig, mehr
oder weniger, auch findet man wenig Tänzer, welche davon
frey sind. [↔] Man nennt einen Menschen Dachsbeinig, wenn seine Hüften eng sind und einwärts stehen, wenn seine Hüftschenkel
dicht an einander liegen, wenn
seine Knie dick und so stark einwärts gebogen sind, daß
sie sich berühren und fest schliessen, obgleich die Füße
ziemlich weit von einander stehen; dieß macht ungefehr die Figur eines Triangels
von den Knieen bis zu den Füßen; ich bemerke auch noch,
daß seine innern Knöchel übermäßig groß, und seine Fußspangen sehr hoch sind, seine Fersenflechse ist nicht allein zart
und schwach, sondern liegt auch
weit von dem Gelenke ab. [↔] Am Säbelbeinigen bemerkt man den entgegen gesetzten Fehler.
Dieser zeigt sich gleichfalls von den Hüften an bis zu den
Füssen; denn diese Theile
beschreiben eine Linie, welche gewissermaaßen die Figur
eines Säbels oder eines Bogens
macht. Seine Hüften sind weit,
seine Oberschenkel und Kniee stehn von einander, so, daß
wenn er die Füße dicht an einander stellt, sich die Kniee
nicht berühren, und der Raum
zwischen den Beinen und Lenden größer ist, als er
natürlicher weise seyn sollte. Die solchergestalt gebaute Personen haben übrigens lange und
platte Füße, hervorragende äußere Knöchel und eine dicke
Fersenflechse, die nahe am Geleiche liegt. Diese beiden Fehler, die sich einander schnurstracks entgegen stehn, beweisen
nachdrücklicher, als alle
Worte, daß der Unterricht, der dem ersten nützlich ist,
dem andern schädlich seyn würde, und daß zwey Tänzer von
so verschiedenem Wuchse und so
verschiedener Bildung nicht
einerley Uebungen haben können. Der Dachsbeinige muß sich beständig befleißigen, die zu nah gelegenen Theile aus
einander zu bringen; das erste Mittel hierzu ist, daß er die Oberschenkel fleißig auswärts dreht, und nach dieser Richtung bewegt, indem er sich der freyen
halbzirkelförmigen Bewegung des Hüftwirbels in seiner Schüssel zu Nutze macht. Durch Hülfe dieser Uebungen werden die Kniee eben der Richtung
folgen, und gleichsam an
ihre Stelle kommen. Die Knieschneibe, welche unter andern
Nutzen auch dazu bestimmt zu seyn scheint, das Kniegelenke vor dem Ueberweichen zu bewahren, wird grade auf die
Spitze des Fußes fallen, und auf diese Weise werden Hüft-
und Schienbeine nicht mehr eine schiefe, sondern eine senkrechte Linie beschreiben, auf welcher der Rumpf mit Festigkeit ruhet. [↔] Das zweyte Hülfsmittel bestehet darinn, daß
man eine ununterbrochne Biegsamkeit im Kniegelenke
unterhält, und sehr gestreckt zu scheinen ohn es in der
That zu seyn; dieses, mein Herr, ist ein Werk der Zeit und der Gewohnheit; wenn diese letztere erst einmal stark genug geworden, so ist es fast unmöglich, ohne Anstrengungen, welche in
diesen Theilen einen unausstehlichen Schmerz verursachen, die erste natürliche und fehlerhafte Lage wieder anzunehmen.
Ich habe Tänzer gekannt, welche die Kunst gefunden hatten, diesen Fehler dergestalt zu verbergen, daß man ihnen solchen niemals angemerkt haben würde, wenn ihn der gerade
Entrechat und zu starkes Battiren nicht verrathen hätte.
Die Ursach ist diese: das Zusammenziehen der Mäuslein bey dem Anstrengen des Springens, steifet die Geleiche und drängt jede Parthie nach ihrer
natürlichen Lage; durch diesen Zwang weichen also die
Kniee wieder einwärts und werden
wieder dick; diese Dicke hindert das Battiren im
Entrechat; je mehr sich die Kniee an einander schliessen,
je weiter stehn die Unterschenkel von einander; die Bei ne, die weder battiren, noch croisirenkönnen, scheinen sich gar nicht
zu bewegen, indessen daß die
Kniee unangenehmerweise sich an einander herumwälzen, und
ein Entrechat, der nach den Füßen zu weder coupirt, noch battirt, noch croisirt ist, kann
nicht das schimmernde Ansehen haben, worinn seine ganze Schönheit besteht. [↔] Nichts ist, nach meiner Meinung, so schwer,
als unsre Fehler zu verbergen, in den Augenblicken
besonders, wo durch eine heftige Execution die ganze
Maschine im Gange, und in einer fortwährenden starken Erschütterung ist, wo sie sich unnatürlichen
Bewegungen
und unaufhörlichen Anstrengungen überläßt. Wenn da die
Kunst die Natur überwindet, welche Lobsprüche verdient dann nicht der Tänzer! [↔] Wer also gebaut ist, muß sich mit keinen
Entrechats, Cabriolen und keinen schweren,
zusammengesetzten hohen Sprüngen abgeben, um desto
weniger, weil er unfehlbar schwach bleiben wird, denn da
seine Hüften, oder mit den Anatomisten zu reden, seine
Beckenbeine eng und nicht geräumig genug sind: so geben
solche den Mäuslein, welche davon ausgehen, und wovon zum Theil die
Bewegung des Rumpfes abhängen, nicht Spielraum
genug; diese Bewegungen und Biegungen sind um so viel
leichter und williger, je weiter die besagte Knochen sind,
weil alsdann die Mäuslein weiter vom Schwerpunkte wirken.
Dem sey aber wie ihm wolle, das edle, und an der Erde schwebende Tanzen, ist das einzige, welches sich für dergleichen Tänzer schickt.
Uebrigens, mein Herr, was die Dachsbeinigen Tänzer von Seiten der
Stärke verlieren, das scheinen sie an Seiten der Geschicklichkeit wieder zu gewinnen.
Ich habe bemerkt, daß sie markigt waren, schimmernd in den einfachsten Schritten, ungezwungen in solchen
Schwierigkeiten, die keine Anstrengung fodern, was sie
machten, das machten sie sauber, ihre
Gemählde waren zierlich, und ihre Percussions bringen sie mit
unendlicher Anmuth hervor, weil sie sich der Zehe und der
Flechsen bedienen, welche den Mittelfuß bewegen: dieses
sind die Vorzüge, welche sie
wegen der ihnen fehlenden Stärke schadlos halten, und beym
Tänzer werde ich immer die Geschicklichkeit der Stärke vorziehn. [↔] Diejenigen, welche Säbelbeine haben, müssen sich besonders bemühen, die entfernten
Glieder näher zusammen zu bringen, um den leeren Raum zu verringern, der sich vornehmlich zwischen den Knieen befindet; sie haben
eben so wohl als die andern der Uebung nöthig, welche die Oberschenkel
auswärts bewegt, und es ist
ihnen sogar schwerer, ihre Fehler zu bemänteln.
Gewöhnlicherweise sind sie munter und stark; folglich sind
ihre Mäuslein nicht so geschmeidig und ihre Gelenke nicht so biegsam. Es
versteht sich übrigens von
selbst, daß wenn dieser Fehler in der Bildung der Knochen
steckte, alle Mühe und Kunst vergebens seyn würde. Ich
habe gesagt, daß die Dachsbeinigen
Tänzer in der Execution eine kleine willige Oeffnung beybehalten müssen; diese aber müssen sich aus dem entgegen stehenden Grund, aufs genaueste gestreckt halten, und ihre Schläge
viel dichter an einander kreutzen, damit die Näherung der Theile, das Licht oder den
Zwischenraum, der sich in ihrer natürlichen Lage
dazwischen befindet, vermindre. Sie sind nervigt, lebhaft
und schimmernd in solchen
Sachen, die mehr in der Stärke als in der Geschicklichkeit
bestehen; nervigt und leicht, vermöge der Richtung ihrer
Fäserbündel, und der Stärke
ihrer Geleichbänder; lebhaft, weil sie mehr mit den Füßen als mit den Knieen kreutzen, und da sie also keinen weiten Weg haben, um ihre Schläge zu machen: so machen sie solche geschwinder;
schimmernd, weil durch die
Theile, welche sich kreutzen, Licht durchfällt; dieses
Licht, mein Herr, macht gerade das Helldunkle des Tanzes; denn wenn die Schläge
des Entrechats nicht geöffnet, nicht genug vorgeworfen
sind, sondern vielmehr an einander reiben und wälzen, so fehlt das Licht, welches
den Schatten hervor zwingt, und die zu eng geschlossenen
Beine zeigen bloß eine nicht zu unterscheidende Masse, die keine Wirkung thut; sie haben wenig Geschicklichkeit, weil sie sich zu viel auf ihre Stärke verlassen, und weil gerade diese Stärke bey ihnen der gewandten Biegsamkeit im Wege steht: verläßt sie ihre Stärke nur einen
Augenblick, so wissen sie sich nicht zu helfen, weil sie
nicht die Kunst wissen, durch solche einfache Bewegungen ihre Verlegenheit zu
verbergen, bey welchen man immer neue Kräfte sammlen kann,
weil sie selbst gar keine erfodern; sie haben über dem
sehr wenig Elasticität und heben
sich sehr selten mit den Fußspitzen. [↔] Die wahre Ursache hiervon glaube ich zu
entdecken, wenn ich ihre langen und platten Füße
betrachte. Ich vergleiche diese Gliedmaaßen mit einem Hebel von der zwoten Art,
mit einem Hebel nemlich, wo die
Last zwischen dem Ruhpunkte und
der Kraft liegt, und Kraft und Ruhpunkt an den beiden
äussersten Enden liegen.
Hier befindet sich der Ruhpunkt an der Spitze des Fußes,
die Last des Körpers fällt auf den Mittelfuß,
und die Kraft, welche diese Last hebt und unterstützt, steckt in der Ferse,
vermöge der großen Flechse; weil nun aber der Hebel in einem langen platten Fuße
verlängert wird: so wird die Last des Körpers weiter vom
Ruhpunkte und näher an die Kraft gebracht, folglich muß
in gleichem Verhältniß die Schwere des Körpers zu- und die Kraft der
Fersenflechse abnehmen. Ich sage
also, daß, weil diese Schwere sich bey den Säbelbeinigen
Tänzern nicht in dem genauen Verhältnisse befindet, wie bey den Dachsbeinigen, welche gewöhnlicherweise einen starken und
hohen Mittelfuß oder Spange haben, die ersten nothwendig
mehr Schwierigkeiten finden müssen, sich auf den Fußspitzen zu heben. [↔] Weiter habe ich angemerkt, mein Herr, daß
die Fehler, die man in den Theilen von den Hüften bis zu
den Füßen antrift, sich auch von der Schulter bis an die
Hand äussern; die meiste Zeit
richtet sich die Bildung der Schulter nach den Hüften, des
Ellenbogens nach dem Kniee,
der Faust nach dem Fuße; die geringste Untersuchung wird
Sie von dieser Wahrheit überzeugen, und Sie werden finden, daß überhaupt solche Mängel in der Bildung, die von einer fehlerhaften Lage einiger
Glieder herrühren, sich über alle erstrecken. Diesen
Grundsatz angenommen, muß der Künstler seine Schüler
verschiedene, sich für jeden schickende Bewegungen der Arme anweisen.
Diese Fürsicht ist sehr wichtig; kurze Arme verlangen nur
solche Bewegungen, die mit ihrer
Länge im Verhältniß stehen; die
langen kann man nur durch die ihnen gegebene Ründungen verkürzen; sich dieser
Unvollkommenheiten zu Nutze zu machen, darinn steckt die
Kunst, und ich kenne Tänzer,
welche durch das Verblasen(Effacement) des Körpers die Länge ihrer Arme sehr geschickt zu verbergen wissen; sie vertreiben davon einen Theil im
Schatten. [↔] Ich habe gesagt, daß die Dachsbeinigen Tänzer schwach wären; sie sind schmächtig und gewandt; die starken und machtvollen Säbelbeinigen sind völlig von Gliedmaaßen und nervigt. Man pflegt dafür zu halten,
daß ein dicker untersetzter Mann schwer seyn müsse; und in
Ansehung der wirklichen Schwere
des Körpers ist dieser Grundsatz wahr, falsch
aber in Beziehung aufs Tanzen, denn hier entspringt die
Leichtigkeit bloß aus der Stärke der Muskeln. Ein jeder
Mensch, der schwache Muskeln hat, wird immer schwer niederfallen. Die Ursache ist sehr begreiflich; die schwachen Partien, welche in dem Augenblicke des Fallens, den
stärkern, das ist, dem Gewichte des Körpers, welches nach
dem Verhältniß der Höhe, woraus er fällt, zunimmt, nicht widerstehen können, geben
nach und weichen aus, und gerade in den Augenblicken
dieses Weichens und Nachgebens
läßt sich das Getöse des Niederfallens hören, ein Getöse,
welches merklich schwächer wird,
oder sich gar verlieren mag, wenn sich der Körper in einer
genauen senkrechten Linie erhalten kann, und wenn die
Muskeln und Flechsen stark genug sind, der Gewalt zu widerstehen und den Stoß auszuhalten, der sie zum Nachgeben bringen könnte. Eh ich
diesen Brief schliesse, lassen Sie uns noch ein mal auf
die verschiedentlich gebildeten Tänzer kommen, und
erlauben Sie mir, daß ich Ihnen
zwey lebendige Beyspiele anführe: es sind die Herren Lany und Vestris; alle beide berühmt, beide unnachahmlich, die Sie überführen werden, daß es eine
Kunst giebt, welche der Natur zu
Hülfe kommen, und dadurch
verschönern kann. Der erste ist Säbelbeinig; er hat sich diesen
Fehler auf eine Art zu Nutze gemacht, die den klugen Mann
verräht; er hält sich gestreckt,
auswärts, hat Stärke, aber ist dabey behende; Genauigkeit
ist die Seele seiner Execution; er macht seine Pas mit einer Nettigkeit, Abwechselung und einem Schimmer, die man nur bey ihm findet; er ist der gelehrteste Tänzer, den ich
kenne, mein Herr, und es ist ihm kein geringer Ruhm, daß er, Trotz der
Natur, das Muster in
seiner Gattung ist. Herr Vestris hat eingebogene Kniee, aber selbst die Künstler würdens ihm nicht anmerken,
wenn ihn der gerade Entrechat nicht zuweilen verriethe;
er ist der beste oder der einzige serieuse Tänzer, den wir auf dem Theater haben; er ist elegant, er verbindet mit der
edelsten und unge zwungensten Ausführung das
seltene Verdienst, zu
rühren, zu interessiren und ans Herz zu
reden. [↔] Der berühmte Dupre war sein Muster, und itzt ist er es für alle
Tänzer seiner Gattung. Die
vortheilhafte Anwendung, die diese beiden Tänzer von ihrer
Körperbildung gemacht haben, spricht ihr Lob; ihre Gattung scheint für ihren Wuchs,
und ihr Wuchs für ihre Gattung gemacht zu
seyn, und daß ich sie als ein Beyspiel angeführt habe, ist
weniger geschehen, um ihre Bildung bloß zu stellen, als um ihre Kunst zu erheben. Sagen, daß sie ihre Fehler
gebessert haben, heißt gestehen, daß sie keine mehr haben. [↔] Die Natur hat das schöne
Geschlecht von den Unvollkommenheiten, wovon ich hier
geredet, nicht befreyet,
aber Verschlagenheit und die Mode der langen Röcke sind
den Tänzerinnen glücklicherweise
zu Hülfe gekommen. Der Reifrock bedeckt viele Mängel, aber
das neugierige Auge der Kritiker steigt nicht hoch genug, um zu entscheiden. Die meisten tanzen mit offnen Knieen, als ob
sie von Natur säbelbeinig wären; dieser üblen Angewohnheit und den langen Röcken haben
sie es zu verdanken, daß sie brillanter scheinen als die
Mannspersonen, weil sie, wie ich gesagt habe, nur mit den Unterschenkeln
battiren, können sie die Schläge
geschwinder machen als wir, die wir unsern ganzen Wuchs
dem Zuschauer zeigen, und daher
genöthigt sind, unsere Schläge
gestreckt, und ganz oben von den Hüften an, zu machen, und
es ist begreiflich, daß mehr
Zeit erfodert wird, ein Ganzes, als nur einen Theil zu
bewegen. Was das Schimmerreiche anbetrift, das sie an sich haben, so trägt die Lebhaftigkeit das ihrige dazu bey, aber doch lange nicht so viel, als die langen Röcke, welche, indem sie die Länge der Partien verhüllen, die Blicke mit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und
mehr in die Augen fallen; das ganze Feuer des Battirens ist, so zu sagen, in einem
Punkte vereinigt, und scheint deswegen lebhafter und schimmernder, das Auge kann es
ganz fassen, und ist wegen des kleinen Raums, den es zu durchlaufen hat, nicht so getheilt oder zerstreuet. [↔] Uebrigens, mein Herr, sind eine hübsche
Physiognomie, schöne Augen, ein feiner Wuchs, und runde
Arme unvermeidliche Klippen, woran die Kritik
scheitern muß, und an welcher oft Herz und
VernunftSchiff bruch leiden. Hübsche
Frauenzimmer sind wie künstlich gefaßte
Juwelen, man sieht sie selten ohne den Wunsch, sie zu
besitzen; und das Verlangen, sie zu besitzen, läßt es
nicht zu, daß man sich bey einer Menge Fehler aufhalte, welche niemals einem
absichtsvollen Lobe, und einem eigennützigen Beyfalle im
Wege stehen. Ich bin u. s. w. [↔]
[↔] Um gut zu tanzen, mein Herr, ist nichts so nothwendig, als mit den Schenkeln
auswärts zu gehn, und dem Menschen ist nichts natürlicher,
als die entgegen gesetzte Lage. Wir werden damit gebohren.
Es wäre unnütz, wenn ich, um Sie von dieser Wahrheit zu überzeugen, die Morgenländer, die Afrikaner und alle Völker, welche tanzen, oder
vielmehr, welche ohne Regeln hüpfen und
springen, zum Beyspiele anführen wollte. Ohne so weit zu
reisen, bitte ich Sie, die Kinder und die Leute auf dem
Lande zu betrachten, so werden
Sie finden, daß alle die Füße einwärts haben; die entgegen gesetzte Richtung ist also eine bloße eingeführte Mode, und ein nicht schwankender Beweiß, daß
dieser Fehler nur in der Einbildung
liegt, ist, daß ein Mahler eben so sehr gegen
die Natur, als gegen die
Regeln seiner Kunst verstoßen würde, wenn er seinen
Figuren die Füße so stellete, wie sie ein Tänzer stellen
muß. Sie sehn also, mein Herr, daß, um zierlich zu tanzen, um sich nicht bäurisch zu tragen, um mit Anstand zu gehen, man geradezu die Ordnung der Dinge
umkehren, und durch eine lange und mühsame Uebung die
Gliedmaaßen zwingen muß, eine ganz andere Lage anzunehmen, als sie ursprünglich
empfangen haben. [↔] Diese, in unserer Kunst unumgänglich nöthige Verwandlung, kann man
nicht anders bewirken, als wenn man schon in der Kindheit dabey anfängt; das ist
die einzige Zeit, worinn es glücken kann, weil alsdann die
Partien geschmeidig sind, und sich leicht in alle die Richtungen biegen, die man ihnen geben will. [↔] Ein verständiger
Gärtner wird sichs gewiß nicht einfallen lassen, einen
alten rund ausgewachsenen Baum,
zu einer flachen Wand ziehn zu wollen; seine zu harten Zweige würden nicht gehorchen, und eher
brechen, als dem Zwange nachgeben, den man ihnen anthun wollte. Laß ihn aber ein
junges Bäumchen nehmen, so wird
er ihm die Gestalt ertheilen
können, die es ihm beliebt; seine zarten Zweige werden sich schmiegen und biegen, wie
ers haben will; die Zeit, welche die Aeste stärkt, wird
auch die Richtung stärken, welche ihnen die Hand des Meisters gegeben, und alle
werden beständig fortwachsen, wie es ihnen die Kunst
angewiesen hat. [↔] Sie sehen, mein Herr,
daß hierdurch die Natur verwandelt wird; wenn aber das Ding einmal geschehen ist: so stehts nicht mehr bey derKunst, ein zweytes Wunderwerk zu thun, und dem Baume
seine erste Gestalt wieder zu geben. Nur so lange die Natur schwach ist, erträgt sie eine Veränderung in gewissen Partien;
hat sie erst durch die Zeit eine gewisse Festigkeit
erlangt: so widerstrebt sie mit
der außersten Ungelehrigkeit. [↔] Hieraus
folgt der Schluß, daß die Aeltern die ersten Lehrmeister
ihrer Kinder sind, oder doch seyn sollten.
Wie viel Fehlerhaftes finden wir
nicht an ihnen, wenn man uns solche anvertrauet! Die
Schuld, wird man sagen, liegt an den Ammen. Eitle, thörigte Ausflüchte, welche die Nachläßigkeit der Väter
und Mütter gar nicht rechtfertigen, sondern vielmehr verdammen. Angenommen, daß die
Kinder durchs Wickeln verderbt sind, so ist das noch ein
Grund mehr, ihre Aufmerksamkeit
zu reitzen, weil doch sicher zwey oder drey Jahr
Nachläßigkeit der Ammen nicht so viel verderben, als acht
oder neun Jahre Sorgfalt von ihrer Seite wieder gut machen
könnten. [↔] Aber
wieder zu unserer Materie einzulenken. Ein Tänzer, der einwärts geht, ist ein ungeschickter, unangenehmer Tänzer.
Die entgegen gesetzte Stellung giebt Leichtigkeit und Glanz, sie verbreitet Anmuth über
die Pas, Ausspreitungen, Positions und Stellungen. [↔] Es hält schwer, die auswärts gerichtete
Lage zu erhalten, weil man oft die wahren Mittel nicht weiß, die man anwenden muß.
Die meisten jungen Leute, die sich dem Tanzen widmen, glauben, sie werden sich schon
richten, wenn sie sich nur zwingen, die Füße auswärts zu setzen. Ich weiß, daß dieses Glied, durch seine Geschmeidigkeit und die Biegsamkeit des Fußgelenkes, diese Richtung annehmen kann, aber diese Methode ist um
desto mehr falsch, weil sie die Knöchel aussetzt, und auf die Kniee und Oberschenkel
keine Wirkung thut. [↔] Auch ist es unmöglich, die erste dieser Partienauswärts zu bringen, wenn die letztern nicht dazu helfen. Die Kniee haben eigentlich nur zweyerley Bewegungen: das Biegen und Strecken. Das eine bestimmet das
Bein rückwärts, das andere vorwärts, sie können sich aber von selbst nicht nach auswärts richten,
und alles kömmt hauptsächlich
auf die Hüftbeine an, weil diese unumschränkte Gewalt auf die Unterntheile haben.
Diese führen sie folglich zu den halbzirkelförmigen Bewegungen, womit sie begabt sind, und nach was für Richtung sie sich bewegen mögen, sind Kniee, Bein und Fuß gezwungen, ihnen zu folgen. [↔] Ich will Ihnen hier nichts von einer Maschine sagen, die man
Hüftenmeister(tourne hauche) nennt; sie ist so
schlecht ausgedacht und eingerichtet, daß sie, statt gute
Dienste zu thun, vielmehr denjenigen, der sich ihrer bedient, nur noch mehr verkrippelt, indem sie den Hüften einen weit unangenehmern Fehler eindrückt, als der ist, dem sie abhelfen
soll. [↔] Die einfachsten und natürlichsten Mittel sind allemal diejenigen, welche die gesunde Vernunft wählen muß, sobald sie ihrem Zwecke
gemäß sind. Um sich also auswärts zu gewöhnen, bedarf es weiter
nichts, als eine mäßige aber unabläßige Uebung. Das einzige, was man vorzüglich zu wählen hat, sind die Zirkel oder Wirbel mit den Beinen, inwärts oder auswärts, und daß man weitläuftig battirt, wobey man sich
gestreckt hält, und die Bewegung der Schläge in den Hüften beginnen läßt. Dieses giebt unvermerkterweise den Gliedern freyes
Spiel, Hebung und Biegsamkeit,
statt daß der Kasten nur zu solchen Bewegungen treibt, welche mehr Zwang als die
Freyheit verrathen, aus welcher sie entspringen
sollten. [↔] Wird ein Instrumentspieler
wohl jemals dahin kommen, lebhafte Passagien zu machen, und einen runden Triller
zu schlagen, wenn man ihm die Finger zwänget? gewiß nicht; der ungezwungenste Gebrauch der
Hand und der Gelenke allein, kann ihm diese zierliche
Ründe und schimmernde Leichtigkeit erwerben, welche die
Seele der Ausführung sind.
Wie sollte es denn einem Tänzer möglich seyn, alle diese Vollkommenheit
zu ha ben, wenn er sein halbes
Leben in Zwang und Fesseln hinbringt? Ich bestehe also
darauf, mein Herr, der Gebrauch dieser
Maschine ist schädlich. Gewaltthätigerweise
verbessert man keine angeborne Fehler; das ist ein Werk
der Zeit, der Uebung und des Fleisses. [↔] Es giebt auch noch Leute, welche zu spät, und zu der Zeit zu tanzen anfangen, wo man schon darauf denken sollte, aufzuhören. Es ist
handgreiflich, daß bey diesen Umständen die
Maschinen eben so wenig fruchten als Bemühungen; ich habe Menschen gekannt, die sich quälten und peinigten, und denen es desto schmerzhafter wurde, weil sich ihr ganzer Körper bereits gesetzt
hatte, und ihnen also die Geschmeidigkeit fehlte, die sich
mit der Jugend verliert. Ein
fünf und dreyßigjähriger Fehler ist ein alter Fehler; die
Zeit, da man ihn auslöschen oder verstecken konnte, ist
vorbey. [↔] Es giebt eine Menge andrer, die aus der Gewohnheit entstehn. Alle Kinder seh ich gewissermaaßen beschäftigt, ihre Bildung zu
verderben und zu verunstalten. Die einen gewöhnen sich an, immer auf einem Beine zu stehn und mit dem andern zu spielen, und es immer in
eine unnatürliche und unangenehme Lage zu bringen, die ihnen aber nicht sauer wird, weil die Schwäche ihrer Flechsen und Muskeln jeder Stellung und Bewegungnachgiebt, und dadurch verrücken
sie sich die Knöchel. Die andern
geben durch Stellungen, die sie sich statt der natürlichen
angewöhnen, ihren Knieen eine falsche Lage. Dieses verschiebt sich ein
Schulterbein, weil es sich immer
schief hält und beständig die eine Schulter hervorsteckt;
jenes, das alle Augenblick eine entgegengesetzte Lage und
Bewegung wiederholt, drängt
seinen Körper ganz nach einer Seite, und
bekömmt dadurch eine Hüfte, die höher ist als die
andre. [↔] Ich käme niemals zu Ende, wenn
ich Ihnen alle die schädlichen
Folgen, die aus einem schlechten Tragen des Körpers
entstehn, erzählen wollte. Alle
diese Mängel, die so demüthigend für diejenigen sind, die
sich solche angewöhnt haben,
können nicht mehr weggeschaft
werden, wenn sie einmal eingewurzelt sind. Die Gewohnheiten, welche in der Kindheit keimen, schiessen mit der Jugend
auf, bewurzeln sich in den männlichen Jahren und lassen
sich im Alter nicht ausrotten. [↔] Die
Tänzer, mein Herr, sollten die Diät der Athleten halten,
und eben die Fürsicht brauchen, deren sich diese bedienten, wenn sie zum Kampfplatze gingen; diese Behutsamkeit würde sie vor den Zufällen
bewahren, denen sie täglich bloß gestellt sind; Zufälle,
die nicht von älterm Dato sind als die Kabriolen, die sich aber in eben dem
Maaße gehäuft haben, wie man die Natur hat übertreiben, und zu solchen
Verrichtungen zwingen wollen, die die meiste Zeit über
ihre Kräfte gehn. Wenn unsre Kunst, neben den
Eigenschaften des Geistes, auch noch Stärke
und Behendigkeit des
Körpers heischt, was für Sorgfalt sollten wir denn nicht anwenden, um uns
eine dauerhafte Gesundheit zu verschaffen. Einer kann kein guter Tänzer seyn, der nicht mäßig lebt. Würden die engländischenRenner wohl
so leicht und schnell auf den Füßen seyn, weswegen man
solche allen andern Pferden
vorzieht, wenn sie nicht so sorgfältig gewartet würden? Ihr Futter wird ihnen genau zugewogen, sie bekommen
nicht mehr zu saufen, als ihr richtiges Maaß; die Zeit
ihrer Arbeit und ihrer Ruhe
ist bestimmt. Da diese Behutsamkeit bey starken Thieren
eine so gute Wirkung thut, wie vielmehr Einfluß müßte denn nicht ein mäßiges Leben auf Geschöpfe haben, welche von Natur
schwach sind, durch ihren Stand und Glücksumstände aber zu einer so heftigen und schweren Arbeit gerufen werden, die die stärkste und
dauerhafteste Leibesbeschaffenheit erfodert. [↔] Der Beinbruch, das Zerreissen der Fersenflechse, das Verrenken des
Fußes oder irgend eines andern Gliedes, wird dem Tänzer
gemeiniglich durch dreyerley
verursacht: 1) Durch ein unebnes Theater; durch eine
schlecht befestigte Fallthüre,
oder durch Unschlitt und dergleichen Dinge, welche ihn zum
Fallen bringen, wenn sie ihm unter die Füße kommen. 2) Durch eine zu unmäßige,
zu gewaltsame Uebung, welche,
wenn sie zu einer andern Art Ausschweifung hinzu kömmt,
den Körper schwächt und seine Theile erschöpft;
die Gelenkigkeit vermindert sich alsobald; die Muskeln und
Flechsen müssen übertrieben angestrengt werden, wenn sie spielen sollen; alles
ist in einer Art von Verwelkung. Diese Trockenheit in den Muskeln, diese Beraubung der Säfte und diese Erschöpfung leiten unvermerkterweise zu den traurigsten
Zufällen. 3) Durch die Unschicklichkeit
und die bösen Gewohnheiten, welche man bey den Uebungen annimmt; durch die
fehlerhaften Positions der Füße,
welche, wenn sie nicht völlig grade gegen die Erde gerichtet sind indem der Körper niederfällt, nachgeben, ausglitschen und unter der Last erliegen, welche sie empfangen. [↔] Die Fußsole ist die wahre Basis, auf welcher unsre ganze Maschine ruht.
Ein Bildhauer würde
Gefahr laufen sein Werk zu verlieren, wenn er solches auf einen runden beweglichenKörper stellte; seine Statue müßte unfehlbar
fallen und zerbrechen. Aus eben dieser Ursache muß sich
der Tänzer aller seiner Zehe, als so vieler Zweige
bedienen, deren Ausbreitung auf dem Boden, indem sie den
Raum seines Ruhepunkts erweitert, seinen Körper in dem nöthigen und richtigen Gleichgewichte befestigt und erhält;
versäumt ers, sie auszustrecken, schlägt er sie nicht
gewissermaaßen in die
Bretter, um sich anzuklammern
und festzuhalten: so hat er eine Menge Zufälle zu befürchten. Denn sonst wird der
Fuß seine natürliche Gestalt verlieren, sich ründen und
beständig vom kleinen nach der Seite des großen Zeh, oder
umgekehrt, wanken; diese Art vom
Rollen, welches die Ründung, die die Spitze des Fußes in dieser
Position annimmt,
veranlasset, widersetzt sich aller Festigkeit; die Knöchel
wackeln und setzen sich aus; und Sie sehen es ein, mein Herr, daß alle Glieder zu der Zeit, wo die Masse von einer
gewissen Höhe fällt und in ihrer Basis keinen sichern
Punkt findet, der sie auffängt
und ihre Richtung bestimmt, von dem Falle und der
Erschütterung leiden müssen; und der Augenblick, wo der
Tänzer eine sichre Position zu finden sucht, und durch die
heftigsten Anstrengungen die
Gefahr zu vermeiden sucht, wird gerade der seyn, worinn er
verunglückt, entweder durch
einen Bein- oder Flechsenbruch, oder durch eine
Verrenkung. Der plötzliche Uebergang von einer Erschlaffung zu einer starken
Spannung, und von einer Beugung zu einer heftigen
Streckung, ist also die Gelegenheit zu einer Menge von Unglücksfällen, die gewiß nicht so häufig seyn würden, wenn man sich, um mich so auszudrücken, in seinem Fall gutwillig finden
wollte, und wenn die
schwachen Partien sich nicht bestrebten, einer Last zu
widerstehen, welche sie weder aufhalten noch zurückwerfen
können; und man kann gegen
die falschen Positions nicht
genug auf seiner Huth seyn, weil ihre Folgen so traurig
sind. [↔] Man kann es nicht unsrer
Unschicklichkeit zurechnen, wenn uns ein unebnes Theater
oder dergleichen zum Fallen bringt; dem Fallen aber, daß durch unsre
Schwachheit und Ermattung, die auf eine zu heftige Arbeit,
und eine erschöpfende Lebensart folgen, verursacht wird, kann man nicht
anders vorbeugen, als wenn man
seine Lebensart ändert, und keine stärkere Sachen in der
Ausführung anbringen will, als es die Kräfte erlauben, die man noch übrig hat. Der Ehrgeitz, den man in das Kabrioliren setzt, ist ein thörigter
Ehrgeitz, und taugt zu nichts. Kommt ein Gauckler aus
Italien an, sofort will das ganze Heer
der Tänzer diesen ausgelaßnen Springer nachahmen; die
Schwächsten sind immer diejenigen, die sichs am
herzlichsten angelegen seyn lassen, es ihm gleich, oder
wohl gar noch zuvor zu thun; man sollte sagen, wenn man die Bockssprünge
unsrer Tänzer ansieht, daß sie
mit einer Krankheit befallen
wären, welche durch hohe Sprünge und ungeheures Beinwerfen
geheilet werden sollte. Mir kommt es vor, mein Herr, als
ob ich den Frosch der Fabel sähe; er
platzt, indem er arbeitet sich aufzublasen, und die Tänzer brechen Arme und Beine, indem sie
dem starken nervigten Italiäner nachahmen
wollen. [↔] Ein gewisser Schriftsteller, dessen Namen ich nicht kenne, hat sich sehr gröblich geirrt, da er in ein Buch, das beständig sowohl der französischenNation als unserm Jahrhunderte Ehre machen
wird, einrücken lassen, daß das Biegen und Anstrecken der
Kniee den Körper hübe. Diese Meynung ist völlig falsch, und Sie werden von der physikalischen Unmöglichkeit der Wirkung dieses widernatürlichen
Systems überzeugt werden,
wenn Sie die Kniee beugen und hernach wieder anziehn. Man
mag nun diese verschiedenen Bewegungen schnell oder langsam, heftig oder gelinde machen: so werden die Füße nicht
von der Erde kommen, dieses Beugen und dieses Anziehen können den Körper nicht heben, wenn die zur
Reaktion wesentlich nöthigen Theile nicht zugleich mitspielen. Klüger wäre
es gewesen, wenn er gesagt hätte, daß die Aktion des Springens von den Theilen des Mittelfußes, von dessen Muskeln, und von dem Spiele der
Fersenflechse abhingen, wenn sie eine Hebung bewirken;
denn man würde durch einen Fußstoß, ohne Beugung, und folglich ohne Schnellung der Kniee, sich ein wenig von der Erde
heben können. [↔] Ein andrer Irrthum wäre auch der, daß ein starker vollgewachsner Mensch sich höher heben muß, als ein Mensch, der schwach und schmächtig ist. Die Erfahrung lehrt uns täglich das Widerspiel. Einer Seits
sehn wir Tänzer, welche ihre Schläge stark coupiren, welche sie mit Festigkeit und
Nachdruck battiren, und sich gleichwohl nicht hoch gradeauf heben können; denn das
schiefe oder zur Seite Heben, muß man wohl davon unterscheiden. Dieses ist, wenn
ich so sagen darf, bloß scheinbar, und kömmt bloß auf
Geschicklichkeit an. Auf der
andern Seite haben wir Männer, welche schwach sind, deren
Ausführung weniger kräftig,
mehr nett und behende, als stark
und nachdrücklich ist, und welche sich gleichwohl sehr
hoch heben. Auf die Gestalt und Bildung des Fußes, auf die
Länge der Fersenflechse und ihre Schnellkraft kommt es also hauptsächlich bey dem Heben des Körpers an; die Kniee, die Hüften und
Arme tragen einhelligerweise das ihrige zu dieser
Verrichtung bey: je stärker der Druck ist, je größer ist die Zurückprallung, und je höher folglich der Sprung.
