Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das
rührende Lustspiel.
[↔] Man hat zu unsern Zeiten, besonders in
Frankreich, eine Art von Lustspielen ver
sucht, welche nicht allein die Gemüther der Zu
schauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie ih nen so gar Thränen auspresse. Man hat
dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Ver
spottung, in der französischenSprache, come- die larmoyante, * das ist die weinerlich ge nennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine
abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels geta delt zu werden. Jch bin zwar nicht Willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse kön nen gebracht werden, zu vertheidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst ret
ten, und wo möglich erweisen, daß die Komö
die, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne.
Dacier
** und andre, welche die von dem Ari
stoteles entworfene Erklärung weitläuftiger ha ben erleutern wollen, setzen die ganze Kraft und
Stärke der Komödie in das Lächerlich<Lächerliche>. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Theil derselben darauf ankomme, obgleich, nach
dem
Voßius
, *** auch dieses zweifelhaft seyn könnte; allein so viel ist auch gewiß, daß in dem
Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend be
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stehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke
des Terenz keine Komödien zu nennen; oder die
Komödie hat ihre ernsthaften Stellen, und muß sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde.
Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug, oder ermüdet das Ge
müth, indem es dasselbe allzusehr rührt. Jch
glaube also, daß aus der Erklärung des Aristo
teles weiter nichts zu folgern ist, als dieses, was
für eine Art von Lastern die Komödie vornehm lich durchziehen soll. Es erhellt nehmlich dar aus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, ob schon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche
Lachen und Satyre, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber
doch weder
Plautus
, noch diejenigen, die er
unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja man muß so gar
zugestehen, daß es eine Art Laster giebt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und
dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und künst mäßige Art geschieht. Jch sehe also nicht, wor
inne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in
Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der
Kunst dann und wann bey Seite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann: Habet bonorum exemplum: quo exemplo ſibi Licere id facere, quod illi fecerunt, putat. [↔] Es sey also immer die sinnreiche Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste
Verrichtung der Komödie, damit eine mit Nu tzen verbundene Fröhlichkeit die Gemüther der
Zuschauer einnehme; nur merke man auch zu
gleich, daß es eine doppelte Gattung des Lächer
lichen giebt. Die eine ist die stammhafte und, so zureden, am meisten handgreifliche, weil sie
in ein lautes Gelächter ausbricht; die andere ist feiner und bescheidener, weil sie zwar ebenfalls Beyfall und Vergnügen erweckt, immer aber nur einen solchen Beyfall und ein solches Ver gnügen, welches nicht so starck ausbricht, son dern gleichsam in dem Jnnersten des Herzens verschlossen bleibt. Wann nun die ausgelassene und heftige Freude, welche aus der ersten Gat
tung entspringt, nicht leicht eine ernsthaftere Ge
müthsbewegung verstattet; so glaube ich doch, daß jene gesetztere Freude sie verstatten werde. Und wenn ferner die Freude nicht das einzige
Vergnügen ist, welches bey den Nachahmungen des gemeinen Lebens empfunden werden kann;
so sage man mir doch, worinne dasjenige Lust
spiel zu tadeln sey, welches sich einen solchen Jnnhalt erwählet, durch welchen es, ausser der Freude, auch eine Art von Gemüthsbewegung
hervorbringen kann, welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber un gemein süsse ist. * Da nun aber dieses als dann sehr leicht geschehen kann, wenn man die
Komödie nicht nur die Laster, sondern auch die
Tugenden schildern läßt; so sehe ich nicht warum es ihr nicht vergönnt seyn sollte, mit den ta delhaften Personen auch gute und liebenswürdige zu verbinden, und sich dadurch sowohl angeneh mer als nützlicher zu machen, damit einigermaas sen jener alten Klage des komischen Trupps bey
dem Plautus abgeholfen werde. Hujusmodi paucas Poetæ reperiunt comedias, Ubi boni meliores fiant. [↔] Wenigstens sind unter den Alten, wie
Scali
ger
erinnert, sowohl unter den Griechen als un ter den Römern, verschiedene gewesen, welche
eine doppelte Gattung von Komödie zugelas sen, und sie in die sittliche und lächerliche eingetheilet haben. Unter der sittlichen ver standen sie diejenige, in welcher die Sitten, und
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unter der lächerlichen, in welcher das Lächer liche herrschte. Doch wenn man nicht allein
darauf zu sehen hat, was in der Komödie zu ge schehen pflegt, sondern auch auf das, was darin ne geschehen sollte, warum wollen wir sie nicht
lieber, nach Maaßgebung des
Trapps
, * also
erklären, daß wir sagen, die Komödie sey ein dramatisches Gedicht, welches Abschilderungen
von dem gemeinen Privatleben enthalte, die Tu
gend anpreise, und verschiedene Laster und Un gereimtheiten der Menschen, auf eine scherzhafte und feine Art durchziehe. Jch gestehe ganz gerne, daß sich diese Erklärung nicht auf alle und jede Exempel anwenden lasse; allein, wenn man auch durchaus eine solche verlangte, welche
alles, was jemals unter dem Namen Komödie begriffen werden, in sich fassen sollte, so würde man entweder gar keine, oder doch ein Unge heuer von einer Erklärung bekommen. Genug, daß diese von uns angenommene Erklärung von
dem Endzwecke, welchen die Komödie erreichen soll, und auch leicht erreichen kann, abgeleitet ist, und auch daher ihre Entschuldigung und Vertheidigung nehmen darf. [↔] Damit ich aber die Sache der rührendenKo mödie, wo nicht glücklich, doch sorgfältig führen möge, so muß ich einer doppelten Anklage ent gegen gehen; deren eine dahinaus läuft, daß auf diese Weise der Unterscheid, wel=
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cher zwischen einer Tragödie und Ko
mödie seyn müsse, aufgehoben werde; und deren andre darauf ankömmt, daß dieje
nige Komödie sich selbst zuwieder wä
re, welche die Affecten sorgfältig erre gen wolle. [↔] Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beyder Gattungen möchten ver
mengt werden. Die Komödie kann ganz wohl
zu rühren fähig seyn, und gleichwohl von der
Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie
weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben
dieselben Mittel, als die Tragödie zu thun pflegt.
