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Franz Hutchesons der Rechte Doctors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow

Sittenlehre der Vernunft,

aus dem Englischen übersetzt.

Zweyter Band.

Mit Königl. Pohln. Churfl. Sächs. allergn. Privilegio.

------------------------------------------------------------ Leipzig, hey Johann Wendler,

1756.

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529(Neunter Abschnitt.)

Der neunte Abschnitt, Von Contracten und Verträgen. I.

Ein Contract ist. „Die Einwilligung zwoer(Beschreibung eines Con tracts.) oder mehrerer Personen in einerley End zweck, die jede in der Absicht ein gewisses Recht zu gründen oder aufzuheben ausdrücklich bekant macht.“ Wir haben schon gesehen, wie oft es nöthig ist, das Eigenthum von gewissen Sa chen mit Bewilligung des Eigenthümers auf andre zu bringen; und wie wenig die Menschen einen un aufhörlichen gesellschaftlichen Wechsel von Gefäl ligkeiten und gegenseitiger Hülfe entbehren können. Das Recht der Natur verbindet uns zu einer be ständigen Bereitwilligkeit, alle gute Dienste, die in unserm Vermögen stehn, zu leisten; und jeder recht schaffne Mann hegt solche Gesinnungen. Den noch sind ausdrückliche Contracte darüber unter den Redlichsten nothwendig. Denn ob es gleich eine Pflicht der Menschen(Nothwen digkeit der selben.) ist, sich unter einander zu dienen: so sind sie doch nicht verbunden, andern ihre Güter und ihre Mühe umsonst aufzuopfern, ausser daß die Menschlichkeit gegen die Dürftigen es erfordert. Die Reichen sind oft der Arbeit der Dürftigen benöthigt, und die Dürftigen werden durch die Belohnungen, die sie dafür bekommen, erhalten. Ueber diese Dinge müssen sich beyde Theile vergleichen.
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(Zweytes Buch.) 530 Von der Natur Man setze voraus, daß meine Nachbaren gegen mich und gegen einander die besten Gesinnungen he gen: so kann ich doch in den Maasregeln, die ich neh me, kein festes Vertrauen auf ihren Beystand zum Grunde setzen, wenn nicht ein Contract vorherge gangen ist. Jch muß wissen, wenn sie müssige Stunden haben, und welche Dienste sie mir leisten können, ohne ihre andern Pflichten zu versäumen; sie aber müssen wissen, wie fern ich ihrem Mangel ab helfen, und ihnen in ihren Bedürfnissen beystehen kan, sonst müssen sie sich an andre wenden, die das, was ihnen fehlt, zu ersetzen im Stande sind. Eben die Ur sachen also, die uns von der Nothwendigkeit eines gesellschaftlichen Lebens überzeugen, überzeugen uns auch von der Nothwendigkeit der Contracte, und von der Verbindlichkeit, sie unverbrüchlich zu halten. (Gründe ih rer Verbind lichkeit.) Einige angebohrne und unsrer Natur we sentlichere Grundsätze zeigen uns diese Verbindlich keit. Sie hat uns die Fähigkeit verliehen, daß wir durch die Sprache, oder durch Töne, die als Zeichen unsrer Gedanken festgesezt sind, Mittel fin den, andern unsre Meinungen, Absichten und Nei gungen mitzutheilen; sie hat uns sogar durch eine natürliche Offenherzigkeit dazu geneigt gemacht, wenn wir nicht durch eine gar zu grosse Offenher zigkeit in Schaden gerathen, und also durch diese Erfahrung zurückhaltend geworden sind. Wir lie ben sogleich von Natur eine unveränderliche Wahr haftigkeit und Aufrichtigkeit im Reden, sowohl
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der Contracte. 531(Neunter Abschnitt.) wenn wir geschehne Dinge erzählen, als wenn wir andre von unsern Absichten und Gesinnungen überzeugen wollen. Durch eine eben so geschwin de natürliche Empfindung misbilligen wir al les eigennützige mürrische finstre Schweigen, und noch mehr hassen wir die Falschheit und Verstel lung in Erklärungen oder Betheurungen von unsren Absichten oder Verbindungen, und allen Vorsatz, andre zu betriegen, oder ihnen das nicht zu halten, was wir ihnen durch unsre Reden Gelegenheit ge geben haben, von uns zu erwarten. Eine solche Aufführung wird für schimpflich und beleidigend von unsern Nebenmenschen gehalten, die ein na türliches Verlangen besitzen, die Wahrheit zu wis sen, und die nach der Einrichtung unsrer Gesell schaft ein Recht haben, von uns zu fordern, daß wir sie nicht in der Hofnung betriegen, die wir ih nen gemacht haben, ihnen Dienste zu leisten. Die se Eigenschaften unsrer Natur zeigen noch deutli cher unsre Verbindlichkeit zu Haltung der Contrac te, und wie sehr es moralisch schädlich ist, sie zu brechen. Die Uebertretung der Contracte ist von die(Wi=schänd lich<Wie schändlich> es ist, sie zu übertre ten.) ser Seite betrachtet, wenn die übrigen Umstände gleich sind, augenscheinlich ein grösser Verbrechen, als die Versagung eines unversprochenen Liebes dienstes, der in unserm Vermögen steht. Die leztere zeigt zwar an, daß wir die gesellschaftlichen Gesinnungen nicht im gehörigen Grade besitzen, doch verursacht es der Gesellschaft keinen neuen Scha
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(Zweytes Buch.) 532 Von der Natur den. Aber die Treulosigkeit bey einem Contracte beleidigt ein starkes moralischesGefühl in unsern eignen Herzen, und macht die Einrichtungen anderer fruchtlos, die sich auf den Contract verlassen, und also vielleicht nicht für den Beystand gesorgt haben, den sie sonst von andern hätten erhalten können. Solche Treulosigkeiten würden, wenn sie oft vorkämen, alle gesellschaftliche Gemeinschaft auf heben. II. Obgleich die Menschen bey allen Gelegen heiten verbunden sind, auf eine menschliche Art in ihren Angelegenheiten mit andern klug zu seyn, und nicht die unbilligen Vortheile zu ergreiffen, wozu sie ihnen vielleicht durch Uebereilung oder Schwachheit bey ihren Verbindungen Gelegenheit geben: so ist doch die Nothwendigkeit die Unver brüchlichkeit der Contracte zu erhalten so gros, und der Schaden, den die Gesellschaft leiden würde, wenn man ihre Kraft durch Zugebung von aller hand Ausflüchten, und nicht zu entscheidenden Streitigkeiten, die daraus entstehn müsten, min derte, so ausserordentlich, daß wir alle Contracte, die wir in Angelegenheiten machen, in denen wir dem Recht nach Herren sind, und zu deren bekan ten und ausdrücklichen Bedingungen man uns nicht durch Hinterlist, Betrug, oder unrechtmässige Ge walt gebracht hat, zu halten und zu erfüllen ver bunden sind, wenn sie auch uns zum Nachtheile ge reichten, und einigen unvollkommenen Verbindungen mit andern zuwider wären. Unsre Widersachererhält<Widersacher erhält> die äusserliche Form eines Rechts, dem wir weichen
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der Contracte. 533(Neunter Abschnitt.) müssen, wenn darauf gedrungen wird, obgleich je ner wider die Menschlichkeit und wirkliche Gerech tigkeit handelt, wenn er darauf dringt. Auf sol che Fälle schickt sich der bekante Spruch*: „Viele Dinge, die man nicht hätte thun sollen, verbinden, wenn sie geschehen sind.“ Diese Regel gilt durchgängig bey allen menschlichen Angelegenheiten,** die unsrer Klug heit überlassen sind, bey allen Rechten, die man veräussern kan; bey solchen Handlungen oder Verrichtungen, die nicht sündlich gegen Gott, dem vollkomnen Rechte eines andern nicht zuwider, oder durch ein besonderes Gesetz oder ausdrückliche Un terhandlungen darüber nicht verboten sind. Contrac te, die wider das oder jenes allgemeine Gesetz laufen, können dennoch die Kraft haben, zu verbinden, wie auch solche, die unsern Freunden und Familien, wenn diese nur ein unvollkomnes Recht haben, nachtheilig sind. Solche Contracte gereichen zwar auch dem gemeinen Wesen zu einigen Schaden; es würde aber ungleich schädlicher seyn, und allen Han del verhindern, oder nicht zu entscheidende Zänke reyen verursachen, wenn man den Menschen erlauben wollte, von allen unbesonnenen Contracten abzu gehn. So bald den andern ein Handel gereute, 1 2
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(Zweytes Buch.) 534 Von der Natur dürfte er sich nur darauf berufen, daß er übereilt, seinen Freunden oder seiner Familie nachtheilig, oder dem grossen Befehle zuerst für sich selbst zu sor gen, und unsern Pflichten gegen die Menschheit zuwider wäre. Alle Nationen scheinen hiervon überzeugt zu seyn, weil sie unvorsichtige Contracte in Handlungssachen bestätigen, und selten eine Aen derung erlauben, es müste denn die Ungleichheit, oder der Verlust einer Parthey gar zu gros und offenbar seyn. (Drey Arten von unsern künftigen Handlungen zu reden, und unsre Ent schliessung zu entdecken.) III. Das Recht der Natur und das bürgerli che Recht unterscheiden drey Arten, uns über unsre künftige Handlungen, und andern zu erweisende Dienste auszudrücken. 1. Eine blosse Erklärung unsers gegenwärti gen Vorsatzes. Diese zeugt keine Verbindlichkeit. Derjenige, der ihn oft ohne Ursache verändert, wird nur mit Recht für unbeständig gehalten. (Unvollkom ne Verspre chen.) 2. Die zweyte Art ist, wenn wir einen an dern etwas, das für ihn vortheilhaft ist, verspre chen, und von ihm erwarten, daß er sich auf unser Versprechen verlassen soll, dennoch aber ihm kein Recht, uns zur Ausübung zu zwingen, in die Hän de geben wollen. Von solchen Versprechen weiß man wohl, daß sie bedingungsweise anzunehmen sind, wenn sich nämlich die Person, der es gethan wird, gut aufführt, gesezt auch, daß diese Bedin gung nicht ausgedruckt seyn sollte; und es versteht sich, daß wir uns das Recht von ihrer Aufführung zu urtheilen vorbehalten. Ein solches Verspre chen ohne rechtmässige Ursache nicht zu erfüllen, ist
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der Contracte. 535(Neunter Abschnitt.) die grösste Beleidigung der Liebe zur Wahrheit, und eine solche Niederträchtigkeit wird von jedem redlichen Herzen sowohl deswegen verabscheut, als auch wegen der Grausamkeit und Unmenschlichkeit, die man verräth, wenn man die billigen Hofnungen, die bey andern durch ihr Vertrauen auf unsre Red lichkeit entstanden sind, betriegt. Diese Betrach tung sollte jeden vorsichtig machen, daß er nichts ohne Ueberlegung verspräche, und jedem die gewis senhafteste Sorgfalt einflössen, sein Wort nicht ohne hinreichende Ursachen, die ihn vor jedem recht schafnen Manne rechtfertigen können, zu brechen. Wenn aber jemand von einem solchen Versprechen abgeht: so hat der andre Theil kein ander voll komnes Recht, als die Ersetzung des Schadens zu fordern, worein ihn die Maasregeln gesezt haben, die er genommen hat, weil er das Versprechen für zuverlässig gehalten: und dem rechtlichen Spruche mus er es überlassen, ob seine Aufführung eine billige Ursache zu Brechung des Versprechens gege ben, und ob die Maasregeln, die er aus Vertrauen auf dasselbe genommen, zu rechtfertigen sind. Wenn er durch geschickte Richter frey gesprochen wird, so hat er ein vollkomnes Recht, sich schadlos halten zu lassen; er kan aber dennoch nicht auf die Erfüllung des Versprechens dringen. 3. Die dritte Art ist ein förmlicher Contract(Vollkomne Contracte.) oder ein förmlichs Versprechen, das nicht nur un sre Redlichkeit und unser Gewissen verbindet, son dern auch einem andern ein vollkomnes Recht verschaft.
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(Zweytes Buch.) 536 Von der Natur (Welche Zei chen verbin den.) IV. Bey einem Contracte sezt man fest, daß jeder durch seine Einwilligung verbunden wird; und von dem glaubt man, daß er eingewilligt habe, der sich der gewöhnlichen Zeichen derselben bedient. Es wird keine Ausflucht wegen irgend einer vorge gebnen verborgen gebliebnen Verschiedenheit der Mei nungen, oder solcher Absichten, die man andern nicht mitgetheilet habe,* zugestanden. Noch weniger kan man sich auf eine Unachtsamkeit oder Zerstreu ung berufen, worinn man bey der Anwendung der Zeichen, die die Einwilligung andeuten, gewesen wäre. Sonst könten alle Contracte durch einen oder den andern Vorwand, den niemand zu wider legen im Stande wäre, kraftlos gemacht werden. (Stillschwei gende Ver träge.) Worte oder Schriften zeigen unsre Einwilli gung am deutlichsten an, aber sie kan auch hinläng lich durch andre Zeichen bekant gemacht wer den, über welche die Partheyen vorher einig gewor den sind, daß sie ein Beweis derselben seyn sollen. So bald ein solches Zeichen ausgemacht ist, und man sich desselben zu der verabredeten Absicht be dient, so bald ist es ein ausdrücklicher Contract. Es giebt aber auch gewisse Handlungen, die ihrer Natur nach, eine Einwilligung in die vorge schlagenen Bedingungen enthalten, Wenn also gewisse Vortheile nur denen angeboten werden, die sich gewissen Verbindungen oder Pflichten unter werfen: so sezt man von demjenigen, der sich dieser Vortheile, ohne ein andres Recht, als das gescheh 3
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der Contracte. 537(Neunter Abschnitt.) ne Erbieten, anmast, mit Rechte voraus, daß er sich denen Bedingungen oder Pflichten, die der an dre Theil verlangt, unterworfen habe. Eben so, wenn jemand eine Handlung vornimmt, die kein vernünftiger Mensch vornehmen würde, ohne in ge wisse Bedingungen zu willigen, so glaubt man mit Recht, er habe sich dieselben gefallen lassen. Dies sind stillschweigende Contracte. Der Kraft die diese bedeutenden Handlungen haben, uns zu ver binden, kan man freylich, durch eine bey allen theil nehmenden Personen vorhergegangne Erinnerung, zuvorkommen; und hierinnen sind die stillschwei gende Contracte von dem quaſi contractu oder der obligatione quaſi ex contractu der Civilisten unter schieden. Bey diesen leztern gründet sich die Ver bindlichkeit auf gewisse klare Grundsätze der Ge rechtigkeit auf irgend eine Handlung der verbunde nen Person, oder darauf, daß sie sich gewisser Vor theile angemasset hat, auf Kosten andrer, die nie mals willens waren, umsonst solche Kosten aufzu wenden, und die durch nichts dazu verbunden wur den. Keine Erinnerung oder Vorstellung kan ei nen Menschen von solchen Verbindlichkeiten be freyen, von welchen wir künftig reden werden. Aber in stillschweigenden Contracten entsteht die Verbindung allein durch eine Einwilligung, die eben so deutlich durch Handlungen angezeigt ist, als es nur durch Worte hätte geschehen können, und also können, durch eine vorhergegangene ausdrückliche Erklärung des Gegentheils alle Gründe aufgehoben werden, die sonst ein Beweis unsrer Einwilligung gewesen wären.
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(Zweytes Buch.) 538 Von der Natur Beyde Fälle werden sich am besten durch (Beyspiele davon.) Exempel erklären lassen. Wenn gewisse Länder nur denen angeboten werden, die sich gewissen Bedin gungen unterwerfen, und unter einem bürgerlichen Regimente eine Colonie ausmachen wollen, so sezt man voransvoraus, daß die Person, die solche Lande in Besitz nimmt, in die Bedingungen willigt. Ein Ausländer, der sich bey uns niederlässt, und an dem Schutze unsrer Gesetze und Policey Antheil nimmt, unterwirft sich zugleich stillschweigend de nen von unsern Gesetzen, die die Fremden betref fen, und unsern Gerichten. Ein Erbe, der Güter in Besitz nimmt, die ein Vorfahre mit der Be dingung beschweret hat, daß diejenigen, die sie ge niessen, gewissen Gesetzen und einer gewissen Poli cey unterworfen seyn sollen, willigt stillschweigend in diese Unterwerfung. Wenn er sich vorher da wider erklärt, so ist er nicht dadurch gebunden; aber der Staat wird es ihm vielleicht mit Rechte verwehren, diese Güter zu besitzen, wie er einem Ausländer nicht erlauben würde, sich bey uns auf zuhalten, wenn er sich vorher erklärte, daß er un sern Gesetzen nicht unterworfen seyn wollte. Wenn wir mit einem andern ein Gespräch anfan gen, so sezt das einen Vertrag voraus, daß wir nach unsrer Empfindung reden, und uns der Wor te in ihrem gewöhnlichen Verstande bedienen wol len; sonst würde die Handlung närrisch seyn. Aber die zur gehörigen Zeit geschehene Erinnerung, daß der Redner mit Fleis absurde Sätze vorbringt, wie in der Logik, oft bey Exempeln geschieht, hebt die Verbin dung auf. Dieß sind stillschweigende Verträge. Ein
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der Contracte. 539(Neunter Abschnitt.) Erbe, der ein Erbgut, oder ein Executor der ein Vermögen in Besitz nimmt, sind verbunden* die Schulden und Legate die auf der Erbschaft haf ten, zu bezahlen, und keine Vorerinnerung des Er ben oder des Exeeutores<Executores>, kan dieser Verbindlich keit zuvorkommen, die wie man sagt quaſi ex contractu entsteht. V. Wegen der Natur des Eigenthums, und(Gültige Einwendun gen wider die Contracte. Der Mangel der Ver nunft.) der Mittel, es andern mitzutheilen, kan es sich oft zutragen, daß viele Eigenthümer werden, ehe sie ei ne Erkäntnis von dem Werthe ihrer Güter, oder den völligen Gebrauch ihrer Vernunft erlangen, um sie zu verwalten. Nun gereicht es offenbar so wohl zu ihrem als dem gemeinen Besten, wenn man solche Personen ihre Güter nicht verwalten lässt, und ihnen nicht erlaubt, sich in irgend einen wichtigen Contract einzulassen einzulassen<einzulassen>, ehe sie nicht wenigstens einige Käntnis in den Angelegen heiten des menschlichen Lebens erlangt haben. Leu te, deren Verstand durch Krankheit oder Raserey in Unordnung gekommen ist, sind in eben dem Falle. Hingegen ist es auch offenbar ungerecht, Leute, die hinlänglichen Verstand besitzen, von der Ausübung der Lebenspflichten, und dem Genusse ihres Eigen 4
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(Zweytes Buch.) 540 Von der Natur thums abzuhalten. Die Menschen gelangen in sehr verschiedenen Altern zur Reiffe. Vor der Zeit der bür gerlichen Gesetze konte über die Reiffe der Vernunft, wenn über diese Einwendung gegen einen Contract ein Streit entstand, blos durch den Ausspruch der jenigen erkant werden, denen die gewöhnliche Auf führung der Person zur Zeit der Schliessung des Con tracts bekant gewesen war. Nach dem Rechte der Na tur wird jedermann durch jeden billigen Contract, in welchem Alter er ihn auch geschlossen haben mag, verbunden, wenn er, welches zu merken ist, nur ge wust, was er gethan hat. Um aber allerhand Be trügereyen und verdrieslichen Untersuchungen, we gen der Reiffe der Vernunft, zuvorzukommen, und der Welt endlich einige Sicherheit wider die un endlichen Ausnahmen, wegen des noch unreiffen Ver standes derjenigen, mit denen man zu thun hat, zu verschaffen, war es unumgänglich nothwendig, daß in der bürgerlichen Gesellschaft, durch ein aus drückliches Gesetz ein gewisses Alter festgesezt ward, das aber ein so vorsichtiges Alter halten musste, daß man dadurch so wenig, als möglich, vor der Reiffe ihrer Vernunft zur Verwaltung ihrer Gü ter liesse, und auch so wenig, als möglich, nach Er langung derselben, davon zurückhielte. Ueber die Ausnahme der Raserey, wird bequemer von den Richtern entschieden. (Von Un mindigen.) Das römische Recht in Ansehung der Un mündigen, das nunmehr fast in ganz Europa einge führet ist, hatte grosse Bequemlichkeiten. Vor dem völlig zurückgelegten vierzehnten Jahre, konten
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der Contracte. 541(Neunter Abschnitt.) die Manns- und vor dem zwölften die Weibsperso nen nichts rechtsständiges vornehmen. Es han delten Vormünder in ihrem Namen. Nach die sen Jahren handelte der Unmündige selbst, aber nichts war ohne die Einwilligung des Vormunds bindend, bis er sein ein und zwanzigstes Jahr vol lendet hatte. Jn noch entferntern Zeiten dauerte eine solche Unmündigkeit bis zum fünf und zwan zigsten Jahre. Während dieser Zeit ward ein Un mündiger mit seinen Umständen, bekant gemacht, weil der Vormund nichts ohne ihn vornehmen konte. Er konte, wenn er einigen Verstand er langt hatte, alle betrügerische Absichten desselben hintertreiben, und der erfahrnere Verstand des Vormundes verhinderte ihn sich selbst zu schaden. Um denen Betrügereyen denen Unmündige allemal ausgesezt sind, zuvorzukommen, erlaubte ihnen das Recht von allen Contracten, die sie vor ihren reif fen Jahren, ohne Bewilligung des Vormunds ge schlossen hatten, abzugehen, obgleich diese vielleicht für ihre Gewissen verbindend waren, und es alle mal sind, so oft sie nichts ungerechtes enthalten, und der Unmündige gewusst hat, was er zur Zeit der Schliessung vorgenommen. Nach dem fünf und zwanzigsten Jahre waren sie allein zu allen rechtlichen Handlungen fähig, ausser, daß sie ihre Vormünder noch nicht gänzlich ihrer Pflicht entlassen konten. Um dies mit Bestande des Rechts thun zu können, erlaubte man ihnen aufs neue eine Erfah rung von vier Jahren.
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(Zweytes Buch.) 542 Von der Natur Wie aber einem Unmündigen unvernünftige Contraete<Contracte> nicht schaden können, so ist er auch, wenn er zu dem gehörigen Alter gelangt, verbunden, niemanden durch einen Contract, den man mit ihm, während seiner Unmündigkeit, aus wirklicher Liebe, oder Vertrauen auf seine Redlichkeit, ohne die ge ringste betrügerische Absicht geschlossen, leiden zu las sen; obgleich die bürgerlichen Rechte selbst auch sol che Contracte nicht bestätigen. Gerichte von Bil ligkeit erkennen allemal, das, was zum Unter halte oder zur Erziehung eines Unmündigen, in Abwesenheit seiner Eltern oder seiner Vormün der, mit Verstande vorgeschossen werden, für eine gerechte Forderung. Man wundert sich, wenn man anmerkt, wie sehr sich diejenigen Schriftsteller, die unsre Natur als eine Vermischung von Sinnlichkeit, Eigennutz und List abmalen, bey ihren Beschreibungen der Jugend vergessen, wo doch das natürliche Tempe rament sich weit unverstellter, als in den folgenden Zeitpuncten des Lebens zeigt. Sie ist voll unbe ständiger Leidenschaften, von denen viele edel sind, sieliebt<sie liebt> das gegenwärtige Vergnügen, und ist ge gen ihre Lieblinge bis zur Verschwendung gütig und sreygebig<freygebig>. Um eigne Vortheile, die noch entfernet sind, bekümmert sie sich nicht. Sie hat zu allen das beste Vertrauen. Sie bemühet sich das Lob der Gütigkeit und Grosmuth zu erlangen, und ist frey von allem Argwohne. (Von der Trunken heit.) VI. Die Contracte solcher Personen, deren Vernunft augenscheinlich durch Trunkenheit in Un
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der Contracte. 543(Neunter Abschnitt.) ordnung gebracht ist, sind ungültig, weil diejenigen, die sich bemühen, sie während einer solchen Unord nung zu Contracten zu bringen, betrügerisch han deln. Jst meine Unordnung andern unbekant ge blieben, so ist es klar, daß ich gehalten bin, allen Schaden, zu dem mein Contract Gelegenheit gege ben hat, zu ersetzen, ob er mich gleich selbst nicht ver bindet. Eine Unordnung, die ich mir durch meine Schuld zugezogen habe, kan mich nie von dieser Verbindlichkeit befreyen, ob sie gleich im Stande ist einen Contract ungültig zu machen. Die Men schen sind nicht verbunden, sich beständig in einem solchen Zustande zu erhalten, daß sie fähig wären mit andern Contracte zu schliessen, sonst dürften sie niemals schlafen. Aber sie müssen allemal dafür sorgen, daß sie andern nicht schaden, und ihre Auf führung mit vieler Vorsicht allemal so einrichten, daß sie niemanden zum Nachtheile gereichen kan, Geschieht dieß nicht, so sind sie zu vollkommer Er sezung des Schadens verbunden. VII. Zur Gültigkeit eines Contracts gehöret(Nothwen digkeit der Einwilli gung aller Theile.) eine gegenseitige Einwilligung unumgänglich, so gar auch zu Schenkungen und allen andern Mit theilungen eines Rechts. Bey Schenkungen kan man zwar die Einwilligung desjenigen, der empfängt, leicht voraussezen: dennoch ist das Eigenthum nicht verändert, so lange er es nicht angenommen hat. Die Eigenthümer können die Zeit der An nehmung nach allen gesetzmässigen Bedingungen oder Vorfällen aufschieben, und eine gegenwärtige ist nicht allemal nothwendig; als bey Vermächt
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(Zweytes Buch.) 544 Von der Natur nissen, die auf abwesende Personen, oder bey aller hand Gütern, die auf Kinder fallen. Es erlangt zwar niemand ein Eigenthum wider seinen Willen, oder bis er es sich hat gefallen lassen, aber der Schenker kan verordnen, daß das Eigenthum so lange zweifelhaft bleiben soll, bis der Beschenkte im Stande ist, es anzunehmen, oder er kan es andern anvertrauen, bis jener seine Bewilli gung zu erkennen giebt. Auf solche Weise können Güter für noch ungebohrne Personen aufbehalten werden. Alles dieses ist leicht einzusehen, wenn wir uns erinnern, daß das Eigenthum keine physikali sche Eigenschaft ist, und daß man deswegen diese Lehre annimt, weil eine solche Verwaltung der Güter gegen einzelne Personen billig ist, und mit dem Besten der Gesellschaft bestehen kan, ja so gar es noch vermehrt: weil eine andere Auffüh rung gegen die Erlanger eines neuen Eigenthums, oder die Personen, die ihre Stellen vertreten, grau sam, und der Gesellschaft nachtheilig seyn würde. Wäre das Eigenthum eine physicalische Eigen schaft, so erforderte es freylich die Gegenwart der Person. Wenn das Kind nach erlangtem reiffen Alter das Eigenthum nicht annehmen will, so kan es durch nichts gezwungen werden. Die Güter blei ben bey dem Geber oder bey denen die ein Recht ha ben, ihn zu beerben. Weil man aber gewis vor her weis, daß schätzbare Gaben werden angenom men werden; so nennet man die Begabten gemei
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der Contracte. 545(Neunter Abschnitt.) niglich Eigenthümer, sobald die Uebergabe voll zogen ist. VIII. Contracte auf Bedingungen haben keine verbindende Kraft, wenn nicht die Bedingung erfüllt ist. Eine Bedingung ist „ein Umstand, der noch ungewis ist, bis auf dessen Daseyn, aber die Gültigkeit eines Contracts verschoben bleibt.“ Und ist allemal von den verschiedenen Din gen, die beyde Theile ausmachen, einander zu leisten, und von der Einwilligung der Par theyen unterschieden. Nach dem bürgerlichen Rechte ist eine Bedingung ein Umstand, der sich noch nicht zugetragen hat. War dieser Umstand zur Zeit des Contracts schon geschehen, ohne daß die Partheyen etwas davon wussten, so hies der Con traet<Contract> vollkommen. War er unmöglich, so ward der Contract für nichtig gehalten. Diese unnö thige Unterscheidung war bey den Contracten selbst von keiner Wichtigkeit, aber bey Vermächtnissen und Erbschaften, die auf Bedingen beruhten, verur sachte sie einen gewaltigen Unterschied. Wenn der Erbe vor der Erfüllung der Bedingung starb, so fiel das Vermögen von seiner Familie auf eine andre, wenn sich gleich nachher der ausgemachte Fall zutrug; hatte er sich aber, ohne daß es jemand gewusst, schon vor seinem Tode begeben, so blieb es bey seinem Hause. Dies sind unvernünftige Spitzfindigkeiten. Nur die Bedingungen können der Verbind lichkeit eines Contracts hinderlich seyn, die entwe der in demselben als Bedingungen ausgedrückt sind,
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(Zweytes Buch.) 546 Von der Natur oder die wegen der Natur der Sache von allen Verständigen, als solche angesehn werden, oder sol che Fälle, die der eine Theil dem andern versprochen, oder für deren zukünftige Wirklichkeit einer dersel ben Bürge geworden ist. Denn von diesem kan man voraussetzen, daß der andre Theil sie als Be dingungen seiner Einwilligung verlangt hat. Wenn man aber einem Theile erlauben wollte, sich einem Contracte zu entziehen, weil gewisse Fälle oder Umstände, die er heimlich oder stillschweigend verlangt hätte, nicht erfolgt wären, so würde dieses alle Contracte unzuverlässig machen, wenn es nemlich nicht Dinge sind, die man bey solchen Verträgen, als gewöhnlich, eingeführt hat, und die also vor ausgesezt werden. (Mancher ley still schweigende Bedingun gen.) Bey vielen von unsern gemeinsten Ver Versprechen<Versprechen> und Contracten, sieht ein jeder ein, daß gewisse Bedingungen zum Grunde gesetzt sind, wenn sie auch nicht ausgedrückt seyn sollten. Dies schliessen alle Leute von Verstande aus der Natur und Wichtigkeit der Sache mit der wir zu thun haben. Wenn also jemand seiuem<seinem>Freunde morgen bey einem gewöhnlichen Vorfalle seine Hül fe versprochen hat, so versteht sich, daß es allemal „mit der Bedingung geschehen ist, wenn er selbst gesund bleibt, wenn seine Familie oder seine Freunde kein Unglück befällt, bey welchem seine Hülfe von unendlich grösserer Wichtigkeit seyn kan, als bey dem versprochenen Beystande.“ Wenn sein eignes Haus in Brand geräth, oder seine Familie ein grosses Unglück befällt, so ist er von der
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der Contracte. 547(Neuuter<Neunter> Abschnitt.) Verbindlichkeit frey. Eben so, wenn jemand auf eines andern Verlangen verspricht, ihm seine Bitte zu gewähren, ehe er noch weis was er bitten wird, so versteht sich, daß er es mit der Bedingung thut, „wenn die Bitte rechtmässig, und der Religion oder dem Rechte eines andern nicht zuwider ist. Wenn mit einem Worte, die gebetne Gefälligkeit, unter die Freundschaftsdienste gehört, die ein billi ger Mann mit Rechte von scinem<seinem> Freunde verlan gen kan.“ Wenn sie diese Eigenschaft nicht hat, so findet keine Verbindlichkeit statt. IX. Einer, der sich in der Sache selbst, wor(Jrrthum oder Betrag bey der Sa che, worüber ein Contract geschlossen wird.) über der Contract geschlossen worden ist, geirrt hat, oder mit den Eigenschaften, nach welchen solche Güter gemeiniglich geschätzt, oder wegen welcher sie verlangt werden, betrogen worden ist, wird durch den Contract nicht verbunden. Sein Handel be traf andere Dinge als diejenigen, die man ihm auf dringen will. Jndessen mus er alles, was er auf den Contract, dessen er sich entsagt, erhalten hat, wieder zurück geben, oder ersezen. Hat seine eigne Thorheit oder Nachlässigkeit den Jrrthum veran lasst, hat er solche Eigenschaften erwartet, die für solche Güter nicht gehören, oder die der andre ihm nicht versprochen hat, so verbindet ihn der Contract, sonst könten alle Contracte unter dem Vorwande, daß man in einigen solchen heimlichen Hofnungen betrogen worden, umgekehrt werden. Betrift der Jrrthum oder der Betrug nur den gegenwärtigen gewöhnlichen Preis der Sache, oder einen Umstand, der gar nicht zur gegenwärtigen Hauptsache des
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(Zweytes Buch.) 548 Von der Natur Handels gehört, so bin ich gebunden; habe er aber im ersten Falle ein vollkomnes Recht, den Preis auf den gewöhnlichen herunter setzen zu las sen. Jm lezten habe ich, wenn ich beweisen kan, daß ich durch einen Jrrthum zu dem Contracte ver führt worden, der Menschlichkeit nach das Recht zu verlangen, daß man mich davon befreye, wenn die ses dem andern Theile keinen Schaden verursacht, oder wenn ich mich erbiete, ihn zu ersetzen; ich kan aber selten darauf, als ein vollkomnes Recht, dringen. Bey allen Contracten sollte jeder rechtschafne Mann mit aller möglichen Aufrichtigkeit die Eigen schaften und Umstände entdecken, die den Werth der Güter erhöhen oder erniedrigen; und jeder ist verbunden, alles, was er zu viel erhalten, oder zu wenig gegeben hat, zu ersetzen. Jst gleich diese Art zu handeln nicht sehr gewöhnlich, so ist sie doch einem redlichen Herzen zu seiner Befriedigung un entbehrlich. Es ist auch unsre Pflicht, andre von beschwerlichen Verträgen zu befreyen, wenn uns aller Schaden, den wir durch ihre Aufhebung lei den, ersezt wird. Bey allen solchen Vorfällen ist es von grosser Wichtigkeit, die Empfindungen un sers eigenen Herzens recht zu untersuchen, und zu betrachten, wie uns selbst die Begegnung gefallen würde, die wir gegen andre im Sinne haben.* 5
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der Contracte. 549(Neunter Abschnitt.) Es macht das Herz zu einer unpartheyischen Er käntnis desjenigen, was gerecht und der Ehre ge mäs, oder es nicht ist, geschickt, wenn wir unsre ei gennützigen Leidenschaften für unsern Widersacher reden lassen. Dadurch wird unser moralischer Verstand von dem falschen Gewichte, das sie sonst unsrer Seite geben, und ihren Sophistereyen befreyet, und alle menschliche Empfindungen regen sich zum Vortheile unsrer Nebenmenschen. Es giebt in der Kunst, uns selbst bey unsern Handlun gen mit andern vernünftig zu regieren, kein nützli chers Stück, als dieses. X. Jn die nächste Classe der Einwendungen(Ungerechte Gewalt oder Furcht sind zweyerley Art.) wider die Verbindlichkeit der Contracte gehören die jenigen, die von einer unrechtmässigen Gewalt oder von der Furcht hergenommen sind. Die Furcht, die den Contracten schädlich seyn kan, ist zweyerley. Zuweilen verstehen wir dadurch einen Verdacht,
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(Zweytes Buch.) 550 Von der Natur daß der andre Theil das, wozu ihn der Contract verbindet, nicht erfüllen wird, wenn wir das unsri ge gethan haben. Jn diesem Falle ist es klar, daß derjenige, der einen Contract mit einem Menschen schliest, der offenbar Treu und Glauben verachtet, sehr unvernünftig handelt, wenn er nicht hinrei chende Mittel in Händen hat, ihn zu zwingen; und dennoch ist der Contract nicht ungültig. Wer hinreichende Gründe findet, einen solchen Verdacht zu fassen, hat das Recht, die Erfüllung desjenigen, was ihm obliegt, so lange aufzuschieben, bis der an dre das seinige gethan hat, oder genugsame Sicher heit verschaft. Thut er eins von beyden, so mus ein rechtschafner Mann ihm seinen Contract hal ten, wenn er auch der boshafteste Mensch wäre. (Den Gott losesten mus Treue und Glauben ge halten wer den.) Es kan keinen Grundsatz von entsetzlichern Fol gen geben, als diesen: „daß boshafte Leute keine gültigen Rechte besitzen, oder daß die Tugendhaf ten keine Verbindlichkeit gegen sie haben.“ Sie mögen nun ihrer Handlungen, oder solcher Meinun gen wegen, die wir Ketzereyen nennen, für gottlos ge halten werden. Die göttlichen und natürlichen Gesetze verbinden uns, die Glückseligkeit so gar auch den ruchlosesten Leute zu Rathe zu ziehn, in so fern sie mit der Glückseligkeit solcher Glieder des grossen Systems, die der Gesellschaft nützlicher sind, bestehen kan, und ihnen alle gute Dienste zu leisten, wo durch sie nicht in ihren Lastern bestärkt werden. Die unvorbrüchliche Haltung der Contracte, die man aus eignem Triebe mit ihnen geschlossen hat, ermuntert ihre Laster im geringsten nicht, sondern
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der Contracte. 551(Neunter Abschnitt) thut vielmehr das Gegentheil. Sie zeigt ihnen die Schönheit der Redlichkeit, und wie viel Nutzen sie selbst dadurch erhalten. Die Ausübung des Ge gentheils zeigt ihnen ein neues Exempel von Unge rechtigkeit, und reizt sie dazu. Sie schliessen dar aus, daß es gar keine Redlichkeit giebt, daß alle an dere sich nur aus Heucheley darnach bestreben, und daß die Schande, in der sie leben, blosse Ungerech tigkeit ist, weil andre nicht besser sind. Die mo ralischenCharacter der Menschen sind nicht unver änderlich; viele, die sich erst im Laster hervor ge than hatten, sind hernach in der Tugend gros ge worden. Kein Mensch ist unsrer Sorgfalt un würdig. Wie gefährlich mus ferner dieser Grundsatz seyn, da es so schwer ist, von dem moralischen Werthe andrer zu urtheilen, und man oft durch Vorurtheile oder zu hitzige Partheylichkeit von den rechtschaffensten Leuten die bösesten Meinungen be kömt. Diese erklären wir, diesem Grundsatze nach sogleich für aller menschlichen Rechte verlustig. Niemand ist von allen Fehlern frey, und wie wol len wir den Grad des Lasters bestimmen, wodurch einer die Rechte, die allen Menschen gemein sind, verwirkt, oder alle Fähigkeit verliert, welche zu er langen. Dieser Grundsatz kan so gar nicht bey solchen Personen statt finden, die es selbst gestehen, daß sie alle göttliche und menschliche Gesetze nicht achten. So gar solche Leute können nur diejeni gen Rechte verwirken, die man ihnen nicht halten oder erfüllen kan, ohne die Sicherheit, andrer, ihrer
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(Zweytes Buch.) 552 Von der Natur Ungerechtigkeit und Grausamkeit wegen, in Gefahr zu setzen. (Die Furcht, die durch Drohungen einer der Partheyen oder anderer entsteht.) XI. Eine andere Art der Furcht, die der Kraft eines Contracts im Wege seyn kan, besteht darinne, wennn man jemanden durch Drohung irgend eines Uebels im Weigerungsfalle zur Schliessung des Contracts oder zu einem Versprechen bewogen hat. 1. Ein Contract, den ich mit einem recht schaffnen Manne schliesse, daß er mir bey meinem Uebel, womit mich ein Dritter unrechtmässiger Weise bedroht hat, beystehn soll, ist bindend: die Hülfe, die mir in solchen Gefahren erwiesen wird, verdient so gut als irgend ein andrer Dienst, eine Vergeltung. 2. Wenn die Furcht vor einem grossen Uebel, das mir ohne Recht gedroht wird, mich zwingt, mich mit einer dritten Person einzulassen, die sich mit dem, der mich dazu nöthigt, nicht versteht, und nichts davon weis, daß ich gezwungen werde, so scheint der Contract ungültig, wenn ich beweisen kan, daß blos diese Furcht mich dazu gebracht hat; weil ich nicht mit der Freyheit, die bey Contracten nothwendig zu seyn scheint, meine Einwilligung habe geben können, dennoch aber bin ich ohne Aus nahme verbunden, allen Schaden zu ersetzen, den ein unschuldiger Mann erlitten hat, um mich vor einer Gefahr in Sicherheit zu setzen. 3. Contracte, wozu einer durch die Furcht vor dem gerechten Ausspruche eines Richters ge bracht wird, sind vollkommen gültig, weil das Ur
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der Contracte. 553(Zweytes Abschnitt.) theil gerecht ist. Oft begleitet auch die Aussprü che der Richter, die nicht gerecht find<sind>, ein Recht, das durch die äusserlichen Umstände gezeugt wird, und es können Leute durch den Gehorsam gegen den Staat oder die bürgerliche Verfassung, der sie sich unterworfen haben, genöthigt werden, sich diesel ben gefallen zu lassen, wenn keine gütlichen Mittel den andern Theil bewegen können, seine scheinbare Forderung fahren zu lassen; welches ein wirklich rechtschafner Mann zu thun verbunden ist. 4. Jn solchen Fällen, wo die Person, mit der(Gültige Rechte, die durch öffent liche Tracta ten entstehn.) ich einen Contract schliesse, ihn durch unrechtmässi ge Gewaltthätigkeiten erzwungen hat, muß man einen Unterscheid machen, zwischen „solchen, die zwar in der That ungerecht sind, aber solche Ursa chen zum Grunde haben, die fähig sind, Leute zu bewegen, deren Absicht es bey nahe durchgängig ist, gerecht zu verfahren,“ und zwischen solchen, „die ohne irgend einen Vorwand des Rechts, von Leuten, die offenbar allen Gesetzen der menschli chen Gesellschaft entsagen, gebraucht werden.“ Die erste Art, von unrechtmässiger Gewaltthätig keit findet sich bey allen öffentlichen Kriegen der Na tionen und bey allen bürgerlichen Kriegen, wenig stens auf einer Seite. Oft aber hat bey solchen Kriegen auch die schuldige Parthey so scheinbare Entschuldigungen, daß viele Leute durch den ver borgnen Einfluß der ehrgeitzigen Leidenschaften, durch den Eifer für ihre Parthey, oder durch ein Verlangen nach Vortheilen, hintergangen werden können, daß sie ihre Sache für gerecht halten; und für viele, die auf der ungerechten Seite in nie
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(Zweytes Buch.) 554 Von der Natur drigen Posten stehn, kan die Unwissenheit der Un gerechtigkeit unüberwindlich seyn. Die Parthey, die wirklich Unrecht hat, kan durch Gewaltthätig keit kein vollkomnes Recht, das ein gutes Gewissen ihr zu behaupten erlaubte, erhalten; was genom men worden, muß wieder ersezt, und die erzwungne Versprechungen oder Contracte müssen aufgehoben werden. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß sie, wenn sie solche scheinbare Grüude<Gründe> für sich hat, durch die Tractaten, ein zwar ungegründetes, aber doch gültiges Recht erlangt. Die von der andern Parthey sind, aus Ehrfurcht für das allgemeine Beste des menschlichen Geschlechts, gehalten, solche Tractaten nicht zu brechen, ob sie gleich ihnen sehr nachtheilig, und im Grunde ungerecht seyn mögen. Sind sie ihrer Freyheit, Unabhängigkeit, und ih rem Rechte, die grossen Vortheile die dem mensch lichen Geschlechte gemein sind, zu geniessen, nicht gerade entgegen, (denn, um diese in Sicherheit zu erhalten, hat man alle diese Gesetze der Natur fest gesezt), so sind sie dadurch gebunden, wenn sie den siegenden Theil nicht bewegen können, sie von den Verträgen frey zu sprechen. Es können durch ausserordentliche Vorfälle von Nothwendigkeit ei nige Ausnahmen von allen allgemeinen Regeln in dieser Materie entstehn; von solchen werde ich ins künftige reden. (Aus welchen Ursachen.) Die wahre Ursache, warum solche wirklich unrechtmässige Tractaten uns verbinden, ist diese, weil kein Krieg durch Verträge beygelegt werden könte, wenn diese für ungültig gehalten würden,
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der Contracte. 555(Neunter Abschnitt.) oder wenn man die Ausflucht, daß sie durch un rechtmässige Gewalt erzwungen worden, statt fin den liesse. Die Kriege würden nur durch den gänz lichen Untergang oder die Sclaverey der einen Par they können geendigt werden, weil jede Parthey sich der Ausflucht der unrechtmässigen Gewaltthä tigkeiten bedienen, und die Feindseligkeiten, wenn es ihr einfiele, erneuern könte. Bey allen öffent lichen Tractaten versteht es sich also zum voraus, daß diese Ausflucht ihnen nicht schaden kan. 5. Wo aber die Gewaltthätigkeit offenbar(Diese fin den bey See und Stras senräubern nicht statt.) ungerecht und von allem Scheine des Rechts, der einen ehrlichen Mann hätte verleiten können, ent blösst ist, wie es sich oft bey öffentlichen Kriegen befindet, oder wenn Leute durch das Leben, das sie führen, offenbar zeigen, daß sie alle Gesetze und alle Gerechtigkeit verachten, wie die See- und Strassen räuber, so ist es eine ganz andre Sache. Solche Leute scheinen durch den ganzen Jnhalt ihres Le bens allen Rechten und Ansprüchen, die sich auf das natürliche Recht der Gesellschaft gründen, zu entsagen; da sie sich vorsetzlich und offenbar der Ursache und der Absicht dieses Rechts, der Glückse ligkeit des menschlichen Geschlechts widersetzen. Das gemeine Beste, welches der Endzweck aller Gesetze ist, erfordert, daß solche, die sich für Feinde der ganzen Gesellschaft erklären, verachtet werden, und keinen Vortheil durch die Gesetze erlangen, die sie selbst eben durch die Handlung übertreten, da sie von andern, durch unrechtmässige Gewaltthätig keiten gewisse Versprechen erpressen. Es kan der
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(Zweytes Buch.) 556 Von der Natur Gesellschaft nichts schaden, wenn man solche Ver sprechen nicht hält, aber wohl kan es ihr schädlich seyn, wenn man sie erfüllt, da rechtschafne Leute dadurch mehr in die Gewalt solcher Ungeheuer gerathen, und eine solche boshafte Lebensart selbst dadurch vortheilhafter und reizender wird. Wenn niemand solche Versprechen hielte, so würde sie niemand zu erzwingen suchen. Kein Räuber würde mehr als seine gegenwärtige Beute erwarten. Kan jemand durch seine Reden mit solchen Leuten gebunden wer den, die allen Rechten und aller Verbindlichkeit entsagt haben? Eine solche ausdrückliche Entsa gung kan von allen Verbindlichkeiten, die durch den Gebrauch der Sprache entstehn, befreyen. Wenn mir jemand erlaubt zu reden, ohne daß ich meine ei gene Gesinnung ausdrücken darf, so kan ich es oh ne ein Verbrechen thun, weil der Hörer sein Recht hat fahren lassen. Wie man bey stillschweigenden Verträgen und dem quaſi contractu durch eine Handlung ein Recht erlangen kan, so kan man auch durch eine Handlung gewissen Rechten entsagen, oder sie verwirken, derjenige, der die Handlung thut, mag sie in der Absicht vornehmen oder nicht. (Dies ist nicht wider die allgemei ne Men schenliebe.) Wir sind unstreitig den ruchlosesten Leuten Menschenliebe schuldig, und müssen ihnen solche Dienste, die mit dem gemeinen Besten bestehen können, leisten; aber Seeräuber und Strassenräu ber oder solche, die in höhern Posten oder Aemtern ihren Geist zeigen, sind erklärte Feinde des mensch lichen Geschlechts. Wir müssen ihre Besserung wünschen, und unnütze Grausamkeiten gegen sie,
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der Contracte. 557(Neunter Abschnitt.) wenn sie in unsrer Gewalt sind, vermeiden. Aber unsre Sorgfalt für das gemeine Beste, mus uns aufmuntern alle Mittel anzuwenden, die eine solche Lebensart hindern können und sie durch ihre Feind seligkeiten gegen das menschliche Geschlecht, und Verachtung aller Gesetze, so wenig Vortheile erlan gen zu lassen, als nur immer möglich ist. Wenn wir uns ohne Zwang über gewöhn(Wenn sie durch Con tracte ein Recht erlan gen.) liche Dinge mit solchen Leuten in Contracte einge lassen haben, so haben wir dadurch, daß wir mit ih nen Gemeinschaft halten, einen Fehler begangen, und die bürgerlichen Rechte versagen ihnen mit Recht das Vermögen, wegen solcher Contracte zu klagen. Jst es aber durch die Gesetze unsers Lan des nicht verboten, so sind wir verbunden, unsre Contracte zu halten, oder das, was wir erhalten haben, zu ersezen. Es versteht sich, daß keine Ge walt vorgegangen ist; und wenn wir aus eignen Triebe mit solchen Leuten, deren Character uns be kant gewesen ist, Unterhandlung gepflogen haben, so haben wir dadurch der Ausflucht, die man sonst ih res Lebenswandels wegen machen kan, anf<auf> gewisse Weise stillschweigend entsagt. Wenn solche Personen einige Neigung zei gen sich zu bessern, und zum gesellschaftlichen Leben zurück zu kehren, welches die boshaftesten Leute thun können, so muß alles, was ein Staat oder eine Gemeinde ihnen in Ansehung ihrer Befreyung von der Strafe oder der Behaltung ihrer gegen wärtigen Güter, ohne ausdrücklichen Zwang freywillig versprechen, heilig gehalten werden,
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(Zweytes Buch.) 558 Von deö Natur weil durch den freywilligen Contract mit ihnen, der Ausnahme, die sonst aus ihrer Lebensart entsteht, stillschweigend entsagt worden ist. Es würde närrisch seyn ihrem blossen Versprechen zu trauen; wenn sie aber durch Uebergabe ihrer Waffen, gerüsteter Schif fe, oder der Festungen, worinnen ihre Stärke be standen hat, Sicherheit verschaffen, so ist zuweilen ein Tractat mit ihnen, wodurch sie von der Strafe be freyet werden, das weiseste Mittel, künftiges Un glück ohne Blutvergiessen zu verhüten. Solche Leute von aller Strafe zu befreyen, und ihnen ih ren Raub geniessen zu lassen, gereicht zwar zu einigem Bösen, und erwecket unsern Unwil len, doch können sich zuweilen triftige Ursa chen flnden, ein solches Verfahren zu rechtferti gen. Dann aber mus denen Privatpersonen, die des gemeinen Bestens wegen das Recht ihre Schad loshaltung von denen zu fordern, die sie beleidigt ha ben, verlieren, ihr Verlust aus dem gemeinen Schatze billig ersezt werden. (Physicali sche oder mo ralische Un möglichkeit der Sache.) XII. Zur Gültigkeit eines Contracts ist noth wendig, daß die Sache, die er betrift, möglich sey. Wir nennen das physicalisch möglich, dessen Er füllung wir durch uns selbst, oder durch audre<andre> zu wege bringen können; das aber moralisch mög lich, was durch kein Gesetz verboten ist.* Was die physicalische Unmöglichkeit betrift, so kan uns ein Contract nicht verbinden, wenn eine Sache die zur Zeit der Schliessung desselben mög lich schien, nachher unmöglich wird; alles aber, 6
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der Contracte. 559(Neunter Abschnitt.) was uns vermöge eines solchen Contracts gegeben, oder geleistet worden, müssen wir wiedergeben oder ersetzen. Hat jemand die Unmöglichkeit seines An theils an dem Contract vorher gewust, oder ihn mit Vorsatze nachher unmöglich gemacht, doch aber den andern Theil durch Betrug dahin ge bracht, daß er seinen Antheil geleistet: so ist der treulose Theil verbunden, nicht nur den Schaden* zu ersetzen, sondern auch den ganzen Werth des Handels, oder den ganzen Vortheil, den der andre durch getreue Vollstreckung des Contracts erhalten haben würde, zu ersezen.** Wenn sich kein Betrug, sondern nur eine Unachtsamkeit bey solchen Con tracten findet, so ist es beynahe allemal hinlänglich, wenn der daran schuldige Theil dem andern seinen Schaden ersetzt. Jn wieferne die Dinge, worüber man Con(Unterscheid der moarli schen Mög lichkeit.) tracte schliessen will, den Gesetzen gemäs sein müs sen, erhellt schon aus dem Obigen.*** Wir können uns zu keinem Dinge das offenbar sündlich gegen Gott ist, verbinden, aber unsre gottesdienstlichen Pflichten sind nicht an gewisse unveränderliche Zei ten gebunden. Ein Mensch kan durch einen Con tract zu solchen Dingen verbunden werden, die die Unterlassung des äusserlichen Gottesdiensts zur ge suchten Zeit erfordern. Aber zu bösen Eigenschaf ten oder gottlosen Handlungen, wodurch jene ange zeigt werden, als zur Gotteslästerung, oder Ab schwerung der Religion, die er für die wahre er 7 8 9
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(Zweytes Buch.) 560 Von der Natur kent, kan man ihn durch nichts verpflichten. Noth wendige Liebesdienste, die keinen Aufschub leiden, entschuldigen uns, wenn wir, um sie ausüben zu können, den äusserlichen Gottesdienst auf einige Zeit versäumen, denn Liebe ist GOtt allemal ange nehmer denn Opfer. Wenn man die Unterlassung des öffentlichen Gottesdienstes als ein Zeichen oder einen Beweis der Abgötterey, oder als ein Bekänt nis, daß wir der wahren Religion entsagt haben, von uns verlangt; so können weder Contracte noch Versprechen, noch das Verbot einer weltlichen Macht eine solche Unterlassung rechtfertigen. Jn den meisten Fällen würde es sogar heldenmüthig seyn, sich solchen Verboten auf das kühnste* zu widersetzen. Eben so verbinden uns zwar Contracte in al len Handlungsangelegenheiten, die den unvollkomm nen Gerechtsamen andrer zuwider sind, wenn wir sie ohne eine hinterlistige Absicht, die dem andern Theile hätte bekant werden können, geschlossen ha ben: aber wo diese betrügerische Absicht sich zeigen mus, wie in dem Falle, wenn einer durch einen Contract mit einer Person oder einer Gesellschaft, oder durch ein Versprechen, das er ihr thut, ihr den ganzen Theil seines Vermögens überträgt, der zu sol chen Diensten wozu ihn die Menschenliebe oder die Dankbarkeit verbinden, hätte angewendet werden sollen, und wenn er sich dabey erklärt, daß er es gethan hat, um sich diesen Verbindlichkeiten zu ent ziehen, so ist die ganze Handlung als auf beyden 10
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der Contracte. 561(Neunter Abschnitt.) Seiten betrügerisch ungültig. Die Sicherheit des Handels erfordert von uns, die Contracte, die einem andern vollkommne Rechte verschaffen, wenn beyde Theile sie nicht erfüllen können, als Pflichten der Menschlichkeit anzusehen, wenn sie nämlich oh ne eine unredliche Absicht geschlossen worden. Wo sich aber solche Absichten auf beyden Seiten deutlich zeigen, hat man keinen Grund für ihre Gültigkeit zu streiten. Wenn über solche Dinge Contracte geschlos=<geschlossen>(Keine Con tracte sind bindend, die ohne die ge hörige mo ralische Ge walt ge schlossen wer den.) werden, über die wir nicht die moralische Gewalt besitzen Contracte zu schliessen, wenn beyde Theile dies gewusst haben, oder beyde durch gleiche Schuld unwissend geblieben sind; so sind sie un gültig. Jede Parthey, die der Handel vor der Vollstreckung einer Ungerechtigkeit gereut, ist von aller Verbindung frey, aber dann darf sie auch kei ne Belohnung oder Erkenntlichkeit, die ihr in Ab sicht darauf zugestanden worden, behalten. Jst die That durch einen solchen begangen worden, der was ihre Ungerechtigkeit betrift, unüberwindlich unwissend gewesen, so hat er ein Recht auf das, was ihm versprochen worden, besonders, wenn die Schuld des Verbrechens allein auf die andre Par they fällt. Man setze denn Fall, daß ein Beam ter der Gerechtigkeit, auf mein Begehren, einen Be fehl wider meinen Wohlthäter, den ich unrechtmäs siger Weise verfolge, vollstreckt. Wenn beyde die Bosheit der Handlung gekannt, oder gleichen Theil daran genommen haben, oder beyde durch ihre Schuld, was die Grösse des Verbrechens betrift,
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(Zweytes Buch.) 562 Von der Natur unwissend geblieben sind, und die That wird vollzo gen, so entsteht auf keiner Seite durch solche Ver träge oder Handlungen ein Recht. Derjenige, der sie ausgeführt hat, mus den Lohn seiner Bosheit nicht erhalten; oder hat er ihn voraus bekom men, so erhält ihn derjenige, der ihn gedungen nicht wieder zurück. Solche Verbindungen oder Handlungen dürfen von keinen Vortheilen, oder von keiner Hofnung des Gewinstes begleitet werden, sondern man mus ihnen durch alle mög liche Mittel ihr Anlockendes zu benehmen suchen. Hat derjenige, der die Sache unternommen, die Be lohnung vor Ausführung derselben bekommen, und er führt sie hernach nicht aus, so darf er sie frey lich nicht behalten; aber er darf sie auch einem der lasterhafter, als er selbst ist, nicht ersetzen, sondern sie wird zu einem öffentlichen Nutzen angewendet. Einer, der über Güter, die andern gehören, einen Contract schliest, wird, wenn diese Eigenschaft der Güter beyden Theilen bekant ist, zu nichts wei ter dadurch verbunden, als alle erlaubte Mittel an zuwenden, um sie von dem Eigenthümer zu er halten. Sind diese ohne Wirkung, so befindet er sich in dem Falle derjenigen, die über eine Un möglichkeit einen Contract geschlossen haben. Wenn man von dem Versprecher glauben kan, daß ihm dieses Recht einer dritten Person bekant gewesen, der andere Theil aber nichts davon ge wusst hat, so ist das Versprechen betrügerisch, und verbindet ihn, der unschuldigen Parthey den Werth davon zu bezahlen.
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der Contracte. 563(Neunter Abschnitt.) XIII. Von zweyen Contracten, die verschiede nen Personen ein gleiches Recht auf einerley Sa(Welche Contracte andren vor gehn.) che geben, hat der erste seine Kraft.* Aller Han del würde ungewis seyn, wenn ein zweyter Con tract einen von eben der Art der vorhergegangen, vernichten könte. Ein zweyter Contract ist einerley mit einem unmöglichen, der aus betrügerischen Ab sichten geschlossen worden, und wird nach eben den** Regeln beurtheilt. Sind die Contracte von ver schiedener Natur, so, daß der eine ein reales, der zweyte aber nur ein persönliches Recht auf einerley Sache verschaft, so geht das reale dem persönli chen vor, wenn auch dieses älter seyn sollte, und zwar aus den oben angeführten Ursachen.*** Der persönliche Contract wird eben so angesehen, als der jenige, der über eine Unmöglichkeit geschlossen wor den, und hat eben die moralischen Wirkungen. Jst der vorhergegangne persönliche oder unvollen dete Contract beyden Partheyen in dem folgen den realen Contracte vorher bekant gewesen, so mus dieser, als auf beyden Seyten betrügerisch auf gehoben werden. XIV. Wir schliessen mit andern, entweder in Person, oder durch Agenten, Factore, Deputirte, Gesandten, oder andre Personen, denen wir die Ge walt gegeben haben, in unserm Namen gültige Unterhandlungen zu pflegeu<pflegen>, Contracte. Haben 11 12 13
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564 Von unsern Pflichten wir diesen eine unumschränkte Gewalt gegeben, so sind wir billig durch alles gebunden, was sie in solchen Angelegenheiten, die wir ihnen ohne Ein schränkung überlassen haben, schliessen, wir müsten denn offenbar beweisen können, daß unsre Depu tirte durch die andere Parthey bestochen worden, oder die zugestandnen Bedingungen müsten so aus serordentlich unbillig seyn, daß jedem weisen unpar theyischen Richter die Nothwendigkeit der vorge gangenen Bestechung sogleich in die Augen fiele. Um der Gefahr, die aus einer solchen unumschränk ten Gewalt allemal entsteht, zuvor zu kommen, giebt man heut zu Tage den Deputirten allemal öf fentliche Jnstructionen, oder Vollmachten; worin nen man erklärt, welche Sachen, und unter welchen Einschränkungen, ihnen dieselben aufgetragen wor den; und diese Vollmachten werden auf beyden Seiten bekant gemacht. Dann können die Principale durch alle Arten von Deputirten, nur zu solchen Contra tracten verbunden werden, in denen sie die Schran ken ihrer Vollmacht nicht überschritten haben.