Die Beugung und Streckung der Kniee haben ihren Einfluß
auf die Bewegungen des
Mittelfußes und der Fersenflechse, welche man als die eigentlichen Schnellfedern zu betrachten hat. Die Muskeln des Rumpfes thun das ihrige
bey dieser Verrichtung, und erhalten den Körper in einer senkrechten Linie,
indessen daß die Arme, welche bey dem gemeinschaftlichen
Bestreben aller Partien unvermerkterweise mitgewirkt haben, gleichsam zu Flügeln und zum Gegengewicht der
Maschine dienen. Bemerken Sie, mein Herr,
alle Thiere, die lange und dünne Fersen haben, die
Hirsche, Ziegen, Schaafe,
Katzen, Affen u. s. w., und Sie werden finden, daß diese
Thiere eine Leichtigkeit im Springen haben, die den
andern, nicht also gebauten Thieren fehlt. [↔] Man kann ziemlich gewöhnlicherweise glauben, daß die Beine die
Schläge des Entrechats zu der
Zeit machen, wenn der Körper niederfällt. Ich gestehe, daß das Auge,
welches keine Zeit zum Untersuchen hat, uns oft
hintergeht, aber die Vernunft und das
Nachdenken enthüllen uns hernach, was die Geschwindigkeit
ihm nicht erlaubt aus einander
zu setzen. Dieser Irrthum entsteht aus der Schnelligkeit,
womit der Körper niederfällt;
wie dem aber auch sey: so wird der Entrechat gemacht, wenn
der Körper zu dem höchsten Grade seiner Hebung gelangt ist; in dem unmerklichen Augenblicke, den er zum
Niederfallen braucht, sind die Füße auf nichts anders
bedacht, als den Stoß und die Erschütterung, die ihnen die Schwere der Masse
zubereitet, aufzufangen. Es ist unumgänglich nöthig, daß sie sich nicht bewegen;
wenn zwischen dem Battiren und dem
Falle kein Zwischenraum wäre, wie sollte der Tänzer niederfallen, und in was für einer Position sollten sich seine Füße befinden? Wenn man die Möglichkeit des Battirens im Niedersenken annimmt: so fällt die
Zwischenzeit, welche zur
Vorbereitung des Niederfallens nöthig ist, weg; nun ist
aber gewiß, daß die Füße, wenn sie die Erde berührten
indem die Beine noch battirten, nicht in der gehörigen
Richtung seyn würden, um den
Körper zu empfangen, daß sie unter der drückenden Last
erliegen würden, und einer Verrenkung oder Aussetzung nicht entgehen
könnten. [↔] Gleichwohl giebt es viele
Tänzer, welche glauben, daß sie den Entrechat im
Niederfallen machen, woraus
nichts weiter folgt, als daß sich viele Tänzer irren und
betrügen. Ich sage nicht, daß es moralisch unmöglich sey,
den Schenkeln durch eine heftige Anstrengung der Hüften eine Bewegung zu ertheilen; aber
man kann eine Bewegung von dieser Art nicht als ein Battiren des Entrechats oder des Tanzens betrachten. Ich habe mich
selbst davon überzeugt, und nur erst nach wiederholten Erfahrungen wag ichs, eine Meynung zu bestreiten, der man längst nicht
mehr zugethan seyn würde, wenn der größte Haufen Tänzer sich auf etwas anders
beflisse, als mit den Augen zu studiren. [↔] Ich bin wirklich, und zwar öfters auf ein Brett gestiegen, das mit beyden Enden auf zwo Tonnen lag; sobald ich den Schlag merkte, den man an das Brett that, um es unter
meinen Füßen wegzubringen, so trieb mich die Furcht, eine Bewegung zu machen, welche mich vor dem Fallen
bewahrte, und mich ein wenig über das Brett in die Höhe
hob, so daß ich statt einer senkrechten Linie eine schiefe beschrieb. Diese Bewegung unterbrach den Fall, und gab meinen Füßen die Freyheit, sich zu regen, weil ich mich über dem Brette gehoben hatte, und weil ein halber Zoll Erhebung, wenn man nur
schnell ist, hinreicht, den Entrechat zu schlagen. [↔] Wenn man aber, ohne daß ichs merkte, das Brett wegschlug oder zerbrach, so fiel ich senkrecht nieder, mein Körper
drückte auf die untern Theile, meine Beine waren
unbeweglich, und meine Füße,
die sich grade nach der Erde lenkten, waren es
gleichfalls, aber in einer gehörigen Position, um die
Masse aufzufangen und zu
unterstützen. Wenn man glauben und behaupten will, der
Körper habe noch Kraft im Fallen, und es sey ihm möglich zum zweytenmale zu
wirken, ohne daß die Füße einen neuen Ruhepunkt finden,
gegen den sie stärker oder
schwächer stossen können, um
sich zu heben, oder den Fall aufzuhalten: so frag ich, warum ein Mensch, der über
einen Graben springt, nicht eben das Vermögen besitzt? Wie
kömmt es, sag ich, daß er in der Luft die Combination, die
er von der Weite, die er durchspringen wollte, und der dazu erforderlichen Kräfte, gemacht hat, nicht ändern kann? Endlich derjenige, der dieses Verhältniß unrichtig berechnet hat, und sich
in Gefahr sieht ins Wasser zu fallen, weil er nicht zwey
Zoll weiter gesprungen, warum kann er nicht die fehlende
Kraft ersetzen, und durch einen
zweyten Ruck seinen Körper vollends über den Graben bringen? [↔] Wenn es unmöglich ist, im gegenwärtigen Falle diesen Ruck zu thun, wie viel unmögli cher muß es denn nicht da
seyn, wo Grazie, Leichtigkeit und Ruhe erfodert
wird! [↔] Jeder Tänzer, der einen
Entrechat schlägt, weiß, wie vielfach er ihn machen wird,
denn die Imagination eilt immer den Beinen
zuvor; man kann ihn nicht
achtfach machen, wenn man sich
nur einen sechsfachenvorgenommen hat; ohne diese
Vorsichtigkeit würde man bey jedem Pas fallen. [↔] Ich behaupte also, daß der Körper in der Luft zum
zweytenmale sich nicht heben kann, wenn die Springfedern
der Maschine einmal ihren Druck zu einem
bestimmten Maaße verrichtet
haben. [↔] Dem Fortgange unsrer Kunst
widersetzen sich noch zwey andre Fehler; erstlich, die Disproportions, welche gemeiniglich in den Pas herrschen, und zweytens, die wenige Festigkeit in
den Hüften. [↔] Die Disproportion in den
Schritten hat ihren Ursprung in der
Nachahmung und in der schlechten Ueberlegung
der Tänzer. Das Entfalten(Deployement) der Beine und die
geöffneten Schritte paßten sich unstreitig für Herrn Dupre; sein geschlanker Wuchs, und die Länge seiner
Gliedmaaßen schickten sich vortreflich zu den weiten und kühnen Schritten seines Tanzes; aber was ihm angemessen war, das kann keine
Tänzer von mittelmäßigem Wuchse kleiden. Die kürzesten Beine zerplagten sich, eben
den Raum zu durchstreichen, und eben die Zirkel zu
beschreiben als die Beine
dieses berühmten Tänzers; dadurch ging die Festigkeit
verloren, die Hüften waren
niemals an ihrem Orte, der Körper wackelte beständig, die Ausführung ward lächerlich; es kam mir vor, als ob Thersites den Achilles nachmachen wollte. [↔] Die Weite und Länge der Gliedmaaßen müssen
die Umrisse und die Entfaltungen bestimmen. Ohne diese Vorsichtigkeit geht das Ganze, die Eintracht, Ruhe und Grazie verloren. Wenn die Partien beständig getrennt und entfernt sind, so werfen sie den
Körper in falsche und widerliche Positions, und der von seinen richtigen Verhältnissen entblößte Tanz wird den Gehüpfle
der Pantins gleichen, deren offne und schleudernde Bewegungen bloß eine
plumpe Caricatur von den
harmoniereichen Bewegungen sind, die man bey guten Tänzern finden muß. [↔] Dieser Fehler, mein Herr, geht unter den
serieusen Tänzern sehr im Schwange, und da diese Gattung
in Paris mehr als an irgend einem andern Orte herrscht: so ist es sehr gewöhnlich, daselbst den Zwerg in
einem lächerlichen
riesenmäßigen Verhältnisse tanzen zu sehen; ich unterstehe
mich sogar zu behaupten, daß diejenigen, welche mit einem
majestätischen Wuchse begabt
sind, zuweilen den Umfang ihrer
Gliedmaaßen und die Leichtigkeit, die sie besitzen, das
Theater abzuschreiten, und ihre Schläge geräumig zu
machen, mißbrauchen; diese
übertriebene Entfaltungen verderben den edlen und ruhigen Charakter,
den der schöne Tanz haben muß, und rauben der Ausführung ihr Markigtes und
Sanftes. [↔] Das Gegentheil von dem, was ich hier
angeführt habe, ist ein nicht weniger unangenehmer Fehler; enge Pas, magre und eingeschrumpfte Schläge, kurz, eine zu schmächtige
Ausführung beleidigt eben sowol den guten Geschmack. Es ist also, ich wiederhole es,
der Wuchs und der Körperbau des Tänzers, welche den Umfang seiner Bewegungen und das Verhältniß bestimmen müssen,
welches seine Pas und Stellungen haben sollen, um richtig und in einer glänzenden Manier gezeichnet zu seyn. [↔] Hätte man auch alle übrigen Eigenschaften,
die zu unsrer Kunst erfodert werden, so wird man doch kein vortreflicher Tänzer seyn, wenn man nicht fest auf den Hüften ist. Diese
Kraft ist ohne Widerrede eine Gabe der Natur; wird sie aber nicht von
einem geschickten Meister ausgebildet, so hört sie auf
nützlich zu seyn. Man sieht täglich starke und kraftvolle Tänzer, welche sich
gleichwohl nicht völlig
senkrecht halten, keine Festigkeit haben, und deren
Ausführung lendenlahm ist. Hingegen findet man andre, welche nicht mit so
viel Stärke gebohren sind, und dennoch, so zu sagen, ziemlich fest auf den Hüften stehen, und im Gürtel und Kreutze sicher und zuverläßig sind. Bey ihnen ist die
Kunst der Natur zu Hülfe gekommen, weil sie das Glück
gehabt, vortrefliche Meister anzutreffen, welche ihnen bewiesen haben, daß es
unmöglich ist, wenn man die Hüften
vernachläßigt, sich in einer graden
perpendikulair Linie zu halten; daß man eine üble
Zeichnung aus sich macht; daß das Wackeln und Schleudern
dieses Theiles der
Festigkeit und dem Senkrechten im Wege stehen; daß solche
einen widrigen Fehler in den
Gürtel bringen; daß der Druck des Körpers den Untertheilen
die nö thige Freyheit nimmt,
sich mit Willigkeit zu bewegen; daß in diesen Umständen
der Körper gleichsam unsicher in seinen Positions ist; daß er oft die Füße mit sich fortreißt; daß er alle Augenblicke den Schwerpunkt verliert, und daß er endlich sein Gleichgewicht nicht anders wieder
findet, als durch solche Anstrengung und Verzerrungen,
welche sich mit den anmuthigen
und harmonischen Bewegungen des Tanzes nicht vertragen können. [↔] Hier
sehen Sie, mein Herr, ein getreues Gemählde von der Execution solcher Tänzer,
welche keine feste Hüften haben, oder wenn sie solche
haben, doch keinen guten Gebrauch davon machen. Um gut zu
tanzen, muß der Körper fest und ruhig seyn, und sich nicht durch die Bewegung der Schenkel bewegen
und erschüttern lassen. Läßt er sich hingegen die Bewegung
der Füße mittheilen, so wird er bey jedem andern Schritte
eine andre Grimasse oder
Verzerrung machen; alsdann wird die Ausführung der Ruhe,
des Ganzen, der Harmonie, der
Genauigkeit, der Festigkeit, des Senkrechten, des Gleichgewichts, kurz, der
Anmuth und Würde beraubt, welches die Eigenschaften sind,
ohne welche der Tanz nicht gefallen kann. [↔] Viele Tänzer, mein Herr, bilden sich ein, daß sie nur die Kniee sehr tief beugen dürfen, um zusammenhängend und markigt zu seyn; sie hintergehen sich aber gewiß, denn die übertriebene Beugung macht den Tanz
trocken; man kann sehr knöchern seyn, und alle Bewegungen holprich genug machen, man mag tief, oder nicht tief beugen. Die Ursache hiervon ist ganz
begreiflich, wenn man nur bedenkt, daß die Schritte und
Bewegungen des Tänzers, den
Noten und Bewegungen der
Musik genau folgen müssen. Dieses
festgesetzt, so bleibt kein Zweifel, daß das Zeitmaaß matt
und schleppend werden und sich verlieren muß, wenn man die
Kniee tiefer beugt, als es die Musik leidet, wonach man
tanzet. Um die Zeit, welche
die langsame und übertriebne
Beugung weggenommen hat, wieder zu gewinnen, und um wieder
in den Takt zu kommen, muß die
Ausdehnung geschwind gemacht
werden, und dieser schnelle und plötzliche Uebergang von der Beugung zur Ausdehnung ist es eben, welcher in die
Execution eine Härte und Trockenheit bringt, die eben so widrig und unangenehm ist, als diejenige, die von der Steifigkeit herrührt. [↔] Das Markigte hängt
gewissermaaßen von der verhältnißmäßigen Beugung der Kniee ab; aber nicht völlig; es wird auch dazu erfodert, daß die Mittelfüße heben, und daß das
Kreutz gleichsam der Maschine zum Gegengewichte diene, damit das Aufund Niederdrucken willig und sanft geschehe.
Eben diese seltne Harmonie in allen Bewegungen hat
Veranlassung gegeben, daß man den berühmten Düpre den Gott der Tanzkunst
genannt hat; in der That
hatte dieser vortrefliche Tänzer
ein übermenschliches Ansehn. Das Biegsame, das Markigte und Sanfte, welches durch alle seine
Bewegungen herrschte, das genauste Einverständniß, welches man in dem Spiele
seiner Gelenke antraf, stellten ein vortrefliches Ganzes vor; eine Einheit, welche aus dem schönen Körperbau,
dem richtigen Verhältniß und der wohlgeordneten Lage der Partien
entspringt, welche viel weniger vom Fleisse und der
Ueberlegung, als von der Natur
selbst abhängt, und die man also ohne deren Hülfe nicht
erlangen kann. [↔] Wenn
die Tänzer, selbst die mittelmäßigsten, eine Menge Pas inne haben, (freylich
schlecht an einander geflickt, und da die we nigsten wissen, wie sie
zusammen kommen) so ist es nicht so gemein, bey ihnen die
seltne aber angebohrne Gabe, welche der Tanz nothwendig erfodert, ein feines
Gehör, zu finden, welches den Pas Geist und
Verstand giebt, und über die Bewegungen ein Salz verbreitet,
das sie beseelt und belebt. [↔] Es giebt
verdorbne Ohren, welche gegen die einfachsten und
fühlbarsten Tackarten<Tacktarten>
stumpf sind; man findet andre, die nicht so hart sind,
welche den Tackt empfinden, seine Feinheiten aber nicht
fassen können; endlich so giebt es auch welche, die von
Natur und ohne
Aengstlichkeit auch die unmerklichsten Bewegungen der Melodie auffassen. MademoiselleCamargo und Herr Lany besaßen dieses köstliche Gefühl und diese besondre Genanigkeit, welche dem Tanze einen
Geist, ein Leben und eine Munterkeit
verleihen, welche man bey solchen Tänzern, die kein so
reitzbares und feines Ohr
haben, nicht antrift; es ist indessen gewiß, daß die Art
und Weise, die Bewegungen aufzunehmen, zu der Geschwindigkeit beytragen, und dadurch
gewissermaassen die
Empfindlichkeit des Ohrs vermehren, ich
will so viel sagen, daß ein Tänzer einen sehr richtigen
Tackt haben, und ihn doch den Zuschauer nicht fühlbar machen kann, wenn er nicht die Kunst besitzt, sich der Sennen mit Leichtigkeit zu bedienen, welche den Mittelfuß bewegen; die Unbehendigkeit
widerstrebt der Richtigkeit, und ein Pas, der sich würde
ausgenommen, und eine ausserordentlich gute Wirkung gethan haben, wenn er richtig und mit Ausgange des Tackts angehoben worden, fällt matt
und frostig aus, wenn alle Partien auf einmal wirken. Es
erfodert mehr Zeit, eine ganze Maschine zu
bewegen, als einige ihrer Theile; das Beugen und Anziehn
des Mittelfußes geschieht schneller und plötzlicher, als das Beugen und Anziehn aller Gelenke
auf einmal. Diesen Grundsatz angenommen, so fehlt
demjenigen die Präcision, der zwar Gehör hat, aber seinen
Schritt nicht mit Schnelligkeit anzuheben weiß. Die
Schnellkraft des
Mittelfußes, und das mehr oder weniger thätige Spiel der
Springfedern, vermehren die
Empfindlichkeit der Ohren und geben dem Tanze Werth und
Schimmer; dieses Wohlgefallen, welches die Eintracht der
Bewegungen des Tänzers mit
den Bewegungen der Musik erweckt, ergreift selbst diejenigen, welche das stumpfeste Gehör haben, und der Eindrücke der Musik am wenigsten fähig sind. [↔] Es giebt Länder, wo die Einwohner überhaupt mit diesem musikalischen
Gehöre gebohren werden, welches
in Frankreich etwas seltnes seyn würde, wenn wir nicht die Provence, den
Langedoc und den Elsas mit dazu rechneten. [↔] Die Pfalz, Schwaben,
Sachsen, Brandenburg,
Oesterreich und Böhmen geben den Orchestern der deutschen
Fürsten eine Menge vortreflicher Instrumentisten, und
großer Componisten. Die Deutschen haben von
Natur eine
lebhafte Neigung zur Musik, der Keim der
Harmonie liegt in ihrer Seele, und es ist gar nichts ungewöhnliches, in den Gassen und Werkstellen der
Handwerker vollstimmige Lieder
singen zu hören. Ein jeder singt seine Partie und hält
richtig Tackt; diese, von der Natur gelehrte, und von den
gemeinsten Leuten aufgeführte Concerte, haben eine Einheit,
die wir Mühe haben unsern französischen Musicis, Trotz dem Stabe
und den Haspeleyen des Tacktführers, beyzubringen. Dieses Instrument, oder vielmehr diese Art von Prügel, verräth die Schule und erhält das Andenken
der Schwäche und Kindheit, worinn vor
sechszig Jahren unsre französische Musik schmachtete.
Fremde, welche gewohnt sind, solche Orchestre zu hören, die zahlreicher und mit mehrerley
Instrumenten besetzt sind, auch viele gelehrtere und
schwerere Musiken ausführen, als
die unsrigen, können sich an diesen Stock, an diesen
Zepter der Unwissenheit nicht
gewöhnen, welcher erfunden ward, die hervorkeimende Kunst
zu lenken; diese Kinderklapper für die Musik in der Wiegen, sollte in den
Jünglingsjahren dieser Kunst abgeschaft seyn. Das
Orchester der Opera ist unstreitig der Mittelpunkt und Sammelplatz der geschickten Instrumentisten; heut zu Tage ist es nicht mehr nöthig, ihnen zuzurufen: Die Herren geben Acht, es kommen zwey Kreutze vor! Ich glaube
also, mein Herr, daß dieses Instrument, das in der Zeit der Unwissenheit seinen Nutzen hatte, nunmehr, da die schönen Künste sich der Vollkommenheit nähern, überflüßig, wo
nicht beleidigend ist. Sein widriges mißhelliges Getöse, wenn der Musikdirektor in Hitze geräth und das Pult zerklopft,
zerstreut das Ohr des Zuschauers>, stört die
Harmonie, übertäubt den Gesang der Arien, und hindert allem Eindrucke. [↔] Der natürliche und angebohrne
Geschmack an der Musik, führt den Geschmack am Tan zen mit sich. Diese
beyden Künste sind Schwestern; die zärtlichen und
harmonischen Töne der einen, erwecken die angenehmen und
ausdrucksvollen Bewegungen
der andern; ihre vereinigten
Kräfte stellen den Augen und Ohren die beseelten Gemählde
der Empfindung vor.
Diese Sinne bringen die interessanten Bilder, wovon sie gerührt worden, zum
Herzen; das Herz theilt solche der Seele mit, und das Vergnügen, welches aus der
Harmonie und dem Einverständnisse dieser beyden Künste
entspringt, reißt den Zuschauer hin, und läßt ihn die
reinste Wollustempfinden. [↔] Der Tanz ist in den deutschen Provinzen bis ins Unendliche verschieden. Die Tanzart, welche in einem Dorfe
herrscht, ist in dem benachbarten fast unbekannt. Selbst
ihre Tanzmelodien haben verschiedne Charaktere und Bewegungen, ob sie gleich alle munter sind.
Ihr Tanzen hat was reitzendes,
weil es ein bloßes Werk der Natur ist. Ihre Bewegungen athmen Freude und Vergnügen, und die Genauigkeit, womit sie Tackt halten, giebt ihren Stellungen, Schritten und Gebehrden eine besondre
Anmuth.
Komm[***]t es aufs Springen an?
so können Sie bey hundert Personen um eine Eiche oder einen Pfeiler finden, welche in eben demselben Augenblicke ihren Satz nehmen, sich mit
Richtigkeit in die Höhe
heben, und mit derselben Genauigkeit wieder niederfallen.
Sollen gewisse Tacktnoten mit
dem Fuße angezeigt werden? so
sind alle einig und schlagen sie zugleich. Heben sie ihre Tänzerinnen, so sieht man
solche alle zu gleicher Zeit in einerley Höhe, und sie lassen solche nicht ehe, als bey
der markirten Note wieder nieder. [↔] Der Conttapunkt<Contrapunkt>
,
welcher unstreitig der
Probierstein des feinsten Gehörs ist, hat für sie nicht
die geringste Schwierigkeit; daher ist auch ihr Tanzen so
lebhaft, und verbreitet die Feinheit ihrer Ohren, über
ihre Art sich zu bewegen, eine Munterkeit und Abwechselung, die man in unsern
französischen Contretänzen nicht
antrift. [↔] Ein Tänzer ohne musikalisches
Gehör ist das Bild eines Wahnwitzigen, der unaufhörlich schwatzt, welcher aufs
Gerathewohl spricht, keinen Zusammenhang in seiner Rede
beobachtet, und dessen Worte keinen Sinn und Verstand haben. Die Sprache dient ihm zu nichts, als vernünftige Leute von seinen Unsinn und Wahnwitz zu
überzeugen. Der Tänzer ohne Gehör, macht, wie der
Wahnwitzige, Schritte ohne Zusammenhang, weiß nicht, was
er mit seiner Ausführung sagen will, und lauft hinter dem
Tackte her, den er doch niemals erhascht. Er fühlt nichts, alles ist bey ihm falsch, sein Tanzen hat weder Sinn noch Ausdruck, und die Musik, welche seine Bewegungen
lenken, seine Schritte und Sprünge bestimmen und vorschreiben sollte, dient zu nichts als seine Mängel und Fehler zu entdecken. [↔] Man kann, wie ich Ihnen schon gesagt habe, dadurch, daß man die Musik studirt, diesem Fehler abhelfen, und dem Ohre mehr Empfindlichkeit und Richtigkeit verschaffen. [↔] Ich werde Ihnen, mein Herr, keine weitläuftige Beschreibung von allen
Verflechtungen der Schritte
machen, die in der Tanzkunst gebräuchlich sind; ich wüßte
nicht, wo ich aufhören sollte; überdem ist es auch unnütz,
mich über das Mechanische meiner Kunst einzulassen; dieser Theil ist zu
einem so hohen Grade der Vollkommenheit getrieben, daß es
lächerlich seyn würde, wenn ich den Künstlern neue Vorschriften geben
wollte. Eine solche Abhandlung müßte unfehlbar frostig ausfallen, und Ihnen Mißvergnügen er wecken. Die
Sprache der Schenkel und Füße ist für die
Augen und nicht für die Ohren. [↔] Ich begnüge mich also, zu sagen, daß es
unzählige Arten dieser Zusammensetzung giebt, und daß
jeder Tänzer seine besondre Manier hat, seine Schritte zu
verbinden und zu verändern. Mit
dem Tanzen ist es wie mit der Musik, und mit den Tänzern
wie mit den Komponisten; unsre Kunst ist nicht reicher an
Grundschriften, als die Musik an Grundnoten; wir haben aber Octaven,
ganze und halbe Schläge, Viertel, Achtel, Sechszehntel und Zwey und dreyßigtel,
Tackte und Rithmuß zu beobachten; die Vermischung einer kleinen Anzahl Schritte
und Noten, giebt eine Menge Verflechtungen und Wendungen;
Geschmack und Genie finden immer
eine Quelle, woraus sie was
Neues schöpfen, indem sie diese wenige Noten und Pas auf
tausenderley verschiedne
Arten verkehren und wenden. Es sind also diese langsamen,
anhaltenden, diese geschwinden, schnellen, und diese
weitern oder engern
Schritte, welche diese unendliche Abwechselung hervorbringen. Ich bin u. s. w.
Zwölfter Brief.
[↔] Um gut zu tanzen, mein Herr, ist nichts so nothwendig, als mit den Schenkeln
auswärts zu gehn, und dem Menschen ist nichts natürlicher,
als die entgegen gesetzte Lage. Wir werden damit gebohren.
Es wäre unnütz, wenn ich, um Sie von dieser Wahrheit zu überzeugen, die Morgenländer, die Afrikaner und alle Völker, welche tanzen, oder
vielmehr, welche ohne Regeln hüpfen und
springen, zum Beyspiele anführen wollte. Ohne so weit zu
reisen, bitte ich Sie, die Kinder und die Leute auf dem
Lande zu betrachten, so werden
Sie finden, daß alle die Füße einwärts haben; die entgegen gesetzte Richtung ist also eine bloße eingeführte Mode, und ein nicht schwankender Beweiß, daß
dieser Fehler nur in der Einbildung
liegt, ist, daß ein Mahler eben so sehr gegen
die Natur, als gegen die
Regeln seiner Kunst verstoßen würde, wenn er seinen
Figuren die Füße so stellete, wie sie ein Tänzer stellen
muß. Sie sehn also, mein Herr, daß, um zierlich zu tanzen, um sich nicht bäurisch zu tragen, um mit Anstand zu gehen, man geradezu die Ordnung der Dinge
umkehren, und durch eine lange und mühsame Uebung die
Gliedmaaßen zwingen muß, eine ganz andere Lage anzunehmen, als sie ursprünglich
empfangen haben. [↔] Diese, in unserer Kunst unumgänglich nöthige Verwandlung, kann man
nicht anders bewirken, als wenn man schon in der Kindheit dabey anfängt; das ist
die einzige Zeit, worinn es glücken kann, weil alsdann die
Partien geschmeidig sind, und sich leicht in alle die Richtungen biegen, die man ihnen geben will. [↔] Ein verständiger
Gärtner wird sichs gewiß nicht einfallen lassen, einen
alten rund ausgewachsenen Baum,
zu einer flachen Wand ziehn zu wollen; seine zu harten Zweige würden nicht gehorchen, und eher
brechen, als dem Zwange nachgeben, den man ihnen anthun wollte. Laß ihn aber ein
junges Bäumchen nehmen, so wird
er ihm die Gestalt ertheilen
können, die es ihm beliebt; seine zarten Zweige werden sich schmiegen und biegen, wie
ers haben will; die Zeit, welche die Aeste stärkt, wird
auch die Richtung stärken, welche ihnen die Hand des Meisters gegeben, und alle
werden beständig fortwachsen, wie es ihnen die Kunst
angewiesen hat. [↔] Sie sehen, mein Herr,
daß hierdurch die Natur verwandelt wird; wenn aber das Ding einmal geschehen ist: so stehts nicht mehr bey derKunst, ein zweytes Wunderwerk zu thun, und dem Baume
seine erste Gestalt wieder zu geben. Nur so lange die Natur schwach ist, erträgt sie eine Veränderung in gewissen Partien;
hat sie erst durch die Zeit eine gewisse Festigkeit
erlangt: so widerstrebt sie mit
der außersten Ungelehrigkeit. [↔] Hieraus
folgt der Schluß, daß die Aeltern die ersten Lehrmeister
ihrer Kinder sind, oder doch seyn sollten.
Wie viel Fehlerhaftes finden wir
nicht an ihnen, wenn man uns solche anvertrauet! Die
Schuld, wird man sagen, liegt an den Ammen. Eitle, thörigte Ausflüchte, welche die Nachläßigkeit der Väter
und Mütter gar nicht rechtfertigen, sondern vielmehr verdammen. Angenommen, daß die
Kinder durchs Wickeln verderbt sind, so ist das noch ein
Grund mehr, ihre Aufmerksamkeit
zu reitzen, weil doch sicher zwey oder drey Jahr
Nachläßigkeit der Ammen nicht so viel verderben, als acht
oder neun Jahre Sorgfalt von ihrer Seite wieder gut machen
könnten. [↔] Aber
wieder zu unserer Materie einzulenken. Ein Tänzer, der einwärts geht, ist ein ungeschickter, unangenehmer Tänzer.
Die entgegen gesetzte Stellung giebt Leichtigkeit und Glanz, sie verbreitet Anmuth über
die Pas, Ausspreitungen, Positions und Stellungen. [↔] Es hält schwer, die auswärts gerichtete
Lage zu erhalten, weil man oft die wahren Mittel nicht weiß, die man anwenden muß.
Die meisten jungen Leute, die sich dem Tanzen widmen, glauben, sie werden sich schon
richten, wenn sie sich nur zwingen, die Füße auswärts zu setzen. Ich weiß, daß dieses Glied, durch seine Geschmeidigkeit und die Biegsamkeit des Fußgelenkes, diese Richtung annehmen kann, aber diese Methode ist um
desto mehr falsch, weil sie die Knöchel aussetzt, und auf die Kniee und Oberschenkel
keine Wirkung thut. [↔] Auch ist es unmöglich, die erste dieser Partienauswärts zu bringen, wenn die letztern nicht dazu helfen. Die Kniee haben eigentlich nur zweyerley Bewegungen: das Biegen und Strecken. Das eine bestimmet das
Bein rückwärts, das andere vorwärts, sie können sich aber von selbst nicht nach auswärts richten,
und alles kömmt hauptsächlich
auf die Hüftbeine an, weil diese unumschränkte Gewalt auf die Unterntheile haben.
Diese führen sie folglich zu den halbzirkelförmigen Bewegungen, womit sie begabt sind, und nach was für Richtung sie sich bewegen mögen, sind Kniee, Bein und Fuß gezwungen, ihnen zu folgen. [↔] Ich will Ihnen hier nichts von einer Maschine sagen, die man
Hüftenmeister(tourne hauche) nennt; sie ist so
schlecht ausgedacht und eingerichtet, daß sie, statt gute
Dienste zu thun, vielmehr denjenigen, der sich ihrer bedient, nur noch mehr verkrippelt, indem sie den Hüften einen weit unangenehmern Fehler eindrückt, als der ist, dem sie abhelfen
soll. [↔] Die einfachsten und natürlichsten Mittel sind allemal diejenigen, welche die gesunde Vernunft wählen muß, sobald sie ihrem Zwecke
gemäß sind. Um sich also auswärts zu gewöhnen, bedarf es weiter
nichts, als eine mäßige aber unabläßige Uebung. Das einzige, was man vorzüglich zu wählen hat, sind die Zirkel oder Wirbel mit den Beinen, inwärts oder auswärts, und daß man weitläuftig battirt, wobey man sich
gestreckt hält, und die Bewegung der Schläge in den Hüften beginnen läßt. Dieses giebt unvermerkterweise den Gliedern freyes
Spiel, Hebung und Biegsamkeit,
statt daß der Kasten nur zu solchen Bewegungen treibt, welche mehr Zwang als die
Freyheit verrathen, aus welcher sie entspringen
sollten. [↔] Wird ein Instrumentspieler
wohl jemals dahin kommen, lebhafte Passagien zu machen, und einen runden Triller
zu schlagen, wenn man ihm die Finger zwänget? gewiß nicht; der ungezwungenste Gebrauch der
Hand und der Gelenke allein, kann ihm diese zierliche
Ründe und schimmernde Leichtigkeit erwerben, welche die
Seele der Ausführung sind.
Wie sollte es denn einem Tänzer möglich seyn, alle diese Vollkommenheit
zu ha ben, wenn er sein halbes
Leben in Zwang und Fesseln hinbringt? Ich bestehe also
darauf, mein Herr, der Gebrauch dieser
Maschine ist schädlich. Gewaltthätigerweise
verbessert man keine angeborne Fehler; das ist ein Werk
der Zeit, der Uebung und des Fleisses. [↔] Es giebt auch noch Leute, welche zu spät, und zu der Zeit zu tanzen anfangen, wo man schon darauf denken sollte, aufzuhören. Es ist
handgreiflich, daß bey diesen Umständen die
Maschinen eben so wenig fruchten als Bemühungen; ich habe Menschen gekannt, die sich quälten und peinigten, und denen es desto schmerzhafter wurde, weil sich ihr ganzer Körper bereits gesetzt
hatte, und ihnen also die Geschmeidigkeit fehlte, die sich
mit der Jugend verliert. Ein
fünf und dreyßigjähriger Fehler ist ein alter Fehler; die
Zeit, da man ihn auslöschen oder verstecken konnte, ist
vorbey. [↔] Es giebt eine Menge andrer, die aus der Gewohnheit entstehn. Alle Kinder seh ich gewissermaaßen beschäftigt, ihre Bildung zu
verderben und zu verunstalten. Die einen gewöhnen sich an, immer auf einem Beine zu stehn und mit dem andern zu spielen, und es immer in
eine unnatürliche und unangenehme Lage zu bringen, die ihnen aber nicht sauer wird, weil die Schwäche ihrer Flechsen und Muskeln jeder Stellung und Bewegungnachgiebt, und dadurch verrücken
sie sich die Knöchel. Die andern
geben durch Stellungen, die sie sich statt der natürlichen
angewöhnen, ihren Knieen eine falsche Lage. Dieses verschiebt sich ein
Schulterbein, weil es sich immer
schief hält und beständig die eine Schulter hervorsteckt;
jenes, das alle Augenblick eine entgegengesetzte Lage und
Bewegung wiederholt, drängt
seinen Körper ganz nach einer Seite, und
bekömmt dadurch eine Hüfte, die höher ist als die
andre. [↔] Ich käme niemals zu Ende, wenn
ich Ihnen alle die schädlichen
Folgen, die aus einem schlechten Tragen des Körpers
entstehn, erzählen wollte. Alle
diese Mängel, die so demüthigend für diejenigen sind, die
sich solche angewöhnt haben,
können nicht mehr weggeschaft
werden, wenn sie einmal eingewurzelt sind. Die Gewohnheiten, welche in der Kindheit keimen, schiessen mit der Jugend
auf, bewurzeln sich in den männlichen Jahren und lassen
sich im Alter nicht ausrotten. [↔] Die
Tänzer, mein Herr, sollten die Diät der Athleten halten,
und eben die Fürsicht brauchen, deren sich diese bedienten, wenn sie zum Kampfplatze gingen; diese Behutsamkeit würde sie vor den Zufällen
bewahren, denen sie täglich bloß gestellt sind; Zufälle,
die nicht von älterm Dato sind als die Kabriolen, die sich aber in eben dem
Maaße gehäuft haben, wie man die Natur hat übertreiben, und zu solchen
Verrichtungen zwingen wollen, die die meiste Zeit über
ihre Kräfte gehn. Wenn unsre Kunst, neben den
Eigenschaften des Geistes, auch noch Stärke
und Behendigkeit des
Körpers heischt, was für Sorgfalt sollten wir denn nicht anwenden, um uns
eine dauerhafte Gesundheit zu verschaffen. Einer kann kein guter Tänzer seyn, der nicht mäßig lebt. Würden die engländischenRenner wohl
so leicht und schnell auf den Füßen seyn, weswegen man
solche allen andern Pferden
vorzieht, wenn sie nicht so sorgfältig gewartet würden? Ihr Futter wird ihnen genau zugewogen, sie bekommen
nicht mehr zu saufen, als ihr richtiges Maaß; die Zeit
ihrer Arbeit und ihrer Ruhe
ist bestimmt. Da diese Behutsamkeit bey starken Thieren
eine so gute Wirkung thut, wie vielmehr Einfluß müßte denn nicht ein mäßiges Leben auf Geschöpfe haben, welche von Natur
schwach sind, durch ihren Stand und Glücksumstände aber zu einer so heftigen und schweren Arbeit gerufen werden, die die stärkste und
dauerhafteste Leibesbeschaffenheit erfodert. [↔] Der Beinbruch, das Zerreissen der Fersenflechse, das Verrenken des
Fußes oder irgend eines andern Gliedes, wird dem Tänzer
gemeiniglich durch dreyerley
verursacht: 1) Durch ein unebnes Theater; durch eine
schlecht befestigte Fallthüre,
oder durch Unschlitt und dergleichen Dinge, welche ihn zum
Fallen bringen, wenn sie ihm unter die Füße kommen. 2) Durch eine zu unmäßige,
zu gewaltsame Uebung, welche,
wenn sie zu einer andern Art Ausschweifung hinzu kömmt,
den Körper schwächt und seine Theile erschöpft;
die Gelenkigkeit vermindert sich alsobald; die Muskeln und
Flechsen müssen übertrieben angestrengt werden, wenn sie spielen sollen; alles
ist in einer Art von Verwelkung. Diese Trockenheit in den Muskeln, diese Beraubung der Säfte und diese Erschöpfung leiten unvermerkterweise zu den traurigsten
Zufällen. 3) Durch die Unschicklichkeit
und die bösen Gewohnheiten, welche man bey den Uebungen annimmt; durch die
fehlerhaften Positions der Füße,
welche, wenn sie nicht völlig grade gegen die Erde gerichtet sind indem der Körper niederfällt, nachgeben, ausglitschen und unter der Last erliegen, welche sie empfangen. [↔] Die Fußsole ist die wahre Basis, auf welcher unsre ganze Maschine ruht.
Ein Bildhauer würde
Gefahr laufen sein Werk zu verlieren, wenn er solches auf einen runden beweglichenKörper stellte; seine Statue müßte unfehlbar
fallen und zerbrechen. Aus eben dieser Ursache muß sich
der Tänzer aller seiner Zehe, als so vieler Zweige
bedienen, deren Ausbreitung auf dem Boden, indem sie den
Raum seines Ruhepunkts erweitert, seinen Körper in dem nöthigen und richtigen Gleichgewichte befestigt und erhält;
versäumt ers, sie auszustrecken, schlägt er sie nicht
gewissermaaßen in die
Bretter, um sich anzuklammern
und festzuhalten: so hat er eine Menge Zufälle zu befürchten. Denn sonst wird der
Fuß seine natürliche Gestalt verlieren, sich ründen und
beständig vom kleinen nach der Seite des großen Zeh, oder
umgekehrt, wanken; diese Art vom
Rollen, welches die Ründung, die die Spitze des Fußes in dieser
Position annimmt,
veranlasset, widersetzt sich aller Festigkeit; die Knöchel
wackeln und setzen sich aus; und Sie sehen es ein, mein Herr, daß alle Glieder zu der Zeit, wo die Masse von einer
gewissen Höhe fällt und in ihrer Basis keinen sichern
Punkt findet, der sie auffängt
und ihre Richtung bestimmt, von dem Falle und der
Erschütterung leiden müssen; und der Augenblick, wo der
Tänzer eine sichre Position zu finden sucht, und durch die
heftigsten Anstrengungen die
Gefahr zu vermeiden sucht, wird gerade der seyn, worinn er
verunglückt, entweder durch
einen Bein- oder Flechsenbruch, oder durch eine
Verrenkung. Der plötzliche Uebergang von einer Erschlaffung zu einer starken
Spannung, und von einer Beugung zu einer heftigen
Streckung, ist also die Gelegenheit zu einer Menge von Unglücksfällen, die gewiß nicht so häufig seyn würden, wenn man sich, um mich so auszudrücken, in seinem Fall gutwillig finden
wollte, und wenn die
schwachen Partien sich nicht bestrebten, einer Last zu
widerstehen, welche sie weder aufhalten noch zurückwerfen
können; und man kann gegen
die falschen Positions nicht
genug auf seiner Huth seyn, weil ihre Folgen so traurig
sind. [↔] Man kann es nicht unsrer
Unschicklichkeit zurechnen, wenn uns ein unebnes Theater
oder dergleichen zum Fallen bringt; dem Fallen aber, daß durch unsre
Schwachheit und Ermattung, die auf eine zu heftige Arbeit,
und eine erschöpfende Lebensart folgen, verursacht wird, kann man nicht
anders vorbeugen, als wenn man
seine Lebensart ändert, und keine stärkere Sachen in der
Ausführung anbringen will, als es die Kräfte erlauben, die man noch übrig hat. Der Ehrgeitz, den man in das Kabrioliren setzt, ist ein thörigter
Ehrgeitz, und taugt zu nichts. Kommt ein Gauckler aus
Italien an, sofort will das ganze Heer
der Tänzer diesen ausgelaßnen Springer nachahmen; die
Schwächsten sind immer diejenigen, die sichs am
herzlichsten angelegen seyn lassen, es ihm gleich, oder
wohl gar noch zuvor zu thun; man sollte sagen, wenn man die Bockssprünge
unsrer Tänzer ansieht, daß sie
mit einer Krankheit befallen
wären, welche durch hohe Sprünge und ungeheures Beinwerfen
geheilet werden sollte. Mir kommt es vor, mein Herr, als
ob ich den Frosch der Fabel sähe; er
platzt, indem er arbeitet sich aufzublasen, und die Tänzer brechen Arme und Beine, indem sie
dem starken nervigten Italiäner nachahmen
wollen. [↔] Ein gewisser Schriftsteller, dessen Namen ich nicht kenne, hat sich sehr gröblich geirrt, da er in ein Buch, das beständig sowohl der französischenNation als unserm Jahrhunderte Ehre machen
wird, einrücken lassen, daß das Biegen und Anstrecken der
Kniee den Körper hübe. Diese Meynung ist völlig falsch, und Sie werden von der physikalischen Unmöglichkeit der Wirkung dieses widernatürlichen
Systems überzeugt werden,
wenn Sie die Kniee beugen und hernach wieder anziehn. Man
mag nun diese verschiedenen Bewegungen schnell oder langsam, heftig oder gelinde machen: so werden die Füße nicht
von der Erde kommen, dieses Beugen und dieses Anziehen können den Körper nicht heben, wenn die zur
Reaktion wesentlich nöthigen Theile nicht zugleich mitspielen. Klüger wäre
es gewesen, wenn er gesagt hätte, daß die Aktion des Springens von den Theilen des Mittelfußes, von dessen Muskeln, und von dem Spiele der
Fersenflechse abhingen, wenn sie eine Hebung bewirken;
denn man würde durch einen Fußstoß, ohne Beugung, und folglich ohne Schnellung der Kniee, sich ein wenig von der Erde
heben können. [↔] Ein andrer Irrthum wäre auch der, daß ein starker vollgewachsner Mensch sich höher heben muß, als ein Mensch, der schwach und schmächtig ist. Die Erfahrung lehrt uns täglich das Widerspiel. Einer Seits
sehn wir Tänzer, welche ihre Schläge stark coupiren, welche sie mit Festigkeit und
Nachdruck battiren, und sich gleichwohl nicht hoch gradeauf heben können; denn das
schiefe oder zur Seite Heben, muß man wohl davon unterscheiden. Dieses ist, wenn
ich so sagen darf, bloß scheinbar, und kömmt bloß auf
Geschicklichkeit an. Auf der
andern Seite haben wir Männer, welche schwach sind, deren
Ausführung weniger kräftig,
mehr nett und behende, als stark
und nachdrücklich ist, und welche sich gleichwohl sehr
hoch heben. Auf die Gestalt und Bildung des Fußes, auf die
Länge der Fersenflechse und ihre Schnellkraft kommt es also hauptsächlich bey dem Heben des Körpers an; die Kniee, die Hüften und
Arme tragen einhelligerweise das ihrige zu dieser
Verrichtung bey: je stärker der Druck ist, je größer ist die Zurückprallung, und je höher folglich der Sprung.