Es wäre freylich unsinnig, wenn sich die Komö
die jene großen und schrecklichen Zurüstungen der
Tragödie, Mord, Verzweiflung und derglei chen, anmaassen wollte; allein wenn hat sie die ses jemals gethan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weis von dem Adel und von der Hoheit der
Handlung nichts; sie weis nichts von den Sit ten und Empfindungen großer Helden, welche
sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder
durch ihre ausserordentliche Häßlichkeit ausneh
men; sie weis nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was
hat man also für einen Grund, zu behaupten,
daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der
Tragödie einen Eingriff thue? Können denn die kleinen Uebel, welche sie dieser oder jener Perso nen zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des
Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung,
welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Be wegung durch etwas erwünschtes wieder stillen
möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der
vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Ko mödie ihre Rührungen herhohlt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigen
thums der Tragödie anmaasse. Man sage mir
also, wenn rühret denn diese neue Art von Ko mödie, von welcher wir handeln? Geschicht<Geschieht> es
nicht meistentheils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und ausserordentliche Liebe vorstellet?
Was ist aber nun zwischen der Liebe, welche die
Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die
Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr
großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht je ne heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeitzes, entweder un zertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertren
net wird; es ist nicht jene lermende Liebe, wel
che von eine Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwer lichkeiten verwickelt wird, die sie entweder ver mehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des
Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zu schauer gemäß zu seyn pflegt. Es ist daher im
geringsten keine Vermischung der Kunst zu be
fürchten, so lange sich nicht die Komödie mit
eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der
Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Anse hung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärcke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so
wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einer ley halten kann; ja wie so gar die Ge
walt, die sie über die Gemüther der Men schen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Lo cken schlägt, und mit lächelnd trauriger Mine und angenehm unruhigen Augen seinen Kum
mer verräth: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beyden Spielen gebraucht wird, ganz
und gar nicht von einerley Art und kann also auch nicht auf einerley, oder auch nur auf ähnli che Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die
Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tra
gödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie viel mehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beystimme,
welche, durch das Ansehen einiger alten Tragö
dienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus
der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist
doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, beson ders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht dar inne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Jnnhalte eines
Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen
heftigern Gemüthsbewegungen, welche der Tra
gödie Hoheit, Glanz und Bewunderung erthei len, gelegentlich beygefügt werden, damit sie dieselben bald heftiger antreibe, bald zurückhal te, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk
der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, wel
ches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen That hergehohlet ist, zeiget deutlich genug, daß es al
lein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben,
was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Theil bey Seite gesetzt, im Rührenden vermag,
kann sich die Komödie mit allen Recht anmaas
sen. Der vortrefliche
Corneille
erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein
die Liebe herrschet, wann es auch schon in den
vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie,
sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Ko
mödie sey *. Wie viel weniger kann daher dasje
nige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das
Wesen des Trauerspiel angenommen zu haben
scheinen? Das, was ich aber von der Liebe,
und von dem Anspruche der Komödie auf die selbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet wer
den, welche die Gemüther zu bewegen vermö
gend sind; von der Freundschaft, von der Be ständigkeit, von der Freygebigkeit, von dem dankbaren Gemüthe, und so weiter. Denn weil
diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschafnen, nicht aber zu einem gros
sen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Pri
vatlebens sind, wovon die Komödie eine Ab
schilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rech te anmaassen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die
Gemüther auf eine angenehme Art zu rühren, darbiethen können. Allein auf diese Art, kann
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man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger
besucht werden, welche durch ein heftiges La chen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der
berühmte
Wehrenfels
* saget, weise, ge
lehrte, rechtschafne und kunstverständige Män ner ergötzen wird, welche mehr auf das schick
liche, als auf das lächerliche, mehr auf das ar tige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabey nicht klatschen, so wird sie doch denen gefallen, wel
che, mit dem
Plautus
zu reden, pudicitiæ præmium eſſe volunt. [↔] Jch komme nunmehr auf den zweyten Ein
wurf. Rührende Komödien, sagt man, wider sprechen sich selbst; denn eben deswegen weil sie
rühren wollen, können entweder die Laster und Ungereimtheiten der Menschen darinne nicht zu gleich belacht werden, oder, wenn beydes ge
schieht, so sind es weder Komödien noch Tragö dien, sondern ein drittes, welches zwischen bey den inne liegt, und von welchem man das sagen
könnte, was Ovidius von dem Minotaurus sagte: Semibovemque virum, ſemivirumque bovem.