Der zehnte Abschnitt, Verbindlichkeiten bey dem Gebrauche der Sprache.

(Natürliche Grundsätze, die uns zur Wahrheits liebe verbin den) I.Wir haben im vorigen Abschnitte einiger na türlichen Grundsätze gedacht, die blos bestimmt sind, unsre Kraft zu reden, zu regie ren. Da das Vermögen, uns unter einander unsere Meinungen, Wünsche und Absichten zu ent decken, eine von den vorzüglichsten GlnckseligkeitenGlückseligkeiten
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(Zehnter Abschnitt) beym Gebrauch der Sprache 565 Des menschlichen Geschlechts und so bequem nach unsrer gesellschaftlichen Empfindungen und Nei gungen eingerichtet ist: so hat auch die Natur ein moralisches Gefühl in unsre Herzen gepflanzt, die ses Vermögen zu regieren. Wir sind von Natur geneigt, unsere Gedanken mitzutheilen; und was die Seele, sobald sie die Fähigkeit darzu erlangt hat, von Natur mittheilet, ist Wahrheit. Verstellung und Falschheit sind offenbar gekünstelte Wirkungen des Vorsatzes und der Ueberlegung. Diese Nei gung, sich andern mitzutheilen sowohl, als der standhafte Vorsatz, niemals anders, als wie wir denken, zu reden, erwirbt sich allemal einen ge schwinden und natürlichen Beyfall. Wenn wir aber dies Vermögen uns auszudrucken, nach der Art, die unser Herz vorher gebilliget hat, ausüben: so müssen wir freylich auf andere wichtigere Grund sätze, die bey unsrer Verfassung allgemeiner sind, Acht haben, damit wir nicht geringern, die andern wichtigern im Wege stehen, folgen. Wir wir uns zuweilen von Ausübung des Mitleidens, der Dank barkeit und andrer liebenswürdigen Triebe zurück halten müssen, wenn sie mit der allgemeinen Glück seligkeit nicht bestehen können. Wo aber Redlich- keit, Offenherzigkeit, und eine aufrichtige Entde ckung unsers Herzens derselben nicht schaden, da zeigen uns die plötzlichen Empfindungen unsers Herzens an, daß wir dazu verbunden sind. Es giebt noch andere Arten, unsre Gedanken, Verlangen oder Absichten bekannt zu machen, wie z.E. durch Bilder, hiroglyphische Figuren, Ge
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(Zweytes Buch) 566 Von unsern Pflichten mälde oder Bewegungen, die entweder von Natur bedeutend, oder es durch die Gewohnheit geworden sind. Die Sprache aber, und das Schreiben über treffen alle andere Zeichen an Deutlichkeit und Nutzbarkeit sehr weit. (Nothwen dige Unter scheidung der Zeichen.) II. Um unsre Pflicht bey dem Gebrauche der Zeichen recht einzusehen, müssen wir auf diesen wich tigen* Unterschied derselben Acht geben, daß viele, entweder durch eine natürliche Gleichheit, oder einen natürlichen Zusammenhang, dem der sie beobachtet, eine Sache bekant machen, oder ihm Gelegenheit geben, sie zu schliessen, ohne daß er sich einbilden kan, daß diejenige Person, die sich der Zeichen be dienet hat, es in der Absicht gethan, ihm ihre Mei nungen oder Absichten zu entdecken. So schlies sen wir, wenn wir Rauch sehen, daß ein Feuer da ist; sehen wir denselben in einem feindlichen Lager am Abend an vielen Orten aufsteigen, so schlies sen wir, daß die Armee nicht in Bewegung sey. Wenn wir die Nacht durch in einem Fenster Licht sehen, so folgern wir daraus, daß daselbst eine Per son wachen müsse. Dem ohngeachtet aber denken wir nicht, daß jemand durch diese Zeichen uns seine Absichten, oder eine Sache habe bekant machen wollen. Aber es giebt 2) noch einen andern Ge brauch solcher Zeichen, die weder natürlich, noch durch die Gewohnheit Zeichen geworden sind, der eine solche Absicht bey demjenigen, der sich der Zeichen bedient, ganz deutlich anzeigt. Ja er kan sich kei 14
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Beym Gebrauch der Sprache. 567(Zehnter Abschnitt.) ner andern Mittel bedienen, uns irgend eine Sache bekant zu machen. Diese Eintheilung der Zeichen ist von derje nigen unterschieden, wo man sie in zwey Classen, der natürlichen, und der eingeführten, oder sol cher, die durch Gewohnheit oder den Willen der Menschen aufgekommen sind, absondert. Bey der von diesen Arten kan man sich so bedienen, daß es einen Vorsatz anzeigt, andern unsre Gedanken mitzutheilen. Schickt jemand einem Freunde an einem entfernten Hofe kleine Flügel oder Sporen: so zeigt ihm dieses an, daß er sich in Gefahr befin det. Jemanden vorsätzlich durch solche Zeichen zu hin tergehen, ob sie gleich natürlich sind, und würde ein eben so grosses Verbrechen seyn, als wenn es durch einen Brief geschähe. Durch eingeführte Zeichen kan jemand von unsern Absichten unterrichtet wer den, ohne daß er sich einbilden kan, daß wir uns derselben in einer solchen Absicht bedienet haben. Ein Brief, der aufgefangen wird, oder ein Ge spräch, worüber man uns behorcht, kan einem an den beyde nicht gerichtet waren, zu solchen Schlüssen Gelegenheit geben, ob er gleich überzeugt ist, daß man nicht willens gewesen, ihm das geringste be kant zu machen. III. Bey dem Gebrauche der Zeichen, der wir(Unsre Pflichten bey solchen Zeichen, die bey uns kei nen Willen, unsere Ge danken mit zutheilen, anzeigen.) uns nicht in dieser Absicht bedienen, ist ein jeder verbunden, keine unschuldige Person, noch weniger die Welt dadurch zu falschen Schlüssen zu verlei[„] ten, die ihnen zum Verderben gereichen können.“ So bald aber ein anderer ein vollkommenes oder
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(Zweytes Buch.) 568 Von unsern Pflichten unvollkommeues Recht besitzt, unsere Gedanken zu wissen, begehn wir ein Verbrechen, wenn wir sie durch Stillschweigen zu verbergen, oder ihn durch Zeichen, von welcher Art sie auch seyn mögen, zu betriegen suchen. Haben aber andere kein solches Recht, oder ist eine gerechte Ursache zum Kriege da, welche selbst Gewaltthätigkeiten entschuldiget, oder kan etwas Gutes daraus entstehen, wenn wir einen hintergehen; so können wir es durch solche Zeichen thun, die auf unsrer Seite keinen Vorsatz anzeigen, ihm unsere Absichten zu entdecken. Solche Listen werden von allen gerechtfertiget, und man kan sich ihrer zu allerhand unschuldigen Absichten auch ge gen Freunde bedienen. Ein fleissiger Mensch kan sein Zimmer finster machen, um andere zu überre den, daß er nicht zu Hause sey. (Der Ge brauch der entgegenge sezten macht einen still schweigen den Ver trag aus.) Aber bey dem Gebrauche solcher Zeichen, die eine Absicht unsrer Meinung zu erkennen zu geben anzeigen, und allein dadurch erkläret werden kön nen, ist der Fall ganz anders. Das Vergnügen des gesellschaftlichen Lebens beruht grossentheils auf dem gegenseitigen Vertrauen, das jeder auf des an dern Erzählungen und Versprechen sezt. Wir nehmen oft unsere Maasregeln nach den Erzäh lungen anderer; wir leiten einen grossen Theil un srer Känntnis in menschlichen Angelegenheiten da von ab. Wenn wir also andere mit Vorsatz durch Zeichen, die wirklich unsere Absicht, uns zu erklä ren, deutlich anzeigen, und die sie auf die gewöhn liche Art erklären, betriegen: so verdammen nicht nur unsre Herzen sogleich eine solche Falschheit, son
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beym Gebrauch der Sprache. 569(Zehnter Abschnitt.) dern nach einiger Ueberlegung sehen wir auch ein, daß ein solches Verfahren das menschliche Leben aller Vortheile beraubet, die aus einem gegenseiti gen Vertrauen im Umgange entstehen. Der Gebrauch solcher Zeichen ist ein still schweigender Contract mit der Person, an die wir sie richten, daß wir ihr unsere Meinung entdecken wollen. Wären die Menschen nicht von der Wirk lichkeit eines solchen Vertrages überzeugt: so wür de es närrisch seyn, einen andern ernsthaft anzure den, oder auf das zu hören, was man uns sagte. Würde nicht in dem Falle, daß die Menschen glaub ten, es gäbe keine Verbindlichkeit zur Aufrichtig keit, und nach diesem Grundsatze handelten; daß sie so oft wider ihre wahren Gedanken, als denselben gemäs, redeten, alles Vergnügen des Umgangs, und alles Vertrauen auf andrer Erzählungen, ver nichtet werden? Man würde blos in Contracten reden, und auch bald bey diesen alles Vertrauen verlieren. Sind wir gleich nicht allemal verbun den, unsre Meinung zu entdecken: so erhellet doch aus diesen Gründen, daß wir allemal Treu und Glauben halten müssen, wenn wir uns gewisser Zeichen auf eine Art bedienen, welche anzeigen, daß wir unsre Gedanken dadurch bekant machen wollen; oder „daß wir uns ihrer so bedienen müssen, daß sie unsre wahren Gesinnungen durch eine ver nünftige Erklärung, anzeigen,“ dies ist das all gemeine Gesetz der Aufrichtigkeit. IV. Es giebt gewisse nothwendige Einschrän(Nothwen dige Ein schränkun gen.) kungen dieser Regel, und gewisse Regeln, die bey
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(Zweytes Buch.) 570 Von unsern Pflichten Erklärung der Zeichen, besonders der Worte, beob achtet werdeu<werden> müssen. (Verände rung der Be deutung.) 1. Jst die Bedeutung von gewissen Wörtern oder Zeichen, die vom Gebrauche oder der Gewohn heit abhängen, von der alten ursprünglichen ver ändert: so kan man uns keiner Falschheit beschul digen, wenn wir sie in dem nunmehr gewöhn lichen Verstande gebrauchen. So zeigen z. E. höfliche Complimente, oder die ordentlichen Titel gewisser Stände und Aemter keine solche Meinungen von den Verdiensten, oder den mora lischen Eigenschaften der Personen an, an die sie gerichtet werden, obgleich die Worte, die wir brau chen, bey einer andern Gelegenheit alles dieses an zeigen würden; und niemand wird damit betrogen. Sie deuten nur an, daß wir die Absicht haben, der ge wöhnlichen Höflichkeit ein Genüge zu thun, oder gewissen Bedienungen, die ihnen gebührende Ehre zu erweisen. (Von der Erlaubnis andere zu hintergehen.) 2. Wenn es von gewissen Dingen bekant ist, daß die Menschen es für keine Beleidigung halten, darinne betrogen zu werden, so ist es kein Verbre chen, wenn man davon nicht wahr redet. Dieser Fall findet sich bey einigen Lustbarkeiten. Bey solchen geringen Angelegenheiten sehen wir, daß kein gegenseitiges Vertrauen statt findet, und können daraus schliessen, was die Falschheit, bey ernsthaf ten Erklärungen, oder Erzählungen, für Wirkung haben würde. Wenn bey einigen wichtigern Din gen die Menschen ihr Recht auf die Verbindlich keit anderer, die Wahrheit zu sagen, aufgegeben ha
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beym Gebrauch der Sprache. 571(Zehnter Abschnitt.) ben; so verliert sich dieselbe. Eine stillschweigen de Erlassung kan von einem stillschweigenden Ver trage befreyen; oder vielmehr enthält in solchen Fällen die Handlung, da ich den andern anrede, keinen Vertrag. Niemand tadelt einen Arzt, der einen zu sehr niedergeschlagenen Kranken, durch gu te Hofnung die er ihm macht, hintergeht, oder wenn er ihm nicht zugesteht, daß er ihm eine heilsame Me dicin eingiebt, wider welche er aus thörichten Vor urtheilen eingenommen ist. Der Patiente wird ihm ins künftige solcher Betrügereyen wegen keine Vorwürfe machen. Es ist wahr, daß man je manden nicht oft auch in solchen Dingen betrügen kan, weil das Vertrauen sich gar zu bald ver liert; aber es kan ein guter Endzweck erhalten, und das Vorurtheil überwunden werden, ohne daß der Patiente den Betrug misbilligt. Weise Leute erlauben einem Arzte, auf dessen Geschicklichkeit und Treue sie sich verlassen, allemal eine solche List. Thun sie es nicht, so muß eine wahre Nothwendig keit sie daran verhindern, davon wir gleich han deln werden. 3. Ob gleich im Kriege alle Theile sich unter einander durch falsche Berichte und Erzählungen zu betrügen suchen, und dieser Gebrauch nunmehr so eingeführt ist, daß sich niemand darüber, als über eine unerlaubte List beklagt: so waren doch auch so gar diese, vor der Einführung und Bekantmachung einer solchen Gewohnheit, ungerecht. Jst aber diese Gewohnheit eingeführt, und allen Theilen be kant, so kan man solche Betrügereyen schwerlich für
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(Zweytes Buch.) 572 Von unsern Pflichten ungerecht erklären, weil alsdenn die Menschen un ter einander ihrem Rechte entsagt zu haben schei nen. Es können aber solche Kriegeslisten nicht oft mit Erfolge wiederholt werden, weil der andere Theil gar zu bald vorsichtig wird. Bey allen ernsthaften Berichten zu Friedens zeiten befindet sich die Sache ganz anders. Auch ist bey Kriegen die Gewohnheit nicht durchgängig eingeführt. Was aber allen Betrug in irgend einer Form von Tractaten oder Verträgen betrifft, so kan man ihn, selbst bey noch anhaltenden Feind seligkeiten nicht für rechtmässig erklären. Blos durch Tractaten kan ein Krieg ohne den grausam sten Untergang der einen Parthey geendiget wer den. Blos durch Tractaten kan man menschliche Arten Krieg zu führen bestimmen. Macht man sie zu Werkzeugen des Betrugs und der Feindselig keit: so müssen die entsetzlichsten Verwüstungen daraus folgen, und es mus also ohne ein grosses Verbrechen nicht geschehen können. (Wenn un rechtmässige Gewalt wi der uns aus geübt ist.) 4. Noch eine Einschränkung oder Ausnah me, welche die meisten Schriftsteller für rechtmäs sig halten, findet alsdenn statt, wenn uns die Ver sprechen oder Berichte durch offenbar unrechtmäs siige Gewaltthätigkeiten von solchen Personen ab gedrungen werden, die durch ihre Lebensart alle Gesetze der Natur verachten. Es ist schon an geführt, daß diese aller Rechte des menschlichen Geschlechts verlustig sind, denn wenn man ihnen dieselben hielte, würde es blos dazu dienen, sie in ihren Verbrechen zu bestärken und aufzumuntern,
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beym Gebrauch der Sprache. 573(Zehnter Abschnitt.) oder ihre boshaften Unternehmungen zu erleichtern und vortheilhafter machen. 5. Eine andre Ausnahme fällt noch leichter in die Augen, wenn nämlich iemand den theilneh menden Personen zum voraus bekant gemacht hat, daß er bey einer gewissen Gelegenheit, nicht seinen Gedanken gemäs reden, oder sich der Worte nicht in ihrer gewöhnlichen Bedeutung bedienen will. So ist es kein Verbrechen, wenn ein Lehrer Beyspiele von falschen Sätzen giebt, oder wenn sich andre er klären, daß sie gewissen zweydeutigen Worten eine Bedeutung beylegen, die von der gewöhnlichen un terschieden ist; oder wenn Freunde bey einem Briefwechsel gewisse Bedeutungen, die ihnen allein bekant sind, verabredet haben, obgleich diese Worte bey jedem Fremden falsche Begriffe hervorbrin gen würden. 6. Auf eine neue Ausnahme wird bey Fällen(Fälle von besonderer Nothwen digkeit.) von besonders dringender Noth stark gedrungen, welche Noth, wie wir schon angeführt haben, von der Verbindlichkeit vieler besondern Gesetze der Na tur befreyt, die wir sonst bey allen gewöhnlichen Vorfällen heilig zu halten verbunden sind. Da diese Entschuldigung wegen dringender Noth nicht allein beym Gebrauch der Rede statt findet: so wollen wir die Untersuchung derselben, bis auf ei ne allgemeinere* Betrachtung verschieben, und hier noch einige besondere nützliche Reden anfüh ren, die alle Rechtschaffene für billig erkennen müssen. 15
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(Zweytes Buch.) 574 Von unsern Pflichten (Einige be sondere Re geln.) IV. Die allgemeinen Vortheile, welcheaus<welche aus> der Aufrichtigkeit und dem gegenseitigen Vertrauen für die Gesellschaft entstehn, sind so gros, und die Wirkungen der Falschheit und Unredlichkeit so ge fährlich, daß wenn einige Ausnahmen in Noth fällen zugestanden werden sollen, die Noth so ausser ordentlich gros und unvermeidlich seyn mus, daß alle Uebel, die auf der andern Seite entstehn, dadurch überwogen werden. (Wenn es erlaubt ist sich zweydeu tiger Ant worten zu bedienen.) 2. Wenn es unsere Pflicht ist, andern unsre Gedanken zu entdecken: so sind wir verbunden, uns solcher Worte zu bedienen, die wir für die rich tigsten, und zu dieser Absicht am bequemsten halten. Gebrauchen wir mit Vorsatze andre Worte, welche, wie wir vorhersehn, die Zuhörer betriegen werden: so begehn wir ein Verbrechen, wenn auch unser Vortrag nach einer andern Auslegung wahr seyn sollte. Aber in Fällen, wo es wegen der bösen Be gegnung oder der gefährlichen Absichten einiger Zu hörer, unsre Pflicht nicht ist, unsre Gesinnungen zu entdecken, oder wo wir, wenn wir uns weigerten, auf einige verfängliche Fragen zu antworten, durch Schweigen, dasjenige, was die Nachforscher kein Recht haben zu wissen oder was sie, wenn sie es wü sten, zu den bösesten Absichten gebraucht würden, eben so deutlich, als durch eine bejahende Antwort entdecken würden: Da ist es erlaubt, uns solcher zweydeutigen Antworten zu bedienen, die einem red lichen von Vorurtheilen nicht eingenommenen Ge müthe, nach einer richtigen Auslegung, nichts fal sches beybringen können, von denen wir aber vor
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beym Gebrauch der Sprache. 575(Neunter Abschnitt.) hersehen, daß sie von andern werden falsch verstan den, und diese sich durch ihre eigue<eigne> Unbesonnen heit und Vorurtheile betrogen werden. Von sol chen Reden und Antworten findet man Beyspiele in den heiligsten Charactern. 3. Eine Fertigkeit der Aufrichtigkeit ist von(Hauptsäch lich ist die Aufrichtig keit anzu preisen.) einer Seele, die zur Tugend geneigt ist, allemal un zertrennlich, und eine Fertigkeit zum Gegentheile so gefährlich, daß man bey jungen Leuten alle Ar ten der Verstellung, und des Betrugs, sowohl als of fenbare Falschheit, aufs ernsthafteste bestrafen soll te. Man sollte ihnen auch, ehe sie den völligen Ge brauch ihrer Vernunft nicht erlangt haben, nicht erlauben, sich solcher künstlichen Verstellungen oder solcher listigen Mittel, eine Sache zu verbergen, zu bedienen, als Leute in reifern Jahren, zuweilen oh ne strafbar zu werden, anwenden können. 4. Es giebt gewisse Grundsätze der Tugend und Frömmigkeit, die so heilig sind, und welche zu bekennen und fortzupflanzen ein gutes Herz so viel Eifer bezeigen mus, daß jeder hinlänglich gerecht fertigt ist, der sie öffentlich, auf alle Gefahr, die für ihn daraus entstehen könte, bekennt, wenn er auch nicht vorhersieht, daß andre dadurch zu eben die sen Grundsätzen werden gebracht werden. Haben wir aber gar Grund zu hoffen, daß solche öffent liche Erklärungen der Welt durch die Erleuchtung andrer so viel Nutzen schaffen werden, daß alles Leiden, daß wir dadurch für uns selbst vorhersehn, überwogen wird: so sind wir dazu verbunden, und
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(Zweytes Buch.) 576 Von unsern Pflichten wir können uns, ohne ein Verbrechen zu begehn, ihnen nicht entziehn; als wenn z. E. Gott einer ge rechten Sache oder einer dem menschlichen Ge schlechte sehr vortheilhaften Einrichtung, vermittelst einer solcher Erklärung, einen glücklichen Erfolg versprochen hat. Haben wir aber keine gegrün dete Hofnung, einen glücklichen Erfolg dadurch zuwege zu bringen, oder bey andern etwas gutes dadurch zu zeugen, so kan man uns nicht für la sterhaft erklären, wenn wir solche freywillige Be käntnisse, die nichts als unser Unglück hervor bringen können, von uns ablehnen. (Strenge Pflicht der Zeugen.) 5. Da die wichtigste Absicht des bürgerli chen Regiments ist, die Entscheidung der Strei tigkeiten und die Handhabung der Gerechtigkeit den Händen der darin theilhabendeu<theilhabenden> und durch Leiden schaften erhizten Partheyen zu enreissen<entreissen>, und sie verständigen unpartheyischen Männern, die für keinen Theil eingenommen sind, zu überlassen, und sich alle Unterthanen eines Staats, zum voraus derselben unterwerfen: so erfordert es die Schul digkeit einer Person, die vor einem Gerichte als Zeuge verlangt wird, nicht allein in dem, was sie aussagt, die strengste Wahrheit zu beobachten, sondern alles, was sie von der ganzen Sache weis, auf Verlangen treulich zu entdecken. Es ist in allen Staaten nothwendig, diejenigen Zeugen auf das strengste zu bestrafen, die irgend etwas, warum man sie befragt hat, verbergen, wenn es auch aus Mitleiden mit einer Person geschehn wäre, deren Sache sie für gerecht halten, oder die wider ein,
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beym Gebrauch der Sprache. 577(Zehnter Abschnitt.) ihrer Meinung nach allzu strenges Gesetz straffällig geworden ist. Wenn man Zeugen erlaubte, unbe straft etwas zu verfälschen oder ihre Wissenschaft von irgend einem ihnen bekanten Dinge zu ver leugnen, so würde alles gerichtliche Verfahren ohne Nutzen seyn. Die Entscheidung der Streitigkei ten müsten bey solchen Personen, die der Sache nicht kundig, oder bey solchen bleiben, die einer oder der andern Parthey geneigter wären; wie es sich bey den meisten Zeugen aus Gunst oder wenig stens aus Mitleiden, befindet. Sind die Gesetze oder die Richter zu strenge, oder ungerecht, so wür de derjenige heldenmüthig handeln, der lieber durch Versagung seines Zeugnisses, und Erduldung der darauf gesezten Strafe, eine unschuldige Person von ihren Leiden zu befreyen, und in Sicherheit zu setzen suchte. 6. Da wir, wenn wir mit andern reden, die(Die Grösse des Verbre chens einer Zweydeu tigkeit, oder eines gehei men Vorbe halts.) ein Recht haben, unsre Meinung zu wissen, still schweigend nicht nur das angeloben, daß unsre Wor te, nach einer gewissen möglichen Auslegung, wahr seyn, sondern daß sie in dem gewöhnlichen Verstan de, in dem sie jeder vernünftiger Mensch nehmen würde, die Wahrheit ausdrücken sollen, weil jeder eben so gut ein neues Wörterbuch, nach welchem er alles zu verneinen oder zu bejahen im Stande wäre, oder eine neue Sprachkunst, deren Wortfügung allen fremd und unerwartet wäre, machen, und durch diese Kunstgriffe allen Gebrauch der Sprache vereiteln könte: so ist es offenbar unerlaubt, et was zu reden, das den ausgedruckten Worten nach
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(Zweytes Buch.) 578 Von unsern Pflichten falsch ist, aber durch einen geheimen Vorbehalt oder einen nicht ausgedruckten Zusatz wahr werden würde. Kein Satz ist so unsinnig und so falsch, daß er nicht durch solche Mittel gerechtfertigt werden könte. (Practische Regeln für den Um gang. Er mus andern nützlich seyn.) V. Die bis hieher angeführten Regeln sind bestimmt, die Menschen von dem Laster der Falsch heit abzuhalten; es giebt aber noch viele andre, die uns die Pflichten, die Tugenden, die Schönheiten des Umgangs zeigen. Ein redliches Herz, das mit gütigen Neigungen gegen seine Nebenmenschen an gefüllt ist, wird allemal geneigt seyn, seinen Um gang so viel möglich also einzurichten, daß er ihnen nützlich wird. Derjenige, der es besizt, wird nach ei ner nützlichen Käntnis von menschlichen Angelegen heiten streben, weil diese eine Quelle von Liebes diensten und Gefälligkeiten gegen andre ist; seine ernsthaften Gespräche werden lehrreich seyn, oder ein Verlangen nach etwas, das uns Ehre bringt, einzuflössen suchen, und so gar seine Frölichkeit ist auf solche Dinge gerichtet oder wenigstens unschul dig. Aus diesen Ursachen ist eine einnehmende Höflichkeit im Umgange, und ein angenehmes äus serliches Betragen, der Bestrebung solcher Leute, die den grösten Character besitzen, nicht unwürdig. (Nicht ver läumderisch. Dies ist ein sehr grosses Verbrechen.) 2. Weil alle Menschen ein zartes Gefühl von Ehre und einem guten Namen, und den grösten Abscheu vor der Schande, und der Verachtung ih rer Nebenmenschen besitzen; weil die Hochachtung und Liebe unsrer Nachbarn einen der süssesten Ge nusse unsers Lebens ausmacht, und die Erduldung der Vorwürffe, der Schande und der Verachtung
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beym Gebrauch der Sprache. 579(Zehnter Abschnitt.) unter die grösten Unfälle der edeln Geister ge hört: so gebieten uns alle unsre menschliche Em pfindungen, alle unsre moralischen Begriffe von Ge rechtigkeit, mit dem Character anderer auf das vor sichtigste zu verfahren. Doch kan sich ein kleiner neidischer verachtungswerther Geist verrathen, wenn er vorzüglichen Verdiensten das gebührende Lob versagt, oder sich ihre Grösse durch allerhand Be mühungen zu verringern und zu verdunkeln, be strebt. Dergleichen Bosheiten benehmen den edel sten Genies den Muth. Dennoch ist bey dem vor züglichen Lobe, das jemand einem andern mittheilen will, jeder ohnstreitig sein eigner Richter, und das Recht andrer bey solchen Angelegenheiten gehört un ter die unvollkomnen; ob sie gleich oft durch eines Menschen falsches Urtheil oder Beleidigung solcher Rechte, die hassenswürdigsten Neigungen in ihm entdecken. Was aber den blossen Character der Redlichkeit, Ehrlichkeit, und Reinigkeit der Sitten, oder den Namen eines untadelhaften ehrlichen Man nes betrifft: so hat jeder ein vollkomnes Recht darauf, wenn er dieses nicht durch sehr grobe un sittliche Verbrechen verwirkt hat. Ungerechte Ver läumdungen und Verkleinerungen gehören also unter die unerträglichsten Jnjurien, und sind de sto verhaster, weil sie oft durch halbe Worte, An spielungen, Geberden, und verborgenes Gelispel hervorgebracht werden. Diejenigen, die einige Achtung für die Tu gend und die Güte ihrer eignen Herzen, oder nur einigen moralischen Werth besitzen, sollten mehr
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(Zweytes Buch.) 580 Von unsern Pflichten auf den Anfang unsrer Neigung zu solchen Bos heiten Acht geben, und betrachten, wie niedrig die Wurzeln sind, aus der sie entspringen. Wenn sie am meisten zu entschuldigen ist, entsteht sie aus ei nem Mangel aller Untersuchung unsrer selbst, und einem albernen Triebe, uns um anderer Leute An gelegenheiten zu bekümmern, und davon zu schwa tzen; oft aus dem Stolze und einer niederträchti<niederträchtigen> Freude an der eingebildeten vorzüglichern Grösse unsrer Tugend, oft aus einem noch niederträchti gern Neide, wenn wir von andern befürchten, daß sie uns übertreffen werden; und zuweilen aus ei ner zur Fertigkeit gewordnen Art von Bosheit ge gen diejenigen, die mit uns in Ansehung der Glück seligkeit, des Reichthums, der Wissenschaft, oder der Kunst, sich die Liebe des Volks zu erwerben, zu strei ten scheinen, oder die uns in nnsern<unsern> Absichten ent gegen gewesen sind. Selten werden Leute durch irgend einige von den liebenswürdigen Beschaffen heiten des Herzens, wenn diese anch<auch> von der einge schränktesten Art seyn sollten, zu solchen Handlun gen gebracht; und alle Grundsätze der Menschlich keit und Grosmuth heissen uns sie verabscheuen. (Anderer ver borgne Feh ler mus man nicht bekant machen.) 3. Gesezt auch, daß wir von den verborgnen Fehlern und Lastern andrer zuverlässig unterrichtet wären, so kan es doch selten zu einigem Nutzen ge reichen, sie bekant zu machen. Der Zaum der Schande, der im menschlichen Leben so mächtig ist, verliert sich, so bald wir keinen Character mehr be sitzen. Die öffentliche Schande kan eine zu harte Strafe für Leute seyn, die sich vielleicht durch eine
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beym Gebrauch der Sprache. 581(Zehnter Abschnitt.) geheime Erinnerung hätten bessern lassen, die viel leicht schon ihren Fehler aufrichtig bereuen, und alle seine üblen Folgen so viel möglich zu verbessern suchen. Solte auch eine heimliche Erinnerung den Uebertreter nicht bessern, und hat man keine weitere Uebertretung, oder die Verführung andrer zu befürchten, so lässt sich nicht leicht ein Vortheil anführen, der durch die Bekantmachung verborge ner Verbrechen entstehen könte. Wenn die Hof nung noch übrig ist, daß vielleicht die öffentliche Strafe einen, bey dem die Erinnerung nichts ge fruchtet hat, noch bessern kan, wenn diese nothwen dig ist, um neue Verbrechen, oder die Verführung andrer, zu verhüten, oder die Ersetzung eines ver ursachten Schadens dadurch zu erlangen: so ist eine solche Bekantmachung vernünftig und billig. Was kan aber, wo diese Bewegungsgründe nicht dazu antreiben, wo die Geheimhaltung den Schaden des Exempels verhüten kan, wo aller Schaden er setzt ist, und keine neue Uebertretungen zu befürch ten sind, die Offenbarung solcher Verbrechen für einen Nutzen haben, als daß sie unsre Bosheit, un sern Stolz, unsern Neid, unsre Eitelkeit, oder eine alberne Begierde zum unbesonnenen Geschwätze vergnügt. Die Lasterhaftesten werden am leichte sten bekehrt, wenn die Furcht vor der Schande, die durch die allgemeine Verachtung getödtet wird, noch in ihnen lebt. Die Menge der Verbrechen macht, daß sie andern weniger schädlich scheinen. Die Menschen halten ihre lasterhaften Neigungen we niger im Zaume, menn<wenn> sie sehn, daß so viele ihnen
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(Zweytes Buch.) 582 Von unsern Pflichten nachhängen, und die Tugendhaften gerathen nur desto eher in den Verdacht der Heucheley. So bald grobe Verbrechen einmal bekant sind, ist es unstreitig die Schuldigkeit jeder Gesell schaft, ihren Abscheu davor zu erkennen zu geben, dem ohngeacht aber gegen die Uebertreter ein gutes Herz zu behalten, und ihre Besserung eifrig zu su chen. Wenn aber ein Laster verborgen bleiben kan: so hat ein guter Freund, oder ein Nachbar, die bequemste Gelegenheit, dem Uebertreter den wich tigsten Liebesdienst zu thun. Er kan ihn durch ei ne Ermahnung bessern, und ihn durch Geheimhal tung seiner Fehler auf das äusserste verbinden. (Liebesdien ste durch Un terredungen.) 4. Hieher gehören die liebenswürdigsten und nützlichsten Lebenspflichten, wenn man nämlich strei tige Freunde oder Nachbarn durch freye Unterre dungen mit beyden Theilen versöhnt. Wir kön nen ihnen die Vergleichsmittel im vortheilhafte sten Lichte zeigen, alle mögliche Kunstgriffe, sie zu besänftigen, anwenden, sie an vergangne freund schaftliche Gefälligkeiten, die sie einander erwiesen, erinnern, und ihnen alle grosse Bewegungsgründe anführen, die wir haben, uns unter einander zu vergeben, weil wir selbst so oft der Barmherzigkeit Gottes und der Nachsicht tugendhafter Leute be dürfen. 5. Zu dieser Materie, von dem Gebrauch der Sprache, gehört auch noch der alte moralische und logicalische Streit der Cyniker und der alten philo sophischen Secten, über die Unflätereyen. Die Cyniker sagen; „Es gäbe keine Geschöpfe Gottes
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beym Gebrauch der Sprache. 583(Zehnnter Abschnitt.) oder keine natürliche Handlungen, die nicht der Ge genstand einer Untersuchung oder eines Gesprächs unter tugendhaften Männern, werden könten, und also gäbe es keine Unflätereyen.“ Dies ist sehr leicht zu beantworten. Jn allen Sprachen führen gewisse Wörter, ausser ihrer ursprünglichen Bedeutung eines Dings oder einer Handlung, gewisse Begriffe von der Verfassung desjenigen, der da redet, mit, die ihnen nicht eigen sind. Andre Wörter, von einerley ur sprünglichen Bedeutung, können entgegen gesetzte Verfassungen anzeigen; und eine dritte Art von Wörtern können blos die Sache oder Handlung erzählen, ohne irgend eine Neigung desjenigen, der da redet, anzudeuten. Wir werden diesen Unterschied finden, wenn wir die Wörter, deren sich einer, der wirklich aufgebracht ist, bedient, seinen Zorn und seine Verachtung auszulassen, mit denenjenigen vergleichen, die mit jener einerley Bedeutung ha ben, aber von einem ruhigen Menschen gebraucht werden, eben die Sache zu erzählen. Wenig Dingen fehlt es an diesen drey ver schiedenen Arten von Namen, wovon eine blos da zu dient, sie anzuzeigen, die andre, unsre Freude darüber, oder unsern Geschmack daran, bekant zu machen, und die dritte, unsern Abscheu davor oder unsre Verachtung zu verstehen zu geben. Ehebruch, Blutschande, Hurerey, Geilheit, zeigen diese Laster, und den Abscheu desjenigen an, der davon rcdet<redet>. Andre Arten, sich von eben diesen Handlungen auszudrücken, können unsre wollüsti
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(Zweytes Buch.) 584 Von unsern Pflichten gen Neigungen, und daß wir sie billigen verrathen. Eine ernsthafte traurige Beschreibung einer Schlacht, oder einer unglücklich abgelaufenen Schwelgerey, hat ihre ehrwürdigen Worte, die zugleich Mitleiden oder Unwillen anzeigen. Ein burleskes Gedicht findet für eben diese Dinge andre Ausdrücke die Zeichen unsrer Gleichgültigkeit oder Vera chtung<Verachtung> sind. Ein Wundarzt bedient sich solcher Mittelworte, die keine von beyden Leidenschaften andeuten. Ein Anatomist, oder jeder bescheidener Mann, kann Worte finden, die alle Theile unsers Leibes, alle natürliche Handlungen oder Eigen schaften ausdrücken, ohne die geringste wollüstige Neigung oder einigen Geschmack an lasterhaften Vergnügungen zu erkennen zu geben. Andre Worte können eine ungemässigte Hitze nach solchen Vergnügungen anzeigen, sie können eine durch Lie derlichkeit in Unordnung gebrachte Seele, einen Mangel an natürlicher Bescheidenheit, eine Nach lässigkeit unsre viehischen Triebe durch einige Mäs sigkeit zu zwingen zu suchen, und ein Verlangen, andern eine solche ausschweifende Aufführung anzu preisen, entdecken. Dies sind die Unflätereyen im Umgange, die sich für ein vernünftiges Wesen nicht schicken, und mit unsrer angebohrnen Be scheidenheit und den Grundsätzen einer männlichen Tugend nicht bestehen können. Ungemässigte, sinnliche Belustigungen von andrer Art sind lasterhaft, und man kan eine ver ächtliche Seele an einer grossen Delicatesse darin
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beym Gebrauch der Sprache. 585(Zehnter Abschnitt.) nen, oder an einer eifrigen Bestrebung darnach er kennen. Ein Gespräch, das einen so niedrigen Geschmack zeigt, oder ihn gar anpreist, kan bis zur Schande lasterhaft seyn. Wie aber unser Trieb zur Liebe der stärkste ist, so hat uns auch die Na tur eine Schaam eingeprägt, die besonders fähig ist, ihn im Zaume zu halten. Und solche Gespräche, wovon das Unfläthige sich auf die Liebe bezieht, sind allemal verführerischer und verderblicher für andre, deren Geschmack nicht fein genug ist, um ihnen die sen eckelhaft zu machen, als niedrige Reden von al len andern Arten von Sinnlichkeiten.

