Text

Der Messias, ein Heldengedicht
|| [3]

Der Messias,

Erster Gesang.

[]
Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit
Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich
Satan wider den göttlichen Sohn []: umsonst stand Judäa
Wider ihn auf; er thats, und vollbrachte die grosse Versöhnung. []
Aber, o Werk, das nur GOtt allgegenwärtig erkennet,
Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete;
|| [4]

Führe sie mir, als deine Nachahmerinn, voller Entzückung,
Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen.
Rüste sie mit jener tiefsinnigen einsamen Weisheit.
Mit der du, o forschender Geist, die Tiefen GOttes durchschauest;
Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen,
Und die Erlösung des grossen Messias würdig besingen. []
Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geschlechte verherrlicht,
Da der Schöpfer der Welt, als Erlöser, auf Erden gekommen:
So hört meinen Gesang, ihr besonders, ihr wenigen Edlen,
Theure gesellige Freunde des liebenswürdigen Mittlers,
Ihr mit der Zukunft des grossen Gerichts vertrauliche Seelen,
Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttlichesLeben. []
Nah an der heiligen Stadt, die sich itzt durch Blindheit entweihte,
Und die Krone der hohen Erwählung unwissend hinwegwarf,
Ehmals die Stadt der Herrlichkeit GOttes, der heiligen Väter
Pflegerinn, nun ein Altar des Bluts von Mördern vergossen:
Hier wars, wo der Messias von einem Volke sich losriß,
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Das ihn zwar itzo verehrte, doch nicht mit jener Gemütsart,
Die vorm schauenden Angesicht GOttes untadelhaft bleibet.
JEsus [] [] verbarg sich vor diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen
Des ihm begegnenden Volks; zwar klang dort ihr lautes Hosanna;
Aber umsonst. Sie kannten den nicht, den sie König nannten.
Und den Gesegneten GOttes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel.
GOtt kam selber vom Himmel herab. Die gewaltige Stimme:
Er ist verherrlicht, und soll von neuem verherrlichet werden!
War die Verkündigerinn der gegenwärtigen Gottheit.
Doch sie waren, dich, GOtt, zu verstehn, zu niedrige Sünder.
Unterdeß nahte sich JEsus dem Vater, der wegen des Volkes,
Zu dem die Stimme geschah, voll Zorn zum Himmel hinaufstieg.
Vor ihm wollt er noch einmal sein göttlich freyes Entschliessen,
Seine Geliebten, die Menschen, zu heiligen, feyerlich kund thun. []
Gegen die östliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge,
Welches schon oft den göttlichen Mittler auf seinen Gipfeln,
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Wie ins Heilige GOttes, verhüllt, wenn er einsame Nächte
Unter dem Anschaun des Vaters in grossen Gebeten durchwachte.
Nach dem Gebirge begab er sich itzt. Johannes alleine
Folgt ihm bis zu den Gräbern der Seher, in heiligen Grotten,
Wie sein göttlicher Freund, die Nacht im Gebete zu bleiben.
Von da erhub sich der Mittler zur obersten Spitze des Berges.
Indem umgab ihn vom hohen Moria ein Schimmer der Opfer,
Die den ewigen Vater noch itzt vorbildend versöhnten.
Um und um nahm ihn der Oelbaum ins Kühle. Gelindere Lüfte,
Gleich dem Säuseln der Gegenwart GOttes, umflossen sein Antlitz.
Der dem Messias auf Erden zum Dienste gegebene Seraph,
Gabriel ist sein himmlischer Name, stand eben am Eingang
Zwoer umdufteten Cedern, und dachte dem Heile der Menschen
Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als itzt der Erlöser
Seinem Vater entgegen vor ihm im stillen vorbeygieng.
Gabriel wuste, daß nun die Zeit der Erlösung herankam.
Diese Betrachtung entzückt ihn, er sprach mit zärtlicher Stimme:
|| [7]
[]
Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durchwachen?
Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?
Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten?
Sieh, itzt streckt schon der Sprößling der Ceder den grünenden Arm aus.
Und die weiche balsamische Staude. Beym Grabmal der Seher
Wächst dort unten das ruhige Moos im kühlenden Erdreich.
Soll ich hieraus, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten?
Wie ist dein Leib, o Erlöser, ermüdet! Wie vieles erträgst du
Hier auf Erden aus brünstiger Liebe zum Menschengeschlechte! []
Also sagt er. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken,
Und stand voll Ernst auf der Höhe des Bergs am benachbarten Himmel.
GOtt war daselbst. Hier betet er. Unter ihm tönte die Erde,
Und ein wandeludes<wandelndes> Jauchzen durchdrang die Pforten der Tiefen,
Als sie von ihm die gewaltige Stimme tief unten vernahmen.
Denn es war nicht mehr die Stimme des Fluchs, die Stimme von Stürmen
Furchtbar verkündiget, und in donnernden Wettern gesprochen,
Die die Erde vernahm. Sie hörte des Segnenden Rede,
|| [8]

Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu verneuen beschloßen.
Um und um lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmrung,
Gleich als wären sie schon neu erschaffen, und blühend, wie Eden.
JEsus [] [] redte. Nur er und der Vater durchschauten den Inhalt,
Unbegrenzt; dieß nur vermag die Stimme des Menschen zu sprechen: []
Göttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes
Nähern sich mir, die Tage, zu grössern Werken erlesen,
Als selbst die Schöpfung, die du durch deinen Sohn ehmals vollbrachtest.
Sie verklären sich mir so schön und herrlich, als damals,
Da wir die Reihe der Zeiten durchschauten, und sie in der Zukunft,
Durch mein göttliches Anschaun vorzüglich bezeichnet, erblickten.
Dir nur ist es bekannt, mit was für Einmuth wir damals,
Du, mein Vater, und ich, und der Geist die Erlösung beschlossen.
In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe,
Waren wir beysammen. Voll unsrer göttlichen Liebe,
Sahen wir auf Menschen, die noch nicht waren, herunter.
Ach das arme Geschlecht! Ach unsre Geschöpfe, wie elend
Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub, von der Sünde verstellet!
Vater, ich sah ihr Elend, du meine Thränen. Da sprachst du:
|| [9]

Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menschen erschaffen;
Also erfanden wir unser Geheimniß, das Blut der Versöhnung,
Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schöpfung der Menschen.
Hier erkohr ich mich selbst, dieß göttliche Werk zu vollenden.
Ewiger Vater, das weißst du, das wissen die Himmel, wie brünstig
Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrung verlangte;
Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne,
Mein erwähltes geliebtestes Augenmerk! Und du, o Canan,
Heiliges Land, wie oft hieng mein sanftthränendes Auge
An dem Hügel, den ich vom Blute des Bundes schon voll sah.
Und, o wie bebt mir mein Herz von süssen wallenden Freuden,
Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte
Zu mir sich sammlen, und nun bald alle Geschlechte der Menschen
Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, göttlicher Vater,
Noch mit den Zügen der Menschheit, nach deinem Bilde, gezieret.
Betend vor dir: Bald aber wird mich dein tödtend Gerichte
Blutig entstellen, und unter den Staub der Todten begraben.
Schon hör ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne
Kommen, und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn.
Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte
Unempfindbar; und wenn du sie auch im grimmigen Zorne
Tödtetest, unempfindbar! Schon seh ich den nächtlichen Garten
Vor mir liegen, schon sink ich vor dir in niedrigen Staub hin,
Lieg, und bet, und winde mich, Vater, im Todesschweisse.
Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will dein grimmiges Zürnen,
Dein Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen.
Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit,
Und den Unendlichen furchtbar und tödtend, gedacht und empfunden.
GOtt nur konnte die Gottheit ertragen. Hier bin ich, mein Vater,
Tödte du mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung.
Noch bin ich frey, noch kann ich dich bitten, so thut sich der Himmel
Mit Myriaden von Seraphim auf, und führet mich jauchzend,
Vater, zu deinem unsterblichen Thron im Triumphe zurücke.
Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,
|| [11]

Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht;
Ich will leiden, den furchtbarsten Tod will ich; Ewiger, leiden!
Weiter sagt er und sprach: Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,
Meine Hand in die Wolken, und schwöre dir bey mir selber,
Der ich GOtt bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen!
JEsus [] sprachs, und stand auf, und in seinem Antlitz war Hoheit,
Und erbarmender Ernst, und Seelenruh, als er vor GOtt stand.
Und, unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen,
Sprach der ewige Vater, und wandte sein ernstes Gesichte
Gegen den Meßias: Ich breite mein Haupt durch die Himmel,
Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und sag: Ich bin ewig!
Sag, und schwöre dir, Sohn: Ich will die Sünde vergeben!
Also sprach er, und schwieg. Indem die Ewigen sprachen,
Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen,
|| [12]

Zitterten, und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer
Faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz, und um ihn lag wartend,
Wie vorm nahen Gewitter die Erde, sein furchtsamer Weltkreis.
Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam sanftes Entzücken,
Und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.
Aber sinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich,
Sinnlos, wider GOtt was zu denken, entstürzten im Abgrund
Ihren Thronen die höllischen Geister. Als jeder dahinsank,
Stürzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
Ungestüm ein, und donnernd erklang die unterste Hölle.


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