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Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht wer den, welche unter den dramatischen Dichtern
der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn
Destouches
, de la Chaussee, Marivaux,
Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu
de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe
wegungen an dem gehörigen Orte angebracht
haben, welche aus dem Jnnersten der Hand
lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exem pel für uns anführen könnten, so erhellet wenig stens aus der verschiedne Natur derjenigen Per sonen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen
Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der
letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder
glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf
man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehö rig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn
diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver
spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe
niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf
tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist aller dings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Red ner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lu stige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las
se, wodurch das Gemüth, welches sich durch
das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Mensch lichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüß lichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich ge gen ein helles Licht gebracht wird. Noch viel weniger muß einer gesetzten Person alsdann,
wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewe gung setzt, eine allzulächerliche beygesellet wer den; überhaupt aber muß man nichts von die ser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und
muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht
allzulange aufhalten. Wenn man also die rüh renden Scenen auf den bequemen Ort versparet,
welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie
sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun,
sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Ge müth in Bewegung setzen. Freylich trägt hier zu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider
alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Ge müthsbewegungen die Gelegenheit geben muß,
aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön
nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, des sen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Be wegungen, und wird bald mit Vergnügen zür
nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er
laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem
letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und
die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wieder bekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an=
ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnun gen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an
genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren ver mögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflos sen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein
nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet wor den, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine
Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zu hörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei
ner angenehmen Rührung des Gemüths schlies set, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, wel ches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so ausein ander gehen läßt. [↔] Es ist aber noch eine andre Gattung, an wel cher mehr auszusetzen zu seyn scheinet, weil Scherz und Spott weniger darinne herrschen, als die
Gemüthsbewegungen, und weil ihre vornehm sten Personen entweder nicht gemein und tadel
haft, sondern von vornehmen Stande, von zier
lichen Sitten und von einer artigen Lebensart
sind, oder, wenn sie ja einige Laster haben, ih nen doch nicht solche ankleben, dergleichen bey
dem Pöbel gemeiniglich zu finden sind. Von
dieser Gattung sind ungefehr die verliebten
Philosphen<Philosophen> des Destouches, die Mela
nide des la Chaussee, das
Mündel des Fa
gan, und der Sidney des Gressets. Weil nun aber diejenige Person, auf die es in dem Stücke größten Theils ankömmt, entweder von guter Art ist, oder doch keinen allzu lächerlichen Fehler an sich hat, so kann daher ganz wohl gefragt werden, worinne denn ein solches Schauspiel mit dem Wesen der
Komödie übereinkomme? Denn obschon mei
sten Theils auch lustige und auf gewisse Art lä cherliche Charaktere darinne vorkommen, so er hält doch genugsam aus der Ueberlegenheit der andern, daß sie nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das Hauptwerk ganz und gar nicht vorstellen sollen. Nun gebe ich sehr gerne zu, daß dergleichen Schauspiele in
den Grenzen, welche man der Komödie zu setzen pflegt, nicht mit begriffen sind; allein es fragt sich, ob man nicht diese Grenzen um so viel er weitern müsse, daß sie auch jene Gattung dra matischer Gedichte mit in sich schliessen können. *
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Wenn dieses nun der Endzweck der Komödie verstattet, so sehe ich nicht, warum es nicht er laubt seyn sollte? Das Ansehen unsrer Vorgänger wird es doch nicht verwehren? Es wird doch kein Verbrechen seyn, dasjenige zu versuchen, was sie unversucht gelassen haben, oder aus eben der Ur sache von ihnen abzugehen, aus welcher wir ih nen in andern Stücken zu folgen pflegen? Hat
nicht schon Horatius gesagt: Nec minimum meruere decus, veſtigia græca Auſi deſerere.