Der eilfte Abschnitt, Von Eyden und Gelübden

Hier kommen auch die Eyde zu betrachten vor, weil sie natürliche Bestätigungen unsrer Ver sprechen, Zeugnisse oder Berichte sind. I. Wie nichts kräftiger seyn kan einen, der ei(Die Natur der Eyde.) ne gerechte Vorsicht glaubt, die das Gute belohnt und das Böse bestraft, zur Beobachtung der Wahr heit bey Aussagen, und zu treuer Haltung der Con tracte zu bewegen, als eine ausdrückliche öffentliche Anrufung GOttes zum Zeugen und Rächer der Falschheit: so sind solche Bestätigungen von allen Na tionen, bey Vorfällen von ungewöhnlicher Wichtig keit erfordert worden, und diese nennet man Eyde. Wenn wir sie mit Andacht leisten, so ist es ein Zeichen, daß wir die göttlichen Vollkommenheiten und eine Vorsehung erkennen. Wir machen die Gottheit dadurch nicht aufmerksamer, und geben ihr
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(Zweytes Buch.) 586 Von der Natur dadurch kein neues Recht zu strafen, sondern wir stellen unserm Gemüthe durch eine solche Anrufung die triftigsten Bewegungsgründe zur Wahrheit und Redlichkeit vor, und vergrössern, wenn wir nachher eine Falschheit oder eine Untreue begehen, unser Verbrechen unendlich. (Starke Verbin dungskraft, und gefährli che Misbräu che dersel ben.) Da alle moralischeEmpfindungen des Her zens, bey allen vernünftigen Geschöpfen, die ihren Schöpfer kennen, die tiefste Ehrfurcht, Bewun derung, Dankbarkeit und Liebe gegen ihn hervor bringen: so ist es von äusserster Wichtigkeit solche ehrfurchtsvolle Gesinnungen gegen GOtt, bey allen in einem hohen Grade zu erhalten zu suchen, um sie dadurch zu allem, was in der Gesellschaft nur gros und ehrenswerth seyn kan, zu ermuntern, und von dem Gegentheile abzuschreken. Alle Handlun gen, die darauf abzielen, diese demüthige Ehrfurcht vor der göttlichen Majestät zu verringern, müssen also ein grosses Verbrechen enthalten. Unter sol che Handlungen gehört unstreitig, wenn wir bey nichtswürdigen oder spashaften Vorfällen schwören, wenn wir ohne besondere Noth, sogar auch bey ernsthaften Gelegenheiten, welche oft vorkommen, darauf dringen, wenn wir sie oft von andern ver langen, wo wir doch ohne sie hinlängliche Sicher heit haben könnten, und wo Leute in eine starke Versuchung zum Meineyde gerathen können, weil sie vorhersehn, daß dieser vermuthlich ungestraft blciben<bleiben> wird; oder wenn wir sie andern auf eine so sorglose Art zuerkennen, daß es bey uns we der eine Neigung zur Gottesfurcht anzeigt, noch
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der Eyde und Gelübde. 587(Eilfter Abschnitt.) im Stande ist, Gott anständige Empfindungen, bey der Person, welche schwört, oder bey den Zu schauern hervorzubringen. Solche Handlungen müssen natürlicher Weise die Gottesfurcht einer ganzen Nation in allen ihren Theilen, und beson ders in demjenigen verringern, der die Empsin dung<Empfindung> von der Heiligkeit unsrer Verbindlichkeit bey einem Eyde betrift. Wie lächerlich ist es, wenn grosse Herren erwarten, daß sich Leute durch deu<den> Eyd der Treue, den sie ihnen leisten, für gebunden halten werden, wenn sie so wenig dafür sorgen, unter ihrem Volke eine allgemeine Ehrfurcht vor den Eyden zu erhalten? Ja, wenn sie sogar alle Tage ihren Unterthanen zu thörichten und unnöthi gen Eyden bringen, dadurch ihre Gewissen verder ben, uud<und> die wenigen Ueberbleibsel, die noch von Religion und Aufrichtigkeit in ihnen zurück geblie ben sind, selbst mehr und mehr vernichten. Es ist auch ein ungeheurer Misbrauch, sich der Ey de bey solchen Vorfällen zu bedienen, wo sie wenige oder gar keine Sicherheit verschaffen. Solche sind diejenigen, die man von uns verlangt, um dadurch uns zu erklären, daß wir gewisse lange Systeme, von streitigen und zuweilen unnützen Meinungen in Religionssachen annehmen, und ihnen anhangen wollen. Der grossen Gefahr nicht zu gedenken, die wir dabey lauffen, die Gewissen der Menschen zu verderben, so können auch solche Eyde, wenn jene bey weitrer Untersuchung Gründe finden, ihre Mei nung zu verändern, keine Sicherheit verschaffen; weil sie Bestätigungen von Versprechen sind, die
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(Zweytes Buch.) 588 Von der Natur es nunmehr unmöglich geworden ist, zu erfüllen. Sogar auch die Eyde der Treue, die grosse Herren sich leisten lassen, können keine andre Wirkung ha ben. Tugendhafte Leute werden ihren rechtmässigen Herren ohnedem getreu seyn, und Leute ohne Ge wissen, halten sich dadurch nicht für verbunden. Wann ein tugendhafter Mann nach Ablegung des Eydes der Treue Ursache findet, seine Meinung in Ansehung der Rechtmässigkeit des Prinzen, der im Besitze ist, zu ändern, so wird er schliessen, daß der Eyd ihn nicht verbinden kan, weil er dem Rechte eines andern entgegen gewesen ist. (Es giebt keine andere Schwüre als bey GOtt.) II. Da es eine närrische und gottlose Hand lung wäre, bey irgend einem Wesen zu schwören, das nicht göttliche Gewalt besässe, so sind die ge wöhnlichen Formeln von Schwüren, wenn sie ei nige Bedeutung haben, nichts anders als Schwüre bey Gott. Bey seinem Leben, seinem Haupte, oder einer Person, die uns theuer ist, schwören, heist soviel, als die göttliche Rache über diese Dinge anrufen, wenn wir die Unwahrheit sagen. Schwö ren wir bey der Sonne, dem Lichte, oder der Erde, so wünschen wir dadurch, daß uns aller Gebrauch derselben entzogen werden möge. Andere gleichbe deutende Schwüre fallen noch deutlicher in die Au gen. Bedienen wir uns solcher Formeln im Spasse, so handeln wir, wenn wir ihren Verstand nicht wissen, närrisch; wissen wir aber diesen, sehr gott los. Wir sollten uns ihrer im gemeinen Leben* gar 16
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der Eyde und Gelübde. 589(Eilfter Abschnitt.) nicht, ja überhaupt niemals, ohne die wahre Absicht bedienen, uns der Verbindlichkeit und den Folgen eines Eydes zu unterwerfen. Wie bey Contracten, so glaubt man auch bey(Von wem man glaubt daß er schwö re.) Eyden von demjenigen, daß er eingewilligt und ge schworen habe, der sich der Zeichen, wodurch solche Handlungen gemeiniglich angedeutet werden, bedient und zugleich erkläret hat, daß es in der Absicht ein zuwilligen oder zu schwören geschehen ist; ohne sich um das zu bekümmern, womit sich zu der Zeit sein Gemüth vielleicht heimlich beschäftiget haben mag. Ein solcher ist des Meineyds schuldig, wenn er ein falsches Zeugnis ablegt, oder ein dadurch bestätig tes Versprechen bricht. Die Menschen können nur durch Zeichen von dem, was in uns vorgeht, urtheilen. Der Eyd ist eigentlich eine von dem Be(Die Eyde sind eine be sondre Hand lung.) käntnisse, oder dem Versprechen verschiedne Hand lung, ob man gleich eine gramaticalische Beschrei bung machen könte, die sich mit Hülfe einiger Zu sätze für beyde schickte. Er ist eine Anrufung Got tes zum Zeugen und Rächer der Falschheit, bey ei nem vorhergegangenen Versprechen oder einer Aus sage. Er vermehrt oder verändert also die uns verbindende Sache nicht, sondern bekräftiget nur, was schon vorher fest gesetzt worden. Wir rufen die Rache über uns, im Falle, daß wir unsre Pflicht
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(Zweytes Buch.) 590 Von der Natur versäumen würden. Ein Contract also, der wegen des Betrugs einer Parthey, wegen eines Jrthums, über Stücke die ihm wesentlich sind, wegen des Mangels einer nothwendigen Bedingung ungültig ist, wird auch nicht bindend, wenn wir ihn gleich mit einem Eyde bestätiget haben, auch kan keine den Rechten nach billige Ausnahme dadurch ungül tig gemacht werden. Die Anrufung Gottes uns zu strafen, wenn wir unsre Pflichten versäumen, hat keine Wirkung, wenn wir nichts thun, das un srer Pflicht zuwider wäre. (Wie ferne sie uns ver binden kön nen.) III. Ein Eyd kan uns zu nichts verbindeu<verbinden>, das offenbar gottlos, dem vollkommenen Rechte eines andern zuwider, oder durch ein besonderes Ge setz, daß unsre moralische Gewalt über solche Dinge, Verträge zu schliessen, aufhebt, verboten ist. Kön ten uns Eyde in solchen Fällen verbinden, so wä ren sie die gefährlichsten Werkzeuge, uns allen Ver bindlichkeiten gegen GDtt<GOtt> und Menschen zu ent ziehn, und die Rechte andrer zu vernichten. Die Anrufung GOttes zum Zeugen oder Richter, kan ihn unmöglich bewegen, uns wegen Unterlassung einer Gottlosigkeit oder Ungerechtigkeit zu bestrafen. Aber in Handlungs - oder andern Sachen, die der menschlichen Klugheit überlassen sind, sind wir schon gebunden, wenn wir uns bey Contracten zu unserm Schaden übereilt, oder wider einige allge meine Gesetze verstossen haben; nochmehr aber, wenn die Unterhandlung durch einen Eyd bestätigt worden ist. Bey solchen Vorfällen findet der Grundsatz statt: daß ein rechtschaffener Mann
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der Eyde und Gelübde. 591(Eilfter Abschnitt.) das nicht ändert, was er zu seinem eigenen Schaden geschworen hat. Ein Eyd, der ein Versprechen enthält, hat keine Kraft, wenn derjenige, zu dessen Vortheile man es thut, es nicht annimmt, oder, wenn er nach geschehner Annehmung, sein Recht freywillig auf giebt, oder, wenn eine dritte Person, ohne deren Einwilligung wir kein Recht haben, über die vor habende Sache zu handeln, ihre Einwilligung nicht geben will. Wenn wir andre betrogen haben, und so verfahren sind, als wenn wir eine vollkomne moralische Gewalt darüber hätten; so sind wir ver bunden, wenigstens allen Schaden zu ersetzen. Wenn jemand mit Recht einen Eyd von uns(Wie der Verstand der Worte ge nommen werden mus.) verlangt, so müssen wir ihn entweder in dem Ver stande, worinnen er ihn verlangt, oder gar nicht schwören. Bey Eyden, welche Privatpersonen von uns verlangen, müssen wir allemal ihren Verstand wissen. Diejenigen aber, wozu uns das Gesetz zwingt, müssen wir in dem Verstande des Gesetzgebers schwören; keine obrigkeitliche Person, kein Gericht hat die Gewalt, sie zu erklären. Es ist ausserordentlich gefährlich, Leuten Eyde, die in zweydeutigen Worten abgefasst sind, oder solche vor zulegen, die nicht leicht von allen, die sie schwören sollen, verstanden werden können. IV. Ausser der gewöhnlichen Eintheilung der(Behaup tende und vetsprechen de<versprechende> Eyde.) Eyde inbehauptende und versprechende, giebt es noch andere Eintheilungen. Behauptende Ey de, welche von Zeugen bey Strafe verlangt wer
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(Zweytes Buch.) 592 Von der Natur den, nennt man nothwendig. Wenn eine der streitenden Partheyen die Sache dem Eyde der an dern Parthey überlässt, so heist es ein gerichtli cher Eyd. Geschicht eben dieses ohne Befehl des Richters, auf Bewilligung beyder Theile, so heist er freywillig. Wird er einer Parthey, die eines Verbrechens wegen angeklagt worden, die aber nach Beschwerung ihrer Unschuld freygespro chen werden soll, zuerkannt; so ist das ein Reini gungseyd. Wenn man den Eyd nur verlangt, damit die angeklagte Person ihr Verbrechen ent decken, oder wenn sie sich weigert zu schwören, für schuldig erkant werden soll, so wird er ersetzend genant, weil er einen unvollkommenen Beweis vollständig macht. Wo aber eines Menschen Le ben oder Ehre auf dem Spiele steht, da ist die Versuchung zum Meineyde für die wirklich Schul digen so gros, und zum gemeinen Besten ist es so we nig nothwendig, einen Mann, der so redlich ist, daß selbst er sein Leben nicht durch einen falschen Eyd retten will, wegen eines Verbrechens, das er vielleicht in einer vorüberrauschenden heftigen Lei denschaft begangen, zu bestrafen: daß die menschen freundlichen Gesetze gewisser Staaten mit Rechte alle reinigende, oder ersetzende Eyde bey Kriminal sachen verbannt haben. Weil die Gottlosen nicht dadurch entdecket werden, und nur solche dadurch leiden können, die noch eine ziemlich starke Em pfindung von Gottesfurcht haben. Es ist un streitig besser, wenn man ein rechtmäßiges Zeug nis, oder die Zusammennehmung aller Umstände,
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der Eyde und Gelübte. 593(Eilfter Abschnitt.) zu den einzigen Mitteln macht, einen Menschen zu überzeugen. Es wäre zu wünschen, daß wir auch in Sa chen, die das Eigenthum betreffen, nicht nöthig hät ten, Leute in ihrer eignen Sache schwören zu las sen. Beym bürgerlichen Verfahren verlangt die Obrigkeit die Eyde nicht, wegen irgend eines öf fentlichen Rechts des Staats, sondern als die ein zigen Mittel den Streit der Partheyen gerecht zu entscheiden. Die Versuchung zum Meineyde ist bey solchen nicht so gros, als bey Halssachen. Er kan auch leichter entdecket werden. V. Ein Gelübde ist ein Eyd, wodurch die(Die Natur der Gelübde.) Menschen ihren Nebenmenschen nicht die Uebertra gung eines Eigenthums, oder einen Contract bestä tigen, sondern es ist „ein Versprechen, das man GOtt thut, wodurch man sich zu gewissen Handlungen verbindet, und zugleich eiue<eine> Anruf fung GOttes uns zu bestrafen, wenn wir sie ver säumen.“ Durch Gelübde können wir keinem Menschen ein Recht mittheilen, sondern wir ver binden uns dadurch blos gegen GOtt. Wenn Leute etwas das wirklich weise und(Jhr Nu tzen.) vernünftig ist, das Gottesfurcht und christliche Liebe anzeigt, geloben: so wird die Unterlassung desselben nach einem Gelübde strafbarer, und also können sie dadnrch tiefere Eindrücke von ihrer Ver bindlichkeit das was rechtschaffen und edel ist zu thun, und einen standhaftern Abscheu vor allem Bösen, und aller Verabsäumung ihrer Pflichten in
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(Zweytes Buch.) 594 Von der Natur sich erwecken. Denn der eigentliche Nutzen der Ge lübde ist der, daß sie gute nnd<und> edle Entschlüsse durch feyerliche Angelobung in Gegenwart GOttes in uns befestigen. (Wie weit sie bindend sind.) 1) Fürs erste können wir zu allem, wozu wir uns durch Contracte nicht verbinden können, auch nicht durch Gelübde verbunden werden: als zu gottlosen Handlungen, zu solchen, die dem vollkom nen Rechte eines andern zuwider, oder einem beson dern Gesetze entgegen sind, das uns der moralischen Gewalt über solche Dinge beraubt. 2) Hernach können Contracte uns auch stär ker verbinden als Gelübde. Wenn wir in Hand lungssachen, wider die allgemeinen Gesetze, die uns eine vorsichtige Verwaltung unsrer Güter, zum Besten unsrer Familie und Freunde anbefehlen, unbesonnene Contracte schliessen: so verbindet uns die Absicht auf ein entferntes Gut, und die Noth wendigkeit, Treue und Glauben beym Handel zu er halten, und verdrieslicheu<verdrieslichen> Klagen und unendlichen Betrügereyen zuvor zukommen, alles zu halten, wo zu wir uns verstanden haben. Thut aber jemand GOtt ein unvernünftiges Gelübde, so sind wir versichert, daß er es nicht annimt, oder auf die Aus führung desselben dringt. Es finden sich auch hier keine solche Ursachen, die uns dazu verbinden kon ten, wie die Nothwendigkeit den Handel zu erhalten eine ist. Thäte also der Vater einer zahlreichen Fa milie in einer Gefahr das Gelübde, die Hälfte sei nes Vermögens den Armen, oder gewissen Orden, die wir fromm und heilig nennen, zu geben, oder
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der Eyde und Gelübde. 595(Eilfter Abschnitt.) gewisse Gebäude aufzuführen und zu schmücken, oder sich selbst gewissen unnützen Casteyungen zu unterwerfen: so ist er, wenn alle Arme durch andre Mittel hinlänglich versorgt sind, oder es durch ei nen geringern Theil seines Vermögens werden kön nen, wenn es allen nützlichen Ständen unter den Menschen nicht an hinlänglichem Unterhalte fehlt, wenn hinreichende Gebäude und Werkzeuge zu allen gottesdienstlichen Verrichtungen vorhanden sind, und wenn die angelobten Kasteyungen nichts zu Verbesserung seiner Tugend beytragen können, unter keiner Verbindlichkeit. Weil man von GOtt nicht glauben kan, daß er solche Gelübde annimt, und weil keinem Menschen dadurch irgend ein Recht verschaft worden ist. Es ist gottlos, sich GOtt so vorzustellen, als(Thörichte oder gott lose Gelüb de können nicht verbin den.) wenn er gleich den ärgsten unsrer Nebenmenschen auf alle Vortheile lauerte, die er durch Furcht und Schwachheit von den Menschen erhalten könte, und als wenn er auf die Erfüllung jedes übereilten Versprechens dränge; oder von ihm zu glauben, daß er, gleich einem listigen Agenten, für eine ge wisse Parthey, zum Schaden aller seiner übrigen vernünftigen Creaturen, allerhand Gewinn zu er schleichen suchte, der doch auch zum Verderben selbst solcher Stände gereichen, und sie durch Ueppigkeit und müssigen Ueberflus lasterhaft machen mus. Noch weniger können wir uns einbilden, daß er sich nach prächtigen Gebäuden und kostbaren Geschir ren, die das Verderben seiner lebendigen Tempel verursachen, sehnen werde. Alle solche thörichten
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(Zweytes Buch.) 596 Von der Natur Gelübden, die von unsern Vorurtheilen, von der ein gebildeten Heiligkeit gewisser Stände, von der Einfalt, daß wir gute Werke zu thun glauben, wenn wir diese durch Unterdruckung und Sclaverey der andern be reichern, oder der Absicht die Religion durch solche Mittel, die dazu nicht tauglich sind, zu befördern, herrühren, sind nichtig; und sobald wir zu vernünf tigern Begriffen gelangen. können wir uns von ih rer Verbindlichkeit für befreyet halten. Was wir, so lange wir über der wahren Beschaffenheit solcher Dinge irrig gewesen sind, aus Aberglauben weggeschenkt haben, können wir mit Rechte wieder zurückfordern, eben wie bey andern Contracten, wo wir uns in wesentlichen Stücken geirrt haben. Wir haben allemal eine gerechte Einwendung, we gen des Betrugs, der von denjenigen, die solche aus Aberglauben geschenkte Dinge in Besitz nehmen, angewendet worden ist. Noch natürlicher ist es, daß Gelübde, die von Bosheit, Neid, oder irgend einer lasterhaften, ge waltsamen Leidenschaft, die den Pflichten der Menschlichkeit zuwider ist, herrühren, wie zum Exem pel solche, da wir unternehmen „niemals zu verge ben, uns nicht versöhnen zu lassen, oder gar nicht mit denen, die uns beleidigt haben, zu reden,“ kei ne verbindende Kraft haben können, sondern GOtt beleidigen, und von allen rechtschafnen Leuten ver abscheut werden müssen. Es ist unsre Pflicht, un sre Bosheit oder Verstockung zu bereuen, und nicht durch Haltung des gottlosen Gelübdes darinnen zu beharren. Die Gelübde bringen also keine neue
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der Eyde und Gelübde. 397(Eilfter Abschnitt.) Verbindlichkeit hervor, und können dasjenige, was vor Leistung des Gelübdes nicht gerecht, weise oder uns anständig war, nicht zu unsrer Pflicht machen; sondern gleich den Eyden, verschaffen sie uns nur ei ne lebhaftere Empfindung von unserer Verbindlich keit zu dem, was schon vorher unsre Schuldigkeit ge wesen ist. Die Uebertretung eines gerechten Ge lübdes, oder eines Contracts, den man durch An rufung des göttlichen Namens bestätigt hat, mus also nothwendig die erschrecklichste Gottlosigkeit an zeigen, und im höchsten Grade schändlich seyn.

Der zwölfte Abschnitt, Vom Werthe der Güter im Handel, und der Natur des Geldes.

I.Jm Handel mus es sich oft zutragen, daß(Bey allem Handel ist ein Preis der Güter noth wendig.) einer, solcher von meinen Gütern bedarf, die von grossem Nutzen und langer Dauer im menschlichen Leben sind, und eine lang anhaltende Arbeit, sie zu erlangen oder auszuarbeiten erfordert haben; da er doch keine von den Gütern, welche ich nöthig habe, oder nicht in gehöriger Menge, besizt. Oder es können die von seinen Gütern, deren ich be darf, von solcher Art seyn, daß sie nur einen gerin gen Nutzen schaffen, oder durch wenig Arbeit zu er langen sind. Jn solchen Fällen ist es nicht wahr scheinlich, daß ich mit ihm tauschen werde. Jch mus andre aufsuchen, die die Güter besitzen, deren ich bedarf, und zwar in einer Menge, die ihren Werth bis zu dem Werthe meiner Güter erhöht, und eben so viele Arbeit erfordert hat; und als
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(Zweytes Buch.) 398 Vom Werthe der Güter denn müssen die Güter auf beyden Seiten geschätzt werden. (Natürliche Ursachen des Werthes.) Der natürliche Grund des Werthes oder des Preises entsteht durch jede Art von Nutzen, den gewisse Güter im menschlichen Leben verschaf fen, ohne diesen findet keine Schätzung statt. Aber die Preise im Handel richten sich ganz und gar nicht nach dem wahren Nutzen oder der Unentbehr lichkeit der Güter, um unser Leben, und das ihm von der Natur bestimmte Vergnügen zu erhalten. Die Weisheit und Gütigkeit der Vorsehung hat uns ei nen so grossen Ueberflus solcher unentbehrlichen Güter verschaft, daß sie lange nicht so kostbar sind, als viele andre Dinge, die von weisen Leuten für ziemlich unnütze gehalten werden. Wenn wir aber einige Fähigkeit den Menschen zu nutzen darinne voraussetzen, so werden wir finden, daß die Höhe des Werths der Güter auf zween Stück ankomt, nämlich auf die häufige Nachfrage, die durch einen Nutzen, dessen viele bedürfen, entsteht, und auf die Schwierigkeit, sie zu erlangen, und zum menschlichen Gebrauche zuzubereiten. Wenn ge wisse Güter in diesen Absichten gleich sind, so sind die Menschen bereit, sie unter einander zu vertau schen; und es kan keine Kunst oder Policey den Werth der Güter von etwas andern abhängen machen. Wo keine Nachfrage ist, da ist kein Werth, die Schwierigkeit zu erlangen mag auch noch so gros seyn. Und wo keine Schwierigkeit zur Erlan gung oder Zubereitung statt findet, da kan die häu figste Nachfrage keinen Preis hervorbringen; wie wir am frischen Wasser in unsern Himmelsstrichen
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und des Geldes. 599(Zwölfter Abschnitt.) sehn. Jst die Nachfrage nach zweyerley Arten von Gütern gleich, so richtet sich der Preis nach der Schwierigkeit, und wo die Schwierigkeit gleich ist, nach der Nachfrage, Durch den Nutzen, der eine Nachfrage her vorbringt, verstehen wir nicht allein, eine Unent behrlichkeit zu unserm Unterhalte oder natürlichem Vergnügen, sondern eine jede Fähigkeit uns, durch eine herrschende Gewohnheit oder Phantasie, Ver gnügen zu verschaffen. Wie z. E. bey Dingen, deren man sich in den höhern Ständen zum Schmucke oder zur Unterscheidung bedient, denn dieser Nutzen wird eben so gut als ein natürlicher eine Nach frage verursachen. So verstehn wir auch durch die Schwierigkeit ein Gut zu erlangen, nicht allein eine grosse Arbeit oder Bemühung, sondern alle andern Umstände, die einen grossen Ueberflus der verlangten Güter oder Arbeiten verhindern. So wird der Preis einer Sache erhöht, wenn die dazu gehörigen Materialien selten in der Natur ange troffen werden. Er steigt durch Zufälle, die eine reiche Erndte von gewissen Früchten der Erde ver hindern, und durch die grosse Fähigkeit und den fei nen Geschmack, der bey den Künstlern erfordert wird, gewisse Werke der Kunst zu vollenden; weil Leute von einem solchen Genie selten angetroffen werden. Auch wird der Werth durch die Höhe des Standes gesteigert, worinne, nach gewissen Ge wohnheiten der Länder, diejenigen leben müssen, die uns mit gewissen Gütern, oder Werken der Kunst versorgen. Weil das Ansehn oder die Kosten, die
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(Zweytes Buch.) 600 Vom Werthe der Güter ihr Stand erfordert, vermittelst eines höhern An schlags ihrer Güter, oder ihrer Dienste bestritten werden. Andre besondre Ursachen* können den Werth gewisser Dinge für gewisse Personen ausser ordentlich erhöhen, ohne daß er für andre schätzbarer wird; aber die oben angeführten sind die wichtig sten, die bey Handlungssachen vorkommen. (Von einem allgemeinen Maasse.) II. Um den Werth der Güter auf eine zum Handel geschickte Art zu bestimmen, müssen sie auf beyden Seiten auf ein gewisses Maas gebracht wer den, „das nämlich dem Werthe von gewisser Tage Arbeit, von gewissen Mengen von Getraide, von einer gewissen Anzahl Vieh einer Art, von einem gewissen Maasse dieser oder jener Erdfrucht, oder von einer gewissen Schwere jedes Metalls gleich ist,“ zu einem solchen Maasse oder zur allgemei nen Richtschnur, würde man unfehlbar eine Mate rie erwählen, deren Nutzen allgemein wäre, und die jeder zu haben wünschte: und aus eben dieser Ursa che würden verschiedene Nationen nach ihrer Klug heit oder nach ihren Umständen verschiedene Dinge dazu für geschickt halten. (Nothwen dige Eigen schaften.) Die Eigenschaften, die das vollkommenste Maas oder die bequemste Richtschnur haben mus, sind diese. Sie mus in einer Sache bestehn, nach welcher ein allgemeines Verlangen ist, so daß sich jederman willig bezeigt, sie beym Tausche anzuneh men. Alle Güter werden, wenn man sie zu dem allgemeinen Maasse macht, eben dadurch von selbst 17
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und des Geldes. 601(Zwölfter Abschnitt.) diese Eigenschaft erhalten. Man mus sie bequem bey sich führen können. Dies findet sich am leich testen bey Dingen, die selten sind, so daß ein klei ner Vorrath davon, von grossem Werthe ist. Sie mus ohne Verlust theilbar, um sie dem Werthe von aller Art Gütern gleich machen zu können, und dauerhaft seyn; nicht leicht abgetragen zu werden kön nen, oder ihrer Natur nach einem geschwinden Unter gange nicht unterworfen seyn. Verschiedene von die sen unentbehrlichen Eigenschaften einer Sache, die zur allgemeinen Richtschnur dienen soll, zeigen wie wenig die meisten von unsern gewöhnlichsten Gütern da zu geschickt sind. Ein Mensch, der nur eines klei nen Theils von meinem Korne bedarf, wird mir dafür seinen Stier nicht geben, und doch läßt sich dieser nicht theilen. Jch brauche vielleicht ein Paar Schue, aber mein Ochse ist von weit grösserm Wer the, und der andere kan ihn oft nicht gebrauchen. Wenn ich in entfernte Länder zu reisen verbunden bin, so kan ich mein Getraide, um davon zu leben, ohne unerschwingliche Kosten nicht mit mir führen, und mein Wein kan auf dem Wege verderben. Es ist also sehr natürlich, daß die Menschen, nachdem sie die Nutzbarkeit der seltnern Metalle, des Gol des und des Silbers zu allerhand Auszierungen und Geräthen entdeckt, und eine häufige Nachfra ge darnach wahrgenommen hatten, darauf fallen musten, daß sie in allen oben angeführten Betrach tungen auch die bequemste Materie zu einem allge meinen Maasse im Handel und Wandel wären. Sie sind selten, und eine geringe Menge davon, die man leicht bey sich führen kan, ist also dem Werthe
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(Zweytes Buch.) 602 Vom Werthe der Güter grosser Mengen von andern Gütern gleich. Sie sind aller Arten von Theilungen ohne Verlust fähig, sie sind weder sehr vergänglich noch leicht abzunu tzen; und sind also bey allen eivilisirten<civilisirten>Nationen zur Richtschnur angenommen worden. (Gebrauch der Metallen nach dem Ge wichte.) Man hat sich erst der rohen ungeprägten Metalle, der Menge oder dem Gewichte nach, zur Richtschnur bedient. Dies sehn wir aus der ver gangenen Geschichte, und aus den Arten, sich aus zudrucken,* die den alten Sprachen eigen sind. Diese Art aber war von zu vielen Unbequemlichkei ten begleitet; so wohl wegen der Schwierigkeit richtige Eintheilung zu machen, als wegen der Un gewisheit in Beurtheilung der Reinigkeit des Me talls. Um beyden zuvor zukommen, hat man die geprägten Münzen eingeführt, da man nach den be quemsten Eintheilungen Stücke von bekanten ver schiedenen Grössen schlägt. Der Gehalt jedes Stücks an reinem Metalle ist bekant, und die beson dere Kunst der Gepräge sezt uns in Sicherheit, daß sie auf keine unmerkliche Art beschnitten, oder durch Abfeilen verringert werden können. Das Geprä ge zeigt uns die öffentliche Bürgschaft eines ganzen Staats für das Gewicht und den Gehalt an, so, daß wir nicht nöthig haben, sie zu probiren, zu wiegen oder zu theilen. (Nutzen der Müntzen.) Dies ist der einzige Endzweck der Münzen. Kein Stempel kan den Werth des Metalls um ein merkliches erhöhen, da die Arbeit, gegen die Kost 18
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und des Geldes. 603(Zwölfter Abschnitt.) barkeit der Materie nicht viel bedeutet. Aber er ist bequem, zu einer zuverlässigen Anzeige des Werths zu dienen, wenn eine weise und rechtmässige Auto rität ihn darauf prägen lässt. Handelnde Natio nen können den Werth ihrer Münzen, in so fern er sich auf andre Güter bezieht, nicht über den in nerlichen Werth an Metall erhöhen, oder ihn tiefer heruntersetzen. Das Geld wird im Handel alle mal eben so, als andre Güter geschätzt, und sein Werth richtet sich nach der Seltenheit des Metals, denn an der Nachfrage fehlt es niemals. Ein Gesetz kan nur die eingeführte Benennung der Stücke und Unzen verändern, und also wirklich in nerhalb des Staats, die rechtmässigen Schulden, die nach den vorigen Benennungen gemacht worden sind, verringern oder vermehren, aber der Handel überhaupt, richtet sich allemal nach dem natürlichen Werthe. Wenn ein Staat alle Bergwerke auf der Welt in seiner Gewalt hätte, so könte er den Werth der Metalle oder des Geldes in Absicht auf andre Güter wirklich erhöhen, wenn er nur einen kleinen davon durch den Handel in der Welt ausbreitete; oder ihn durch Allgemeinmachung einer grössern Menge erniedrigen. Wir beklagen uns gemeinig lich, daß der Preis der Arbeiten und der Güter, durch den grossen Ueberflus dieser Metallen gestie gen sey, und glauben, daß beyde bey grösserer Sel tenheit derselben wohlfeiler zu haben gewesen, weil wir den Werth der Metalle für unveränderlich hal ten, da die eingeführten Benennungen der Stücke, der Pfunde, Schillinge, und Pfennige, allemal ei nerley bleiben, bis ein ausdrückliches Gesetz sie ver
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(Zweytes Buch.) 604 Vom Werthe der Güter ändert. Aber einen Tag lang zu graben, oder zu pflügen, war einem Menschen vor tausend Jahren eben so beschwerlich als heut zu Tage, ob er gleich nicht soviel Silber dafür erhielt, und ein Scheffel Weitzen, oder ein Ochse, waren damals eben so be quem den menschlichen Körper zu nähren als izt, da wir sie gegen vier mal so viel Silber eintauschen. Eigentlich bleibt der Wehrt der Arbeit, des Ge traides, des Viehes fast beständig einerley, weil sie immer gleich nützlich sind; wenn nicht neu erfunde ne Arten den Acker zu bauen oder Weiden anzule gen, einen grössern Ueberflus davon hervorbrin gen. Es ist vielmehr das Metal das die grosse Veränderung in Ansehung seines Wehrts erlitten hat, denn seitdem man dasselbe in grösserer Menge gefunden, hat sich auch der Wehrt der Münzen, ob sie gleich beständig ihre alten Namen behalten ver ändert. (Der Wehrt des Geldes ist nicht gleichgültig.) IV. Die Regierer eines Staats der nicht alles Gold und Silber allein besizt, können die Namen ihrer Münzen verändern, oder ihre Unterthanen betrü gen, und in den Stand setzen sich unter einander zu betrügen; aber im Handel wird das Geld alle mal den natürlichen Wehrt seines innerlichen Ge halts an Metall behalten. Die Würkungen einer be trächtlichen Veränderung in den eingeführten Benen nungen der Münzen zeigen sich gleich sehr deutlich. Bey geringern sind sie nicht so merklich. (Er richtet sich nach der Menge des Metalls.) Wenn man die Namen unsrer Cronen ver doppelte so das man eine Unze Silber zehn Schil linge nennte: so würden die Preise aller Güter dem
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und des Geldes. 605(Zwölfter Abschnitt.) Namen nach in einem eben solchen Verhältnisse stei gen. Wir würden den Scheffel Weitzen nicht mehr für zehn Schillinge wie itzt in wohlfeilen Jahren erhalten: sondern würden so wie itzt zwo Unzen Silber dafür bezahlen müssen ob man diese gleich zwanzig Schillinge nennte. Gesetzt auch die Leute wären so einfältig, daß sie sich mit den vorigen Namen und der Helfte Silber betrügen liessen, so ist doch die Kunst mit allen Stempeln zu prägen et was so leichtes, daß jede Nation unsre Cronen nachmachen und also für einerley Summe noch ein mal so viel von unsern Gütern als vorher erhalten konnte. Unser eigner Kaufmann erhielte von dem Landmann oder Künstler das was vorher zwo Un zen Silber gekostet hatte für eine, und auf fremden Markten würde er dennoch eben so viel Unzen als vorher bekommen. Er würde also seine Kosten noch über seinen vorigen Gewinn doppelt wieder erhalten. Dieser ausserordentliche Gewinn würde so viele anlocken, und eine solche Nachfrage verur sachen, daß die Preise unsre Güter, von selbst nach und nach wieder bis zu eben der Menge Gold oder Silber steigen würden, worauf sie vorher gewesen, obgleich diese der Benennung nach, noch einmal so viel als vorher gölte; und dann hätte dieser unge heure Gewinst ein Ende. Vorher wurde unser Land auf allen an Fremde verkauften Gütern die Häl fte verlieren, und endlich würden auch Leute von Vermögen und die Handwerker diesen Verlust em pfinden. Was fremde Güter betrift, so ist es klar das ihre natürlichen Preise sogleich bey Veränderung der
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(Zweytes Buch.) 606 Vom Werthe der Güter Benennung unsers Geldes steigen müssen. Die Aus länder die sich an unsre Gesetze oder an die durch die selben festgesezten BenennugenBenennungen unsrer Münzen nicht kehren, müssen für ihre Güter eben so viel Stücke oder Unzen als vorher bekommen, und unsre Kauf leute die sie wieder verkauffen müssen eben die Un zen oder Stücke wider erhalten, ob gleich der Be nennung nach ihr Wehrt verdoppelt ist. Bey einer Erniedrigung in der Benennung der Münzen müssen alle namentlichen Preise der Güter fallen. Der Kaufmann kan unserm Ackers oder Handwerksmann für keine seiner Güter mehr Unzen oder Stücke als vorher bezahlen, weil er auf keinem fremden Markte mehr bekomt. Und doch haben diese eine geringere Benennung. Ausländi sche Güter werden in der Fremde für eben so viel Unzen als vorher eingekauft und unser Kaufmann kan sie also bey uns für eben eine solche Anzahl Un zen ob sie gleich einen geringern Namen haben, mit eben solchen Gewinne als vorher wieder verkauffen. Wenn sich ein Kaufmann weigert es zu thun, so wird ein andrer willig dazu seyn, weil alle es ohne Schaden thun können, oder wenn sich alle weigern so werden die Fremden selbst ihre Güter in unser Land schicken und sie für die vorige Anzahl Unzen, ob sie gleich izt eine geringere Benennung führt, verkauffen. Jn Ansehung des Geldes ist es ein Haupt grundsatz, „das man seinen Wehrt im Handel durch keine Namen verändern kan.“ Niemand wird glauben das ein Pfund Sterling mehr wehrt ist, wenn man es zwanzig Pfund benennt.
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und des Geldes. 607(Zwölfter Abschnitt.) Die Veränderung der eingeführten Namen der(Die Wür kungen einer durch Gesetze angeordne ten Verände rung.) Münzen mus für die Unterthanen eines Staats un endliche Uebel verursachen, weil der wahre Wehrt der Güter einerley bleibt. Die Erniedrigung des Geldes thut allen denen Schaden, die schuldig sind; sie müssen mehr Unzen Gold oder Silber bezahlen als sie erhalten, oder zu deren Bezahlung sie sich anheischig gemacht haben, und dennoch erhalten sie beym Verkauf irgend welcher von ihren Gütern nicht mehr Unzen als vorher. Alle Steuern, Scha zungen, Renten, Besoldungen, die nach der ge setzmässigen Benennung bezahlt werden, steigen da durch. Die Gläubiger erhalten für ihre Forderun gen mehr Unzen, und können doch für jede Unze eben so viel Güter die zum Unterhalt oder Vergnü gen des Lebens gehören, als vor der Veränderung bekommen. So viel also, als die Schuldner ver lieren, so viel gewinnen unrechtmässiger Weise die Gläubiger. Die Vermehrung in den Benennungen hat eben die ungerechten Wirkungen auf der andern Seite. Schulden, Steuern, Renten, Besoldun gen die nach solchen eingeführten Benennungen ge rechnet werden, können alsdenn mit einer gerin gern Anzahl von Stücken oder Unzen bezahlt wer den; und dennoch erhält der Schuldner beym Ver kauf seiner Güter so viel Unzen als vorher, und der Gläubiger kan für eine Unze nicht mehr zum Leben nothwendige Güter als vorher erhalten. Dies ist der Schaden, den er durch eine solche Veränderung in den Benennungen des Geldes leidet.
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(Zweytes Buch.) 608 Vom Werthe der Güter Wenn man verschiedenen Arten von gangba rer Münze einen Wehrt beylegt der gegen die an dern kein Verhältnis hat; so müssen böse Wirkun gen dadurch in einem Lande entstehen. Die Art die zu Hause zu geringe geschäzt wird, wird ausgeführt, und die zu hoch angeschlagene hingegen eingeführt werden, weil die erste auf fremden Markten wo man nur auf die Unzen des Metals sieht, die lezte hingegen zu Hause am besten zu gebrauchen seyn wird. Alles was die Ausländer, die solche Geldsor ten von uns einwechseln, gewinnen, ist Verlust für unser Land; was wir aber selbst daran ausführen, schadet ihm nur, in so fern wir schlechtere Sorten dafür zurückbringen. Eine solche Ungleichheit ent steht oft, wenn auch der Wehrt zur Zeit der Prä gung richtig bestimt gewesen ist, wenn entweder die Minen eines Metals zu überflüßig gegen das andre werden, oder ein gewisses Metall durch häufige Aus führung, oder mancherley Anwendung zu Aus schmückungen und Zierrathen selten wird. (Wie er sich nach dem Ue berflusse oder Mangel der Metalle ver ändert.) Wenn beyde Metalle durch sehr ergiebige Bergwerke gemein werden, so wird beyder Wehrt dadurch ganz natürlich verringert, wenn gleich keine Veränderung in der Benennnng<Benennung> dasselbe anzeigt. Und so ist der Wehrt des Goldes und des Silbers in dem lezten zween Jahrhunderten über die Hälfte gefallen, ob wir gleich gemeiniglich sagen, daß die Preise der Güter gestiegen sind. Würden die Berg werke ganz und gar erschöpft, und die Menge dieser Metalle durch vielerley Anwendung zu Geschirren, Schmuck, und Ausputzung der Häuser und Zim
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und des Geldes. 609(Zwölfter Abschnitt.) mer, verringert: so würde ihr Wehrt wieder stei gen, oder wir würden vielmehr sagen, daß der Wehrt der Güter fiele. Das allgemeine Maas ver ändert sich immer auf eine unmerkliche Art, und wenn wir also eiue<eine> gewisse Besoldung sest<fest> setzen wollten, die allemal eben die Bedürfnisse des Lebens zu ver schaffen im Stande seyn, oder diejenigen denen sie gehörte geschickt machen sollte, sich allemal nach einerley Rang aufführen zu können: so dürfte man sie weder nach den zu einer Zeit eingeführten gesetz mässigen Benennungen, noch nach einer gewissen Anzahl Unzen an Gold oder Silber bestimmen. Ein Befehl des Staats kan die gesetzmässigen Benen nungen verändern, und der Wehrt der Unzen kan nach der Menge der Metalle ab oder zu nehmen. Auch könte man jemanden eine solche Besoldung nicht in gewissen Mengen von allerhand künstlichen Arbeiten aussetzen, weil feine Erfindungen welche die Arbeit erleichtern, den Wehrt solcher Güter sehr er niedrigen können. Die unveränderlichste Besol dung wäre, gewisser Tage Menschen Arbeit, oder eine gewisse Menge von Gütern, die durch blosse ungekünstelte Arbeit hervorgebracht werden, oder zum menschlichen Leben unentbehrlich sind. Ge wisse Mengen von Getrayde kommen einem solchen durchgehends gleichem Maasse am nächsten. Um im Handel den Preis einer Sache fest zu(Wovon die Preise der Güter ab hangen.) setzen, müssen wir nicht allein überschlagen, was sie an sich selbst, an Fracht, Abgaben, und allerhand andern Ausgaben kostet, und wie viel das Jnteresse des Geldes das zum Handel angewendet wird be
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(Zweytes Buch.) 610 Vom Werthe der Güter trägt; sondern auch die Sorge, die Arbeit die sie verursachen, und was Rechnung und Briefwechsel darüber betragen. Zuweilen müssen wir auch darauf sehn in welchem Stande die Person die sich damit beschäftigt der eingeführten Gewohnheit nach zu le ben verbunden ist. Die Kosten die ihr nothwen diger Aufwand erfordert, müssen mit auf den Preis ihrer Bemühung geschlagen werden, welche so gut als eine andre ihre Belohnung verdienet. Diese Schä tzung der Bemühung ist der gerechte Grund des gewöhnlichen Gewinns der Kaufleute und sie werden dadurch vollkommen berechtigt beym Verkauffe einen höhern Preis zu verlangen, als die Zusammenrech nung aller Kosten die die Güter verursacht haben, aus machen würde. Denn es ist eben so natürlich das ihr Wehrt durch die Bemühung der Kaufleute stei gen mus, als daß die Früchte der Erde oder die Werke der Kunst durch die Arbeit derjenigen, die sich damit beschäftigen, kostbarer werden. (Zufälliger Gewinn im Handel.) Da oft durch den Untergang einiger Güter oder durch den Schaden den sie leiden für den Kauf mann ein zufälliger Verlust entsteht, so ist es billig daß dieser durch eine noch grössere Erhöhung des Preises derjenigen die von eben der Art noch übrig sind, ersezt wird. Weil sie auch oft verlieren, wenn der Preis der Güter die sie schon in Händen haben, fällt: so kan man den zufälligen Gewinn nicht für unbillig halten der dadurch entsteht, wenn sol che Güter, durch allerhand Zufälle, die sie selten machen, plötzlich steigen. Leute die in solchen Zu fällen sehr glücklich sind können ohne einigen Be
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und des Geldes. 611(Zwölfter Abschnitt.) trug sehr reich werden. Der unveränderliche Ge winn ist die rechtmässige Belohnung ihrer Arbeit. Wenn also beym Kauffe oder Verkauffe der Preis desjenigen was man gibt oder empfängt auf beyden Seiten allemal gleich erhalten wird, so ist doch dem Handel ein unfehlbarer Gewinn allemal natürlich, nämlich der Ueberschus womit die Arbeit oder die Sorgfalt des Handelsmanns den Wehrt der Güter vermehrt, und der zufällige Gewinn dadurch das Steigen der Waaren im Preise entsteht.

Der dreyzehnte Abschnitt, Die wichtigsten Contracte die in einem gesell schaftlichen Leben vorkommen.