Die Beugung und Streckung der Kniee haben ihren Einfluß
auf die Bewegungen des
Mittelfußes und der Fersenflechse, welche man als die eigentlichen Schnellfedern zu betrachten hat. Die Muskeln des Rumpfes thun das ihrige
bey dieser Verrichtung, und erhalten den Körper in einer senkrechten Linie,
indessen daß die Arme, welche bey dem gemeinschaftlichen
Bestreben aller Partien unvermerkterweise mitgewirkt haben, gleichsam zu Flügeln und zum Gegengewicht der
Maschine dienen. Bemerken Sie, mein Herr,
alle Thiere, die lange und dünne Fersen haben, die
Hirsche, Ziegen, Schaafe,
Katzen, Affen u. s. w., und Sie werden finden, daß diese
Thiere eine Leichtigkeit im Springen haben, die den
andern, nicht also gebauten Thieren fehlt. [↔] Man kann ziemlich gewöhnlicherweise glauben, daß die Beine die
Schläge des Entrechats zu der
Zeit machen, wenn der Körper niederfällt. Ich gestehe, daß das Auge,
welches keine Zeit zum Untersuchen hat, uns oft
hintergeht, aber die Vernunft und das
Nachdenken enthüllen uns hernach, was die Geschwindigkeit
ihm nicht erlaubt aus einander
zu setzen. Dieser Irrthum entsteht aus der Schnelligkeit,
womit der Körper niederfällt;
wie dem aber auch sey: so wird der Entrechat gemacht, wenn
der Körper zu dem höchsten Grade seiner Hebung gelangt ist; in dem unmerklichen Augenblicke, den er zum
Niederfallen braucht, sind die Füße auf nichts anders
bedacht, als den Stoß und die Erschütterung, die ihnen die Schwere der Masse
zubereitet, aufzufangen. Es ist unumgänglich nöthig, daß sie sich nicht bewegen;
wenn zwischen dem Battiren und dem
Falle kein Zwischenraum wäre, wie sollte der Tänzer niederfallen, und in was für einer Position sollten sich seine Füße befinden? Wenn man die Möglichkeit des Battirens im Niedersenken annimmt: so fällt die
Zwischenzeit, welche zur
Vorbereitung des Niederfallens nöthig ist, weg; nun ist
aber gewiß, daß die Füße, wenn sie die Erde berührten
indem die Beine noch battirten, nicht in der gehörigen
Richtung seyn würden, um den
Körper zu empfangen, daß sie unter der drückenden Last
erliegen würden, und einer Verrenkung oder Aussetzung nicht entgehen
könnten. [↔] Gleichwohl giebt es viele
Tänzer, welche glauben, daß sie den Entrechat im
Niederfallen machen, woraus
nichts weiter folgt, als daß sich viele Tänzer irren und
betrügen. Ich sage nicht, daß es moralisch unmöglich sey,
den Schenkeln durch eine heftige Anstrengung der Hüften eine Bewegung zu ertheilen; aber
man kann eine Bewegung von dieser Art nicht als ein Battiren des Entrechats oder des Tanzens betrachten. Ich habe mich
selbst davon überzeugt, und nur erst nach wiederholten Erfahrungen wag ichs, eine Meynung zu bestreiten, der man längst nicht
mehr zugethan seyn würde, wenn der größte Haufen Tänzer sich auf etwas anders
beflisse, als mit den Augen zu studiren. [↔] Ich bin wirklich, und zwar öfters auf ein Brett gestiegen, das mit beyden Enden auf zwo Tonnen lag; sobald ich den Schlag merkte, den man an das Brett that, um es unter
meinen Füßen wegzubringen, so trieb mich die Furcht, eine Bewegung zu machen, welche mich vor dem Fallen
bewahrte, und mich ein wenig über das Brett in die Höhe
hob, so daß ich statt einer senkrechten Linie eine schiefe beschrieb. Diese Bewegung unterbrach den Fall, und gab meinen Füßen die Freyheit, sich zu regen, weil ich mich über dem Brette gehoben hatte, und weil ein halber Zoll Erhebung, wenn man nur
schnell ist, hinreicht, den Entrechat zu schlagen. [↔] Wenn man aber, ohne daß ichs merkte, das Brett wegschlug oder zerbrach, so fiel ich senkrecht nieder, mein Körper
drückte auf die untern Theile, meine Beine waren
unbeweglich, und meine Füße,
die sich grade nach der Erde lenkten, waren es
gleichfalls, aber in einer gehörigen Position, um die
Masse aufzufangen und zu
unterstützen. Wenn man glauben und behaupten will, der
Körper habe noch Kraft im Fallen, und es sey ihm möglich zum zweytenmale zu
wirken, ohne daß die Füße einen neuen Ruhepunkt finden,
gegen den sie stärker oder
schwächer stossen können, um
sich zu heben, oder den Fall aufzuhalten: so frag ich, warum ein Mensch, der über
einen Graben springt, nicht eben das Vermögen besitzt? Wie
kömmt es, sag ich, daß er in der Luft die Combination, die
er von der Weite, die er durchspringen wollte, und der dazu erforderlichen Kräfte, gemacht hat, nicht ändern kann? Endlich derjenige, der dieses Verhältniß unrichtig berechnet hat, und sich
in Gefahr sieht ins Wasser zu fallen, weil er nicht zwey
Zoll weiter gesprungen, warum kann er nicht die fehlende
Kraft ersetzen, und durch einen
zweyten Ruck seinen Körper vollends über den Graben bringen? [↔] Wenn es unmöglich ist, im gegenwärtigen Falle diesen Ruck zu thun, wie viel unmögli cher muß es denn nicht da
seyn, wo Grazie, Leichtigkeit und Ruhe erfodert
wird! [↔] Jeder Tänzer, der einen
Entrechat schlägt, weiß, wie vielfach er ihn machen wird,
denn die Imagination eilt immer den Beinen
zuvor; man kann ihn nicht
achtfach machen, wenn man sich
nur einen sechsfachenvorgenommen hat; ohne diese
Vorsichtigkeit würde man bey jedem Pas fallen. [↔] Ich behaupte also, daß der Körper in der Luft zum
zweytenmale sich nicht heben kann, wenn die Springfedern
der Maschine einmal ihren Druck zu einem
bestimmten Maaße verrichtet
haben. [↔] Dem Fortgange unsrer Kunst
widersetzen sich noch zwey andre Fehler; erstlich, die Disproportions, welche gemeiniglich in den Pas herrschen, und zweytens, die wenige Festigkeit in
den Hüften. [↔] Die Disproportion in den
Schritten hat ihren Ursprung in der
Nachahmung und in der schlechten Ueberlegung
der Tänzer. Das Entfalten(Deployement) der Beine und die
geöffneten Schritte paßten sich unstreitig für Herrn Dupre; sein geschlanker Wuchs, und die Länge seiner
Gliedmaaßen schickten sich vortreflich zu den weiten und kühnen Schritten seines Tanzes; aber was ihm angemessen war, das kann keine
Tänzer von mittelmäßigem Wuchse kleiden. Die kürzesten Beine zerplagten sich, eben
den Raum zu durchstreichen, und eben die Zirkel zu
beschreiben als die Beine
dieses berühmten Tänzers; dadurch ging die Festigkeit
verloren, die Hüften waren
niemals an ihrem Orte, der Körper wackelte beständig, die Ausführung ward lächerlich; es kam mir vor, als ob Thersites den Achilles nachmachen wollte. [↔] Die Weite und Länge der Gliedmaaßen müssen
die Umrisse und die Entfaltungen bestimmen. Ohne diese Vorsichtigkeit geht das Ganze, die Eintracht, Ruhe und Grazie verloren. Wenn die Partien beständig getrennt und entfernt sind, so werfen sie den
Körper in falsche und widerliche Positions, und der von seinen richtigen Verhältnissen entblößte Tanz wird den Gehüpfle
der Pantins gleichen, deren offne und schleudernde Bewegungen bloß eine
plumpe Caricatur von den
harmoniereichen Bewegungen sind, die man bey guten Tänzern finden muß. [↔] Dieser Fehler, mein Herr, geht unter den
serieusen Tänzern sehr im Schwange, und da diese Gattung
in Paris mehr als an irgend einem andern Orte herrscht: so ist es sehr gewöhnlich, daselbst den Zwerg in
einem lächerlichen
riesenmäßigen Verhältnisse tanzen zu sehen; ich unterstehe
mich sogar zu behaupten, daß diejenigen, welche mit einem
majestätischen Wuchse begabt
sind, zuweilen den Umfang ihrer
Gliedmaaßen und die Leichtigkeit, die sie besitzen, das
Theater abzuschreiten, und ihre Schläge geräumig zu
machen, mißbrauchen; diese
übertriebene Entfaltungen verderben den edlen und ruhigen Charakter,
den der schöne Tanz haben muß, und rauben der Ausführung ihr Markigtes und
Sanftes. [↔] Das Gegentheil von dem, was ich hier
angeführt habe, ist ein nicht weniger unangenehmer Fehler; enge Pas, magre und eingeschrumpfte Schläge, kurz, eine zu schmächtige
Ausführung beleidigt eben sowol den guten Geschmack. Es ist also, ich wiederhole es,
der Wuchs und der Körperbau des Tänzers, welche den Umfang seiner Bewegungen und das Verhältniß bestimmen müssen,
welches seine Pas und Stellungen haben sollen, um richtig und in einer glänzenden Manier gezeichnet zu seyn. [↔] Hätte man auch alle übrigen Eigenschaften,
die zu unsrer Kunst erfodert werden, so wird man doch kein vortreflicher Tänzer seyn, wenn man nicht fest auf den Hüften ist. Diese
Kraft ist ohne Widerrede eine Gabe der Natur; wird sie aber nicht von
einem geschickten Meister ausgebildet, so hört sie auf
nützlich zu seyn. Man sieht täglich starke und kraftvolle Tänzer, welche sich
gleichwohl nicht völlig
senkrecht halten, keine Festigkeit haben, und deren
Ausführung lendenlahm ist. Hingegen findet man andre, welche nicht mit so
viel Stärke gebohren sind, und dennoch, so zu sagen, ziemlich fest auf den Hüften stehen, und im Gürtel und Kreutze sicher und zuverläßig sind. Bey ihnen ist die
Kunst der Natur zu Hülfe gekommen, weil sie das Glück
gehabt, vortrefliche Meister anzutreffen, welche ihnen bewiesen haben, daß es
unmöglich ist, wenn man die Hüften
vernachläßigt, sich in einer graden
perpendikulair Linie zu halten; daß man eine üble
Zeichnung aus sich macht; daß das Wackeln und Schleudern
dieses Theiles der
Festigkeit und dem Senkrechten im Wege stehen; daß solche
einen widrigen Fehler in den
Gürtel bringen; daß der Druck des Körpers den Untertheilen
die nö thige Freyheit nimmt,
sich mit Willigkeit zu bewegen; daß in diesen Umständen
der Körper gleichsam unsicher in seinen Positions ist; daß er oft die Füße mit sich fortreißt; daß er alle Augenblicke den Schwerpunkt verliert, und daß er endlich sein Gleichgewicht nicht anders wieder
findet, als durch solche Anstrengung und Verzerrungen,
welche sich mit den anmuthigen
und harmonischen Bewegungen des Tanzes nicht vertragen können. [↔] Hier
sehen Sie, mein Herr, ein getreues Gemählde von der Execution solcher Tänzer,
welche keine feste Hüften haben, oder wenn sie solche
haben, doch keinen guten Gebrauch davon machen. Um gut zu
tanzen, muß der Körper fest und ruhig seyn, und sich nicht durch die Bewegung der Schenkel bewegen
und erschüttern lassen. Läßt er sich hingegen die Bewegung
der Füße mittheilen, so wird er bey jedem andern Schritte
eine andre Grimasse oder
Verzerrung machen; alsdann wird die Ausführung der Ruhe,
des Ganzen, der Harmonie, der
Genauigkeit, der Festigkeit, des Senkrechten, des Gleichgewichts, kurz, der
Anmuth und Würde beraubt, welches die Eigenschaften sind,
ohne welche der Tanz nicht gefallen kann. [↔] Viele Tänzer, mein Herr, bilden sich ein, daß sie nur die Kniee sehr tief beugen dürfen, um zusammenhängend und markigt zu seyn; sie hintergehen sich aber gewiß, denn die übertriebene Beugung macht den Tanz
trocken; man kann sehr knöchern seyn, und alle Bewegungen holprich genug machen, man mag tief, oder nicht tief beugen. Die Ursache hiervon ist ganz
begreiflich, wenn man nur bedenkt, daß die Schritte und
Bewegungen des Tänzers, den
Noten und Bewegungen der
Musik genau folgen müssen. Dieses
festgesetzt, so bleibt kein Zweifel, daß das Zeitmaaß matt
und schleppend werden und sich verlieren muß, wenn man die
Kniee tiefer beugt, als es die Musik leidet, wonach man
tanzet. Um die Zeit, welche
die langsame und übertriebne
Beugung weggenommen hat, wieder zu gewinnen, und um wieder
in den Takt zu kommen, muß die
Ausdehnung geschwind gemacht
werden, und dieser schnelle und plötzliche Uebergang von der Beugung zur Ausdehnung ist es eben, welcher in die
Execution eine Härte und Trockenheit bringt, die eben so widrig und unangenehm ist, als diejenige, die von der Steifigkeit herrührt. [↔] Das Markigte hängt
gewissermaaßen von der verhältnißmäßigen Beugung der Kniee ab; aber nicht völlig; es wird auch dazu erfodert, daß die Mittelfüße heben, und daß das
Kreutz gleichsam der Maschine zum Gegengewichte diene, damit das Aufund Niederdrucken willig und sanft geschehe.
Eben diese seltne Harmonie in allen Bewegungen hat
Veranlassung gegeben, daß man den berühmten Düpre den Gott der Tanzkunst
genannt hat; in der That
hatte dieser vortrefliche Tänzer
ein übermenschliches Ansehn. Das Biegsame, das Markigte und Sanfte, welches durch alle seine
Bewegungen herrschte, das genauste Einverständniß, welches man in dem Spiele
seiner Gelenke antraf, stellten ein vortrefliches Ganzes vor; eine Einheit, welche aus dem schönen Körperbau,
dem richtigen Verhältniß und der wohlgeordneten Lage der Partien
entspringt, welche viel weniger vom Fleisse und der
Ueberlegung, als von der Natur
selbst abhängt, und die man also ohne deren Hülfe nicht
erlangen kann. [↔] Wenn
die Tänzer, selbst die mittelmäßigsten, eine Menge Pas inne haben, (freylich
schlecht an einander geflickt, und da die we nigsten wissen, wie sie
zusammen kommen) so ist es nicht so gemein, bey ihnen die
seltne aber angebohrne Gabe, welche der Tanz nothwendig erfodert, ein feines
Gehör, zu finden, welches den Pas Geist und
Verstand giebt, und über die Bewegungen ein Salz verbreitet,
das sie beseelt und belebt. [↔] Es giebt
verdorbne Ohren, welche gegen die einfachsten und
fühlbarsten Tackarten<Tacktarten>
stumpf sind; man findet andre, die nicht so hart sind,
welche den Tackt empfinden, seine Feinheiten aber nicht
fassen können; endlich so giebt es auch welche, die von
Natur und ohne
Aengstlichkeit auch die unmerklichsten Bewegungen der Melodie auffassen. MademoiselleCamargo und Herr Lany besaßen dieses köstliche Gefühl und diese besondre Genanigkeit, welche dem Tanze einen
Geist, ein Leben und eine Munterkeit
verleihen, welche man bey solchen Tänzern, die kein so
reitzbares und feines Ohr
haben, nicht antrift; es ist indessen gewiß, daß die Art
und Weise, die Bewegungen aufzunehmen, zu der Geschwindigkeit beytragen, und dadurch
gewissermaassen die
Empfindlichkeit des Ohrs vermehren, ich
will so viel sagen, daß ein Tänzer einen sehr richtigen
Tackt haben, und ihn doch den Zuschauer nicht fühlbar machen kann, wenn er nicht die Kunst besitzt, sich der Sennen mit Leichtigkeit zu bedienen, welche den Mittelfuß bewegen; die Unbehendigkeit
widerstrebt der Richtigkeit, und ein Pas, der sich würde
ausgenommen, und eine ausserordentlich gute Wirkung gethan haben, wenn er richtig und mit Ausgange des Tackts angehoben worden, fällt matt
und frostig aus, wenn alle Partien auf einmal wirken. Es
erfodert mehr Zeit, eine ganze Maschine zu
bewegen, als einige ihrer Theile; das Beugen und Anziehn
des Mittelfußes geschieht schneller und plötzlicher, als das Beugen und Anziehn aller Gelenke
auf einmal. Diesen Grundsatz angenommen, so fehlt
demjenigen die Präcision, der zwar Gehör hat, aber seinen
Schritt nicht mit Schnelligkeit anzuheben weiß. Die
Schnellkraft des
Mittelfußes, und das mehr oder weniger thätige Spiel der
Springfedern, vermehren die
Empfindlichkeit der Ohren und geben dem Tanze Werth und
Schimmer; dieses Wohlgefallen, welches die Eintracht der
Bewegungen des Tänzers mit
den Bewegungen der Musik erweckt, ergreift selbst diejenigen, welche das stumpfeste Gehör haben, und der Eindrücke der Musik am wenigsten fähig sind. [↔] Es giebt Länder, wo die Einwohner überhaupt mit diesem musikalischen
Gehöre gebohren werden, welches
in Frankreich etwas seltnes seyn würde, wenn wir nicht die Provence, den
Langedoc und den Elsas mit dazu rechneten. [↔] Die Pfalz, Schwaben,
Sachsen, Brandenburg,
Oesterreich und Böhmen geben den Orchestern der deutschen
Fürsten eine Menge vortreflicher Instrumentisten, und
großer Componisten. Die Deutschen haben von
Natur eine
lebhafte Neigung zur Musik, der Keim der
Harmonie liegt in ihrer Seele, und es ist gar nichts ungewöhnliches, in den Gassen und Werkstellen der
Handwerker vollstimmige Lieder
singen zu hören. Ein jeder singt seine Partie und hält
richtig Tackt; diese, von der Natur gelehrte, und von den
gemeinsten Leuten aufgeführte Concerte, haben eine Einheit,
die wir Mühe haben unsern französischen Musicis, Trotz dem Stabe
und den Haspeleyen des Tacktführers, beyzubringen. Dieses Instrument, oder vielmehr diese Art von Prügel, verräth die Schule und erhält das Andenken
der Schwäche und Kindheit, worinn vor
sechszig Jahren unsre französische Musik schmachtete.
Fremde, welche gewohnt sind, solche Orchestre zu hören, die zahlreicher und mit mehrerley
Instrumenten besetzt sind, auch viele gelehrtere und
schwerere Musiken ausführen, als
die unsrigen, können sich an diesen Stock, an diesen
Zepter der Unwissenheit nicht
gewöhnen, welcher erfunden ward, die hervorkeimende Kunst
zu lenken; diese Kinderklapper für die Musik in der Wiegen, sollte in den
Jünglingsjahren dieser Kunst abgeschaft seyn. Das
Orchester der Opera ist unstreitig der Mittelpunkt und Sammelplatz der geschickten Instrumentisten; heut zu Tage ist es nicht mehr nöthig, ihnen zuzurufen: Die Herren geben Acht, es kommen zwey Kreutze vor! Ich glaube
also, mein Herr, daß dieses Instrument, das in der Zeit der Unwissenheit seinen Nutzen hatte, nunmehr, da die schönen Künste sich der Vollkommenheit nähern, überflüßig, wo
nicht beleidigend ist. Sein widriges mißhelliges Getöse, wenn der Musikdirektor in Hitze geräth und das Pult zerklopft,
zerstreut das Ohr des Zuschauers>, stört die
Harmonie, übertäubt den Gesang der Arien, und hindert allem Eindrucke. [↔] Der natürliche und angebohrne
Geschmack an der Musik, führt den Geschmack am Tan zen mit sich. Diese
beyden Künste sind Schwestern; die zärtlichen und
harmonischen Töne der einen, erwecken die angenehmen und
ausdrucksvollen Bewegungen
der andern; ihre vereinigten
Kräfte stellen den Augen und Ohren die beseelten Gemählde
der Empfindung vor.
Diese Sinne bringen die interessanten Bilder, wovon sie gerührt worden, zum
Herzen; das Herz theilt solche der Seele mit, und das Vergnügen, welches aus der
Harmonie und dem Einverständnisse dieser beyden Künste
entspringt, reißt den Zuschauer hin, und läßt ihn die
reinste Wollustempfinden. [↔] Der Tanz ist in den deutschen Provinzen bis ins Unendliche verschieden. Die Tanzart, welche in einem Dorfe
herrscht, ist in dem benachbarten fast unbekannt. Selbst
ihre Tanzmelodien haben verschiedne Charaktere und Bewegungen, ob sie gleich alle munter sind.
Ihr Tanzen hat was reitzendes,
weil es ein bloßes Werk der Natur ist. Ihre Bewegungen athmen Freude und Vergnügen, und die Genauigkeit, womit sie Tackt halten, giebt ihren Stellungen, Schritten und Gebehrden eine besondre
Anmuth.
Komm[***]t es aufs Springen an?
so können Sie bey hundert Personen um eine Eiche oder einen Pfeiler finden, welche in eben demselben Augenblicke ihren Satz nehmen, sich mit
Richtigkeit in die Höhe
heben, und mit derselben Genauigkeit wieder niederfallen.
Sollen gewisse Tacktnoten mit
dem Fuße angezeigt werden? so
sind alle einig und schlagen sie zugleich. Heben sie ihre Tänzerinnen, so sieht man
solche alle zu gleicher Zeit in einerley Höhe, und sie lassen solche nicht ehe, als bey
der markirten Note wieder nieder. [↔] Der Conttapunkt<Contrapunkt>
,
welcher unstreitig der
Probierstein des feinsten Gehörs ist, hat für sie nicht
die geringste Schwierigkeit; daher ist auch ihr Tanzen so
lebhaft, und verbreitet die Feinheit ihrer Ohren, über
ihre Art sich zu bewegen, eine Munterkeit und Abwechselung, die man in unsern
französischen Contretänzen nicht
antrift. [↔] Ein Tänzer ohne musikalisches
Gehör ist das Bild eines Wahnwitzigen, der unaufhörlich schwatzt, welcher aufs
Gerathewohl spricht, keinen Zusammenhang in seiner Rede
beobachtet, und dessen Worte keinen Sinn und Verstand haben. Die Sprache dient ihm zu nichts, als vernünftige Leute von seinen Unsinn und Wahnwitz zu
überzeugen. Der Tänzer ohne Gehör, macht, wie der
Wahnwitzige, Schritte ohne Zusammenhang, weiß nicht, was
er mit seiner Ausführung sagen will, und lauft hinter dem
Tackte her, den er doch niemals erhascht. Er fühlt nichts, alles ist bey ihm falsch, sein Tanzen hat weder Sinn noch Ausdruck, und die Musik, welche seine Bewegungen
lenken, seine Schritte und Sprünge bestimmen und vorschreiben sollte, dient zu nichts als seine Mängel und Fehler zu entdecken. [↔] Man kann, wie ich Ihnen schon gesagt habe, dadurch, daß man die Musik studirt, diesem Fehler abhelfen, und dem Ohre mehr Empfindlichkeit und Richtigkeit verschaffen. [↔] Ich werde Ihnen, mein Herr, keine weitläuftige Beschreibung von allen
Verflechtungen der Schritte
machen, die in der Tanzkunst gebräuchlich sind; ich wüßte
nicht, wo ich aufhören sollte; überdem ist es auch unnütz,
mich über das Mechanische meiner Kunst einzulassen; dieser Theil ist zu
einem so hohen Grade der Vollkommenheit getrieben, daß es
lächerlich seyn würde, wenn ich den Künstlern neue Vorschriften geben
wollte. Eine solche Abhandlung müßte unfehlbar frostig ausfallen, und Ihnen Mißvergnügen er wecken. Die
Sprache der Schenkel und Füße ist für die
Augen und nicht für die Ohren. [↔] Ich begnüge mich also, zu sagen, daß es
unzählige Arten dieser Zusammensetzung giebt, und daß
jeder Tänzer seine besondre Manier hat, seine Schritte zu
verbinden und zu verändern. Mit
dem Tanzen ist es wie mit der Musik, und mit den Tänzern
wie mit den Komponisten; unsre Kunst ist nicht reicher an
Grundschriften, als die Musik an Grundnoten; wir haben aber Octaven,
ganze und halbe Schläge, Viertel, Achtel, Sechszehntel und Zwey und dreyßigtel,
Tackte und Rithmuß zu beobachten; die Vermischung einer kleinen Anzahl Schritte
und Noten, giebt eine Menge Verflechtungen und Wendungen;
Geschmack und Genie finden immer
eine Quelle, woraus sie was
Neues schöpfen, indem sie diese wenige Noten und Pas auf
tausenderley verschiedne
Arten verkehren und wenden. Es sind also diese langsamen,
anhaltenden, diese geschwinden, schnellen, und diese
weitern oder engern
Schritte, welche diese unendliche Abwechselung hervorbringen. Ich bin u. s. w.
[↔]
[↔] Die Choregraphie, (*) mein Herr, wovon ich Sie, auf Ihr
Verlangen, unterhalten soll, ist
die Kunst, vermöge gewisserZeichen einen Tanz aufzuschreiben, wie man
die Musik, vermöge gewisser Figuren, die man Noten nennt,
aufschreibt, mit diesem
Unterschiede, daß ein guter Musikus zwey hundert Tackte in
einem Augenblicke überliest, ein vortreflicher Choregraphhingegen wohl zwey Stunden
braucht, ehe er so viel Tackte eines Tanzes entziefert.
Diese Vorstellungszeichen sind nicht schwer; man
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lernt sie sehr leicht, und vergißt sie eben so geschwinde. Diese, unsrer Kunst besonders eigne Art zu schreiben, und welche den Alten vielleicht unbekannt gewesen ist, mochte in den ersten Zeiten, wo der Tanz an gewisse Grundregeln gebunden war, wohl nöthig
seyn. Die Tanzmeister schickten sich einander kleine Contretänze, oder irgend ein und das andre schwere und beliebte Stückchen, als z. E. Le Menuet d'Anjou, la Bretagne, la Mariée, le Passepied, ungerechnet les Folies d'Espagne, la
Païsanne, la Courante, la Bourée d'Achille und l'Allemand. Die Gänge oder die Figur des
Tanzes war mit Linien aufgezeichnet; die Pas waren hernach mit Strichen oder
angenommenen Zeichen auf den Linien
angedeutet; das Zeitmaaß oder der Tackt war mit
Querstrichen von oben bis unten abgetheilt, wodurch die Schritte unter ihre Noten
kamen und ihr Zeitmaaß erhielten; die Melodie, worauf der Tanz komponirt worden, schrieb man oben auf der Seite, so, daß acht Tackte Choregraphie und acht Tackte
Musik mit einander auskamen; vermittelst dieser Einrichtung gelangte man dahin, den Tanz
zu buchstabiren, man mußte sich aber in Acht nehmen, daß man das Buch nicht verkehrt in die Hand nahm. Dieß, mein Herr, war die ehemalige Choregraphie. Der Tanz war einförmig
und wenig zusammen gesetzt; folglich war die Art ihn
aufzuschreiben leicht, und leicht war es ihn lesen zu
lernen; heut zu Tage aber sind die Schritte mancherley;
man hat doppelte und triplirte; ihre Vermischung geht ins Unendliche, und also ist es sehr schwer, sie aufzuschreiben, und noch schwerer, sie zu entziefern. Zudem ist diese
Kunst sehr unvollkommen; sie zeigt bloß an, was die Füße zu thun haben, und wenn sie uns
die Bewegungen der Arme vorzeichnet, so kann sie doch die Positions und Umrisse, die sie haben sollen, nicht anzeigen; eben so wenig weiset sie uns auch weder
die Stellung des Körpers, noch seine Verblasungen,
noch die Entgegenstellungen des
Kopfes, nebst den verschiednen edlen und leichten Lagen,
die für diesen Theil nöthig sind; und ich betrachte sie als eine unnützeKunst,
weil sie zu der Vollkommenheit der unsrigen nichts beytragen kann. [↔] Ich möchte diejenigen, die eine Ehre darinn
suchen, der Choregraphie mit Leib und Seele anzuhangen, und denen ich vielleicht ein Aer gerniß bin, gerne fragen:
wozu ihnen diese Kunst nützlich gewesen? was für
Verbesserung ihnen solche in
die ihrige gebracht? was für einen Glanz solche über ihren
Ruhm verbreitet? Wenn sie
aufrichtig sind, so werden sie mir antworten, daß diese
Kunst sie nicht einen Schritt weiter gebracht hat, als sie
vorher waren, daß sie aber
dagegen auch alles haben, was seit funfzig Jahren Gutes im
Tanzen ist gemacht
worden.Bewahren Sie, werde ich ihnen sagen, diese kostbare Sammlung; Ihr Cabinet enthält
alles, was die Dupres, die Camargos, die Lanys, die Vestris, vielleicht gar
die Blondis, an feinen, kühnen und gelehrten Schritten und Verflechtungen erfunden haben, und ich kann nichts gegen die Schönheit der Collection einwenden; aber ich sehe mit
Bedauren, daß alle diese
gesammleten Reichthümer Sie
nicht haben vor der Armuth an solchen Dingen schützen
können, wodurch Sie sich hätten aus dem Stande der
Mittelmäßigkeit ziehen
können. Häufen Sie von diesen schwachen Denkmählern
unsrer berühmten Tänzer so
viel zusammen, als es Ihnen gefällt; ich sehe nichts
daran und andre mit mir werden nichts daran sehen, als die ersten Reißkohlen, oder die ersten Einfälle ihrer Talente; ich kann nichts daran erkennen, als hin und wieder zerstreute Schönheiten, ohne
Einheit, ohne Colorit; die großen Züge darinn sind verloschen; die Proportions,
die anmuthigen Umrisse fallen mir nicht in die Augen;
ich bemerke bloß Spuren und Ueberreste von einer Aktion in den Füßen,
welche weder von den Stellungen des
Körpers, noch den Lagen der Arme, noch dem Ausdrucke des Kopfes
begleitet werden; kurz, Sie zeigen mir nichts, als den
unvollkommnen Schatten
vorzüglicher Verdienste, und eine frostige stumme Copie von
unnachahmlichen Originalen. [↔] Ich habe die Choregraphie gelernt, mein
Herr, und habe sie wieder vergessen; hielte ich dafür, daß ich durch sie was Nützliches in meiner Kunst lernen könnte, ich wollte mich gleich
wieder darüber her machen. Die besten Tänzer und die
berühmtesten Balletmeister verachten sie, weil sie ihnen
nicht den geringsten wahren
Nutzen zu haben scheint. Sie könnte indessen einen Grad
Nutzbarkeit erhalten, und ich
bin willens, es Ihnen zu beweisen, nachdem ich Ihnen ein Projekt werde mitgetheilt haben, welches mir beygefallen ist, da ich über die Tanzakademie nachgedacht, deren Errichtung wahrscheinlicher
weise keinen andern Zweck gehabt, als dem Verfalle unsrer Kunst vorzubeugen,
und ihr sobald als möglich
aufzuhelfen. [↔] Der Tanz und die Ballette würden gewiß ein
neues Leben bekommen, wenn der aus Furcht und Neid
eingeführte Gebrauch nicht gewissermaassen allen denen den
Weg des Ruhms verschlösse, die sich mit einigem Vortheile auf dem Theater der
Hauptstadt zeigen, und durch die Neuheit ihrer
Gattung beweisen könnten, daß das Genie an keinen Ort gebunden ist, und daß es in der Provinz eben so
leicht keimt und empor wächst, als sonst irgendwo. [↔] Glauben Sie nicht, mein Herr, daß ich die
Tänzer herunter setzen wolle, die die Gunst, oder wenn
Sies wollen, ein günstiges
Gestirn zu einer Stelle geführt hat, wohin sie ihre wahre Fähigkeiten beruften.
Nicht Eigenliebe, sondern die Liebe zu meiner Kunst ist das einzige, was mich beseelt, und ich glaube, daß ich, ohne jemand zu beleidigen, wünschen
darf, daß die Tänzer eben die Vortheile geniessen möchten, als die Schauspie ler. Haben
aber die Schauspieler aus der Provinz nicht die Freyheit,
zu Paris drey selbst gewählte Rollen zur Probe zu spielen?
Das ist freylich wahr, wird man mir antworten, sie werden aber nicht
immer angenommen. Je nun! was
macht sich derjenige, der einen
allgemeinen Beyfall erlangt, daraus, ob er angenommen wird
oder nicht? Ein jeder Ackteur, der durch seine Talente über die komische Cabale siegt, und sich ohne niederträchtiges Kriechen den einstimmigen Beyfall eines einsichtsvollen Publikumserwirbt, muß sich für
hinlänglich schadlos über die Vermissung einer Stelle
halten, die er nicht mehr bedauren darf, wenn er weiß, daß
er sie rechtmäßigerweise verdiente. [↔] Die Mahlerkunst hätte gewiß, ohne die Nacheiferung, die in ihrer Akademie herrscht, nicht so viele große Männer in jeder Gattung hervor gebracht. Da, mein
Herr, ist der Ort, wo sich das Verdienst ohne
Furcht zeigen darf; es erhebt einen jeden zu dem Range, der für ihn gehört, und die Gunst ist in der
Gallerie des Louvres noch immer
schwächer gewesen, als ein schöner Pinsel, der sie stumm
zu seyn zwingt. [↔] Wenn die Ballette lebende Gemählde sind; wenn solche alle Reitze der Mahlereyenthalten sollen, warum wird es
unsern Meistern nicht erlaubt, auf dem Operntheater drey
Stücke von dieser Gattung auszustellen? eins aus der Geschichte, eins aus der Mythologie, und das dritte von
ihrer eignen Erfindung? Wenn es
diesen Meistern gelungen, so machte man sie zu Mitgliedern
der Akademie, oder nähme sie in
die Gesellschaft auf. Dieses Zeichen der Distinktion,
diese Einrichtung, würde
unfehlbar Nacheiferung (eine köstliche Nahrung der Künste)
erwecken, und die durch diese noch so schimärische
Belohnung aufgemunterte Tanzkunst würde sich sehr schnell eben so hoch schwingen, als die übrigen. Diese Akademie würde sich
auch vielleicht mehr hervorthun,
wenn sie zahlreicher würde; die Bemühungen der
Provinzialisten würden sie zu eignen antreiben; die
Tänzer, die man darinn aufnähme, würden den vornehmsten Mitgliedern zum Sporne
dienen; das ruhig Leben in der Provinz, würde denen, die darinn zerstreut sind, die Gelegenheit erleichtern, über ihre Kunst
nachzudenken, zu überlegen und zu schreiben; sie würden
der Gesellschaft Abhandlungen einsenden, die oft was Lehrreiches enthielten; die Akademie
wäre ihrer Seits gemüßiget darauf zu antworten; dieser gelehrte Briefwechsel würde
uns ein helleres Licht aufstecken und uns nach und nach aus unsrer Schläfrigkeit und Dunkelheit hervorziehn. Die jungen
Leute, welche sich
maschinenmäßig und ohne Grundsätze aufs
Tanzen legen, würden auch unfehlbar Unterricht finden; sie
lernten die Schwierigkeiten
kennen, und würden sich bemühen, sie zu überwinden, und
der Anblick eines sichern Pfades würde sie hindern, sich
zu verirren und zu verlieren. [↔] Man hat behauptet, mein Herr, daß unsre
Akademie eine Wohnung des Stillschweigens und ein Grab der Talente der Mitglieder sey, woraus sie besteht. Man hat sich beklagt, daß sie gar keine Schriften, weder gut, schlecht oder mittelmäßig, weder angenehm noch langweilig
herausgiebt; man wirft ihr vor, daß sie sich von ihrer
ersten Institution gänzlich
entfernt habe; daß sie sich selten oder nur
zufälligerweise versammle; daß sie sich auf keinerley Art
um das Aufnehmen der Kunst, welche ihr Gegenstand ist,
bekümmre, noch dafür sorgte, die Tänzer zu belehren und
Schüler zu ziehen. Das Mittel, welches ich vorschlage, würde gewiß die üblen Nachreden und Verläumdungen zum
Schweigen, und der Gesellschaft die Achtung und den Ruhm
wiederbringen, die ihnen viele Leute, vielleicht ungerechterweise,
versagen. Ich muß noch hinzufügen, daß sie ihren Zweck
noch weit sichrer erreichen würde, wenn sie sich entschliessen wollte, ganz rohe
Schüler in Unterweisung zu
nehmen; dadurch würde sie einer Menge von Meistern, die
begierig auf einen Ruhm sind, den sie nicht verdienen, den
Fürwand wegnehmen, unter
welchem sie das Gute eines Schülers auf ihre eigne, und
seine Fehler auf die
Rechnung derer bringen, die solchen zuerst unterrichtet
haben. Dieser Tänzer, sagen sie, ist beym ersten Unterrichte versäumt; ich kann für seine Fehler nicht, ich habe alles mögliche
gethan; was Sie ihm Gutes machen sehn, das hat er alles von mir gelernt. Auf diese Art, ob man gleich die Mühe seines Standes nicht an sich kommen läßt, hält man spitzfündigerweise eine kurze Antwort im Falle des
Tadels bereit, und giebt sich eine Art zuversichtlichen Ansehns bey dem
Lobe. Indessen, mein Herr, geben Sie zu, daß die
Vollkommenheit eines Werks zum Theil mit auf die erste Anlage ankömmt; ein Schüler aber, den man dem Publikum darstellt, ist wie ein Gemählde, das ein Mahler in der
Gallerie ausstellt; ein jeder
siehet es; ein jeder bewundert und lobet, oder verachtet
und tadelt es; stellen Sie sich
also den Vortheil vor, der dabey ist, wenn man immer den
hübschen und bereits gebildeten
jungen Leuten aufpaßt, die aus der Provinz kommen, sobald
man sich die Ehre von den Talenten zuschreiben kann, die
man ihnen nicht beygebracht hat. Man darf nur anfangs ausstreuen, daß der junge Mensch schändlich unterwiesen ist; daß ihn sein Meister gänzlich verderbt hat; daß
man erschreckliche Mühe hat, ihm
das kleinstädtische Tanzen aus dem
Kopfe zu bringen, und erstaunlichen Fehlern abzuhelfen: darauf hinzusetzen, daß der Schüler aber eifrig fleißig
ist; daß er der Mühe, die man sich mit ihm giebt, entspricht; daß er Tag und Nacht arbeitet; und ihn dann ein Monat hernach aufs Theater bringen.
Wir müssen doch hingehn, (sagt
man dann) und den jungen Menschen tanzen sehn; er hat von dem und dem gelernt; noch vor einem
Monate war er unausstehlich. Freylich, (antwortet
ein andrer) war er unausstehlich, höchst
elend.
Der junge Mensch kommt zum Vorschein;
man klatscht schon noch ehe er sich regt; indessen entfaltet er sich mit Anmuth,
zeichnet sich zierlich, seine Stellungen sind schön, seine
Pas sind gut geschrieben, er ist
schimmernd im Springen, lebhaft und richtig im Schweben; welche Ueberraschung! Man
schreit Wunder! Das ist ein erstaunlicher Mann, sein Lehrmeister! In
zwanzig Lexions einen Tänzer zu bilden! Das hat ihm
noch keiner vorgethan.
Wahrhaftig, es ist zum Erstaunen, was wir zu unsern
Zeiten für Genies
haben. [↔] Der Herr Lehrmeister verschluckt diese Lobsprüche mit einer nachgeäften
Bescheidenheit, indessen daß der Schüler, von seinem Glück
geblendet und betäubet von dem Beyfalle, sich der schwärzesten Undankbarkeit überläßt; er vergißt bis auf den Namen denjenigen, dem er alles schuldig ist; auch der geringste Funken von Erkenntlichkeit ist auf Zeitlebens
in seiner Seele verloschen; er
gesteht und betheuret
unverschämterweise, daß er nichts gewußt hat, grade als ob
er im Stande wäre sich selbst zu beurtheilen, und er
räuchert der Saalbaderey, durch die er, nach seiner Meynung, so viel Lob
eingeerndtet hat. [↔] Das ist aber noch nicht alles; eben dieser
junge Mensch verursacht, so oft er erscheint, ein neues
Vergnügen; der Meister wird bald neidisch und
scheelsichtig; er will ihn nicht länger unterweisen, weil er einerley Gattung mit
ihm hat, und weil er fürchtet, von seinem Schüler
übertroffen und ins Vergessen gebracht zu werden. Wie klein! Kann man glauben,
daß für einen geschickten Mann keine Ehre dabey sey, wenn
er einen geschicktern, als sich selbst, bildet? Heißt das
sein Verdienst erniedrigen, und
seinen Ruhm beflecken, wenn man seine eigne Talente in den
Talenten seines Schülers wieder aufleben läßt? Sagen Sie doch, mein Herr, könnt
es das Publikum wohl dem Herrn Jelliote (*) schlechten Dank wissen, wenn er einen Schüler gezogen, der ihm gleich
käme? Würde er deswegen weniger Jelliote bleiben? Nein,
gewiß nicht; dergleichen Besorgnisse können
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kein wahres Verdienst beunruhigen, und sind nur halben Talenten fürchterlich. [↔] Aber wieder zur Tanzakademie. Sie besteht, wenigstens glaub ichs, aus dreyzehn
Akademisten, deren jeder für sich, seine bekannte vorzügliche Talente hat.
Sie sind vortrefliche Tänzer, oder sind es doch gewesen. Ich mache mir hier eine
Ehre und Pflicht daraus, ihnen meinen schuldigen Zoll an Lobsprüchen zu entrichten; wer nur lange Zeit zum Vergnügen eines so erleuchteten
Publikums, als das Pariser ist, etwas beygetragen hat, ist und wird demjenigen immer
werth bleiben, der die Künste schätzt und liebet. Was für eine
unerschöpfliche Quelle von Grundsätzen wäre nicht hier
entdeckt! Was für Vorschriften voller
Grünudlichkeit und Richtigkeit! Was für
vortrefliche Abhandlungen! Was für lehrreiche Bemerkungen
und Schriften würde nicht diese
Gesellschaft herausgeben, wenn
ihre Nacheiferung durch aufgegebene Ausarbeitungen erregt und angespornt würde. [↔] Man schreibt täglich über solche Sachen, die
nichtsbedeutender und gleichgültiger sind, als die
Tanzkunst; das Genie ist selten, aber man findet welches in allen Ständen; warum sollte es eben uns mehr versagt seyn, als andern Menschen, und setzten sie
sich nicht selbst
herunnter, wenn sie dächten, daß es
denjenigen unnütz wäre,
deren Dichten und Trachten
darauf geht, ihnen Vergnügen zu machen? [↔] Es wäre zu wünschen gewesen, mein Herr, daß
die Akademisten, und selbst die Akademie in Corpore, die
Artikel in die Encyclopedie hergegeben hätte, die unsre Kunst betreffen. Diese Artikel würden von einsichtsvollen Artisten besser ausgearbeitet worden
seyn, als vom Hrn. de Cahusac; der historische Theil kam
diesem letztern zu, der mechanische aber, deucht mich,
gehörte von Rechtswegen für die Tänzer; diese hätten ihre
Mitbrüder erleuchten, und ihnen
die Fackel derWahrheit anzünden können, und der Ruhm, den sie
über dieKunst verbreitet, wäre auf sie
zurückgefallen. Die
sinnreichen Erfindungen, welche
in Paris die Tanzkunst so oft hervorbringt, und wovon sie
wenigstens einige Beyspiele hätten geben können, wären in
verschiedenen choregraphischen Kupferstichen aufbewahrt,
welche, wie ich schon gesagt, nichts oder sehr wenig lehren. Ich nehme wirklich an, daß
die Akademie zwey große Männer, die Her renBoucher und Cochin, an ihren Arbeiten
hätte Theil nehmen lassen; daß einem Akademisten, der die Choregraphie verstanden, aufgetragen worden, die
Gänge und Pas zu zeichnen, daß ein andrer, der im Stande
gewesen am deutlichsten zu
schreiben, alles das erklärt hätte, was der geometrische
Plan nicht klar genug hätte anzeigen können; daß er von
der Wirkung, die jedes bewegliche
Gemählde, oder diese oder jene Situation
gethan, Rechnung gegeben; daß er
endlich die Pas und ihre succeßiven Verknüpfungen
annalisirt, und von den Positions und Stellungen des Körpers geredet und nichts vergessen hätte,
was das stumme Spiel, den pantomimischen Ausdruck, und die verschiedenen Empfindungen der Seele durch die verschiedenen Charaktere der
Physiognomie hätte erklären und verständlich machen
können; alsdann hätte die geschickte Hand des Herrn Boucher alle Grouppen und wirklich interessante Situations gezeichnet, und der kühne
Grabstichel des Herrn Cochin hätte die Zeichnungen des
Herrn Boucher
vervielfältiget. Gestehen Sie, mein Herr, daß mit Hülfe
dieser beyden berühmten Männer,
unsere Akademisten das Verdienst der Balletmeister und der
ge schickten Tänzer sehr
leicht auf die Nachwelt bringen könnten, deren Namen bey
uns kaum noch ein Dutzend Jahre nach ihrem Tode bekannt ist, und die uns, wenn sie
vom Theater abgegangen sind, nur
eine dunkle Erinnerung von den
Talenten lassen, die uns Bewunderung abnöthigten. Hier würde die
Choregraphie wichtig werden. Geometrischer Plan, Plan der Erhöhung, getreue
Beschreibung der Schritte, alles zeigte sich mit Zügen des
Genies und des Geschmacks unserm Auge; alles wäre unterrichtend, die Stellungen des Körpers, der Ausdruck der
Köpfe, die Umrisse der Arme, die Position der Füße, die
Zierlichkeit der Kleidung, die Wahrheit des Kostüme; mit
einem Worte, ein solches, durch das Reißbley und den Grabstichel dieser beyden berühmten Artisten unterstützte Werk, wäre eine Quelle, woraus man schöpfen könnte, und ich würde es als ein Archiv ansehen, worinn alles aufbewahrt würde, was
unsre Kunst schönes, wichtiges und vortrefliches aufzeigen
kann. [↔] Welch ein Projekt, rufen Sie mir zu! welch
ein unerschwinglicher Aufwand! was für ein starkes Werk!