Wenn man keine andre Komödien machen darf,
als solche, wie sie Aristophanes, Plautus und selbst Terenz gemacht haben; so glaube ich
schwerlich, daß sie den guten Sitten sehr zuträg lich seyn, und mit der Denkungsart unsrer Zeiten sehr übereinkommen möchten. Sollen wir des
wegen ein Schauspiel, welches aus dem gemei nen Leben genommen und so eingerichtet ist, daß es zugleich ergötze und unterrichte, als welches der ganze Endzweck eines dramatischen Stücks ist; sollen wir, sage ich, es deswegen von der Bühne verdammen, weil die Erklärung, welche
die Alten von der Komödie gegeben haben, nicht völlig auf dasselbe passen will? Muß es deswe gen abgeschmackt und ungeheuer seyn? Jn Din gen, welche empfunden werden, und deren
Werth durch die Empfindung beurtheilet wird, sollte ich glauben, müsse die Stimme der Natur von größerm Nachdrucke seyn, als die Stimme
der Regeln. Die Regeln hat man aus denje nigen dramatischen Stücken gezogen, welche
ehedem auf der Bühne Beyfall gefunden ha ben. Warum sollen wir uns nicht eben dieses Rechts bedienen können? Und wenn es, außer
der alten Gattung von Komödie, noch eine an dre giebt, welche gefällt, welche Beyfall findet, kurz welche ergötzt und nützt, übrigens aber die allge
meinen und unveränderlichen Regeln des dra matischen Gedichts nicht verletzet, sondern sie in der Einrichtung und Eintheilung der Fabel und
in der Schilderung der menschlichen Gemüths
arten und Sitten genau beobachtet; warum sollten wir uns denn lieber darüber beklagen, als
erfreuen wollen? Wenn diese Komödie, von der wir handeln, abgeschmackt wäre, glaubt man denn, daß ein so abgeschmacktes Ding sich die Billigung, sowohl der Klugen als des Volks, er werben könne? Gleichwohl wissen wir, daß dergleichen Spiele, sowohl in Paris, als an andern Orten, mehr als einmal mit vielem Glücke auf geführet worden, und gar leicht den Weg zu
den Gemüthern der Zuhörer gefunden haben. Wenn nun also die meisten durch ein solches Schauspiel auf eine angenehme Art gerühret werden, was haben wir uns um jene wenige viel zu bekümmern, welche nichts dabey zu em pfinden vorgeben *? Es giebt Leute, welchen die
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lustige Komüdie<Komödie> auf keine Art ein Genüge thut, und gleichwohl hört sie deswegen nicht auf, gut zu seyn. Allein, wird man sagen, es giebt un
ter den so genannten rührenden Komödien sehr viel trockne, frostige und abgeschmackte. Wohl gut; was folgt aber daraus? Jch will ja nicht ein jedes armseliges Stück vertheidigen. Es giebt auch auf der andern Seite eine große
Menge höchst ungereimter Lustspiele, von deren Verfassern man nicht sagen kann, daß sie die
allgemeinen Regeln nicht beobachtet hätten;
nur Schade, daß sie, mit dem Boileau* zu reden, die Hauptregel nicht inne gehabt haben.
Es hat ihnen nehmlich am Genie gefehlt. Und wenn dieser Fehler sich auch bey den Ver
fassern der neuen Gattung von Komödie findet, so muß man die Schuld nicht auf die Sache selbst legen. Wollen wir es aber gründlich aus=
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machen, was man ihr für einen Werth zugeste hen müßte, so müssen wir sie, wie ich schon er innert haben, nach der allgemeinen Absicht der dramatischen Poesie beurtheilen. Ohne Zweifel
ist die Komödie zur Ergötzung erfunden werden, weil es aber keine kunstmäßige und anständige Ergötzung giebt, mit welcher nicht auch einiger Nutzen verbunden wäre, so läßt sich auch von
der Komödie sagen, daß sie nützlich seyn könne und müsse. Das erstere, die Ergötzung nehm lich, wird theils durch den Jnhalt der Fabel selbst, theils durch die neuen, abwechselnden und mit den Personen übereinstimmenden Charakte re, erlangt. Und zwar durch den Jnhalt; erst lich, wenn die Erwartung sowohl erregt als un terhalten wird; und hernach, wenn ihr auf eine ganz andere Art ein Genüge geschieht, als es Anfangs das Ansehen hatte, wobey gleichwohl
alle Regeln der Wahrscheinlichkeit genau beob achtet werden müssen. Dieses hat so gewiß sei ne Richtigkeit, daß weder eine wahre noch eine erdichtete Begebenheit, wann sie für sich selbst auch noch so wunderbar wäre, auf der Bühne einiges Vergnügen erwecken wird, wenn sie nicht zu gleich auch wahrscheinlich ist. Reſpicere exemplar vitæ morumque jubebo Doctum imitatorem.