Die Contracte sind entweder vortheilhafte wo einer Seite eine freywillige Gefälligkeit er wiesen wird, oder beschwerende wo beyde Theile sich zu gleichen Verbindlichkeiten erklären. Von den erstern gibt es drey Arten das Mandat, das Commodat und das Depositum*. Das Mandat ist wenn „jemand dem andern,(Vom Man date.) verspricht seine Angelegenheiten ohne Belohnung zu besorgen“ hierzu kan er so wohl ausdrückliche Verhaltungsbefehle als auch keine bekommen. Jm ersten Falle ist er, wenn er davon abgeht, verbunden, allen Schaden zu ersetzen der dadurch entsteht; er müste denn so scheinbare Ursachen dazu gehabt haben, daß sie einen der noch so eifrig für das Beste seines 19
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(Zweytes Buch.) 612 Von den gemeinen Contracten. Freundes sorgt, hätten betriegen können. Jm an dern Falle erfordert seine Pflicht nichts mehr, als so viel Fleis und Mühe anzuwenden, als jeder wei se Mann für nöthig halten würde, wenn die Sache seine eigne wäre, und allen Schaden der durch Ver nachlässigung dieser Sorgfalt entsteht zu ersetzen. Man kan von einem Freunde nicht vermuthen, daß es seine Absicht gewesen, sich zu etwas mehr zu ver binden; er müste sich denn ausdrücklich zur äusser sten Vorsicht und Sorgfalt anheischig gemacht ha ben, oder die Natur der Sache müste es unum gänglich erfordern. Jn einem solchen Falle ist er frey lich verbunden für die geringste Nachlässigkeit, oder den geringsten Fehler, zu stehn, wenn dieser nicht von einer solchen Natur ist, daß der weiseste Mensch ihn nicht hätte vermeiden können. Wir müssen dem wohlthuenden Theile keine grössern Lasten auflegen, als wozu er sich erboten hat; oder freundschaftliche Dienste für die, von denen sie uns geleistet werden, ohne die klärsten Ursachen nicht gefährlich machen. Hingegen sollte auch auf der andern Seite niemand die Angelegenheiten eines Freundes übernehmen, ohne den festen Vorsatz gefast zu haben sie so sorg fältig als möglich auszurichten, denn sonst kan er ihn vielleicht dadurch abhalten, sie bessern Händen anzuvertrauen. Die Person* welche von einer andern gebraucht wird, ist verbunden nach Endigung der selben, derjenigen** die ihr dieselbe aufgetragen hat Rechenschaft davon zu geben, und ihr ihre Güter mit den gehörigen Gewinne wieder zu ersetzen***. 20 21 22
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Von den gemeinen Contracten. 613(Dreyzehn ter Abschnitt.) Der ersteren Pflicht erfordert es, ihren Freund von allem Verluste, den er in ihren Dienste erlitten, oder von allen Unkosten die ihm derselbe verursacht haben mag, schadlos zu halten*. Denn der gewöhnlichen Kraft eines solchen Contracts nach, hat er sich zu weiter nichts verbunden, als seine Arbeit umsonst zu thun. II. Das Commodat ist, „die Leihung einer Sache zum Gebrauch ohne Jnteresse oder Mieth zins, wo eben dieselben Güter wieder zurück gege ben werden müssen“. Werden Zinsen oder Mieth geld bezahlt, so ist der Contract nicht wohlthuend sondern erhält einen andern Namen der Verpach tung oder Vermiethung**. Wenn man nicht eben dieselben Güter in vorigen Stande sondern nur eine gleiche Menge oder ein gleiches Maas oh ne Belohnung oder Zinsen wieder zugeben verbun den ist: so ist der Contract zwar seiner Natur nach mit den vorigen ziemlich einerley aber die Civilisten nennen ihn Mutuum gratuitum, oder ein freywilliges Darlehn einer Sache zum Gebrauch ohne das man Zinsen davon verlangt. Wird bey einem solchen Darlehn ausser ber Ersetzung der Sache selbst, noch ein gewisses Jnteresse ausgemacht so nennt man es auf Zinsen leihen. 23 24
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(Zweytes Buch.) 614 Von den gemeinen Contracten. (Regeln bey diesem Con tracte.) Bey dem freywilligen Darlehne einer Sache zum Gebrauch wiederfährt die Gefälligkeit dem Bor ger. Er ist also verbunden 1) eben solche Sorge für die ihm geliehenen Güter zu tragen, als jeder vorsichtige Mann für seine eignen tragen würde, oder die Dankbarkeit verpflichtet ihn zu noch meh rerer. Es mus einem guten Herzen unerträglich seyn, seinen Freund durch seine Gefälligkeiten in Schaden oder Verlust zu setzen. Der Leiher er wartet von uns diese Fürsorge für seine Sachen, und von uns setzt man mit Rechte voraus, daß wir darein gewilligt haben. 2) Erfordert es die Pflicht des Borgers, die Güter zu nichts anderm, als wozu sie ihm geliehen worden, anzuwenden. Eine andre Aufführung ist meineidig und undankbar. Und 3) mus er sie zur ausgemachten Zeit in eben dem Zustande, worinne er sie empfangen, wiedergeben. Hiervon aber ist, die natürliche Abnutzung der Gü ter, die auch durch einen vernünftigen Gebrauch entstehn mus, ausgenommen. Denn darinne, daß man für die Verringerung der Güter durch den Gebrauch nichts verlangt, besteht die Wohlthat des Contracts. 4) Wenn der Eigenthümer seine Gü ter selbst nöthig hat, ehe die ausgemachte Zeit ver laufen ist, so verbinden Menschlichkeit und Dank barkeit den Borger sie wieder zu geben, er müste sich denn selbst in einer grössern Noth befinden, als der Leiher. Jndessen kan er nicht anders, als in sehr ausserordentlichen Nothfällen dazu gezwungen wer den. Wenn die dringende Umstände des Borgers ihn verhindern, die Güter vor der ausgemachten Zeit wieder zu geben, so mus er sich, da er dem
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Von den gemeinen Contracten. 615(Dreyzehn ter Abschnitt.) Leiher grosse Verbindlichkeit hat, für verpflichtet halten, ihm allen Schaden, den ihm seine Gütigkeit verursacht, zu ersetzeu<ersetzen>. Eiu redliches Herz kan sich dieser Pflicht nicht entziehn, ob man gleich nieman den zwingen kan, die Güter vor der gesezten Zeit zu rück zu geben. Denn gienge das an, so könte man cher in seiner Rechnung betrogen werden. Er hat sich vielleicht auf das Darlehn verlassen, und die Gelegenheit, sich anderweitig zu versorgen, die nun mehr verlohren seyn kan, versäumt. Wenn geliehene Güter durch solche Zufälle(Von dem Falle, wenn die geliehe nen Güter durch einen Zufall zu Grunde gehn.) zu Grunde gehn, die sie befallen haben würden, wenn sie auch im Besitze des Leihers gewesen wä ren: so ist der Borger nicht verbunden, sie zu er setzen. Der Leiher würde ohne die Ausleihung dersel ben eben den Schaden daran gelitten haben. Wenn sie im Besitze des Leihers geborgen geblieben wären, ob man gleich ihrentwegen den Borger keiner Fahr lässigkeit beschuldigen kan, so müssen ein oder bey de Theile den Verlust tragen, wenn man voraussezt, daß keiner von beyden die geringste Schuld daran hat. Giebt es keine ausserordentlichen Gründe, die Menschlichkeit der andern Partey zu bewegen: so scheint der Borger am ersten verbunden zu seyn, sie aus Dankbarkeit zu ersetzen. Man kan von dem Leiher, der nicht die geringste Absicht auf eini gen Gewinst gehabt hat, nicht so füglich, als von dem Borger, voraussetzen, daß er es sich habe ge fallen lassen, solche Verluste zu tragen; da ein jeder gegen den Vortheil einer unentgeltlichen Nutzung gern die Gefahr so unwahrscheinlicher Fälle über
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(Zweytes Buch.) 616 Von den gemeinen Contracten. sich nehmen wird. Es kan seyn, daß niemand an solche Zufälle gedacht hat, denn sonst würden beyde Theile unfehlbar vorher ausgemacht haben, auf wen der Verlust fallen sollte, und dann würde ihn gewis der Borger haben über sich nehmen müssen. Es finden sich wenig Gründe, eine allgemeine Re gel fest zu setzen, und einer gewissen Partey allemal die Tragung des Schadens aufzubürden. Wäre der Leiher reich, und der Borger arm, so würde der erste niederträchtig handeln, wenn er auf die Er stattung dränge. Wäre hingegen der Borger reich, so wäre es niederträchtig von ihm, wenn er sich weigerte. Hätten beyde Theile gleich viel Ver mögen, oder wenigstens so viel, daß keinen der Ver lust unglücklich machen könte: so würde es sich am besten für den Borger schicken, den ganzen Scha den auf sich zu nehmen, weil ihm durch den Con tract eine Gefälligkeit erwiesen worden. Ueber haupt sieht ein jeder leicht ein, was die Menschlich keit und die Ehre bey solchen Gelegenheiten erfor dert; ob es gleich nicht allemal so leicht ist, Grün de zu solchen Regeln zu finden, die einer Seite bey solchen Unglücksfällen den Schaden ganz allein aufbürden. Der Leiher ist verbunden dem Borger den Aufwand, den ihm gewisse Ausbesserungen der Gü ter, die nothwendig gewesen sind, um sie zum Ge brauche des Eigenthümers tüchtig zu erhalten, ver ursacht haben, weiter aber nichts, zu ersetzen. (Das Depo situm.) „Das Depositum ist eine Art des Man dats, worin die aufgetragne und übernomne Pflicht
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Von den gemeinen Contracten. 617(Dreyzehn ter Abschnitt.) in der sichern Verwahrung der anvertrauten Güter besteht.“ Derjenige, der die Güter annimt,* verbindet sich seiner Freundschaft gemäs zu einer solchen Sorgfalt, als ein weiser Mann für solche Güter, wenn sie sein eigen wären, anwenden würde; und ist gehalten, dem Eigenthümer, so bald er es verlangt, das seinige zurück zu geben**; ausge nommen in solchen Fällen, wo man das Recht hät te, sich einem bösen Vorhaben, das er im Schilde führte, mit offenbarer Gewalt zu widersetzen. So kan jemand Waffen, die bey ihm niedergelegt sind, dem Eigenthümer vorenthalten, wenn dieser sie in der Absicht zurückfordert, eine unschuldige Person zu ermorden, oder unser Vaterland zu bekriegen. Der Eigenthümer ist verbunden, alle vernünftige Kosten, die die Aufbehaltung seiner Güter verur sacht hat, zu ersetzen. Bey beschwerenden Contracten versprechen(Beschwe rende Con tracte.) beyde Theile einander gleiche Güter, Rechte, oder überhaupt Dinge von gleichem Werthe zu geben. Die nothwendigsten Regeln erhellen schon aus dem, was oben*** von den Contracten überhaupt ange führt worden. Die wichtigsten derselben sind: 1.Der Tausch, oder die Umsetzung allerhand(Vom Tau sche.) Güter von gleichem Werthe gegen einander. Er ist von gegenseitigen Schenkungen unterschieden, weil bey diesen keine Gleichheit des Werths er fordert wird. 25 26 27
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(Zweytes Buch.) 618 Von den gemeinen Contracten. (Vom Kau fe und Ver kaufe.) 2. Der Kauf oder Verkauf. Hiervon ist die einfachste Art, wenn der Kaufer gleich den Preis bezahlt und die Güter in Empfang nimt. Jst der Preis bezahlt, oder hinlängliche Sicherheit dafür angenommen, und die Auslieferung der Güter er folgt: so kan, da die vollkommenste Uebertragung des Eigenthums vorgegangen ist, kein nachfolgen der Verkauf, oder vorhergegangener unvollkomner Contract, wegen des Verkaufs der Güter, dem Rechte des Käuffers im geringsten hinderlich seyn. Jst der Handel vollkommen richtig, aber die Aus lieferung der Güter erst auf einen Tag, der noch künftig ist, festgestellt: so fällt der Verlust, wenn sie vor diesem Tage verderben, auf den Verkäufer. Gehn sie nach diesem Tage zu Grunde, und der Ver käufer ist bereit gewesen, sie zur gesetzten Zeit ab zugeben, so wird er nachher nur als ein Deposita rius angesehn. Allen Verlust, woran der Ver käufer unschuldig ist, mus der Käufer tragen. Wenn über gewisse Mengen von Gütern, welche nicht sogleich ausgeliefert werden können, wie z. E. über Früchte, die noch geerndtet werden sollen, ein Handel geschlossen wird, und der Verkäufer nachher mit einer andern Person, die von dem vorherge gangenen Contracte nichts weis, von neuen darüber einen Contract schliesst, und ihr die Güter gegen Empfang des ausgemachten Preises ausliefert: so begünstigen die bürgerlichen Gesetze, die leztere Per son, in so fern sie ein ehrlicher Käufer ist, und alle Käufe ohne Uebergebung der Güter, für unvoll kommen gehalten werden. Derjenigen aber, die durch den ersten Contract betrogen worden ist, ge
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Von den gemeinen Contracten. 619(Dreyzehn ter Abschnitt.) ben sie ein vollkomnes Recht, von dem betrügeri schen Verkäufer die Ersetzung des ganzen Vortheils, den sie durch den Handel gemacht haben würde, zu fordern. Haben beyde den Preis bezahlt, und der Käufer ist nicht im Stande, ihn zu ersetzen: so wer den sich nicht leicht gültige Bewegungsgründe fin den, einer von beyden den ganzen Verlust aufzu bürden. Es giebt mancherley Nebenverträge*, bey Handelscontracten, die aber gemeiniglich deutlich genug aus den Worten des Contracts erhellen. 3. Das Vermiethen oderVerheuren,(Vom Ver heuren.) enthält alle Contracte, worinnen „sich jemand an, heischig macht, etwas für einen gewissen Preis zu thun, oder dagegen den Gebrauch allerhand be weglicher oder unbeweglicher Güter zu verstatten.“ Bey solchen Contracten ist jederman verbunden, mit den gemietheten Dingen so umzugehn, als ein weiser Mann mit seinen eignen umgehn würde, und man ist in seinem Gewissen verpflichtet, allen Scha den, der durch eine andere Anwendung derselben entsteht, zu ersetzen. Ein Mensch von wahrer Redlichkeit und Menschlichkeit wird allemal die Um stände der dürftigen Personen, die zuweilen Häu 28
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(Zweytes Buch.) 620 Von den gemeinen Contracten. ser, Geräthe, oder andre Sachen vermiethen, er wegen; und alle mögliche Vorsicht anwenden, kei nen unnöthigen Schaden daran zu verursachen. Wenn man Materialien weggiebt, daß sie von einem Künstler für einen gewissen Preis bear beitet werden sollen; so geben die Römer dem Contracte einen andern Namen*; ob er gleich in weiter nichts, als der Miethung der Arbeit eines andern besteht. Derjenige, welcher Sachen ver miethet, muß sie zum Gebrauch tüchtig machen, und sie so erhalten, oder alle Unkosten vergüten, die der Heurer gehabt hat, um sie in den Stand zu se tzen. Und da es des gedungenen Arbeiters Pflicht ist.<,> seine Arbeit getreulich zu verrichten, so darf er auch nicht um seinen Lohn betrogen werden. Hat man ihn auf eine lange Zeit gedungen, so kan ihm derjenige, der ihn gedungen hat, wenn er menschlich seyn will, nichts von seinem Lohne abziehen, weil er zuweilen durch kurze Krankheiten untüchtig ge macht worden ist, seine Dienste zu leisten. Die gesündesten Leute sind solchen Zufällen unterworf fen, und man vermuthet mit Recht von dem Din ger, daß er dadurch, daß er den Arbeiter auf lange Zeit gemiethet, solchen Ausnahmen oder Vorwän den, um die ausgemachte Belohnung zu verringern, entsagt habe. (Ausleihung einer Sache in der Ab sicht, daß sie verzehrt wer den soll.) VI. Wenn eine Sache gegen gewisse Zinsen in der Absicht verliehen wird, daß sie verzehrt werden soll, so verlangt der Leiher nicht eben dieselben Güter 29
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Von den gemeinen Contracten. 621(Dreyzehn ter Abschnitt.) wieder, sondern nur gleiche Mengen davon, und die ausgemachten Zinsen. Einige Güter bringen ih ren natürlichen Nutzen; als Aecker, Heerden und Gärten. Die Uerlassung<Überlassung> dieses Nutzens verdient ganz natürlich eine gewisse Vergeltung. Bringen andre Güter gleich keine natürlichen Früchte, son dern sind nur zur Bequemlichkeit des Lebens nöthig, oder haben solche Arbeit oder solche Kosten erfordert, daß man Güter, die ihrer Natur nach fruchtbar ge wesen wären, dafür hätte erhalten können, und der Eigenthümer überläst uns die Nutzung derselben: so kan er mit Recht den Preis von uns dafür for dern, den er bekommen haben würde, wenn er seine Arbeit oder sein Geld, auf von Natur fruchtbare Güter gewendet hätte. Dies ist der Fall bey Ver miethung der Häuser. Wenn irgend in einer Art von Handel ein(Billigkeit der Verzin sung des Geldes.) Mensch mit Hülfe einer grossen Summe Geldes weit grössere Vortheile machen kan, als er ohne die selbe würde haben thun können, so ist es nicht mehr als billig, daß derjenige, der ihm diese Summe, als das einzige Mittel zu solchen Vortheilen zu ge langen, verschaft, einen Theil von dem Gewinne desjenigen, dem er es leicht, bekomt, der wenigstens dem gleich seyn mus, den er erhalten haben würde, wenn er solche Dinge, die von Natur fruchtbar oder einträglich sind, dafür gekauft hätte. Hier aus erhellt die Billigkeit der eingeführten Verzin sung des Geldes; obgleich dies seiner Natur nach keine Früchte bringen kan. Die Häuser geben kei ne Frucht und mehren sich auch nicht, so wenig als
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(Zweytes Buch.) 622 Von den gemeinen Contracten. einige ackerbare Felder, es ohne grosse Arbeit thun. Eine mühsame Bearbeitung des Geldes im Handel oder durch Manufacturen, macht es zum fruchtbar sten Gute. Würde es verboten Zinsen zu nehmen, so würde niemand leihen, es müste denn aus christ licherLiebe geschehen, und viele fleissige Leute, die keine Gegenstände des Mitleidens sind, würden ausser Stand gesetzt werden, sich auf eine, dem ge meinen Wesen ausserordentlich vortheilhafte Art zu bereichern. (Billiges Maas der Zinsen.) VII. Die Zinsen verändern sich nach dem Zu stande des Handels, und der Menge des Geldes. Jn einem neu eingerichteten Lande, oder in einem solchen, das erst anfängt zu handeln, wo noch we nig Hände oder wenig Geld auf diese Weise be schäftigt werden, kan man durch kleine Summen viel gewinnen. Und weil man an solchen Orten für jede Summe mehr Gütterrenten als in Ländern die durch den Handel blühn, und am Gelde einen Ueberflus haben, kauffen kan: so ist es billig, daß die Zinsen höher steigen. Es wird auch niemand anders, als auf hohe Zinsen Geld ausleihen. Der Vortheil, den man durch jede Summe machen kan, ist so gros, daß er die Kaufleute oder die Käuffer in den Stand setzt, sie zu geben. Beschäftigen sich viele Menschen dnrch<durch> den Handel, oder haben grosse Summen darinnen, ihren Umlauf, so wird, weil die Menschen nach dem Verhältnis ihrer grössern Capitale von geringern Gewinsten leben können, der Gewinst, den man durch jede vorgeschosne Summe machen kan, kleiner, und die Zinsen, die der Handels
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Von den gemeinen Contracten. 623(Dreyzehn ter Abschnitt.) mann zu geben im Stande ist, müssen also auch fallen. Jn dem Maasse, wie das Geld überflüssiger wird, oder weniger Zinsen trägt, werden immer mehrere geneigt Landgüter zu kaufen als vorher, und diese neue Nachfrage steigert den Preis derselben, so, daß man nunmehr für jede Summe weniger Gü terrenten als vorher kauffen kan. Aus eben der Ursache ist auch ein jeder mit geringern Zinsen zu frieden als vorher, da er mehrere Güterrenten da für hatte erhalten können. Man mus zufrieden seyn, wenn sie das jährliche Einkommen, das uns unser Geld, wenn wir es an Güter gewendet hät ten, verschaft haben würden, um soviel übersteigen, daß die grössere Weitläuftigkeit, oder die Gefahr, die das Ausleihen uns verursacht, dadurch ersetzt wird. Alles dieses findet sich bey den Zinsen von selbst, ohne den Beystand der Gesetze. Die Gesetze müssen, wenn sie die Zinsen be(Nutzen der Gesetze darü ber.) stimmen, allemal diesen natürlichen Ursachen fol gen, sonst werden sie selten ihre Wirkung haben, oder wenigstens ungerecht seyn. Wenn die durch die Gesetze bestimmten Zinsen sich sehr hoch bey rei chen Nationen belauffen, wo man auf jede em pfangene, und im Handel angewendete Summen, nur wenig gewinnen kan, so wird kein Handels mann borgen, wenn man nicht die Zinsen ernie drigt, und andre werden es eben so wenig thun, um Güter zu kaufen, wenn die jährlichen Einkünfte derselben, lange nicht so gros sind, als die Einkünf te, die das Geld, vermöge einer so hohen Verzin snng<Verzinsung> verschaft. Vielleicht entschliessen sich die Capita
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(Zweytes Buch.) 624 Von den gemeinen Contracten. listen zuerst Güter zu kauffen, und kein Geld unter den gesetzten Zinsen wegzuleihen, aber eben diese ver mehrte Nachfrage nach Gütern, wird ihren Preis bald erhöhen, so, daß sie für eine gegebene Summe, weit weniger jährliche Einkünfte erhalten werden, Viele werden es sich also gefalien lassen, geringere Zinsen, als in dem Gesetze ausgemacht sind, zu neh men, die sich aber dennoch höher als die jährlichen Einkünfte der Landgüter belauffen. Werden die Zinsen durch die Gesetze zu sehr herunter gesetzt, so werden wenige geneigt seyn Geld wegzuborgen, sie werden erst suchen Landgüter zu kaufen. Steigen diese durch die häufige Nachfragen, so, daß man dabey jährlich wenig gewinnen kan: so werden be gütterte Leute sich auf den Handel oder auf Manu facurenManu facturen legen. Leute, die zu solchen Gewer ben nicht erzogen sind, oder die lieber ruhig leben wollen, werden allemal geschäftige Handelsleute finden, die mit Freuden auf höhere, als die festgesetzten Zinsen borgen, und die Gesetze durch Abrechnungen, oder andre jährliche Vergütun gen zu hintergehen wissen. Der hauptsächlichste Nutzen solcher Gesetze be steht dariune<darinne>, daß sie die Zinsen, wenn zwischen beyden Partheyen nichts ausgemacht ist, bestim men, oder den Erpressungen solcher wuchernden Bö sewichter zuvorkommen, die die Unachtsamen oder Nothleidenden zu misbrauchen suchen. Kluge Leu te werden solche Sache allemal nach den natürlichen Ursachen unter sich selbst ausmachen.
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Von den gemeinen Contracten. 625(Dreyzehn ter Abschnitt.) Wenn die Policey eines Staats nur wenig mit Ausländern zu handeln erlaubte, oder verhinderte, daß jeder Bürger grosse Summen Geldes samlen kön te, wenn sie auf keine Art erlaubte unbewegliche Güter auf beständig zu entfremden, mit einem Worte, in ei ner Republik von Landleuten, welche viele grosse Schriftsteller für die geschickteste zur Tugend und Glückseligkeit halten, * würde es füglich an gehn, alle Verzinsung des Geldes zu verbieten. Wo aber die Stärke eines Staats vom Handel abhängt, würde ihm ein solches Gesetz zum unfehl baren Untergange gereichen. VIII. Bey Contracten, woran viele Theil ha(Von Con tracten, wor an viele Theil haben.) ben, welche von verschiedenen Arten sind, bestim men die Bedingungen der Einwilligung eines je den, die Rechte oder die Verbindlichkeiten der theil habenden Personen. Da sich aber alle bey einem solchen Contracte eine gegenseitige Freundschaft versprechen, so werden hier alle Bewegungsgründe der Billigkeit und Menschlichkeit weit stärker, als bey andern Contracten, und alle Betrügereyen ver dienen eine strengere Strafe. IX. Bey andern Contracten bezahlt man et(Von Lot terien.) was für die ungewisse Hofnung eines künftigen Gewinstes, wenn man z. E. Leibrenten auf Lebens lang, oder Lotteriebillets kauft. Wenn wir nicht 30
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(Zweytes Buch.) 626 Von den gemeinen Contracten. mehr über die gehörige Summe bezahlen, als was dem andern Theile gebührt, um ihm die Unkosten, die solche Projecte allemal erfordern, zu ersetzen, und ihm eine billige Belohnung für seine Sorgfalt und Arbeit zu verschaffen: so kan man solche Con tracte auf keine Weise als ungleich, oder einem Theile nachtheilig, tadeln; obgleich solche Projecte oft aus ganz andern Ursachen verwerflich sind. Privatlotte rien, Wetten, Spielcontracte, verschaffen dem gemei nen Wesen nicht den geringsten Vortheil, und wenden auch kein Uebel ab. Einige Bürger werden durch den Verlust andrer auf eine Art, die für die Repu blik von keinem Nutzen ist, bereichert. Widersetz ten sich die Gesetze einem solchen Verfahren nicht, so würden mit Hülfe der thörichten Hofnung der meisten Leute, oder ihres albernen Vertrauens auf ihr gutes Glück, grosse Geldsummen durch aller hand niederträchtige Kunstgriffe, in solche nutzlose Canäle gezogen werden, die doch, wenn man sie zum Handel oder zu Manufacturen angewendet hät te, im Stande gewesen wären, die Nation zu be reichern; und alle Gemüther würden dadurch von einem nützlichen Fleisse abwendig gemacht werden. Es ist also billig, solchen Privatprojecten oder Con tracten Einhalt zu thun, wenn sie gleich nichts of fenbar Betrügerisches in sich halten. Bey einem öffentlichen Mangel kan man unstreitig, ohne un vorsichtig zu handeln, durch Lotterien Geld zu be kommen suchen: um sovielmehr, weil es dadurch ge schehen kan, ohne ein Murren unter dem Volke zu verursachen, da niemand gezwungen wird, etwas dazu beyzutragen.
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Von den gemeinen Contracten. 627(Dreyzehn ter Abschnitt.) Es giebt noch andre Contracte, wo man et was Weniges bezahlt, um sich vor einem grossen(Vom Asse curiren.) ungewissen Verluste in Sicherheit zu setzen, oder solche Verluste, wenn sie sich zutragen, ersetzt zu er halten. Von dieser Art sind die Verassecurirungen wider die Gefahren der See, oder des Feuers. Sol che Einrichtungen sind sowohl billig, und den Men schen vortheilhaft; als auch dem gemeinen Wesen nützlich. Die Assecurirer werden durch die Gel der, die sie von denen erhalten, deren Schiffe oder Häuser geborgen bleiben, in den Stand gesetzt, die jenigen die sie verlieren, schadlos zu halten. Es wird auf die Weise eine Art von Verbindung durch eine ganze Nation veranstaltet, da die Ver luste allemal durch kleine Beysteuern derjenigen, die dem Unglücke entgangen sind, ersetzt werden. Und mancher fleissiger Handelsmann, wird dadurch von seinem frühen Untergange, der sonst bey einem sol chen Unglücksfalle unvermeidlich gewesen wäre, errettet. Privatcontracte, die auf dem Zufalle; oder zum(Vom Wet ten und Spielen.) Theil auf dem Zufalle, und zum Theile auf der Kunst beruhen: wie die Wetten auf einen ungewissen Aus gang, oder den glücklichen Ausschlag eines Spiels, können, wenn die gewagten Summen nicht mehr aus machen, als die wettende oder spielende Person, auf ihren Zeitvertreib wenden kan, ohne sich zu einer, ihrer Pflichten untüchtig zu machen; wenn nicht mehr Zeit auf das Spiel gewendet wird, als nöthig ist, um sich von ernsthaften Verrichtungen zu er holen; und wenn kein Hang zur Faulheit, oder
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(Zweytes Buch.) 628 Von den gemeinen Contracten. keine ungeduldige Begierde nach solchen Zeit vertreiben daraus entsteht, schwerlich für fehler haft, oder unerlaubt gehalten werden. Sind aber die gewagten Summen so gros, daß der Verlust der selben, entweder uns, oder unserm Widersacher, auf einige Weise schmerzhaft seyn kan: so sind solche Contracte, da auf keine Weise einiger Nutzen dar aus entsteht, wirkliche Verbrechen. Wir handeln so unmenschlich als thöricht, wenn wir ein Vermö gen, das unsre Familie, unsre Freunde, und die Ar meen unterhalten, oder selbst unser Vaterland un terstützen sollte, so unnöthigen Gefahren aussetzen; und es ist boshaft, unserm Nachbar aufzulauern, um ihn durch seine Uebereilung oder Thorheit ins Verderben zu stürzen. Kein tugendhafter Mensch, keiner der ein Gewissen besitzt, wird solche Gewin ste, wenn sie ihm auch zugefallen sind, behalten kön nen. Es ist erstaunlich, wie in verderbten üppi gen Zeiten, die Menschen so sehr die wahre Natur, und die Namen der Dinge vergessen können, daß sie solche Gewinste nicht für allen rechtschafnen Leuten äusserst schändlich halten. Da es doch offenbar ist, daß sie durch eben die niederträchtige Neigung zur Ungerechtigkeit und zum Geitze erhalten werden, die wir bey Dieben und Beutelschneidern verab scheuen. Die Klugheit aller Nationen erfordert also, folche<solche> Niederträchtigkeiten, durch die streng sten Gesetze, und die schändlichsten Strafen, beson ders an Personen, aus solchen Ständen, zu hem men, die unendlich über solche Bübereyen erhaben seyn sollten, und deren Exempel am gefährlichsten
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Von den gemeinen Contracten. 629(Dreyzehn ter Abschnitt.) ist, weil es die Laster am leichtesten ausbreitet. Aber quid leges ſine moribus vanæ. proficiunt. -- X. Die gewöhnlichen Dinge, deren man sich(Sicher heits- oder Bürgschafts contracte.) bedient, sich der Haltung eines Contracts zu versi chern, find<sind> die Verpfändung liegender oder beweg licher Güter, und die Bürgschaft, wodurch eine dritte Person verbunden wird zu bezahlen, wenn der Haupt schuldner nicht im Stande ist es zu thun. Weil mancher oft sein Geld mehr auf den Credit des Bürgen, als desjenigen, der es wirklich empfängt, vorschiest, so ist der erstere, wenn der Hauptschuld ner versäumt zu bezahlen, oder gar unvermögend wird, in seiner Ehre und seinem Gewissen, eben so sehr als der andre zur Bezahlung verbunden, und er kan so wenig mit gutem Gewissen einigen Aufschub begehren, oder allerhand Ausflüchte oder Listen anwenden, als wenn man ihm selbst zu sei nem eigenen Gebrauche das Geld geliehen hätte. Ausgenommen, wenn er entdeckt, daß der Leiher eine grobe Nachlässigkeit begangen hat, oder mit dem Hauptschuldner ein betrügerisches Verständnis un terhält, und ihm aus Bosheit eine solche Last aufzu bürden gedenkt.
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(Zweytes Buch.) 630 Die Verbindlichkeiten,

Der vierzehente Abschnitt, Persönliche Rechte, die durch eine gesetzmässi ge Handlung der verbundenen Person, oder derjenigen, die das Recht besitzt, entstehn.

(Rechte, die aus gesetz mässigen oder wider rechtlichen Handlungen entstehn.) I.Einige Rechte entstehn nicht durch Contracte, sondern durch irgend eine andre Handlung, entw der<entweder> desjenigen, der das Recht besitzt, oder der verbundenen Person. Diese Handlungen, die ein Recht gründen können, sind entweder gesetzmässig oder widerrechtlich. Sind die Handlungen gesetz mässig, so benennen sie die Civilisten, um die Quel len der Verbindlichkeit nicht zu sehr zu vervielfältigen, obligationes quaſi ex contractu ortæ..* Sie er dichten in solchen Fällen einen Contract, der die Leute zu allem verbindet, was ein Theil mit Rechte von dem andern hätte verlangen, und dieser ihm, ohne sich zu schaden, zugestehn können, wenn sie wirklich über diese Dinge, einen Contract geschlos sen hätten. Die Verbindlichkeiten erhellen deut lich genug, ohne daß man nöthig hat, erst einen Contract zu erdichten, aus der Natur der Hand lungen, den Rechten des Eigenthums, und seinen Wirkungen. Jst die Handlung widerrechtlich, so sind es Rechte, die aus einer Jnjurie ent stehn, von welchen wir im folgenden Abschnitte handeln werden. Die Verbindlichkeiten quaſi ex contractu. lassen sich in zwo Classen bringen. 1) Diejenigen 31
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quaſi ex contractu. 631(Vierzehn ter Abschnitt.) welche dadurch entstehn, wenn man Güter in Besitz nimmt, von denen man weis, daß sie andern zuge hören, oder daß wenigstens andre rechtmässige An sprüche darauf haben. 2) Diejenigen, welche ent stehn, wenn sich jemand eines beträchtlichen Vor zugs auf Kosten, oder zum Schaden anderer anmast, die es sich nicht haben gefallen lassen, einen solchen Verlust umsonst zu tragen. Diese Verbindlich keiten entspringen entweder aus der Natur des Ei genthums, oder den ältern Ansprüchen eines andern, oder dem gemeinen gesellschaftlichen Gesetze, daß niemand durch Gefälligkeiten, die er andern erweist, die es aber seine Absicht nicht gewesen ist, umsonst zu thun, leyden, oder ohne seine Bewilligung an seinem Eigenthume geschmälert werden darf. II. Zur ersten Classe gehört die Verbindlich(Die Ver bindlichkeit, die aus der Besitzneh mung der Güter eines andern, ent steht.) keit eines, der fremde Güter in Besitz genommen hat, sie mit allem Gewinn, den er dadurch erhalten, zurück zu geben: Die Verbindlichkeit des Erben,* die Schulden zu bezahlen, die auf der Erbschaft haften; oder die Verbindlichkeit des Erecutors<Executors>, die davon ab gehenden Schulden und Vermächtnisse zu entrichten, so weit nämlich das Vermögen reicht. Dieses bleibt, wenn es gleich auf andre komt, solchen Ansprüchen 32
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(Vierzehn ter Abschnitt.) 632 Die Verbindlichkeiten, allemal unterworfen, und der Erbe hat nur auf das ein Recht, was nach Tilgung derselben übrig bleibt. Die Güter des Verstorbnen, sind das einzige, wovon solche Schulden bezahlt werden müssen. Dem Executor bleibt nichts, als was nach Bezahlung der Schul den und Vermächtnisse übrig bleibt. Diejenigen, denen etwas vermacht ist, haben ein eben so gegrün detes Recht auf ihre Vermächtnisse als der Execu tor, oder der durchs Testament eingesetzte Erbe, auf den Ueberschus. Unter diese Classe gehören auch die Verbind lichkeiten aller derjenigen, die fremde Güter ohne ei nen Contract besitzen, als der Vormünder, oder sol cher Leute, die die Güter abwesender Personen, ohne daß es ihnen aufgetragen worden, aufbehalten, und Sorge dafür tragen, welche negotii utilis geſtores genennt werden. Alle diese sind ohne Wiederede verbunden, die Güter den Eigenthümern wiederzu geben, und ihnen sowohl davon, als dem dadurch erha tenen<erhaltenen> Gewinste Rechnung abzulegen. (Die Rech te des negotii utilis geſtoris.) III. Die zwote Classe enthält die Pflichten de rerjenigen, denen ein wichtiger Dienst geleistet wor den, oder, die durch andrer Arbeit oder Unkosten ohne vorhergegangnen Contract oder Commission einen Vortheil erhalten. Die Person, die solche Vortheile erhält, ist unstreitig verbunden, alle Ko sten, die mit Klugheit angewendet worden, und alle Arbeit, die es des andern Theils Absicht nicht ge wesen ist, umsonst zu thun, zu vergüten. Ein Kaufmann, dessen Güter Schiffbruch leiden, aber durch meine Sorgfalt, oder durch Anwendung mei
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quaſi ex contractu. 633(Vierzehn ter Abschnitt.) nes Geldes erhalten werden, ist allemal verbun den, wenn es meine Absicht nicht gewesen ist, dies alles umsonst zu thun, mir bey Zurückforde rung derselben, wenn ich es verlange, alle Un kosten, und selbst meine Mühe zu bezahlen. So ist auch ein jeder verbunden, seinen Vormündern oder Curatoren alles, was sie zu einer vernünftigen Be sorgung seiner Angelegenheiten haben aufwenden müssen, wieder zu ersetzen. Für diese Ansprüche gab es im Civilrechte besondre Actionen. * Was die Verbindlichkeiten der Kinder wegen(Forderun gen wegen der Unter haltung ei nes andern.) ihrer Erziehung und ihres Unterhalts betrift, so können wir fest setzen: 1) Was ein Vater an seine Kinder wendet, wenn diese kein besonders Vermö gen für sich von andern erhalten haben, wird allent halben für ein Geschenke gehalten; das Gegentheil müste denn ausdrücklich bekant gemacht worden seyn. Ob aber gleich der Vater durch das starke Band der Natur, welches ihm seine Pflichten an zeigt, verbunden wird, seinen Kindern das Noth wendige zu verschaffen, und die Menschlichkeit ihn aufs stärkste verpflichtet, ihren Zustand, wenn es ihm möglich ist, zu verbessern: so haben doch die Kinder, wenn er von allen diesen keine Rechnung führt, um mit der Zeit von ihnen die Wiedererstat tung zu fordern, ein solches Verfahren als eine blosse Gütigkeit anzusehn, denn kein vollkomnes Recht der Kinder hätte ihn dazu zwingen können. Ein Vater kan mit Recht auf die Ersetzung der Ko 33
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(Zweytes Buch.) 634 Die Verbindlichkeiten, sten dringen, die ihm seine Kinder verursacht ha ben, wenn er selbst in Noth geräth. Wenn auch dieses nicht ist, so kan er mit Recht alle nothwen dige Kosten, die ihm ein Kind verursacht hat, das für sich selbst Vermögen genug besizt, in Rechnung bringen, und sie sich wieder bezahlen lassen, entwe der um selbst desto ruhiger leben zu können, oder seinen übrigen Kindern dadurch eine Wohlthat zu erweisen. Wenn aber 2) jemand das Kind eines Fremden erzieht, so sind alle Kosten, die mit Klugheit angewendet worden, als eine völlig rechtmässige Schuld anzu sehn, wenn das Gegentheil nicht vorher bekant ge macht worden ist. Hier findet die väterliche Liebe nicht statt, die uns sonst geneigt machen würde, zu glauben, daß es seine Absicht gewesen wäre, sie um sonst aufzuwenden. (Die Par teylichkeit vieler Gesetze.) Jn den Gesetzen einiger Nationen, welche be haupten, daß sie vorzüglich auf die natürlichen Rechte und Freyheiten des menschlichen Geschlechts Acht haben, zeigt sich eine erstaunliche Parteylich keit. Alle Kosten, die von jemanden auf das Kind des niedrigsten Bürgers oder Nebenchristen gewen det werden, müssen ein Geschenk seyn, sie mögen in der Absicht aufgewendet worden seyn, oder nicht. Er erhält dadurch kein Recht auf die Dienste des Kindes, oder die Forderung einiges Ersatzes. Das Kind kan seinen Pflegevater verlassen, so bald es zur Vernunft komt. Und dennoch werden die eben so unschuldigen Kinder der Kriegsgefangenen, oder solcher Leute, die mit uns nicht einerley Farbe ha
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quaſi ex contractu. 635(Vierzehn ter Abschnitt.) ben, mit aller ihrer Nachkommenschaft, ohne ir gend einen andern rechtlichen Anspruch, als ihre Erziehung, von uns auf ewig für Sclaven ge halten; als wenn sie mit uns nicht von einem Geschlechte, und ihre Leiber und Seelen nicht gleicher Empfindungen mit den unsrigen fähig wären, oder als wenn die weltlichen Rechte der Menschen von ihrer Religion oder von ihrer Farbe abhiengen. Das ist unstreitig, daß der Herr des Va(Das einzige gegründete Recht über die Kinder der Sclaven.) ters, oder derjenige, der eines andern Kind auf sei ne Kosten erzieht, ein Recht hat, die Wiedererstat tung aller Unkosten, die die Nothdurft sowohl als auch die Bequemlichkeit des Kindes erfordert hat, keinesweges aber derjenigen, die mehr auf den Glanz seines eignen Hauses abgezielt haben, zu ver langen. Dieses Recht erstreckt sich nicht weiter als das Recht eines jeden Gläubigers über seinen Schuldner. Wenn sich ein Freund des Kindes erbietet, seine Rechnung zu bezahlen, so kan der Herr sich mit Recht nicht weigern, es anzunehmen oder dem Kinde seine Freyheit vorenthalten. Findet dieses, nachdem es zur Vernunft gekommen ist, ei nen andern, dem es lieber schuldig seyn, und der seinem ersten Herrn seine Kosten bezahlen will: so kan dieser es mit Rechte nicht abhalten. Die Ar beiten des Kindes müssen seit dem es etwas mehr, als die schlechteste Nahrung und Kleider verdie nen können, mit auf die Rechnung gebracht, und der Ueberschus davon von der vorigen abgezogen wer den. Wenn die Summe des Ueberschusses, den das Kind, über das, was zu seiner Kleidung und Nahrung
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(Zweytes Buch.) 636 Die Verbindlichkeiten, nöthig gewesen, verdient hat, denen Kosten, die sei ne untüchtige Kindheit erfordert hat, gleich komt: so hat der Herr weiter keinen Anspruch auf dasselbe. Man würde durchgängig finden, daß die Arbeit jeder Person, die an Leib und Seele gesund ist, hin reichen würde, diese Schuld vor dem dreyssigsten Jahre zu bezahlen. Andre, die eine vorzügliche Geschicklichkeit besässen, würden weit eher damit fertig werden. Der Schuldner hat unstreitig das Recht, die Arbeit zu wählen, die ihn am ersten in den Stand setzen kan, die Schuld abzutragen. Wenn grössere Kosten auf ein Kind gewendet worden sind, um es in irgend einer Kunst zu un terrichten: so ist es verbunden, für dieselben zu stehn, wenn sie nämlich zu seinem wahren Nutzen gereicht haben. Dann aber sind seine Arbeiten in einer solchen Kunst von so viel höherm Werthe, daß er im Stande ist, seine grössere Schuld eben so bald zu bezahlen. Findet sich dieses nicht, so ist es ein Zeichen, daß die Kosten nicht zu seinem Vorthei le aufgewendet worden. (Vom Vor wande der Gefahr, alles zu verlieren.) Man behauptet gemeiniglich, daß man mit Rechte auf mehr als die Wiedererstattung der ge liehenen Summe mit allen Zinsen dringen könne *, wenn die Ausleihung mit einiger Gefahr beglei tet ist: daß in diesen Quasicontracten die Men 34
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quaſi ex contractu. 637(Vierzehn ter Abschnitt.) schen zu allem verbunden werden, was entweder der eine Theil hätte verlangen, oder der andre Theil zugestehn können, wenn beyde vorher im Stande gewesen wären, einen Contract darüber zu schlies sen: daß man, um Leute dahin zu bringen, daß sie eine Summe, auf die Gefahr sie ganz zu verlieren, wegborgten, ihnen auf einen beträchtlichen Gewinst im Fall eines glücklichen Ausgangs Hofnung ma chen müste. Die Kosten, die man auf ein Kind wendet, sind ohne Hofnung verloren, wenn es stirbt, ehe es dieselben durch seine Arbeit hat erstatten können; demjenigen, der es erzieht, gebührt also weit mehr als die vorgeschossne Summe mit allen Zinsen. Man kan diese Forderung nicht für ganz unbillig erklären, und es würde nicht ungerecht seyn, etwas mehr zu verlangen. Dennoch halten wir es in andern Fällen, wo die Entschuldigung wegen dringender Noth nicht grösser als bey einem hülf losen Kinde ist, nicht für billig, mehr als die Er stattung des Capitals mit den Zinsen zu erlangen. Wenn ich das Pferd eines andern nehme, um mich vor einer nahen Gefahr zu retten, es ihm aber nach her mit der gehörigen Belohnung für den Ge brauch wieder gebe, oder wenn es verdorben ist, ihm den ganzen Werth mit allen Zinsen, wenn ich nämlich nicht gleich habe bezahlen können, erstatte: so wird nicht mehr von mir gefordert, ob gleich der Eigenthümer des Pferdes, wenn ich umgekommen wäre, alles verloren haben würde. Die Noth des Kindes ist unstreitig eben so gros. Wenn wir auch zugeben, daß es nothwendig ist, die Menschen zur Erziehung solcher verlassnen
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(Zweytes Buch.) 638 Die Verbindlichkeiten, Kinder geneigt zu machen, von denen viele sterben können, ehe sie das geringste ersetzt haben: so kan man doch die Schulden der Gestorbnen, denen die leben bleiben, nicht aufbürden. Das ist bil lig, daß von jedem etwas mehr wiederverlangt wird, als wirklich aufgewendet worden, weil wir uns in Gefahr gesezt haben, alles zu verlieren, und dies würde sich auch jeder weise Mann, wenn er selbst in den Umständen wäre, gern gefallen lassen. Aber diese Forderung kan die Schuld nicht sehr er höhen. Gesezt, daß ein Drittheil der gebohrnen Kinder in den ersten drey Jahren stirbt, so werden dadurch die Kosten der drey ersten Jahre um ein Drittheil oder um sehr weniges mehr, erhöht wer den. Die Gefahr wird immer geringer, wie sie an Jahren zunehmen, bis endlich ihre Arbeiten sie geschickt machen, ihre Schuld zu tilgen; denn es würde ungerecht seyn, hier den Hasard anders, als nach den Gefahren, worinnen sich das menschliche Leben in seinen verschiedenen Perioden befindet, zu bestimmen. Und so würde die Summe der Kosten kaum um ein Fünftheil erhöht werden, bis sie das zehnte oder zwölfte Jahr erreicht hatten, wo ihre Arbeiten schon im Stande seyn müssen, ihren Un terhalt zu bezahlen, ja so gar ihre Schuld zu verringern. (Daß wir sie vom Tode befreyt hät ten.) Man führt noch weiter an, daß bey einigen barbarischen Nationen alle Gefangene niedergesä belt werden würden, wenn sie niemand als Scla ven erkaufte. Sie sind also denen, die sie kaufen, ihr Leben, und alles was sie jemals noch vornehmen
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quaſi ex contractu. 639(Vierzehn ter Abschnitt.) können, schuldig, und ihre Kinder befinden sich in eben solchen Umständen, weil sie ausserdem gar nicht gebohren worden seyn würden. Aber dieses alles ist von keinen weitern Folgen, als das nego- tium utile geſtum, weil jede gesittete Nation durch die Menschlichkeit dazu verbunden wird. Es ist ein vernünftiger, Kosten erfordernder Liebesdienst, den ich andern erweise, ohne die Absicht zu haben, ihn umsonst zu thun, und dieser zeugt kein andres Recht, als den gegründeten Anspruch auf die gänz liche Erstattung aller Unkosten und Mühe, die er mir verursacht hat. Gesetzt also ein Kaufmann er handelt hundert Sklaven, so daß alle Kosten der Reise, der Preis der Sklaven selbst, und der billi ge Profit den ein Kaufmann auf das angewendete Capital verlangen kan, sich auf tausend Pfund be laufen; so sind diese Gefangnen insgesamt seine Schuldner wegen dieser Summe, und so bald sie durch ihr Arbeiten so viel verdient haben, daß diese Summe nach abgezognen Kosten die ihr Unterhalt verursacht hat, herauskomt, und noch so viel als das Capital seit der Zeit ihrer Erkaufung, an gesetz mässigen Zinsen getragen haben würde übrig bleibt, so bald haben sie ein Recht frey zu seyn. Dies wird allemal in zehn oder zwölf Jahren wenn auch ein Drittheil von ihnen stirbt erfolgen, und als denn hört alles Recht des Käuffers, oder irgend ei nes andern unter ihm auf. Eine Menge unrichtiger und allgemeiner Aus(Ursachen unsers Jrr thums hier innen.) drücke blenden uns in dieser Sache. Die Gefan genen sagen, wir, sind ihr Leben und alles ihrem
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(Zweytes Buch) 640 Die Verbindlichkeiten, Käuffern schuldig. Eben so sind wir, unsre Edelleute und Fürsten unser Leben oft Hebammen, Wund arzten, Aerzten, unsern Neben-Soldaten, unsern Bedienten und Nachbarn schuldig. Einer der zum Mittel gedient hat, einen Menschen das Leben zu retten, hat deswegen nicht das Recht, ihn zu seinen Sklaven zu machen, und ihn als eine Waare zu ver kauffen. Es ist ausserordentlich, daß in einer Na tion, wo die Liebe zur Freyheit herrscht, wo man sich zur christlichen Religion bekennt, die Gewohnheit, um die Hoffnung eines grossen Gewinstes, die Gewis sen und alle natürliche Empfindungen von Gerech tigkeit so sehr haben einschläfern können, daß man Ueberschläge von dem Werthe unsrer Nebenmenschen uud<und> ihrer Freyheit ohne Abscheu und Entsetzen an hört. (Verbind lichkeiten die eutstehen<entstehen> weun<wenn> man sich des Rechts der dringenden Noth be dient.) IV. Zu dieser zwoten Classe der quaſi Con tracte rechnet man auch die Verbindlichkeit derjeni gen, die sich der Freyheit der dringenden Noth be dient, und andern dadurch einigen Schaden verur sacht haben. Diesen sind sie allemal verbunden, so bald als möglich zu ersetzen. Von eben solcher Art ist die Verbindlichkeit desjenigen*, der etwas als ihm schuldig angenommen hat, von dem es sich doch nachher zeigt, daß es ihm nicht gebührt; oder** der auf eine gewisse Gefälligkeit die er einen andern leisten soll, die aber hernach unmö glich<unmöglich> wird, zum voraus eine Belohnung, oder irgend etwas gegen ei nen Contract oder ein Versprechen wider welches 35 36
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quaſi ex contractu. 641(Vierzehn ter Abschnitt.) sich nachher rechtmässige Einwendungen finden, em pfangen hat. Alle diese sind verbunden, das was sie auf solche Art erhalten, wieder zu ersetzen. So sind bey Angelegenheiten woran viele Theil haben, alle verbunden, das was einer von ihnen über seinen Antheil zum Nutzen der ganzen Gesellschaft ange wendet hat, aus der gemeinen Casse nach Propor tion zu ersetzen. Hieher gehört auch die Verbind lichkeit, wodurch jeder, der durch irgend eine sonst billige Handlung, oder Unternehmung; oder durch Gebäude die er zu seinem Vortheile aufführt, andern Schaden verursacht, ganz natürlich verpflichtet wird, diesen Schaden zu ersetzen; wenn die von der andern Seite nicht schon zum voraus verbunden gewesen sind, einen solchen Schaden ohne eine Vergütung zu tragen; oder wenn sie sich nicht durch Contracte dazu verstanden haben.

Der funfzehnte Abschnitt. Von Rechten welche durch Jnjurien und von andern verursachte Schäden entstehen: und von der Vernichtung eines Rechts.