Es wird mir leicht, Ihnen darauf zu antworten. Ich
schlage, vors Erste, nicht zwey Lohnkünstler vor, sondern zwey Artisten, welche die
Akademie mit der Uneigennützigkeit behandeln würden,
welche das Merkmaal wahrer
Talente ist. Vors Andre schlage ich ihnen solche Sachen
vor, die ihres Fleisses in allem Verstande würdig sind,
nemlich vortrefliche Sachen, voller Feuer und Genie; solche Stücke, die selten, neu, und an sich selbst fähig sind, zu begeistern. Also wären
viele Ausgaben erspart, und der Platten gewiß nicht zu viel. Ich nehme an dem Ruhme
einer Akademie, die dadurch wahrhaftig nützlich würde, so viel Theil, als nur
jemand daran nehmen kann, daß ich wünschte, ich könnte dieses Projekt schon
ausgeführt sehn! und sie sowohl als die Tänzer, welche sie des Ruhmes würdig schätzte, könnten keinen sichrern Weg zur
Unsterblichkeit wählen, als wenn sie die Flügel dieser
großen Männer borgten, welche gebohren sind, ihre eigne
und die Namen derer, die sie unsterblich machen wollen, auf ewig in den Tempel des Gedächtnisses anzuschreiben. Ein
solches Werk schien für sie aufgespart zu seyn; und ich
darf glauben, daß unsre
Akademisten alle Hülfe von ihnen zu erwarten haben, die
sie nur wünschen können, wenn sie ihnen die häufigen
Muster anzeigen, die man in einer Hauptstadt finden muß, welche der Mittelpunkt und Sammelplatz aller Talente ist, und die ich
anzuzeigen, weder dreist noch kühn genug bin. [↔] Hieraus sehn Sie, mein Herr, was nach meiner
Meynung, heut zu Tage die Stelle der Choregraphie vertreten sollte, dieser Kunst, die
itzt so bunt wird, daß sich Augen und
Verstand nicht daraus vernehmen können; denn was sonst das ABC-Buch der Tanzkunst war, ist
unvermerkterweise ihre schwere Kabala geworden. Selbst die
Vollkommenheit, die man den Zeichen, welche die Schritte und Bewegungen
andeuten, hat ertheilen wollen, hat sie nur immer dunkler
und undeutlicher gemacht. Je mehr sich die Tanzkunst verschönert, je mehr werden sich die Zeichen häufen, und je unverständlicher wird diese
Wissenschaft werden. Urtheilen Sie
selbst, mein Herr, ich bitte Sie, nach dem Artikel, Choregraphie, der in die Encyclopedie gerückt ist; Sie werden gewiß
diese Kunst für die Algebra der Tanzkunst halten, und ich fürchte sehr, daß die dazu gehörigen Kupferstiche, über die dunkeln Stellen dieser tanzenden Abhandlung, nicht mehr Licht verbreiten werden. [↔] Ich gebe zu, erwiedern Sie mir vielleicht,
daß selbst der berühmte Blondy seinen Schülern
dieses Studium untersagte, sie müssen doch aber gestehen,
daß die Choregraphie den Balletmeistern zu wissen nöthig ist: Nein, mein Herr, man irrt sich, wenn man denkt, daß ein guter Balletmeister sein Werk zu Hause beym
Feuer komponiren könne. Wer auf diese Weise arbeitet, wird
nie etwas anders, als elendes
Zeug zusammen setzen. Die Gänge der Figuranten lassen sich
nicht hinter dem Schreibpulte erfinden. Das Theater ist der Parnaß der erfindsamen Komponisten; da finden sie ungesucht eine Menge neuer Sachen; da fügt sich alles, da ist
alles voller Seele, da ist alles mit glühenden Zügen gezeichnet. Ein
Gemählde oder eine Situation führet ihn
natürlicherweise zu einer andern; die Figuren verknüpfen
sich ungezwungen und anmuthig an einander; die Wirkung des
Ganzen läßt sich auf der Stelle fühlen; denn es giebt Figuren, die auf dem Papiere ganz zierlich lassen, in der Aufführung es aber nicht mehr
bleiben; andre sind es für die Zuschauer, die solche aus der Höhe
herab sehen, aber nicht für die ersten Ranglogen und das
Parterre; also muß man hauptsächlich für die niedrigern Plätze arbeiten, weil eine Figur, eine Grouppe, ein Gemählde, das sich für das Parterre
gut ausnimmt, nicht fehlen kann, sich für alle Plätze des
Amphitheaters gut
auszunehmen. Sie bemerken in den Balletten Märsche, Contramärsche,
Stillstand, Flucht, Wendungen, Schwenkungen,
Grouppen und abgetheilte Haufen. Wenn nun aber der Balletmeister nicht das Genie besitzt, die große Maschine nach ihrer
gehörigen Richtung zu bewegen;
wenn er nicht auf den ersten Blick übersieht, was für Schwierigkeiten bey dieser
oder jener Operation sich eräugnen müssen; wenn er nicht die Kunst versteht, sich das Terrain zu Nutze zu machen; wenn er seine Bewegungen nicht nach dem
weitläuftigern oder engern Raume des Theaters abmißt; wenn
seine Dispositions übel
ausgesonnen; wenn der Eindruck,
den er machen will, falsch oder unmöglich ist; wenn die Gänge entweder zu geschwind, oder zu langsam, oder übel ausgezeichnet sind; wenn das
Ebenmaaß und das Ganze nicht durchherrschen; was weiß ich, wenn der rechte Augenblick nicht wahrgenommen wird: so wird man nichts
gewahr, als Unordnung, Verwirrung und Tumult; alles fällt und stoßt auf einander; da ist, und kann keine Nettigkeit, keine Zusammenstimmung, keine Genauigkeit, keine abgemeßne Richtigkeit seyn, und Zischen und Pfeifen sind der
verdiente Lohn einer so ungeheuren, sinnlosen Arbeit. Der Gang und die Führung eines
großen wohlgezeichneten Ballets, mein Herr, erfodern
Kenntnisse, Witz, Genie, Feinheit,
ein zuverläßiges Gefühl, eine kluge Behutsamkeit und einen untrüglichen
Blick, und alle diese Eigenschaften erwirbt man nicht
dadurch, daß man die Tänze
in die Choregraphie setzt, oder daraus entziffert; die Komposition hängt bloß von dem
Augenblicke ab; ihn zu haschen und glücklich zu nützen,
das ist die Kunst. [↔] Es giebt indessen Leute, die sich für Balletmeister ausgeben, die, wenn sie
ihre Ballette machen, anderer
Leute Arbeit verstümmeln und
plündern, und sich dabey des Papiers und gewisser angenommner Zeichenbedienen, woraus sie sich eine
eigne Choregraphie machen; denn die Art, die Gänge zu
zeichnen, bleibt immer dieselbe, und weicht nur in den
Farben von einander ab; aber nichts ist schaaler und
langweiliger, als ein auf dem Papiere komponirtes Ballet,
die ängstliche Mühe leuchtet allenthalben daraus hervor. Es wäre ein artiger Anblick, einen Opernballetmeister mit einem Folianten in der Hand zu sehen, der sich den Kopf zerbräche, die Ballette aus den Indesgalantes, oder einer andern mit Tänzen vermischten
Oper, wieder aufzuführen; wie viele verschiedene Gänge müßte man nicht für ein
zahlreiches Ballet
aufschreiben! Denken Sie sich über vier und zwanzig, bald
regelmäßiger bald unregelmäßiger Gänge, noch alle die verflochtenen Schritte hinzu, mein Herr, so haben Sie freylich eine sehr gelehrte Schrift, die aber mit einer solchen Menge verzogner Linien, Strichen und Charakteren überladen ist, daß
Ihnen die Augen davon weh thun werden, und daß das Licht, so sie darinn zu finden hoften, von dem Schwarzen, womit dieses Repertorium übersäet
ist, so zu sagen, verschlungen wird. Im Uebrigen glauben
Sie nicht, daß Herr Lany, wenn er Ballets zu einer Oper
gemacht, die dem Publikum gefallen haben, genöthigt wäre, seinem Gedächtnisse auf diese Art zu Hülfe zu kommen,
um solche nach fünf oder sechs Jahren eben so schön wieder aufzuführen; wenn er eine solche Hülfe verachtet: so wird er
sie von neuem mit desto mehr Geschmack verfertigen; er wird sogar die kleinen unmerklichen Fehler, die sich eingeschlichen haben könnten, verbessern; denn unsre Fehler bleiben
uns am längsten im Gedächtniß,
und wenn er sich der Bleyfeder bedient, so wird es nur
deswegen geschehen, um die vornehmsten Gänge und die am meisten vorragende Figuren auf dem Papier zu entwerfen; er wird sich gewiß nicht dabey
aufhalten, alle Wendungen, die diese Gänge einleiteten und
diese Figuren zusammen brachten,
aufzuzeichnen; und wird seine Zeit nicht verschwenden, die
Pas, noch die verschiedenen Stellungen, welche die
Gemählde
verschönerten, niederzuschreiben. Ja, mein Herr, die Choregraphie tödtet das Genie; sie schwächt und verdirbt den Geschmack des
Kompositeurs, der sich ihrer bedient; er wird steif und schwerfällig, unfähig zum
Erfinden; aus einem Schöpfer, der er war, oder hätte
werden können, wird ein bloßer Plagiarius; seine
Imagination ist erstorben; er bringt nichts Neues hervor, und sein
ganzes Verdienst besteht darinn, die Arbeiten andrer zu verunstalten. Die Wirkung
der Betäubung und Schlafsucht, worinn sie den Geist versetzt, geht so weit, daß ich ver schiedene Balletmeister
gesehn habe, die genöthigt
waren, aus der Probe zu gehn, weil sie ihr Papier
vergessen hatten, und ihre Figuranten nicht in Bewegung setzen konnten, ohne
das Gedenkbuch, von dem, was andre komponirt hatten, vor
Augen zu haben. Ich wiederhole und behaupte es, mein Herr:
nichts ist schädlicher, als eine Methode, die unsre Ideen zusammen schrumpft, oder uns
gar keine mehr erlaubt, man müßte sich denn sehr vor der
Gefahr in Acht zu nehmen wissen, die man läuft, wenn man
sich daran gewöhnt. Feuer, Geschmack, Genie, Kenntnisse sind der
Choregraphie weit vorzuziehn; diese sind es, mein Herr,
welche uns eine Menge neuer Schritte, Figuren,
Gemählde und Stellungen an die Hand geben; diese sind die unerschöpflichen Quellen der unzähligen
Veränderungen, welche den
wahren Artisten von dem stumpfen schwerfälligen Choregraphen unterscheiden. Ich bin u. s. w.
Dreyzehnter Brief.
[↔] Die Choregraphie, (*) mein Herr, wovon ich Sie, auf Ihr
Verlangen, unterhalten soll, ist
die Kunst, vermöge gewisserZeichen einen Tanz aufzuschreiben, wie man
die Musik, vermöge gewisser Figuren, die man Noten nennt,
aufschreibt, mit diesem
Unterschiede, daß ein guter Musikus zwey hundert Tackte in
einem Augenblicke überliest, ein vortreflicher Choregraphhingegen wohl zwey Stunden
braucht, ehe er so viel Tackte eines Tanzes entziefert.
Diese Vorstellungszeichen sind nicht schwer; man
9
lernt sie sehr leicht, und vergißt sie eben so geschwinde. Diese, unsrer Kunst besonders eigne Art zu schreiben, und welche den Alten vielleicht unbekannt gewesen ist, mochte in den ersten Zeiten, wo der Tanz an gewisse Grundregeln gebunden war, wohl nöthig
seyn. Die Tanzmeister schickten sich einander kleine Contretänze, oder irgend ein und das andre schwere und beliebte Stückchen, als z. E. Le Menuet d'Anjou, la Bretagne, la Mariée, le Passepied, ungerechnet les Folies d'Espagne, la
Païsanne, la Courante, la Bourée d'Achille und l'Allemand. Die Gänge oder die Figur des
Tanzes war mit Linien aufgezeichnet; die Pas waren hernach mit Strichen oder
angenommenen Zeichen auf den Linien
angedeutet; das Zeitmaaß oder der Tackt war mit
Querstrichen von oben bis unten abgetheilt, wodurch die Schritte unter ihre Noten
kamen und ihr Zeitmaaß erhielten; die Melodie, worauf der Tanz komponirt worden, schrieb man oben auf der Seite, so, daß acht Tackte Choregraphie und acht Tackte
Musik mit einander auskamen; vermittelst dieser Einrichtung gelangte man dahin, den Tanz
zu buchstabiren, man mußte sich aber in Acht nehmen, daß man das Buch nicht verkehrt in die Hand nahm. Dieß, mein Herr, war die ehemalige Choregraphie. Der Tanz war einförmig
und wenig zusammen gesetzt; folglich war die Art ihn
aufzuschreiben leicht, und leicht war es ihn lesen zu
lernen; heut zu Tage aber sind die Schritte mancherley;
man hat doppelte und triplirte; ihre Vermischung geht ins Unendliche, und also ist es sehr schwer, sie aufzuschreiben, und noch schwerer, sie zu entziefern. Zudem ist diese
Kunst sehr unvollkommen; sie zeigt bloß an, was die Füße zu thun haben, und wenn sie uns
die Bewegungen der Arme vorzeichnet, so kann sie doch die Positions und Umrisse, die sie haben sollen, nicht anzeigen; eben so wenig weiset sie uns auch weder
die Stellung des Körpers, noch seine Verblasungen,
noch die Entgegenstellungen des
Kopfes, nebst den verschiednen edlen und leichten Lagen,
die für diesen Theil nöthig sind; und ich betrachte sie als eine unnützeKunst,
weil sie zu der Vollkommenheit der unsrigen nichts beytragen kann. [↔] Ich möchte diejenigen, die eine Ehre darinn
suchen, der Choregraphie mit Leib und Seele anzuhangen, und denen ich vielleicht ein Aer gerniß bin, gerne fragen:
wozu ihnen diese Kunst nützlich gewesen? was für
Verbesserung ihnen solche in
die ihrige gebracht? was für einen Glanz solche über ihren
Ruhm verbreitet? Wenn sie
aufrichtig sind, so werden sie mir antworten, daß diese
Kunst sie nicht einen Schritt weiter gebracht hat, als sie
vorher waren, daß sie aber
dagegen auch alles haben, was seit funfzig Jahren Gutes im
Tanzen ist gemacht
worden.Bewahren Sie, werde ich ihnen sagen, diese kostbare Sammlung; Ihr Cabinet enthält
alles, was die Dupres, die Camargos, die Lanys, die Vestris, vielleicht gar
die Blondis, an feinen, kühnen und gelehrten Schritten und Verflechtungen erfunden haben, und ich kann nichts gegen die Schönheit der Collection einwenden; aber ich sehe mit
Bedauren, daß alle diese
gesammleten Reichthümer Sie
nicht haben vor der Armuth an solchen Dingen schützen
können, wodurch Sie sich hätten aus dem Stande der
Mittelmäßigkeit ziehen
können. Häufen Sie von diesen schwachen Denkmählern
unsrer berühmten Tänzer so
viel zusammen, als es Ihnen gefällt; ich sehe nichts
daran und andre mit mir werden nichts daran sehen, als die ersten Reißkohlen, oder die ersten Einfälle ihrer Talente; ich kann nichts daran erkennen, als hin und wieder zerstreute Schönheiten, ohne
Einheit, ohne Colorit; die großen Züge darinn sind verloschen; die Proportions,
die anmuthigen Umrisse fallen mir nicht in die Augen;
ich bemerke bloß Spuren und Ueberreste von einer Aktion in den Füßen,
welche weder von den Stellungen des
Körpers, noch den Lagen der Arme, noch dem Ausdrucke des Kopfes
begleitet werden; kurz, Sie zeigen mir nichts, als den
unvollkommnen Schatten
vorzüglicher Verdienste, und eine frostige stumme Copie von
unnachahmlichen Originalen. [↔] Ich habe die Choregraphie gelernt, mein
Herr, und habe sie wieder vergessen; hielte ich dafür, daß ich durch sie was Nützliches in meiner Kunst lernen könnte, ich wollte mich gleich
wieder darüber her machen. Die besten Tänzer und die
berühmtesten Balletmeister verachten sie, weil sie ihnen
nicht den geringsten wahren
Nutzen zu haben scheint. Sie könnte indessen einen Grad
Nutzbarkeit erhalten, und ich
bin willens, es Ihnen zu beweisen, nachdem ich Ihnen ein Projekt werde mitgetheilt haben, welches mir beygefallen ist, da ich über die Tanzakademie nachgedacht, deren Errichtung wahrscheinlicher
weise keinen andern Zweck gehabt, als dem Verfalle unsrer Kunst vorzubeugen,
und ihr sobald als möglich
aufzuhelfen. [↔] Der Tanz und die Ballette würden gewiß ein
neues Leben bekommen, wenn der aus Furcht und Neid
eingeführte Gebrauch nicht gewissermaassen allen denen den
Weg des Ruhms verschlösse, die sich mit einigem Vortheile auf dem Theater der
Hauptstadt zeigen, und durch die Neuheit ihrer
Gattung beweisen könnten, daß das Genie an keinen Ort gebunden ist, und daß es in der Provinz eben so
leicht keimt und empor wächst, als sonst irgendwo. [↔] Glauben Sie nicht, mein Herr, daß ich die
Tänzer herunter setzen wolle, die die Gunst, oder wenn
Sies wollen, ein günstiges
Gestirn zu einer Stelle geführt hat, wohin sie ihre wahre Fähigkeiten beruften.
Nicht Eigenliebe, sondern die Liebe zu meiner Kunst ist das einzige, was mich beseelt, und ich glaube, daß ich, ohne jemand zu beleidigen, wünschen
darf, daß die Tänzer eben die Vortheile geniessen möchten, als die Schauspie ler. Haben
aber die Schauspieler aus der Provinz nicht die Freyheit,
zu Paris drey selbst gewählte Rollen zur Probe zu spielen?
Das ist freylich wahr, wird man mir antworten, sie werden aber nicht
immer angenommen. Je nun! was
macht sich derjenige, der einen
allgemeinen Beyfall erlangt, daraus, ob er angenommen wird
oder nicht? Ein jeder Ackteur, der durch seine Talente über die komische Cabale siegt, und sich ohne niederträchtiges Kriechen den einstimmigen Beyfall eines einsichtsvollen Publikumserwirbt, muß sich für
hinlänglich schadlos über die Vermissung einer Stelle
halten, die er nicht mehr bedauren darf, wenn er weiß, daß
er sie rechtmäßigerweise verdiente. [↔] Die Mahlerkunst hätte gewiß, ohne die Nacheiferung, die in ihrer Akademie herrscht, nicht so viele große Männer in jeder Gattung hervor gebracht. Da, mein
Herr, ist der Ort, wo sich das Verdienst ohne
Furcht zeigen darf; es erhebt einen jeden zu dem Range, der für ihn gehört, und die Gunst ist in der
Gallerie des Louvres noch immer
schwächer gewesen, als ein schöner Pinsel, der sie stumm
zu seyn zwingt. [↔] Wenn die Ballette lebende Gemählde sind; wenn solche alle Reitze der Mahlereyenthalten sollen, warum wird es
unsern Meistern nicht erlaubt, auf dem Operntheater drey
Stücke von dieser Gattung auszustellen? eins aus der Geschichte, eins aus der Mythologie, und das dritte von
ihrer eignen Erfindung? Wenn es
diesen Meistern gelungen, so machte man sie zu Mitgliedern
der Akademie, oder nähme sie in
die Gesellschaft auf. Dieses Zeichen der Distinktion,
diese Einrichtung, würde
unfehlbar Nacheiferung (eine köstliche Nahrung der Künste)
erwecken, und die durch diese noch so schimärische
Belohnung aufgemunterte Tanzkunst würde sich sehr schnell eben so hoch schwingen, als die übrigen. Diese Akademie würde sich
auch vielleicht mehr hervorthun,
wenn sie zahlreicher würde; die Bemühungen der
Provinzialisten würden sie zu eignen antreiben; die
Tänzer, die man darinn aufnähme, würden den vornehmsten Mitgliedern zum Sporne
dienen; das ruhig Leben in der Provinz, würde denen, die darinn zerstreut sind, die Gelegenheit erleichtern, über ihre Kunst
nachzudenken, zu überlegen und zu schreiben; sie würden
der Gesellschaft Abhandlungen einsenden, die oft was Lehrreiches enthielten; die Akademie
wäre ihrer Seits gemüßiget darauf zu antworten; dieser gelehrte Briefwechsel würde
uns ein helleres Licht aufstecken und uns nach und nach aus unsrer Schläfrigkeit und Dunkelheit hervorziehn. Die jungen
Leute, welche sich
maschinenmäßig und ohne Grundsätze aufs
Tanzen legen, würden auch unfehlbar Unterricht finden; sie
lernten die Schwierigkeiten
kennen, und würden sich bemühen, sie zu überwinden, und
der Anblick eines sichern Pfades würde sie hindern, sich
zu verirren und zu verlieren. [↔] Man hat behauptet, mein Herr, daß unsre
Akademie eine Wohnung des Stillschweigens und ein Grab der Talente der Mitglieder sey, woraus sie besteht. Man hat sich beklagt, daß sie gar keine Schriften, weder gut, schlecht oder mittelmäßig, weder angenehm noch langweilig
herausgiebt; man wirft ihr vor, daß sie sich von ihrer
ersten Institution gänzlich
entfernt habe; daß sie sich selten oder nur
zufälligerweise versammle; daß sie sich auf keinerley Art
um das Aufnehmen der Kunst, welche ihr Gegenstand ist,
bekümmre, noch dafür sorgte, die Tänzer zu belehren und
Schüler zu ziehen. Das Mittel, welches ich vorschlage, würde gewiß die üblen Nachreden und Verläumdungen zum
Schweigen, und der Gesellschaft die Achtung und den Ruhm
wiederbringen, die ihnen viele Leute, vielleicht ungerechterweise,
versagen. Ich muß noch hinzufügen, daß sie ihren Zweck
noch weit sichrer erreichen würde, wenn sie sich entschliessen wollte, ganz rohe
Schüler in Unterweisung zu
nehmen; dadurch würde sie einer Menge von Meistern, die
begierig auf einen Ruhm sind, den sie nicht verdienen, den
Fürwand wegnehmen, unter
welchem sie das Gute eines Schülers auf ihre eigne, und
seine Fehler auf die
Rechnung derer bringen, die solchen zuerst unterrichtet
haben. Dieser Tänzer, sagen sie, ist beym ersten Unterrichte versäumt; ich kann für seine Fehler nicht, ich habe alles mögliche
gethan; was Sie ihm Gutes machen sehn, das hat er alles von mir gelernt. Auf diese Art, ob man gleich die Mühe seines Standes nicht an sich kommen läßt, hält man spitzfündigerweise eine kurze Antwort im Falle des
Tadels bereit, und giebt sich eine Art zuversichtlichen Ansehns bey dem
Lobe. Indessen, mein Herr, geben Sie zu, daß die
Vollkommenheit eines Werks zum Theil mit auf die erste Anlage ankömmt; ein Schüler aber, den man dem Publikum darstellt, ist wie ein Gemählde, das ein Mahler in der
Gallerie ausstellt; ein jeder
siehet es; ein jeder bewundert und lobet, oder verachtet
und tadelt es; stellen Sie sich
also den Vortheil vor, der dabey ist, wenn man immer den
hübschen und bereits gebildeten
jungen Leuten aufpaßt, die aus der Provinz kommen, sobald
man sich die Ehre von den Talenten zuschreiben kann, die
man ihnen nicht beygebracht hat. Man darf nur anfangs ausstreuen, daß der junge Mensch schändlich unterwiesen ist; daß ihn sein Meister gänzlich verderbt hat; daß
man erschreckliche Mühe hat, ihm
das kleinstädtische Tanzen aus dem
Kopfe zu bringen, und erstaunlichen Fehlern abzuhelfen: darauf hinzusetzen, daß der Schüler aber eifrig fleißig
ist; daß er der Mühe, die man sich mit ihm giebt, entspricht; daß er Tag und Nacht arbeitet; und ihn dann ein Monat hernach aufs Theater bringen.
Wir müssen doch hingehn, (sagt
man dann) und den jungen Menschen tanzen sehn; er hat von dem und dem gelernt; noch vor einem
Monate war er unausstehlich. Freylich, (antwortet
ein andrer) war er unausstehlich, höchst
elend.
Der junge Mensch kommt zum Vorschein;
man klatscht schon noch ehe er sich regt; indessen entfaltet er sich mit Anmuth,
zeichnet sich zierlich, seine Stellungen sind schön, seine
Pas sind gut geschrieben, er ist
schimmernd im Springen, lebhaft und richtig im Schweben; welche Ueberraschung! Man
schreit Wunder! Das ist ein erstaunlicher Mann, sein Lehrmeister! In
zwanzig Lexions einen Tänzer zu bilden! Das hat ihm
noch keiner vorgethan.
Wahrhaftig, es ist zum Erstaunen, was wir zu unsern
Zeiten für Genies
haben. [↔] Der Herr Lehrmeister verschluckt diese Lobsprüche mit einer nachgeäften
Bescheidenheit, indessen daß der Schüler, von seinem Glück
geblendet und betäubet von dem Beyfalle, sich der schwärzesten Undankbarkeit überläßt; er vergißt bis auf den Namen denjenigen, dem er alles schuldig ist; auch der geringste Funken von Erkenntlichkeit ist auf Zeitlebens
in seiner Seele verloschen; er
gesteht und betheuret
unverschämterweise, daß er nichts gewußt hat, grade als ob
er im Stande wäre sich selbst zu beurtheilen, und er
räuchert der Saalbaderey, durch die er, nach seiner Meynung, so viel Lob
eingeerndtet hat. [↔] Das ist aber noch nicht alles; eben dieser
junge Mensch verursacht, so oft er erscheint, ein neues
Vergnügen; der Meister wird bald neidisch und
scheelsichtig; er will ihn nicht länger unterweisen, weil er einerley Gattung mit
ihm hat, und weil er fürchtet, von seinem Schüler
übertroffen und ins Vergessen gebracht zu werden. Wie klein! Kann man glauben,
daß für einen geschickten Mann keine Ehre dabey sey, wenn
er einen geschicktern, als sich selbst, bildet? Heißt das
sein Verdienst erniedrigen, und
seinen Ruhm beflecken, wenn man seine eigne Talente in den
Talenten seines Schülers wieder aufleben läßt? Sagen Sie doch, mein Herr, könnt
es das Publikum wohl dem Herrn Jelliote (*) schlechten Dank wissen, wenn er einen Schüler gezogen, der ihm gleich
käme? Würde er deswegen weniger Jelliote bleiben? Nein,
gewiß nicht; dergleichen Besorgnisse können
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kein wahres Verdienst beunruhigen, und sind nur halben Talenten fürchterlich. [↔] Aber wieder zur Tanzakademie. Sie besteht, wenigstens glaub ichs, aus dreyzehn
Akademisten, deren jeder für sich, seine bekannte vorzügliche Talente hat.
Sie sind vortrefliche Tänzer, oder sind es doch gewesen. Ich mache mir hier eine
Ehre und Pflicht daraus, ihnen meinen schuldigen Zoll an Lobsprüchen zu entrichten; wer nur lange Zeit zum Vergnügen eines so erleuchteten
Publikums, als das Pariser ist, etwas beygetragen hat, ist und wird demjenigen immer
werth bleiben, der die Künste schätzt und liebet. Was für eine
unerschöpfliche Quelle von Grundsätzen wäre nicht hier
entdeckt! Was für Vorschriften voller
Grünudlichkeit und Richtigkeit! Was für
vortrefliche Abhandlungen! Was für lehrreiche Bemerkungen
und Schriften würde nicht diese
Gesellschaft herausgeben, wenn
ihre Nacheiferung durch aufgegebene Ausarbeitungen erregt und angespornt würde. [↔] Man schreibt täglich über solche Sachen, die
nichtsbedeutender und gleichgültiger sind, als die
Tanzkunst; das Genie ist selten, aber man findet welches in allen Ständen; warum sollte es eben uns mehr versagt seyn, als andern Menschen, und setzten sie
sich nicht selbst
herunnter, wenn sie dächten, daß es
denjenigen unnütz wäre,
deren Dichten und Trachten
darauf geht, ihnen Vergnügen zu machen? [↔] Es wäre zu wünschen gewesen, mein Herr, daß
die Akademisten, und selbst die Akademie in Corpore, die
Artikel in die Encyclopedie hergegeben hätte, die unsre Kunst betreffen. Diese Artikel würden von einsichtsvollen Artisten besser ausgearbeitet worden
seyn, als vom Hrn. de Cahusac; der historische Theil kam
diesem letztern zu, der mechanische aber, deucht mich,
gehörte von Rechtswegen für die Tänzer; diese hätten ihre
Mitbrüder erleuchten, und ihnen
die Fackel derWahrheit anzünden können, und der Ruhm, den sie
über dieKunst verbreitet, wäre auf sie
zurückgefallen. Die
sinnreichen Erfindungen, welche
in Paris die Tanzkunst so oft hervorbringt, und wovon sie
wenigstens einige Beyspiele hätten geben können, wären in
verschiedenen choregraphischen Kupferstichen aufbewahrt,
welche, wie ich schon gesagt, nichts oder sehr wenig lehren. Ich nehme wirklich an, daß
die Akademie zwey große Männer, die Her renBoucher und Cochin, an ihren Arbeiten
hätte Theil nehmen lassen; daß einem Akademisten, der die Choregraphie verstanden, aufgetragen worden, die
Gänge und Pas zu zeichnen, daß ein andrer, der im Stande
gewesen am deutlichsten zu
schreiben, alles das erklärt hätte, was der geometrische
Plan nicht klar genug hätte anzeigen können; daß er von
der Wirkung, die jedes bewegliche
Gemählde, oder diese oder jene Situation
gethan, Rechnung gegeben; daß er
endlich die Pas und ihre succeßiven Verknüpfungen
annalisirt, und von den Positions und Stellungen des Körpers geredet und nichts vergessen hätte,
was das stumme Spiel, den pantomimischen Ausdruck, und die verschiedenen Empfindungen der Seele durch die verschiedenen Charaktere der
Physiognomie hätte erklären und verständlich machen
können; alsdann hätte die geschickte Hand des Herrn Boucher alle Grouppen und wirklich interessante Situations gezeichnet, und der kühne
Grabstichel des Herrn Cochin hätte die Zeichnungen des
Herrn Boucher
vervielfältiget. Gestehen Sie, mein Herr, daß mit Hülfe
dieser beyden berühmten Männer,
unsere Akademisten das Verdienst der Balletmeister und der
ge schickten Tänzer sehr
leicht auf die Nachwelt bringen könnten, deren Namen bey
uns kaum noch ein Dutzend Jahre nach ihrem Tode bekannt ist, und die uns, wenn sie
vom Theater abgegangen sind, nur
eine dunkle Erinnerung von den
Talenten lassen, die uns Bewunderung abnöthigten. Hier würde die
Choregraphie wichtig werden. Geometrischer Plan, Plan der Erhöhung, getreue
Beschreibung der Schritte, alles zeigte sich mit Zügen des
Genies und des Geschmacks unserm Auge; alles wäre unterrichtend, die Stellungen des Körpers, der Ausdruck der
Köpfe, die Umrisse der Arme, die Position der Füße, die
Zierlichkeit der Kleidung, die Wahrheit des Kostüme; mit
einem Worte, ein solches, durch das Reißbley und den Grabstichel dieser beyden berühmten Artisten unterstützte Werk, wäre eine Quelle, woraus man schöpfen könnte, und ich würde es als ein Archiv ansehen, worinn alles aufbewahrt würde, was
unsre Kunst schönes, wichtiges und vortrefliches aufzeigen
kann. [↔] Welch ein Projekt, rufen Sie mir zu! welch
ein unerschwinglicher Aufwand! was für ein starkes Werk!
Es wird mir leicht, Ihnen darauf zu antworten. Ich
schlage, vors Erste, nicht zwey Lohnkünstler vor, sondern zwey Artisten, welche die
Akademie mit der Uneigennützigkeit behandeln würden,
welche das Merkmaal wahrer
Talente ist. Vors Andre schlage ich ihnen solche Sachen
vor, die ihres Fleisses in allem Verstande würdig sind,
nemlich vortrefliche Sachen, voller Feuer und Genie; solche Stücke, die selten, neu, und an sich selbst fähig sind, zu begeistern. Also wären
viele Ausgaben erspart, und der Platten gewiß nicht zu viel. Ich nehme an dem Ruhme
einer Akademie, die dadurch wahrhaftig nützlich würde, so viel Theil, als nur
jemand daran nehmen kann, daß ich wünschte, ich könnte dieses Projekt schon
ausgeführt sehn! und sie sowohl als die Tänzer, welche sie des Ruhmes würdig schätzte, könnten keinen sichrern Weg zur
Unsterblichkeit wählen, als wenn sie die Flügel dieser
großen Männer borgten, welche gebohren sind, ihre eigne
und die Namen derer, die sie unsterblich machen wollen, auf ewig in den Tempel des Gedächtnisses anzuschreiben. Ein
solches Werk schien für sie aufgespart zu seyn; und ich
darf glauben, daß unsre
Akademisten alle Hülfe von ihnen zu erwarten haben, die
sie nur wünschen können, wenn sie ihnen die häufigen
Muster anzeigen, die man in einer Hauptstadt finden muß, welche der Mittelpunkt und Sammelplatz aller Talente ist, und die ich
anzuzeigen, weder dreist noch kühn genug bin. [↔] Hieraus sehn Sie, mein Herr, was nach meiner
Meynung, heut zu Tage die Stelle der Choregraphie vertreten sollte, dieser Kunst, die
itzt so bunt wird, daß sich Augen und
Verstand nicht daraus vernehmen können; denn was sonst das ABC-Buch der Tanzkunst war, ist
unvermerkterweise ihre schwere Kabala geworden. Selbst die
Vollkommenheit, die man den Zeichen, welche die Schritte und Bewegungen
andeuten, hat ertheilen wollen, hat sie nur immer dunkler
und undeutlicher gemacht. Je mehr sich die Tanzkunst verschönert, je mehr werden sich die Zeichen häufen, und je unverständlicher wird diese
Wissenschaft werden. Urtheilen Sie
selbst, mein Herr, ich bitte Sie, nach dem Artikel, Choregraphie, der in die Encyclopedie gerückt ist; Sie werden gewiß
diese Kunst für die Algebra der Tanzkunst halten, und ich fürchte sehr, daß die dazu gehörigen Kupferstiche, über die dunkeln Stellen dieser tanzenden Abhandlung, nicht mehr Licht verbreiten werden. [↔] Ich gebe zu, erwiedern Sie mir vielleicht,
daß selbst der berühmte Blondy seinen Schülern
dieses Studium untersagte, sie müssen doch aber gestehen,
daß die Choregraphie den Balletmeistern zu wissen nöthig ist: Nein, mein Herr, man irrt sich, wenn man denkt, daß ein guter Balletmeister sein Werk zu Hause beym
Feuer komponiren könne. Wer auf diese Weise arbeitet, wird
nie etwas anders, als elendes
Zeug zusammen setzen. Die Gänge der Figuranten lassen sich
nicht hinter dem Schreibpulte erfinden. Das Theater ist der Parnaß der erfindsamen Komponisten; da finden sie ungesucht eine Menge neuer Sachen; da fügt sich alles, da ist
alles voller Seele, da ist alles mit glühenden Zügen gezeichnet. Ein
Gemählde oder eine Situation führet ihn
natürlicherweise zu einer andern; die Figuren verknüpfen
sich ungezwungen und anmuthig an einander; die Wirkung des
Ganzen läßt sich auf der Stelle fühlen; denn es giebt Figuren, die auf dem Papiere ganz zierlich lassen, in der Aufführung es aber nicht mehr
bleiben; andre sind es für die Zuschauer, die solche aus der Höhe
herab sehen, aber nicht für die ersten Ranglogen und das
Parterre; also muß man hauptsächlich für die niedrigern Plätze arbeiten, weil eine Figur, eine Grouppe, ein Gemählde, das sich für das Parterre
gut ausnimmt, nicht fehlen kann, sich für alle Plätze des
Amphitheaters gut
auszunehmen. Sie bemerken in den Balletten Märsche, Contramärsche,
Stillstand, Flucht, Wendungen, Schwenkungen,
Grouppen und abgetheilte Haufen. Wenn nun aber der Balletmeister nicht das Genie besitzt, die große Maschine nach ihrer
gehörigen Richtung zu bewegen;
wenn er nicht auf den ersten Blick übersieht, was für Schwierigkeiten bey dieser
oder jener Operation sich eräugnen müssen; wenn er nicht die Kunst versteht, sich das Terrain zu Nutze zu machen; wenn er seine Bewegungen nicht nach dem
weitläuftigern oder engern Raume des Theaters abmißt; wenn
seine Dispositions übel
ausgesonnen; wenn der Eindruck,
den er machen will, falsch oder unmöglich ist; wenn die Gänge entweder zu geschwind, oder zu langsam, oder übel ausgezeichnet sind; wenn das
Ebenmaaß und das Ganze nicht durchherrschen; was weiß ich, wenn der rechte Augenblick nicht wahrgenommen wird: so wird man nichts
gewahr, als Unordnung, Verwirrung und Tumult; alles fällt und stoßt auf einander; da ist, und kann keine Nettigkeit, keine Zusammenstimmung, keine Genauigkeit, keine abgemeßne Richtigkeit seyn, und Zischen und Pfeifen sind der
verdiente Lohn einer so ungeheuren, sinnlosen Arbeit. Der Gang und die Führung eines
großen wohlgezeichneten Ballets, mein Herr, erfodern
Kenntnisse, Witz, Genie, Feinheit,
ein zuverläßiges Gefühl, eine kluge Behutsamkeit und einen untrüglichen
Blick, und alle diese Eigenschaften erwirbt man nicht
dadurch, daß man die Tänze
in die Choregraphie setzt, oder daraus entziffert; die Komposition hängt bloß von dem
Augenblicke ab; ihn zu haschen und glücklich zu nützen,
das ist die Kunst. [↔] Es giebt indessen Leute, die sich für Balletmeister ausgeben, die, wenn sie
ihre Ballette machen, anderer
Leute Arbeit verstümmeln und
plündern, und sich dabey des Papiers und gewisser angenommner Zeichenbedienen, woraus sie sich eine
eigne Choregraphie machen; denn die Art, die Gänge zu
zeichnen, bleibt immer dieselbe, und weicht nur in den
Farben von einander ab; aber nichts ist schaaler und
langweiliger, als ein auf dem Papiere komponirtes Ballet,
die ängstliche Mühe leuchtet allenthalben daraus hervor. Es wäre ein artiger Anblick, einen Opernballetmeister mit einem Folianten in der Hand zu sehen, der sich den Kopf zerbräche, die Ballette aus den Indesgalantes, oder einer andern mit Tänzen vermischten
Oper, wieder aufzuführen; wie viele verschiedene Gänge müßte man nicht für ein
zahlreiches Ballet
aufschreiben! Denken Sie sich über vier und zwanzig, bald
regelmäßiger bald unregelmäßiger Gänge, noch alle die verflochtenen Schritte hinzu, mein Herr, so haben Sie freylich eine sehr gelehrte Schrift, die aber mit einer solchen Menge verzogner Linien, Strichen und Charakteren überladen ist, daß
Ihnen die Augen davon weh thun werden, und daß das Licht, so sie darinn zu finden hoften, von dem Schwarzen, womit dieses Repertorium übersäet
ist, so zu sagen, verschlungen wird. Im Uebrigen glauben
Sie nicht, daß Herr Lany, wenn er Ballets zu einer Oper
gemacht, die dem Publikum gefallen haben, genöthigt wäre, seinem Gedächtnisse auf diese Art zu Hülfe zu kommen,
um solche nach fünf oder sechs Jahren eben so schön wieder aufzuführen; wenn er eine solche Hülfe verachtet: so wird er
sie von neuem mit desto mehr Geschmack verfertigen; er wird sogar die kleinen unmerklichen Fehler, die sich eingeschlichen haben könnten, verbessern; denn unsre Fehler bleiben
uns am längsten im Gedächtniß,
und wenn er sich der Bleyfeder bedient, so wird es nur
deswegen geschehen, um die vornehmsten Gänge und die am meisten vorragende Figuren auf dem Papier zu entwerfen; er wird sich gewiß nicht dabey
aufhalten, alle Wendungen, die diese Gänge einleiteten und
diese Figuren zusammen brachten,
aufzuzeichnen; und wird seine Zeit nicht verschwenden, die
Pas, noch die verschiedenen Stellungen, welche die
Gemählde
verschönerten, niederzuschreiben. Ja, mein Herr, die Choregraphie tödtet das Genie; sie schwächt und verdirbt den Geschmack des
Kompositeurs, der sich ihrer bedient; er wird steif und schwerfällig, unfähig zum
Erfinden; aus einem Schöpfer, der er war, oder hätte
werden können, wird ein bloßer Plagiarius; seine
Imagination ist erstorben; er bringt nichts Neues hervor, und sein
ganzes Verdienst besteht darinn, die Arbeiten andrer zu verunstalten. Die Wirkung
der Betäubung und Schlafsucht, worinn sie den Geist versetzt, geht so weit, daß ich ver schiedene Balletmeister
gesehn habe, die genöthigt
waren, aus der Probe zu gehn, weil sie ihr Papier
vergessen hatten, und ihre Figuranten nicht in Bewegung setzen konnten, ohne
das Gedenkbuch, von dem, was andre komponirt hatten, vor
Augen zu haben. Ich wiederhole und behaupte es, mein Herr:
nichts ist schädlicher, als eine Methode, die unsre Ideen zusammen schrumpft, oder uns
gar keine mehr erlaubt, man müßte sich denn sehr vor der
Gefahr in Acht zu nehmen wissen, die man läuft, wenn man
sich daran gewöhnt. Feuer, Geschmack, Genie, Kenntnisse sind der
Choregraphie weit vorzuziehn; diese sind es, mein Herr,
welche uns eine Menge neuer Schritte, Figuren,
Gemählde und Stellungen an die Hand geben; diese sind die unerschöpflichen Quellen der unzähligen
Veränderungen, welche den
wahren Artisten von dem stumpfen schwerfälligen Choregraphen unterscheiden. Ich bin u. s. w. [↔]
[↔] Sie begehren von mir, mein Herr, daß
ich Sie von meinen Balletten unterhal ten soll; es wird mir
schwer, Ihrem Verlangen
nachzugeben. Alle Beschreibungen, die man von dergleichen
Art Werken geben kann, haben gemeiniglich zwey Fehler; sie
sind unter dem Originale, wenn es erträglich, oder darüber, wenn es mittelmäßig ist. [↔] Man kann weder von einem Cabinette nach dem
Verzeichnisse der Gemählde, die es enthält, urtheilen, noch über den Werth eines
Buches nach der Vorrede oder der Ankündigung entscheiden. Eben so ist es
mit den Balletten; man muß sie
nothwendig sehen, und mehr als einmal sehen. Ein
witziger Kopf kann vortrefliche
Programmen machen, und dem Mahler die
größesten Ideen an die Hand geben, das Verdienst aber
besteht in der Austheilung und
Ausführung. Man schlage den Tasso, den Ariost und verschiedene andre dergleichen Autoren auf, man wird Stoffe
darinn finden, die sich beym Lesen schön ausnehmen; auf dem Papiere wird sich alles thun
lassen; die Ideen werden sich häufen; alles wird leicht seyn, und einige künstlich hingestellte Worte werden der
Einbildungskraft ein Haufen angenehmer
Sachen vorstellen; sie werden es aber nicht bleiben,
sobald man Anstalt macht, zur wirklichen Ausübung zu schreiten; und dann ist die Zeit, wo der Artist den himmelweiten Raum
zwischen dem Entwurfe und der Ausführung kennen lernen wird. [↔] Gleichwohl will ich Ihre Neubegierde zu
befriedigen suchen, mein Herr, in der Ueberzeugung, daß Sie mich nicht nach der
schlecht gezeichneten Skitze einiger Ballette beurtheilen
werden, die das Publikum
zwar mit einem Beyfalle aufgenommen hat, welcher mich aber nicht vergessen läßt, daß seine Nachsicht immer größer gewesen ist, als meine Talente. [↔] Ich bin weit davon entfernt, meine Arbeiten für Meisterstücke zu halten; ein
schmeichelhafter Beyfall
könnte mich freylich überreden,
daß sie einiges Verdienst hätten, allein ich bin noch stärker überzeugt, daß sie
nicht ohne Fehler sind. Sie mögen aber seyn wie sie
wollen: so sind diese geringen Verdienste und diese Fehler völlig mein Eigenthum. Niemals habe ich diese vortreflichen
Muster, welche entzücken und begeistern, vor Augen gehabt. Hätte ich Gelegenheit gehabt zu sehen, vielleicht hätte ich
aufgefangen. Wenigstens
hätte ich die Kunst studirt, die Annehmlichkeiten andrer
nach meiner Bildung
einzurichten, und mich bemühet, sie mir zu eigen zu machen, oder mich doch wenigstens, ohne
lächerlich zu werden, damit zu schmücken.