Bey jeder Erdichtung nehmlich verursacht nicht
so wohl die Fabel selbst, als vielmehr das Genie und die Kunst, womit sie behandelt wird, bey
den Zuschauern das Vergnügen. „Denn derje
nige, sagt Wehrenfels, * erlangt einen all gemeinen Beyfall, derjenige ergötzt durchgän
gig, welcher alle Personen, Sitten und Leiden
schaften, die er auf der Bühne vorstellen will, vollkommen, und so viel möglich, mit lebendi gen Farben abschildert; welcher die Auf
merksamkeit der >Zuhörer zu fesseln, und ihrem Busen alle Bewegungen mitzutheilen weis, die er ihnen mitzutheilen für gut befindet.„
Denn nicht nur deswegen gefällt die Komödie, weil sie andrer abgeschmackte und lächerliche
Handlungen, den Augen und Gemüthern dar
stellet; (denn dieses thut eine jede gute Satyre) sondern auch weil sie eine einfache und für sich selbst angenehme Begebenheit so abhandelt, daß
sie überall die Erwartung des Zuschauers unter hält, und durch dieses Unterhalten Vergnügen und Beyfall erwecket. Denn wie hätten sonst
fast alle Stücke des Terenz, so viel wir deren von ihm übrig haben, und auch einige des
Plautus, als zum Exempel die Gefangnen, in welchen durch die Darzwischenkunft eines Simo, eines Chremes, eines Phädria, eines Hegio, ein großer Theil derselben, nicht nur nicht scherzhaft, sondern vielmehr ernsthaft wird;
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wie hätten sie, sage ich, sonst gefallen können? Wenn nun aber zu dem Ergötzen nicht noth wendig eine lächerliche Handlung erfordert wird;
wenn vielmehr eine jede Fabel, die der Wahr
heitnachahmet, und Dinge enthält, welche des
Sehens und Hörens würdig sind, die Gemü ther vergnügt: warum sollte man denn nicht
auch dann und wann der Komödie einen ernst haften, seiner Natur nach aber angenehmen Jnhalt, geben dürfen? * „Auch alsdann em pfinden wir eine wunderbare Wollust, wenn
wir mit einer von den Personen in der Komö
die eine genaue Freundschaft errichten, für sie bekümmert sind, für sie uns ängstigen, mit ihr Freund und Feind gemein haben, für sie stille Wünsche ergehen lassen, bey ihren Gefahren uns fürchten, bey ihrem Unglücke uns betrü ben, und bey ihrer entdeckten Unschuld und
Tugend uns freuen.„ Es giebt viel Dinge, welche zwar nicht scherzhaft, aber doch deswegen
auch nicht traurig sind. Ein Schauspiel, wel ches uns einen vornehmen Mann, der ein ge meines Mägdchen heyrathet, so vor die Augen
stellet, daß man alles, was bey einer solchen Lie be abgeschmacktes und ungereimtes seyn kann, genau bemerket, wird ergötzen. Doch laßt uns diese Fabel verändern. Laßt uns setzen, der Entschluß des vornehmen Mannes sey nicht ab geschmackt, sondern vielmehr aus gewissen Ursa=
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chen löblich, oder doch wenigstens zu billigen; sollte wohl alsdann die Seltenheit und Rühm
lichkeit einer solchen Handlung weniger ergötzen, als dort die Schändlichkeit derselben? Der Herr
von Voltaire hat eine Komödie dieses Jn
halts, unter dem Titel Nanine, verfertiget, welche Beyfall auf der Bühne erhalten hat; und man kann auch nicht leugnen, daß man nicht
noch mehr dergleichen Handlungen, welche Er staunen erwecken, und dennoch nicht romanen haft sind, erdenken und auf das gemeine Leben anwenden könne, als welches von dem Gebrau che selbst gebilliget wird. [↔] Wir müssen uns nunmehr zu den guten Cha rakteren selbst wenden, welche hauptsächlich in
der Komödie, von welcher wir handeln, ange bracht werden, und müssen untersuchen, auf was für Weise Vergnügen und Ergötzung daraus entspringen könne. Die Ursache hiervon ist oh
ne Zweifel in der Natur der Menschen und in
der wunderbaren Kraft der Tugend zu suchen. Jn unsrer Gewalt wenigstens ist es nicht, ob wir das, was gut, rechtschaffen und löblich ist, billigen wollen oder nicht. Wir werden durch
die natürliche Schönheit und den Reiz dieser Dinge dahin gerissen: und auch der allernichts würdigste Mensch findet, gleichsam wider Wil