I.Die Beleidigung irgend eines vollkommnen(Beschrei bung einer Jnjurie.) Rechts einer andern Person, ist eine Jnju rie: diese mag nun durch Gewaltthätigkeit wider seine Person, durch Angreifung seines Characters, durch Einschränkung seiner Rechte auf die Freyheit, durch Beraubung seiner Güter, oder Verderbung derselben, durch Abhaltung von dem Gewinste den er hätte erlangen können, oder durch Vorent haltung der Dinge worauf er einen gegründeten
|| [0642]
(Zweytes Buch.) 642 Rechte die aus Jnjurien entstehen. Anspruch hat, ausgeübt werden: wir mögen nun aus boshaften, oder eigennützigen Absichten oder aus strafbarer Nachlässigkeit also handeln, oder wider un sre Pflichten etwas thun oder unterlassen*. Unter ei nem verursachten Schaden, werden ausser ** dem Werthe der geraubten, verderbten oder vorenthalte nen Güter, noch aller Verlust und alle Unbequemlich keiten verstanden, die durch ihre Abwesenheit ent stehn, und aller Gewinst den man damit hätte ma chen können. (Recht zu Er setzung des verursachten Schadens.) Den Schaden den jemand verursacht hat, ist er verbunden, so viel es in seinem Vermögen steht zu ersetzen. So lange dies nicht geschieht, beharrt er in der Jnjurie, und er kan auch auf keine andre Weise seine Reue bezeigen oder den Character eines ehrli chen Mannes wieder erlangen. Die Person der eine Jnjurie widerfahren ist, hat das Recht den Urheber derselben zur Schadloshaltung zu zwingen, sonst würden böse Leute alle Rechte ihrer Nebenmenschen mit Füssen treten. Es ist überhaupt sowol zum gemeinen Besten als zum Vortheile der Leidenden nothwendig, dieses Recht vermöge dessen man einen so gar mit Gewalt zur Wiedererstattung zwin gen kan, nicht im geringsten zu schmälern, sondern vielmehr die Thäter noch durch andre Uebel zu be strafen: und dies nicht allein zur künftigen Sicher heit der beleidigten Person sondern zur Erhaltung der allgemeinen Ruhe. Damit alle böse Leute durch die Furcht vor gleichen Strafen, von ähnlichen Un ternehmungen abgeschreckt werden. 37 38
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 643(Funfzehn ter Abschnitt.) Wenn mehr als eine Person an einer Jnjurie Theil haben, so ist diejenige, welche andre die unter ihr stehen, durch ihr Ansehn oder ihre Gewalt dazu gezwungen hat, die Hauptursache.Diese mus allein alles ersetzen und die gröste Strafe erdulden. Können wir aber dieselbe nicht in unsre Gewalt bekommen, so können wir uns, weil sie keinen andern das Recht un gestraft Jnjurien auszuüben mittheilen kan, nicht nur denjenigen, die uns auf ihren Befehl beleidigen, mit Gewalt widersetzen, sondern auch von ihnen un sre Schadloshaltung zu erlangen suchen. Zuwei len können wir sie auch bestrafen, wenn sie nämlich wissentlich wider ihre Pflicht gehandelt haben, oder wenigstens sich leicht davon hätten unterrichten kön nen. Jst die Jnjurie von geringer Art und leicht zu ersetzen, und hat sie der unmittelbare Thäter blos deswegen übernehmen müssen, um weit grössern Ue beln zu entgehen, womit er von andern die ihn in ih rer Gewalt gehabt haben, bedroht worden: so enthält seine Handlung vielleicht kein Verbrechen sondern läst sich mit der dringenden Noth, wovon wir bald handeln werden entschuldigen. Diese Entschuldi gung aber kan ihn nicht von der Verbindlichkeit be freyen, welche von ihm erfordert, allen Schaden zu vergüten den er unschuldigen Personen verursacht hat, um sich selbst in Sicherheit zu setzen. Wenn viele die es nnter<unter> einander verabredet(Wer dazu verbunden ist wenn vie le Theil an der Jnjurie haben.) gehabt, einen Schaden verursachen, so ist jeder da von, wenn wir von den übrigen nichts erhalten können, verbunden, ganz dafür zustehn. Wenn wir gleich wissen wie vielen Antheil jeder an der That oder
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(Zweytes Buch.) 644 Rechte die aus Jnjurien entstehen. der Beute gehabt hat. Wenn aber verschiedene Perso nen zu verschiedenen Zeiten ohne es verabredet zu ha ben, einen Menschen aller seiner Güter berauben, so scheint jede nur zu dem Antheile den sie an dem verursachten Schaden gehabt hat, verbunden zu seyn; ob man gleich unter den Namen einer Strafe mehr von ihr zu fordern berechtigt ist. Jm ersten Falle hat derjenige dem die Jnjurie wiederfahren ist nichts mehr zu fordern, so bald ihm eine der schuldigen Person seinen Schaden ersezt hat; und die andern sind verbunden dieser Person jede ihren Antheil zu erstatten. Bey Strafen ist die Sache ganz anders. Die Leiden einer Person befreyen die übrigen nicht. Wiedererstattung und Strafe haben verschiede ne Eigenschaften und Absichten; zur ersten können wir oft verbunden seyn, wenn wir kein Verbre chen begangen haben. Wenn bey gefährlichen Gelegenheiten, wo man den gemeinen Wesen dient, jemand einem anderm durch eine beynahe unvermeidliche Unachtsamkeit, einen Schaden verursacht: so mus dieser von dem gemeinen Wesen ersetzt werden, weil man sich zu seinem Dienste beschäftigt hat. Wie wenn ein Soldat in der Hitze der Schlacht einen seiner Cameraden beschädigt. (Schaden die durch Bediente verursacht werden.) Schäden die durch Bediente ohne Befehl ihrer Herren verursacht werden, fallen alle mal auf sie allein zurück; haben sie aber Befehl dazu bekommen, so müssen jene dafür stehn. Hat ein Sklave ohne die Schuld seines Herrn einen Schaden verursacht, so ist es natürlich, daß der
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 645(Funfzehn ter Abschnitt.) Sklave verbunden ist ihn zu ersetzen, da er eine moralischeFreyheit zu handeln besitzt. Weil aber sein Herr ein Recht auf alle seine Arbeiten hat, die allein ihn in den Stand setzen können den verursach ten Schaden zu vergüten: so scheint sich der Skla ve in dem Stande einer Person zu befinden, welche zween Gläubigern mehr schuldig ist, als alle ihre Güter betragen, oder sie, durch ihre Arbeit erwer ben kan; welches alles demnach unter beyde nach dem Maasse ihrer Forderungen getheilt werden muß. Gesezt der Sklave ist vierzig Pfund wehrt, so ist dies die Forderung des Herrn: und daß der Scha de auf zwanzig Pfund geschätzt wird, so ist dies die Forderung desjenigen dem der Schade verursacht worden ist; und der Herr ist verbunden, wenn er den Sklaven behalten will, zween Drittheile des Schadens zu ersetzen. Wäre der Schade auf vier zig Pfund geschätzt worden, so hätte der Herr des Sklaven die Hälfte bezahlen müssen. Er ist auch al lemal verbunden für den übrigen Schaden den sein Sklave verursachen könte, Sicherheit zu verschaffen; nachdem seine gefährlichen Neigungen entdeckt wor den sind. Verbände man den Herrn entweder den gan zen Schaden zu ersetzen, oder den Sklaven fahren zu lassen: so würde dieser bey manchen Fällen den Scha den allein tragen müssen, und der leidende Theil nichts verlieren; ob gleich beyde gleich unschuldig an dem verursachten Schaden seyn können. Jndes sen dringen doch die Civilgesetze zuweilen darauf, um die Herren aufmerksamer auf ihre Sklaven zu machen. Weil aber die Sklaven eine moralische Freyheit zu handeln besitzen, so sind sie selbst allemal
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(Zweytes Buch.) 646 Rechte die aus Jnjurien entstehen. verbunden sich den Strafen zu unterwerfen, die nothwendig sind, um ihre Laster im Zaume zu hal ten; auf welche Art auch der Schaden schon ersetzt seyn mag. Die Veränderung des Herrn ist vielleicht nicht allemal eine Strafe für sie. (Schaden die durch Thiere ver ursacht wer den.) Wenn ein Schade durch ein Thier verursacht wird, dessen Herr keine Ursache gehabt hat, so ge fährliche Neigungen in demselben zu vermuthen, so scheint eben die Entscheidung, daß nämlich beyde Theile etwas von dem Schaden tragen sollen, zwar billig, aber einige Civilgesetze* sind strenger gegen den Eigenthümer um ihn desto sorgfältiger in An sehung der Thiere zu machen, die er unterhält. Sind ihm schon vorher die Laster derselben bekant gewesen, so ist er ohne weitre Frage verbunden den ganzen Schaden zu ersetzen, weil es seine Schuldigkeit ge wesen wäre, diesem Schaden zuvor zukommen; und eine solche Nachlässigkeit allemal strafbar ist. (Die Schul digkeit derje nigen, wel che andre in Schaden se tzen.) II. Wenn jemand aus Unachtsamkeit oder in einer heftigen Leidenschaft dem andern einen Scha den verursacht hat, so ist es seine Schuldigkeit sich freywillig zur völligen Schadloshaltung, und allen denen Dingen zu erbieten, die ein unpartheyischer Richter als Bürgen der künftigen Sicherheit der beleidigten Person verlangt; und wenn dies gesche hen ist, mus die in Schaden gesetzte oder beleidig te Person, völlig versöhnt seyn. Eine freywillige Bequemung zur Schadloshaltung und zur Stel lung solcher Sicherheit aufs künftige, ist alles was 39
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Rechte die aus Jujurien entstehen. 647(Funfzehn ter Abschnitt.) ein billiger Mann in solchen Fällen verlangen kan. Wenn sich aber der Beleidiger weigert, sich dazu zu bequemen, so verräth eine feindselige und aller Jn jurien gegen andre fähige Neigung. Eine gewisse Art, andre in Schaden zu se(Die Jnju rie, wenn man andre mit der Be zahlung auf hält.) tzen ist so gewöhnlich, daß viele die Ungerechtig keit derselben nicht einzusehen scheinen. Wenn man nämlich die Bezahlung, solcher Forderungen die man für rechtmässig erkennt, immer verschiebt. Bey gewissen Schulden, bey denen, worüber Handschriften ausgestellt sind, und noch bey eini gen andern, schätzt das Recht den durch Aufschub der Bezahlung verursachten Schaden, auf die ge wöhnlichen Zinsen des Geldes; aber aus einer un vernünftigen Parteylichkeit lässt es bey andern For derungen keine Zinsen statt finden. Ein wirklich ehrliebender und gerechter Mensch wird die gewöhn lichen Zinsen zwar für hinreichend halten, einem begüterten Manne, der sein Geld nicht zum Handel oder zu Manufacturen anwendet, allen Schaden zu ersetzen; aber bey Handelsleuten ist der Schade der ihn auch nur durch Verschiebung der Bezahlung wiederfährt, unendlich schmerzhafter. Nicht zu gedenken, wie oft sie zu kostbaren Processen genö thigt werden, wie oft man ihren Credit schwächt, oder sie gar betriegt. Dies alles erklärt die gesun de Vernunft für die niederträchtigsten und unver schämtesten Arten des Diebstals, und wenn sie von einem boshaften Vorsatz herrühren, solten sie auch eben so bestraft werden. Aber so gar auch der Verzug der Bezahlung ist eine Jnjurie, und ein
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(Zweytes Buch.) 648 Rechte die aus Jnjurien entstehen. verursachter Schade, der dem Gewinne gleich ist, den der Kaufmann in der verlaufenen Zeit mit dem aus sen gebliebenen Gelde hätte machen können, und der sich gemeiniglich noch einmal so hoch als die ge wöhnlichen Zinsen eines Capitals beläuft. Wegen dieser doppelten Zinsen sollte es billig allemal erlaubt seyn zu klagen, wenn, die Bezahlung der ausge machten Summe, zu der im Contract fest gesetzten Zeit nicht erfolgte. Der andern grausamen Fol gen nicht zu gedenken, die durch solche Verzögerun gen verursacht werden, wenn der Credit des Han delsmanns sich verliert, und eine Familie die sonst ihren anständigen Unterhalt gefunden haben würde, auf einmal ins Verderben gestürzt wird. Die Kaufleute, und Unternehmer der Manufacturen müssen den Preis aller Güter um etwas erhöhen, um auf eine solche Art dem Schaden wieder beyzu kommen, den sie durch solche Verzögerungen, durch kostbare Processe, und durch unvermögende oder be trügerische Gläubiger, allemal leiden. Dieser Schaden fällt auf redliche und gute Haushalter so wol als auf diejenigen, die daran schuld sind; weil in Betracht solcher häufigen Verluste alle Güter um so viel theurer werden. Aus eben dem Ursachen müssen unsre Güter auf fremden Markten ebenfalls theurer verkauft werden; so das andre Nationen wo die Gerechtigkeit besser gehandhabt wird, vielleicht im Stande sind, eben dieselben Güter wohlfeiler zu geben, und also unsern Handel zu verderben. (Jn der natürlichen Freyheit ge) III. Vermöge der natürlichen Freyheit haben die Menschen ein Recht, sich, ihre Nachbarn, und
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 649(Funfzehn ter Abschnitt.) alle ihre vollkommnen Rechte mit Gewalt zu ver theidigen, und andre dadurch zu zwingen, daß sie alle gegründete Ansprüche, welche sie auf sie haben,(gründete Rechte, uns der Gewalt zu bedienen.) erfüllen. Wir sind unstreitig verbunden, vorher al le gütlichen Mittel zu versuchen. Wenn diese aber nichts ausrichten, so können wir uns der Gewalt und aller möglichen Hülfe von andern bedienen, die unsre Sache für gerecht halten. Jn bürgerlichen Ge sellschaften ist es nöthig sich, (wie wir bald sehen wer den,) der Weisheit und Stärke des Staats in sol chen Angelegenheiten zu bedienen, um den Uebeln zuvor zu kommen, die von Leuten, die selbst Theil an einer Sache haben, oder wegen befürchteter Jn jurien noch aufgebracht sind, verursacht werden könten. Man setzt von allen Bürgern voraus, daß sie dieses Recht, der gewaltthätigen Verfolgung und Vertheidigung, wenn sie nämlich den Beystand derselben erlangen können der Obrigkeit aufgetra gen, und ihrem Rechte sie in solchen Fällen selbst auszuüben entsagt haben. Die Regeln wegen der ge waltthätigen Verfolgung und Vertheidigung, sind in den verschiedenen Ständen, der natürlichen Freyheit und einer bürgerlichen Regierung ausserordentlich, und zwar in diesen dreyen Puncten,* 1) den Ursachen, 2) der Zeit, und 3) wie lange damit fortgefahren werden darf, verschieden. 1) Jm Stande der natürlichen Freyheit ist jede Schmälerung irgend eines unsrer vollkommnen Rechte, dieses mag wichtig oder nicht wichtig seyn, eine hinlängliche Ursache. Es ist wahr, daß jeder 40
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(Zweytes Buch.) 650 Rechte die aus Jnjurien entstehen. der Menschlichkeit nach verbunden ist, vorher alle gütlichen Mittel zu versuchen, und sich keiner wei tern Gewalt zu bedienen, als zu seiner eignen, oder anderer Sicherheit nöthig ist. Wir sollten auch allemal geneigter seyn, die Sache auf den Ausspruch unpartheyischer Schiedsrichter ankommen zu lassen. Hat die Jnjurie eine plötzliche Leidenschaft zum Grunde, die der Urheber selbst bald bereuen wird, und ist sie leicht wieder gut zu machen: so handeln wir menschlich, wenn wir sie lieber ertragen, als uns gefährlicher Gewaltthätigkeiten zu unsrer Ver theidigung bedienen. Hat uns aber der andre Theil die Jnjurie aus einem überlegten Vorsatze an gethan, und beharrt er nach allen freundschaftlichen Vorstellungen, darinne: so hat jeder das Recht sich mit Gewalt zu vertheidigen, wenn diese auch den Tod des Beleidigers nach sich ziehen sollte. Wenn man den Menschen nicht erlaubte ihre Rechte, die nicht von der grösten Wichtigkeit, aber doch voll kommen sind, mit aller ersinnlichen Gewalt zu ver theydigen; so würden alle rechtschafne Leute mit ih ren Gütern den Unverschämten und Niederträchti gen, als ein beständiger Raub, blosgestellt seyn. Eine kleine Jnjurie kan alle Stunden von eben der Person, oder von andern, die eben so unverschämt sind, wiederholt werden. Wenn man wider solche Uebel kein Mittel wüste, würde das Leben uner träglich. Das allgemeine Beste und die öffent liche Ruhe erfordern, daß man die Bösen mit Ge walt von solchen Unternehmungen abzuschre cken sucht.
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 651(Funfzehn ter Abschnitt.) Was die Aufrechthaltung unsrer kleinern Rechte betrift, so kan man kaum behaupten, daß unbetrachtliche Jnjurien uns ein Recht geben, den Gebrauch der Gewalt aufs äusserste zu treiben, oder, daß es nöthig wäre, Leute mit grosser Gewalt zu Erfüllung wenig bedeutender Contracte, oder ir gend einer Kleinigkeit, worauf wir ein vollkommnes Recht haben, anzuhalten. Wir können uns aller Gemeinschaft mit solchen Personen inskünftige ent halten, und es ist besser, einen kleinen Verlust zu erdulden, als sich den Vorwurf zu machen, daß wir eines geringen Vortheils wegen, einen unsrer Ne benmenschen des Lebens beraubt; da wir uns doch durch andre Mittel inskünftige vor ähnlichen Jnjurien hätten in Sicherheit setzen können. Ein Unterthan, der unter einem bürgerlichen(Unter ei nem bürger lichen Regi mente sind sie verschie den.) Regimente steht, darf sich gegen Leute, die den Ge setzen unterworfen sind, keiner Gewaltthätigkeit bedie nen, es müste denn geschehn, sich vor unersetzlichen Jnjurien zu vertheydigen; diese mögen ihrer Na tur nach, oder wegen des Unvermögens des Belei digers unersetzlich seyn. Jn andern Fällen, ist ei ne gerichtliche Klage ein sicheres Mittel. Sind die Beleidiger nicht vors Gericht zu bringen, wie z. E. Flüchtlinge, Strassen- und Seeräuber, so be halten wider sie die Rechte der natürlichen Frey heit ihre Stärke; wie auch in allen Fällen, wo die Hofnung sie zu entdecken, und zu überzeugen, nicht statt findet. Wie bey vielen Dieben, die zur Nachtzeit stehlen.* Des gerichtlichen Zwangs sind 41
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(Zweytes Buch.) 652 Rechte die aus Jnjurien entstehen. wir nur verbunden, uns wider diejenigen zu bedie nen, die sich ihm nicht entziehen, und die dadurch angehalten werden können, unsre Forderungen zu erfüllen. (Wenn man anfangen darf Gewalt zn brauchen.) IV. 2) Alsdenn dürffen wir der natürlichen Frey heit nach anfangen Gewalt zu brauchen, wenn unser Gegner seine feindseligen und ungerechten Absichten hinlänglich an den Tag gelegt hat, und wenn die Vorstellungen die wir Zeit gehabt haben ihm zn<zu> thun, nichts gefruchtet haben. Man ist nicht ver bunden den ersten Angrif zu erwarten, dies könte oft zu gefährlich seyn, oder einen unersetzlichen Schaden verursachen. Jn einem solchen Zustande ist es gemeiniglich leichter sich zu vertheydigen, oder einer Jnjurie zuvor zu kommen, als nachher mit Gewalt eine Genugthuung zu erhalten. Jn al len Fällen aber, wo wir uns nicht in unmittelbarer Gefahr befinden, ist es am besten, weil die heftig sten Leidenschaften in uns entstehen können; wenn wir uns von weisen Schiedsrichtern, die an der Jn jurie keinen Theil haben, wegen der Mittel uns zu vertheydigen, oder unsern Feind zu verfolgen, ra then lassen. Unter einem bürgerlichen Regimente, müssen wir bey Drohung selbst einer unersetzlichen Jnju rie, uns allemal unsrer Vertheydigungen wegen an die Obrigkeit wenden, die Gefahr müste denn so dringend seyn, daß sie nicht im Stande wäre uns
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 653(Funfzehn ter Abschnitt.) zu Hülfe zu kommen. Wir müssen ihr auch alle gewaltsame Verfolgung unsrer Rechte wider un sre Mitunterthanen überlassen. V. 3) Der natürlichen Freyheit nach, sind(Wie lange man berech tiget ist da mit fortzu fahren.) wir berechtigt so lange Gewalt zu gebrauchen, bis die Gefahr abgetrieben ist, bis wir die Ersetzung alles Schadens und aller Kosten, die die Jnjurie verursacht hat, die Vollstreckung alles desjenigen, worauf wir ein Recht besitzen, und eine völlige Sicherheit vor ähnlichen Jnjurien aufs Künftige er halten haben. Das Beste der Gesellschaft erfor dert es so wohl als die Bedürfnis der beleidigten Person, daß alle diese Dinge erhalten werden. Das Publicum, oder das menschliche Ge(Auch die Strafen sind in der natür lichen Frey heit gerecht.) schlecht als ein System betrachtet, hat sogar noch ferner das Recht, die Uebelthäter mit noch andern Uebeln zu belegen, die nohwendig sind, um andre von gleichen Unternehmungen abzuschrecken. Die ses letzte Recht aber darf die Person, die in Gefahr eines gegenwärtigen Uebels gewesen ist, nicht allein, sondern nur mit andern, die keine Privatursachen zur Rache haben, gemeinschaftlich ausüben. Eini ge entsetzliche Verbrechen, als Ermordungen, Todtschläge, Vergiftungen, Diebstähle, oder See raubereyen, zeigen eine so eingewurzelte Bosheit an, daß die Gesellschaft schwerlich durch etwas an ders, als den Tod der Verbrecher hinlängliche Si cherheit vor der Wiederholung gleicher Verbrechen erhalten kan. Und da viele durch die Hofnung, daß die Sache verborgen bleiben wird, daß sie durch die Flucht, oder eine glückliche Gegenwehr der
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(Zweytes Buch.) 654 Rechte die aus Jnjurien entstehen. Strafe entgehen werden, angelockt werden können, Ungerechtigkeiten zu begehen: so erfordert es das Beste der Gesellschaft, daß die Strafe derjenigen, welche ergriffen und überzeugt werden, so gros ein gerichtet wird, daß sie die Hofnung, die sie allemal unterhalten, der Strafe zu entgehn, überwiegen, und andre von gleichen Unternehmungen abschre cken. Schon darum, weil die Grösse des Uebels die Hofnung der Straflosigkeit billig überwiegen mus,[,] wird es bey allen bürgerlichen Regimenten für billig erkant, daß, da die Verbrechen so häuffig sind, und gewis allemal die Hälfte der Uebelthäter ent wischen, die Strafe zum wenigsten verdoppelt wird. Eben diese Regeln, wegen der Strafe überhaupt, und aller Vermehrung oder Verminderung dersel bes, gelten auch in dem Stande der natürlichen Freyheit, obgleich die Vollstreckung derselben nicht allemal so leicht seyn, oder so gewis erfolgen kan. Die Bestrafung der Verbrechen im Stande der natürlichen Freyheit, ist vielmehr noch nothwendi ger, und wird durch eben die Gründe gerechtfertigt. Dadurch, daß die Vollstreckung der billigen Straf urtheile in einem solchen Zustande sehr schwer ist, wird nicht bewiesen, daß kein Recht zu bestrafen da ist, oder daß dieses ganze Recht aus der bürgerli chen Policey entspringt. Denn durch eben diese Art zu schliessen, könnten wir auch die Menschen um alle Rechte, sich selbst zu vertheydigen, bringen, in dem wir behaupteten, daß auch diese durch die bür gerliche Policey hervorgebracht würden.
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 655(Funfzehn ter Abschnitt.) Unter einer bürgerlichen Regierung darf kei ne Privatperson die Gewaltthätigkeiten wider Leu te, die die Gesetze über sich erkennen, weiter treiben, als nöthig ist, um die gegenwärtige Gefahr abzutrei ben. Alles übrige mus der Obrigkeit überlassen werden. Wir müssen uns erinnern, daß der Urheber ei(Aus keiner Jnjurie ent steht ein un endliches Recht.) ner Jnjurie oder einer boshaften Beleidigung nichts desto weniger ein Gegenstand unsrer Menschenliebe bleiben mus, und daß wir zu weiter nichts berech tigt sind, als eine Jnjurie von uns abzutreiben, unser Recht mit Ersetzung alles Schadens zu be haupten, und für uns selbst und die Gesellschaft aufs künftige Sicherheit vor dergleichen Beleidi gungen zu erhalten zu suchen. Was wir gegen boshafte Leute aus solchen wohlthätigen und noth wendigen Absichten vornehmen, ist gerecht; alles aber, was nicht zu solchen Absichten dient, oder un umgänglich dazu erfordert wird, ist ungerecht und grausam, wenn wir es auch den Abscheulichsten unter den Menschen widerfahren liessen. Hieher gehören alle verborgene Martern, wenn man einen hitzigen und rachgierigen Geist durch Beleidigun gen aufzubringen sucht, wenn man andre, irgend einer von unsern Begierden aufopfert, oder des Verbrechers Gewissen in Religionssachen zwingt. Es ist aufs äusserste grausam und ungerecht mehr Elend hervorzubringen, als zu den oben angeführ ten Ursachen erfordert wird. Sind diese erreicht, und können sie damit bestehn, so sind Menschlich keit, Barmherzigkeit und Mitleiden gegen böse Leu te liebenswürdige und tugendhafte Eigenschaften.
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(Zweytes Buch.) 656 Rechte die aus Jnjurien entstehen. Die edelste Quelle der Strafe ist, eine weit ausge breitete Menschenliebe oder eine Sorge für die Si cherheit und Glückseligkeit der ganzen Gesellschaft. (Unrechtmäs sigkeit der Duelle.) VI. Aus den vorigen Schlüssen folgt es, daß alle Zweykämpfe in einer bürgerlichen Gesellschaft ein Verbrechen seyn müssen. Dann können sie er laubt seyn, wenn sie mit Einwilligung zweener Staaten bestimmt sind, einen Krieg zu endigen; ob gleich die Art einen Streit, der besser durch ei nen richterlichen Ausspruch oder durchs Loos hätte entschieden werden können, durch den Tod eines herzhaften Mannes auszumachen, äusserst thöricht ist. Wenn aber einer der Staaten auf diese Art dringt, so kan der andere sie mit Recht annehmen, wenn beyde bey einer andern Art nicht so viel Sicher heit vor sich sehen. Von Mitbürgern aber sezt man allemal voraus, daß sie die Entscheidun gen ihrer Streitigkeiten den Richtern überlassen haben. Bey denen Nationen, wo die Duelle im Schwange gehn, können die Jnjurien, die dazu Gelegenheit geben, selten dadurch wieder gut ge macht werden, der Ausgang mag seyn wie er will. Ueberdies befindet sich die unschuldige Partey mit der schuldigen in gleicher Gefahr. Diese Gewohn heit ist zu den dunkeln abergläubischen Zeiten einge führet worden, da die papistische Geistlichkeit alle Welt zur Tapferkeit aufzumuntern suchte, nachdem sie vorher durch List Mittel gefunden hatte, dieselbe vermöge der Creutzzüge und heiligen Kriege zu Ausbreitung ihrer Herrschaft anzuwenden. Die
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 657(Funfzehn ter Abschnitt.) abergläubischen Ritter waren fest überzeugt, daß die Vorsehung sich allemal durch Wunderwerke zum Behufe der Unschuld ins Mittel legte. Die Beschuldigungen der Falschheit, der Verrätherey, der Unredlichkeit und andrer Laster können, durch Duelle, wenn sie auch glücklich für den Beschuldig ten ausfallen, nicht widerlegt werden. Ein Lüg ner, ein Betrüger, ein Schelm, der elendeste, nie derträchtigste Bösewicht kan auf dem Degen glück lich seyn, und so gut mit einer Pistole zu zielen wissen, als der tugendhafteste Mann. Der glück liche Ausgang eines Duells verändert keines weisen Menschen Meinung von unserm Character, ob gleich andre vielleicht vorsichtiger werden, und ihre böse Meinung nicht so leicht zu erkennen geben. Der Vorwurf der Feigheit ist der einzige, zu dessen Ablehnung das Duelliren etwas beytragen kan. Aber viele der Schlechtesten unter den Menschen sind bey solchen Vorfällen nicht feigherzig, da sie doch bey Gelegenheiten, wo ihr Vaterland bey den wichtigsten Dingen, sowohl zu Kriegs- als Frie denszeiten ihren Muth verlangt, nicht den gering sten bezeigen. Wenn ein Mensch gewisser Laster wegen be(Wie wir unsre Ehre behaupten können.) schuldigt wird, so ist die Unternehmung, da er den Beschuldiger zu tödten sucht, eine so unmensch liche als unnütze Rache, da sie nicht im Stande ist, die Beschuldigung zu widerlegen, sondern sie viel mehr bestätigt. Wir müssen durch das Recht eine anständige Genugthuung zu erhalten suchen. Bey weisen Leuten und so gar auch bey Schwachen können
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(Zweytes Buch.) 658 Rechte die aus Jnjurien entstehen. wir den Character der Tapferkeit am besten be haupten, so oft unser Vaterland im Kriege einiger Dienste, die mit grosser Gefahr begleitet sind, benö thigt ist; ja auch schon dadurch, wenn wir zu Frie denszeiten mit einem kühnen Entschlusse sein Be stes wider die verrätherischen Absichten grosser Leu te, die die Gewalt besitzen, oder auch wider unsre Freunde behaupten, und zur gehörigen Zeit unsern Unwillen über die Laster andrer zeigen. Mancher Schläger zeigt sich bey solchen Vorfällen als eine Memme. Ein tugendhafter Mann, der nichts wider seine Pflicht gethan hat, ist nicht verbunden, einer ungerechten Rache wegen, die andre ihm dro hen, sich im geringsten einzuschränken, oder weni ger als vorher an Orten, wohin ihn seine Verrich tungen oder seine Vergnügen rufen, zu erscheinen; wenn er es nicht seiner Sicherheit wegen für dien lich hält. Wird er alsdenn angegriffen, so hat er Gelegenheit, seinen Muth in einer gerechten Selbst vertheidigung zu zeigen. Jemand, der einem andern durch falsche Be schuldigungen oder durch Entdeckung seiner verborg nen Fehler Unrecht gethan hat, thut zu seinem vorigen Verbrechen ein schrecklichers hinzu, wenn er eine Ausforderung annimt, und dem Menschen, den er beleidiget hat, nach dem Leben trachtet. Das auf richtigste Geständnis seiner vorigen Falschheit, Ue bereilung oder Unmenschlichkeit ist das einzige, was er mit Ehren vornehmen kan. Hat jemand den Herausforderer nicht beleidigt, so ist es dennoch eine grosse Thorheit, auf eine im Zorne geschehene
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 659(Funfzehn ter Abschnitt.) Herausforderung sein eigen Leben in Gefahr zu setzen oder nach dem Leben eines andern zu trachten. Aber wie, wenn die Welt von eines Menschen Herz haftigkeit nicht überzeugt ist? Er kan vielleicht in andern Absichten für ein nützliches und ehrenwer thes Mitglied der Gesellschaft gehalten werden. Und durch den Entschlus, einen solchen Vorwurf seines guten Gewissens wegen zu ertragen, kan man cher im Grunde mehr Ehre, als durch irgend eine Gewaltthätigkeit, verdienen. Wenn die Gesetze eines Staats so ausseror(Wichtige Ursachen, die Duelle in schlecht ein gerichteten Staaten zu rechtfertigen.) dentlich mangelhaft sind, daß sie keine Genugthu ung für persönliche Beleidigungen, oder schmähli che Jnjurien unsrer Mitbürger, oder für Verläum dungen verschaffen; welche unserm natürlichen Ver langen nach Ehre, und unserm Abscheu vor der Verachtung, welche Empfindungen zu schonen doch die Politic in jedem Staate erfordert, sehr schmerzhaft seyn müssen; wenn eine herrschende ob gleich thörichte und verbrecherische Gewohnheit nur ein einziges Mittel wider diese Jnjurien übrig gelassen hat, die doch schmerzhafter sind, und in dem Beleidiger eine feindseligere und boshaftere Nei gung verrathen, als solche Antastungen unsers Ei genthums, die wir mit dem Tode des angreiffen den Theils abzutreiben berechtigt sind: so scheint ein Duell eher zu entschuldigen zu seyn, wenn näm lich die Obrigkeit in der Sache keine Genugthuung verschaffen kan. Wenn wir durch Ablehnung dieses durch gängig eingeführten Mittels die Verläumdung
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(Zweytes Buch.) 660 Rechte die aus Jnjurien entstehen. bestätigen, und den Räuber unsrer Ehre, oder andre von gleichen Neigungen aufmuntern, ihre Beleidi gungen zu wiederholen, oder sie auch bey andern zu versuchen; Wenn wir zugleich dadurch allen Ge genwärtigen zu erkennen geben, daß wir das Leben bis zur Niederträchtigkeit lieben, und es aller Ehre und Hochachtung unsrer Mitbürger, auf eine Art, die edlen Seelen verächtlich scheinen mus, vorzie hen: so befinden wir uns unstreitig in einer drin genden Noth. Ja eine besondre Art von mora lischer Verbindlichkeit kan oft in solchen Fällen ei nen Tugendhaften, wenn er auch alle persönliche Feindschaft und Rachgier unterdrückt hat, bewegen, sein Leben zu wagen, um seine Ehre zu behaupten, und die menschliche Gesellschaft, von solchen über müthigen und trotzigen Räubern desjenigen, was uns unstreitig schätzbarer ist, als unser äusserliches Eigenthum, zu befreyen. Enthält eine solche Handlung ein Verbrechen, so fällt es ohne Zweifel hauptsächlich auf den Gesetzgeber, weil seine Saum seligkeit, für die Vertheidigung solcher Rechte zu sorgen, die seinen Bürgern die theuersten seyn müssen, sie zwingt, solche Maasregeln zu ergreifen. (Der einzi ge Entzweck aller gerech ten Gewalt thätigkeiten.) VII. Wir müssen aber niemals vergessen, daß alle Gewaltthätigkeiten nicht weiter gerechtfertigt werden können, als in so fern sie auf die Erfüllung der grossen oben angeführten Endzwecke abzielen. Haben die Beleidiger sich zur Genugthuung erbo ten, alle billigen Forderungen von unsrer Seite statt finden lassen, unterwerfen sie sich allen Strafen, welche ihnen von billigen Richtern aufgelegt werden
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 661(Funfzehn ter Abschnitt.) um andre abzuschrecken: so haben wir alle End zwecke des Gebrauchs der Gewalt erreicht, und wei ter darinne fortzufahren, würde grausam und unge recht seyn. Die Partey also, welche einen Krieg mit Rechte angefangen hat, hört sogleich auf Recht zu haben, wenn sie nach angebotenen billigen Frie densvorschlägen mit den Feindseligkeiten fortfährt. Wenn wir nicht im Stande sind, für andern(Wozu wir verbunden sind, wenn eine völlige Genugthu ung unmög lich ist.) angethane Jnjurien völlige Genugthuung zu leisten: so müssen wir doch alles thun, was in unserm Ver mögen steht. Hat also jemand einen andern auf eine ungerechte Art, die ihm aber dennoch nicht die Todesstrafe zuziehn kan, seines Lebens beraubt: so ist es seine Pflicht, der leidenden Familie ihren Ver lust, so viel nur immer in seinem Vermögen steht, durch alle Arten von freundschaftlichen Diensten zu ersetzen. Jst jemand durch seine Laster oder seine Nachlässigkeit banquerot geworden, daß er seine Gläubiger nicht bezahlen kan, so ist er verbunden, alle seine Arbeiten ihrem Dienste zu widmen. Sie haben ein vollkomnes Recht darauf. Ueber diese Dinge sind die Gesetze gewisser(Fehlerhafte Gesetze über diese Dinge.) Staaten ausserordentlich widersprechend. Wenn je mand seinen Nachbar durch Diebstal um eine Klei nigkeit bringt, so wird er am Leben gestraft. Stürzt aber ein andrer durch ein ausschweifendes lüderli ches Leben, alle diejenigen, die so freundschaftlich ge wesen sind, ihm zu trauen, ins Verderben; borgt er auf eine betrügerische Art von seinen Freunden, wenn er selbst weis, daß er nicht wird bezahlen kön nen: so findet sich für ihn keine andre als eine lä
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(Funfzehn ter Abschnitt.) 662 Rechte die aus Jnjurien entstehen. cherliche Strafe, die entweder den Staat, oder den Gläubiger beschwert, nämlich eine beständige Ge fangenschaft. Und dies aus keiner andern Ursache, als weil einige wenige, ohne ihre Schuld, banque rott werden. Warum sezt man solche Leute gefan gen? Giebt es keine leichte Prüfungsmittel in sol chen Fällen, wodurch man die Unschuldigen von de nen, die sich durch ihre Laster unglücklich gemacht haben, unterscheiden kan? Wir überlassen bey an dern Vorfällen unser Leben dem Ausspruche von Geschwornen, und auch hier könte eine Versamm lung von geschwornen Nachbarn, die Summe, wo mit der Banquerottirer angefangen, untersuchen, seine Bücher durchsehn, über seine Aufführung und Lebensart Zeugen abhören, und durch diese Mittel die Quelle des Uebels ausfündig machen. Rühr te dieses blos von unglücklichen Zufällen, und von keiner groben Nachlässigkeit, Schwelgerey oder Ei telkeit her: so sollten die Gläubiger ihr Unglück geduldig ertragen, und der Schuldner in Freyheit bleiben. Er müste nur angeloben, seine Schulden, so bald er in bessere Umstände käme, zu bezahlen; und alles was er mehr, als zu einem mässigen Unterhalte nöthig wäre, gewönne, müste er, wenn die Gläubi ger es verlangten, anwenden, etwas davon abzutra gen. Was aber diejenigen betrifft, die durch ihre Laster banquerott werden, so würde die Todesstrafe, wenn sie einigen Nutzen stiften könte, hier nicht grau samer, als in dem andern Falle seyn, weil sie oft bos hafter sind als wirkliche Diebe, und ungleich mehr Schaden verursachen. Sie zu ewiger Sclaverey zu verdammen, wäre vielleicht noch besser, weil es etwas
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Rechte die aus Jnjurien entstehen. 663(Funfzehn ter Abschnitt.) beytragen könte, den verursachten Schaden zu ersetzen, und hinlänglich wäre, andre abzuschrecken. VIII. Die Quellen dieser gemeinen Rechte,(Wie die Rechte ver nichtet wer den.) und die Contracte, worauf sie gegründet sind, wer den uns auch zeigen, wie sie vernichtet werden. Die verschiedenen Arten, wie es geschehen kan, las sen sich in diese drey Classen bringen, 1) durch die Leistung dessen, was wir schuldig sind, oder die Er füllung der Ansprüche eines andern, diese mag ent weder durch uns selbst, durch eine andre Person in unserm Namen, oder auf irgend eine andre Art ge schehen. Kein Glaubiger ist verbunden, die An sprüche, die er auf eine Person hat, einem dritten abzutreten, wenn der Schuldner es nicht verlangt, oder wenn es nicht offenbar zu zu seinem Vortheile gereicht; denn dieser dritte kan eine boshafte Absicht hegen, ihn unglücklich zu machen. Auf Verlangen des Schuldners aber, mus er jede gangbare Bezah lung, von jeder Person annehmen, die derselbe ihm anweist. Bey Leistungen gewisser Schuldig keiten oder Ehrenbezeugungen, erhöht die Würde der Person, welche sie leistet, ihren Werth unge mein, und bey Werken, die auf das Genie ankom men, wird vornämlich auf die Fähigkeit des Künst lers gesehn. Jn solchen Fällen also, kan die ver bundene Person ohne ausdrückliche Einwilligungen der Person, der sie etwas schuldig ist, keinen an dern an ihrer Stelle schicken. Unter diese Classe bringt mans auch mit Rechte die Vergütungen, wenn zwo Personen, die einander schuldig sind,
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(Zweytes Buch.) 664 Rechte die aus Jnjurien entstehen. sich durch verschiedene Güter von gleichem Werthe befriedigen. 2) Eine andre Art Rechte oder Verbindlich keit aufzuheben, ist die, wenn die berechtigte Person, ihre Ansprüche freywillig fahren lässt; wenn diese nämlich niemanden, als ihr allein, zu irgend einem Vortheile gereichen, oder keine Gesetze da sind, die eine solche Erlassung verbieten.* Diese kan frey willig und umsonst, oder auf eine Art geschehn, die beyden Theilen gleich beschwerlich ist. 3) Die dritte Art ist, wenn eine gewisse Be dingung, auf welcher die Kraft einer Verbindlich keit beruht, nicht erfolgt. Hieher kan man auch die Treulosigkeit einer Parthey rechnen, wo durch die andre, wenn sie will, befreyt wird. Unter die Bedingungen, welche einen Contract kraftlos machen können, gehört auch das Leben, oder, wenn die verbundene Person in ihrem vorigen Zustande oder Amte bleibt. Solche Contracte oder Verbindlichkeiten, die einen gewissen Zustand, oder ein gewisses Amt in der verbundenen Person voraus setzen, oder blos auf ihrem Leben beruhen, so, daß sie für die Erben nicht verbindlich sind, erlöschen mit ihrem Tode, oder, wenn sie das vorausgesetzte Amt verliert. Solche, welche nur die Person selbst angehn, und nicht mit zum Behufe der Erben ge 42
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665(Sechzehn ter Abschnitt.) schlossen sind, verlieren ebenfalls mit ihrem Tode ihre Kraft. Es ist allemal aus der Natur eines Contracts oder Versprechens ganz deutlich zu er sehn, ob sie bestimmt sind, mit dem Tode der einen Parthey, aufzuhören, oder nicht.

Der sechzehente Abschnitt, Von den allgemeinen Rechten der menschli chen Gesellschaft, oder Des menschlichen Geschlechts als ein System betrachtet.