Dieser Mangel an unterrichtenden
Gegenständen hat indessen bey mir eine lebhafte
Nacheiferung erweckt, die mich vielleicht nicht beseelt haben möchte, wenn ich eine
bequeme Veranlassung gehabt hätte, ein bloß kalter und
knechtischer Nachahmer zu werden. Die Natur ist die einzige Wegweiserinn, die ich gehabt, und der ich zu
folgen mir vorgesetzt habe. Wenn mich meine Einbildungskraft
zuweilen mißleitet, so läßt mich der
Geschmack, oder wenn man das lieber will,
eine Art von Instinkt, meinen Irrthum einsehn, und führen
mich zum Wahrenzurück. Ich entferne alles, was
mir nicht auf den ersten Blick schön
vorkommt; ich verwerfe ohne Widerwillen, was ich mit der
grössesten Mühe gemacht habe, und ich bin für meine Arbeiten nicht eher eingenommen, als bis sie wirklich rühren. Keine von allen aber wird
mir saurer als die Komposition der Ballette gewisser Opern. Ich weiß nicht, was ich
mit den ewigen Passepieds und Menuetten machen soll; die Monotonie der Musikbetäubt mich, und ich werde eben
so arm als sie, denn sie verwandelt, so zu sagen, meinen
Ueberfluß in Dürftigkeit. Hingegen eine
ausdrucksvolle, harmonische Musik, die so reich an
Abwechslung ist, als die, worauf ich seit einiger Zeit
gearbeitet habe, (*) bietet mir tausend Ideen und
tausend Züge dar; sie reißt mich fort, hebt mich empor,
entflammt mich, und den
Eindrücken, die sie auf mich und auf das Innerste meiner
Seele gemacht hat, habe ich die Zusammenstimmung, die Einheit, das Hervorragende, das Neue, das Feuer und die Menge der hervorstechenden und
besondern Charaktere zu danken, welche
unpartheyische Richter geglaubt
haben, in meinen Balletten zu finden; sehr natürliche
Wirkungen der Musik über den Tanz, und des
Tanzes über die Musik, wenn sich beyde Künstler mit
einander verstehen, und wenn
sich beyde Künste die Hände bieten, sich verbinden und
sich wechselsweise
11
Reitze mittheilen, um zu schmeicheln und zu gefallen. [↔] Es wäre gewiß unnütz, Sie von den chinesischen
Verwandlungen, den flammändischen
Lustbarkeiten, der neuverehligten Landfrau, dem Festin zu Vauxhall,
den preußischen Rekruten, dem
geschmückten Balle und einer sehr,
vielleicht zu großen Anzahl komischer Ballette zu
unterhalten, welche fast gar keine Verwicklung haben, die
bloß bestimmt sind, die Augen zu belustigen, und deren ganzes Verdienst in der Neuheit der Gänge, und in der Abwechslung und dem Schimmer der
Figuren besteht. Ich bin auch nicht willens derer zu
erwähnen, welche ich glaubte im Großen behandeln zu
müssen, als da sind die Ballette, die ich den Tod des Ajax, das
Urtheil des Paris, die Hinabfahrt des Orpheus zur Höllen, Rinald und
Armide u. s. w. betitelt habe. Eben so schweig
ich auch von der Jouvencer Fontaine und von den Eigensinnigkeiten der Galathee.
(*) Ueberzeugt von der Güte,
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die Sie für mich haben, und von der Ehre, die Sie mir erzeigen, an allem Theil zu nehmen, was mich angeht, denke ich,
mein Herr, daß Ihnen die Beschreibung solcher Werke mehr gefallen wird, die mir ihr Daseyn völlig zu danken haben, und die Sie bloß als die Frucht meiner Einbildungskraft betrachten können; und ich fange also bey dem heroischpantomimischen Ballette an, das
ich den Nachttisch der Venus, oder die
List des
Liebesgottes, benannt habe. [↔] Das Theater stellt einen reitzenden Sallon
vor; Venus sitzt in einem sehr schönen Nachtkleide an ihrer Toilette; die Spiele und Scherze beeifern sich um die Wette, ihr alles, was zu ihrem Schmucke
dienen kann, darzureichen; die Grazien bringen ihr Haar in Ordnung; Amor schnürt ihr einen Schuh fest; junge
Nymphen sind beschäftigt, einige Blumenkränze zu winden,
andre für den Amor ein Casket zurecht zu machen; die übrigen auf das Kleid und den Mantel, welche Venus anlegen will, Blumen
zu heften. Nachdem sie mit ihrem Nachttische fertig, wendet sich Venus nach ihrem Sohne, und
scheint ihn um Rath zu fragen; der kleine Gott lobt ihre
Schönheit, wirft sich mit Entzücken in ihre Arme, und dieser erste Auftritt
bietet alles dar, was die Wollust, die Coquetterie und die Grazien nur Reitzendes haben. [↔] Der zweyte wird ganz zum Ankleiden der Venus
angewandt. Jedes Stück wird ihr von den Grazien angelegt;
ein Theil der Nymphen
beschäftigt sich, den Nachttisch wieder in Ordnung zu
bringen, indessen daß die übrigen den Grazien die nöthigen Kleidungsstücke
zureichen; die Spiele und Scherze, welche nicht weniger
geflissen sind, die Göttinn zu bedienen, halten die
Schmink- und Mouchendosen, den
Blumenstrauß, das Halsband, die Armbänder u. s. w. Amor in
einer niedlichen Stellung
bemächtigt sich des Spiegels und flattert dergestalt beständig um die Nymphen herum, welche, um sich für
seinen Leichtsinn zu rächen, ihm
seinen Köcher und seine Binde wegreissen; er verfolgt sie,
wird aber in seinem Laufe durch drey von eben diesen Nymphen aufgehalten, welche ihm sein Casket und einen Spiegel bringen;
er setzt es auf und bespiegelt sich, er fliegt in die Arme
seiner Mutter, und sinnt
seufzend auf das Vorhaben, sich
wegen dieser Art von empfangner
Beleidigung zu rächen: er bittet und plagt Venus, ihm zu
seinem Vorhaben, dadurch, daß sie ihre Seelen durch ein
Gemählde alles dessen, was die
Wollust einnehmendes hat, zur
Zärtlichkeit geneigt macht, behülflich zu
seyn. Venus enthüllt hierauf alle ihre Liebreitze; ihre Bewegungen, ihre Stellungen, ihre Blicke sind das
Bild des Vergnügens der Liebe selbst. Die innigst bewegten Nymphen
bemühen sich, es ihr nachzumachen und alle die feinen
Schattirungen zu treffen, welche sie anwendet, sie weich
zu machen. Amor, der den Eindruck bemerkt, nützet den
Augenblick; er schießt seine
Pfeile auf sie ab, und in einer allgemeinen Entree läßt er
sie alle Leidenschaften mahlen, welche er einflößt. Ihre
Unruhe wächst und nimmt immer zu; aus der Zärtlichkeit fallen sie in Eifersucht, aus dieser in Wuth, aus der Wuth in
eine Mattigkeit, und zuletzt in
die Unbeständigkeit; sie gehen mit einem Worte nach und
nach durch alle die unterschiedlichen
Empfindungen, wovon
die Seelebewegt werden kann, und er ruft sie immer zu
der Empfindung der Glückseligkeit zurück. Der versöhnte und über seinen Sieg zufriedne
Gott, sucht sich von ihnen los zu machen; er
entflieht, sie folgen ihm mit Emsigkeit; aber er
entwischt, und verschwindet mit
seiner Mutter und den Grazien; und die Nymphen haschen dem
Vergnügen nach, welches ihnen entflieht. [↔] Dieser Auftritt, mein Herr, verliert alles im Lesen; Sie sehen weder die
Göttinn, noch Amor, noch ihr Gefolge. Sie
können nichts unterscheiden, und in der Unmöglichkeit, worinn ich mich befinde, das, was die Züge, die Physiognomie, die Blicke und Bewegungen der Nymphen so
gut ausdrückten, auf dem Papiere vorzustellen, haben Sie
keine andre, und ich kann Ihnen hier keine andre geben, als eine sehr unvollkommne, schwache Idee, von einer sehr lebhaften und sehr mannigfaltigen Aktion. [↔] Der darauf folgende Auftritt schürzt den
Knoten. Amor erscheint alleine; mit einem Wink, mit einem
Blicke belebt er die Natur.
Der Ort verändert sich; er stellt einen großen dunkeln
Wald vor; die Nymphen, welche den Liebesgott nicht aus den
Augen verloren, treten plötzlich auf; wie groß aber ist
ihre Furcht! sie sehen weder die Venus, noch die Huldgöttinnen; die Dunkelheit des Waldes
und die allgemeine Stille erweckt ihnen ein Schaudern. Mit
Zittern fahren sie zurück, Amor beruhigt sie und ladet sie
ein, ihm zu folgen; die Nymphen überlassen sich ihm; er
scheint sie durch einen behenden Lauf zum Wettstreit aufzufodern. Sie laufen ihm
nach; durch verschiedene Finten aber entwischt er ihnen beständig, und in dem Augenblicke, wo er in der
grössesten Verlegenheit zu seyn
scheint, und wo die Nymphen glauben, ihn gehascht zu
haben, entflieht er wie ein Pfeil, und augenblicklich sind
statt seiner zwölf Faunen da. Diese plötzliche unerwartete Veränderung thut um
desto größre Wirkung, weil nichts so treffend ist, als der
Abstich zwischen der Situation der Nymphen und der Faunen. Die Nymphen machen ein Gemählde der Furchtsamkeit und der Un schuld; die Faunen der
Stärke und der Unbändigkeit. Die
Stellungen der letztern sind voller Macht und Trotz, und
die Positions der erstern drücken bloß das Schrecken aus,
was eine nahe Gefahr einflößt. Die Faunen verfolgen die vor ihnen fliehende Nymphen,
und ergreifen sie bald;
einige von den Nymphen
gleichwohl, machen sich den Augenblick zu Nutze, da die
Hitze zu siegen einen Zank unter den Faunen veranlaßt hat,
und entkommen durch die Flucht;
es bleiben von den zwölf also nur sechs Nymphen übrig.
Dieß verursacht einen neuen Streit über den Besitz; keiner von ihnen will in
die Theilung willigen, und indem
auf die Eifersucht bald Wuth folgt, fangen sie an zu
ringen und zu kämpfen. Die zitternden und erschrocknen Nymphen kommen wechselsweise aus den
Händen der Besiegten in die Hände der Ueberwinder. In einem Augenblicke unterdessen, da die Kämpfer mit
nichts beschäftigt zu seyn scheinen, als mit der
Niederlage ihrer Nebenbuhler, versuchen sie zu entwischen. [↔] Sechs Faunen stürzen ihn nach, und können sie nicht erreichen, weil sie selbst von
ihren Gegnern, die sie
verfolgen, aufgehalten werden. Hier entflammt ihr Zorn
immer stärker; alle eilen zu Bäumen, brechen voller Wuth Aeste herab und führen
damit fürchterliche Streiche auf
einander. Da sie alle gleiche Geschicklichkeit im
Ausweichen besitzen, so werfen sie diese Werkzeuge der
Wuth und Rache aus den Fäusten, und fahren über ein, ander her: sie ringen mit einer Erbitterung, die bis zum Rasen und zur Verzweiflung geht; sie packen sich einander an, werfen sich zu Boden, heben sich von der Erde, drücken,
klemmen, würgen und schlagen sich, und in diesem Kampfe
ist kein Augenblick, der nicht ein Gemählde macht. Endlich
werden sechse von den Faunen Sieger; sie halten ihre
niedergeworfene Feinde mit
einem Fuße nieder, und heben schon die Arme, um ihnen den
letzten Streich
beyzubringen, wenn sie von sechs Nymphen, die Amor herbey
führt, aufgehalten und mit einem
Blumenkranze beschenkt werden. Ihre Gespielen voller
Mitleid über die Schaam und die
Niederlage der Besiegten, lassen
die, welche sie ihnen bestimmt hatten, zu ihren Füßen fallen. Die Ueberwundnen liegen unbeweglich in einer Stellung,
welche alles mahlt, was der Schmerz und
Entkräftung fürchterliches haben; ihre
Köpfe hängen nieder und ihre Augen sind auf die Erde geheftet. Venus und die Grazien, welchen ihr Jammer zu Herzen geht,
vermögen Amor dahin, sich derselben anzunehmen; dieser kleine Gott
flattert um sie herum, und mit einem gelinden Hauche
beseelt er sie, und bringt sie wieder ins Leben; allmählig
sieht man sie ihre matten Arme aufheben, und den Sohn der Venus anflehn, der durch seine
Stellungen und Blicke ihnen gleichsam ein neues Daseyn
giebt. Kaum daß sie desselben geniessen, als sie gewahr
werden, daß ihre Feinde mit ihrem Glücke beschäftigt sind,
und um die Nymphen herum schäkern; der Verdruß ergreift sie von neuen;
ihre Augen fangen an zu funkeln;
sie fallen darüber her, bekämpfen sie, und werden itzt Sieger; wenig zufrieden
mit ihrem Siege, wenn er ihnen keine Trophäen brächte,
entreissen sie den Ueberwundnen die Blumenkränze, worauf
sie stolz waren; durch eine Zauberey des Amors aber, werden aus jedem Blumenkranze zwey, und dieser Zufall
stellt Frieden und Ruhe unter ihnen her; die neuen
Ueberwinder und die neuen
Ueberwundenen empfangen alle den
Lohn des Sieges; die Nymphen
reichen denen, welche eben untergelegen haben, die Hände,
und Amor verbindet die Nymphen mit den Faunen. Nun fängt das
symmetrische Ballet an; die mechanischen Schönheiten derKunst zeigen sich
in einer großen Chacone, in welcher
Venus, Amor, die Grazien, die Scherze und Spiele die
vornehmsten Reprisen tanzen.
Hier konnte ich besorgen, daß die Handlung
stocken möchte, ich habe aber den Augenblick ergriffen, wo
Venus den Amor mit Blumenkränzen gefesselt, und ihn so am Gängelbande
führt, um ihn zu verhindern, daß er nicht einer Grazie folgen soll, mit der er sich einläßt, und während dieses Pas de Deux, der
viel Ausdruck hat, lasse ich die Nymphen von den Spielen
und Scherzen nach dem Walde führen. Die Faunen folgen eilig nach, und um nicht die Wohlanständigkeit zu beleidigen, und um die
Anmerkungen, welche Amor seine Mutter über diese
Verschwindung machen läßt, nicht zu deutlich zu machen,
lasse ich die Faunen und Nymphen einen Augenblick darauf
wieder vorkommen. Die zufriedene Miene jener und der Ausdruck dieser mahlen in einer wohl ausgedrückten Stelle der Chacone, mit sanften Farben der
Empfindung und des Wohlstandes, das Bild der Wollust. [↔] Dieses Ballet, mein Herr, hat eine warme und beständig allgemeine
Handlung. Es hat, ich kann michs rühmen,
einen Eindruck gemacht, den die Tanzkunst bis dahin noch
nicht hervorgebracht hatte. Dieses Glück hat mich vermocht, die Gattung, worauf ich
mich, ich muß es gestehen, weniger aus Neigung und Einsicht, als aus
Gewohnheit, gelegt hatte, fahren
zu lassen. Von diesem Augenblicke an, habe ich den Tanz in
Handlung und mit Ausdruck
gewählt; ich habe mich beflissen, in einer größern und
nicht so verpinselten Manier zu mahlen, und ich habe einsehn gelernet, daß ich mich gröblich geirret, als ich dachte, daß das
Tanzen bloß fürs Auge, und daß dieser Sinn die Grenze sey, worüber er sich nicht hinauswagen dürfte. Ueberzeugt, daß er weiter
gehen kann, und ein unstreitiges Recht über das Herz und
Seele hat, wendete ich meine Bemühungen an, ihn in den Besitz aller seiner Rechte zu setzen. [↔] Die Faunen hatten keine runde- und die
Nymphen, Venus und die Grazien keine Reifröcke. Ich hatte
die Masken verbannt, weil sie sich allem Ausdrucke
widersetzt hätten; Garricks Methode hat mir
große Dienste ge leistet; in den Augen und
auf der Physiognomie meiner
Faunen las man alle Bewegungen der Leidenschaften, die sie empfanden. Unterkleider und eine Art von
Schuhen, die aus Baumrinde gemacht zu seyn schienen, zog
ich nach meinem Bedünken den Tanzschuhen vor; weder weisse Strümpfe, noch weisse Handschuh, ich hatte die Farbe nach der
natürlichen Fleischfarbe
dieser Waldbewohner gewählt;
eine simple Draperie von Tigerfell bedeckte ihnen einen
Theil des Körpers, und mit den Köpfen gingen
sie ganz bloß; und damit das Kostume nicht zu hart scheinen und
nicht zu sehr gegen die zierliche Kleidung der Nymphen
abstechen möchte, hatte ich den Rand der Draperien mit
einer Guirlande von Laubwerk mit Blumen untermischt
besetzen lassen. [↔] In die Musik hatte ich auch noch Pausen
anbringen lassen, und diese Pausen thaten eine überaus angenehme Wirkung; indem das Ohr des Zuschauers> plötzlich aufhörte, von
der Harmonie berührt zu werden: so faßte sein Auge desto aufmerksamer alle die kleinern Partien der Gemählde, die Stellung und Zeichnung der Grouppen, den Ausdruck
der Köpfe, und die verschiedenen Theile des Ganzen; nichts entwischte seinen Blicken; dieser Stillstand in der Musik und in den
ZuschauerBewegungen
der Körper verbreitet ein stilles heitres Licht; er macht, daß die folgenden Stücke mit desto mehr Feuer herauskommen; es sind die
Schatten, welche, wenn sie mit Kunst ausgespart und mit
Geschmack vertheilt sind, allen Theilen
der ganzen Komposition einen neuen und wahren Werth geben;
allein, die Kunst besteht darinn, daß man wirthschaftlich damit umgehe. Sie
würden dem Tanze eben so wehe thun, als zuweilen der Mahlerey, wenn man sie mißbraucht. [↔] Lassen Sie uns auf die Eifersucht im Serail kommen; dieses Ballet und das, wovon
ich eben geredet, haben den Geschmack des Publikums getheilt; sie sind gleichwohl in einer völlig entgegengesetzten
Gattung und können nicht mit
einander verglichen werden. [↔] Das Theater stellt einen Theil vom Serail
vor; ein Peristil mit Wasserfällen und Fontainen macht die Vorderbühne aus. Auf der
Hinterbühne sieht man einen runden verdeckten Säulengang; die Oefnungen
dieser Colonade sind mit
Blumenkränzen, Grouppen und Wasserfällen ausgeziert; die hinterste Wand der Dekoration stellt einen Wasserfall vor, der in verschiedenen Becken spielt, sich in einen großen Behälter verliert und hinter sich eine Landschaft und einen weiten Horizont erblicken läßt. Die Weiber des Serails sitzen auf reichen Sophas und Kissen; sie beschäftigen sich mit allerley bey den
Türken üblichen Frauenzimmerarbeiten. [↔] Prächtig gekleidete weisse und schwarze Verschnittene erscheinen und reichen den
Sultaninnen Sorbet und
Caffee; andre sind geschäftig ihnen Blumen, Früchte und
wohlriechende Sachen zu bringen. Eine unter ihnen, welche sich mehr mit sich
selbst beschäftigt, als ihre Gespielinnen, schlägt alles
aus, um einen Spiegel zu haben;
ein Sklav bringt ihr einen. Sie bespiegelt sich, sie
betrachtet sich mit Wohlgefallen, sie studirt ihre
Bewegungen, Stellungen und
ihren Gang. Ihre Gespielinnen, voller Neid über ihre
Reitze, wollen alle ihre Bewegungen nachmachen, und daher entstehen
allerley theils allgemeine,
theils besondre Entreen, welche bloß
die Wollust und die heftige Begierde aller mahlen, ihrem Herrn zu gefallen. [↔] Auf das Entzücken einer zärtlichenMusik, und das Murmeln der Wasserfälle, folgt
ein trotziges punktirtes Stück, wonach die Stum men und die schwarzen und
weissen Verschnittnen tanzen,
welche die Ankunft des Großherrn ankündigen. [↔] Er tritt eilig herein, ihm folgen der Aga,
eine Menge Janitscharen, verschiedene Bostangis und vier Zwerge. In diesem Augenblicke fallen die Stummen
und Verschnittenen auf die Kniee; alle Weiber neigen sich
und die Zwerge bringen ihm Blumen und Früchte in Körben. Er wählt einen Strauß, und
mit einem Wink gebietet er allen Sklaven sich zu
entfernen. [↔] Der Sultan bleibt allein mitten unter seinen Weibern und scheint unschlüßig, welche
er wählen soll; er geht mit diesem unentschlossenen Wesen um sie herum,
welches aus der Vielheit der liebenswürdigen Gegenstände
entsteht. Alle diese Weiber
bestreben sich, sein Herz zu fesseln, aber Zaire und Zaidescheinen seinen Vorzug zu
verdienen. Er reicht den Strauß der Zaide, da sie darnach greift, verzögert ein Blick
von Zairen seine Wahl: er betrachtet
sie; er läßt seine Blicke von neuem herumfliegen; kommt
darauf wieder zu Zaiden, allein ein
bezaubernder Seufzer der Zaire
entscheidet es völlig. Er giebt ihr den Blumenstrauß, und
sie nimmt ihn voller Freuden an. Die andern Weiber mahlen
durch ihre Stellungen ihren Neid und Verdruß; Zaire zeigt eine boshafte Freude über
die Verwirrung ihrer Gespielinnen und über die Niederlage ihrer Nebenbuhlerin. Der
Sultan, welcher merkt, was für eine Wirkung seine Wahl auf die Gemüther der übrigen Weiber gethan hat, und
den Triumph der Zaire erhöhen will,
befiehlt Fatimen, Zaiden und der Zima, daß sie der Favoritin den Blumenstrauß anheften sollen,
womit er sie beschenkt hat.
Sie gehorchen wider Willen, und
ungeachtet der Geflissenheit, womit sie den Befehl des
Sultans zu erfüllen scheinen, entwischen ihnen Bewegungen des Verdrusses und der
Verzweiflung, welche sie doch zu vertuschen suchen, wenn
sie den Augen ihres Herrn
begegnen. [↔] Der Sultan tanzet ein wollüstiges Pas de Deux mit Zairen und begiebt sich mit ihr hinweg. [↔] Zaide, der der Sultan zuerst das Bouquet geben wollte, ist
voller Verwirrung und Verzweiflung, und überläßt sich in
einer Soloentree der heftigsten Wuth. Sie zieht ihren Dolch, sie will sich das Leben nehmen,
ihre Gespielen aber halten ihr den Arm, und suchen sie von diesem unmenschlichen Vorhaben abzubringen. [↔] Zaide steht im Begriffe nachzugeben, als
Zaire mit allem Stolze wieder kommt; ihre Gegenwart giebt ihrer Nebenbuhlerin alle
ihre Wuth wieder; sie fliegt plötzlich auf sie los, um ihr
den Streich zu versetzen, welchen sie für sich selbst bestimmt hatte; Zaire weicht ihm geschickt aus, bemächtigt sich des Dolches, und hebt den Arm auf, um Zaiden damit zu
durchbohren. Nunmehr theilen
sich die Weiber des Serails, sie eilen zu der Einen und zu
der Andern. Die entwafneteZaide macht sich den Augenblick zu Nutze, da man ihrer Feindin den Arm hält, fällt
über den Dolch her, welchen Zaire an der Seite trägt, um solche wider sie zu gebrauchen; allein, die auf ihre
beyderseitige Erhaltung
aufmerksamen Sultaninnen wehren den Streich ab; in diesem
Augenblicke treten die Verschnittenen herein, welche der
Lärm herbey gerufen; sie sehen, daß der Streit so weit gegangen ist, daß sie fürchten müssen, keinen Frieden machen zu können, und eilen plötzlich hinweg, um dem Sultan davon zu
benachrichtigen. Itzt reissen die Sultaninnen die beyden
Nebenbuhlerinnen aus einander, welche unglaubliche Mühe anwenden, sich
los zu machen; es gelingt ihnen; kaum sind sie frey, als
sie wieder wüthend auf einander losgehn. Alle Weiber
fliegen voller Schrecken dazwischen, um ihnen Einhalt zu thun. Hier zeigt sich der besorgnißvolle Sultan; die Veränderung, welche seine Ankunft hervorbringt,
ist ein starker Theaterstreich. Auf der Stelle verwandeln sich Wuth und Schmerz in
Zärtlichkeit und Vergnügen. Zaire, anstatt
sich zu beklagen, zeigt, aus einer Großmuth, die edlen Seelennatürlich ist, ein heitres Wesen, welches den
Sultan beruhigt, und ihn von der Furcht, den
Gegenstand seiner Zärtlichkeit
zu verlieren, befreyet. Diese Stille stellt im Serail die
Freude wieder her, und der Sultan erlaubt den
Verschnittenen, Zairen ein Festin zu geben. Der Tanz wird allgemein. [↔] Zaire und Zaide
versöhnen sich in einem Pas de Deux; der Sultan tanzt mit ihnen ein Pas de Trois, worinn er beständig der Zaire ganz deutlich den Vorzug giebt. [↔] Dieses Festin wird mit einem prächtigen
Contretanze beschlossen. Die letzte Figur macht eine Grouppe auf einem auf Stufen erhabnem
Throne; sie besteht aus dem Sul tan und seinen Weibern.
Zaire und Zaide sitzen ihm zur Seiten. Diese Grouppe
ist mit einem großen Baldachin gekrönt, dessen Vorhänge von Sklaven gehalten werden.
Die beyden Seiten des Theaters machen eine andre Grouppe von Bostangis, weissen und
schwarzen Verschnittnen, Stummen, Janitscharen und Zwergen, welche vor dem Throne
des Großsultans in demüthiger Stellung auf der Erde liegen. [↔] Hier haben Sie, mein Herr, eine sehr
schwache Beschreibung von einer Folge von Scenen, welche
alle wirklich intereßiren. Der Augenblick, wo der Sultan
über seine Wahl schlüßig wird, der, wo er die Favoritin wegführt, der Kampf der
Weiber, die Grouppe, welche sie bey der Ankunft des Sultans bilden, diese plötzliche Verändrung, diese
Entgegenstellung von Empfindungen, diese
Liebe, welche alle Weiber für sich selbst
bezeigen, und welche sie alle verschieden ausdrücken, sind lauter Abstiche, die ich Ihnen
nicht begreiflich machen kann. In eben dem Unvermögen befinde ich mich in Ansehung der eingeschobenen Scenen, die ich in dieß Ballet gebracht habe. [↔] Die Pantomime ist ein Pfeil, die großen Leidenschaften drücken ihn ab; es ist eine
Menge Blitze, die schnell auf einander folgen; die Gemählde, die daraus
entstehen, sind voller Feuer, sie dauren nur einen Augenblick und machen alsobald
andern Platz. Nun aber, mein Herr, müssen sich in einem
wohl ausgedachten Ballette weniger Dialog und wenig ruhige Augenblicke befinden; das Herz muß darinn in beständiger Bewegung seyn; wie kann man also den lebhaften Ausdruck der Empfindung und die
feurige Aktion der Pantomime
beschreiben? Die Seele muß mahlen, die Physiognomie die Farben
geben, und endlich müssen die Augen die kühnen Pinselzüge anbringen und das Bild vollenden. [↔] Die Handlung der Ballette, wovon ich eben geredet habe, ist viel kürzer in der Aufführung, als beym Lesen.
Aeusserliche Zeichen, welche
eine Empfindung anzeigen, werden frostig und langweilig, wenn ihnen nicht
schnell andre Zeichen folgen, die eine
neu eintretende
Leidenschaft andeuten; dabey ist noch nöthig,
daß man die Handlung unter verschiedene Personen vertheile; einerley Veränderung, einerley Bemühung, einerley
Be wegung, ein
ununterbrochner Sturm von Leidenschaften würden sowohl den
Akteur als den Zuschauer
ermüden und einschläfern; es kommt also darauf an, das
Langweilige zu vermeiden, wenn man dem Ausdrucke die gehörige Stärke, den Gestus
ihre Kraft, der Physiognomie ihren Ton, den Augen ihre Beredsamkeit, den Stellungen und Positions ihre Anmuth und Wahrheit lassen will. [↔] Das Ballet der Eifersucht im
Serail sagen vielleicht einige, in Romanen belesene Kunstrichter, sündigt wider das Kostume und die Sitten der Morgenländer; sie werden es für
lächerlich halten, Janitscharen und Bostangis
in den, für die Weiber des Großsultans bestimmten Theil
des Serails zu bringen; und weiter werden sie einwenden,
daß man zu Constantinopel keine Zwerge hält und daß der Großherr sie nicht leiden mag. [↔] Ich habe gegen die Richtigkeit ihrer Bemerkungen und ihrer weitläuftigen Einsicht
nichts einzuwenden, ich muß ihnen aber sagen, daß, wenn meine Ideen die Wahrheit beleidigt, solche doch nicht gegen
die Wahrscheinlichkeit verstoßen haben, und alsobald habe ich auch Recht gehabt, zu den nothwendigen Freyheiten meine Zuflucht zu nehmen, welche sich
die berühmtesten Schriftsteller in weit wichtigern Werken, als ein Ballet ist,
erlauben. [↔] Wenn man sich ganz genau bände, die Sitten, Charaktere und Gebräuche gewisser Nationen zu mahlen, so würden die Gemählde oft von armseliger
eintöniger Komposition seyn; es wäre auch ungerecht, einen
Mahler wegen der wohlverstandenen Freyheiten, die er
sich genommen hat, zu verdammen, wenn eben diese Freyheiten dazu beytragen, in seine Gemählde
mehr Abwechslung, Zierlichkeit und Vollkommenheit zu bringen. [↔] Sobald als die Charaktere gut ausgeführt
sind; wenn der Charakter der Nation, die man vorstellt, nicht verfehlt ist, und sich unter den fremden Schönheiten die
Natur nicht verliert oder
erniedrigt; wenn ferner der Ausdruck der Empfindung treu, das Colorit wahr, das Helldunkle mit Kunst
angebracht, die Zeichnung richtig ist; wenn die
Anordnungen edel, die Grouppen sinnreich und die Massen schön sind: so ist das Gemähldevortreflich und verdient das
größte Lob. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß ein türkisch oder
chinesisch Festin der französischen Nation
nicht schmecken würde, wenn man nicht die Künste wüßte, es
zu verschönern, und ich bin überzeugt, daß die Tanzart dieser Völker keinen Anspruch aufs Gefallen machen kann. Diese Genauigkeit im Kostume und der Nachahmung würde ein
Schauspiel geben, das sehr platt und des Publikums wenig würdig wäre,
welches nur seinen Beyfall ertheilt, in so fern der Artist
in die verschiedenen Werke, die
er ihm vorlegt, Genie und Delikatesse zu bringen verstanden hat. [↔] Wenn diejenigen, die mich über die vorgegebene Freyheit, die ich mir genommen hatte, Janitscharen und Bostangis ins Innre des Serails zu bringen, getadelt haben, von der Aufführung, der Austheilung und dem
Gange meines Ballets Zeugen gewesen wären: so hätten sie gesehen, daß die Personagen, an welchen sie sich in einer
hundertmeiligen Entfernung
gestoßen haben, nicht in das Theil des Serails kamen, wo
sich die Weiber aufhalten; daß sie nur in dem Garten erschienen, und daß ich sie nur auf das Theater gebracht hatte, um die
Ankunft des Großsultans majestätischer und feyerlicher zu machen. [↔] Uebrigens, mein Herr, fällt eine Kritik, die
sich bloß auf ein Programm bezieht, von selbst weg, weil
sie sich auf nichts gründet. Von derKunst eines
Mahlers urtheilt man nach seinen
Gemählden, und nicht nach seiner
Schreibart; eben so muß man von einem Balletmeister nach
den Grouppen, Situations, Theaterstreichen, sinnreichen
Figuren, vorstechenden Gängen, und nach dem Ganzen,
welches durch sein Werk herrscht, urtheilen. Ueber unsre Werke richten, ohne sie
gesehn zu haben, heißt glauben, daß man über einen
Gegenstand des Gesichts im Dunkeln entscheiden könne. Ich bin u. s. w.
Vierzehnter Brief.
[↔] Sie begehren von mir, mein Herr, daß
ich Sie von meinen Balletten unterhal ten soll; es wird mir
schwer, Ihrem Verlangen
nachzugeben. Alle Beschreibungen, die man von dergleichen
Art Werken geben kann, haben gemeiniglich zwey Fehler; sie
sind unter dem Originale, wenn es erträglich, oder darüber, wenn es mittelmäßig ist. [↔] Man kann weder von einem Cabinette nach dem
Verzeichnisse der Gemählde, die es enthält, urtheilen, noch über den Werth eines
Buches nach der Vorrede oder der Ankündigung entscheiden. Eben so ist es
mit den Balletten; man muß sie
nothwendig sehen, und mehr als einmal sehen. Ein
witziger Kopf kann vortrefliche
Programmen machen, und dem Mahler die
größesten Ideen an die Hand geben, das Verdienst aber
besteht in der Austheilung und
Ausführung. Man schlage den Tasso, den Ariost und verschiedene andre dergleichen Autoren auf, man wird Stoffe
darinn finden, die sich beym Lesen schön ausnehmen; auf dem Papiere wird sich alles thun
lassen; die Ideen werden sich häufen; alles wird leicht seyn, und einige künstlich hingestellte Worte werden der
Einbildungskraft ein Haufen angenehmer
Sachen vorstellen; sie werden es aber nicht bleiben,
sobald man Anstalt macht, zur wirklichen Ausübung zu schreiten; und dann ist die Zeit, wo der Artist den himmelweiten Raum
zwischen dem Entwurfe und der Ausführung kennen lernen wird. [↔] Gleichwohl will ich Ihre Neubegierde zu
befriedigen suchen, mein Herr, in der Ueberzeugung, daß Sie mich nicht nach der
schlecht gezeichneten Skitze einiger Ballette beurtheilen
werden, die das Publikum
zwar mit einem Beyfalle aufgenommen hat, welcher mich aber nicht vergessen läßt, daß seine Nachsicht immer größer gewesen ist, als meine Talente. [↔] Ich bin weit davon entfernt, meine Arbeiten für Meisterstücke zu halten; ein
schmeichelhafter Beyfall
könnte mich freylich überreden,
daß sie einiges Verdienst hätten, allein ich bin noch stärker überzeugt, daß sie
nicht ohne Fehler sind. Sie mögen aber seyn wie sie
wollen: so sind diese geringen Verdienste und diese Fehler völlig mein Eigenthum. Niemals habe ich diese vortreflichen
Muster, welche entzücken und begeistern, vor Augen gehabt. Hätte ich Gelegenheit gehabt zu sehen, vielleicht hätte ich
aufgefangen. Wenigstens
hätte ich die Kunst studirt, die Annehmlichkeiten andrer
nach meiner Bildung
einzurichten, und mich bemühet, sie mir zu eigen zu machen, oder mich doch wenigstens, ohne
lächerlich zu werden, damit zu schmücken.
Dieser Mangel an unterrichtenden
Gegenständen hat indessen bey mir eine lebhafte
Nacheiferung erweckt, die mich vielleicht nicht beseelt haben möchte, wenn ich eine
bequeme Veranlassung gehabt hätte, ein bloß kalter und
knechtischer Nachahmer zu werden. Die Natur ist die einzige Wegweiserinn, die ich gehabt, und der ich zu
folgen mir vorgesetzt habe. Wenn mich meine Einbildungskraft
zuweilen mißleitet, so läßt mich der
Geschmack, oder wenn man das lieber will,
eine Art von Instinkt, meinen Irrthum einsehn, und führen
mich zum Wahrenzurück. Ich entferne alles, was
mir nicht auf den ersten Blick schön
vorkommt; ich verwerfe ohne Widerwillen, was ich mit der
grössesten Mühe gemacht habe, und ich bin für meine Arbeiten nicht eher eingenommen, als bis sie wirklich rühren. Keine von allen aber wird
mir saurer als die Komposition der Ballette gewisser Opern. Ich weiß nicht, was ich
mit den ewigen Passepieds und Menuetten machen soll; die Monotonie der Musikbetäubt mich, und ich werde eben
so arm als sie, denn sie verwandelt, so zu sagen, meinen
Ueberfluß in Dürftigkeit. Hingegen eine
ausdrucksvolle, harmonische Musik, die so reich an
Abwechslung ist, als die, worauf ich seit einiger Zeit
gearbeitet habe, (*) bietet mir tausend Ideen und
tausend Züge dar; sie reißt mich fort, hebt mich empor,
entflammt mich, und den
Eindrücken, die sie auf mich und auf das Innerste meiner
Seele gemacht hat, habe ich die Zusammenstimmung, die Einheit, das Hervorragende, das Neue, das Feuer und die Menge der hervorstechenden und
besondern Charaktere zu danken, welche
unpartheyische Richter geglaubt
haben, in meinen Balletten zu finden; sehr natürliche
Wirkungen der Musik über den Tanz, und des
Tanzes über die Musik, wenn sich beyde Künstler mit
einander verstehen, und wenn
sich beyde Künste die Hände bieten, sich verbinden und
sich wechselsweise
11
Reitze mittheilen, um zu schmeicheln und zu gefallen. [↔] Es wäre gewiß unnütz, Sie von den chinesischen
Verwandlungen, den flammändischen
Lustbarkeiten, der neuverehligten Landfrau, dem Festin zu Vauxhall,
den preußischen Rekruten, dem
geschmückten Balle und einer sehr,
vielleicht zu großen Anzahl komischer Ballette zu
unterhalten, welche fast gar keine Verwicklung haben, die
bloß bestimmt sind, die Augen zu belustigen, und deren ganzes Verdienst in der Neuheit der Gänge, und in der Abwechslung und dem Schimmer der
Figuren besteht. Ich bin auch nicht willens derer zu
erwähnen, welche ich glaubte im Großen behandeln zu
müssen, als da sind die Ballette, die ich den Tod des Ajax, das
Urtheil des Paris, die Hinabfahrt des Orpheus zur Höllen, Rinald und
Armide u. s. w. betitelt habe. Eben so schweig
ich auch von der Jouvencer Fontaine und von den Eigensinnigkeiten der Galathee.
(*) Ueberzeugt von der Güte,
12
die Sie für mich haben, und von der Ehre, die Sie mir erzeigen, an allem Theil zu nehmen, was mich angeht, denke ich,
mein Herr, daß Ihnen die Beschreibung solcher Werke mehr gefallen wird, die mir ihr Daseyn völlig zu danken haben, und die Sie bloß als die Frucht meiner Einbildungskraft betrachten können; und ich fange also bey dem heroischpantomimischen Ballette an, das
ich den Nachttisch der Venus, oder die
List des
Liebesgottes, benannt habe. [↔] Das Theater stellt einen reitzenden Sallon
vor; Venus sitzt in einem sehr schönen Nachtkleide an ihrer Toilette; die Spiele und Scherze beeifern sich um die Wette, ihr alles, was zu ihrem Schmucke
dienen kann, darzureichen; die Grazien bringen ihr Haar in Ordnung; Amor schnürt ihr einen Schuh fest; junge
Nymphen sind beschäftigt, einige Blumenkränze zu winden,
andre für den Amor ein Casket zurecht zu machen; die übrigen auf das Kleid und den Mantel, welche Venus anlegen will, Blumen
zu heften. Nachdem sie mit ihrem Nachttische fertig, wendet sich Venus nach ihrem Sohne, und
scheint ihn um Rath zu fragen; der kleine Gott lobt ihre
Schönheit, wirft sich mit Entzücken in ihre Arme, und dieser erste Auftritt
bietet alles dar, was die Wollust, die Coquetterie und die Grazien nur Reitzendes haben. [↔] Der zweyte wird ganz zum Ankleiden der Venus
angewandt. Jedes Stück wird ihr von den Grazien angelegt;
ein Theil der Nymphen
beschäftigt sich, den Nachttisch wieder in Ordnung zu
bringen, indessen daß die übrigen den Grazien die nöthigen Kleidungsstücke
zureichen; die Spiele und Scherze, welche nicht weniger
geflissen sind, die Göttinn zu bedienen, halten die
Schmink- und Mouchendosen, den
Blumenstrauß, das Halsband, die Armbänder u. s. w. Amor in
einer niedlichen Stellung
bemächtigt sich des Spiegels und flattert dergestalt beständig um die Nymphen herum, welche, um sich für
seinen Leichtsinn zu rächen, ihm
seinen Köcher und seine Binde wegreissen; er verfolgt sie,
wird aber in seinem Laufe durch drey von eben diesen Nymphen aufgehalten, welche ihm sein Casket und einen Spiegel bringen;
er setzt es auf und bespiegelt sich, er fliegt in die Arme
seiner Mutter, und sinnt
seufzend auf das Vorhaben, sich
wegen dieser Art von empfangner
Beleidigung zu rächen: er bittet und plagt Venus, ihm zu
seinem Vorhaben, dadurch, daß sie ihre Seelen durch ein
Gemählde alles dessen, was die
Wollust einnehmendes hat, zur
Zärtlichkeit geneigt macht, behülflich zu
seyn. Venus enthüllt hierauf alle ihre Liebreitze; ihre Bewegungen, ihre Stellungen, ihre Blicke sind das
Bild des Vergnügens der Liebe selbst. Die innigst bewegten Nymphen
bemühen sich, es ihr nachzumachen und alle die feinen
Schattirungen zu treffen, welche sie anwendet, sie weich
zu machen. Amor, der den Eindruck bemerkt, nützet den
Augenblick; er schießt seine
Pfeile auf sie ab, und in einer allgemeinen Entree läßt er
sie alle Leidenschaften mahlen, welche er einflößt. Ihre
Unruhe wächst und nimmt immer zu; aus der Zärtlichkeit fallen sie in Eifersucht, aus dieser in Wuth, aus der Wuth in
eine Mattigkeit, und zuletzt in
die Unbeständigkeit; sie gehen mit einem Worte nach und
nach durch alle die unterschiedlichen
Empfindungen, wovon
die Seelebewegt werden kann, und er ruft sie immer zu
der Empfindung der Glückseligkeit zurück. Der versöhnte und über seinen Sieg zufriedne
Gott, sucht sich von ihnen los zu machen; er
entflieht, sie folgen ihm mit Emsigkeit; aber er
entwischt, und verschwindet mit
seiner Mutter und den Grazien; und die Nymphen haschen dem
Vergnügen nach, welches ihnen entflieht. [↔] Dieser Auftritt, mein Herr, verliert alles im Lesen; Sie sehen weder die
Göttinn, noch Amor, noch ihr Gefolge. Sie
können nichts unterscheiden, und in der Unmöglichkeit, worinn ich mich befinde, das, was die Züge, die Physiognomie, die Blicke und Bewegungen der Nymphen so
gut ausdrückten, auf dem Papiere vorzustellen, haben Sie
keine andre, und ich kann Ihnen hier keine andre geben, als eine sehr unvollkommne, schwache Idee, von einer sehr lebhaften und sehr mannigfaltigen Aktion. [↔] Der darauf folgende Auftritt schürzt den
Knoten. Amor erscheint alleine; mit einem Wink, mit einem
Blicke belebt er die Natur.