len, an der Betrachtung einer vortreflichen Ge müthsart, Vergnügen, ob er sie gleich weder selbst besitzt, noch sie zu besitzen, sich einige Mü
he giebt. Diejenigen also, aus welchen eine
große und zugleich gesellschaftliche Tugend her vorleuchtet, pflegen uns, so wie im gemeinen Leben, also auch auf der Bühne werth und an genehm zu seyn. Doch dieses würde nur sehr wenig bedeuten wollen, wenn nicht noch andre
Dinge dazu kämen. Die Tugend selbst gefällt auf der Bühne, wo sie vorgestellt wird, weit mehr als im gemeinen Leben. Denn da bey Betrachtung und Bewunderung eines recht schafnen Mannes, auch oft zugleich der Neid sich mit einmischet, so bleibt er doch bey dem
Anblicke des bloßen Bildes der Tugend weg, und anstatt des Neides wird in dem Gemüthe eine süße Empfindung des Stolzes und der Selbstliebe erweckt. Denn wenn wir sehen, zu was für ei nem Grade der Vortreflichkeit die menschliche Natur erhoben werden könne, so dünken wir uns selbst etwas grosses zu seyn. Wir gefallen uns also in jenen erdichteten Personen selbst, und
die auf die Bühne gebrachte Tugend fesselt uns
desto mehr, je leichter die Sitten sind, welche den guten Personen beygelegt werden, und je mehr ihre Güte selbst, welche immer mäßig und sich immer gleich bleibet, nicht so wohl die Frucht von Arbeit und Mühe, als vielmehr ein Geschen
ke der Natur zu seyn scheint. Mit einem Worte,
so wie wir bey den lächerlichen Personen, der Bühne uns selbst freuen, weil wir ihnen nicht ähn lich scheinen; eben so freuen wir uns über unsere
eigne Vortreflichkeit, wenn wir gute Gemüths
arten betrachten, welches bey den heroischen Tu
genden, die in der Tragödie vorkommen, sich seltner zu ereignen pflegt, weil sie von unsern gewöhnlichen Umständen allzuentfernt sind. Jch kann mir leicht einbilden, was man hierwieder sagen wird. Man wird nehmlich einwerfen, weil die Erdichtung alltäglicher Dinge weder Ver
langen, noch Bewunderung erwecken könne, so
müßte nothwendig die Tugend auf der Bühne grösser und glänzender vorgestellet werden, als sie im gemeinen Leben vorkomme; hieraus aber scheine zu folgen, daß dergleichen Sittenschilde rungen, weil sie übertrieben worden, nicht satt sam gefallen könnten. Dieses nun wäre frey lich zu befürchten, wenn nicht die Kunst dazu käme, welche das, was in einem Charakter Maaß und Ziel zu überschreiten scheinet, so ge schickt einrichtet, daß das ungewöhnliche wenig
stens wahrscheinlich scheinet. Ein Schauspiel, welches einem Mägdchen von geringem Stande,
Zierlichkeit, Witz und Lebensart geben wollte,
würde den Beyfall der Zuschauer wohl nicht er langen. Denn Si dicentis erunt fortunis abſona dicta, Romani tollent equites peditesque cachin= num. Allein wenn man voraussetzt, dieses Mägdchen sey, von ihren ersten Jahren an, in ein vornehmes
Haus gekommen, wo sie Gelegenheit gefun den
habe, ihre Sitten und ihren Geist zu bessern: so wird alsdann die zuerst unwahrscheinliche Per son wahrscheinlich. Weit weniger aber kön
nen uns auserlesene Sitten und edle Empfin dungen bey denjenigen anstößig seyn, von wel chen wir wissen, daß sie aus einer ansehnlichen Familie entsprungen sind, und eine sorgfältige
>Erziehung genossen haben. Die Wahrschein lichkeit aber ist hier, nicht so wohl nach der Wahrheit der Sache, als vielmehr nach der ge meinen Meinung zu beurtheilen; so daß es gar nicht darauf ankömmt, ob es wirklich solche rühmliche Leute, und wie viele es derselben giebt, sondern daß es genug ist, wenn viele, so etwas zu seyn scheinen. Dieses findet auch bey den tadelhaften Charakteren Statt, die deswe gen nicht zu gefallen aufhören, ob sie schon die Beyspiele des gemeinen Lebens überschreiten *. So wird der Geitzige in dem Lustspiele, ob er gleich weit geitziger ist, als alle die Geitzigen, die man alltäglich sieht, doch nicht mißfallen.