I.Bis hieher haben wir die Rechte und Ver(Rechte der Menschen, als ein Sy stem betrach tet.) bindlichkeiten betrachtet, welche gewisse einzelne Personen ins besondre betreffen, und zu Gründung ihrer Glückseligkeit bestimmt sind, in so fern diese mit dem allgemeinen Besten bestehn kan, oder vielmehr dazu dient. Da wir aber nicht allein die eingeschränktere Art von menschenfreundlichen Nei gungen, und ein Gefühl, das uns von unsrer Pflicht überzeuget, wenn wir ihren Trieben, durch gute Dienste, die wir einzelnen Personen erweisen, oder, durch Vermeidung dessen, was ihnen schaden könte, ein Genüge thun; sondern auch grössere Neigungen und ein höheres Gefühl von unsrer Pflicht, nichts wider das gemeine Beste zu thun, besitzen: so fin den sich für die Menschen manche allgemeinere und grössere Verbindlichkeiten, das allgemeine Beste zu Rathe zu ziehen, wenn auch keine einzelne Person mehr Antheil an unsrer Handlung nimmt als ir
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(Zweytes Buch.) 666 Gemeine Rechte gend eine andre. Das menschliche Geschlecht als ein System betrachtet, scheint das Recht zu haben, von jedem seiner einzelnen Glieder eine Aufführung zu fordern, wie sie für das gemeine Beste noth wendig ist, und es dahin anzuhalten, daß es nichts, was zu Gegentheil dienen könte, vornimmt, wenn gleich die böse Aufführung kein einzelnes Glied mehr als das andre angeht. Von diesen Rechten oder Verbindlichkeiten, sind einige vollkommen; so, daß es billig seyn kan, sie mit Gewalt zu ihrer Er füllung zu bringen. Bey andern ist die Verbind lichkeit von feinerer Art, so, daß sie keine Zwangs mittel zuläst; sondern die Ausübung unsrer Pflicht, unsrer Klugheit und Tugend, überlassen werden mus. Zu den vollkommnen gehören folgende. (Den Selbst mord zu ver hindern.) 1) Da jede einzelne Person ein Theil dieses Systems ist, dessen Glückseligkeit und Dauer auf den Wohlstand seiner Theile beruht; da jeder, wenn er anders die erforderlichen Gesinnungen hat, andern in der Gesellschaft, wenigstens durch seinen Rath oder sein Beyspiel nützlich werden kan; da wir von der Natur nicht für uns selbst, sondern jeder dem andern zum Dienste hervorgebracht sind: so ist je der verbunden, in diesem Leben zu bleiben, so lan ge er andern nützlich seyn kan, wenn dieses auch nur dadurch geschähe, daß er ein Beyspiel von Ge duld und Ergebung in den göttlichen Willen, zeigte; ausgenommen, wenn wichtige Ursachen ihn nöthi gen, sein Leben in Gefahr zu setzen. Die mensch liche Gesellschaft hat ein Recht alle Versuche des
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des menschlichen Geschlechts. 667(Sechzehn ter Abschnitt.) Selbstmords mit Gewalt zu verhindern. Wenn sich jemand aus einer unvernünftigen Niederge schlagenheit, aus Melancholie oder Kummer des Le bens berauben will: und diese allgemeine Rechte der Gesellschaft hat jede einzelne Person bey jeder Gelegenheit das Recht zu vollstrecken. Es wird keine andere Verbindlichkeit erfordert, einen Men schen zu Störung solcher Unternehmungen zu be rechtigen, als das gemeine Band der Menschlich keit. Erhielten solche ungemässigte Leidenschaften die Oberhand, würde der Selbstmord für ein anstän diges Mittel gehalten, den gewöhnlichen Verdrüs lichkeiten des Lebens, oder selbst dem heftigsten Kummer zu entgehn, und hielte uns keine Empfin dung unsrer Pflicht von solchen Unternehmungen ab, so würden die edelsten Geister sich oft in der Hitze eines Lebens berauben, das ihnen noch zur Freude, und der Welt zum Nutzen und zum Schmucke hät te gereichen können. Das menschliche Geschlecht hat ein Recht, sich solchen hitzigen Entschlüssen zu widersetzen. III. Eine andre Verbindlichkeit der einzelnen(Das mensch liche Ge schlecht zu erhalten.) Glieder gegen das Ganzen besteht darinne, daß sie für die Erhaltung des menschlichen Geschlechts sor gen müssen. Leute, die nicht durch andre Sorgen abgehalten werden, die aus wichtigen Diensten, die sie dem menschlichen Geschlecht leisten, entstehn, sind verbunden, ihren Antheil von der Last, junge Kinder aufzuziehen, zu tragen; sie müsten denn in Umständen seyn, die sie dazu ungeschickt machten. Jndessen mus doch diese Pflicht beynahe gänzlich der
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(Zweytes Buch.) 668 Gemeine Rechte Klugheit der einzelnen Glieder überlassen werden. Eine Gesellschaft würde schwerlich weise handeln, wenn sie ihre Mitglieder zwingen wollte Kinder zu zeugen, sie möchten es wollen oder nicht; aber den ehelosen Stand lästig zu machen, und weniger zu ehren, dazu hat sie die wichtigsten Ursachen. Jn diesem und dem obigen Puncte von der Erhaltung unsers Lebens, hat die Natur durch starke uns ein gepflanzte Triebe beynahe durchgängig, die Erfül lung unsrer Pflichten gewis gemacht. Diese Trie be aber sind so wenig im Stande, unsern Begrif von der moralischen Verbindlichkeit aufzuheben, oder ganz seine Stelle einzunehmen, daß sie denselben vielmehr befestigen, und aufs deutlichste zeigen. (Und die Eltern zu zwingen, daß sie ihre Kin der erhalten.) Wie diejenigen, welche sich Kinder wünschen, oder Gelegenheit gegeben haben, daß die Welt mit ei nigen vermehrt worden ist, wie die natürliche Liebe sehr deutlich anzeigt, aufs heiligste verbunden sind, für ihre Kinder, und die Erziehung derselben zu sor gen, und sie zu tüchtigen Gliedern der Gesellschaft zu bilden: so hat das menschliche Geschlecht als ein System betrachtet, und eine jede Gesellschaft das Recht, sie zu Erfüllung dieser Pflichten anzutreiben. Sie haben gleichfalls das Recht, solche Arten der Fortpflanzung zu verhindern, welche eine anständige Erziehung der Kinder unmöglich machen würde, weil die Väter dabey ungewis bleiben, und also die ganze Last der Erziehung auf die Mütter fällt. Das Be ste des menschlichen Geschlechts erfordert es, solchen Misbräuchen zuvor zu kommen; wenn auch die be trognen Mutter dem bestrickenden Anliegen der
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des menschlichen Geschlechts. 669(Sechzehn ter Abschnitt.) Männer freywillig weichen wollten. Hievon wer den wir inskünftige noch weitläuftiger handeln. Das menschliche Geschlecht hat ein gleiches(Alle Arten unnatürli cher Wollü ste zu verhin dern.) Recht allen Ablenkungen des natürlichen Jnstinkts von seinen wahren Bestimmungen und allen Mitteln seine Endzwecke zu vernichten, vorzubeugen. Hieher gehören alle unnatürliche Wollüste, und alle abtreiben de Künste. III. Das menschliche Geschlecht besitzt ferner(Sich der Verderbung irgend einer nützlichen Sache zu wi dersetzen.) das Recht, und jedes Glied ist verpflichtet, die Verderbung irgend eines den Menschen nützlichen Dinges, die aus Leichtsinn oder Bosheit vorgenom men werden soll, zu verhüten, obgleich kein einzelnes Mitglied, oder eine gewisse Gesellschaft ein besonde res Recht auf diese Sache hat. Etwas nützliches darf auch so gar von denenjenigen nicht verderbt werden, die ein Eigenthum darüber erlangt haben, wenn es ihnen nicht zu einigem Nutzen oder Vergnügen ge reicht; sonst würde es einen Haß oder einen Neid gegen das menschliche Geschlecht anzeigen. Also dürffen keine Quellen verstopft oder vergiftet werden, nützliche Erdfrüchte, deren viele bedürfen, dürfen von den EigentühümernEigenthümern nicht aus Eigensinn verderbt werden, weil sie für ihren Theil hinlänglichen Vor rath davon haben. Niemand darf schädliche Crea turen einführen, und sie an Orten, die vorher davon frey gewesen sind, los lassen. IV. Es ist auch ein Recht oder eine Pflicht des(Das Recht alle Jnjurien abzutreiben und zu be strafen.) Systems, welche jeder wenn er Gelegenheit dazu hat auszuüben verbunden ist, den Unschuldigen wi
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(Zweytes Buch.) 670 Gemeine Rechte der ungerechte Gewaltthätigkeiten beyzustehen, den angreifenden Theil abzutreiben, und völlige Erse tzung des Schadens, und aufs künftige Sicherheit vor gleichen Anfällen zu erhalten. Ohne dieses Recht würden alle menschlichen Güter und Genüsse von sehr zufälliger Dauer seyn, denn wenige würden sich auf ihre Kräfte verlassen können, um die vereinigte Gewalt andrer abzutreiben. Da ein Beyspiel ei ner vortheilhaft gewordenen Jnjurie, andre alle mal zu gleichen Unternehmungen anlockt, so erfor dert es das gemeine Beste, diesen bösen Einflus so oft als möglich zu hemmen, und die Unternehmer der Jnjurien zur Strafe mit Uebeln zu belegen, die hinreichend sind so wohl in ihren als andern Gemü thern durch ihre Schrecken, alle Anlockungen zur Ungerechtigkeit zu überwiegen, die aus der Hofnung entstehn, daß sie verborgen bleiben, oder sonst der Strafe entgehen werden. Dies ist der Grund des Rechts zu bestrafen, welches die Menschen, wie oben schon gesagt worden ist, sowol in einem Stan de der natürlichen Freyheit als unter einer bürgerli chen Verfassung besitzen. Die Jrrthümer oder Un bequemlichkeiten, die mit der Vollstreckung dieses Rechts im Stande der natürlichen Freyheit unfehl bar verknüpft seyn würden, heben das Recht nicht auf, sondern zeigen den grossen Nutzen des bürgerli chen Regiments. (Ein Recht Leute die Sa chen von sehr grossen Nu tzen erfun den haben zu Allgemein) V. Wir können gleichfalls für das menschliche Geschlecht als ein System betrachtet und jede Ge sellschaft selbst vor der Einführung eines bürgerli chen Regiments das Recht behaupten, jede Person
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des menschlichen Geschlechts. 671(Sechzehn ter Abschnitt.) zu Bekantmachung einer glücklichen Erfindung worauf sie gefallen ist, und welche sehr nöthig oder nützlich zu Erhaltung des menschlichen Lebens, oder(machung derselben zu zwingen.) zur Vermehrung der menschlichen Glückseligkeit seyn kan, zu zwingen. Der Erfinder hat unstrei tig ein Recht sich für das was sein Fleis, sein Glück oder seine Fähigkeit erfunden hat, die wich tigsten Vortheile zu bedingen, und sich so viel erse tzen zu lassen, als dadurch Gutes für die Gesell schaft entsteht, oder als die Arbeit der Erfindung ihm gekostet hat, oder als er selbst dadurch hätte gewinnen können. Wenn aber ein Mensch zu un billig in seinen Forderungen oder so unmenschlich ist, daß er seine Erfindungen, da wo sie gebraucht werden, nicht anwenden will, oder will er das Ge heimnis beständig für sich behalten, daß es also mit seinen Tode verloren gehen müste, so hat jede Gesell schaft, wenn nämlich die Sache für das menschli che Geschlecht von grosser Wichtigkeit ist, das Recht ihn zu zwingen, daß er sich einem rechtlichen Aus spruche, über das was ihm für seine Erfindung ge bührt, unterwerffen und sie hernach auf billige Be dingungen bekant machen muß. VI. Man hält es auch mit Grunde für ein(Ein Recht, jeden Men schen zu ei ner gewissen Beschäfti gang<Beschäftigung> zu zwingen.) Recht der menschlichen Gesellschaft daß sie befugt ist, jede Person in so fern zur Arbeit zu nöthigen, das sie dem Mitleiden der Fleissigen nicht zur Last gereicht; und auch die Eltern zu zwingen, daß sie ihre Kinder so erziehen und gewöhnen, daß sie im Stande sind, wenn sie gesund bleiben, sich selbst zu erhalten. Man gesteht der natürlichen Frey
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(Zweytes Buch.) 672 Gemeine Rechte heit des menschlichen Geschlechts und der väterli chen Gewalt genug zu, wenn man den Menschen erlaubt für sich und ihre Kinder die Beschäftigun gen zu wählen, wozu sie am geneigtesten sind. Wie aber die gemeinschaftliche Arbeit Aller zum Besten des menschlichen Geschlechts erfordert wird: so ist jeder verbunden seinen Theil davon auf sich zu neh men, er müste denn der Gesellschaft Sicherheit ver schaffen können, daß er ihr niemals zur Last gerei chen wird. Ein gleiches Recht hat jede Gesellschaft, die väterliche Gewalt über die Waysen auszuüben, indem sie dieselben zu nützlichen Künsten erziehen läst, und sie nach dem sie erwachsen sind zu solchen Arbeiten anhält die im Stande sind allen Aufwand, den ihre Kindheit erfordert hat, wieder zu ersetzen. (Das Recht der Begräb nisse.) VII. Man könte auch mit Grund unter die Rechte der menschlichen Gesellschaft rechnen, daß sie eine billige Ehrfurcht vor der Würde unsers eige nen Geschlechts zu erhalten, und alle Handlungen, die es in den Augen des Pöbels verächtlich machen oder wilde und unmenschliche Neigungen zeugen könten, zu verhindern suchen muß. Die todten Leichname der Menschen haben keine Rechte, den noch ist gewis, das niemand den Körper in seinen Gedanken so sehr von seinem vorigen Bewohner tren nen kan, daß ihm die Art wie man mit dem Kör per verfährt gleichgültig wäre. Alle Nationen ha ben beständig eine zärtliche oder dankbare Erinne rung von den Verstorbenen durch gewisse Gebräu che, wodurch ihren Körpern noch Ehrerbietung erwie sen worden, anzuzeigen gesucht, und halten gewisse
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des menschlichen Geschlechts. 673(Sechzehn ter Abschnitt.) Arten mit den Todten umzugehen für unmenschlich und barbarisch, und glauben daß sie entweder Has oder Verachtung gegen den Verstorbenen insbesondere, oder eine allgemeine Geringschätzung unsrer Neben geschöpfe anzeigen. Jede Gesellschaft mus daher solche Verfahren, die zu wilden Sitten Gelegen heit geben könten, oder Zeugnisse von Hasse oder Verachtung gegen irgend jemanden sind, der sich nicht durch seine Laster den gerechten Abscheu aller Tu gendhaften zugezogen hat, verhindern. VIII. Diese und noch viele andre von gleicher(Unvoll kommne Rechte des menschlichen Geschlechts.) Art können wir unter die vollkommnen Rechte des menschlichen Geschlechts rechnen. Es gibt noch andre unvollkommne, die der Klugheit und Tugend der Personen denen sie zu erfüllen obliegen, über lassen werden müssen. Hieher gehören die allge meinen Pfiichten und Dienste die jedermann dem menschlichen Geschlechte vorzüglich vor irgend einer besondern Verbindung zu leisten, verpflichtet ist. Hier gilt eben der allgemeine Grundsatz den wir schon oben bey den Rechten der einzelnen Personen ange merkt haben, „nämlich die Erfüllung oder Nicht Uebertretung der vollkommnen Rechte zeigt mehr eine blosse Abwesenheit der verhasteten Laster, als irgend einen lobenswerthen Grad von wirklicher Tugend an; blos durch eine genaue Beobachtung der unvollkommnen kan man Lob verdienen, und eine erhabne Tugend sich deutlich zeigen.“ Die Dienste, welche ein vor allemal dem menschlichen Geschlecht geleistet werden müssen, verbinden alle, so lange das System fortdauert, in
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(Zweytes Buch.) 674 Gemeine Rechte so viel einzelne Staaten oder besondere Regierungs formen es auch eingetheilt seyn mag. Diese Pflichten werden durch die Gründung eines Staats nicht auf gehoben, ob man sie gleich nach den Umständen des politischen Verhältnisses oder Vortheils desselben einschränken kan. Die Neigungen von grösserem Umfange deren unsre Natur, wie wir finden, fähig ist, und die Empfindung von Beyfall die sie alle mal begleitet, zeigen uns sehr deutlich unsre Ver bindlichkeit gegen das menschliche Geschlecht in An sehung der folgenden Pflichten; ob gleich kein ein zelnes Glied mehr Anspruch deswegen auf uns hat als ein andres. Hieraus können wir schliessen, daß sie bestimmt sind uns die Nothwendigkeit der Aus übung eines allgemeinen Rechts, welches das Sy stem auf jedes Glied hat, anzuzeigen, und sie zu erleichtern. (Alle sind verbunden an der Besse rung ihres Leibes und ihrer Seele zu arbeiten.) Fürs erste, ist jeder verbunden seine Leibes- und Seelenkräfte so zu bearbeiten, daß er sich zu allem geschickt macht, was ihm sein Stand erlaubt der Tugend und der Menschlichkeit zu leisten; seine Seele mit nützlichen Käntnissen, und den grossen Grundsätzen anzufüllen, welche zu einem tugendhaf ten Leben führen; tugendhafte Fertigkeiten, und das Vermögen zu erlangen, daß er alle niedere Be gierden, und eigennützige Leidenschaften die sich ihnen widersetzen, unterdrücken kan; und seinen Leib durch Mässigkeit und nützliche Uebungen, zu allen lobens werthen Unternehmungen wozu ihn seine Seele auf muntert, geschickt zu erhalten.
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des menschlichen Geschlechts. 675(Sechzehn ter Abschnitt.) Ferner: da das Beyspiel viel Gewalt über die Menschen hat, und unsre verschiedenen Eigen schaften von Natur ansteckend sind: so erfordert un(Durch ih re Auffüh rung ein gut Exempel zu geben.) sre Pflicht gegen die Welt, daß wir beständig durch unsre Aufführung zu einen Beyspiele von Guther zigkeit, Lebensart und Bereitwilligkeit unsre Neben menschen zu verbinden, und ihnen beyzustehen, zu die nen suchen, wenn uns nicht eine wichtigere Pflicht, oder ein besondrer Anspruch solcher Personen mit denen wir näher verbunden sind, daran verhindert. Wir solten solche Fertigkeiten in der Gesellschaft lichkeit zu erhalten, und uns vor allem was unsre Ne benmenschen aufbringen, sie uns, oder sich unter einan der weniger geneigt machen, oder Erbitterung und bösartige Leidenschaften unter ihnen verursachen könte, zu hüten suchen. Es ist kein Wunder, daß Höflichkeit und gute Sitten, so beliebt sind. Sie sind das natürliche Kleid der Tugend und eine An zeige der Neigungen die wirklich liebenswürdig sind und geehrt zu werden verdienen. Die verschiede nen Pflichten die aus solchen Neigungen entstehn, lenken sich vielleicht oft auf die besondern Rechte ein zelner Personen; aber unser Herz zu einer solchen Fertigkeit zuzubereiten, und sie zu erlangen zu su chen, ist eine allgemeine Pflicht gegen alle. Es ist ebenfalls unsre Pflicht gegen unser Ge(Die Grund sätze der Tu gend auszu breiten.) schlecht, die Grundsätze der Tugend und Frömmig keit, welche zeigen, daß der wahre Vortheil, die Ehre und Vollkommenheit jedes einzelnen Gliedes in dieser allgemeinen Wohlthätigkeit bestehn, so weit als wir können auszubreiten; weil auf der
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(Zweytes Buch) 676 Gemeine Rechte Herrschaft solcher Grundsätze die gröste Glückselig keit des menschlichen Geschlechts beruht. Wir soll ten an jeder weisen Einrichtung die in einer solchen Absicht gemacht wird, Theil nehmen; unser gan zer Umgang sollte ein Beweis von unsrer Ueberzeu gung davon seyn, und der Welt zeigen, daß Reich thum, Gewalt, und sinnliche Ergötzlichkeiten nicht das Höchste, wo nach wir für uns selbst streben kön nen, oder das Kostbarste sind; daß die Geitzigen, die Ehrbegierigen, und Wollüstigen nicht diejenigen sind, deren Zustand oder Gemüthsbeschaffenheit wir für glücklich halten. Und so können wir auch unsern theils etwas dazu beytragen diesen ungegründeten Verknüpfungen der Jdeen, und den falschen Vorstel lungen Einhalt zu thun, welche die Lasterhaften unter denen Menschen ausbreiten. (Die allge meine Ver bindlichkeit zu einen wirksamen Leben.) IX. Jedem einzelnen Menschen liegt gegen das ganze Geschlecht so gut, als gegen seine besondern Freunde oder Verwandten die Schuldigkeit ob, ei ner gewissen Handthierung oder einem Geschäfte das zum gemeinen Besten dient, nachzugehn. Leu te die für sich selbst und ihre Familie, hinlängliche Reichthümer besitzen, sind vielleicht nicht verbunden sich auf Gewerbe zu legen, wodurch etwas zu ver dienen ist. Sie sind aber mehr als andre verbun den ihr Leben durch gewisse grössere Dienste die sie dem menschlichen Geschlechte leisten, wirksam zu machen. Die Welt hat dieses Recht auf sie, die göttliche Vorsehung ruft sie auf, auf eine grös sere Art für das gemeine Beste zu sorgen, indem sie weise Gesetze und eine kluge Policey einführen,
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der menschlichen Gesellschaft. 677(Sechzehn ter Abschnitt.) die nützlichen und schönen Künste befördern, der unterdrückten Unschuld aufhelfen, und ihr ganzes Ansehn und Vermögen zu edlen und grosmüthigen Absichten anwenden, da sie von den niedrigern und weniger geehrten Beschäftigungen befreyet sind. Wenn sie für diese Stimme Gottes taub sind, und sich der Trägheit und Sinnlichkeit überlassen, so sind sie verdorbne und unnütze Glieder der Gesell schaft, welche die äusserliche Hochachtung, die sie warten, nicht verdienen. Alles was sie er halten ist nur äusserliche Ceremonie und nieder trächtige Schmeicheley, denn im Herzen mus jeder rechtschafne und weise Mann sie verachten. Wenn wir uns auf unsre Lebenszeit ein Ge(Wie wir unser Ge schäfte oder unsre Ver richtung wählen sol len.) schäfte oder ein Gewerbe wählen wollen, so müssen wir erst auf seinen Nutzen oder das Ansehn worinne es steht, und auch darauf sehn, in wie fern wir Hofnung haben darinnen glücklich zu seyn. Ob gleich die edlern Künste an und für sich selbst reizender sind, so erfordert es doch allerdings die Nothdurft des menschlichen Geschlechts, daß sich viel mehr Hände in den niedrigen beschäftigen. Und wie wenig Hände zu den edlern Künsten ge schickt sind, so giebt es auch wenige die ihres Ge nie oder ihrer Umstände wegen hoffen dürffen, dar inne glücklich zu seyn. Nichts ist einem Menschen der nur etwas lebhaft ist, oder nur die geringste Em pfindung von Ehre hat, unangenehmer, als in ei nem Dienste oder in einem Amte zu stehn wozu er nicht hinlängliche Geschicklichkeit besitzt, weil er be ständig dem Neide und einem gerechten Tadel blos
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(Zweytes Buch.) 678 Gemeine Rechte gestellt seyn mus. Es ist für jedes Menschen innerli che Ruhe, und für seine Ehre besser, wenn er in einem Posten steht, der für seine Verdienste und Geschick lichkeiten zu niedrig ist, als wenn er ein Amt be kleidet, das dieselben übersteigt. Diese Thorheit oder Eitelkeit, daß wir uns nach Bedienungen, die über unsre Verdienste erhaben sind, sehnen, enthält auch eine Beleidigung für die Gesellschaft; weil wir unser Amt nicht gehörig verwalten können, und geschicktere Leute durch uns davon abgehal ten werden. (Das An sehn gewisser Gewerbe und Künste.) Das Ansehn der Künste oder anderer Be schäftigungen kömt auf diese zween Punkte an; auf den Nutzen, den sie dem menschlichen Geschlechte ver schaffen, und auf das Genie, das dazu erfordert wird. Die Beschäftigung, welche bestimt ist, die wahren Grundsätze der Frömmigkeit und Tugend einzu schärfen, wird allemal, in Ansehung beyder Punkte, unter diejenigen gerechnet, welche die meiste Ehre verdienen. Die besten Dinge können, wenn sie ver derbt werden, die gefährlichsten seyn: dies gilt auch bey dieser Beschäftigung, wenn sie gemisbraucht wird, einen gefährlichen Aberglauben einzuflössen, über Kleinigkeiten Has und feindselige Erbiterun gen zu erwecken, wenn man sie zu Mitteln des Ehr geizes, des Geizes und der Wollust, oder zu ei nem Werkzeuge der Tyranney und der Unterdrü ckung macht. Gesetzgeber, obrigkeitliche Personen, Hand haber der Gerechtigkeit, oder solche Leute, deren Beschäftigung darinne besteht, die Unschuld wider
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des menschlichen Geschlechts. 679(Sechsze henter Abschnitt.) Betrug und Unterdrückung zu beschützen, stehen in ansehnlichen Aemtern, weil sie von dem grösten Nutzen sind, und ausserordentliche Geschicklichkei ten erfordern. Die Kriegsbedienungen sind aus eben den Ursachen ansehnlich. Aber nichts ist ver abscheuenswerther, als wenn diese Aemter zu den entgegengesezten Absichten umgekehrt, und zu Werk zeugen der Tyranney, der Ungerechtigkeit und Grau samkeit gemacht werden. Jn eben den Betrachtungen stehn auch die Künste und Wissenschaften, die in der Theorie ein erhabnes Vergnügen, und in der Ausübung grossen Nutzen schaffen, in Ehren, wie die Mathematik, die Physik, die Historie, die Medicin, und andre mehr. Die Bildhauerkunst, die Mahlerey, das Zeichnen, die Musik, die zierliche und prächtige Baukunst, sind, ob sie gleich nicht zu den Noth wendigkeiten des menschlichen Lebens gehören, den noch unter allen gesitteten Völkern beständig in grossen Ehren gehalten worden, weil sie ein geläu tertes Vergnügen verschaffen, und ein grosses Genie in dem Künstler voraussetzen. Die niedrern mechanischen Künste sind im menschlichen Leben von grossem Nutzen, aber wer den nicht so sehr bewundert, weil die Gaben, die dazu hinreichend sind, öfter angetroffen werden. Dennoch können Leute, die sich damit beschäftigen, wegen der grösten Tugenden im höchsten Grade ehr würdig seyn. So haben gemeiniglich die edelsten Geister den meisten Geschmack am Ackerbaue gefun den; nicht allein, weil er* sehr vortheilhaft ist, son 43
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(Zweytes Buch.) 680 Gemeine Rechte dern zu den freudigsten Betrachtungen Gelegenheit giebt, und die mannigfaltigsten angenehmsten Ue bungen, und die unschuldigsten Ergötzlichkeiten verschafft. (Was uns berechtigen kan, einen glücklichen Erfolg zu hoffen.) Die Wahrscheinlichkeit, daß wir in gewissen Handthierungen oder Künsten glücklich seyn werden, kömt auf viele Umstände an. Auf die Vortheile des zeitlichen Glücks, die Beschaffenheit unsrer Ge sundheit, das Ansehn unsrer Eltern und Freunde, auf gute Gelegenheiten, und hauptsächlich auf den Antrieb unsers Genies. Das zeitliche Glück schafft ohne Genie keinen guten Erfolg; aber ein Genie überwindet oft den Widerstand des Glücks. Bey solchen Streiten scheint unser obgleich sterbliches Genie, die siegreiche Gottheit, und das Glück nur ein Sterblicher zu seyn, wie Cicero** es ausdrückt. Wir müssen es allemal als unsre Verrich tung in der Welt, als die Absicht und Ursache un sers Daseyns, als unsre Pflicht gegen unser Ge schlecht, als den natürlichen Gebrauch der Kräfte, die wir besitzen, als das bequemste Zeugnis von unsrer Dankbarkeit gegen unsern Schöpfer ansehn, wenn wir etwas zu dem gemeinen Besten, zu der allgemeinen Glückseligkeit unsers Geschlechts bey tragen. Die besondern Pflichten gegen gewisse Ge sellschaften in den zufälligen Ständen oder Ver hältnissen mit andern, werden im folgenden Buche abgehandelt. 44
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681(Siebzehn ter Abschnitt.)

Der siebzehnte Abschnitt, Die ausserordentlichen Rechte, die aus einer besondern Noth entstehen.

I.Bisher haben wir die allgemeinen Gesetze der(Die beson dern Em pfindungen müssen den allgemeinen weichen.) Natur und die Pflichten betrachtet, wor auf wir zum Theil durch unsre eingeschränkten ge ellschaftlichen<gesellschaftlichen>Empfindungen, die wir sogleich für billig erkennen, und zum Theil durch andre von ei nem grössern Umfange, die wir für noch wichtiger als die vorigen halten, gewiesen werden. Wir haben oben schon oft angemerkt, daß die mehr in sich begreifenden Empfindungen von Natur bestimt sind, die eingeschränkten zu regieren, und ihnen gewisse Gränzen zu geben; und daß unser Herz bey der ruhigsten Ueberlegung vollkommen mit sich selbst zufrieden seyn kan, wenn es den Regungen der väterlichen Liebe, des Mitleidens, der Dank barkeit und der Freundschaft entgegen gehandelt hat, um einer edlern und grössern Empfindung ein Genüge zu thun; ob gleich diese eingeschränkten Empfindungen ihrer Natur nach liebenswürdig sind, und allemal gebilligt werden, wenn sie nicht einer ehrwürdigern oder höhern Pflicht im Wege stehn. Nun ist es für alle Verständige, die nicht durch ihre Schuld der allgemeinen Empfindungen der Seele unfähig sind, deutlich, daß sich viele un gewöhnliche Fälle begeben können, wo durch alle Folgen mehr Gutes entstehn, oder mehr Böses ver hindert werden kan, wenn wir den gewöhnlichen Trieben, des Mitleidens, der Dankbarkeit oder der Freundschaft entgegen handeln; als möglich wäre,
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(Zweytes Buch.) 682 Ausserordentliche Rechte, wenn wir ihnen folgten. Ja so gar daß die Be folgung derselben in solchen ausserordentlichen Vorfällen unserm Vaterlande oder dem menschli chen Geschlechte mehr Uebel verursachen kan, als alle Tugenden eines einzigen Sterblichen jemals zu ersetzen im Stande sind. Alle solche Uebel hätten können verhütet werden, wenn wir in solchen Fäl len von der gewöhnlichen Regel abgegangen wä ren, die auf diese eingeschränktern obgleich liebens würdigen Empfindungen gegründet ist. Es ist nicht zu begreifen, wie in solchen Fällen irgend ein Grundsatz unsers Herzens fähig ist, uns zu recht fertigen, wenn wir die wichtigsten und allgemein sten Vortheile des menschlichen Geschlechts, unsern kleinern und besondern Trieben aufopfern; oder wie jemand bey nachheriger Ueberlegung sich selbst ver dammen könte, wenn er eine entgegengesetzte Auf führung erwählt hätte, und den allgemeinern Trie ben gefolgt wäre, welche von dem Herzen in einem höhern Grade gebilligt werden müssen, weil sie auf ein höhers Gut abzielen. Eine solche Be schaffenheit der Seele für möglich zu halten ist, wenn man das grosse System vor Augen hat, eben so unsinnig, als wenn man glaubte, daß jemand mit sich selbst zufrieden seyn könte, wenn er sich die Befriedigung seines Dursts oder eines andern ähn lichen Verlangens erlaubte, da er doch überzeugt wäre, daß diese Nachsicht gegen sich selbst ihm ei nen gewissen Tod zuziehen müste, und also dem all gemeinen natürlichen Verlangen jedes Menschen nach seiner Erhaltung entgegen wäre.
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die aus besondrer Noth entstehn. 683(Siebzehn ter Abschnitt.) Um bey Einschränkung dieser edeln auf be sondre Personen gerichteten Empfindungen, die liebreiche Beschaffenheit der Seele zu behaupten,(Die beson dern müssen nicht unter drückt, son dern nur überwogen werden.) welche uns eine vollkomne Zufriedenheit mit uns selbst verschaffen kan, ist es zulänglich, wenn wir fühlen, daß diese besondern Empfindungen in dem gehörigen Grade der Stärke stehn; so, daß sie ver mögend wären, uns zu allen edeln und weisen Pflich ten des Mitleidens, der Dankbarkeit, der Freund schaft zu ermuntern, wenn diese auch für uns mit grosser Gefahr oder mit grossen Kosten verknüpft seyn sollten; ob sie gleich den edlern und allgemei nern Empfindungen von Grosmuth unterworfen bleiben. Wenn wir mit einem Herzen, das für die se besondern liebreichen Neigungen ganz unempfind lich ist, gleich auf eine Art handeln, die ihnen völ lig entgegen steht, von der wir aber glauben, daß sie zu dem allgemeinen Besten diene: so werden wir schwerlich vollkommen mit uns selbst zufrieden seyn können. Einige liebenswürdige Eigenschaften, die zu der natürlichen Beschaffenheit unsers Herzens gehören, fehlen, und der Dienst, den eine solche Per son der Welt zu leisten glaubt, kan unmöglich eine grosse Stärke der allgemeinen Menschenliebe an zeigen. Wenn hingegen diese menschenfreundlichen Empfindungen, die nur einzelne Glieder des Gan zen betreffen, in ihrer gehörigen Stärke sind, und dennoch ihren Trieben, wegen eines allgemeinen ehr würdigen Bewegungsgrundes entgegen gehandelt wird: so scheint sich die Seele in ihrer natürlichen Ordnung zu befinden. Sie mus vollkommen mit sich selbst zufrieden seyn, weil sie alle Triebe, die sie
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(Zweytes Buch.) 684 Ausserordentliche Rechte von Natur billigt, in sich, und zwar jeden in seiner gehörigen Stärke, fühlt. II. Um diese Materie noch weiter zu erläutern, wollen wir untersuchen, auf welche Weise wir die besondern Gesetze der Natur entdecken. Gott hat uns keinen so allgemeinen Befehl durch sein Wort gegeben, daß er uns in allen Fällen, wo er nicht selbst eine ausdrückliche Ausnahme gemacht hat, verbinden könte. Die Gesetze der Natur be stehen in Schlüssen die wir machen, wenn wir un ser eigen Herz erforschen, oder über die Angelegenheiten der Menschen nachdenken, und dann glauben wir, daß die Aufführung, welche von Natur von unsern Herzen am meisten gebilligt wird, von der Art sey, wie entweder das gemeine Beste, oder das Glück ge wisser einzelner Personen, das mit jenem bestehen kan, sie erfordert. Diese Schlüsse drücken wir durch allgemeine Grundsätze aus, und sie werden von uns entweder sogleich, oder durch die Erfahrung entdeckt, wenn wir nämlich sehen, durch welche Aufführuug<Aufführung> gemeiniglich das Gute hervorgebracht wird. Nun ist es uns nicht möglich, alle mögliche Fälle und Umstände zugleich so zu übersehen, daß wir überzeugt seyn könnten, daß ein solcher Grund satz sich zu allen schicken müste. Wir machen das zur allgemeinen Regel von dem, wir sehn, daß es in allen gewöhnlichen Vorfällen, zum Guten gereicht. Wenn wir aber bey seltnen Fällen sehn, daß eine andre Aufführung, alle ihr Wirkungen zusammen genommen, mehr Nutzen schaffen wird, als eine genaue Befolgung der gewöhnlichen Regeln: so be
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die aus besondrer Noth entstehen. 685(Siebzehn ter Abschnitt.) rechligt<berechtigt> uns das Recht der Natur, in diesen Fäl len so gut von der gewöhnlichen Vorschrift abzugehn, als es uns in andern verbin det ihr zu folgen. Diese Ausnahmen sind so gut Theile des Gesetzes als die allgemeinen Regeln. Die beyden allgemeinen Grundsätze der Got(Zween allgemeine Grundsätze leiden keine Ausnahme.) tesfurcht, und der Beförderung des allgemeinen Be sten leyden keine Ausnahme, weil diese der Seele sofort Gegenstände zeigen, die sie aufs höchste billi gen mus. Der zweyte von den oben angeführten ist, der Grund aller Ausnahmen, von den besonde ren Gesetzen. Wir dürffen uns nicht überreden oder sagen, „daß ein grosser Nothfall oder eine Ge legenheit, wo es auf das gemeine Beste ankomt, uns berechtigen könnte zu sündigen, oder irgend ein göttliches oder natürliches Gesetz zu brechen, das würde einen Widerspruch erhalten. Sondern wir sagen: daß eine Aufführung in den gewöhnlichen Fällen lasterhaft seyn, und den Gesetzen entgegen lau fen kan, die in seltnern Fällen, wo es die Noth er fordert, tugendhaft und gerecht wird, oder daß diese seltne Fälle in dem allgemeinen Gesetze aus genommen sind.“ III. Es giebt unzählige Fälle, wo es, wenn(Daß man sich oft zur Unzeit auf bie<die> Noth wendigkeit beruft.) wir nur die gleich erfolgende Wirkung betrachten, besser scheint, von der gewöhnlichen Regel abzugehn. Wenn wir aber in allen solchen Fällen erlauben wollten, dieselbe zu überschreiten, so würden aus den entfernten Wirkungen einer solchen Art zu handeln, Uebel entstehn, die grösser wären, als die besondern Uebel, welche die genaue Befolgung der gewöhnli
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(Zweytes Buch.) 686 Ausserordentliche Rechte chen Regeln verursacht hätte. Solche Nothfälle werden hier nicht verstanden. Zum Exempel: Ein Mensch hat einen unvorsichtigen Contract ge schlossen, der ihm mehr Schaden als der andern Parthey Vortheil verschaft; dennoch ist diese so un menschlich, daß sie auf die Erfüllung desselben dringt. Nach der gleichfolgenden Wirkung zu ur theilen, wäre es besser, diesen Contract nicht zu hal ten. Aber solche Fälle tragen sich so oft zu; es würden sich so viele dieser Ausrede wegen nichts be deutender Jrthümer oder Ungleichheiten bedienen; die Menschen würden bey ihren Unternehmungen aus Vertrauen auf dieses Hülfsmittel so sorglos werden; und es würden so viele verdriesliche Strei tigkeiten entstehn, daß aller Treu und Glauben im Handel verlohren gehen müste: nicht zu gedenken, daß jedermann über eine solche Treulosigkeit, und Unbe ständigkeit sogleich ein Misfallen in sich empfinden mus. Der allgemeinen Regel nach, ist also die Er füllung alles dessen, was wir in einem Contracte versprochen haben, auch in solchen unbequemen Fäl len unsre Pflicht, wenn nämlich die andre Parthey darauf dringt; und zwar wegen der grössern ent ferntern Uebel, die entstehen würden, wenn man solche Contracte bräche. (Wenn man sich mit Recht auf die Noth wendigkeit beruffen kan.) Wenn jemand uns unangenehme Fragen vor legt, wo es besser wäre, daß ihm die Wahrheit ver borgen bliebe, wenn unser Stillschweigen die Sa che entdecken mus, und uns nicht gleich eine wahre, aber zweydeutige Antwort einfällt: so scheint es beym ersten Anblicke und den ersten Wirkungen
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die aus besondrer Noth entstehen. 687(Siebzehn ter Abschnitt.) nach, billig zu seyn, daß wir wider unsre wahre Gesinnungen reden. Aber der innerliche Wider wille, den wir vor der Falschheit empfinden, sollte uns auch in solchen Fallen davon abgeneigt machen, nnd<und> die entfernte Wirkungen einer solchen Erlaub nis, allerhand kleiner Vortheile, oder der Vermei dung nichts bedeutender Ungelegenheiten wegen, falsch zu reden, sind so gefährlich, daß wir bey sol chen Gelegenheiten die Falschheit verdammen müs sen. Denn wenn man es zugäbe, würde sich ein jeder, derselben, so oft bedienen, daß aller Umgang ver dächtig, und alles gegenseitige Vertrauen dadurch vernichtet werden müste. Wir haben also nur dann ein Recht uns auf die Nothwendigkeit zu berufen, wenn die guten Wirkungen, die aus unsrer Abweichung von der ge meinen Regel entstehn, diese mögen nahe oder ent fernt seyn, so gros, und die Uebel, die auf eine genaue Befolgung derselben, in diescm<diesem> seltnen Falle folgen würden, so gefährlich sind, daß aller Wahrscheinlich keit nach, alle Uebel dadurch überwogen werden, die entstehen können, wenn wir in diesen oder ähnlichen Fällen, der gemeinen Regel entgegen handeln. Um irgend eines kleinen gegenwärtigen Nutzens, oder der Vermeidung, nicht viel bedeutender Unge legenheiten Willen, von solchen allgemeinen Grund sätzen abzugehn, ist unstreitig ein Verbrechen. Wenn sich jeder eine solche Freyheit nähme, würde es von den gefährlichsten Folgen seyn, und alle Redlichkeit, und alles gegenseitige Vertrauen auf hören. Aber der Fall ist ganz anders, wenn man
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(Zweytes Buch) 688 Ausserordentliche Rechte sich derselben nur bedient um der Welt grosse Vor theile zu verschaffen, oder ausserordentliche Un glücksfälle zu verhüten. Diese Freyheit, die nur in den Fällen von äusserster Wichtigkeit zugestanden und gebraucht werden darf, kan jeder kleinen Pri vatverdrieslichkeit wegen, nur von solchen gemis braucht werden, die so unredlich sind, und ein so verderbtes Herz besitzen, daß sie sich in einer glei chen Versuchung, selbst ohne den Vorwand dieser besondern Rechte der Nothwendigkeit, kein Gewis sen machen würden, ein durchgängig erkantes Gesetz der Natur zu übertreten. (Die ver schiedenen Regeln lei den in dem Maasse, wie sie weniger wichtig sind, immer mehr Ausnahmen.) IV. Es ist ganz klar, daß einige von den ge wöhnlichen Regeln von viel grösserer Wichtigkeit sind als andre, so, daß sich wenig Fälle begeben können, wo es das Beste des menschlichen Geschlechts erfor dert, ihnen entgegen zu handeln. Je wichtiger ei ne Regel ist, je grösser die Uebel sind, die durch Be folgung derselben verhütet, oder durch Uebertretung derselben verursacht werden, desto grösser müssen auch die abzuwendenden Uebel, und die zu erhalten den Vortheile seyn, um uns zu rechtfertigen, wenn wir ihnen zuwider handeln. Einige Regeln sind durch die moralischenEmpfindungen unsers Her zens, und ihre beständig grosse Wichtigkeit für das gemeine Beste so geheiligt, daß es keine Fälle ge ben kan, wo die Abweichung davon, wenn man das Ganze zusammen nimmt, dem menschlichen Ge schlechte grossen Vortheil verschafen kan; oder, wel ches einerley ist; gewisse Gesetze der Natur leiden kei ne Ausnahme. Andre Gesetze sind nur moralisch
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die aus besondrer Noth entstehen 689(Siebzehn ter Abschnitt.) allgemein, sie finden bey allen gewöhnlichen Vor fällen statt, leyden aber dennoch einige Ausnahmen. Gar keine Ausnahmen zuzugestehn, wozu man durch die Nothwendigkeit berechtigt werden könnte, wider spricht der Vernunft. Gegen gewisse Gesetze, die für das Wohl der Menschen nicht die wichtigsten sind, werden von allen die Ausnahmen der Noth wendigkeit für gültig gehalten. Bey geheiligtern und wichtigern Gesetzen aber, wird es immer schwerer zu entscheiden, ob irgend eine Nothwendigkeit uns zu Uebertretung derselben berechtigen kan. Es ist ein gemeines Gesetz, daß „niemand(Beyspiele von diesen Fällen.) sich des Eigenthums eines andern ohne seine Ein willigung bedienen, oder etwas davon verderben darf.“ Gesetzt, ein rechtschafner Mann flieht vor einem Mörder, dem er zu Fusse nicht entgehen kan; er sieht seines Nachbars Pferd, der Nachbar ist ab wesend, oder so unmenschlich, daß er es ihm ab schlägt. Jn solchen Fällen ist die Wegnehmung des Pferdes erlaubt, wenn es auch verderben, oder gar getödtet werden sollte. Eine volkreiche Stadt, oder ein Land, sind in Gefahr, dnrch<durch> den Durch bruch eines Teichs oder Dammes zu Grunde zu gehn. Die Güter und das Leben tausend unschuldiger Per sonen stehen auf dem Spiele. Es liegt ein Vor rath von Zimmerholz da, der im Stande wäre, den Damm wieder in guten Stand zu setzen; aber der Eigenthümer ist abwesend, oder will ihn nicht dar zu hergeben. Jn solchen Fällen ist es erlaubt, wenn nämlich die Gefahr dringend ist, und man nicht Zeit hat, die Nothwendigkeiten anders woher zu be
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(Zweytes Buch.) 690 Ausserordentliche Rechte kommen, die Rechte des Eigenthums nicht zu ach ten. Die unmittelbaren Empfindungen unsers Herzens rechtfertigen ein solches Verfahren, sowohl als die Absicht auf ein grössers Gut. (Dieser Vor wand be freyt nicht von der Ver bindlichkeit, den verur sachten Schaden zu ersetzen.) Wir müssen aber niemals weiter gehn, als die wahre Noth es erfordert. Das Eigenthumsrecht des Eigenthümers mus in den oben angeführten Fällen, einer grossen Noth weichen; aber sein Recht auf die Schadloshaltung wegen eines Verlusts, den er für andre erlitten hat, bleibt allemal; wenn sich die Noth nicht auch bis dahin erstreckt. Dieje nigen, die auf seine Kosten gerettet worden, sind verbunden, ihm, soviel sie können, wieder zu er setzen. (Dies Recht ist der bür gerlichen Po licey nicht allein eigen.) V. Es ist lächerlich, solche Verfahren, mit dem höchsten Rechte* der weltlichen Regenten, über die Güter ihrer Unterthanen zu rechtfertigen. Die Rechte der Noth haben ihren Grund ebenfalls in der natürlichen Freyheit, weil sie auf wichtige Vor theile des meuschlichenmenschlichen Geschlechts abzielen. Das Recht der Obrigkeiten, entsteht blos dadurch, daß ihr die Rechte des Volks bey solchen dringenden Vorfällen eben so, wie seine Rechte, wegen der ge waltsamen Vertheydigung und der Behauptung sei ner andern Rechte, anvertraut sind. Denn aus dem letztern kan niemand folgern, daß alle Rechte der gewaltsamen Vertheydigung, und Erlangung un srer Ansprüche, sich auf die bürgerliche Policey grün 45
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die aus besondrer Noth entstehen. 691(Siebzehn ter Abschnitt.) den. Gäbe es in der natürlichen Freyheit keine be sondern Rechte in dringenden Nothfällen, so könte man keine Gründe für ein solches hohes Recht der obrigkeitlichen Personen in einem bürgerlichen Re gimente anführen. Wir kommen auf noch schwerere Fälle. Ge(Ein schwe rerer Fall in Ansehung des Eigen thums.) setzt, ein mit Mund- nnd<und> Kriegsbedürfnissen belad nes Schiff kömmt in den Hafen einer Stadt, die aus ungerechten und grausamen Ursachen belagert wird, und wo die Belagerer den festen Entschlus haben, wenn sie die Oberhand erhalten, alles zu er morden; die Bürger kommen beynahe für Hunger um, besitzen keine Kriegsbedürfnisse mehr, und ha ben auch kein Geld oder keine Güter, die der Kauf mann für seine Lebensmittel, oder andern Be dürfnisse annehmen will. Müssen in einem sol chen Falle die Einwohner sein Eigenthumsrecht für unverbrüchlich halten, und sich mit ihren Fa milien der Gefahr aussetzen, durch Hunger oder durchs Schwerd umzukommen, oder gar eine ganze Nation in die grausamste Sclaverey stürzen? Nein. Sie haben ein Recht diese Güter mit Ge walt wegzunehmen, ob es gleich sehr wahrschein lich ist, daß sie niemals im Stande seyn werden, ihren Werth zu ersetzen, denn wenn die Stadt ero bert wird, sind sie alle verloren. Es ist ein heiliges Gesetz der Natur, keinem(Auch in An sehung des Lebens,) unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen, oder ihm irgend ein Mittel der Selbsterhaltung, das in seinem Vermögen steht, unmöglich zu machen. Gesetzt aber, ich weis, daß ein Mensch der eben ans
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(Zweytes Buch) 692 Ausserordentliche Rechte Land steigt, von der Pest angesteckt und wü tend ist, er läuft, um sich unter eine grosse Ver samlung zu machen, und ich verstehe die Landes sprache nicht, daß ich dieselbe warnen könte. Jch kan das Leben von tausenden erhalten, wenn ich diesen Menschen, von dem es doch noch möglich ist, daß er wieder geheilt werden kan, erschiesse. Kan dies ein Verbrechen seyn, wenn es kein ander Mittel giebt, tausend Unschuldige mit ihren Fami lien, vor einer Seuche zu beschützen, deren trauri ge Wirkungen allgemein sind? Die Gesetze er lauben niemanden von einem Schiffe, das von ei nem angesteckten Orte komt, bey Strafe des Todes ans Land zu treten, Einige vom Schifsvolke kön nen angesteckt, andre hingegen noch vollkommen ge sund seyn, so, daß sie gerettet werden könten, wenn man sie ans Land kommen liesse. Wegen einer blossen Vermuthung, werden sie oft gezwungen am Borde des Schiffes zu bleiben, und der Gefahr ausgesetzt, durch die Seuche umzukommen. Von einem überladnen Bote, wirft man nicht nur Gü ter ohne Bewilligung des Eigenthümers, sondern dern auch unschuldige Personen ins Meer; obgleich niemand beweisen kan, daß das Boot mit einer sol chen zu schweren Ladung, unmöglich hätte das Ufer erreichen können. (Jn Anse hung unsrer Pflicht, die Wabrheit<Wahrheit> zu reden.) Kan nicht ein besondrer Nothfall uns auch von der gemeinen Regel die Wahrheit zu reden, be freyn. Gesetzt, ein Genghiscan oder ein anders ähnliches morgenländisches Ungeheuer, hat den Un tergang einer ganzen Stadt beschlossen, wenn er
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die aus besondrer Noth entstehen. 693(Siebzehn ter Abschnitt.) finden wird, daß ihre Einwohner seinen Feinden den geringsten Schutz haben angedeyhen lassen. Er befragt einen Bürger, auf den er sich verläst, darü ber; dieser kan also, wenn er den Tyrannen hinter geht, das Leben von Tausenden, mit ihren unschul digen Kindern erhalten; wenn er ihm aber die Wahrheit entdeckt, wird es das gröste Blutbad nach sich ziehn. Kan hier einem weisen Manne sein Herz, gerechte Vorwürfe machen, daß er das gemeine Gesetz die Wahrheit zu reden, gebrochen, und den na türlichen Hang dazu, aus solchen wichtigen Bewe gungsgründen der Menschlichkeit überwunden hat? Wer tadelt den Tullius Hostilius, oder den Eume nes, weil sie ihre eigne Soldaten betrogen haben, da dies das einzige Mittel war, ihre und ihres Va terlandes Sicherheit zu erhalten? Hätte einer von ihnen dieses Mittel, wenn es ihm von seinen Rä then vorgeschlagen wäre, nicht ergriffen, so könte man ihn mit Rechte einer abergläubisch strengen Beobachtung der stückweisen Moral beschuldigen, die dadurch entsteht, wenn man nicht Verstand ge nung besitzt, die höchste zu beurtheilen. Gesetzt ein rechtmässiger Prinz wird durch einen unmenschlichen, grausamen Aufwiegler ge schlagen, und er flieht mit seinem Hause, und den Rechtschaffensten, der einzigen Hofnung des Staats. Sie erreichen ein Haus am Ufer des Meers, und haben Hofnung von da aus sogleich zu entkommen. Der Rebelle sieht jenseit des Hauses eine andre Parthey fliehn, und fragt also einen, den er für seinen Freund hält, der aber insgeheim seinem Kö
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(Zweytes Buch.) 694 Ausserordentliche Rechte nige und der Freyheit seines Vaterlandes getreu ist, ob der Prinz in das Haus geflohen sey? Wenn er schweigt, oder nur stammlet, so entdeckt er die ganze Sache, wenn er aber wider sein besser Wis sen redt, so kan er die einzige überbliebne Hofnnng<Hoffnung> einer Nation retten. Kan dies ein Verbre chen seyn? Jn gewöhnlichen Fällen begeht ein Unter than oder jeder Privatmann ein Verbrechen, wenn er einen Nebenbürger, der ein Uebelthäter ist, ohne weitere Untersuchung tödtet. Sollen mir deswe gen die edle HandlungTimoleons verdammen? Jn gemeinen Fällen ist es ein abscheuliches Verbrechen, jemanden zum Meyneide, oder zu Bre chung seines Worts zu reitzen. Wird aber unser Verfahren nicht beynahe von allen gerechtfertigt, wenn wir die Secretairs und Beichtväter der Für sten, die unsre Feinde sind, bestechen, daß sie uns die Geheimuisse ihrer Herrn entdecken sollen, wenn die Sicherheit unsers Landes es erfordert, oder, wenn wir durch solche Mittel der Vergiessung vie les unschuldigen Bluts zuvor kommen können. (Gründe de rerjenigen, die alles die ses nicht für erlaubt hal ten.) VI. Es ist erstaunlich, wenn man sieht, aus welchen Ursachen einige Gottesgelehrte, alle diese ausserordentlichen Rechte, die durch die Noth ent stehen, für ungegründet halten. „Die allgemeinen Re geln oder Gesetze der Natur, sagen sie, müssen al lemal beobachtet werden, was auch immer für Folgen daraus entstehen mögen. Die Hofnung, daß wir die grösten Vortheile dadurch verschaffen
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die aus besondrer Noth entstehen. 695(Siebzehn ter Abschnitt.) werden, kan uns nicht rechtfertigen, wenn wir von ihnen abgehn“. Sie schliessen so, als wenn Gott auf gewisse Seulen gewisse Grundsätze gegra ben hätte, die uns verkündigten was in allen mög lichen Fällen unsre Pflicht wäre, und uns ausdrück lich verböten, davon abzugehen, ausgenommen, wenn Gott selbst durch andre ausdrückliche Gebote Ausnah men davon gemacht hätte. Wir wären verbunden den Ausgang Gott zu überlassen ohne darüber zu ver nünftlen, und uns blos an dem Buchstaben des Ge setzes zu halten. Andre sagen uns so gar, daß „wir nicht alle entfernte Wirkungen einer Handlung wissen, daß solche die uns zum Guten abzuzielen scheinen, im Ganzen gefährliche Folgen haben kön nen, und daß diejenigen die wir für schädlich hal ten im Ganzen, vielleicht die beste Wirkung hervor bringen“. Sie sollten uns aber entweder diese durch(Untersu chung dersel ben.) Worte offenbarten allgemeinen Sätze zeigen, oder wenn sie das nicht können, überlegen, auf welche Art wir die gemeinen Gesetze der Natur entdecken. Dies geschieht durch nichts als die Empfindungen unsers Herzens, und die Beurtheilung der wahrschein lichen Folgen einer Handlung. Wenn unser Unver mögen über die entfernten Wirkungen einer Hand lung zu urtheilen, alle Ausnahmen, die aus der Noth entstehen aufheben soll: so müssen auch eben da durch alle unsre gewöhnlichen Schlüsse über die Be schaffenheit der Handlungen, wodurch wir die ge meinen Gesetze entdecken, nichtig gemacht werden. Wir dürfen uns nicht unterstehn, ohne Hülffe der
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(Zweytes Buch.) 696 Ausserordentliche Rechte Offenbarung, irgend einige von unsern Schlüssen zu Gesetzen der Natur zu machen, sondern wir müs sen jeder besondern Regung jedem menschenfreundli chem Triebe, den wir von Natur billigen, als dem Mit leiden der Dankbarkeit der Freundschaft auf alle Gefahr folgen, ohne auf ihre entfernten Wirkungen zu achten, über welche wir, wie sie behaupten, kei ne hinlänglichen Richter sind. Aber unsre wahre Pflicht besteht darinnen: Wir müssen dem folgen, was den die Beschaffenheit unsrer Natur, und die genaueste Aufmerksamkeit uns als das wahrschein lichste zeigt, sowol die gemeinen Lebensregeln fest zu setzen, als auch die Ausnahmen in seltnern Fäl len zu bestimmen. Denn blos durch unsre Betrach tungen über die wahrscheinlichen Folgen einer Hand lung, die zuweilen ziemlich entfernt sind, gelangen wir zu den Schlüssen, welche wir die gewöhnlichen Gesetze der Natur benennen. (Die Of fenbarung macht solche Ausnahmen nicht ungül tig.) VII. Die Offenbarung kan diese Ausnahmen in dringenden Nothfällen nicht ungültig machen, da wir keine Sammlung von bestimten Regeln mit dem Befehle haben, ihnen allemal auch wider alle Wahrscheinlichkeit, daß sie dem gemeinen Wesen zu träglich seyn können, zu folgen. Die darinn gege benen Regeln, einige wenige ausgenommen, die besondere Gesetze oder gewisse Punkte die uns das Licht der Natur nicht hätte entdecken können, betref fen, setzen das Recht der Natur zum voraus, und daß es möglich sey, die Rechte und Schuldigkeiten der Menschen mit allen ihren Einschränkungen und Ausnahmen dnrch<durch> andre Mittel zu entdecken. Der
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die aus besondrer Noth entstehen. 697(Siebzehn ter Abschnitt.) Ursprung, die Natur, und der Jnbegriff vieler Rechte sind in der Offenbarung nicht erklärt; sie sagt uns auch nicht wenn ein solches Recht oder ei ne solche Pflicht an die Stelle einer andern tritt. Sie enthält die feurigste Anpreisung gewisser Tugenden, die stärksten Bewegugsgründe dazu, und die durch dringendesten Abmahnungen vom Laster. Verschiede<Verschiedene> Tugenden und Laster aber werden nur blos bey ih ren Namen genannt, weil sie voraus setzt, daß man sie ihrer wahren Natur nach schon ohne dem kennt. Die Sache verhält sich also: unsre Ver(Die Of fenbarung setzt das Recht der Natur als bekant vor aus.) nunft zeigt uns, welche Handlung zum gemeinen Besten abzielen, diese halten wir für gerecht, und wenn sie von den sanften Triebe der Seele herrühren so billigen wir sie und benennen sie Tugenden, durch gewisse bekante und ansehnliche Namen. Entgegenge setzte Handlungen, und auch einige die mit den vo rigen unter eine allgemeine Classe gehören, aber bey verschiedenen Umständen vorkommen, gereichen dem gemeinen Wesen zum Schaden, und entdecken in dem, der sie vornimmt ein böses Herz. Diese mis billigen wir, und geben ihnen die verhasten Namen der Laster. Das wahre Amt der Vernunft die uns Gott gegeben hat, besteht darinn, daß sie beo bachtet wie unsre Neigungen und Handlungen be schaffen sind, und sie in ihre gehörigen Classen bringt. So können wir die Bedeutung und den Umfang der Ausdrücke:Gerechtigkeit, Barm herzigkeit, christlicheLiebe, Feeygebigkeit<Freygebigkeit>, Mässigkeit, Tapferkeit, Hülfe, Selbstver
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(Zweytes Buch.) 698 Ausserordentliche Rechte theydigung, Vollstreckung der Gerechtig keit an Uebelthätern, und Vertheidigung unsers Vaterlandes im Kriege festsetzen. Dies sind Namen von tugendhaften oder gleichgültigen Be schaffenheiten und Handlungen.Betrug, Hinter list, Geitz, Grausamkeit, Trunkenheit, Ge frässigkeit, Feigheit, Verrätherey, Rauben Diebstahl und Mord, sind wohl bekante Be nennungen lasterhafter Neigungen und Handlungen. Die Schrift setzt voraus, daß wir diese Ausdrücke in ihrer völligen Stärke schon kennen, oder daß es wenigstens in unsern Vermögen steht, sie kennen zu lernen. Sie sucht uns durch die allerstärksten Be wegungsgründe zu allen Tugenden aufzumuntern und von allen Lastern abzuschrecken ohne sich in eine besondere Erklärung solcher Benennungen, ihres Jnnbegriffs, und ihrer Einschränkungen einzulassen, welche auf eine andre Art entdeckt werden können. (Und wür de ohne das selbe unnütz seyn.) Wenn man von dieser vorausgesetzten Wis senschaft die wir durch Vernunft und Ueberlegung erlangen, voraussetzte daß sie nicht da wäre: so wa ren die Gebote der Schrift für uns von keinem Nu tzen.Du sollt nicht tödten. Alles Tödten ist nicht verboten, sondern nur der Mord. Wo findet man irgend in der Schrift eine Beschreibung des Mords. Unsre Vernunft mus uns zeigen, welches das bil lige und unbillige Tödten ist: das billige findet sich bey der Selbstvertheidigung, in gerechten Kriegen, bey Hinrichtung der Uebelthäter, und eben die Ver nunft wird uns noch ausserordentlichere Fälle zeigen wo es ebenfalls gerecht seyn kan, wenn wir näm
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die aus besondrer Noth entstehen. 699(Siebzehn ter Abschnitt.) lich schätzbare Rechte oder Freyheiten einer Nation zu vertheidigen oder wieder zu erlangen suchen. Du sollt nicht stehlen ist wieder ein Gebot. Dies verbietet nicht durch Gewalt oder geheime Mittel etwas an sich zu bringen das vorher in dem Besitze eines andern gewesen ist, sondern etwas wegzuneh men worüber ein andrer ein Recht oder das Eigen thum hat. Hier mus uns abermals unsre Ver nunft den Ursprung, und die Natur, des Eigenthums zeigen und wie weit es sich erstreckt; und sie wird uns überzeugen, daß das Eigenthumsrecht oft gros sen öffentlichen Bedürffnissen weichen muß.Du sollt kein falsch Zeugnis reden, ist auch ein Ge bot. Was ist aber eine Lüge? Wo wird sie beschrie ben? Man kan nicht jede Rede so benennen, von welcher der Sprecher vorher sieht, daß sie die Zuhö rer in Jrrthümer leiten wird. Nicht einmal jede deren gleich in die Sinne fallende Bedeutung falsch ist. Unser Erlöser hat sich oft solcher Reden be dient. Unsre Vernunft muß uns wieder überzeu gen, welche Art zu reden der Gesellschaft schädlich ist und welche nicht; und wenn ausserordentliche Fälle uns berechtigen können, von der gemeinen Regel abzugehn. Wenn nicht vorher die verschie denen Begriffe solcher Pflichten und ihre gehörigen Gränzen bestimmt sind, so enthalten alle oben an geführte Gebote nichts als folgende schwankende und unbestimte Sätze. „Beraube einen andern ohne gerechte Ursachen nicht des Lebens. Entziehe nichts dem Besitze eines andern, wenn er es noch ferner besitzen sollte, und ein Recht darauf hat. Hin tergehe niemanden durch Reden, wenn es unerlaubt
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(Zweytes Buch.) 700 Ausserordentliche Rechte ist“. Was können diese Grundsätze ohne den Bey stand der Vernunft helfen? Die Offenbarung ward vernünftigen Wesen gegeben, die vorher die Fähigkeit erhalten hatten, die Rechte der Menschen, und die Handlungen zu beurtheilen, in wie ferne sie zum Guten oder Bösen ihrer Nebenmenschen oder der Gesellschaft gereichen könten, und deren Wahl schon zum voraus so ge lenkt war, daß sie das, was Nutzen schaft, billigen, das Gegentheil hingegen verwerffen muste. Für unsre gesellschaftlichen Pflichten war es hinlänglich, daß alles was nur gefällig und tugendhaft ist über haupt in der Schrift durch die stärksten Bewe gungsgründe und das göttliche Ansehen eingeschärft ward, und gewisse besondere Gesetze gegeben wurden deren Nutzen im gemeinen Leben nicht so gleich durch die Vernunft rechtschafner Männer hätte entdeckt werden können*. Es war nicht rathsam unsre Saumseligkeit, die von Gott uns mitgetheilte Kräfte zu üben, noch träger zu machen, oder mit uns als Kindern oder Albernen umzugehen, die nichts durch sich selbst entdecken könten. (Untersu chung eines unbestimm ten Grund satzes.) Einige suchen auch die Ausnahme wegen drin gender Noth durch einen Grundsatz, der kürzlich an genommen worden ist, zu verbannen.Man mus nichts Böses thun, daß Gutes herauskomme. 46
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die aus besondrer Noth entstehen. 701(Siebzehn ter Abschnitt.) Der Erfinder dieses Grundsatzes ist nicht recht be kant. Aus einer Stelle im heiligen Paulo kan man schliessen, daß man den Christen Vorwürfe gemacht, weil sie lehrten, daß die Jüden, weil durch ihre verstockte Bosheit sich die Barmherzig keit und Wahrhaftigkeit Gottes offenbarte, in der Sünde beharren müsten, damit dieses Gute heraus kommen möchte. Er bezeigt seinen Unwillen, daß man den Christen eine solche Lehre aufbürden wolle; und aus dieser Ursache nehmen einige den entge gegenstehender Satz, als einen allgemeinen Grund satz von grosser Wichtigkeit in der Moral an. Viel leicht ist es ein Grundsatz der Feinde des heiligen Paulus gewesen, weil sie ihm denselben vorrücken. Der Urheber aber mag seyn wer er will, so ist den noch der Grundsatz in der Sittenlehre von keinem Nutzen, weil er ganz und gar schwankend und un bestimmt ist. Darf niemand etwas aus einer gu ten Absicht thun, daß ohne diese Absicht böse gewe sen seyn würde? Es ist böse, sein Leben ohne ir gend eine Absicht auf etwas Gutes zu wagen; wenn aber das gemeine Beste es erfordert, so ist es lobenswürdig und verdient Ehre. Es ist ein Ver brechen, einen rechtschafnen Mann umsonst einer Gefahr auszusetzen; aber es ist gerecht, ihn seines Vaterlands wegen mit Gewalt dazu zu zwingen. Es ist ein Verbrechen, unschuldige Personen, ohne Absicht auf irgend etwas Gutes die geringsten Schmerzen zu verursachen; wir belohnen aber die Wundärzte, wenn sie uns, um uns zu heilen, zer schneiden, brennen, und verstümmeln. Ja, sagen sie, „solche Handlungen, wenn sie aus solchen Ab
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(Zweytes Buch.) 702 Ausserordentliche Rechte, sichten vorgenommen worden, sind nicht böse. Der Grundsatz verbindet uns nur, aus keiner guten Ab sicht, solche gute Handlungen vorzunehmen, die, wenn man sie auch der guten Absicht wegen thut, dennoch böse bleiben?“ Dieser Grundsatz aber ist unnütz, und sagt nichts als was schon gesagt wor den ist; denn wer wird uns nunmehr erklären, wel ches die zuweilen bösen Handlungen sind, die man aus einer guten Absicht vornehmen darf; und wel che Handlungen so böse sind, daß sie selbst nicht aus einer guten Absicht vorgenommen werden dürfen? Diese Fragen kan der Grundsatz nicht beantworten, und überhaupt enthält er weiter nichts als diese Klei nigkeit, „Du solltsollst aus keiner guten Absicht etwas Böses, oder etwas, das ohngeacht der guten Absicht, böse bleibt, thun.“ (Wie schwer es ist, den Umfang die ser Ausnah me zu bestim men.) VII. Die ganze Schwierigkeit ist die, zu be stimmen, wie weit diese Ausnahme sich erstreckt=<.> Bey vielen gewöhnlichen Gesetzen, die das Eigen thum oder unsre gewöhnlichen Arbeiten betreffen, kan sie nicht geleugnet werden. Sie zeugt auch Ausnahmen wider die allgemeinen Gesetze der Na tur; als diejenigen, wodurch wir verbunden wer den, für die Erhaltung unsers Lebens zu sorgen. Wo giebt es aber Gesetze, die nicht solche Ausnah me litten; Dies ist eins von denen Dingen, die man in der Moral noch zu wünschen hat, und wird es auch bleiben, bis unsre Erkentnis in einem hö hern Zustande vollkomner wird. Viele Moralisten erlauben uns, in gewissen ausserordentlichen Fällen, wider unsre Gesinnun
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die aus besondrer Noth entstehen. 703(Siebzehn ter Abschnitt.) gen zu reden. Gesezt eine blosse falsche Aussage ist nicht hinlänglich, unsre Absicht, zu der wir ein mal die Erhaltung unsers Vaterlandes annehmen wollen, zu erreichen; ist es uns alsdenn auch er laubt, einen falschen Eid zu thun? Leute, die nur die geringste Empfindung von Frömmigkeit haben, fühlen vor einem falschen Eide, durch welche wich tige Ursachen wir auch darzu getrieben werden mö gen, allemal den grösten Abscheu. Der Staats mann hält es für erlaubt, den Secretair eines feindlichen Prinzen zu bestechen, daß er den Eid der Treue bricht, und seines Herrn Geheimnisse ver räth; wie sollen wir uns in dem Falle verhalten, wenn wir unser Vaterland mit nichts anders ret ten können, als wenn wir ihn bestechen, seinen Herrn zu vergiften, oder umzubringen? Selbst der Staatsmann kan ein solches Verfahren nicht rechtfertigen. Ein offenbarer Tyrann, oder einer, der sich mit Unrecht zum Fürsten aufgeworfen hat, kan von jederman getödtet werden: hier ist das Tödten kein Mord. Darf er aber seine Absicht durch Eide der Treue, durch alle Freundschaftsbe zeugungen, durch die schwarzen Künste zu vergif ten, die man mitten unter den ruhigen Freuden ei ner freundschaftlichen Tafel ausübt, zu erhalten su chen? Hievor müssen sich die grösten Liebhaber der Freyheit entsetzen. Manche behaupten, daß wir ei nen gefährlichen Feind durch falsche Berichte be trügen können, dürfen wir ihn also, wenn die Si cherheit unsers Landes es unumgänglich erfordert, ihn nicht auch durch Tractaten oder Stillstände hin ter gehen? Die Gesetze und Gebräuche aller gesitte
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(Zweytes Buch.) 704 Ausserordentliche Rechte, ten Völker erklären ein solches Verfahren für unerlaubt. Es ist vielleicht unmöglich zu bestimmen, wie weit wir diese Ausnahmen in allen möglichen Fäl len ausdehnen dürfen. Die Menschen können sich freylich oft irren, und bey kleinen Nothfällen Ge setze übertreten, die zu heilig sind, als daß sie bey solchen Fällen eine Ausnahme zuliessen. Dies be weist aber nicht, daß sie niemals gerecht ist. Die Menschen irren sich eben so oft in Ansehung des Rechts der gewaltsamen Vertheidigung und Be hauptung ihrer Rechte, oder der Bestrafung der Verbrecher; deswegen aber leugnen wir diese Rech te überhaupt nicht. Es ist unmöglich, die Grade der Gewalt, die zu unsrer Vertheidigung erfordert wird, oder die Grösse der Schmerzen, womit man die Verbrecher belegen darf, aufs genauste zu be stimmen. Es bleibt allemal eine für die Gesund heit nützliche Regel, mässig zu leben, und sich Be wegung zu machen, obgleich niemand das, was er essen darf, bis auf eine Unze, oder die Länge des Weges, die er gehn oder reiten soll, bis auf eine Spanne bestimmen kan. Einige Abweichungen von einer so punctlichen<pünctlichen>Ordnung können vielmehr zuweilen mit der Gesundheit bestehn, oder sind ihr gar zuträglich. (Dadurch, daß man zu weilen solche Ausnahmen erlaubt, kan nicht alles Vertrauen der Men schen unter) Wenn einer aus nichts bedeutenden Ursachen von dem gemeinen Gesetze abgeht, und also den Vorwand der Nothwendigkeit misbraucht: so mus ihn sein eigen Herz bey einer ruhigen Ueberlegung verdammen, und jeder wird in seine Redlichkeit ein
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die aus besondrer Noth entstehen. 705(Siebzehn ter Abschnitt.) Mistrauen setzen, dies zeigt ganz klar, daß die ab znwendendenab zuwendenden Uebel oder die zu erhaltenden Vorthei le, nach dem Verhältnisse des Gesetzes, das übertre(einander ver nichtet wer den.) ten werden soll, allemal ausserordentlich gros seyn müssen. Wenn aber jemand nur in Fällen der äussersten Noth von dem gewöhnlichen Gesetze ab weicht, und sonst von ihm bekant ist, daß er es in allen gemeinen Fällen zuweilen selbst zu seinem Nachtheile heilig beobachtet: so wird jederman in allen gewöhnlichen Umständen des Lebens eben so viel Vertrauen auf seine Aufrichtigkeit setzen, als auf die Aufrichtigkeit andrer, die in gewissen theo retischen Grundsätzen strenge sind. Ein Mensch der die strengsten Grundsätze mit dem Munde be kennt, wird allemal dem Verdachte ausgesetzt blei ben, daß er ihnen bey einer starken Versuchung ent gegen handeln möchte, wenn man nicht von ihm weis, daß er sie auch in der Ausübung aufs heilig ste beobachtet. Und wenn derjenige, der die Aus nahme der dringenden Noth für gegründet hält, in allen gewöhnlichen Fällen die strengste Hochach tung vor dem Gesetze bezeugt, wenn sie ihm auch zu weilen einen beträchtlichen Schaden zuziehen sollte: so wird er, ohngeachtet seines Grundsatzes, in An sehung der Noth, das völlige Vertrauen der Welt behalten. Wir wissen, daß Leute von einer auf richtigen Tugend allemal vorsichtig seyn werden, damit sie diese Ausnahme nicht zu kleinen Privat vortheilen misbrauchen; und wir können uns in diesem Stücke auf ihre Treue verlassen. Leute, die wenig Tugend besitzen, werden den strengsten Grundsätzen bey der Hofnung des geringsten Ge
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(Zweytes Buch.) 706 Ausserordentliche Rechte winstes entgegen handeln. Wir verlassen uns also auf niemanden wegen der Strenge seiner Grund sätze, sondern wegen der Erfahrung, die wir von seiner Redlichkeit gemacht haben. Wenn man einige Gelegenheiten, wo die Noth eine billige Ansnahme verursachen kan, zu giebt: so erschüttert man dadurch nicht das ganze Gebäude der Moral, wie einige sich eingebildet ha ben. Alle sind darinne einig, daß die Aufführung recht ist, welche das meiste Gute hervorbringt. Es ist auch ausgemacht, welche Aufführung in allen gewöhnlichen Fällen das meiste Gute hervorbringt, und die verschiedenen Gesetze der Natur sind also ausser allem Streite. Alle geben gleichfalls zu, daß es in einigen seltnen Fällen billige Ausnahmen geben kan, wo wir durch Abweichung von den ge meinen Gesetzen mehr Gutes hervorbringen, als ge schehen könte, wenn wir sie aufs genaueste beobach teten. Es giebt noch heiligere Gesetze, wo wir zweifeln, ob irgend eine Noth uns berechtigen kan, davon abzuweichen. Diese Ungewisheit macht die übrigen Punkte nicht ungewis. Die Geometrie wird deswegen nicht zweifelhaft, weil die Meßkünst ler die Quadratur des Cirkels noch nicht entdeckt haben. Die Regeln der Medicin sind nicht durch gängig ungewis, weil gewisse Krankheiten vorkom men, für welche es keine Cur giebt. Die Schif fahrt ist keine eitle Kunst, weil wir die Länge des Meers noch nicht mit der verlangten Genauigkeit haben entdecken können.
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die aus besondrer Noth entstehen. 707(Siebzehn ter Abschnitt.) IX. Folgende Anmerkungen werden dienlich seyn, den Misbrauch des Vorwandes der Noth zu verhüten. 1) Je tugendhafter ein Mensch, je er(Allgemeine Anmerkun gen, um den Msibräu chen zuvor zu kommen.) habner seine Empfindung von den moralischen Vor treflichkeiten ist, desto weniger wird er im Stande seyn, diese Ausnahme bey Gelegenheiten von zu ge ringer Wichtigkeit, oder die allein seinen Vortheil zum Endzwecke haben, zu misbrauchen. Bey sol chen Leuten finden sich nicht nur allgemeinere freund schaftliche Neigungen gegen das menschliche Ge schlecht oder grosse Gesellschaften, sondern auch alle zärtliche gesellige Neigungen des Herzens, die von einer eingeschränktern Art sind, und auch diese sind Gegenstände ihres innerlichen Beyfalls. Sie ha ben einen richtigen Geschmack von allen tugendhaf ten Neigungen, und allen edlen Arten zu handeln; vom Mitleiden, von der Barmherzigkeit, von der Dankbarkeit, von der Wahrhaftigkeit und Freund schaft, und können ihnen nur mit grossem Widerwil len entgegen handeln. Diese Empfindungen wer den sie hinlänglich in Sicherheit setzen, oder ab halten, daß sie sich keiner ihnen entgegen gesetzten Entschuldigungen bedienen, wenn nicht ein zu er haltender Vortheil, der von der grössten und allge meinsten Art ist, die allgemeinern Neigungen des Herzens, die ihrer erhabnen Würde und Schönheit wegen berechtigt sind, die eingeschränktern zu beherr schen, in Bewegung gebracht hat. 2. Wenn wir die Vortheile oder Schäden, die aus der Abweichung von irgend einer gewöhn lichen Regel entstehen können, überschlagen wollen:
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(Zweytes Buch.) 708 Ausserordentliche Rechte, so müssen wir nicht allein auf die gleich folgenden, sondern auch auf die entferntesten Wirkungen Acht haben, die entstehen können, wenn wir in allen ähn lichen Fällen eine solche Freyheit erlauben. Ja wir müssen sogar mit auf die Gefahr denken, die durch den Jrrthum andrer entstehen kan, wenn sie sich eben der Ausnahmen in unähnlichen Fällen be dienen. Jede Art zu handeln, oder jeder morali scher Grundsatz ist deswegen nicht böse oder gefähr lich, weil ihn andre leicht nachahmen, oder bey un schiklichen und unähnlichen Vortheilen misbrau chen können. Die besten Grundsätze und Handlun gen können ein solches Schicksal haben. Aber ein rechtschafner Mann, der alle Vortheile, die er von einer ungewöhnlichen Art zu handeln erwartet, er wägt, mus auch nichts von dem Nachtheile verges sen, der selbst durch den Jrrthum andrer, besonders solcher Leute, die noch einige Empfindung von Tu gend haben, entstehen kan. Er wird sich nicht al lein solcher Freyheiten, die der Welt zum Schaden gereichen könten, wenn sich alle Menschen ihrer in ähnlichen Fällen bedienten, sondern auch selbst sol cher ungern bedienen, die gleiche böse Wirkun gen hervorbringen können, wenn sie von andern bey unähnlichen Vorfällen zur Unzeit angewendet werden; wenn nicht die Vortheile, die er dadurch erlangt, auch selbst diese Uebel, die aus dem Mis brauche andrer entstehen könten, überwiegen. Die Lehre von der gewaltsamen Vertheidigung wird von vielen gemisbraucht. Und ein tugendhafter Mann würde ihr nicht gemäs handeln, wenn nicht die Vor theile, die aus dem Gebrauche dieser Rechte entstehn,
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die aus besondrer Noth entstehen. 709(Siebzehn ter Abschnitt.) und die Uebel, die dadurch abgewendet werden, so gros wären, daß alle Uebel, die aus dem Misbrau che derselben im gemeinen Leben entstehn, dadurch überwogen würden. Wenn man die Einwendung der Noth nur bey Fällen von äusserster Wichtigkeit Statt finden lässt, so hat es keine Gefahr, daß tu gendhafte Leute dieselbe misbrauchen werden, und die groben Misbräuche der Lasterhaften kan man nicht mit auf die Rechnung bringen, weil eben die bösen Wirkungen erfolgt seyn würden, wenn auch diese Grundsätze niemals bekant geworden wären. Solche Leute würden bey einer Versuchung allemal so gehandelt haben, wenn sie auch die strengsten Meinungen bekant, und keinen so unredlichen Vor wand der Nothwendigkeit gehabt hätten. 3) Je wichtiger ein Gesetz für die innerli che oder äusserliche Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts ist, desto grösser mus auch der Nutzen oder die Noth seyn, die in dem besondersten Falle eine Abweichung davon rechtfertigen soll. 4) Die Absicht auf ein allgemeines Gut, oder auf die Hintertreibung eines allgemeinen Uebels, ist eine vortheilhaftere Einwendung, als irgend ein be sondrer Vortheil desjenigen, der die Handlung vor nimmt. Es zeigt ein redliches Herz an, wenn wir den gemeinen Gesetzen getreu bleiben, so oft wir dadurch uns allein einen Schaden zuziehen, oder unser Pri vatinteresse hindern; wenn man auch in solchen Fäl len eine Abweichung davon für kein Verbrechen hät te halten können. Wenn aber ein öffentlicher Nu tzen zu erhalten ist, der also eine gegründete Aus
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(Zweytes Buch.) 710 Ausserordentliche Rechte nahme verursacht, so hat kein tugendhafter Mann die Freyheit denselben irgend einigen falschen Begriffen von seiner Ehre oder seinem Character aufzuopfern. Seine allgemeine Neigungen müssen fehlerhaft oder seine moralischen Begriffe falsch seyn, wenn er in solchen Fällen einer niedrern Art von Tugend, die dem gemeinen Besten im Wege steht, folgt. 5) Obgleich in Nothfällen die Menschen den äusserlichen Gottesdienst versäumen können; so kan doch keine Noth solche Handlungen rechtfertigen, welche Ruchlosigkeit oder eine Verachtung der Gottheit anzeigen: als Gotteslästerungen, Mei neid, Abschwörung des wahren Gottes, oder der Art ihn zu verehren von der wir glauben, daß sie ihm angenehm ist, oder die* Unterlassung einer Pflicht, die er uns insbesondere trotz aller Gefahr die daraus entstehen könten anbefohlen hat, oder die Vollbringung oder Unterlassung irgend eines Dings, das als ein Zeichen, ob wir ihn anhan gen oder ihm entsagt haben, festgesetzt ist. 6) Da der Grund aller gerechten Einwen dungen wegen der Noth auf einem grossen allgemei nen Vortheile beruht, welcher erfodert, daß ich von der allgemeinen Regel abweichen mus; so kan keine dringende Noth mich berechtigen einen andern eben so unschuldigen Menschen mit Vorsatze eben so gros se Uebel zu verursachen, weil die Welt durch eine 47
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die aus besondrer Noth entstehen. 711(Siebzehn ter Abschnitt.) solche Aufführung keinen Vortheil erhält. Das ge meine Beste aber wird wirklich befördert, wenn ein unschuldiger Mensch, sich durch einen geringen Schaden, den er einen andern verursacht, von ei nem grossen Uebel befreyt. Eben so kan auch kein Staat oder keine Gesellschaft gerechtfertiget werden, wenn sie andern ohne die geringste Verschuldung gleiche Uebel verursacht. Jn solchen Fällen müs sen auf beyden Seiten alle mögliche Wahrschein lichkeiten sowol in Ansehung der nahen Uebel, als auch der künftigen möglichen Ersetzungen derselben ausgerechnet werden. Um auf einer Seite einem ganz unvermeidlichen Uebel zu entgehen, kan es bil lig seyn etwas zu thun, das möglicher Weise einen andern ein gleiches Uebel verursachen kan, wenn es nur wahrscheinlich ist, daß er im geringsten nicht dadurch leiden wird. Aber alle solche Schäden, die wir andern verursachen, um uns selbst vor grös sern in Sicherheit zu setzen, sind wir verbunden, so bald es in unserm Vermögen steht zu ersetzen. Die grosse Wahrscheinlichkeit oder Gewisheit, daß wir ins künftige allen verursachten Schaden werden ersetzen können, kan viele Verfahren rechtfertigen, die sonst nicht leicht zu entschuldigen seyn würden. Nach allem aber, was schon von dieser Sache(Die Em pfindung ei nes tugend haften und weisen Man nes ist hier unsre letzte Zuflucht.) gesagt worden ist, müssen wir, wenn nichts deut lichers und genauers noch entdeckt wird, unsre Zu flucht zu dem innerlichen Gefühle eines redlichen Herzens nehmen. Die Empfindung mus, wie Aristoteles uns oft sagt, den allgemeinen Grund satz, auf besondere Fälle anwenden, und also sind
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(Zweytes Buch.) 712 Wie man in der natürlichen Freyheit der wirklich tugendhafte Mann, und seine Empfin dungen ein einigen dieser feinen Fälle das höchste Gericht. Leute die wahrhaftig tugendhaft sind wer den selten in Gefahr gerathen diese Ausnahmen zu misbrauchen. Und keine Regeln, oder strenge Grundsätze und Meinungen sind fähig den Unge rechten, den Geizigen, den Ehrbegierigen, den Eigen nützigen und abergläubischen Anhänger einer falchen<falschen> Religion zu binden. Wenn solche Leute die Billigkeit der Ausnahme der Nothwendigkeit in wichtigen Fällen zugestehn, so werden sie dieselbe zur Unzeit anwenden. Gestehn sie sie nicht zu, so werden sie durch ihre Hand lungen selbst diejenigen Gesetze die sie für allgemein und aller Ausnahmen unfähig halten, übertreten.