Der Ort verändert sich; er stellt einen großen dunkeln
Wald vor; die Nymphen, welche den Liebesgott nicht aus den
Augen verloren, treten plötzlich auf; wie groß aber ist
ihre Furcht! sie sehen weder die Venus, noch die Huldgöttinnen; die Dunkelheit des Waldes
und die allgemeine Stille erweckt ihnen ein Schaudern. Mit
Zittern fahren sie zurück, Amor beruhigt sie und ladet sie
ein, ihm zu folgen; die Nymphen überlassen sich ihm; er
scheint sie durch einen behenden Lauf zum Wettstreit aufzufodern. Sie laufen ihm
nach; durch verschiedene Finten aber entwischt er ihnen beständig, und in dem Augenblicke, wo er in der
grössesten Verlegenheit zu seyn
scheint, und wo die Nymphen glauben, ihn gehascht zu
haben, entflieht er wie ein Pfeil, und augenblicklich sind
statt seiner zwölf Faunen da. Diese plötzliche unerwartete Veränderung thut um
desto größre Wirkung, weil nichts so treffend ist, als der
Abstich zwischen der Situation der Nymphen und der Faunen. Die Nymphen machen ein Gemählde der Furchtsamkeit und der Un schuld; die Faunen der
Stärke und der Unbändigkeit. Die
Stellungen der letztern sind voller Macht und Trotz, und
die Positions der erstern drücken bloß das Schrecken aus,
was eine nahe Gefahr einflößt. Die Faunen verfolgen die vor ihnen fliehende Nymphen,
und ergreifen sie bald;
einige von den Nymphen
gleichwohl, machen sich den Augenblick zu Nutze, da die
Hitze zu siegen einen Zank unter den Faunen veranlaßt hat,
und entkommen durch die Flucht;
es bleiben von den zwölf also nur sechs Nymphen übrig.
Dieß verursacht einen neuen Streit über den Besitz; keiner von ihnen will in
die Theilung willigen, und indem
auf die Eifersucht bald Wuth folgt, fangen sie an zu
ringen und zu kämpfen. Die zitternden und erschrocknen Nymphen kommen wechselsweise aus den
Händen der Besiegten in die Hände der Ueberwinder. In einem Augenblicke unterdessen, da die Kämpfer mit
nichts beschäftigt zu seyn scheinen, als mit der
Niederlage ihrer Nebenbuhler, versuchen sie zu entwischen. [↔] Sechs Faunen stürzen ihn nach, und können sie nicht erreichen, weil sie selbst von
ihren Gegnern, die sie
verfolgen, aufgehalten werden. Hier entflammt ihr Zorn
immer stärker; alle eilen zu Bäumen, brechen voller Wuth Aeste herab und führen
damit fürchterliche Streiche auf
einander. Da sie alle gleiche Geschicklichkeit im
Ausweichen besitzen, so werfen sie diese Werkzeuge der
Wuth und Rache aus den Fäusten, und fahren über ein, ander her: sie ringen mit einer Erbitterung, die bis zum Rasen und zur Verzweiflung geht; sie packen sich einander an, werfen sich zu Boden, heben sich von der Erde, drücken,
klemmen, würgen und schlagen sich, und in diesem Kampfe
ist kein Augenblick, der nicht ein Gemählde macht. Endlich
werden sechse von den Faunen Sieger; sie halten ihre
niedergeworfene Feinde mit
einem Fuße nieder, und heben schon die Arme, um ihnen den
letzten Streich
beyzubringen, wenn sie von sechs Nymphen, die Amor herbey
führt, aufgehalten und mit einem
Blumenkranze beschenkt werden. Ihre Gespielen voller
Mitleid über die Schaam und die
Niederlage der Besiegten, lassen
die, welche sie ihnen bestimmt hatten, zu ihren Füßen fallen. Die Ueberwundnen liegen unbeweglich in einer Stellung,
welche alles mahlt, was der Schmerz und
Entkräftung fürchterliches haben; ihre
Köpfe hängen nieder und ihre Augen sind auf die Erde geheftet. Venus und die Grazien, welchen ihr Jammer zu Herzen geht,
vermögen Amor dahin, sich derselben anzunehmen; dieser kleine Gott
flattert um sie herum, und mit einem gelinden Hauche
beseelt er sie, und bringt sie wieder ins Leben; allmählig
sieht man sie ihre matten Arme aufheben, und den Sohn der Venus anflehn, der durch seine
Stellungen und Blicke ihnen gleichsam ein neues Daseyn
giebt. Kaum daß sie desselben geniessen, als sie gewahr
werden, daß ihre Feinde mit ihrem Glücke beschäftigt sind,
und um die Nymphen herum schäkern; der Verdruß ergreift sie von neuen;
ihre Augen fangen an zu funkeln;
sie fallen darüber her, bekämpfen sie, und werden itzt Sieger; wenig zufrieden
mit ihrem Siege, wenn er ihnen keine Trophäen brächte,
entreissen sie den Ueberwundnen die Blumenkränze, worauf
sie stolz waren; durch eine Zauberey des Amors aber, werden aus jedem Blumenkranze zwey, und dieser Zufall
stellt Frieden und Ruhe unter ihnen her; die neuen
Ueberwinder und die neuen
Ueberwundenen empfangen alle den
Lohn des Sieges; die Nymphen
reichen denen, welche eben untergelegen haben, die Hände,
und Amor verbindet die Nymphen mit den Faunen. Nun fängt das
symmetrische Ballet an; die mechanischen Schönheiten derKunst zeigen sich
in einer großen Chacone, in welcher
Venus, Amor, die Grazien, die Scherze und Spiele die
vornehmsten Reprisen tanzen.
Hier konnte ich besorgen, daß die Handlung
stocken möchte, ich habe aber den Augenblick ergriffen, wo
Venus den Amor mit Blumenkränzen gefesselt, und ihn so am Gängelbande
führt, um ihn zu verhindern, daß er nicht einer Grazie folgen soll, mit der er sich einläßt, und während dieses Pas de Deux, der
viel Ausdruck hat, lasse ich die Nymphen von den Spielen
und Scherzen nach dem Walde führen. Die Faunen folgen eilig nach, und um nicht die Wohlanständigkeit zu beleidigen, und um die
Anmerkungen, welche Amor seine Mutter über diese
Verschwindung machen läßt, nicht zu deutlich zu machen,
lasse ich die Faunen und Nymphen einen Augenblick darauf
wieder vorkommen. Die zufriedene Miene jener und der Ausdruck dieser mahlen in einer wohl ausgedrückten Stelle der Chacone, mit sanften Farben der
Empfindung und des Wohlstandes, das Bild der Wollust. [↔] Dieses Ballet, mein Herr, hat eine warme und beständig allgemeine
Handlung. Es hat, ich kann michs rühmen,
einen Eindruck gemacht, den die Tanzkunst bis dahin noch
nicht hervorgebracht hatte. Dieses Glück hat mich vermocht, die Gattung, worauf ich
mich, ich muß es gestehen, weniger aus Neigung und Einsicht, als aus
Gewohnheit, gelegt hatte, fahren
zu lassen. Von diesem Augenblicke an, habe ich den Tanz in
Handlung und mit Ausdruck
gewählt; ich habe mich beflissen, in einer größern und
nicht so verpinselten Manier zu mahlen, und ich habe einsehn gelernet, daß ich mich gröblich geirret, als ich dachte, daß das
Tanzen bloß fürs Auge, und daß dieser Sinn die Grenze sey, worüber er sich nicht hinauswagen dürfte. Ueberzeugt, daß er weiter
gehen kann, und ein unstreitiges Recht über das Herz und
Seele hat, wendete ich meine Bemühungen an, ihn in den Besitz aller seiner Rechte zu setzen. [↔] Die Faunen hatten keine runde- und die
Nymphen, Venus und die Grazien keine Reifröcke. Ich hatte
die Masken verbannt, weil sie sich allem Ausdrucke
widersetzt hätten; Garricks Methode hat mir
große Dienste ge leistet; in den Augen und
auf der Physiognomie meiner
Faunen las man alle Bewegungen der Leidenschaften, die sie empfanden. Unterkleider und eine Art von
Schuhen, die aus Baumrinde gemacht zu seyn schienen, zog
ich nach meinem Bedünken den Tanzschuhen vor; weder weisse Strümpfe, noch weisse Handschuh, ich hatte die Farbe nach der
natürlichen Fleischfarbe
dieser Waldbewohner gewählt;
eine simple Draperie von Tigerfell bedeckte ihnen einen
Theil des Körpers, und mit den Köpfen gingen
sie ganz bloß; und damit das Kostume nicht zu hart scheinen und
nicht zu sehr gegen die zierliche Kleidung der Nymphen
abstechen möchte, hatte ich den Rand der Draperien mit
einer Guirlande von Laubwerk mit Blumen untermischt
besetzen lassen. [↔] In die Musik hatte ich auch noch Pausen
anbringen lassen, und diese Pausen thaten eine überaus angenehme Wirkung; indem das Ohr des Zuschauers> plötzlich aufhörte, von
der Harmonie berührt zu werden: so faßte sein Auge desto aufmerksamer alle die kleinern Partien der Gemählde, die Stellung und Zeichnung der Grouppen, den Ausdruck
der Köpfe, und die verschiedenen Theile des Ganzen; nichts entwischte seinen Blicken; dieser Stillstand in der Musik und in den
ZuschauerBewegungen
der Körper verbreitet ein stilles heitres Licht; er macht, daß die folgenden Stücke mit desto mehr Feuer herauskommen; es sind die
Schatten, welche, wenn sie mit Kunst ausgespart und mit
Geschmack vertheilt sind, allen Theilen
der ganzen Komposition einen neuen und wahren Werth geben;
allein, die Kunst besteht darinn, daß man wirthschaftlich damit umgehe. Sie
würden dem Tanze eben so wehe thun, als zuweilen der Mahlerey, wenn man sie mißbraucht. [↔] Lassen Sie uns auf die Eifersucht im Serail kommen; dieses Ballet und das, wovon
ich eben geredet, haben den Geschmack des Publikums getheilt; sie sind gleichwohl in einer völlig entgegengesetzten
Gattung und können nicht mit
einander verglichen werden. [↔] Das Theater stellt einen Theil vom Serail
vor; ein Peristil mit Wasserfällen und Fontainen macht die Vorderbühne aus. Auf der
Hinterbühne sieht man einen runden verdeckten Säulengang; die Oefnungen
dieser Colonade sind mit
Blumenkränzen, Grouppen und Wasserfällen ausgeziert; die hinterste Wand der Dekoration stellt einen Wasserfall vor, der in verschiedenen Becken spielt, sich in einen großen Behälter verliert und hinter sich eine Landschaft und einen weiten Horizont erblicken läßt. Die Weiber des Serails sitzen auf reichen Sophas und Kissen; sie beschäftigen sich mit allerley bey den
Türken üblichen Frauenzimmerarbeiten. [↔] Prächtig gekleidete weisse und schwarze Verschnittene erscheinen und reichen den
Sultaninnen Sorbet und
Caffee; andre sind geschäftig ihnen Blumen, Früchte und
wohlriechende Sachen zu bringen. Eine unter ihnen, welche sich mehr mit sich
selbst beschäftigt, als ihre Gespielinnen, schlägt alles
aus, um einen Spiegel zu haben;
ein Sklav bringt ihr einen. Sie bespiegelt sich, sie
betrachtet sich mit Wohlgefallen, sie studirt ihre
Bewegungen, Stellungen und
ihren Gang. Ihre Gespielinnen, voller Neid über ihre
Reitze, wollen alle ihre Bewegungen nachmachen, und daher entstehen
allerley theils allgemeine,
theils besondre Entreen, welche bloß
die Wollust und die heftige Begierde aller mahlen, ihrem Herrn zu gefallen. [↔] Auf das Entzücken einer zärtlichenMusik, und das Murmeln der Wasserfälle, folgt
ein trotziges punktirtes Stück, wonach die Stum men und die schwarzen und
weissen Verschnittnen tanzen,
welche die Ankunft des Großherrn ankündigen. [↔] Er tritt eilig herein, ihm folgen der Aga,
eine Menge Janitscharen, verschiedene Bostangis und vier Zwerge. In diesem Augenblicke fallen die Stummen
und Verschnittenen auf die Kniee; alle Weiber neigen sich
und die Zwerge bringen ihm Blumen und Früchte in Körben. Er wählt einen Strauß, und
mit einem Wink gebietet er allen Sklaven sich zu
entfernen. [↔] Der Sultan bleibt allein mitten unter seinen Weibern und scheint unschlüßig, welche
er wählen soll; er geht mit diesem unentschlossenen Wesen um sie herum,
welches aus der Vielheit der liebenswürdigen Gegenstände
entsteht. Alle diese Weiber
bestreben sich, sein Herz zu fesseln, aber Zaire und Zaidescheinen seinen Vorzug zu
verdienen. Er reicht den Strauß der Zaide, da sie darnach greift, verzögert ein Blick
von Zairen seine Wahl: er betrachtet
sie; er läßt seine Blicke von neuem herumfliegen; kommt
darauf wieder zu Zaiden, allein ein
bezaubernder Seufzer der Zaire
entscheidet es völlig. Er giebt ihr den Blumenstrauß, und
sie nimmt ihn voller Freuden an. Die andern Weiber mahlen
durch ihre Stellungen ihren Neid und Verdruß; Zaire zeigt eine boshafte Freude über
die Verwirrung ihrer Gespielinnen und über die Niederlage ihrer Nebenbuhlerin. Der
Sultan, welcher merkt, was für eine Wirkung seine Wahl auf die Gemüther der übrigen Weiber gethan hat, und
den Triumph der Zaire erhöhen will,
befiehlt Fatimen, Zaiden und der Zima, daß sie der Favoritin den Blumenstrauß anheften sollen,
womit er sie beschenkt hat.
Sie gehorchen wider Willen, und
ungeachtet der Geflissenheit, womit sie den Befehl des
Sultans zu erfüllen scheinen, entwischen ihnen Bewegungen des Verdrusses und der
Verzweiflung, welche sie doch zu vertuschen suchen, wenn
sie den Augen ihres Herrn
begegnen. [↔] Der Sultan tanzet ein wollüstiges Pas de Deux mit Zairen und begiebt sich mit ihr hinweg. [↔] Zaide, der der Sultan zuerst das Bouquet geben wollte, ist
voller Verwirrung und Verzweiflung, und überläßt sich in
einer Soloentree der heftigsten Wuth. Sie zieht ihren Dolch, sie will sich das Leben nehmen,
ihre Gespielen aber halten ihr den Arm, und suchen sie von diesem unmenschlichen Vorhaben abzubringen. [↔] Zaide steht im Begriffe nachzugeben, als
Zaire mit allem Stolze wieder kommt; ihre Gegenwart giebt ihrer Nebenbuhlerin alle
ihre Wuth wieder; sie fliegt plötzlich auf sie los, um ihr
den Streich zu versetzen, welchen sie für sich selbst bestimmt hatte; Zaire weicht ihm geschickt aus, bemächtigt sich des Dolches, und hebt den Arm auf, um Zaiden damit zu
durchbohren. Nunmehr theilen
sich die Weiber des Serails, sie eilen zu der Einen und zu
der Andern. Die entwafneteZaide macht sich den Augenblick zu Nutze, da man ihrer Feindin den Arm hält, fällt
über den Dolch her, welchen Zaire an der Seite trägt, um solche wider sie zu gebrauchen; allein, die auf ihre
beyderseitige Erhaltung
aufmerksamen Sultaninnen wehren den Streich ab; in diesem
Augenblicke treten die Verschnittenen herein, welche der
Lärm herbey gerufen; sie sehen, daß der Streit so weit gegangen ist, daß sie fürchten müssen, keinen Frieden machen zu können, und eilen plötzlich hinweg, um dem Sultan davon zu
benachrichtigen. Itzt reissen die Sultaninnen die beyden
Nebenbuhlerinnen aus einander, welche unglaubliche Mühe anwenden, sich
los zu machen; es gelingt ihnen; kaum sind sie frey, als
sie wieder wüthend auf einander losgehn. Alle Weiber
fliegen voller Schrecken dazwischen, um ihnen Einhalt zu thun. Hier zeigt sich der besorgnißvolle Sultan; die Veränderung, welche seine Ankunft hervorbringt,
ist ein starker Theaterstreich. Auf der Stelle verwandeln sich Wuth und Schmerz in
Zärtlichkeit und Vergnügen. Zaire, anstatt
sich zu beklagen, zeigt, aus einer Großmuth, die edlen Seelennatürlich ist, ein heitres Wesen, welches den
Sultan beruhigt, und ihn von der Furcht, den
Gegenstand seiner Zärtlichkeit
zu verlieren, befreyet. Diese Stille stellt im Serail die
Freude wieder her, und der Sultan erlaubt den
Verschnittenen, Zairen ein Festin zu geben. Der Tanz wird allgemein. [↔] Zaire und Zaide
versöhnen sich in einem Pas de Deux; der Sultan tanzt mit ihnen ein Pas de Trois, worinn er beständig der Zaire ganz deutlich den Vorzug giebt. [↔] Dieses Festin wird mit einem prächtigen
Contretanze beschlossen. Die letzte Figur macht eine Grouppe auf einem auf Stufen erhabnem
Throne; sie besteht aus dem Sul tan und seinen Weibern.
Zaire und Zaide sitzen ihm zur Seiten. Diese Grouppe
ist mit einem großen Baldachin gekrönt, dessen Vorhänge von Sklaven gehalten werden.
Die beyden Seiten des Theaters machen eine andre Grouppe von Bostangis, weissen und
schwarzen Verschnittnen, Stummen, Janitscharen und Zwergen, welche vor dem Throne
des Großsultans in demüthiger Stellung auf der Erde liegen. [↔] Hier haben Sie, mein Herr, eine sehr
schwache Beschreibung von einer Folge von Scenen, welche
alle wirklich intereßiren. Der Augenblick, wo der Sultan
über seine Wahl schlüßig wird, der, wo er die Favoritin wegführt, der Kampf der
Weiber, die Grouppe, welche sie bey der Ankunft des Sultans bilden, diese plötzliche Verändrung, diese
Entgegenstellung von Empfindungen, diese
Liebe, welche alle Weiber für sich selbst
bezeigen, und welche sie alle verschieden ausdrücken, sind lauter Abstiche, die ich Ihnen
nicht begreiflich machen kann. In eben dem Unvermögen befinde ich mich in Ansehung der eingeschobenen Scenen, die ich in dieß Ballet gebracht habe. [↔] Die Pantomime ist ein Pfeil, die großen Leidenschaften drücken ihn ab; es ist eine
Menge Blitze, die schnell auf einander folgen; die Gemählde, die daraus
entstehen, sind voller Feuer, sie dauren nur einen Augenblick und machen alsobald
andern Platz. Nun aber, mein Herr, müssen sich in einem
wohl ausgedachten Ballette weniger Dialog und wenig ruhige Augenblicke befinden; das Herz muß darinn in beständiger Bewegung seyn; wie kann man also den lebhaften Ausdruck der Empfindung und die
feurige Aktion der Pantomime
beschreiben? Die Seele muß mahlen, die Physiognomie die Farben
geben, und endlich müssen die Augen die kühnen Pinselzüge anbringen und das Bild vollenden. [↔] Die Handlung der Ballette, wovon ich eben geredet habe, ist viel kürzer in der Aufführung, als beym Lesen.
Aeusserliche Zeichen, welche
eine Empfindung anzeigen, werden frostig und langweilig, wenn ihnen nicht
schnell andre Zeichen folgen, die eine
neu eintretende
Leidenschaft andeuten; dabey ist noch nöthig,
daß man die Handlung unter verschiedene Personen vertheile; einerley Veränderung, einerley Bemühung, einerley
Be wegung, ein
ununterbrochner Sturm von Leidenschaften würden sowohl den
Akteur als den Zuschauer
ermüden und einschläfern; es kommt also darauf an, das
Langweilige zu vermeiden, wenn man dem Ausdrucke die gehörige Stärke, den Gestus
ihre Kraft, der Physiognomie ihren Ton, den Augen ihre Beredsamkeit, den Stellungen und Positions ihre Anmuth und Wahrheit lassen will. [↔] Das Ballet der Eifersucht im
Serail sagen vielleicht einige, in Romanen belesene Kunstrichter, sündigt wider das Kostume und die Sitten der Morgenländer; sie werden es für
lächerlich halten, Janitscharen und Bostangis
in den, für die Weiber des Großsultans bestimmten Theil
des Serails zu bringen; und weiter werden sie einwenden,
daß man zu Constantinopel keine Zwerge hält und daß der Großherr sie nicht leiden mag. [↔] Ich habe gegen die Richtigkeit ihrer Bemerkungen und ihrer weitläuftigen Einsicht
nichts einzuwenden, ich muß ihnen aber sagen, daß, wenn meine Ideen die Wahrheit beleidigt, solche doch nicht gegen
die Wahrscheinlichkeit verstoßen haben, und alsobald habe ich auch Recht gehabt, zu den nothwendigen Freyheiten meine Zuflucht zu nehmen, welche sich
die berühmtesten Schriftsteller in weit wichtigern Werken, als ein Ballet ist,
erlauben. [↔] Wenn man sich ganz genau bände, die Sitten, Charaktere und Gebräuche gewisser Nationen zu mahlen, so würden die Gemählde oft von armseliger
eintöniger Komposition seyn; es wäre auch ungerecht, einen
Mahler wegen der wohlverstandenen Freyheiten, die er
sich genommen hat, zu verdammen, wenn eben diese Freyheiten dazu beytragen, in seine Gemählde
mehr Abwechslung, Zierlichkeit und Vollkommenheit zu bringen. [↔] Sobald als die Charaktere gut ausgeführt
sind; wenn der Charakter der Nation, die man vorstellt, nicht verfehlt ist, und sich unter den fremden Schönheiten die
Natur nicht verliert oder
erniedrigt; wenn ferner der Ausdruck der Empfindung treu, das Colorit wahr, das Helldunkle mit Kunst
angebracht, die Zeichnung richtig ist; wenn die
Anordnungen edel, die Grouppen sinnreich und die Massen schön sind: so ist das Gemähldevortreflich und verdient das
größte Lob. [↔] Ich glaube, mein Herr, daß ein türkisch oder
chinesisch Festin der französischen Nation
nicht schmecken würde, wenn man nicht die Künste wüßte, es
zu verschönern, und ich bin überzeugt, daß die Tanzart dieser Völker keinen Anspruch aufs Gefallen machen kann. Diese Genauigkeit im Kostume und der Nachahmung würde ein
Schauspiel geben, das sehr platt und des Publikums wenig würdig wäre,
welches nur seinen Beyfall ertheilt, in so fern der Artist
in die verschiedenen Werke, die
er ihm vorlegt, Genie und Delikatesse zu bringen verstanden hat. [↔] Wenn diejenigen, die mich über die vorgegebene Freyheit, die ich mir genommen hatte, Janitscharen und Bostangis ins Innre des Serails zu bringen, getadelt haben, von der Aufführung, der Austheilung und dem
Gange meines Ballets Zeugen gewesen wären: so hätten sie gesehen, daß die Personagen, an welchen sie sich in einer
hundertmeiligen Entfernung
gestoßen haben, nicht in das Theil des Serails kamen, wo
sich die Weiber aufhalten; daß sie nur in dem Garten erschienen, und daß ich sie nur auf das Theater gebracht hatte, um die
Ankunft des Großsultans majestätischer und feyerlicher zu machen. [↔] Uebrigens, mein Herr, fällt eine Kritik, die
sich bloß auf ein Programm bezieht, von selbst weg, weil
sie sich auf nichts gründet. Von derKunst eines
Mahlers urtheilt man nach seinen
Gemählden, und nicht nach seiner
Schreibart; eben so muß man von einem Balletmeister nach
den Grouppen, Situations, Theaterstreichen, sinnreichen
Figuren, vorstechenden Gängen, und nach dem Ganzen,
welches durch sein Werk herrscht, urtheilen. Ueber unsre Werke richten, ohne sie
gesehn zu haben, heißt glauben, daß man über einen
Gegenstand des Gesichts im Dunkeln entscheiden könne. Ich bin u. s. w. [↔]
[↔] Noch zwey Ballette, mein Herr, und
ich bin fertig, denn es ist Zeit, daß ich aufhöre. Ich habe schon genug
gesagt, um Sie von allen Schwierigkeiten einer Kunst zu
überzeugen, die nur für
diejenigen leicht ist, welche
nicht tiefer gehn, als die Oberfläche, und welche sich
einbilden, wunder! was für Beyfall zu verdienen, wenn sie sich etwann einen Zoll
höher von der Erde heben können, als andre, oder eine Flechte oder ein in die Runde angeben. Je tiefer man geht, es sey in was für einer Wissenschaft es sey, je
mehr häufen sich die Schwierigkeiten, und je weiter scheint sich das Ziel zu entfernen, das man zu erreichen sich bestrebt. Deswegen, mein Herr, erringt der größeste Artist mit seinem
mühsamsten Fleisse nichts als die oft kränkende Einsicht,
die ihn lehrt, wie weit er noch von der Vollkommenheit entfernt ist, indessen daß der Unwissende mitten in seiner
dicksten Finsterniß glaubt,
in demjenigen, was er sich zu wissen schmeichelt, bestehe
alle Vollkommenheit. [↔] Das Ballet, von dem ich Sie unterhalten
werde, heißt Amor als Corsar, oder
die Schiffarth nach
Cythere. Die Scene ist am Ufer des Meers, auf
der Insel Mysogynien. Etliche, in unser Gegend unbekannte Bäume zieren diese Insel; auf der
einen Seite des Theaters
bemerkt man einen antiquen Altar, der
Gottheit geweiht, welche die Einwohner verehren; eine Statue, welche
einen Mann vorstellt, der einem Frauenzimmer einen Dolch
ins Herz drückt, steht auf diesem Altare. Die Einwohner
dieser Insel sind grausam
und barbarisch; sie haben den Gebrauch, alle
Frauenspersonen, welche ihr Unglück auf diese Küsten
wirft, ih rer Gottheit zu opfern.
Dasselbe Gesetz legen sie allen
Männern auf, welche der Wuth der Wellen entrinnen. Der
Vorgang im ersten Auftritte ist
die Aufnahme eines Fremden, der
aus einem Schifbruche gerettet ist. Dieser Fremdling wird
zum Altare geführt, an welchem zwey Oberpriester stehen.
Ein Theil der Einwohner steht um eben diesen Altar in Reihen, in ihren Händen
Keulen haltend, womit sie sich
üben, indessen daß die übrigen Insulaner durch einen
mystischen Tanz die Ankunft des neuen Prosolyten feyren. Dieser sieht sich
genöthigt, das feyerliche
Versprechen abzulegen, mit dem Stahle, damit man ihn
bewafnet, die erste Frauensperson, welche ein grausames Geschick auf diese
Insel bringen wird, zu erwürgen. Kaum fängt er an, den
entsetzlichen Eid
nachzunsprechen, wofür ihn
schaudert, ob er sich gleich im Herzen vornimmt, der neuen
Gottheit, derem Dienste er geweihet, ungehorsam zu seyn, als die Ceremonie durch ein
heftiges Geschrey, das man bey Erblickung eines Boots, das mit den stürmischen Wellen kämpft, anhebt, und durch einen lebhaften Tanz unterbrochen wird, welcher die unmenschliche Freude anzeigt, die man über die
Hofnung verspürt, einige Opfer schlachten zu sehen. In diesem Boote wird man eine Mannsperson und
ein Frauenzimmer gewahr, welche die Hände gen Himmel
strecken und um Rettung flehn. Dorval
(so heisse der Fremdling,) glaubt bey der Annäherung
dieses Bootes seine
Schwester und seinen Freund zu erkennen. Er sieht
aufmerksam hin; sein Herz wird mit Vergnügen und
Furchtüberströmt; endlich sieht er sie
ausser Gefahr; er überläßt sich der Uebermaaße eines
unaussprechlichen
Vergnügens; aber dieses Vergnügen wird bald durch den Gedanken gemäßigt, an was für einem schrecklichen Orte
er sich befindet, und diese traurige Erinnerung stürzt ihn in die tiefste
Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Der Antheil, den er
erst an der Begebenheit nahm, hat die Mysogynen zu einem
Irrthume verleitet; sie wähnten, es wäre Eifer und
unverbrüchliche Treue gegen ihr Gesetz; indessen landen
Clairville und Constance; (dieß sey der Name der
beyden Verliebten;) auf ihren Minen ist der Tod gemahlt; kaum können sie die Augen öfnen; ihr sträubendes Haar giebt ein
Zeichen von ihrer Angst. Eine bleiche und todte Gesichtsfarbe mahlt das
Schrecken des Todes, der ihnen unaufhörlich gedroht hat, und den sie noch fürchten; aber wie groß ist ihr Erstaunen, als sie sich herzlich
umarmt fühlen! sie erkennen Dorval,
und eilen in seine Arme, kaum
trauen sie ihren Augen; sie können sich alle drey nicht
trennen; das Uebermaaß ihres
Vergnügens drückt sich durch die Bezeigung der reinsten
Freude aus; sie benetzen sich mit Thränen, und diese
Thränen sind redende Zeugen, von dem, was in ihrer Seelevorgeht. Hier verändert sich
ihre Situation. Ein Wilder reicht Dorval den Dolch, der Constancen durchbohren soll, und gebietet ihm, solchen in ihr Herz zu stoßen. Dorval voller Zorn über einen so barbarischen Befehl, ergreift den Stahl und will damit den Mysogyn tödten,
aber Constance eilt aus den Armen
ihres Geliebten und hält den Streich auf, den eben ihr
Bruder führen wollte; der Wilde macht sich den Augenblick
zu Nutze; er entwafnet Dorvaln, und
will diejenige durchbohren, die
ihm eben das Leben gerettet hat. Clairville faßt den Arm des Bösewichts und entreißt ihm den Dolch. Dorval und
Clairville, gleich aufgebracht über die barbarische
Grausamkeit der Einwohner dieser Insel, stellen sich Constancen zur Seiten; sie halten sie fest in ihre Arme geschlossen; sie machen ihre Körper zur Schutzwehr,
welche sie der Unmenschlichkeit ihrer Feinde entgegen
setzen, und ihre vor Zorn und Eifer funkelnde Augen scheinen den Mysogynen Trotz zu
bieten. Diese, wüthend über den Widerstand, befehlen den Wilden mit den Keulen, das Schlachtopfer aus den Armen der beyden Fremdlinge
zu entreissen, und zum Altare zu schleppen. Dorval und Clairville, denen die
Gefahr neuen Muth einflößt, entwafnen zweene von diesen Grausamen; voller Kühnheit und Wuth heben sie einen Kampf an, und kommen alle Augenblicke
wieder zu Constancen zurück; sie
verlieren solche nicht einen Augenblick aus dem Gesichte.
Diese ist untröstbar und überläßt sich zitternd, vor Furcht, zwey Personen zu verlieren, die ihr gleich theuer sind, der Verzweiflung; die Opferpriester, unterstützt von einigen Wilden, fallen über sie her und reissen sie fort zum Altare. In diesem Augenblicke sammlet sie allen
ihren Muth zusammen, ringt mit
ihnen, nimmt einem Priester seinen Dolch und sticht ihn
damit übern Haufen. Sie wird
dadurch auf einen Augenblick frey, und wirft sich in die
Arme ihres Bruders und ihres
Geliebten, denen sie aber grausamerweise wieder entrissen wird. Sie macht sich noch einmal frey, und fliegt wieder hinein;
indessen können der entkräftete und fast sterbende Dorval und Clairville der Menge nicht länger widerstehn, und werden gebunden; Constance wird zum Fuße des Altars, dem Throne der Barbarey, geschleppt. Der Arm ist schon aufgehoben, die
mit dem Dolche bewafnete Faust will eben zufahren, als ein Schutzgott der
Verliebten den Streich aufhält, indem er durch einen Machtspruch alle Einwohner der Insel unbeweglich macht. Dieser Uebergang
von der heftigsten Bewegung zur
Unbeweglichkeit thun eine erstaunende Wirkung; Constance liegt zu den Füßen des
Priesters in Ohnmacht, Dorval und Clairville, die kaum
die Augen öfnen können, liegen
in den Armen etlicher Wilden
ausgestreckt. (*)
13
Der Tag wird heiterer, die wüthenden Wellen legen sich, die
Stille folgt auf den Sturm, verschiedene Tritonen und
Najaden plätschern am Gestade im Wasser; in der See erscheint ein prächtig ausgeziertes Schiff. (*)
14
[↔] Es legt an; Amor läßt die Anker werfen; er
steigt vom Bord; die Nymphen, die Spiele und Scherze
folgen ihm, und indem sie die Befehle dieses Gottes
erwarten, stellen sie sich in Schlachtordnung. Die Mysogynen erholen sich von der Betäubung und dem unbeweglichen Zustande, worinn
Amor sie versetzt hatte. Ein
Blick von ihm ruft Constance ins Leben zurück; Dorval und
Clairville, welche nicht länger zweifeln, daß ihre
Befreyer eine Gottheit sey, werfen sich ihm
zu Füßen. Die Wilden, welche es verdreußt, ihren
Götterdienst entweiht zu sehn, ergreifen sämmtlich ihre
Keulen, um die Anbeter und das Gefolge Amors zu tödten;
sie kehren sogar ihre Wuth wider
ihn selbst, aber was können die Sterblichen, wenn der Gott
der Liebe regiert? Auf einen einzigen von seinen
Blicken erstarren alle aufgehabnen Arme der Mysogynen. Er befiehlt, daß man ihren
Altar umwerfen und ihre schändliche Gottheit zertrümmern soll; die Spiele und Scherze gehorchen seinem Willen; der Altar
fällt unter ihren Streichen, die Statue sinkt und zerbricht in Stücken. An der
Stelle des zerstörten erscheint
ein neuer Altar von weissem Marmor; Blumenkränze von
Rosen, Jasmin und Myrthen
erhöhen seine Zierde; aus der Erde kommen Säulen hervor,
seine Pracht zu vermehren, und ein künstlich gestickter
Baldachin kommt, von einer
GrouppeAmouretten getragen, aus den
Wolken; Zephyre tragen die
Zipfel und setzen ihn grade auf die vier Säulen, welche
den Altar umgeben; die alten Bäume der Insel verschwinden,
an ihrer Statt kommen Myrthen, Orangenbäumchen, Jasmin und Rosenbüsche. [↔] Die Mysogynen gerathen bey dem Anblicke ihrer zerstörten Gottheit
und entheiligtem Dienst in
Raserey; Amor aber erlaubt ihnen nur von Zeit zu Zeit
ihren Zorn zu äussern; er hält
sie allemal zurück, so oft sie eben zuschlagen und sich
rächen wollen. Die Augenblicke dieser Zauberey, welche sie
unbeweglich macht, machen
eine Menge Gemählde
und Grouppen, welche sich alle durch
die Positions, die Austheilung und die Zusammensetzung von einander unterscheiden,
welche aber alle die abscheulichste Wuth ausdrücken. Die Gemählde, welche
die Nymphen machen, sind von
ganz entgegengesetztem Geschmack und Colorit. Sie wenden
die Streiche, die ihnen die Mysogynen
zu versetzen suchen, bloß mit
Anmuth und Blicken voller Zärtlichkeit und
Liebe von sich ab. Indessen
gebietet ihnen Amor, diese Wilden zu bekämpfen und zu
besiegen; sie greifen solche mit den Waffen der
Empfindungen an, und diese thun nur noch
einen schwachen Widerstand. Wenn
sie noch stark genug sind, den Arm aufzuheben, um einen
Streich zu führen, so haben sie
nicht den Muth, ihn niederfallen
zu lassen; endlich sinken ihnen die Keulen aus den Händen.
Ueberwunden und ohne Waffen, werfen sie sich ihren
Siegerinnen zu Füßen, welche
ihnen aus natürlicher Zärtlichkeit verzeihen und sie mit
Blumenkränzen fesseln. Der
befriedigte Amor vereinigtClairvillen mit Constancen, die
Mysogynen mit den Nymphen, und dem Dorval giebt er Zeneiden, eine
junge Nymphe, die er selbst
gebildet hat. Ein Siegesmarsch
macht die Eröfnung dieses Ballets, die Nymphen führen die
Ueberwundnen an Blumenbändern, Amor befiehlt ein Fest, und
das allgemeine Divertissement beginnt. Dieser Gott, Clairville und Constance, Dorval und Zeneide, die Spiele und Scherze tanzen die
vornehmsten Stücke. Der edle Contretanz dieses Ballets,
nimmt beständig unvermerkt um zwey und zwey ab, und alle
begeben sich nach und nach auf das Schiff. Kleine, in verschiedener Richtung und Höhe gestellte Staffeln, dienen dieser verliebten Trouppe
gleichsam zum Fußgestelle, und machen eine große zierlich
vertheilte Grouppe; man lichtet
die Anker, die Zephyre und die Seufzer der Verliebten
schwellen die Segel auf, das
Schiff gewinnt die Höhe und segelt mit günstigem Winde auf
Cythere zu. (*)
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[↔] Nunmehr komme ich auf den Eifersüchtigen ohne
Nebenbuhler, ein spanisches Ballet, und ich
sag es ihnen vorher, daß sie sich abermals auf Kämpfe und
Dolche gefaßt machen müssen. Mann nennt den Mysanthropen:
den Mann mit den grünen Bändern, mich wird man
vielleicht den Mann mit den Dölchen nennen. Wenn man
indessen über die pantomimische Kunst nachdenken, wenn man die genauen Schranken, die ihr vorgeschrieben sind,
untersuchen, unnd dabey
beterachten will, wie sehr
solche bey allem was ruhiger Dialog heißt zu kurz fällt,
und sich dann erinnert, wie weit sie den Regeln der
Mahlerey unterworfen ist, die wie die Pantomime nur Augenblicke mahlen
kann: so wird man mich nicht tadeln können, daß ich alle diejenigen wähle, welche durch ihren Zusammenhang und Folge das Herz bewegen und die Seelerühren können. Ich weiß nicht, ob ich wohl
gethan habe, mich auf diese Gattung zu legen;
die Thränen aber, die das Publikum verschiednen Scenen in
meinen Balletten geschenkt hat, und die Leidenschaften, die
solche erregt haben, überreden
mich, daß wenn ich das Ziel noch nicht erreicht, ich doch
wenigstens den Weg gefunden
habe, der mich dahin bringen kann. Ich schmeichle mir
nicht, die unermeßliche Entfernung durchlaufen zu können, die mich noch davon
trennt; das Glück ist nur denen vorbehalten, denen das Genie Flügel ertheilt; aber ich habe doch
wenigstens das Vergnügen, die Bahn geöffnet zu haben. Den
Weg anzuzeigen, der zur Vollkommenheit führt, ist ein
Verdienst, das für jeden hinlänglich ist, der nicht die
Kräfte gehabt hat, ihn ganz zurück zu legen. [↔] Ferdinand ist der Liebhaber der Ines; Clitander, ein französischer
Petitmaitre, ist der Liebhaber der Beatrix, Ines Freundin; da haben Sie auf einmal
die Personen, auf welchen die ganze Verwicklung beruht. Clitander geräth
mit Beatrix über einen Zug im
Schachbrett (*) in heftigen Zank. [↔] Ines sucht Clitander
und Beatrix zu vergleichen; diese
aber, welche von Natur stolz ist, geht fort; der trostlose Clitander folgt ihr nach; da er seine Vergebung nicht erhalten kann, kommt er einen Augenblick
hernach wieder und beschwört Ines, sich sei
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ner anzunehmen; sie verspricht ihm, ihr
Bestes zu thun, stellt ihm
aber die Gefahr vor, worinn sie ist, sich mit ihm alleine
zu befinden; sie fürchtet Ferdinands Eifersucht. Der immer
heftige Franzos, der mehr an seine Liebe denkt, als an die
Besorgniß der Ines, knieet vor ihr nieder, um sie desto dringender zu bitten, daß sie nicht vergessen soll, mit der Beatrix zu sprechen;
Ferdinand erscheint, und ohne alle Untersuchung
fällt er wüthend über Clitander her; er ergreift seine Hand, in dem
Augenblicke, da er Ines Hand küßt,
und da diese sich bemüht, ihm
solche zu entziehn; und er zieht auf der Stelle einen
Dolch, um ihn zu durchstossen;
Ines aber kehrt den Streich ab, und Beatrix, welche auf das Getöse herbey kommt, bedeckt mit ihrem Körper den
Körper ihres Geliebten. Von diesem Augenblicke an legt der Spanier die Gesinnung der Ines zu
seinem Nachtheile aus; ihr
Mitleid hält er für Zärtlichkeit, ihre Furcht für Liebe; gereitzt von den Bildern, die die Eifersucht in seinem Herzen erzeugt, reißt er sich von Ines los, und läuft auf Clitander; diesen rettet eine schnelle Flucht aus
der Gefahr; der Spanier aber voller Wuth, daß er seinen
Zorn nicht an ihm kühlen können, kehrt sich plötzlich zu der Ines, um ihr den Streich zu
versetzen, den er seinem vermeynten Rival zugedacht hatte. Er will zustossen, die Bewegung aber, die sie macht, um dem Arme, der ihr droht, entgegen zu eilen, thut seiner eifersüchtigen Raserey
Einhalt, und läßt ihm den Stahl aus der Hand fallen. Ein
Gestus der Ines scheint ihrem Liebhaber seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen. Untröstbar, daß sie den Verdacht der Untreue, den er von
ihr geschöpft hat, überleben soll, fällt sie in einen
Lehnstuhl; der noch immer
eifersüchtige, aber über seine Grausamkeit beschämte Ferdinand wirft sich auf einen andern
Stuhl. Die beyden Verliebten machen ein Bild des höchsten
Unmuths und der zürnenden
Liebe. Ihre Augen suchen und
vermeiden sich, brennen für Zorn und werden
zärtlich; Ines zieht einen Brief aus ihrem Busen; Ferdinand zieht gleichfals einen hervor; beyde lesen darinn die Empfindungen der
zärtlichstenLiebe, aber beyde glauben sich hintergangen,
und zerreissen voller Verdruß
diese ersten Zeugen ihrer Liebe. Gleich beleidigt über
dieses Zeichen der Verachtung, betrachten sie ganz aufmerksam die Bildnisse, die sie sich
einander ge schenkt, und da sie
nichts mehr daran sehen, als die Züge der Untreue und des
Meineides, so werfen sie sich solche vor die Füße. Ferdinand
zeigt gleichwohl durch seine Blicke und Gebehrden, wie
sehr ihm dieses Opfer im Herzen wehe thut; er muß sich die
äusserste Gewalt anthun, ein
Portrait fahren zu lassen, welches ihm so lieb ist; er
läßt es fallen, oder vielmehr,
er läßt es ungerne aus der Hand glitschen. In diesem
Augenblicke wirft er sich auf seinem Stuhle zurück, und
überläßt sich dem Schmerze und der Verzweiflung. [↔] Beatrix, die eine Zeugin von dem ist, was vorgeht, giebt sich darauf viele Mühe, um sie zu bewegen, sich wieder einander zu nähern. Ines thut die ersten Schritte, da sie
aber bemerkt, daß Ferdinand ihrer Bereitwilligkeit nicht entspricht, so nimmt
sie die Flucht; Beatrix hält sie aber
gleich auf, und der Spanier, welcher sieht, daß ihn seine Geliebte vermeiden will,
flieht nun gleichfals, mit einem
Wesen voller Verdruß und Kummer. [↔] Beatrix läßt sich nicht ermüden, und will
sie immer nöthigen, sich auszusöhnen. Zu diesem Ende zwingt sie solche, sich die Hände zu reichen; sie lassen sich beyde dazu ziehen, es glückt ihr aber doch endlich, sie zusammen zu bringen und wieder zu vereinigen. Sie
betrachtet sie darauf mit einem boshaften Lächeln; die beyden Verliebten, welche sich
noch nicht getrauen, einander anzusehen, so gerne sie auch möchten, haben sich die Rücken zugekehrt, allmählig drehen sie sich
herum; durch einen Blick bestätigt Ines die Verzeihung und Ferdinand küßt ihr mit Entzücken die Hand; und sie
gehn alle drey voller Freuden
ab. [↔] Clitander erscheint auf dem Theater;
seineEntree ist ein Monolog; und hat Züge
der Furcht und Unruhe; er sucht seine Geliebte, da er aber Ferdinanden gewahr wird, flieht er behend davon.