Der Thraso bey dem Terenz ist so närrisch, daß er den Gnatho und seine übrigen Knechte, als ob es Soldaten wären, ins Gewehr ruft,
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daß er sich zu ihrem Heerführer macht, und ei nem jeden seine Stelle und seine Pflicht anweiset: ob nun aber gleich vielleicht niemals ein Solda te so großsprechrisch gewesen ist, so ist dennoch die Person des Thraso, weil sie sonst alles mit den Großsprechern gemein hat, der Wahrheit nicht zuwider. Eben dieses geschieht auch auf der andern Seite, wenn nehmlich die Vortref lichkeit einer Person auf gewisse Art gemäßiget, und ihr, durch die genaue Beobachtung der
Wahrscheinlichkeit in den andern Stücken, nach geholfen wird. Es finden sich übrigens in uns
verschiedne Empfindungen, welche dergleichen Charaktere glaubwürdig machen, und das über triebne in denselben zu bemerken verhindern. Wir wünschen heimlich, daß die rechtschafnen Leute so häufig als möglich seyn möchten, gesetzt
auch, daß uns nicht so wohl der Reitz der >Tu gend, als die Betrachtung der Nützlichkeit, die
sen Wunsch abzwinget; und alles was dermensch lichen Natur in einem solchen Bilde rühmliches beygeleget wird, das glauben wir, werde uns selbst beygelegt, Daher<daher> kömmt es, daß die gu ten Charaktere, ob sie gleich noch so vollkom men sind, und alle Beyspiele übertreffen, in der Meinung die wir von unsrer eignen Vortreflich
keit, und von der Nützlichkeit der Tugend ha ben, ihre Vertheidigung finden. Wenn nun also diese Charaktere schon des Vergnügens we
gen, welches sie verursachen, billig in dem Lust=
spiele können gebraucht werden, so hat man noch weit mehr Ursache, sie in Betrachtung ihrer Nützlichkeit anzuwenden. Die Abschilderungen tadelhafter Personen zeigen uns bloß das Unge reimte, das Verkehrte und Schändliche; die Abschilderungen guter Personen aber zeigen uns
das Gerechte, das Schöne und Löbliche. Jene schrecken von den Lastern ab; diese feuern zu der
Tugend an, und ermuntern die Zuschauer, ihr zu folgen. Und wie es nur etwas geringes ist, wenn man dasjenige, was übel anstehet, kennet, und sich vor demjenigen hüten lernet, was uns dem allgemeinen Tadel aussetzt; so ist es Ge gentheils etwas sehr großes und ersprießliches,
wenn man das wahre Schöne erkennt, und
gleichsam in einem Bilde sieht, wie man selbst beschaffen seyn solle. Doch diese Kraft haben nicht allein die Reden, welche den guten Per sonen beygelegt werden; sondern auch dasjenige, was in dem Stücke löbliches von ihnen verrich tet und uns vor die Augen gestellet wird, giebt uns ein Beyspiel von dem, was in dem mensch lichen Leben schön und rühmlich ist. Wenn al
so schon dergleichen Schauspiele, dem gewöhn lichen und angenommenen Gebrauche nach, sich
mit Recht den Namen der Komödien nicht anmaaßen können; so verdienen sie doch wenig
stens die Freyheiten und Vorzüge der Komödie zu genießen, weil sie nicht allein ergötzen, son dern auch nützlich sind, und also denjenigen
Dramatischen Stücken beygezehlt werden kön
nen, welche Wehrenfels, am angeführten
Orte, mit folgenden Worten verlangt. „End
lich sollen unsre Komödien so beschaffen seyn,
daß sie Plato in seiner Republick dulden, Cato mit Vergnügen anhören, Vestalinnen ohne Verletzung ihrer Keuschheit sehen, und was das vornehmste ist, Christen aufführen und besuchen können.„ Diejenigen wenigstens,
welche Komödien schreiben wollen, werden nicht übel thun, wenn sie sich unter andern auch darauf befleißigen, daß ihre Stücke eine stärkere Em pfindung der Menschlichkeit erregen, welche so gar mit Thränen, den Zeugen der Rührung, be gleitet wird. Denn wer wird nicht gerne manchmal auf eine solche Art in Bewegung ge setzt werden wollen; wer wird nicht dann und wann diejenige Wollust, in welcher das ganze
>Gemüth gleichsam zerfließt, derjenigen vorzie hen, welche nur, so zu reden, sich an den äußern
Flächen der Seele aufhält? Die Thränen, wel
che die Komödie auspresset, sind dem fanften Regen gleich, welcher die Saaten nicht allein erquickt, sondern auch fruchtbar macht. Die ses alles will ich nicht darum angeführt haben,
als ob jene alte fröhliche Komödie aus ihrem rechtmäßigen Besitze zu vertreiben wäre; (sie bleibe vielmehr ewig bey ihrem Ansehen und ih rer Würde!) sondern bloß darum, daß man diese neue Gattung in ihre Gesellschaft aufneh=
men möge, welche, da die gemeinen Charaktere erschöpft find, neue Charaktere, und also einen reichern Stof zu den Fabeln darbiethet, und zu gleich die Art des Vortrags ändert. Wenn es
Leute giebt, welche nur deswegen den Komödien beywohnen wollen, damit sie in laute Gelächter ausbrechen können, so weis ich gewiß, daß sich
die Terenze und die Destouches wenig um sie bekümmern werden. Denjenigen aber zu mißfallen, welche nichts als eine ausgelassene und wilde Possenlust vergnügt, wird wohl kei ne allzugrosse Schande seyn. Es werden auch nach uns einmal Richter kommen; und auch
auf diese sollten wir sehen. Flaccus hat schon einmal sein critisches Ansehen gebraucht, und den Ausspruch gethan: At proavi noſtri Plautinos & numeros & Laudavere ſales; nimium patienter utrumque (Ne dicam ſtulte) mirati. Vielleicht werden sich auch einmal welche sinden, die uns darum tadeln, daß wir bey Annehmung
des rührenden Lustspiels, uns allzuunleidlich, ich will nicht sagen, allzuhartnäckig erwiesen haben. * * *
1
* S. die Vorrede des Hrn. v.