Der achtzehente Abschnitt, Wie im Stande der natürlichen Freyheit die Streitigkeit entschieden werden müssen.

Ehe wir auf die Pflichten der zufälligen Stände kommen, können wir noch betrach ten wie man in der natürlichen Freyheit die Strei tigkeiten entschieden, und den Frieden erhalten ha ben würde; wenn die Menschen über den Begriff des Rechts uneinig gewesen wären. Dies wird den grossen Nutzen des bürgerlichen Regiments, und was am ersten dazu Gelegenheit gegeben hat, zeigen. (Grosser Nutzen der Schiedsrich ter.) Es ist bekant, daß der Eigennutz oft die Ur theilskraft selbst tugendhafter Männer partheyisch macht, die doch sonst den festen Vorsatz haben, alle Regeln der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu beobachten, und sich aller bewusten Jnjurien zu
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dem Kriegen zuvorkommen könte. 713(Achtzehn ter Abschnitt.) enthalten; und daß heftige Leidenschaften eben diese Wirkung hervorbringen. So können Leute die überhaupt tugendhaft sind, wenn sie verschiedene Begriffe von dem haben, was recht ist, oft geneigt werden, etwas das einem von ihnen nachtheilig ist, vorzunehmen. Sie sind auch nicht geschickt, so bald ihre Leidenschaften einmal aufgebracht sind, sich von denenjenigen, wider welche sie gereizt sind, über zeugen zu lassen. Sie werden auf beyden Theilen argwöhnisch und schicken sich gar nicht einander zu er mahnen. Wenn also freundschaftliche Unterredun gen unter ihnen selbst sie nicht vereinigen können, so ist es natürlich, daß sie sich an einen oder mehrere Schiedsrichter wenden, an Personen mit deren Weisheit und Redlichkeit beyde Theile zu frieden sind, die keinen besondern Antheil an dem glückli chen Erfolge einer Parthey nehmen, oder mit keiner von beyden durch besondedrs starke Bande verknüpft sind. Wenn solche Leute gleich nicht mehr Klng heit<Klugheit> als die streitenden Partheyen besitzen, so wer den sie doch weit leichter einsehen, was in ihrer Sache recht und billig ist, und deswegen solten alle sowol in einem Stande der natürlichen Frey heit als unter einen bürgerlichen Regimente be reit seyn sich dieses leichten Mittels, in allen streitigen Puncten des Rechts zu bedienen. Und alle rechtschaffne Männer solten, wenn sie nicht mit wichtigern Verrichtungen beschäftigt wären, bereit seyn, diesen Liebesdienst über sich zu nehmen, und wenn sie von den Partheyen dazu eingeladen worden, als Schiedrichter<Schiedsrichter> Frieden und Gerechtigkeit unter ihnen befördern zu helffen.
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(Zweytes Buch) 714 Wie man in der natürlichen Freyheit II. Es können zwo Arten von Streitigkeiten entstehn. Eine über das strengste genaueste Recht, wo keine Parthey willens ist freygebig zu seyn oder der andern eine Gefälligkeit zu erweisen und es auch nicht verlangt, sondern jede auf ihre vollkommne oder äusserlichen* Rechte dringt, die mit einigen Schwierigkeiten verknüpft sind, wegen wel che sie des Beystands weiser und unpartheyischer Männer bedürfen. Die andre Art ist, wenn die Menschen ihre äusserlichen Rechte in Bewegung bringen, dabey aber Willens sind, so weit es ihre Umstände erlauben die Menschlichkeit oder Billig keit Statt finden zu lassen, dieses aber der Bestim mung einiger Schiedsrichter überlassen. Jn Fäl len von der letzten Art werden die Schiedsrichter weit weniger Schwierigkeiten finden; in beyden aber ist es nothwendig, daß ihnen die vollkomnen Rechte beyder Partheyen und alle Ausnahmen dagegen, be kant gemacht werden, damit sie in den ersten das vollkomne oder äusserliche Recht bestimmen, und in den letztern einsehen können, welche billige Nach sicht oder Erlassung von einer oder der andern Seite erfordert wird. Jn den Streitigkeiten die das strengste Recht betreffen, sind sie in ihren Entschei dungen weit mehr eingeschränkt, und sie müssen auch auf stärkere Beweise dringen, denn der Man gel eines völligen Beweises kan einen Ausspruch, der nicht in der Menschlichkeit oder Billigkeit ge 48
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dem Kriegen zuvorkommen könte. 715(Achtzehn ter Abschnitt.) gründet ist, gänzlich vernichten. Bey andern Fäl len aber die ihrem Urtheile unterworfen worden, ha ben die Schiedsrichter die völlige Freyheit alle Um stände, und alle Bewegungsgründe die die Mensch lichkeit erregen können, zu untersuchen. Ein wirk lich rechtschafner Mann der sich auf die Redlichkeit der Schiedsrichter verlässt, wird sich allemal einer so billigen Art Streitigkeiten zu entscheiden, gern un terwerffen. Jn Ansehung der Angelegenheiten die einmal(Wir müs sen uns den Ausspruch des Schieds richters un widerruflich unterwerffen) den Schiedsrichtern übergeben sind, solten sich die Partheyen ihrem Ausspruche allemal völlig unter werffen. Niemand ist verbunden alle seine Rechte einen solchen Ausspruche zu unterwerffen. Ueber die aber, mit denen es geschehen ist, mus billig den Schiedsrichtern völlige Gewalt gelassen werden. Wenn die Partheyen sich vorbehalten, „sich den Aus spruch nur alsdenn wenn er gerecht ist, gefallen zu lassen, so ist ein solches Verfahren von sehr ge ringen Nutzen.“ Weil die Partheyen sich aus bedingen selbst von der Billigkeit des Ausspruchs zu urtheilen, so bleibt die Sache wie vorher, aus ser, daß sie die Meinung unpartheyischer Leute dar über erfahren haben, welche bey verschiedenen von einigem Gewichte seyn kan. Jst es aber gleich ausdrücklich ausgemacht worden, sich dem Aus spruche völlig zu unterwerfen, so kan doch jede Par they sich weigern es zu thun, wenn ein betrügeri sches Verständnis der Schiedsrichter mit der andern entdeckt wird, wenn Geschenke angenommen wor den sind, oder die Unbilligkeit des Urtheils so gros ist, daß jedem redlichen Manne die Nothwendigkeit
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(Zweytes Buch.) 716 Wie man in der natürlichen Freyheit der vorgegangen Bestechung in die Augen fallen mus. Diese Umstände können einen jeden von der Verbindlichkeit die sonst entstanden wäre befreyen, wie ein Nothfall die Verbindlichkeit der gemeinen Lebensregeln aufhebt. (Warum ein Zeuge nicht hinlänglich ist, und nie mals mehr als zween er fordert wer den.) III. Die Schiedsrichter müssen, wenn andre Beweise und Documente; als die Bekäntnisse der Partheyen, Acten, oder von ihnen unterzeichnete Contracte fehlen, ihre Zuflucht zu Zeugen nehmen, die verbunden sind, ihre Aussage mit einem Eyde zu bestärken. Die Character der Zeugen, und ihre Fähigkeit zur Gleichgültigkeit bey der vor habenden Angelegenheit müssen, von den Schieds richtern eben, so als im bürgerlichen Regimente, von den obrigkeitlichen Personen, beobachtet werden. Das, was itzt bey allen gesitteten Völkern eingeführt ist, mus auch in der natürlichen Freyheit gelten, daß es nämlich gefährlich ist, in einem Puncte von Wichtigkeit dem Zeugnisse eines Einzigen zu trauen; obgleich die Glaubwürdigkeit eines Zeugnisses keine grosse Anzahl von Zeugen erfordert. Zween untadel hafte Zeugen sind hinlänglich eine Sache zu bestätigen, wenn sie soviel Verstand zeigen, und soviel Gelegenheit gehabt haben, die Wahrheit zu erfahren, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß sie sich selbst betrogen haben; und wenn wir von ihnen versichert sind, daß sie keine Neigung haben, andre zu hintergehn. Ob die Zeugen, die von den Partheyen zu einer sol chen Unterhandlung erbeten, oder bey den vor habenden Handlungen selbst zugegen gewesen sind, hinlänglich von der Sache unterrichtet seyn können,
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den Kriegen zuvorkommen könte. 717(Achtzehn ter Abschnitt.) kan man sehr leicht gewis erfahren. Auf ihre Treue, oder Abneigung von dem Laster, andre zu betriegen, mus man oft von vielen Umständen, und besonders von diesen schliessen, ob der Betrug ihnen zum Vortheil gereichen kan, oder ob sie Ursache haben kön nen, zu hoffen, daß sie in ihrer Absicht zu betriegen, glücklich seyn werden. Nun verschaffen zween Zeugen über ei ne Sache, wegen des letzten Puncts eine gros se Sicherheit. Ein Mensch, der viel Ver stand und Gegenwart des Geistes besitzet, kan eine Geschichte so künstlich und zusammenhängend schmieden, daß es nicht möglich ist, ihn durch Be fragung zu entdecken, oder zu machen, daß er sich selbst widerspricht. Wenn aber zween Zeugen, jeder allein, so, daß keiner von des andern Zeugnisse et was weis, über alle Umstände, die jeder, der bey der vorhabenden Sache gegenwärtig gewesen, hätte beobachten müssen, verhört werden: so ist es sehr wahrscheinlich, daß dem Richter einige Fragen bey fallen werden, woran die Zeugen bey ihrer Ab rede nicht gedacht haben, und daß er sie darü ber befragen wird. Wenn die Zeugen einige solche Fragen, jeder alleine beantworten müssen, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sich einander wi dersprechen, und also selbst ihre Falschheit entdecken werden. Wenn beyde oft erklären, daß sie von vielen solchen Umständen nichts wissen, oder be haupten, daß sie einerley Umstände vergessen haben, so verursachen sie einen grossen Verdacht der Falsch heit. Wenn aber nach einem abgesonderten, und
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(Zweytes Buch.) 178 Wie man in der natürlichen Freyheit dem genausten Verhöre, ihre Zeugnisse, über alle diese Umstände vollkommen übereinstimmen, und einander ähnlich sind, so entsteht eine grosse Ge wisheit. Die Abhörung eines dritten, oder noch mehrerer Zeugen, kan die Sache kaum glaubwürdi ger machen. Es werden auch gemeiniglich vor Ge richte nicht mehr verlangt. Es ist zwar ein richti ger Grundsatz, daß wir unser Urtheil nicht nach ei ner kleinen Wahrscheinlichkeit einrichten sollen, wenn eine grössere davon da, oder wenigstes, zu erlan gen ist; es kan aber den Partheyen zu einer zu grossen Last gereichen, viele Zeugen zu schaffen. Sie verlangen also, ausser in einigen festgesetzten Fällen nicht mehr als zween, um ihr Urtheil darauf zu bauen. Das Zeugnis eines wahrhaften Man nes, kan eine Sache für diejenigen. die ihn kennen, aufserordentlich glaubwürdig machen; dies aber als einen völligen Beweis anzusehen, würde dennoch zu gefährlich seyn, weil wir oft finden, daß Leute, die sehr lange den Character der Redlichkeit behauptet haben, doch endlich über einer Betrügerey entdeckt wor den sind. Wenn man das Zeugnis eines Einzi gen, in einem Falle annähme, so könte man es in andern nicht verwerfen, man müste denn, vondemje nigen, dessen Zeugnis man verwürfe, etwas sehr Schändliches gewis zu behaupten wissen. Dies geht sehr oft bey Leuten von sehr geringem Werthe und schlechter Redlichkeit nicht an. (Jn der na türlichen Freyheit ist) IV. Wenn weder die Unterredungen der Par theyen, noch die Vermittelung ihrer gemeinschaftli
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den Kriegen zuvorkommen könte. 719(Achtzehn ter Abschnitt.) chen Freunde, den Streit beylegen, oder beyde bewe gen kan, ihre Sache dem Ausspruche unpartheyi scher Schiedsrichter zu unterwerfen, so bleibt in der(die letzte Zu flucht der Ge walt.) natürlichen Freyheit kein anderes Mittel übrig, als das uns erwiesene Unrecht, mit Gewalt wieder gut zu machen. Weil diese Mittel allemal gefärlich, und oft mit den unglücklichsten Folgen verknüpft ist; so müssen billig vorher alle menschlichen Mit tel, das Recht zu erlangen, die die Natur der strei tigen Sache nur erlaubt, versucht werden. Wenn diese vergebens sind, so mus sich jemand nicht nur den Beystand seiner Freunde, oder andrer, die ihr Unwille über das Unrecht zu seinem Besten aufge bracht hat, zu verschaffen suchen, sondern vorher die gelassensten und weisesten seiner Nachbarn, die mit ihm in keiner besondern Verbindung stehen, über die gehörigen Mittel sich zu vertheydigen, und sein Recht zu verfolgen, oder die Strafen, womit der andre zum Schrecken andrer billig belegt werden kan, zu Rathe ziehen. Damit alle unnöthige Strenge vermieden, und nicht mehr von dem andern Theile verlangt, oder ihm keine grössere Strafe aufgelegt werde, als dem Beleidigten gebührt; oder zur allge meinen Sicherheit nothwendig ist. Die gefährlichen Folgen, die man wegen der(Die Ge fahr der ge waltsamen Vertheidi gung, &c &c zeigt die Nothwen digkeit des bürgerlichen Regiments.) ungemässigten Leidenschaften der Menschen bey ih rer Vertheydigung, oder der Behauptung ihrer Rechte, in einem Stande der natürlichen Freyheit, wo die Ungerrechten so gut, als diejenigen, die Recht ha ben, alle ihre Freunde bewegen werden, ihnen beyzu
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(Zweytes Buch.) 720 Wie man in der natürlichen &c stehn, zu befürchten hat, gehören vermuthlich mit unter die ersten Bewegungsgründe, wodurch die Menschen angetrieben worden sind, ein bürgerliches Regiment anzuordnen, und die Obrigkeiten und Richter mit hinlänglicher Gewalt zu versehen, um ihre Aus sprüche über die Streitigkeiten ihrer Unterthanen, durchzutreiben, und die Uebelthäter mit den gehöri gen Strafen, die sowohl zu ihrer, als andrer Ab schreckung von gleichen Unternehmungen, nothwen dig sind, zu belegen.* Davon werden wir im fol genden Buch handeln. 49 Ende des zweyten Buchs.
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721(Erster Abschnitt.)

Drittes Buch. Vom bürgerlichen Regimente.

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Der erste Abschnitt, Von den verschiedenen eingeführten Stän den, oder den Verknüpfungen durch Ver wandschaften, und zuerst vom Ehestande. I.