Dieser bezeugt der Beatrix seine Erkenntlichkeit, aber
nichts sieht der Liebe ähnlicher, als die Freundschaft; Ines überrascht ihn, indem er der Beatrix die Hand küßt, und nimmt daher Anlaß, sich wegen der Scene zu rächen, die ihr die
Eifersucht ihres Liebhabers zugezogen. Nun ist die Reihe
an ihr, sich eifersüchtig zu stellen; der Spanier, welcher
es für Ernst hält, sucht sie aus dem Irrthume zu ziehen,
indem er ihr neue Versicherungen seiner Zärt lichkeit
giebt; sie scheint dagegen unempfindlich, giebt ihm zornige und drohende Blicke, und
zeigt ihm einen Dolch; er zittert und fährt vor Schrecken
zurück, fliegt auf sie zu, um ihr solchen wegzureissen,
aber sie thut, als ob sie sich damit ersticht, sie wankt
und fällt in die Arme ihrer Aufwärterinnen. Bey diesem Anblicke steht Ferdinand da,
als versteinert, und da er den
Augenblick nichts anderm Gehör
giebt, als der Verzweiflung, so überläßt er sich derselben
völlig und will sich das Leben nehmen. Seine Spanier
fallen über ihn her und entwafnen ihn. Ganz wüthend ringt er mit ihnen und
will ihre Bemühungen vereiteln;
etliche wirft er zu Boden, aber von der Menge und seinem
Schmerze übermannet, nehmen nach und nach seine
Kräfte ab, seine Füße wanken unter ihm, seine Augen werden
dunkel und schliessen sich, seine Gesichtszüge verkündigen
die Annäherung des
Todes, er fällt ohnmächtig in die Arme der
Spanier. [↔] Ines, welche im Anfange dieses Auftritts
das Vergnügen einer Rache genoß, die sie für unschädlich hielt, und deren Folgen sie nicht vorher sah, giebt, da sie die betrübte Wirkung gewahr wird, die überzeugendsten Beweise von der Aufrichtigkeit ihrer Reue; sie fliegt zu ihrem Geliebten, schließt ihn in ihre
Arme, faßt ihn bey der Hand, und bemüht sich, ihn wieder ins Leben zurück zu
bringen. Ferdinand schlägt die Augen auf, er wendet das Gesicht nach der Seite der Ines, aber wie groß ist sein Erstaunen! kaum glaubt er, was er sieht, er kann sich nicht
überreden, daß Ines noch lebt, und
zweifelnd an seinem Glücke, drückt er wechselsweise sein Erstaunen, seine
Furcht, seine Freude, seine
Zärtlichkeit und sein Entzücken aus; er
wirft sich seiner Geliebten zu Füßen, die ihn mit den
Entzücken der wärmsten Liebe in ihre Arme faßt. [↔] Die mancherley Begebenheiten, welche dieser
Auftritt hervorgebracht, machen die Handlung allgemein;
das Vergnügen bemächtigt sich
aller Herzen; es zeigt sich durch Tänze, worinn Ferdinand, Ines, Beatrix und Clitander hervorragen. Nach
verschiedenen besondern Pas,
welche Lust und Freude mahlen, wird das Ballet mit einem
allgemeinen Contretanze beschlossen. [↔] Man merkt leicht, mein Herr, daß dieß Ballet
nur eine Verbindung der hervorstechendsten Auftritte, aus verschiedenen Dra men unsers
Theaters ist. Es sind Gemählde der besten Meister, die ich gesorgt habe, in einer Reihe zu verbinden. [↔] Das erste ist von Diderot, das zweyte macht einen Theaterstreich
von meiner Erfindung, ich meyne den Augenblick, wo Ferdinand Clitandern erstechen will; das, was darauf
folgt, ist aus dem
Mahomet genommen, wenn er Irenen erstechen will, und sie dem Streiche entgegen eilt und sagt:
Dein Arm verweilt! was hält dich? fürchte nichts;
Durchbohr ein Herz, das ganz nur dir gehört. [↔] Der zänkische Auftritt, die zerrißnen Briefe und die mit Verachtung wiedergegebnen Portraits, stellen den Auftritt aus Molierens verliebten Verdruß vor. Die Aussöhnung zwischen Ferdinand und der Ines ist keine andre, als die Aussöhnung zwischen Marianen und Valeren im Tartüff, welche die verschlagne Dorine zu Stande bringt. Die Episode der verstellten Eifersucht der Ines ist bloße Erfindung; FerdinandsAusschweifung, seine Wuth, seine Raserey, seine Verzweiflung und Betäubung sind eine Nachahmung des rasenden Orests, aus Racinens Andromacha; die Wiedererkennung endlich ist aus CrebillonsRhadamist und Zenobie genommen. Alles, was diese Gemählde zusammen verbindet, um ein einziges Ganzes daraus zu machen, ist von mir. [↔] Sie sehen, mein Herr, daß dieses Ballet ein bloßer Versuch ist, den ich gemacht habe, um dem Geschmack des Publikums an den Puls zu fühlen, und mich zu überzeugen, daß die tragische Gattung sich mit dem Tanze verbinden läßt. Alles fiel in diesem Ballette gut aus; selbst die Zankscene, welche theils sitzend, theils stehend gemacht wurde; sie schien eben so lebhaft, feurig und natürlich, als die andern. Schon seit zehn Monaten wird dieß Schauspiel immer wiederholt, und man sieht es immer mit Vergnügen; eine sichre Wirkung des Tanzes in Handlung; es scheint immer neu, weil er an die Seeleredet, und sowohl das Herz als die Augen an sich zieht. [↔] Ich bin über die geringern Theile hingefahren, um Ihnen die Langeweile zu ersparen, die Ihnen solche hätten verursachen können, und will mit einigen Anmerkungen über den Eigensinn, die Nachläßigkeit, die Faulheit der Artisten und über die Leichtigkeit, wo mit das Publikum die Eindrücke der Gewohnheit annimmt, schliessen. [↔] Man ziehe diejenigen zu Rathe, mein Herr, welche alles vor der Faust weg beklatschen, und welche glauben würden, ihr am Eingange bezahltes Geld verloren zu haben, wenn sie nicht ihren Beyfall mit den Händen oder Füßen anzeigten; man frage sie, sag ich, wie sie den Tanz und das Ballet finden? Bewundernswürdig, werden sie rufen; sie sind so herrlich als sie seyn können; und die schönen Künste sind erstaunlich weit getrieben. Stellen Sie ihnen vor, daß gewisse Veränderungen zu treffen sind; daß der Tanz frostig ist; daß das ganze Verdienst der Ballette bloß in der Zeichnung besteht; daß die Pantomime unbekannt ist; daß die meisten Plane keinen Sinn haben; daß man sich bestrebt, zu eingeschränkte oder zu weitläuftige Gegenstände zu mahlen, und daß man eine wichtige Verbesserung mit dem Theater vornehmen müßte: man wird Sie für blödsinnig und wahnwitzig halten; sie können sich nicht einbilden, daß der Tanz und die Ballette ihnen ein größer Vergnügen machen könnten. Man mache nur immer weg schöne Pirouetten, werden sie hinzusetzen, und hübsche Entre chats; man stehe hübsch lange auf dem spitzen Fuße, um uns das Schwere der Kunst bemerken zu lassen; man bewege nur immer die Schenkel mit eben der Geschwindigkeit, und wir sind zufrieden. Wir verlangen keine Veränderung; es ist alles so recht gut, und man kann nichts angenehmers machen. Aber, werden die Leute von Geschmack fortfahren, der Tanz verursacht Ihnen nur sehr mäßige Empfindungen, und Sie würden weit lebhafter bewegt werden, wenn diese Kunst bis zu der Vollkommenheit gebracht würde, deren sie fähig ist. Wir machen uns nichts daraus, werden sie antworten, daß uns der Tanz und die Ballette das Herz weich machen, und Thränen vergiessen lassen; wir wollen nicht, daß uns diese Kunst ernsthaft beschäftigen soll; das Nachdenken würde ihr ihren Reitz benehmen; ihre Bewegungen sollen nicht sowohl vom Witze, als von der Thorheit vorgeschrieben werden; die gesunde Vernunft würde was artigs daraus machen; beym Ballette wollen wir lachen; im Trauerspiele schwatzen; und in der Komödie wollen wir von unsern Mägdchens, der Bouteille, und Kutschen und Pferden sprechen. [↔] Das, mein Herr, ist so ziemlich das allgemeine System. Ist es möglich, daß das schöpfrische Genie immer verfolgt werden muß? Man sey ein Freund der Wahrheit, das ist eine Ursache, die alle diejenigen in Harnisch bringt, welche sie fürchten. Herr Cahüsac entwickelt die Schönheiten unsrer Kunst; er schlägt nöthige Verschönerungen vor; er will dem Tanze nichts benehmen, er sucht vielmehr einen sichern Weg auszuzeichnen, worauf sich die Tänzer nicht verirren könnten; und man hält es nicht der Mühe werth, ihm zu folgen. Herr Diderot, dieser philosophische Freund der Natur, oder welches einerley ist, der Wahrheit und der schönen Einfalt, sucht gleichfals das französiche<französische>Theater mit einer Gattung zu bereichern, welche er weniger aus seiner Einbildung als aus der Menschlichkeit geschöpft hat; er möchte anstatt der Manieren Pantomime haben; den Ton der Natur, anstatt des angeschwellten Tones der Kunst; simple Kleidungen, statt des Flitterstaats und des unechten Goldes; Wahrheit, statt des Fabelhaften; Verstand und gesunde Vernunft, anstatt des verwickelten Gewäsches, und der kleinen übel gemahlten Schilderungen, welche die Natur verzerren und ihr ihre Schönheit rauben; er möchte, sag ich, daß das französische Theater den rühmlichen Titel, einer Schule der Sitten, verdiente; daß die Abstiche weniger hart und mit mehr Kunst angebracht würden; daß die Tugenden nicht mehr nöthig hätten, den Lastern entgegen gestellt zu werden, um liebenswürdig und reitzend zu seyn, weil die zu starken Schatten die Objekte vielmehr schwächen und tödten, als erleuchten und herausheben; aber seine Bemühungen sind fruchtlos. [↔] Des Hrn. CahüsacsAbhandlung über die Tanzkunst, ist den Tänzern eben so unentbehrlich, als das Studium der Chronologie einem Geschichtschreiber; gleichwohl ist sie von einigen Künstlern getadelt worden; er hat sogar von einigen, die ihn aus gewissen Ursachen weder lesen noch verstehn konnten, schaale Spöttereyen aushalten müssen. Wie sehr haben sich nicht alle, welche das Serieuse tanzen, an dem Worte Pantomime gestoßen! Es wäre doch allerliebst, sagten sie, diese Gattungpantomimisch tanzen zu sehen. Gestehen Sie, mein Herr, daß man nicht einen Tittel von der Bedeutung des Worts wissen muß, um eine solche Sprache zu führen. Eben so gut könnte man zu mir sagen: ich mache keinen Anspruch auf Verstand; ich mag keine Seele haben; ich will Zeitlebens ein Vieh bleiben. [↔] Verschiedene Tänzer, welche über die Unmöglichkeit schreyen, die Pantomime mit der mechanischen Ausführung zu verbinden, und die noch keinen Versuch gemacht, noch keine Mühe angewendet haben, zu sehn, obs möglich oder nicht? griffen auch noch das Werk des Hrn. Cahüsac mit sehr elenden Waffen an. Sie warfen ihm vor, er verstünde das Mechanische der Kunst nicht, und zogen daraus die Folge, daß seine Schlüsse ohne alle Grundsätze wären; welch Geschwätz! Muß man denn eben eine Gargouillade und einen Entrechat machen können, um vernünftig über die Wirkung dieses Schauspieles zu urtheilen, um zu fühlen, was ihm fehlt, und um anzuzeigen, was sich dafür schickt? Brauchts eben ein Tänzer zu seyn, um den wenigenVerstand, den ein Pas de Deux hat, und den Unsinn, der in den Balletten gemeiniglich begangen wird, den wenigen Ausdruck der Tänzer und das magre Genie der Balletkomponisten zu bemerken? Was würde man von einem Komödienschreiber sagen, welcher sich dem Urtheile des Parterre nicht unterwerfen wollte, weil sich viele darinn befinden, die selbst keine Schriftsteller sind? [↔] Wenn Hr. Cahüsac sich mit den Schritten, mit den abgezirkelten Bewegungen der Arme, mit der Verflechtung und den mancherley Arten von Verknüpfung der Tackarten befaßt hätte; dann wäre er in Gefahr gewesen, sich zu verirren; so aber hat er alle diese gröbern Theile denen überlassen, die nichts sind, als Arme und Beine. Für die hat er auch nicht schreiben wollen; er hat bloß den poetischen Theil der Kunst behandelt; er hat ihr innres Wesen getroffen; wehe denen! welche ihn nicht verstehn, noch ihm Geschmack abgewinnen können. Die Wahrheit muß man sagen; die Gattung, die er vorschlägt, ist schwer, allein, ist sie deswegen minder schön? Es ist die einzige, die der Tanzkunst angemessen ist, und sie verschönern kann. [↔] Die großen Schauspieler wird Herr Diderot auf seiner Seite haben; bloß die mittelmäßigen werden sich gegen die Gattung empören, die er vorschlägt: warum? weil er solche aus der Natur genommen, und weil sie nicht bloße Maschinen, sondern Menschen erfodert; weil Vollkommenheiten dazu erheischt werden, die man nicht erwerben kann, wenn ihr Keim nicht in unsrer Seele liegt, und weil es dabey nicht bloß darauf ankömmt, seine Rolle gut auswendig herzusagen, sondern weil man dabey lebhaft empfinden und eine Seele haben muß. [↔] Man sollte den Hausvater und den natürlichen Sohn aufs Theater bringen, sagte ich eines Tages zu einem Akteur; sie würden sich darauf nicht ausnehmen, war seine Antwort. Haben Sie die beyden Stücke gelesen? Ja, versetzte er. Nun, sind Sie nicht davon gerührt worden? ward ihre Seele nicht bewegt, ihr Herz erweicht, und haben Sie es lassen können, bey den ungekünstelten rührendenGemählden zu weinen, welche der Verfasser so natürlich vorgestellt hat. Ich habe, sagt er, alles das . Warum glauben Sie denn, daß diese Stücke auf dem Theater keine Wirkung thun würden, da Sie davon hingerissen wurden, obgleich ihnen die Illusion der Bühne dabey fehlte, und ihnen die neue Stärke mangelte, die sie erhalten müßten, wenn sie von guten Akteurs aufgeführt würden? Da steckt der Knoten; es ist sehr selten eine große Anzahl zusammen zu bringen, fuhr er fort, die diese Stücke vorstellen könnten; diese mit einander fortlaufende Scenen, würden sie in Verlegenheit setzen, wie sie solche herausbringen sollten; diese pantomimische Aktion würde eine Klippe seyn, woran die meisten Komödianten scheiterten. Die stumme Scene ist der Probierstein des Akteurs. Diese abgebrochnen Phrases, diese halb gesagten Gedanken, diese Seufzer, und diese kaum arti kulirten Töne, erfodern eineWahrheit, eine Seele, einen Ausdruck und eine Einsicht, die nicht jedermanns Ding sind; diese Einfalt in den Kleidungen, welche dem Akteur das nimmt, womit ihn die Kunst verschönert, würde ihn bloß sehen lassen, wie er ist; sein Wuchs, der nicht mehr durch einen zierlichen Schmuck erhoben wäre, würde der schönen Natur bedürfen, um zu gefallen, nichts versteckte mehr seine Mängel, und die Augen des Zuschauers, nicht länger durch Flitterwerk und Bettelstaat geblendet, würden gänzlich auf dem Schauspieler haften. Ich gebe zu, sagt ich ihm, daß das Einfache in allen Gattungen große Vollkommenheiterfodert; daß es nur der Schönheit kleidet, ungeputzt einher zu gehn, und daß ein nachläßiger Anzug sogar ihren Reitz erhöht; aber die Schuld liegt weder an Diderot noch an Cahüsac, wenn große Talente rar sind; sie verlangen beyde nur solche Vollkommenheiten, die zu erwerben stehn, wenn man Nacheiferung hat; die Gattung, die sie ausgezeichnet haben, ist die einzige wahre; sie borgt ihren Reitz und ihre Züge bloß von der Natur. [↔] Wenn man den Rath und Vorschlägen der Herren Diderot und Cahüsac nicht folgt, wenn man die Wege, die sie anzeigen, um zur Vollkommenheit zu gelangen, aus der Acht läßt, kann ich mir schmeicheln, daß es mir glücken wird? ganz und gar nicht, mein Herr; es zu denken wäre Verwegenheit. [↔] Ich weiß, daß die nichtige Furcht, etwas Neues einzuführen, beständig die kleinmüthigen Artisten zurück hält; auch ist mir nicht unbekannn [***]t, daß die Gewohnheit die mittelmäßigen Köpfe stark an den alten Schlendrian ihrer Profeßion heftet; es ist mir begreiflich, daß in allen Gattungen die Nachahmung für solche Leute was verführerisches haben kann, die weder Genie noch Geschmack haben. Die Ursach ist ganz bekannt: es läßt sich leichter nachahmen, als selbst schaffen. [↔] Wie viele Talente gehn durch eine knechtische Nachahmung verlohren? Wie viele Fähigkeiten werden dadurch erstickt? Wie viele Artisten bleiben unbekannt, weil sie die Gattung und die Manier, die sich für sie eigentlich schickte, verlassen, und sich gequält haben, das zu erreichen, welches für sie keinesweges gemacht war? Wie viele mißlungene Akteurs und eckelhafte Parodisten, welche die Töne der Natur, sich selbst, ihren Gang, ihre Gebehrden und ihre Physiognomie verleugnet, und solche Töne, solches Spiel, solche Aussprache, solchen Gang, solchen Ausdruck und solche Gesichtszüge erborgt haben, die sie dergestalt entstellen, daß sie nur die Carika tur der Originale geworden, die sie haben kopiren wollen? Wie viele Tänzer, Mahler und Musiker haben sich verderbt, weil sie dem leichten aber gefährlichen Wege folgten, der unvermerkt zum Untergange und Vernichtung der Künste führen würde, wenn nicht noch jedes Jahrhundert einige von den seltnen Männern hervor gebracht hätte, welche die Natur zum Muster, das Genie zum Führer nehmen, und sich mit kühnen Fluge auf eignen Flügeln zur Vollkommenheit empor schwingen. [↔] Ein jeder, der sich von der Nachahmungbeherrschen läßt, wird immer die schöne Naturvergessen, um allein auf das Muster zu denken, das ihn hinreißt, und welches oft Unvollkommenheiten hat, deren Copie nicht gefallen kann. [↔] Nehmen Sie die Artisten vor; fragen Sie solche, warum sie sich nicht befleißigen, original zu seyn, und ihrer Kunst eine weniger bunte Gestalt, einen wahrern Ausdruck, ein natürlicheres Ansehn zu geben? Sie werden Ihnen, um ihre Trägheit und Faulheit zu rechtfertigen, antworten: daß sie fürchten, sich lächerlich zu machen; daß bey den Neuerungen, beym Schaffen Gefahr ist; daß das Publikum an diese oder jene Manier gewöhnt ist, und daß man ihm mißfallen würde, wenn man davon abwiche. Das sind die Gründe, worauf sie sich steifen werden, um die Künste dem Eigensinne und der Veränderlichkeit zu unterwerfen, weil sie vergessen, daß sie Kinder der Natur sind; daß sie nur dieser folgen, und daß sie unverbrüchlich den Regeln folgen sollen, die sie vorschreibt. Sie würden sich vergebens bemühn, uns zu überreden, daß es rühmlicher sey, sein kleines Pflanzenleben zu leben und im Schatten der Originale zu schmachten, die sie verdunkeln und zertreten, als seine Kräfte anzuwenden, selbst Original zu werden. [↔] Diderot hat keinen andern Zweck, als die Vollkommenheit des Theaters vor Augen gehabt; er wollte alle Schauspieler wieder zur Natur zurück führen, die sich davon entfernt hatten. Cahüsac rufte gleicherweise die Tänzer zur Wahrheit zurück; aber alles, was sie gesagt haben, hat man für falsch gehalten, weil alles, was sie sagen, die Zeichen der verkannten schönen Einfalt an sich trägt. Man hat nicht einräumen wollen, daß nur Verstand dazu gehöre, ihren Rath in Ausübung zu bringen. Kann man gestehn, daß es einem daran fehle? Ist es möglich, zu gestehen, man habe keinen Ausdruck, das hiesse ja zugeben, daß es einem an Seele fehlte; man sagt noch wohl, ich habe eine schwache Brust, aber nicht, ich habe ein stumpfes Gefühl. Die Tänzer gestehn noch wohl zuweilen, daß sie keine Stärke haben, sie sprechen aber nicht mit derselben Aufrichtigkeit, wenn die Rede von der Unfruchtbarkeit der Einbildungskraft ist; damit rücken die Balletmeister noch wohl naif genug heraus, daß sie nicht geschwinde arbeiten, und daß sie an ihrer Profeßion kein Vergnügen finden; aber damit halten sie hinterm Berge, daß das Publikum auch wieder kein Vergnügen an ihren Werken findet, daß sie frostig, verwirrt, eintönig sind, und kein Genie haben. So, mein Herr, sind die meisten Männer beschaffen, die sich dem Theater widmen; sie dünken sich alle vollkommen; daher ist es nicht zu verwundern, daß alle diejenigen, die sich bemühet haben, ihnen die Augen zu öfnen, laß geworden, und es sogar bereuet, daß sie einen Versuch zu ihrer Genesung gemacht haben. [↔] Die Eigenliebe ist in allen Ständen eine unheilbare Krankheit. Vergebens sucht man die Kunst zur Natur zurück zu führen; das Ausreissen hat Ueberhand genommen; kein Generalpardon vermag die Künstler zu ihren Fahnen zurück zu bringen, und sich unter der Standarte der Wahrheit und Einfalt wieder zu versammlen. Es ist ein fremder Dienst, der ihnen zu schwer und unerträglich fallen würde. Man kam also leichter davon, wenn man sagte, Hr. Cahüsac spricht als Schriftsteller und nicht als Tänzer, und die Gattung, die er vorschlägt, ist närrisch. Aus eben der Ursache hat man geschrieen, der Natürliche Sohn und der Hausvater sind kei ne Stücke zum Aufführen; denn das war leichter, als sie zu spielen; vermittelst dessen haben die Künstler Recht, und die Schriftsteller sind nur Dummköpfe. Ihre Werke sind die Träumereyen trockner übel aufgeräumter Moralisten, ohne Werth, ohne Verdienst. Wie sollten sie auch dazu kommm [***]en? findet man wohl bey ihnen die süssen Modewörter, die süssen Portraite, die süssen Spitzfindigkeiten, die süssen Einfälle? denn das unendlich Süsse gefällt sehr oft in großen Städten. Ich habe eine Zeit erlebt, wo alles süß war, süsse Kinder, süsse Akteurs, süsse Geiger, süsser Engländerund süsses Kunstpferd. [↔] Welche sich aufs Tanzen oder Balletkomponiren legen wollen, solche Lehrmeister hätten, die sie in allen den Dingen unterrichteten, die sie nicht wissen, u. die doch wesentlich dazu gehören. Die meisten verabsäumen die Kenntnisse, die ihnen nöthig wären zu wissen, und opfern solche dem Müßiggange und einer solchen weitläuftigen Lebensart auf, welche dieKunst erniedrigt und den Künstler schändet. Dieser nur zu gerechte Vorwurf einer üblen Lebensart, ist der Grund des nachtheiligen Vorurtheils, welches überall gegen diejenigen herrscht, die sich dem Theater widmen; ein Vorurtheil, das sich, Trotz des bittern Tadels des sehr berühmten Cynikers unser Zeit, bald verlieren würde, wenn sie sich durch edle Sitten und vorzügliche Talente hervor zu thun suchten. Ich bin u. s. w.
Ende.
Letzter Brief.
[↔] Noch zwey Ballette, mein Herr, und
ich bin fertig, denn es ist Zeit, daß ich aufhöre. Ich habe schon genug
gesagt, um Sie von allen Schwierigkeiten einer Kunst zu
überzeugen, die nur für
diejenigen leicht ist, welche
nicht tiefer gehn, als die Oberfläche, und welche sich
einbilden, wunder! was für Beyfall zu verdienen, wenn sie sich etwann einen Zoll
höher von der Erde heben können, als andre, oder eine Flechte oder ein in die Runde angeben. Je tiefer man geht, es sey in was für einer Wissenschaft es sey, je
mehr häufen sich die Schwierigkeiten, und je weiter scheint sich das Ziel zu entfernen, das man zu erreichen sich bestrebt. Deswegen, mein Herr, erringt der größeste Artist mit seinem
mühsamsten Fleisse nichts als die oft kränkende Einsicht,
die ihn lehrt, wie weit er noch von der Vollkommenheit entfernt ist, indessen daß der Unwissende mitten in seiner
dicksten Finsterniß glaubt,
in demjenigen, was er sich zu wissen schmeichelt, bestehe
alle Vollkommenheit. [↔] Das Ballet, von dem ich Sie unterhalten
werde, heißt Amor als Corsar, oder
die Schiffarth nach
Cythere. Die Scene ist am Ufer des Meers, auf
der Insel Mysogynien. Etliche, in unser Gegend unbekannte Bäume zieren diese Insel; auf der
einen Seite des Theaters
bemerkt man einen antiquen Altar, der
Gottheit geweiht, welche die Einwohner verehren; eine Statue, welche
einen Mann vorstellt, der einem Frauenzimmer einen Dolch
ins Herz drückt, steht auf diesem Altare. Die Einwohner
dieser Insel sind grausam
und barbarisch; sie haben den Gebrauch, alle
Frauenspersonen, welche ihr Unglück auf diese Küsten
wirft, ih rer Gottheit zu opfern.
Dasselbe Gesetz legen sie allen
Männern auf, welche der Wuth der Wellen entrinnen. Der
Vorgang im ersten Auftritte ist
die Aufnahme eines Fremden, der
aus einem Schifbruche gerettet ist. Dieser Fremdling wird
zum Altare geführt, an welchem zwey Oberpriester stehen.
Ein Theil der Einwohner steht um eben diesen Altar in Reihen, in ihren Händen
Keulen haltend, womit sie sich
üben, indessen daß die übrigen Insulaner durch einen
mystischen Tanz die Ankunft des neuen Prosolyten feyren. Dieser sieht sich
genöthigt, das feyerliche
Versprechen abzulegen, mit dem Stahle, damit man ihn
bewafnet, die erste Frauensperson, welche ein grausames Geschick auf diese
Insel bringen wird, zu erwürgen. Kaum fängt er an, den
entsetzlichen Eid
nachzunsprechen, wofür ihn
schaudert, ob er sich gleich im Herzen vornimmt, der neuen
Gottheit, derem Dienste er geweihet, ungehorsam zu seyn, als die Ceremonie durch ein
heftiges Geschrey, das man bey Erblickung eines Boots, das mit den stürmischen Wellen kämpft, anhebt, und durch einen lebhaften Tanz unterbrochen wird, welcher die unmenschliche Freude anzeigt, die man über die
Hofnung verspürt, einige Opfer schlachten zu sehen. In diesem Boote wird man eine Mannsperson und
ein Frauenzimmer gewahr, welche die Hände gen Himmel
strecken und um Rettung flehn. Dorval
(so heisse der Fremdling,) glaubt bey der Annäherung
dieses Bootes seine
Schwester und seinen Freund zu erkennen. Er sieht
aufmerksam hin; sein Herz wird mit Vergnügen und
Furchtüberströmt; endlich sieht er sie
ausser Gefahr; er überläßt sich der Uebermaaße eines
unaussprechlichen
Vergnügens; aber dieses Vergnügen wird bald durch den Gedanken gemäßigt, an was für einem schrecklichen Orte
er sich befindet, und diese traurige Erinnerung stürzt ihn in die tiefste
Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Der Antheil, den er
erst an der Begebenheit nahm, hat die Mysogynen zu einem
Irrthume verleitet; sie wähnten, es wäre Eifer und
unverbrüchliche Treue gegen ihr Gesetz; indessen landen
Clairville und Constance; (dieß sey der Name der
beyden Verliebten;) auf ihren Minen ist der Tod gemahlt; kaum können sie die Augen öfnen; ihr sträubendes Haar giebt ein
Zeichen von ihrer Angst. Eine bleiche und todte Gesichtsfarbe mahlt das
Schrecken des Todes, der ihnen unaufhörlich gedroht hat, und den sie noch fürchten; aber wie groß ist ihr Erstaunen, als sie sich herzlich
umarmt fühlen! sie erkennen Dorval,
und eilen in seine Arme, kaum
trauen sie ihren Augen; sie können sich alle drey nicht
trennen; das Uebermaaß ihres
Vergnügens drückt sich durch die Bezeigung der reinsten
Freude aus; sie benetzen sich mit Thränen, und diese
Thränen sind redende Zeugen, von dem, was in ihrer Seelevorgeht. Hier verändert sich
ihre Situation. Ein Wilder reicht Dorval den Dolch, der Constancen durchbohren soll, und gebietet ihm, solchen in ihr Herz zu stoßen. Dorval voller Zorn über einen so barbarischen Befehl, ergreift den Stahl und will damit den Mysogyn tödten,
aber Constance eilt aus den Armen
ihres Geliebten und hält den Streich auf, den eben ihr
Bruder führen wollte; der Wilde macht sich den Augenblick
zu Nutze; er entwafnet Dorvaln, und
will diejenige durchbohren, die
ihm eben das Leben gerettet hat. Clairville faßt den Arm des Bösewichts und entreißt ihm den Dolch. Dorval und
Clairville, gleich aufgebracht über die barbarische
Grausamkeit der Einwohner dieser Insel, stellen sich Constancen zur Seiten; sie halten sie fest in ihre Arme geschlossen; sie machen ihre Körper zur Schutzwehr,
welche sie der Unmenschlichkeit ihrer Feinde entgegen
setzen, und ihre vor Zorn und Eifer funkelnde Augen scheinen den Mysogynen Trotz zu
bieten. Diese, wüthend über den Widerstand, befehlen den Wilden mit den Keulen, das Schlachtopfer aus den Armen der beyden Fremdlinge
zu entreissen, und zum Altare zu schleppen. Dorval und Clairville, denen die
Gefahr neuen Muth einflößt, entwafnen zweene von diesen Grausamen; voller Kühnheit und Wuth heben sie einen Kampf an, und kommen alle Augenblicke
wieder zu Constancen zurück; sie
verlieren solche nicht einen Augenblick aus dem Gesichte.
Diese ist untröstbar und überläßt sich zitternd, vor Furcht, zwey Personen zu verlieren, die ihr gleich theuer sind, der Verzweiflung; die Opferpriester, unterstützt von einigen Wilden, fallen über sie her und reissen sie fort zum Altare. In diesem Augenblicke sammlet sie allen
ihren Muth zusammen, ringt mit
ihnen, nimmt einem Priester seinen Dolch und sticht ihn
damit übern Haufen. Sie wird
dadurch auf einen Augenblick frey, und wirft sich in die
Arme ihres Bruders und ihres
Geliebten, denen sie aber grausamerweise wieder entrissen wird. Sie macht sich noch einmal frey, und fliegt wieder hinein;
indessen können der entkräftete und fast sterbende Dorval und Clairville der Menge nicht länger widerstehn, und werden gebunden; Constance wird zum Fuße des Altars, dem Throne der Barbarey, geschleppt. Der Arm ist schon aufgehoben, die
mit dem Dolche bewafnete Faust will eben zufahren, als ein Schutzgott der
Verliebten den Streich aufhält, indem er durch einen Machtspruch alle Einwohner der Insel unbeweglich macht. Dieser Uebergang
von der heftigsten Bewegung zur
Unbeweglichkeit thun eine erstaunende Wirkung; Constance liegt zu den Füßen des
Priesters in Ohnmacht, Dorval und Clairville, die kaum
die Augen öfnen können, liegen
in den Armen etlicher Wilden
ausgestreckt. (*)
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Der Tag wird heiterer, die wüthenden Wellen legen sich, die
Stille folgt auf den Sturm, verschiedene Tritonen und
Najaden plätschern am Gestade im Wasser; in der See erscheint ein prächtig ausgeziertes Schiff. (*)
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[↔] Es legt an; Amor läßt die Anker werfen; er
steigt vom Bord; die Nymphen, die Spiele und Scherze
folgen ihm, und indem sie die Befehle dieses Gottes
erwarten, stellen sie sich in Schlachtordnung. Die Mysogynen erholen sich von der Betäubung und dem unbeweglichen Zustande, worinn
Amor sie versetzt hatte. Ein
Blick von ihm ruft Constance ins Leben zurück; Dorval und
Clairville, welche nicht länger zweifeln, daß ihre
Befreyer eine Gottheit sey, werfen sich ihm
zu Füßen. Die Wilden, welche es verdreußt, ihren
Götterdienst entweiht zu sehn, ergreifen sämmtlich ihre
Keulen, um die Anbeter und das Gefolge Amors zu tödten;
sie kehren sogar ihre Wuth wider
ihn selbst, aber was können die Sterblichen, wenn der Gott
der Liebe regiert? Auf einen einzigen von seinen
Blicken erstarren alle aufgehabnen Arme der Mysogynen. Er befiehlt, daß man ihren
Altar umwerfen und ihre schändliche Gottheit zertrümmern soll; die Spiele und Scherze gehorchen seinem Willen; der Altar
fällt unter ihren Streichen, die Statue sinkt und zerbricht in Stücken. An der
Stelle des zerstörten erscheint
ein neuer Altar von weissem Marmor; Blumenkränze von
Rosen, Jasmin und Myrthen
erhöhen seine Zierde; aus der Erde kommen Säulen hervor,
seine Pracht zu vermehren, und ein künstlich gestickter
Baldachin kommt, von einer
GrouppeAmouretten getragen, aus den
Wolken; Zephyre tragen die
Zipfel und setzen ihn grade auf die vier Säulen, welche
den Altar umgeben; die alten Bäume der Insel verschwinden,
an ihrer Statt kommen Myrthen, Orangenbäumchen, Jasmin und Rosenbüsche. [↔] Die Mysogynen gerathen bey dem Anblicke ihrer zerstörten Gottheit
und entheiligtem Dienst in
Raserey; Amor aber erlaubt ihnen nur von Zeit zu Zeit
ihren Zorn zu äussern; er hält
sie allemal zurück, so oft sie eben zuschlagen und sich
rächen wollen. Die Augenblicke dieser Zauberey, welche sie
unbeweglich macht, machen
eine Menge Gemählde
und Grouppen, welche sich alle durch
die Positions, die Austheilung und die Zusammensetzung von einander unterscheiden,
welche aber alle die abscheulichste Wuth ausdrücken. Die Gemählde, welche
die Nymphen machen, sind von
ganz entgegengesetztem Geschmack und Colorit. Sie wenden
die Streiche, die ihnen die Mysogynen
zu versetzen suchen, bloß mit
Anmuth und Blicken voller Zärtlichkeit und
Liebe von sich ab. Indessen
gebietet ihnen Amor, diese Wilden zu bekämpfen und zu
besiegen; sie greifen solche mit den Waffen der
Empfindungen an, und diese thun nur noch
einen schwachen Widerstand. Wenn
sie noch stark genug sind, den Arm aufzuheben, um einen
Streich zu führen, so haben sie
nicht den Muth, ihn niederfallen
zu lassen; endlich sinken ihnen die Keulen aus den Händen.