Voltaire
zu seiner
Nanine im IX. Theile seiner Werke, Dresdner Ausgabe.
2
** Jn den Anmerkungen zu des AristotelesDicht=
kunst Hauptst. V. S. 58. Pariser Ausgabe von
1692. Ariſtote en faiſant la definition de la Comedie decide, quelles choſes peuvent faire le ſujet de ſon
imitation. Il n'y a que celles qui ſont purement ri-
dicules, car tous les autres genres de mechanceté ou
de vice, ne ſçauroient y trouver place, parce qu'ils ne
peuvent attirer que l'indignation, ou la pitie, pasſions,
qui ne doivent nullement regner dans la Co-
medie.
3
*** Jn seiner Poetik. lib. I. c. V. p. 123.
4
* Permagna enim, sagt der vortrefliche Engländer,
Joseph Trapp
, eſt diſcrepantia inter iſtam tri- ſtitiam, quæ in tragœdia dominatur, & iſtam, quæ in comœdiam admittitur. Illa tanquam hiemalis tempeſtas, diem pene integrum nubibus & tene- bris obvolvit; interſperſis tantum raris & brevibus lucis intervallis: hæc actionem dramaticam, tan- quam cœlum tempore æſtivo plerumque ſu- dum, nubibus non nunquam, ſed rarius, inter-
cipit. Prælect. Poet. p. 323. edit. alt. Londini 1722.
5
* An angef. Orte S. 314. und folglich.
7
*Jn seiner Rede von der Komödie. S. 365. Diſſ. var. argum. Parte altera. Amſtelod. 1617.
8
* Wenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine enständige Gemüthsergötzung ist, und diese
durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschaft wird: so werden sich die ver=
schiednen Formen der Komödie gar leicht erfin= den und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen giebt,
indem einige Lachen, und andre ernsthaftere Ge= müthsbewegungen erwecken: so muß es auch eine
doppelte Art von Komödie geben, welche die
Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine
muß zu Erregung des Lachens, und die andre
zu Erregung ernsthaftrer Gemüthsbewegungen geschickt seyn. Und da es endlich auch Handlun= gen giebt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Theile, und in Ansehung der verschiednen Per= sonen von welchen sie ausgeübt werden, beydes hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine
vermischte Gattung von Komödien geben, von wel=
cher der Cyclops des Euripides, und der Ruhm=
redige des Destouches sind. Dieses hat der jüngst
in Dennemark verstorbene Hr. Prof. Schlegel, ein Freund dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst seyn wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe was in den Anmer=
kungen zu der deutschen Uebersetzung der Schrift
des Herrn Batteux, Les beaux Arts reduits à un
même principe, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch un= gedruckten Abhandlungen, über diese Materie angeführet worden. S. 316.
9
* Es scheint als ob man auf unsere Komödie dasjeni=
ge anwenden könne, was Cicero von dem Werth
einer Rede gegen den Brutus behauptet. Tu artifex, sagt er, quid quæris amplius? Delectatur audiens multitudo & ducitur oratione & quaſi vo- luptate quadam perfunditur. Quid habes quod diſputes? Gaudet, dolet, ridet, plorat, favet, audit, contemnit, invidet, ad miſerationem induci- tur, ad pudendum, ad pigendum, iraſcitur, mi- ratur, ſperat, timet: hæc proinde accidunt, ut eorum, qui adſunt, mentes verbis & ſententiis & actione tractantur. Quid eſt quod expectetur do- cti alicujus ſententia? Quod enim probat multitu- do, hoc idem doctis probandum eſt. Denique hoc ſpecimen eſt popularis judicii, in quo nun- quam fuit populo cum doctis intelligentibusque
diſſenſio. Cic. in Bruto p. 569. ſ. edit. Elzev
10
* Jn der Note zu dem ersten Verse der Dichtkunst.
11
* Jn angeführter Rede S. 367.
13
* Hiervon haben die Verfasserder Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters, S. 266. und fol. sehr geschickt gehandelt. Die Abhandlung, welche der Herr Professor hier mit seinem Beyfalle beehrt, ist von
dem seel. Hrn. Mylius.