Ueberwunden und ohne Waffen, werfen sie sich ihren
Siegerinnen zu Füßen, welche
ihnen aus natürlicher Zärtlichkeit verzeihen und sie mit
Blumenkränzen fesseln. Der
befriedigte Amor vereinigtClairvillen mit Constancen, die
Mysogynen mit den Nymphen, und dem Dorval giebt er Zeneiden, eine
junge Nymphe, die er selbst
gebildet hat. Ein Siegesmarsch
macht die Eröfnung dieses Ballets, die Nymphen führen die
Ueberwundnen an Blumenbändern, Amor befiehlt ein Fest, und
das allgemeine Divertissement beginnt. Dieser Gott, Clairville und Constance, Dorval und Zeneide, die Spiele und Scherze tanzen die
vornehmsten Stücke. Der edle Contretanz dieses Ballets,
nimmt beständig unvermerkt um zwey und zwey ab, und alle
begeben sich nach und nach auf das Schiff. Kleine, in verschiedener Richtung und Höhe gestellte Staffeln, dienen dieser verliebten Trouppe
gleichsam zum Fußgestelle, und machen eine große zierlich
vertheilte Grouppe; man lichtet
die Anker, die Zephyre und die Seufzer der Verliebten
schwellen die Segel auf, das
Schiff gewinnt die Höhe und segelt mit günstigem Winde auf
Cythere zu. (*)
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[↔] Nunmehr komme ich auf den Eifersüchtigen ohne
Nebenbuhler, ein spanisches Ballet, und ich
sag es ihnen vorher, daß sie sich abermals auf Kämpfe und
Dolche gefaßt machen müssen. Mann nennt den Mysanthropen:
den Mann mit den grünen Bändern, mich wird man
vielleicht den Mann mit den Dölchen nennen. Wenn man
indessen über die pantomimische Kunst nachdenken, wenn man die genauen Schranken, die ihr vorgeschrieben sind,
untersuchen, unnd dabey
beterachten will, wie sehr
solche bey allem was ruhiger Dialog heißt zu kurz fällt,
und sich dann erinnert, wie weit sie den Regeln der
Mahlerey unterworfen ist, die wie die Pantomime nur Augenblicke mahlen
kann: so wird man mich nicht tadeln können, daß ich alle diejenigen wähle, welche durch ihren Zusammenhang und Folge das Herz bewegen und die Seelerühren können. Ich weiß nicht, ob ich wohl
gethan habe, mich auf diese Gattung zu legen;
die Thränen aber, die das Publikum verschiednen Scenen in
meinen Balletten geschenkt hat, und die Leidenschaften, die
solche erregt haben, überreden
mich, daß wenn ich das Ziel noch nicht erreicht, ich doch
wenigstens den Weg gefunden
habe, der mich dahin bringen kann. Ich schmeichle mir
nicht, die unermeßliche Entfernung durchlaufen zu können, die mich noch davon
trennt; das Glück ist nur denen vorbehalten, denen das Genie Flügel ertheilt; aber ich habe doch
wenigstens das Vergnügen, die Bahn geöffnet zu haben. Den
Weg anzuzeigen, der zur Vollkommenheit führt, ist ein
Verdienst, das für jeden hinlänglich ist, der nicht die
Kräfte gehabt hat, ihn ganz zurück zu legen. [↔] Ferdinand ist der Liebhaber der Ines; Clitander, ein französischer
Petitmaitre, ist der Liebhaber der Beatrix, Ines Freundin; da haben Sie auf einmal
die Personen, auf welchen die ganze Verwicklung beruht. Clitander geräth
mit Beatrix über einen Zug im
Schachbrett (*) in heftigen Zank. [↔] Ines sucht Clitander
und Beatrix zu vergleichen; diese
aber, welche von Natur stolz ist, geht fort; der trostlose Clitander folgt ihr nach; da er seine Vergebung nicht erhalten kann, kommt er einen Augenblick
hernach wieder und beschwört Ines, sich sei
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ner anzunehmen; sie verspricht ihm, ihr
Bestes zu thun, stellt ihm
aber die Gefahr vor, worinn sie ist, sich mit ihm alleine
zu befinden; sie fürchtet Ferdinands Eifersucht. Der immer
heftige Franzos, der mehr an seine Liebe denkt, als an die
Besorgniß der Ines, knieet vor ihr nieder, um sie desto dringender zu bitten, daß sie nicht vergessen soll, mit der Beatrix zu sprechen;
Ferdinand erscheint, und ohne alle Untersuchung
fällt er wüthend über Clitander her; er ergreift seine Hand, in dem
Augenblicke, da er Ines Hand küßt,
und da diese sich bemüht, ihm
solche zu entziehn; und er zieht auf der Stelle einen
Dolch, um ihn zu durchstossen;
Ines aber kehrt den Streich ab, und Beatrix, welche auf das Getöse herbey kommt, bedeckt mit ihrem Körper den
Körper ihres Geliebten. Von diesem Augenblicke an legt der Spanier die Gesinnung der Ines zu
seinem Nachtheile aus; ihr
Mitleid hält er für Zärtlichkeit, ihre Furcht für Liebe; gereitzt von den Bildern, die die Eifersucht in seinem Herzen erzeugt, reißt er sich von Ines los, und läuft auf Clitander; diesen rettet eine schnelle Flucht aus
der Gefahr; der Spanier aber voller Wuth, daß er seinen
Zorn nicht an ihm kühlen können, kehrt sich plötzlich zu der Ines, um ihr den Streich zu
versetzen, den er seinem vermeynten Rival zugedacht hatte. Er will zustossen, die Bewegung aber, die sie macht, um dem Arme, der ihr droht, entgegen zu eilen, thut seiner eifersüchtigen Raserey
Einhalt, und läßt ihm den Stahl aus der Hand fallen. Ein
Gestus der Ines scheint ihrem Liebhaber seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen. Untröstbar, daß sie den Verdacht der Untreue, den er von
ihr geschöpft hat, überleben soll, fällt sie in einen
Lehnstuhl; der noch immer
eifersüchtige, aber über seine Grausamkeit beschämte Ferdinand wirft sich auf einen andern
Stuhl. Die beyden Verliebten machen ein Bild des höchsten
Unmuths und der zürnenden
Liebe. Ihre Augen suchen und
vermeiden sich, brennen für Zorn und werden
zärtlich; Ines zieht einen Brief aus ihrem Busen; Ferdinand zieht gleichfals einen hervor; beyde lesen darinn die Empfindungen der
zärtlichstenLiebe, aber beyde glauben sich hintergangen,
und zerreissen voller Verdruß
diese ersten Zeugen ihrer Liebe. Gleich beleidigt über
dieses Zeichen der Verachtung, betrachten sie ganz aufmerksam die Bildnisse, die sie sich
einander ge schenkt, und da sie
nichts mehr daran sehen, als die Züge der Untreue und des
Meineides, so werfen sie sich solche vor die Füße. Ferdinand
zeigt gleichwohl durch seine Blicke und Gebehrden, wie
sehr ihm dieses Opfer im Herzen wehe thut; er muß sich die
äusserste Gewalt anthun, ein
Portrait fahren zu lassen, welches ihm so lieb ist; er
läßt es fallen, oder vielmehr,
er läßt es ungerne aus der Hand glitschen. In diesem
Augenblicke wirft er sich auf seinem Stuhle zurück, und
überläßt sich dem Schmerze und der Verzweiflung. [↔] Beatrix, die eine Zeugin von dem ist, was vorgeht, giebt sich darauf viele Mühe, um sie zu bewegen, sich wieder einander zu nähern. Ines thut die ersten Schritte, da sie
aber bemerkt, daß Ferdinand ihrer Bereitwilligkeit nicht entspricht, so nimmt
sie die Flucht; Beatrix hält sie aber
gleich auf, und der Spanier, welcher sieht, daß ihn seine Geliebte vermeiden will,
flieht nun gleichfals, mit einem
Wesen voller Verdruß und Kummer. [↔] Beatrix läßt sich nicht ermüden, und will
sie immer nöthigen, sich auszusöhnen. Zu diesem Ende zwingt sie solche, sich die Hände zu reichen; sie lassen sich beyde dazu ziehen, es glückt ihr aber doch endlich, sie zusammen zu bringen und wieder zu vereinigen. Sie
betrachtet sie darauf mit einem boshaften Lächeln; die beyden Verliebten, welche sich
noch nicht getrauen, einander anzusehen, so gerne sie auch möchten, haben sich die Rücken zugekehrt, allmählig drehen sie sich
herum; durch einen Blick bestätigt Ines die Verzeihung und Ferdinand küßt ihr mit Entzücken die Hand; und sie
gehn alle drey voller Freuden
ab. [↔] Clitander erscheint auf dem Theater;
seineEntree ist ein Monolog; und hat Züge
der Furcht und Unruhe; er sucht seine Geliebte, da er aber Ferdinanden gewahr wird, flieht er behend davon.
Dieser bezeugt der Beatrix seine Erkenntlichkeit, aber
nichts sieht der Liebe ähnlicher, als die Freundschaft; Ines überrascht ihn, indem er der Beatrix die Hand küßt, und nimmt daher Anlaß, sich wegen der Scene zu rächen, die ihr die
Eifersucht ihres Liebhabers zugezogen. Nun ist die Reihe
an ihr, sich eifersüchtig zu stellen; der Spanier, welcher
es für Ernst hält, sucht sie aus dem Irrthume zu ziehen,
indem er ihr neue Versicherungen seiner Zärt lichkeit
giebt; sie scheint dagegen unempfindlich, giebt ihm zornige und drohende Blicke, und
zeigt ihm einen Dolch; er zittert und fährt vor Schrecken
zurück, fliegt auf sie zu, um ihr solchen wegzureissen,
aber sie thut, als ob sie sich damit ersticht, sie wankt
und fällt in die Arme ihrer Aufwärterinnen. Bey diesem Anblicke steht Ferdinand da,
als versteinert, und da er den
Augenblick nichts anderm Gehör
giebt, als der Verzweiflung, so überläßt er sich derselben
völlig und will sich das Leben nehmen. Seine Spanier
fallen über ihn her und entwafnen ihn. Ganz wüthend ringt er mit ihnen und
will ihre Bemühungen vereiteln;
etliche wirft er zu Boden, aber von der Menge und seinem
Schmerze übermannet, nehmen nach und nach seine
Kräfte ab, seine Füße wanken unter ihm, seine Augen werden
dunkel und schliessen sich, seine Gesichtszüge verkündigen
die Annäherung des
Todes, er fällt ohnmächtig in die Arme der
Spanier. [↔] Ines, welche im Anfange dieses Auftritts
das Vergnügen einer Rache genoß, die sie für unschädlich hielt, und deren Folgen sie nicht vorher sah, giebt, da sie die betrübte Wirkung gewahr wird, die überzeugendsten Beweise von der Aufrichtigkeit ihrer Reue; sie fliegt zu ihrem Geliebten, schließt ihn in ihre
Arme, faßt ihn bey der Hand, und bemüht sich, ihn wieder ins Leben zurück zu
bringen. Ferdinand schlägt die Augen auf, er wendet das Gesicht nach der Seite der Ines, aber wie groß ist sein Erstaunen! kaum glaubt er, was er sieht, er kann sich nicht
überreden, daß Ines noch lebt, und
zweifelnd an seinem Glücke, drückt er wechselsweise sein Erstaunen, seine
Furcht, seine Freude, seine
Zärtlichkeit und sein Entzücken aus; er
wirft sich seiner Geliebten zu Füßen, die ihn mit den
Entzücken der wärmsten Liebe in ihre Arme faßt. [↔] Die mancherley Begebenheiten, welche dieser
Auftritt hervorgebracht, machen die Handlung allgemein;
das Vergnügen bemächtigt sich
aller Herzen; es zeigt sich durch Tänze, worinn Ferdinand, Ines, Beatrix und Clitander hervorragen. Nach
verschiedenen besondern Pas,
welche Lust und Freude mahlen, wird das Ballet mit einem
allgemeinen Contretanze beschlossen. [↔] Man merkt leicht, mein Herr, daß dieß Ballet
nur eine Verbindung der hervorstechendsten Auftritte, aus verschiedenen Dra men unsers
Theaters ist. Es sind Gemählde der besten Meister, die ich gesorgt habe, in einer Reihe zu verbinden. [↔] Das erste ist von Diderot, das zweyte macht einen Theaterstreich
von meiner Erfindung, ich meyne den Augenblick, wo Ferdinand Clitandern erstechen will; das, was darauf
folgt, ist aus dem
Mahomet genommen, wenn er Irenen erstechen will, und sie dem Streiche entgegen eilt und sagt:Dein Arm verweilt! was hält dich? fürchte nichts;
Durchbohr ein Herz, das ganz nur dir gehört. [↔] Der zänkische Auftritt, die zerrißnen Briefe und die mit Verachtung wiedergegebnen Portraits, stellen den Auftritt aus Molierens verliebten Verdruß vor. Die Aussöhnung zwischen Ferdinand und der Ines ist keine andre, als die Aussöhnung zwischen Marianen und Valeren im Tartüff, welche die verschlagne Dorine zu Stande bringt. Die Episode der verstellten Eifersucht der Ines ist bloße Erfindung; FerdinandsAusschweifung, seine Wuth, seine Raserey, seine Verzweiflung und Betäubung sind eine Nachahmung des rasenden Orests, aus Racinens Andromacha; die Wiedererkennung endlich ist aus CrebillonsRhadamist und Zenobie genommen. Alles, was diese Gemählde zusammen verbindet, um ein einziges Ganzes daraus zu machen, ist von mir. [↔] Sie sehen, mein Herr, daß dieses Ballet ein bloßer Versuch ist, den ich gemacht habe, um dem Geschmack des Publikums an den Puls zu fühlen, und mich zu überzeugen, daß die tragische Gattung sich mit dem Tanze verbinden läßt. Alles fiel in diesem Ballette gut aus; selbst die Zankscene, welche theils sitzend, theils stehend gemacht wurde; sie schien eben so lebhaft, feurig und natürlich, als die andern. Schon seit zehn Monaten wird dieß Schauspiel immer wiederholt, und man sieht es immer mit Vergnügen; eine sichre Wirkung des Tanzes in Handlung; es scheint immer neu, weil er an die Seeleredet, und sowohl das Herz als die Augen an sich zieht. [↔] Ich bin über die geringern Theile hingefahren, um Ihnen die Langeweile zu ersparen, die Ihnen solche hätten verursachen können, und will mit einigen Anmerkungen über den Eigensinn, die Nachläßigkeit, die Faulheit der Artisten und über die Leichtigkeit, wo mit das Publikum die Eindrücke der Gewohnheit annimmt, schliessen. [↔] Man ziehe diejenigen zu Rathe, mein Herr, welche alles vor der Faust weg beklatschen, und welche glauben würden, ihr am Eingange bezahltes Geld verloren zu haben, wenn sie nicht ihren Beyfall mit den Händen oder Füßen anzeigten; man frage sie, sag ich, wie sie den Tanz und das Ballet finden? Bewundernswürdig, werden sie rufen; sie sind so herrlich als sie seyn können; und die schönen Künste sind erstaunlich weit getrieben. Stellen Sie ihnen vor, daß gewisse Veränderungen zu treffen sind; daß der Tanz frostig ist; daß das ganze Verdienst der Ballette bloß in der Zeichnung besteht; daß die Pantomime unbekannt ist; daß die meisten Plane keinen Sinn haben; daß man sich bestrebt, zu eingeschränkte oder zu weitläuftige Gegenstände zu mahlen, und daß man eine wichtige Verbesserung mit dem Theater vornehmen müßte: man wird Sie für blödsinnig und wahnwitzig halten; sie können sich nicht einbilden, daß der Tanz und die Ballette ihnen ein größer Vergnügen machen könnten. Man mache nur immer weg schöne Pirouetten, werden sie hinzusetzen, und hübsche Entre chats; man stehe hübsch lange auf dem spitzen Fuße, um uns das Schwere der Kunst bemerken zu lassen; man bewege nur immer die Schenkel mit eben der Geschwindigkeit, und wir sind zufrieden. Wir verlangen keine Veränderung; es ist alles so recht gut, und man kann nichts angenehmers machen. Aber, werden die Leute von Geschmack fortfahren, der Tanz verursacht Ihnen nur sehr mäßige Empfindungen, und Sie würden weit lebhafter bewegt werden, wenn diese Kunst bis zu der Vollkommenheit gebracht würde, deren sie fähig ist. Wir machen uns nichts daraus, werden sie antworten, daß uns der Tanz und die Ballette das Herz weich machen, und Thränen vergiessen lassen; wir wollen nicht, daß uns diese Kunst ernsthaft beschäftigen soll; das Nachdenken würde ihr ihren Reitz benehmen; ihre Bewegungen sollen nicht sowohl vom Witze, als von der Thorheit vorgeschrieben werden; die gesunde Vernunft würde was artigs daraus machen; beym Ballette wollen wir lachen; im Trauerspiele schwatzen; und in der Komödie wollen wir von unsern Mägdchens, der Bouteille, und Kutschen und Pferden sprechen. [↔] Das, mein Herr, ist so ziemlich das allgemeine System. Ist es möglich, daß das schöpfrische Genie immer verfolgt werden muß? Man sey ein Freund der Wahrheit, das ist eine Ursache, die alle diejenigen in Harnisch bringt, welche sie fürchten. Herr Cahüsac entwickelt die Schönheiten unsrer Kunst; er schlägt nöthige Verschönerungen vor; er will dem Tanze nichts benehmen, er sucht vielmehr einen sichern Weg auszuzeichnen, worauf sich die Tänzer nicht verirren könnten; und man hält es nicht der Mühe werth, ihm zu folgen. Herr Diderot, dieser philosophische Freund der Natur, oder welches einerley ist, der Wahrheit und der schönen Einfalt, sucht gleichfals das französiche<französische>Theater mit einer Gattung zu bereichern, welche er weniger aus seiner Einbildung als aus der Menschlichkeit geschöpft hat; er möchte anstatt der Manieren Pantomime haben; den Ton der Natur, anstatt des angeschwellten Tones der Kunst; simple Kleidungen, statt des Flitterstaats und des unechten Goldes; Wahrheit, statt des Fabelhaften; Verstand und gesunde Vernunft, anstatt des verwickelten Gewäsches, und der kleinen übel gemahlten Schilderungen, welche die Natur verzerren und ihr ihre Schönheit rauben; er möchte, sag ich, daß das französische Theater den rühmlichen Titel, einer Schule der Sitten, verdiente; daß die Abstiche weniger hart und mit mehr Kunst angebracht würden; daß die Tugenden nicht mehr nöthig hätten, den Lastern entgegen gestellt zu werden, um liebenswürdig und reitzend zu seyn, weil die zu starken Schatten die Objekte vielmehr schwächen und tödten, als erleuchten und herausheben; aber seine Bemühungen sind fruchtlos. [↔] Des Hrn. CahüsacsAbhandlung über die Tanzkunst, ist den Tänzern eben so unentbehrlich, als das Studium der Chronologie einem Geschichtschreiber; gleichwohl ist sie von einigen Künstlern getadelt worden; er hat sogar von einigen, die ihn aus gewissen Ursachen weder lesen noch verstehn konnten, schaale Spöttereyen aushalten müssen. Wie sehr haben sich nicht alle, welche das Serieuse tanzen, an dem Worte Pantomime gestoßen! Es wäre doch allerliebst, sagten sie, diese Gattungpantomimisch tanzen zu sehen. Gestehen Sie, mein Herr, daß man nicht einen Tittel von der Bedeutung des Worts wissen muß, um eine solche Sprache zu führen. Eben so gut könnte man zu mir sagen: ich mache keinen Anspruch auf Verstand; ich mag keine Seele haben; ich will Zeitlebens ein Vieh bleiben. [↔] Verschiedene Tänzer, welche über die Unmöglichkeit schreyen, die Pantomime mit der mechanischen Ausführung zu verbinden, und die noch keinen Versuch gemacht, noch keine Mühe angewendet haben, zu sehn, obs möglich oder nicht? griffen auch noch das Werk des Hrn. Cahüsac mit sehr elenden Waffen an. Sie warfen ihm vor, er verstünde das Mechanische der Kunst nicht, und zogen daraus die Folge, daß seine Schlüsse ohne alle Grundsätze wären; welch Geschwätz! Muß man denn eben eine Gargouillade und einen Entrechat machen können, um vernünftig über die Wirkung dieses Schauspieles zu urtheilen, um zu fühlen, was ihm fehlt, und um anzuzeigen, was sich dafür schickt? Brauchts eben ein Tänzer zu seyn, um den wenigenVerstand, den ein Pas de Deux hat, und den Unsinn, der in den Balletten gemeiniglich begangen wird, den wenigen Ausdruck der Tänzer und das magre Genie der Balletkomponisten zu bemerken? Was würde man von einem Komödienschreiber sagen, welcher sich dem Urtheile des Parterre nicht unterwerfen wollte, weil sich viele darinn befinden, die selbst keine Schriftsteller sind? [↔] Wenn Hr. Cahüsac sich mit den Schritten, mit den abgezirkelten Bewegungen der Arme, mit der Verflechtung und den mancherley Arten von Verknüpfung der Tackarten befaßt hätte; dann wäre er in Gefahr gewesen, sich zu verirren; so aber hat er alle diese gröbern Theile denen überlassen, die nichts sind, als Arme und Beine. Für die hat er auch nicht schreiben wollen; er hat bloß den poetischen Theil der Kunst behandelt; er hat ihr innres Wesen getroffen; wehe denen! welche ihn nicht verstehn, noch ihm Geschmack abgewinnen können. Die Wahrheit muß man sagen; die Gattung, die er vorschlägt, ist schwer, allein, ist sie deswegen minder schön? Es ist die einzige, die der Tanzkunst angemessen ist, und sie verschönern kann. [↔] Die großen Schauspieler wird Herr Diderot auf seiner Seite haben; bloß die mittelmäßigen werden sich gegen die Gattung empören, die er vorschlägt: warum? weil er solche aus der Natur genommen, und weil sie nicht bloße Maschinen, sondern Menschen erfodert; weil Vollkommenheiten dazu erheischt werden, die man nicht erwerben kann, wenn ihr Keim nicht in unsrer Seele liegt, und weil es dabey nicht bloß darauf ankömmt, seine Rolle gut auswendig herzusagen, sondern weil man dabey lebhaft empfinden und eine Seele haben muß. [↔] Man sollte den Hausvater und den natürlichen Sohn aufs Theater bringen, sagte ich eines Tages zu einem Akteur; sie würden sich darauf nicht ausnehmen, war seine Antwort. Haben Sie die beyden Stücke gelesen? Ja, versetzte er. Nun, sind Sie nicht davon gerührt worden? ward ihre Seele nicht bewegt, ihr Herz erweicht, und haben Sie es lassen können, bey den ungekünstelten rührendenGemählden zu weinen, welche der Verfasser so natürlich vorgestellt hat. Ich habe, sagt er, alles das . Warum glauben Sie denn, daß diese Stücke auf dem Theater keine Wirkung thun würden, da Sie davon hingerissen wurden, obgleich ihnen die Illusion der Bühne dabey fehlte, und ihnen die neue Stärke mangelte, die sie erhalten müßten, wenn sie von guten Akteurs aufgeführt würden? Da steckt der Knoten; es ist sehr selten eine große Anzahl zusammen zu bringen, fuhr er fort, die diese Stücke vorstellen könnten; diese mit einander fortlaufende Scenen, würden sie in Verlegenheit setzen, wie sie solche herausbringen sollten; diese pantomimische Aktion würde eine Klippe seyn, woran die meisten Komödianten scheiterten. Die stumme Scene ist der Probierstein des Akteurs. Diese abgebrochnen Phrases, diese halb gesagten Gedanken, diese Seufzer, und diese kaum arti kulirten Töne, erfodern eineWahrheit, eine Seele, einen Ausdruck und eine Einsicht, die nicht jedermanns Ding sind; diese Einfalt in den Kleidungen, welche dem Akteur das nimmt, womit ihn die Kunst verschönert, würde ihn bloß sehen lassen, wie er ist; sein Wuchs, der nicht mehr durch einen zierlichen Schmuck erhoben wäre, würde der schönen Natur bedürfen, um zu gefallen, nichts versteckte mehr seine Mängel, und die Augen des Zuschauers, nicht länger durch Flitterwerk und Bettelstaat geblendet, würden gänzlich auf dem Schauspieler haften. Ich gebe zu, sagt ich ihm, daß das Einfache in allen Gattungen große Vollkommenheiterfodert; daß es nur der Schönheit kleidet, ungeputzt einher zu gehn, und daß ein nachläßiger Anzug sogar ihren Reitz erhöht; aber die Schuld liegt weder an Diderot noch an Cahüsac, wenn große Talente rar sind; sie verlangen beyde nur solche Vollkommenheiten, die zu erwerben stehn, wenn man Nacheiferung hat; die Gattung, die sie ausgezeichnet haben, ist die einzige wahre; sie borgt ihren Reitz und ihre Züge bloß von der Natur. [↔] Wenn man den Rath und Vorschlägen der Herren Diderot und Cahüsac nicht folgt, wenn man die Wege, die sie anzeigen, um zur Vollkommenheit zu gelangen, aus der Acht läßt, kann ich mir schmeicheln, daß es mir glücken wird? ganz und gar nicht, mein Herr; es zu denken wäre Verwegenheit. [↔] Ich weiß, daß die nichtige Furcht, etwas Neues einzuführen, beständig die kleinmüthigen Artisten zurück hält; auch ist mir nicht unbekannn [***]t, daß die Gewohnheit die mittelmäßigen Köpfe stark an den alten Schlendrian ihrer Profeßion heftet; es ist mir begreiflich, daß in allen Gattungen die Nachahmung für solche Leute was verführerisches haben kann, die weder Genie noch Geschmack haben. Die Ursach ist ganz bekannt: es läßt sich leichter nachahmen, als selbst schaffen. [↔] Wie viele Talente gehn durch eine knechtische Nachahmung verlohren? Wie viele Fähigkeiten werden dadurch erstickt? Wie viele Artisten bleiben unbekannt, weil sie die Gattung und die Manier, die sich für sie eigentlich schickte, verlassen, und sich gequält haben, das zu erreichen, welches für sie keinesweges gemacht war? Wie viele mißlungene Akteurs und eckelhafte Parodisten, welche die Töne der Natur, sich selbst, ihren Gang, ihre Gebehrden und ihre Physiognomie verleugnet, und solche Töne, solches Spiel, solche Aussprache, solchen Gang, solchen Ausdruck und solche Gesichtszüge erborgt haben, die sie dergestalt entstellen, daß sie nur die Carika tur der Originale geworden, die sie haben kopiren wollen? Wie viele Tänzer, Mahler und Musiker haben sich verderbt, weil sie dem leichten aber gefährlichen Wege folgten, der unvermerkt zum Untergange und Vernichtung der Künste führen würde, wenn nicht noch jedes Jahrhundert einige von den seltnen Männern hervor gebracht hätte, welche die Natur zum Muster, das Genie zum Führer nehmen, und sich mit kühnen Fluge auf eignen Flügeln zur Vollkommenheit empor schwingen. [↔] Ein jeder, der sich von der Nachahmungbeherrschen läßt, wird immer die schöne Naturvergessen, um allein auf das Muster zu denken, das ihn hinreißt, und welches oft Unvollkommenheiten hat, deren Copie nicht gefallen kann. [↔] Nehmen Sie die Artisten vor; fragen Sie solche, warum sie sich nicht befleißigen, original zu seyn, und ihrer Kunst eine weniger bunte Gestalt, einen wahrern Ausdruck, ein natürlicheres Ansehn zu geben? Sie werden Ihnen, um ihre Trägheit und Faulheit zu rechtfertigen, antworten: daß sie fürchten, sich lächerlich zu machen; daß bey den Neuerungen, beym Schaffen Gefahr ist; daß das Publikum an diese oder jene Manier gewöhnt ist, und daß man ihm mißfallen würde, wenn man davon abwiche. Das sind die Gründe, worauf sie sich steifen werden, um die Künste dem Eigensinne und der Veränderlichkeit zu unterwerfen, weil sie vergessen, daß sie Kinder der Natur sind; daß sie nur dieser folgen, und daß sie unverbrüchlich den Regeln folgen sollen, die sie vorschreibt. Sie würden sich vergebens bemühn, uns zu überreden, daß es rühmlicher sey, sein kleines Pflanzenleben zu leben und im Schatten der Originale zu schmachten, die sie verdunkeln und zertreten, als seine Kräfte anzuwenden, selbst Original zu werden. [↔] Diderot hat keinen andern Zweck, als die Vollkommenheit des Theaters vor Augen gehabt; er wollte alle Schauspieler wieder zur Natur zurück führen, die sich davon entfernt hatten. Cahüsac rufte gleicherweise die Tänzer zur Wahrheit zurück; aber alles, was sie gesagt haben, hat man für falsch gehalten, weil alles, was sie sagen, die Zeichen der verkannten schönen Einfalt an sich trägt. Man hat nicht einräumen wollen, daß nur Verstand dazu gehöre, ihren Rath in Ausübung zu bringen. Kann man gestehn, daß es einem daran fehle? Ist es möglich, zu gestehen, man habe keinen Ausdruck, das hiesse ja zugeben, daß es einem an Seele fehlte; man sagt noch wohl, ich habe eine schwache Brust, aber nicht, ich habe ein stumpfes Gefühl. Die Tänzer gestehn noch wohl zuweilen, daß sie keine Stärke haben, sie sprechen aber nicht mit derselben Aufrichtigkeit, wenn die Rede von der Unfruchtbarkeit der Einbildungskraft ist; damit rücken die Balletmeister noch wohl naif genug heraus, daß sie nicht geschwinde arbeiten, und daß sie an ihrer Profeßion kein Vergnügen finden; aber damit halten sie hinterm Berge, daß das Publikum auch wieder kein Vergnügen an ihren Werken findet, daß sie frostig, verwirrt, eintönig sind, und kein Genie haben. So, mein Herr, sind die meisten Männer beschaffen, die sich dem Theater widmen; sie dünken sich alle vollkommen; daher ist es nicht zu verwundern, daß alle diejenigen, die sich bemühet haben, ihnen die Augen zu öfnen, laß geworden, und es sogar bereuet, daß sie einen Versuch zu ihrer Genesung gemacht haben. [↔] Die Eigenliebe ist in allen Ständen eine unheilbare Krankheit. Vergebens sucht man die Kunst zur Natur zurück zu führen; das Ausreissen hat Ueberhand genommen; kein Generalpardon vermag die Künstler zu ihren Fahnen zurück zu bringen, und sich unter der Standarte der Wahrheit und Einfalt wieder zu versammlen. Es ist ein fremder Dienst, der ihnen zu schwer und unerträglich fallen würde. Man kam also leichter davon, wenn man sagte, Hr. Cahüsac spricht als Schriftsteller und nicht als Tänzer, und die Gattung, die er vorschlägt, ist närrisch. Aus eben der Ursache hat man geschrieen, der Natürliche Sohn und der Hausvater sind kei ne Stücke zum Aufführen; denn das war leichter, als sie zu spielen; vermittelst dessen haben die Künstler Recht, und die Schriftsteller sind nur Dummköpfe. Ihre Werke sind die Träumereyen trockner übel aufgeräumter Moralisten, ohne Werth, ohne Verdienst. Wie sollten sie auch dazu kommm [***]en? findet man wohl bey ihnen die süssen Modewörter, die süssen Portraite, die süssen Spitzfindigkeiten, die süssen Einfälle? denn das unendlich Süsse gefällt sehr oft in großen Städten. Ich habe eine Zeit erlebt, wo alles süß war, süsse Kinder, süsse Akteurs, süsse Geiger, süsser Engländerund süsses Kunstpferd. [↔] Welche sich aufs Tanzen oder Balletkomponiren legen wollen, solche Lehrmeister hätten, die sie in allen den Dingen unterrichteten, die sie nicht wissen, u. die doch wesentlich dazu gehören. Die meisten verabsäumen die Kenntnisse, die ihnen nöthig wären zu wissen, und opfern solche dem Müßiggange und einer solchen weitläuftigen Lebensart auf, welche dieKunst erniedrigt und den Künstler schändet. Dieser nur zu gerechte Vorwurf einer üblen Lebensart, ist der Grund des nachtheiligen Vorurtheils, welches überall gegen diejenigen herrscht, die sich dem Theater widmen; ein Vorurtheil, das sich, Trotz des bittern Tadels des sehr berühmten Cynikers unser Zeit, bald verlieren würde, wenn sie sich durch edle Sitten und vorzügliche Talente hervor zu thun suchten. Ich bin u. s. w.
1
(*) Dieseß Ballet ist auch zu Paris und
London aufgeführet worden, mit Kleidungen von vielem
Geschmacke, die Herr Boquet, Zeichner bey der Königl. Akademie der
Musick, angegeben hatte.
2
(*) Kapellmeister Sr. Preußischen
Majest.
3
(**)
Kapellmeister Sr. Polnischen Majest. und Churfürsten
von Sachsen.
4
(*) Das
Trio der Parcen, des Hipolits und der Aricie, welches, so wie es ist, nicht in
der Oper aufgeführt werden können, giebt ein Beyspiel von dieser Art. Von der zwoten haben wir eins an dem
Erdbeben, welches für den zweyten Akt der Indes
galantes gemacht worden, das das Orchester im Jahr 1735 auf keine Weise herausbringen konnte, und das doch bey einer Probe oder einem Versuche den geschickte und
folgsame Muster in Gegenwart des Herrn Rameau damit machten, eine erstaunende Wirkung that. Glauben Sie wohl,
daß, wenn diese Stücke nicht über den Kräften der
Instrumentisten gewesen, ein darauf gespieltes Tambourin wohl angebracht gewesen wäre? Und würde der Musikus die
Zeit zwischen den Akten nicht viel besser nützen, wenn er sein Sujet an einander hinge, wenn er suchte, den gemachten Eindruck zu unterhalten, und den Zuschauer
auf denjenigen, den er noch machen will, vorzubereiten
?
5
(*) Bretter, welche solchergestallt
gelegt sind, daß sie hohl liegen, und eine große
Elasticität haben,
wodurch sie den Luftspringern ihre gefährlichen
Sprünge erleichtern.
6
(*) Man sagt, das Thespis der erste Erfinder der tragischen
Dichtkunst gewesen ist, er, der seine
Muse auf Karren fuhr, und den Sängern und Spielern seiner
Stücke, die Gesichter mit Weinhefen bemahlte.
Ramlers Ubers. der Horaz. Dichtkunst.
7
(*) Nach ihm erfand Aeschilus anständigere Masken und Talare. Er baute
sein Theater auf Balken, gab seinen Personen eine
erhabene Sprache, und zog ihnen den Kothurn an. Ramlers Uebers. der horaz. Dichtkunst.
8
(*)Ich habe ganz deutlich Menschen im Monde gesehen.
---- ---- ---- ---- ----
Menschen hab ich nun, wie ich glaube, noch nicht entdeckt,
Kirchthürmer aber so deutlich, als Sie da vor mir stehen.
(*)Ich habe ganz deutlich Menschen im Monde gesehen.
---- ---- ---- ---- ----
Menschen hab ich nun, wie ich glaube, noch nicht entdeckt,
Kirchthürmer aber so deutlich, als Sie da vor mir stehen.
9
(*) Thoinet Arbeau, Canonicus von Langres, hat sich zuerst
1588 mit einem Tracktate
bekannt gemacht, den er Orchesographie nannte. Er schrieb unter
jede Note der Melodie die Bewegungen und die Pas des Tanzes, die ihm
schicklich schienen. Beauchamps gab hernach
der Choregraphie eine neue
Gestalt, und brachte den sinnreichen Entwurf des Thoinet Arbeau zu mehr Vollkommenheit; er
fand Mittel, die Pas mit Zeichen zu
schreiben, denen er einen unterschiedlichen Werth und
Bedeutung zulegte, und
er ward durch ein Arret vom Parlement für den Erfinder
dieser Kunst erkläret. Feuillet legt sich sehr emsig
darauf, und hat einige Werke über diese Materie
hinterlassen.
10
(*) FrankreichsOrpheus der Zeit, die Zierde seiner
lyrischen Bühne, und der berühmteste Sänger, den die
französische Oper jemals gehabt hat. Er vereinigt mit einer reitzenden
Stimme einen vortreflichen Geschmack und Ausdruck; er
ist ein eben so geschickter Musikus als er ein vortreflicher Akteur war,
welches man bey den französischen Sängern selten
findet.
11
(*) Diese
Musik ist von dem Herrn Grannier, der in dem Lyoner Concerte den Flügel spielt; und ich muß ihm hier die schuldige Gerechtigkeit wiederfahren lassen,
indem ich versichre, daß es
wenige Tonkünstler giebt, die so fähig sind, ihre
Kompositions für jede Gattung von Balletten so
schicklich einzurichten, und
das Genie eines Mannes, der für Einsicht und Gefühl gebohren ist, in
Bewegung zu
setzen.
12
(*) Diese Galathee ist die Licinia des Horaz, von der er in der 12ten Ode des 2ten Buches sagt:
Dum flagrantia detorquet ad oscula
Cervicem: aut facili sæuitia negat,
Quæ poscente magis gaudeat eripi,
Interdum rapere occupet.
Wenn sie den Nacken wegwendet von brünstigen Küssen,
Und schalkhaft grausam das abschlägt, was muthig entrissen
Süß und willkommner ihr ist,
Bisweilen kühn gar selbst küßt. Dieses Ballet hat um desto mehr gefallen, weil man nicht gedacht hatte, daß sich die muntre Pantomime mit der ernsthaften Gattung vereinbaren liesse. Galathee hört nicht auf, zwey Schäfer durch ihren Eigensinn zu necken; voller Freude nimmt sie ihre Geschenke an, und wirft sie bald darauf mit Verachtung von sich. Derselbe Eigensinn hat immer verschiedene Schattirungen und Verstufungen. Die Schäfer stellen sich, als ob sie in eine andre Schäferinn verliebt geworden, und ihr die Geschenke anböten, welche der Galathee bestimmt waren. Diese, aus einer Anwandlung von Eifersucht, reißt solche ihrer Nebenbuhlerinn aus den Händen schmückt sich einen Augenblick damit, und wirft sie wieder weg. Ihre Nebenbuhlerinn will sie wieder nehmen, und die Eifersucht kommt wieder. Galathee eilt ihr zuvor, bemächtigt sich derselben, um sie abermals wegzuwerfen. Nunmehr verlassen die SchäferGalathee, um sie nach sich zu locken; in einem Pas de Quattre stellen sie sich, als ob sie sich nicht weiter um sie bekümmerten, und heftig in die andre Schäferin verliebt wären. Die gedemüthigte Eigensinnige überläßt sich dem Schmerze und der Betrübniß, aber aus einer Folge ihres natürlichen Leichtsinns und Veränderlichkeit, geht sie plötzlich von einer heftigen Betrübniß zu der lebhaftesten und ausgelassensten Freude über. Diese schnellen Uebergänge, diese entgegengesetztenBewegungen, diese beständigen Abwechslungen von Zärtlichkeit und Gleichgültigkeit, von Betrübniß und Vergnügen, von Empfindlichkeit und Kaltsinn, haben zu einer Menge von Gemählden Anlaß gegeben, welche alle sehr interessant und von wirklich neuem Geschmacke geschienen haben.
Dum flagrantia detorquet ad oscula
Cervicem: aut facili sæuitia negat,
Quæ poscente magis gaudeat eripi,
Interdum rapere occupet.
Wenn sie den Nacken wegwendet von brünstigen Küssen,
Und schalkhaft grausam das abschlägt, was muthig entrissen
Süß und willkommner ihr ist,
Bisweilen kühn gar selbst küßt. Dieses Ballet hat um desto mehr gefallen, weil man nicht gedacht hatte, daß sich die muntre Pantomime mit der ernsthaften Gattung vereinbaren liesse. Galathee hört nicht auf, zwey Schäfer durch ihren Eigensinn zu necken; voller Freude nimmt sie ihre Geschenke an, und wirft sie bald darauf mit Verachtung von sich. Derselbe Eigensinn hat immer verschiedene Schattirungen und Verstufungen. Die Schäfer stellen sich, als ob sie in eine andre Schäferinn verliebt geworden, und ihr die Geschenke anböten, welche der Galathee bestimmt waren. Diese, aus einer Anwandlung von Eifersucht, reißt solche ihrer Nebenbuhlerinn aus den Händen schmückt sich einen Augenblick damit, und wirft sie wieder weg. Ihre Nebenbuhlerinn will sie wieder nehmen, und die Eifersucht kommt wieder. Galathee eilt ihr zuvor, bemächtigt sich derselben, um sie abermals wegzuwerfen. Nunmehr verlassen die SchäferGalathee, um sie nach sich zu locken; in einem Pas de Quattre stellen sie sich, als ob sie sich nicht weiter um sie bekümmerten, und heftig in die andre Schäferin verliebt wären. Die gedemüthigte Eigensinnige überläßt sich dem Schmerze und der Betrübniß, aber aus einer Folge ihres natürlichen Leichtsinns und Veränderlichkeit, geht sie plötzlich von einer heftigen Betrübniß zu der lebhaftesten und ausgelassensten Freude über. Diese schnellen Uebergänge, diese entgegengesetztenBewegungen, diese beständigen Abwechslungen von Zärtlichkeit und Gleichgültigkeit, von Betrübniß und Vergnügen, von Empfindlichkeit und Kaltsinn, haben zu einer Menge von Gemählden Anlaß gegeben, welche alle sehr interessant und von wirklich neuem Geschmacke geschienen haben.
13
(*) Diese Scene, wenn man zu der Landung der Constance und des Clairvillezurückgeht, enthält eine
rührendeWiedererkennung; der darauf
folgende Theaterstreich ist interessant, und der Kampf,
der diese lebhafte Aktion
beschließt, stellt drey Gemählde vor; es sind die Freundschaft, die
Zärtlichkeit und Liebe, die man trennen will, es sind Banden, die die Natur
geknüpft hat, welche die Unmenschlichkeit zu zerreissen
sucht, die aber die Natur und
Constance noch fester zu
schlingen sich bemühen. Es ist kein getheiltes Interesse,
was die Kämpfer antreibt. Constance fürchtet weniger für ihr
eignes Leben, als für das Leben ihres Geliebten und ihres
Bruders; diese wachen mehr für die Erhaltung der Constance, als für ihre eigne. Wenn sie Streiche empfangen, so geschieht es, weil
sie solche von dem Gegenstande ihrer Zärtlichkeit abwenden
wollen; diese Scene, welche beym Lesen lang scheint, ist in der Ausführung lebhaft und feurig; denn es ist bekannt, daß nicht so viel Zeit
erfodert wird, eine Empfindung durch
Gebehrden auszudrücken, als durch die Rede; wenn also der richtige Augenblick
getroffen wird: so ist die
pantomimische Aktion wärmer, glühender
und interessanter, als die, welche aus einer dialogirten
Scene entspringt. Ich glaube,
mein Herr, daß die, welche ich Ihnen in einer entfernten
Perspektive gezeigt habe,
einen Charakter führt, gegen den die Menschlichkeit nicht
unempfindlich seyn kann, und
daß sie fähig ist, Thränen zu
erpressen, und alle diejenigen stark zu rühren, deren Herz
der Empfindung und Delikatesse fähig ist.
14
(*) Amor, unter der Gestalt eines Corsaren, hat auf demselben das Commando; die Scherze und Spiele verrichten das
Geschäft der Matrosen; ein Haufe Nymphen, als Amazonen gekleidet, sind die
Soldaten, die es am Bord führt; alles ist zierlich, alles
bezeichnet und verkündigt
die Gegenwart des Sohns der Göttin von Cythere.
15
(*) Dieses Ballet ist mit Sorgfalt in Kleidung
gesetzt, und ist nichts dabey gespart worden. Der Nymphen ihre Kleidungen waren galant, und die Corsets waren ungefehr wie der Amazoninnen ihre gemacht. Die Kleidungen der Wilden waren von besondern Schnitt, und vollen Farben; ein Theil der Brust, und die Arme und Beine waren Fleischfarb. Amor
war durch nichts zu kennen, als
durch seine Flügel, und war gekleidet als ein corsarischer Schiffscapitain. Die
Spiele und Scherze gingen wie Matrosen auf Raubschiffen zu
gehen pflegen, mit dem Unterschiede, daß sie galanter
waren. Dieser Trupp Kinder glich
den niedlichen sächsischen
Porcelainfiguren, die man zu den Aufsätzen braucht. Clairville, Dorval und Constance waren nicht reich,
sondern mit
Geschmack und Anstand gekleidet. Ihre Haare
waren in einer schönen Unordnung. Die Zeichnung der Kleider war vom Herrn Boquet, und die Musik vom
Herrn Granier. Sie ahmte die
Töne der Natur nach; ohne einförmig im Gesange zu seyn,
war sie reich an Harmonie. Kurz, er hatte die
Handlung in die Musik gebracht; jede Wendung war ein Ausdruck, welche den Bewegungen des Tanzes
Kraft und Nachdruck gab, und seine Gemählde beseelte.
16
(*) Was
auch die kleinen Kunstrichter über die
gedoppelten Auftritte des Hrn. Diderots und über das Brettspielen im ersten Auftritte seines Hausvaters, wodurch er so wahr, so natürlich wird, gesagt haben, so habe ich
doch ein Schachspiel in mein Ballet gebracht. Das
Theater ist ein getreues Gemählde vom
menschlichen Leben, oder sollte es doch seyn; also
kann alles, was in der Gesellschafterlaubtes und anständiges
vorgeht, auf diese Leinewand geworfen werden. Desto
schlimmer für die
Narren, wenn die schöne Einfalt sie nicht rührt; wenn
ihr Herz erstarrt und unempfindlich gegen die
reitzenden Bilder guter und sanfter
Sitten ist. Soll denn ein Verfasser ohn
Unterlaß seinen eignen Empfindungen und der Natur entsagen, um Feyenmärchen voll Riesen
und Zwergen zu machen, oder kann man von keinem andern
Schauspiele gerührt werden, als wenn
immer Götter und Helden
auf der Bühne erscheinen?