Jn dem vorigen Buche haben wir die verschiede(Von un sern Pflichten in den einge führten Ständen.) nen Rechte und Pflichten betrachtet, die in der Natur gegründet, und schon vor den, nachher ein geführten Ständen, oder den zufälligen Verbindun gen der Menschen da gewesen sind. Diese Rechte und Pflichten behalten grösten Theils auch in allen eingeführten Ständen der Menschen ihre Kraft; werden aber so eingeschränkt, als die Natur ihrer neuen Verbindungen, und des gemeinen Bestens, es erfordert. Es entstehn auch viel neue Berbind lichkeiten<Verbindlichkeiten> für uns, wenn wir in solche neue Ver knüpfungen treten. Wir wollen die vornehmsten derselben, und die Rechte und Pflichten die dar aus entstehn, betrachten. Diese Stände oder Verknüpfungen, betreffen(Diese be treffen ent weder unser Haus oder den Staat.) entweder unser Haus oder den Staat, die erstern sind dreyerley,der verheyratheten Personen, der Eltern und Kinder, und der Herren und Bedienten. Die bürgerlichen oder politi schen, enhalten entweder das allgemeine Verhält
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(Drittes Buch.) 722 Die Rechte und Pflichten nis aller Bürger und Unterthanen gegen den Staat und seine Regenten, oder die besondern Verbindlichkeiten der Menfchen<Menschen> in gewissen weltli chen Aemtern. (Nothwen digkeit der Ehe.) II. Die erste Verbindung, wozu uns die Natur treibt, ist die Ehe. Die verschiedenen Geschlechte der Thiere wären gewis ausgegangen, wenn ihnen die Natur nicht allen sehr weislich das Vermögen und den Trieb, sich fortzupflanzen, einge geben hätte. Die Natur der Jnstincte in den Thieren ist nach ihren besondern Umständen sehr verschieden. Da die Jungen der meisten Thiere, der Fürsorge ihrer Eltern, nur wenig, oder doch nur auf eine kurze Zeit, bedürfen, da sie zu den ein fachen Verrichtungen ihres Lebens, nur eines kur zen Unterrichts benöthigt, und die Bemühungen der Mütter dazu hinreichend sind: so war bey ihnen beynahe nichts weiter als der blosse Trieb der Fort pflanzung nöthig, und daß sie sür<für> gehöriges Fut ter, für Nester und Hölen sorgten, ihre Jungen darinnen aufzubehalten, bis sie zu ihrer gehörigen Stärke gediehen. Bey einigen wenigen Arten ent decken wir etwas mehrers, eine Art von beständi ger Gemeinschaft unter den Alten, die mit einigem Scheine der Zuneigung und Treue verbunden ist. Aber die Erhaltung der Kinder, die Erziehung dersel ben, die nothwendig ist, um sie zu den höhern Bestim mungen eines vernünftigen Lebens geschickt zu ma chen, erfordern eine lange anhaltende, nnd<und> mühselige Arbeit vieler Jahre, der die Mütter allein, ohne den Beystand der Väter nicht gewachsen sind. Wir
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im Ehestande. 723(Erster Abschnitt.) reden hier von dem allgemeinen Zustande des mensch lichen Geschlechts, nach welchem der Jnstinkt einge richtet werden muste, und nicht von dem Zustande einiger wenigen, die einen grössern Reichthum erlangt haben. Von der gehörigen Erziehung der Kin der, hängt ein ausserordentlich grosser Theil der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts ab. Kein Theil der Natur entdeckt deutlicher die Gü tigkeit und Weisheit ihres Urhebers, als die ver schiednen Leidenschaften und Triebe, die dem mensch lichen Geschlechte zu diesem grossen Endzwecke ein gepflanzt sind. Eine sorgfältige Beobachtung un srer eignen Natur in diesem Puncte, wird uns unsre Pflichten im Ehestande sehr deutlich zeigen. Wir erhalten alle eine Kentnis von der Ab(Wegen un srer natürli chen Nei gungen.) sicht der Natur bey diesem Triebe der Fortpflan zung, ehe er selbst in uns aufwacht, und auf eine viel geraumere Zeit hält uns gemeiniglich noch eine natürliche Bescheidenheit oder Schaam ab, ihn zu befriedigen. Wir müssen gleichfalls angemerkt ha ben, daß eine lange Reihe, sorgfältiger und be schwerlicher Bemühungen erfordert wird unsre Kinder zu erhalten, und aufzuziehn, und daß aus dieser Ur sache die Natur beyden Eltern, die zärtlichste und unveränderlichste Liebe gegen dieselben eingepflanzt hat, weil ihr vereinigter Beystand dazu erfordert wird. Wie diese väterliche und mütterliche Liebe beyden eine solche Arbeit versüst, so zeigt sie auch die grosse Verbindlichkeit an, worunter beyde sich befinden, sie über sich zu nehmen. Alle diejenigen
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(Drittes Buch.) 724 Die Rechte und Pflichten also, welche auf die Stimme der Natur, oder die, Verbindlichkeit, womit sie uns belegt, achten, oder nur einige Empfindung von Menschlichkeit und Tugend haben, müssen einsehn, daß sie, wenn sie dem Triebe Kinder zu zeugen, ein Genüge thun, sich mit derje nigen Person, die sie dazu erwählen, zu einerley Ab sicht, und einer langen Dauer von gemeinschaftli cher Sorgfalt und Mühe verbinden müssen. Sol che vereinigte Berathschlagungen, Mühseligkeiten und Arbeiten, müssen ohne einer gegenseitigen Lie be, unter den Eltern beynahe unerträglich seyn: und um diese hervorzubringen, sehn wir, daß wir sehr weislich von der Natur so gebildet sind, daß bey allen denen, die nur einige Sittsamkeit oder Em pfindung von Tugend besitzen, dieser Trieb nur durch die feinsten EmfindungenEmpfindungen des Herzens, nnd<und> die süssesten zärtlichstenLeidenschaften, erweckt, oder we nigstens die Wahl eine Mitgenossinn dadurch be stimmt wird. Die Empfindung von der Schön heit macht gemeiniglich, daß wir bey der geliebten Person einen guten Character voraussetzen, und ei ne aufmerksame Bekantschaft kan uns völlige Ge wisheit davon verschaffen. Die Hochachtung, die wir vor der Tugend und der Weisheit, und das Verlangen und die Liebe, die wir gegen unschuldi ge Sitten, gegen Gefälligkeit, Vertrauen, nnd<und> die zärtlichste Gutherzigkeit hegen, sind die natürlichen Reitzungen zur verliebten Sehnsucht, und beständi gen Begleiter derselben; dahingegen der viehische Trieb zu Befriedigung unsrer Sinne, die man bey Personen, welche das böseste Herz besitzen, erlangen kan, der grösten Verachtung nnterworffen<unterworffen> ist.
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im Ehestande. 725(Erster Abschnitt.) Da wir also die Bestimmung dieses Triebes, und die Verbindlichkeiten, die daraus gegen die Früchte desselben entstehen, kennen, und da wir mit Ver nunft begabt sind: erfordert es unsre Pflicht, diesen Trieb so lange zu bezwingen, bis wir von einer sol chen Uebereinstimmung der Gemüther überzeugt sind, welche die lange vereinigte Sorge der Kinder zucht für beyde Eltern erträglich machen kan, und bis wir in Umständen sind, die uns in den Stand setzen, alle Kinder, die uns gebohren werden kön nen, zu erhalten. Denn die Vertraulichkeit, die aus einem so langen Umgange entsteht, und die oft wiederhohlten Empfindungen des Triebes zur Fort pflanzung, können sehr natürlich ein zahlreiches Haus hervorbringen. Nun können wir leicht ein sehn, daß zur Erhaltung und Auferziehung so vieler Kinder, die ganze vereinigte Sorgfalt beyder El tern erfordert wird, ja, daß ihre vereinigte Bemü hungen, die wenigste Zeit im Stande sind, ihre grossen und eifrigen Wünsche, in Ansehung derselben zu erfüllen. Diese natürlichen Triebe und Neigun gen zeigen, wenn man sie mit der lange daurenden Schwachheit und Unfähigkeit sich zu helffen, unsrer Kinder vergleicht, sehr deutlich, daß sie nur von solchen Eltern gezeugt werden dürffen, die sich vor her durch gegenseitige Liebe und Hochachtung, verbunden haben, einander in dieser wichtigen Pflicht gegen das menschliche Geschlecht, der Zeu gung und Erziehung der Kinder, beyzustehn. Diese moralische Beschaffenheit unsrer natürli(Diese zei gen uns alle unsre Ver bindlichkei) chen Triebe, hat sich, wie wir finden, zu allen Zeiten
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(Drittes Buch.) 726 Die Rechte und Pflichten nnd<und> bey allen Völkern, gezeigt, und beständig die (ten in einem solchen Stande.) Oberhand gehabt; ob es gleich unstreitig ist, daß bey vielen einzelnen Personen, manche natürliche Neigungen, durch lasterhafte Gewohnheiten sehr ge schwächt, oder gar ausgelöscht werden können. Sie zeigt uns sehr deutlich alle unsre Pflichten im Ehe stande und gegen unsre Kinder, alles Vernünftige und Billige, was in Ehecontracten ausgemacht werden kan; und durch die glücklichen Wirkungen, welche für die Gesellschaft entstehn, wenn wir der Absicht der Natur folgen, und das Böse, das sehr natürlich daraus folgt, wenn wir denselben entge gen handeln, werden dieselben noch mehr be stätigt. (Die Ge wohnheit diesen Trieb ohn alle Ein schränkun gen zu befrie digen würde gefährlich seyn.) III. Wenn wir nur dem thierischen Triebe folgten, ohne uns in gesellige freundschaftliche Vereinigungen einzulassen, ohne im geringsten auf die zärtlichen und edlen Leidenschaften zu achten, womit derselbe sonst seiner Natur nach begleitet ist; so handelten wir nicht allein dieser schönen Absicht der Natur entgegen, sondern es würden auch böse Folgen für unsre Leiber, unsre Seelen und die menschliche Gesellschaft daraus entstehen. Die sem Triebe, ohne sich an die Zurückhaltung der natürlichen Schamhaftigkeit zu kehren, so bald, und so oft er sich zeigte, ein Genüge zu thun, würde für die Leiber sowohl der Eltern als der Kinder, ge fährlich seyn, besonders bey denjenigen, die sich in bessern Umständen befinden, und von aller Leibes arbeit befreyt sind. Die Schwachheit der Seele, und eine Fertigkeit zu allen Ausschweiffungen,
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im Ehestande. 727(Erster Abschnitt.) würden dennoch noch üblere Folgen eines solchen Verfahrens seyn. Die Natur hat aus einer be sondern Gütigkeit die Menschen geschickt gemacht, sich öfter zu befriedigen, als die meisten andren Thiere, um die grosse Sorge, welche die Erziehung der Kinder ihnen verursacht, zu ersetzen. Aber durch eine Empfindung von Schamhaftigkeit, durch die mancherley moralischenLeidenschaften, welche diesen Trieb begleiten, durch unsre Vernunft, die die entfernten Wirkungen, und unsre Pflichten entdecken kan, hat uns die Natur diejenige Art, der Befriedigung gezeigt, die mit allen moralischen Empfindungen des Herzens, und allen edlen und grosmüthigen Leidenschaften, die die Natur zu Begleiterinnen dieses Triebes gemacht hat, und mit dem Nutzen der Gesellschaft bestehn kan. Diese Gewohnheit würde ferner die Wirkung(Sie wür de die väter und mütter liche Liebe aufheben.) haben, daß die Väter in Ansehung ihrer eignen Kinder ungewis blieben, und also keinen andern An trieb hätten, sich im geringsten um sie zu bekümmern, als das allgemeine Band der Menschlichkeit, wel ches wie wir wissen, nicht hinreichend ist. Sie würden eine der natürlichsten Vergnügungen, in der Liebe zu ihren Kindern, und der wichtigsten Auf munterung zur Arbeit und zum Fleisse entbehren. Die Mütter würden die Sorge der Erziehung un erträglich finden, weil sie ihnen allein überlassen wäre. Sie würden also auch nachlässig werden, und sich so gut als die Väter, viehischen Aus schweiffungen überlassen. Die natürliche Be stimmung dieses Jnstincts, würde also
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(Drittes Buch.) 728 Die Rechte und Pflichten Theils durch die Unfruchtbarkeit der Weiber, Theils durch ihre Nachlässigkeit gegen ihre Kinder beynahe gänzlich vernichtet werden. Wir können uns nur einen sehr schlechten Begriff von dem unglücklichen Zustande eines Staats machen, wo jeder seinem viehischen Triebe ohne Zurückhaltung folgte, wenn wir die übeln Wirkungen betrachten, die allemal in einer Nation, wo der gröste Theil sich unter der Zucht der Gesetze, und einer durch die Erziehung befestigten Schamhaftigkeit befindet, auf einige wenige Ausschweifungen in Befriedigung dieses Triebes folgen. Man kan aber leicht daraus schlies sen, welche ein allgemeines Elend entstehen müste, wenn alle Einschränkung aufgehoben würde, und ein jeder seinen viehischen Trieben ohne Zwang ein Genügen thäte. (Unnatürli che Wollüste sind der Ge sellschaft schädlich.) Manche Jnstincte, die die nützlichsten sind, können auf die unnatürlichste Art umgekehrt wer deu<werden>, wenn man sie entweder gegen eine verschiedene Art von Geschöpfen, oder gegen einerley Geschlecht richtet. Diese Beleidigungen der weisen und ehr würdigen Einrichtung unsrer Natur, und Gottes, ihres Urhebers, zeigt eine viehische Sinnlosigkeit an, und daß wir keinen Begrif von dem haben was sich für vernünftige Wesen schickt, die von einer weisen Vorsehung in ein solches System gesetzt worden. Die schrecklichen Uebel, die aus solchen verkehrten An wendungen unsers Jnstinkts, wenn sie einrissen, entstehen müsten, fallen sehr deutlich in die Augen; obgleich die Wirkungen einiger seltnen Fälle in ei ner Nation, die in dem Abscheue vor solchen Wol
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im Ehestande. 729(Erster Abschnitt.) lüsten erzogen ist, nicht erheblich sind. Würde der Zwang der Gesetze aufgehoben, und eine grosse Menge von Leuten durch das Exempel verderbt, daß sie einem mehr als viehischen Triebe folgten, und sich die Mühe der Erziehung der Kinder er sparten: so würden so unnatürliche und so unge heure Leidenschaften entstehn, daß sie von Natio nen, die mit solchen Lastern nicht bekant sind, kaum würden für möglich gehalten werden können. Häuften sich diese Leidenschaften, so würde ein Land bald aufhören volkreich zu seyn, und mit Elenden angefüllt werden, die in allen andern Kräften und Vergnügen der Seele eben so sehr als in diesem Triebe verderbt wären. Solchen unnatürlichen Wollüsten mus also in allen Gesellschaften mit der grösten Strenge Einhalt gethan werden. IV. Da aus den vorhergehenden Anmerkun(Daß wir verbunden sind zu hey rathen.) gen erhellet, daß das menschliche Geschlecht durch Eltern fortgepflanzt werden mus, die sich auf eine freundschaftliche Art verbunden haben, die Sorgen der Erziehung gemeinschaftlich zu übernehmen: so wollen wir zur Untersuchung der billigen Bedingun gen einer solchen Gemeinschaft oder des Contracts darüber fortgehn, weil es ganz klar ist, daß jedem gegen unser Geschlecht, die auch von unsern natür lichen Trieben so sehr angepriesne Pflicht obliegt, seinen Theil zur Erhaltung und guten Erziehung unsers Geschlechts beyzutragen, wenn er nicht der Welt wichtige Dienste zu leisten verbunden ist, die mit den Haussorgen nicht bestehen können, oder sich
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(Drittes Buch.) 730 Die Rechte und Pflichten nicht in den erforderlichen Umständen befindet, eine Familie zu erhalten. (Die Punkte des Con tracts. Die Treue der Weiber.) Der erste und nothwendigste Punkt ist, daß die Väter ihrer Kinder gewis seyn müssen; und al so mus eine Frauensperson, die sich verbindet, ei nem Manne Kinder zu zeugen, die stärkste Versiche rung geben, daß sie sich zu gleicher Zeit nicht mit andern einlassen will. Die Brechung dieses Ver sprechens ist das grösste Unrecht, das man einen an dern anthun kan, weil es den Manne dessen, was ihm das liebste ist, und des Endzwecks aller seiner irrdischen Sorgen, einer gewissen Nachkommen schaft beraubt. Jn einem Heyrathscontracte ist also dies der erste Artikel. (Nothwen digkeit der Sittsamkeit bey beyden Geschlech tern.) Es ist nothwendig, daß die Weibspersonen von Jugend auf, auf eine Art erzogen werden, die am ersten im Stande seyn kan, solche ausserordent lich beleidigende Jnjurien zu verhüten. Wenn sie vor dem Ehestande schon in Unzucht gelebt haben, so ist es bekant, daß dieses ausser der lüderlichen Fertigkeit, die es verursacht, auch eine solche Ver traulichkeit mit den Personen, die sie vergnügt ha ben, hervorbringt, ihnen ihre Character so sehr un terwürfig macht, so viel Hang zu neuen Ausschwei fungen zeugt, oder ihr Vermögen dem Anliegen an drer zu widerstehen so sehr schwächt, daß niemand völlig versichert seyn kan, daß er seine eigne reine Nachkommenschaft erhält, wenn er solche Perso nen heyrathet. Wenn solche schon vor dem Ehe stande begangne Leichtfertigkeiten entdeckt werden, so ist der Character der Keuschheit für sie verloren,
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im Ehestande. 731(Erster Abschnitt.) und kein Mann wird sich in der Ehe auf ihre Treue verlassen. Sie machen sich dadurch verächtlich, verlieren alle Hofnung jemals eheliche Liebe und Hochachtung zu geniessen, und alles Ansehn bey an dern. Die Bosheit, die also eine Mannsperson durch den Misbrauch eines Frauenzimmers begeht, mus ausserordentlich gros seyn, weil er einer kurzen sinnlichen Freude wegen sein Nebengeschöpf einer immerwährenden Schande aussetzt, die natürliche Sittsamkeit und freye Unschuld ihres Herzens ver dirbt, und sie aller ehelichen Liebe und alles Ver trauens, die doch dereinst die gröste Glückseligkeit ihres Lebens ausmachen soll, unwürdig macht. Sie kan beydes nicht anders, als durch Falschheit oder Verstellung erlangen, und diese machen einen glücklichen Erfolg nicht allemal gewis. Wir wissen alle, wie schmerzhaft diese Jnjurie ist, wenn sie mit Gewalt, oder vermittelst betrügerischer Bitten an unsern Schwestern oder Kindern ausge übt wird; nun kan das Verbrechen nicht kleiner seyn, wenn andre dadurch leiden. Es ist also die Pflicht aller dererjenigen, die junge Personen von beyderley Geschlechten zu erziehen haben, sie so sehr als möglich zur beständigen Sittsamkeit in ihren Reden und Handlungen zu gewöhnen, und sie von allen, was auch nur von aussen einen andern Schein haben könte, abzuhalten. Es zeigt die grösste Verderbnis der Sitten und Grundsätze an, wenn in einer Nation, die sich rühmt, daß sie die Frey heit und Gleichheit des Rechts für ihr ganzes Volk behauptet, solche grausame Jnjurien, wenn man
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(Drittes Buch.) 732 Die Rechte und Pflichten sie auch Leuten vom niedrigsten Stande erweist, nicht aufs strengste bestraft werden Die Men schen fühlen in den geringsten Ständen die Freu den der ehelichen und väterlichen Liebe. Sie ha ben mit den Erhabensten einerley Verlangen und Sinne. Das Verbrechen das einer begeht, der sie einer von diesen Freuden beraubt, oder ihren Zu stand verächtlich macht, mus also grösser seyn, als manche, die mit dem Tode bestraft werden. Es ist ausserordentlich ungerecht, daß die unschuldigste Partey so viel leiden mus, und den Hauptverbre cher, den Verführer, der sich oft der niedrigsten Falschheiten und des Meineides bedient hat, keine Strafe erwartet. Diejenigen Frauenspersonen, bey denen lü derliche Sitten eingerissen sind, empfinden diese Schande vielleicht nicht so sehr. Einige verworf ne Creaturen, die alle Bescheidenheit, und alle feine re Leidenschaften und Empfindungen, die sonst den Trieb der Liebe begleiten, unterdrückt haben, sind vielleicht im Stande, sich ein ausschweifendes Leben, seiner niedrigen Vergnügungen, und eines elenden Gewinnstes wegen, zu wählen. Wo aber nur noch die geringste Achtung für die Tugend statt findet, sollte man einer solchen Art zu leben aufs strengste Einhalt thun; weil diejenigen, die dieselbe wählen, sich gemeiniglich die Schwachheit der Ju gend zu Nutze machen, ihre Sitten auf mancherlcy<mancherley> Art verderben, die widerspänstigsten Gewohnhei ten, die mit allen nützlichen Beschäftigungen des Le bens nicht bestehen können, hervorbringen, und
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im Ehestande. 733(Erster Abschnitt.) unsere natürlichen Triebe, die die Vorsehung so wei se eingerichtet hat, von ihren gehörigen Endzwecken ablenken. VI. Der zweyte wesentliche Artikel eines(Nothwen digkeit einer gleichen Treue der Ehemänner.) Heyrathscontracts ist dieser, daß sich der Mann mit einem Weibe begnügen mus. Es ist wahr, die Jnjurie, die ein Mann der Frau durch seine Untreue erweist, ist nicht so gros als diejenige, die ihm da durch von ihr widerfährt. Er kan sie nicht so be trügen, daß er ihr eine falsche Nachkommenschaft aufbürdete. Jn allen übrigen Betrachtungen aber ist die moralische Schändlichkeit des Verbrechens auf beyden Seiten gleich gros, und ein Weib hat eben die gerechten Ursachen, dieses Versprechen von dem Manne zu verlangen. Die natürlichen Lei denschaften des Weibes erfordern eben so gut als des Mannes seine, einen freundschaftlichen Umgang, und eine vereinigte Sorgfalt für die Erziehung ih rer gemeinschaftlichen Kinder. Es ist die offenbarste Ungerechtigkeit, und(Wie uner laubt die ent gegengesezte Gewohnheit ist.) verursacht die grösste Ungleichheit in der ehelichen Gemeinschaft, in welcher uns alle feinere Empfindun gen unsers Herzens eine gleiche Freundschaft auf bey den Seiten anbefehlen, wenn man verlangt, daß ein Mann und seine Kinder, den einzigen Gegenstand der Liebe, der zärtlichsten Sorgen eines Weibes, und aller ihrer weltlichen Absichten ausmachen sollen; da man ihm hingegen erlaubt, seine Neigungen und Sorgen mit andern Weibern und Kindern zu theilen, oder sie ihr vielleicht gänzlich zu entziehen. Ohne eine völlige Versicherung von der Treue ihres Mannes können
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(Drittes Buch.) 734 Die Rechte und Pflichten alle Vergnügungen, die sie in einem freundschaft lichen Umgange, oder durch die Bemühung für ihre Kinder geniesst, nur von sehr ungewisser Dauer seyn. Durch die Wollüste der Ehemänner, wo durch sie entweder zu den lüderlichsten Arten, sich zu vergnügen, oder der Vielweiberey gebracht wer den, verliert also eine Hälfte unsers Geschlechts, die mit der andern auf alle gesellschaftliche Genüsse und Freuden gleiche Rechte hat, eines niedrigen sinn lichen Vergnügen wegen, viele der wichtigsten Er götzlichkeiten des Lebens. Alle zärtliche und edle Leidenschaften, womit der Tricb<Trieb> der Liebe bey den Männern vergesellschaftet ist, erklären sich wider eine solche Freyheit, und zeigen ihnen deutlich, daß die Natur den Ehestand bestimt hat, eine bestän dige gegenseitige Freundschaft zweyer Personen zu seyn; weil diese Leidenschaften sich auf Hochachtung und Liebe zur Tugend gründen, und, wo sie von Herzen auf eine Person gerichtet sind, keine ähnliche Leidenschaften gegen andre zu gleicher Zeit zulassen. Durch den Ehebruch oder die Vielweiberey müssen die Neigungen des Ehemannes von dem ersten Weibe und ihren Kindern abgelenkt werden. Die lezte wird sich derselben vermuthlich mit ihren Kindern allein anmassen, und die lezte ohne Ursache verachtet werden. (Ueble Fol gen der Viel weiberey.) Die Wirkungen, die für die Kinder und für die Gesellschaft aus der Vielweiberey entstehn, sind bey na he eben so gefährlich, als die Folgen andrer unerlaub ten Ausschweifungen der Ehemänner. Die Anzahl der Kinder eines Mannes kan so gros werden, daß
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im Ehestande. 735(Erster Abschnitt.) weder sein Vermögen noch sein Fleis zu ihrer Er haltung hinreichen. Viele derselben müssen vernach lässigt werden, und einige wenige Lieblinge werden nur der Fürsorge der Eltern geniessen. Da sich auch selbst die Vorsehung wider eine solche Vielweiberey erklärt, indem sie beyde Geschlechter beständig in ziem lich gleicher Anzahl erhält, oder gar das männliche stärker macht: so würden viele Mannspersonen des Vergnügens des Ehestandes und der Freude Kinder zu haben entbehren müssen. Jhre natürlichsten Ver bindungen mit dem menschlichen Geschlechte wür den dadurch aufgehoben werden, und sie sich allen ungesellschaftlichen Neigungen überlassen. Die Vielweiberey steht dem Wachsthume des menschli chen Geschlechts mehr im Wege als sie ihn befördert. Eine Nation wird volkreich, wenn alle Weiber so lange sie dazu geschickt sind, gebraucht werden, Kinder zu zeugen, und zu erziehen. Dis geschieht am besten, wenn jede Frau ihren eignen Mann hat. Wenn ein Mann viele Weiber hat, so wird er sich unfehlbar aus dem grössten Theil derselben we nig machen, oder sich nicht gern mit so vielen Kin dern überhäuffen wollen. Jn dem Falle sind die Weiber in der stärksten Versuchung ein Gelübde das auf ihrer Seite so ungleich und viel zu beschwer lich ist zu brechen, und sich aller Gelegenheiten zum Ehebruch zu bedienen. Dies ist die Ursache, war um in den Ländern, wo diese Gewohnheit* einge 50
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(Drittes Buch.) 736 Die Rechte und Pflichten führt ist, die Weiber allemal als Sklavinne ge halten werden, und daß man daselbst auf keine freund schaftliche Art für ihr Vergnügen sorgt. Sie werden durch Ketten, Gefangenschaft und Wachen, und nicht durch die Empfindungen der Liebe und der Freundschaft in ihren Schranken erhalten. (Der Con tract mus auf ewig seyn.) VI. Da die gemeinschaftliche Sorgfalt für die Erziehung der Kinder erfordert, daß der Heyrathts contract<Heyrathscontract> auf eine lange Zeit geschlossen werden mus, weil die Weiber gemeiniglich durch ein Dritttheil ihres Lebens fruchtbar sind, und die jungen Kinder vielleicht der vereinigten Sorgfalt der Eltern noch lange nachher wenn die Mutter schon aufgehört hat, einige zu zeugen, bedürfen; so mus dieses Band oh ne eine gegenseitige Freundschaft unerträglich seyn. Nun kan bey einer Vereinigung die blos in der Ab sicht geschlossen ist, daß wir Kinder zeugen, und dieselben erziehen wollen, wenn sie nur auf eine ge wisse Zeit geschlossen wird, und nach Verstreichung
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im Ehestande. 737(Erster Abschnitt.) derselben aufhören soll, keine Freundschaft Statt fin den; eben so wenig als in solchen die man auf Be dingungen oder gewisse Fälle, die nicht in dem Ver mögen der Partheyen stehn, schliessen möchte. Beyde Partheyen werden zu diesem Contracte, als einer Vereinigung ihrer Liebe, durch die zärtlichsteEm pfindung einer gegenseitigen Hochachtung bewogen, und der Endzweck jeder aufrichtigen Freundschaft geht auf die Dauer derselben. Bey Contracten die nur auf eine gewisse Zahl von Jahren geschlossen werden, oder bey solchen die durch einen Zufall ohne das Versehen der Partheyen ungültig gemacht wer den können, kann sie nicht Statt finden. Der Heyrathscontract mus also auf die ganze Lebenszeit verbinden, sonst würde alle wahre Liebe und Freund schaft verbant, und der Ehestand in einen blossen knechtischen Handel zu Vermehrung unsers Ge schlechts und gemeinschaftlicher Arbeit, verwan delt werden. Ferner: wie grausam ist es nicht, eine Per(Eheschei dungen sind ohne vorher gegangene Verbrechen ungerecht.) son die von der zärtlichsten Neigung gegen uns er füllt ist, einer Schwachheit des Leibes wegen zu ver stossen. Wie viel grausamer ist es nicht, sich von seiner zärtlichen Gesellschafterin, die durch den Tod unsers Kindes mit uns gleichen Verlust leidet, deswe gen zu trennen? Die Welt verlieret selten etwas durch die Ewigkeit der Verbindung in solchen Fäl len. Wenn ein Ehemann mit einer andern Frau Kinder zeugen könte, so kan diese sie vielleicht einem andern gebähren, so daß die Welt gleichen Nutzen davon hat. Die Absicht das menschliche Geschlecht
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(Drittes Buch.) 738 Die Rechte und Pflichten zu vermehren, könte bey der Schwachheit eines Mannes, zur gültigern Ursach einer solchen Trennung gemacht werden. Es ist aber so unmenschlich einen theuren Freund ohne sein Verschulden von sich zu stossen, daß die Erlaubnis der Ehescheidung in sol chen Fällen schwerlich gerechtfertiget werden kan, da die Gefahr daß der Staat Mangel an Menschen lei den möchte, nicht Statt findet. Bey einem Mangel der Erben, diese mag durch die Unfruchtbarkeit des Weibes oder den Tod der Kinder verursacht werden, könte das Mittel sich Beyschläferinnen* zu halten, auf gewisse Weise noch eher entschuldigt werden. Doch unter der Be dingung, daß die Kinder einer solchen Beyschläferin nicht die Güter der wirklichen Ehegattin beerbten, und auch nicht mehr als einen gewissen Theil von dem gemeinschaftlich erworbnen Vorrathe erhiel ten. Wenn der Ehemann sich dieser Freyheit be diente, müste die Frau auf die Ehescheidung wenn 51
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im Ehestande. 739(Erster Abschnitt.) es ihr beliebte, dringen können, und einen grossen Theil von den gemeinschaftlichen Gütern erhalten. Auf alles dieses zu dringen hätte sie noch ein grös sers Recht, wenn der Abgang der Erben nicht durch irgend einen Fehler an ihr verursacht worden. Wenn aber einer die Schwierigkeit diesen Punkt recht zu be stimmen, und den grausamen Gebrauch überdenkt, der von der Erlaubnis sich solcher Ursachen wegen zu scheiden oder sich Beyschläferinnen zu halten, ge macht werden könte: so scheint die durchgängige Verbietung derselben so weise als vortheilhaft für das menschliche Geschlecht zu seyn, und ihm zur Eh re zu gereichen. Es kan keine allgemeinen Gesetze geben, die nicht mit kleinen Unbequemlichkeiten be gleitet wären. VII. Die zärtlichen Empfindungen und Nei(Die Ehen verbinden nur zu einer auf beyden Seiten glei chen Ge meinschaft.) gungen wodurch beyde Partheyen zur Ehe bewogen werden, zeigen deutlich, daß sie ein Stand einer auf beyden Seiten gleichen Gemeinschaft und Freund schaft sey; und daß kein Theil sich darinn das Recht alle häusliche Angelegenheiten zu regieren vorbehal ten könne, oder sich der andre Theil ihm unterwür fe. Gesetzt auch der Mann besitzt eine vorzügliche Stärke am Leibe und an der Seele, so verleiht doch diese in keiner Gesellschaft ein Recht zu herrschen. Aufs höchste kan die andre Parthey dadurch verbun den werden den erhabnern Fähigkeiten mehr Ehrer bietung und Ehre zu erweisen. Der Vorzug der Männer in Ansehung der Gemüthsgaben findet sich nicht durchgängig. Wenn die Männer die Frauens personen gleich gemeiniglich an Tapferkeit oder Stär
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(Drittes Buch.) 740 Die Rechte und Pflichten ke des Genies übertreffen; so werden sie doch oft von ihnen in andern Eigenschaften, die vielleicht noch liebenswürdiger sind, zurück gelassen. Die Natur zeigt uns nicht den geringsten Grund, daß bey einer solchen Verbindung einem Theile eine besondre Herrschaft oder das Recht zu befehlen gebühre; und es ist auch nicht wahrschein lich, daß beyde Theile, vor der Einführung gewis ser Gesetze oder Gewohnheiten, etwas darüber aus gemacht haben würden. Wo ausdrückliche Gesetze und Gewohnheiten, oder gewisse festgesetzte Arten von Contracten schon lange gebräuchlich sind, haben unstreitig die Ehemänner ein äusserliches Recht auf einen gewissen Vorzug. Aber dieser Schatten eines Rechts, ist von keiner grössern Stärke als diejenigen, die ein grausamer Ueberwinder den Ueberwundnen abdringt, oder die oft ein arglistiger Betrüger durch die Unvollkommenheit oder Falschheit der Gesetze, oder durch die Schwachheit, Unwissenheit und Unacht samkeit derjenigen, mit denen er Contracte schliesst, zu erschleichen weis. Einem redlichen Character ist es unmöglich sich solche Gesetze oder äusserliche Formeln, ohne Absicht auf die Redlichkeit und Billigkeit zu Nutze zu machen. Wenn Mann und Frau über gewisse Punkte in ihren Einrichtungen uneinig sind, so ist vielleicht der eine Theil schuldig in Dingen von keiner sonderlichen Erheblichkeit demjenigen nachzugeben, der die grösste Geschicklich keit besitzt, und die wichtigsten Angelegenheiten be sorgt. Da sich diese grössern Fähigkeiten gemei niglich bey dem Manne finden, und seine vorzügli
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im Ehestande. 741(Erster Abschnitt.) che Stärke und die übrigen Eigenschaften seines Körpers ihn zu den wichtigsten Dingen geschickt ma chen: so ist es vielleicht in den meisten Fällen, des Wei bes Pflicht nachzugeben. Wenn sie aber über wich tige Dinge, welche die Glückseligkeit der Familie betreffen, nicht einig werden können: so giebt die Natur kein andres Mittel zu Entscheidung sol cher Streitigkeiten an, als den Ausspruch gemein schaftlicher Freunde, die sie zu Schiedrichtern wäh len müssen. Die häuslichen Angelegenheiten schei nen in zween besondre Fächer eingetheilt zu seyn, wovon sich eins allemal für jedes Geschlecht schickt. Jn diesen mus sich das andre nicht leicht als durch freundschaftliche Rathschläge mischen. Die Gewalt die den Ehemännern durch die(Ungerech tigkeit vieler bürgerlichen Gesetze.) Gesetze verschiedener Nationen gegeben wird, ist un geheuer, besonders wenn sie sich bis auf Leben und Tod erstreckt. Ein solche Gewalt auszuüben, oder auch nur eine Gattin mit einer Leibesstrafe zu belegen, ist so unmännlich als barbarisch. Dem Manne eine vollkommne Gewalt über alle Güter einer Fami lie und den Antheil des Weibes zu geben, ist sehr un vorsichtig und auch der Natur zu wider. Manche Kinder die aus einer nnglücklichen<unglücklichen>Ehe entsprossen sind, würden dem Bettelstande entgangen seyn, wenn die Mutter oder eine andre sichre Person die Gewalt über einen ansehnlichen Theil derselben be halten hätte. Sachen von Wichtigkeit solten bil lig der vereinigten Sorgfalt beyder überlassen wer den, so das kein Theil ohne den andern gültige Contracte darüber schliessen könte, und ein weltli
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(Drittes Buch) 742 Die Rechte und Pflichten cher Richter oder ein vernünftiger Schiedsmann solte bestellt werden, Streite von Wichtigkeit die unter ihnen entstünden zu entscheiden; oder jeder solte die Gewalt behalten die Angelegenheiten die in seiner Sache vorkämen, zu regieren. Bey andern ge meinschaftlichen Contracten erhält keiner von den Theilhabern eine so unumschränkte Gewalt, es verlangt sie auch niemand wegen eines Vorzugs an Genie oder Glücksgütern. Wir sehen auch nicht, daß einer dem andern unter den Vorwande eines solchen Vorzugs auf eine eigensinnige oder beleidi gende Art begegnete, wie doch viele mürrische herrschsüchtige und weibische Männer thun; und dies zur einzigen Belohnung für die zu grosse Leichtgläubigkeit der Weiber, und ihre unvorsich tige übereilte Zuneigung machen. Wir sehn auch niemals in andern Gesellschaften den un vollkommensten Theil sich auf eine so unedle und un dankbare Art gegen seine Obern aufführen, als viele Weiber, die die Herrschaft über ihre Männer erlangt haben; gleichsam um sich wegen des unglei chen Zustandes worinn die Gesetze sie versetzen, zu rächen, oder sich mit ihrer List und ihren Verstande gros zu machen, welche sie in den Stand gesetzt haben, ihre gewöhnlichen Schranken zu übertreten. (Artikel, die der Na tur zuwider laufen, sind ungültig.) Die oben angeführten Artikel sind die wich tigsten. Alle Contracte die andre Bedingungen enthalten, die entweder auf eine gewisse Anzahl Jahre geschlossen sind, oder nur alsdenn wenn die gezeugten Kinder leben bleiben, fortdauern sollen, oder die überhaupt auf Bedingungen beruhn, die nicht
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im Ehestande. 743(Erster Abschnitt.) in dem Vermögen der Partheyen stehn, sind selbst bey solchen Nationen, wo sie durch keine ausdrück lichen Gesetze verboten werden, ungültig, weil sie wider die Natur und Billigkeit laufen. Ein recht schafner Mann würde sich nach dem Verlauf der ausgemachten Zeit, oder durch den Tod aller Kin der, wenn er auch diese Bedingungen ausdrücklich ausgemacht hätte, nicht für frey halten, wenn er nach genauer Ueberlegung das Unrecht und die Grausamkeit einer solchen Handlung einsähe. Eben so würde er auch alle nachfolgende Ehen so lange die erste Frau noch lebte für ungültig halten, sie müste denn, näch einer hinlänglichen für sie und ih re Nachkommen ausgemachten Sicherheit, selbst in die genaue Beobachtung eines solchen Contracts willigen. Die nachfolgenden so hintergangnen Wei ber hätten ein Recht etwas für die Kinder, die sie vor ihrer Trennung gezeugt, zu erhalten; ob sie gleich durch Schliessung eines solchen Contracts mit dem Ehemanne einen gleichen Fehler begangen haben. VIII. Wir fahren weiter fort diejenigen Um(Natürli che oder mo ralische Hin dernisse des Ehestandes.) stände anzumerken, die entweder gleich vom An fange einen Ehecontract ungültig und nichtig ma chen, oder jede Parthey von ihren Verbindlichkei ten, wenn er Anfangs gültig gewesen ist, befreyen können. Zur ersten Classe gehört eine natürliche Un fähigkeit zur Ehe die aus einem Hauptfehler an dem Körper oder andern zufälligen Ursachen entsteht. Man könte auch hierzu noch eine unheilbare Raserey oder Kraftlosigkeit des Verstandes oder andre sehr böse
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(Drittes Buch.) 744 Die Rechte und Pflichten Krankheiten rechnen, die auf die Nachkommen erben. Einige Krankheiten sind so traurig, daß es für das Beste der Gesellschaft zuträglicher wäre, wenn man den Personen die damit behaftet sind gar nicht er laubte zu heyrathen, wenn auch die andre Parthey davon unterrichtet wäre, und sich freywillig einer sol chen Gefahr aussetzen wolte. Wenn beyde Theile schon ziemlich bejahrt sind, und es nicht wahr scheinlich ist, daß sie Kinder zeugen werden, so ist es kein Fehler, wenn sie sich Gelegenheit zur eheli chen Beywohnung und Gesellschaft wünschen; es müsten denn die Pflichten, oder die Vorsicht die man Kindern aus einer vorhergegangenen Ehe schuldig wäre, es verbieten. Weil aber Heyrathen wo beyde Theile an Alter sehr von einander unterschieden sind, offenbar der Natur zuwider laufen, und durch die bürgerlichen Gesetze billig entweder verhindert oder gar ungültig gemacht werden müsten: so ist es eine Beschimpfung dieser ansehnlichen Verbindung, wenn man einen Contract zwischen einem geizigen und liederlichen Jünglinge und einem alten närrisch verliebten Weibe, die um ihres Geldes wegen geliebt wird, mit dem Namen der Ehe belegt. Eben dieses findet auch bey der Verbindung eines alten Mannes mit einem jungen wollüstigen Mäd chen statt, die gemeiniglich aus ähnlichen oder noch schlechtern Ursachen dazu bewogen wird. Die ehr würdigen Gebräuche und Seegenssprüche deren man sich bey solchen Fällen bedient, sind beynahe got teslästerlich und dienen, die heiligsten Dinge zum Gespötte zu machen.
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im Ehestande. 745(Erster Abschnitt.) Ein anders rechtmässiges Hindernis, das ei nen Contract ungültig machen kan, ist der Man(Unmündi ge sind nicht fähig Con tracte zu schliessen.) gel des erforderlichen Verstandes bey Unmündi gen. Es ist ausserordentlich, daß da alle gesittete Völker, wegen der Unvorsichtigkeit der Jugend, die Unmündigen unfähig gemacht haben, sich in irgend einer weltlichen Angelegenheit zu verbinden, und alle ihre Handlungen oder Contracte, die ohne der Einwilligung ihrer Eltern oder Vormünder ge schlossen sind, für ungültig erklären, daß dennoch, sage ich, sich ein Knabe, der über vierzehn, oder ein Mädchen, das über zwölf Jahr ist, in einer Angele genheit von weit grösserer Wichtigkeit, die den künf tigen Zustand ihrer eignen Person, die Wahl eines Gefährten bey allen wichtigen Borfällen<Vorfällen> des Le bens, eines Mitbesitzers ihres Vermögens, und ge meinschaftlichen Versorgers ihrer Kinder betrift, unwiderruflich ohne eine solche Einwilligung, ja selbst wider die ausdrücklchen Befehle ihrer Eltern, auf Lebenslang und unwiderruflich verbinden kön nen. Diese Lehre ist aus der fruchtbaren Quelle der Verderbnis und des Aberglaubens, der römi schen Kirche entsprungen, und um es unmöglich zu machen, sie zu verbessern, hat sie die Menschen sorgfältig geblendet, daß sie sich nicht der gewöhnlichen Hülfsmittel und Ausnahmen, die bey andern thö richten oder schädlichen Contracten ganz recht mässig zugestanden worden, bedienen möchten, indem sie dieselbe in die Wolke des mystischen Unsinns ei nes Sacraments gehüllt hat.
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(Drittes Buch.) 746 Die Rechte und Pflichten. Die gesunde Vernunft könte uns zeigen,* daß alle Heyrathen solcher Leute, die zu andern we niger wichtigen Angelegenheiten, den gehörigen Verstand noch nicht besitzen, selbst, wenn sie auch wirlichwirklich vollzogen wären, dennoch sollten für ungül tig erklärt werden, wenn die Einwilligung der El tern oder der Vormünder nicht vorhergegangen wäre. Dies Gesetz, das dem ersten Anschein nach strenge ist, ist dennoch ausserordentlich wohlthätig. Es komt mehr dem Verbrechen zuvor, als daß es das selbe bestraft. Ein keusches Frauenzimmer, das nicht die Absicht hat sich zu beflecken, würde alsdenn den Unmündigen, die um sie anhielten, nicht Ge hör geben, und sich noch vielweniger bemühen sie anzulocken. Hätte ein junger Mensch ein feuriges unvorsichtiges Mädchen durch Schwüre und Eyde bestrickt, daß er nach erlangten reiffen Alter die Ehe mit ihr vollziehen wolle, so müste man es der Wahl der Eltern oder der Vormünder des Mädchens über lassen, ob sie auf die Erfüllung des Contracts, oder die Aufhebung desselben, und die Bestrafung des Verführers mit dem Tode dringen wollten. Eine solche Bestrafung der Jnjurien die man ganzen Fa milien erweist, kan niemand für zu strenge halten, da man sie bey viel geringern, wo man uns nur ei nes kleinen Theils unsrer Güter beraubt hat, billiget. 52
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im Ehestande. 747(Erster Abschnitt.) IX. Die moralischen Hindernisse oder Unfä higkeiten sind folgende. 1) Ein schon vorherge(Moralische Hindernisse. Ein schon vorhergegan gener Con tract.) gangener Contract, macht einen nachfolgenden von gleicher Art, der aber mit einer andern Person ge schlossen wird, ungültig. Das Recht der Natur erfordert es, daß die Verehligungen öffentlich be kant gemacht werden, damit keine verheyrathete Personen es leugnen, oder andre hintergehen können, als wenn sie nicht verheyrathet wären. Es findet sich hier einiger Grund zwischen einem unvoll kommenen Contracte, der zu einer künftigen Ehe verbindet, und einer wirklich vollzognen Ehe einen Unterschied zu machen; wie wir in Hand lungsangelegenheiten* einen Contract, der nur ein persönliches Recht verschaft, von der völligen Uebertragung eines Eigenthums, oder dem realen Rechte absondern. Ein vorhergegangener Con tract über eine künftige Heyrath macht einen nach folgenden von eben der Art, der mit mit einer drit ten Person geschlossen, wird ungültig: selbst auch dann wenn die dritte Person von dem vorhergegan genen nichts gewust hat. Die Personen, die eines solchen Betrugs schuldig sind, verdienen eine sehr strenge Strafe; aber ein unvollkommner Contract ohne die wirkliche Vollziehung, kan eine wirklich vollzogene Heyrath mit einer dritten Person nicht ungültig machen, wenn diese von dem vorherge gangnen Contracte nichts gewust hat. Denn in diesem Falle muß ein von den Unschuldigen, die mit der betrügerischen Parthey gehandelt haben, leiden, und die Aufhebung des unvollkomnen Contracts, auf 53
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(Drittes Buch.) 748 Die Rechte und Pflichten den keine Beywohnung erfolgt ist, ist lange kein so grosses Unglück, als die Vernichtung einer wirklich vollzogenen Heyrath. Hat aber die dritte Person et was von dem vorigen Contracte gewust, so ist dies eine hinlängliche Ursache den ihrigen ungültig zu machen; ja eine solche Strafe ist für ihren Betrug noch zu geringe. Die Uebel, die aus solchen Be trügereyen entstehen, sind viel grösser und schmerzhaf ter, als diejenigen, welche durch andre Jnjurien verur sacht werden, die wir mit der Todesstrafe belegen, und die strengsten Gesetze dawider würden wohl thätig seyn, weil sie in den meisten Fällen dem Ver brechen zuvorkommen würden. (Eine zu na he Verwand schaft.) X. Die Christen, und auch viele heydnische Nationen haben allemal zu genaue Grade der Ver wandschaft, als moralische Hindernisse einer Hey rath angesehn. Die moralischen Ursachen, die man gemeiniglich anführt, scheinen kaum von der Stärke zu seyn, daß sie die entsetzliche Schande und den grossen Begriff der Gottlosigkeit, womit solche Ehen begleitet sind, rechtfertigen könnten. Was man am meisten verabscheut, ist eine Verbindung zwischen herauf- und herabsteigenden Graden. Nicht nur die Ungleichheit der Jahre, sondern auch die natürliche Ehrerbietung, die man solchen Ver wandten schuldig ist, stehn der Gleichheit, die durch die Ehe hervorgebracht wird, ziemlich im Wege. Noch grössere Ungleichheiten in Ansehung der Jah re aber, machen ja oft eine Heyrath weder moralisch unerlaubt noch unvernünftig, und nicht alle Arten von Ehrfurcht, die wir einem höhern Ansehn, oder grös
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im Ehestande. 749(Erster Abschnitt.) sern Verdiensten, und von Dankbarkeit, die wir für die grossen Wohlthaten schuldig sind, sind von der Beschaffenheit, daß sie mit einer ehelichen Verbin dung nicht bestehen könten, obgleich diejenigen, die man für Eltern hegt, es zu seyn, scheinen. Wenn man nicht einen gewissen natürlichen Abscheu an nimmt, so ist es kaum zu begreiffen, wie sie durch gängig bey allen Völkern, so durchgängig haben ver abscheut werden können. Eine unnatürliche Ge wohnheit, die bey einer gewissen Secte in Persien ein geführt ist, kan keine Ausnahme vondiesem Grund satze machen, der durch die Grundsätze der ganzen übrigen Welt bestätigt wird. Man führt gemeiniglich an, daß Brüder(Angeführ te Ursachen.) und Schwestern, weil sie von Jugend auf mit ei nander lebten, zu früh in solche Leidenschaften ver fallen, und der grossen Vertraulichkeit wegen, die unter ihnen herrschte, weniger im Stande seyn wür den, sich einander zu widerstehn, wenn kein stren ges Verbot da wäre, daß einen solchen Umgang zum Gegenstande des Abscheus machte. Es trägt sich aber oft zu, daß leibliche Geschwister Kinder, oder andre, die noch weitläuftiger verwandt sind, mit ei nander in gleicher Vertraulichkeit erzogen werden, und wir sehen keine bösen Folgen, die daraus ent stehen, wenn man ihnen erlaubt, sich unter einan der zu heyrathen. Wären die Ehen mit Schwe stern erlaubt, so würde man einsehn, daß diese frü he Bekantschaft keinen grössern Schaden verursachen kan, als sie bey andern Gelegenheiten, wo junge Leute sehr zeitig vertraut werden, verursacht.
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(Drittes Buch.) 750 Die Rechte und Pflichten Wenn es in diesem Falle so gut, als zwischen El tern und Kindern, einen natürlichen Abscheu giebt, die den gemeinen Trieb im Zaume hält, so mus er nicht so gar stark seyn, und wir finden auch, daß die Heyrathen zwischen Brüdern und Schwestern bey vielen heidnischen Nationen gebräuchlich gewesen sind. Bey solchen Verbindungen fiudet<findet> eine grosse Gleichheit statt, da die lange zur Gewohnheit ge wordne Autorität, welche die Eltern über ihre Kin der ausüben, und die Ehrerbietung und Unterwür figkeit wozu die Kinder gewöhnt sind, vielleicht oh ne alle andre Abhaltung im Stande sind, alle ver liebte Regungen zu unterdrücken, zu welchen eine gewisse Gleichheit allemal unumgänglich erfordert wird. (Die Sa ge von einem gött lichen Ge setze.) Welche natürlichen Ursachen es auch für den sehr allgemeinen Abscheu vor allen Ehen unter zu nahen Blutsfreunden oder Verwandten geben mag; so ist es gewis, daß sich ein solcher Abscheu bey vielen sehr wenig gesitteten Völkern gefunden hat, wo es gar nicht wahrscheinlich ist, daß er weder durch feine Betrachtungen über das gemeine Beste, oder sehr zarte Empfindungen vom Wohlstande, her vorgebracht worden. Der Abscheu vor solchen Ehen ist auch durchgängig weit stärker gewesen, als ihn alle mögliche Absichten auf einen Nutzen oder die Vorsichtigkeit, hätten eingeben können. Hieraus schliessen einige scharfsinnige Männer, daß solche Ehen von GOtt selbst durch ein sehr frühes* Ver 54
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im Ehestande. 751(Erster Abschnitt.) bot für unrechtmässig erklärt worden, und daß das Andenken von diesem Verbote bey den meisten Völ kern, bey einigen stärker, bey andern schwächer, nach dem Masse ihrer Sorgfalt für die Reinigkeit ihrer Sitten erhalten worden. Es giebt eine klare und wichtige Ur(Eine deut liche Ursache warum die Klugheit es erfordert, sie zu verbieten.) sache, warum es die Klugheit erfordert, daß ein weiser Gesetzgeber solche Ehen verbieten mus, weil sie nämlich, wenn man sie nicht verhinderte, wegen der frühen Gelegenheit dazu sehr häufig vor kommen, und dadurch die geheiligten Bande der Liebe zu sehr eingeschränkt werden würden. Jede Fa milie würde für sich selbst ein kleines und von andern, wenigstens was die starken Verknüpfungen der ver wandschaftlichen Liebe betrift, abgesondertes Sy stem ausmachen. Nunmehr aber, da sie verboten, und ein Gegenstand des allgemeinen Abscheues sind, werden viele Familien unter einander so wohl durch Liebe, als die Gemeinschaftlichkeit ihrer Vortheile verbunden, und mancherley freundschaftliche Ver knüpfungen viel gemeiner. Vielleicht giebt es in der Natur noch andre Gründe, die uns unbekant, oder noch nicht völlig angemerkt sind. Vielleicht ist die Vermischung verschiedener Familien noth wendig, um eine Verschlimmerung des menschlichen Geschlechts zu verhüten; wie viele behaupten, wenn anders eine solche Vergleichung erlaubt ist, daß man bey Thieren oft solche Vermischungen mit andern Geschlechtern vornehmen mus, wenn sie nicht aus der Art schlagen sollen.
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(Drittes Buch.) 752 Die Rechte und Pflichten Der oben angeführte Vortheil, der aus ei (Vortheile, die daraus entstehn.) nem solchen Verbote entsteht, ist ganz klar, und es ist kaum möglich, daß etwas Uebels daraus folgen könte. Die Natur hat unter Anverwandten für andre Arten von Neigungen gesorgt, die reiche Quellen an Freuden, und hinlänglich sind, sie zu den Pflichten, die sie sich unter einander schuldig sind, aufzumuntern. Diese Betrachtungen recht fertigen jeden Gesetzgeber, wenn er solche Ehen ver bietet, und nach einem solchen Verbote und der Bekantmachung der Schande, die auf die Ueber treter fallen soll, kan nichts als die ausschweifendeste Wollust, eine Unempfindlichkeit gegen alle Ehre, und die gröste Unmenschlichkeit gegen unsern Mit schuldner, den wir mit uns in einerley Schande ziehen, uns bewegen, dasselbe zn<zu> übertreten. Daß aber alle diese Ehen, die man gemeiniglich mit dem Namen der Blutschande belegt, nicht nothwendig und unveränderlich schändlich sind, oder keine morali sche Unreinigkeit in sich halten, wenn sie nämlich nicht ausdrücklich verboten worden, erhellet offen bar, wenn man betrachtet, daß Gott die ersten Kin dern Adams der unumgänglichen Nothwendigkeit aussezte, sich unter einander zu heyrathen, und aus gewissen Absichten, die die Klugheit rechtfertigte, solche sonst verbotene Ehen erlaubte. (Die Ge wohnheit der Christen.) Die christliche Staaten* sind in diesem Stü cke den Jüdischen Gesetzen gefolgt, welche alle Ehen 55
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im Ehestande. 753(Erster Abschnitt.) in den auf- oder absteigenden Linien verbieten, und in den Nebenlinien diejenigen zwischen denen, die in einer Verwandschaft stehn, welcher der zwi schen Eltern und Kindern gleich ist, wie zwischen einen Oheim und einer Nichte, einer Tante und ei nen Neffen, einen Grosoheim und einer Grosnich te und allen ihren Abkommlingen, wie auch in den Seitenlinien alle diejenigen, die nicht ausser dem dritten Grade sind. Sie verbieten ferner eine Person zu heyrathen, die mit uns durch eine Hey rath in einen Grad der Anverwandtfchaft<Anverwandtschaft> gekom men ist, der uns verhindern würde, eine Person zu heyrathen, wenn wir mit ihr in einem solchen Gra de der Blutsfreundschaft stünden. Jm vierten und allen weiter entfernten Graden sind die Heyra ten erlaubt. Die Grade der Blutsfreundschaft in den(Wie die Grade nach den bürgerli chen und ca nonischen Rechten ge rechnet wer den.) Nebenlinien wurden so gerechnet, wie wir aus dem bürgerlichen Rechte ersehn. Alle Blutsfreunde stammen von einem Urheber. „So viel Genera tionen man nun von dem ersten Urheber an in bey den Linien zählet, so viel Grade sind da.“ Brü der und Schwestern stehen im zweyten, Oheim und Nichte im dritten, leibliche Geschwister Kinder im vierten, und dieser ihre Kinder mit einander im sechsten Grade. Unter die mancherley Betrüge reyen in dem Pabstthum gehört auch, daß die Ca nonisten, um in ihren Gerichten mehr Geld für Dispensationen zu bekommen, das Verbot ausser ordentlich erweiterten. Sie behielten die Worte der alten Regel, veränderten aber ihren Verstand
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(Drittes Buch.) 754 Die Rechte und Pflichten durch eine neue Art die Grade zu berechnen. Sie zählten nämlich die Personen oder Generationen, die sich von dem gemeinschaftlichen Urheber an, auf ei ner Seite, und zwar auf der längsten befanden. Hierdurch kommen Bruder und Schwester nur im ersten, Oheim und Nichte im zweyten, und leibliche Geschwisterkinder im dritten Grade zu stehn, und kön nen also ohne besondre Erlaubnis einander nicht hey rathen. Die Kinder der leztern kommen erst in den vierten Grad und sind also die ersten, die einander ohne besondere Vergünstigung heyrathen können. (Gerechte Ursachen zur Eheschei dung: Der Ehebruch.) XI. Dies sind Hindernisse, die dem christlichen und bürgerlichen Rechte zufolge eine Heyrath so gleich ohne weitere Umstände null und nichtig ma chen. Nunmehr aber untersuchen wir die Ursachen der Ehescheidung, die eine von beyden Parteyen von einem Contracte, der vorher gültig gewesen ist, befreyen kan. Diese bestehn, wie bey allen andern Contracten, in der Uebertretung eines wesentlichen Artikels: diese mag von einem Verbrechen der ei nen Partey herrühren, oder in einem Zufalle be stehn, der sie vollkommen ungeschickt macht, die Pflichten, die eine solche Verbindung erfordert, zu leisten; wenn sich die andre Partey nicht zum voraus hat gefallen lassen, solcher Zufälle ungeachtet, unter ihrer Verbindlichkeit zu bleiben. Es ist klar, daß der Ehebruch, den das Weib begangen hat eine gültige Ur sache für den Mann ist, auf die Ehescheidung zu drin gen, bey dem Manne aber findet sie ebenfalls statt, weil er seinem Weibe seine Treue versprochen hat, und sie ihr aus den oben angeführten Ursachen zu
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im Ehestande. 755(Erster Abschnitt.) halten, verbunden ist. Der Contract darf auch nicht auf die Bedingung, wenn die erzeugten Kin der leben bleiben, geschlossen werden. Der Ehebruch des Weibes macht unsre Nach kommenschaft unzuverlässig, und verursacht ausser dem Verbrechen der Untreue noch den empfindlich sten Nachtheil. Der Ehebruch des Mannes ist ein offenbarer Meineid, macht ganz natürlich seine Neigungen von seinem Weibe und seinen rechtmässigen Kindern abwendig, und bringt viel leicht die beleidigte Mutter zu einer ärgern Rache, da sie eine solche Untreue an ihrem Manne wahr nimmt. Wird der Ehebruch mit lüderlichen Per sonen getrieben, daß also keine Kinder zu hoffen sind: so wird er noch aus andern Ursachen ein Ver brechen, weil dadurch die Neigungen des Mannes von dem Weibe abgelenkt werden, und die schänd liche Lebensart befördert wird; worinne es die lü derlichen Weibespersonen zu ihrer Beschäftigung machen, Ehen zu trennen, nnd<und> die Jugend in solche lasterhafte Gewohnheiten zu ziehn, daß sie zu allen edlen Bemühungen und Absichten untüchtig wer den. Was den Ehebruch betrift, wodurch man das Weib eines andern verführt, so kan kein Ver brechen, wegen der oben angeführten Ursachen ab scheulicher seyn. Wie viel schmerzhafter sind die Jnjurien, da eines Mannes zärtlichste Neigungen durch eine untergeschobne Brut betrogen werden, da man ihn falsche Nachkommen aufbürdet, alle seine Güter zu beerben, als diejenigen, da man uns durch Diebstal oder Raub eines Theils un
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(Drittes Buch.) 756 Die Rechte und Pflichten srer Güter beraubt? Gewis, keine Strafe kan zu strenge seyn* und die jüdischen Gesetze verdamm ten solche Verbrecher mit Rechte zum Tode. (2) Eine halsstarrige Verlassung, oder einge wurzelte Feindschaft.) Eine andre Ursache zur Ehescheidung ist, wenn eine Partey die andre ohne Ursache böslich verlässt, oder nicht die gehörige Gemeinschaft mit ihr halten will. Jn solchen Fällen kan freylich die unschuldige Partey die andre mit Ge walt zu Leistung der ehelichen Pflichten zwingen, oder sie ist, wenn sie keine Wahrscheinlichkeit sieht, be friedigt zu werden, von ihrer Verbindlichkeit frey. Eine freundschaftliche Gemeinschaft auf die ganze Lebenszeit ist ein wesentlicher Punkt, der auf beyden Seiten ausgemacht ist, und wenn eine Partey den selben nicht hält, so wird die andre dadurch befreyet. Aus vollkommen ähnlichen Ursachen sezt ein unver söhnlicher Has oder Widerwillen, den ein Theil dem 56
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im Ehestande. 757(Erster Abschnitt.) andern ohne sein Verschulden deutlich genug gezeigt hat, den Unschuldigen in Freyheit. So halten die bürgerlichen Gesetze es für hinreichende Ursa chen zur Ehescheidung, wenn ein Theil den andern durch Gift oder andre Mittel nach dem Leben ge standen, ihn wegen tödtlicher Verbrechen fälschlich angeklagt, oder oft barbarische und grausame Be leidigungen gegen denselben wiederholt hat; wie auch, wenn ein Theil einer beständigen Raserey un terworfen ist, weil hierdurch die wesentlichen Arti kel so gut als durch den Ehebruch übertreten wer den, und die Erfüllung vieler derselben unmöglich gemacht wird.* Die Ehe ist von vielen andern Contracten(Wie die Eheschei dungen ein gerichtet werden müs sen.) darinne unterschieden, daß viel unschuldige Perso nen, nämlich die gemeinschaftlich erzeugten Kinder, an der Fortdauer eines solchen Contracts den grö sten Antheil nehmen. Es darf also den Parteyen nicht erlaubt werden, ihn nach ihren Belieben auf zuheben. Wenn aber durch die Schuld einer Par tey die wesentlichen Endzwecke einer solchen Ver bindung, nämlich die Erzeugung und Erziehung der Kinder, und eine freundschaftliche Gesellschaft durch unser ganzes Leben unmöglich gemacht wird; so kan man die unschuldige Partey für befreyet halten, wenn dies vortheilhafter zu seyn scheint, als die andre mit Gewalt zu Erfüllung ihrer Pflicht zu 57
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(Drittes Buch) 758 Die Rechte und Pflichten zwingen. Sie hat gleichfals ein Recht, bey wel chem sie die menschliche Gesellschaft schützen mus, die andre Parthey zu zwingen, daß sie durch ihre Arbeiten oder eine gewisse Abgabe von ihren Gütern ihre gebührende Last von der Erziehung und Unterhal tung ihrer gemeinschaftlich gezeugten Kinder trägt. (Von ge rechten und billigen Ge richten.) Die Gerichte müssen die Punkte worinn ein solcher Contract übertreten worden, genau und strenger als bey andern Contracten untersuchen, und dem unschuldigen Theile auf Kosten des schul digen seine Genugthuung verschaffen. Ja, wie in einigen Staaten gewisse Gerichte bestellt sind, die die billige Gewalt haben zu beschwerliche Contrac ten zu untersuchen, und sie ganz oder zum Theil ungültig zu machen, so könte es ebenfalls dienlich seyn, Leuten, die dazu geschickt wären, die Gewalt zu verleihen solche Ehen die beyden Partheyen zum Unglücke gereichen, aufzuheben; diese möchten nun durch beyder Schuld oder durch eine besondere Ver schiedenheit ihrer Temperamente unglücklich geworden seyn. Dieses wäre vollkommen billig, wenn man nach einer sehr genauen Untersuchung gefunden hät te, daß sie bey einander niemals in Ruhe und Friede würden leben können, wenn beyde Theile sich alle Bedingungen der Ehescheidung gefallen liessen, und man hinlänglich für den Unterhalt der gemeinschaft lich erzeugten Kinder, vermöge dessen was jede Par they verbunden wäre ihnen zu geben, gesorgt hätte. Solche Trennungen dürften freylich nicht leicht we gen kleiner Streitigkeiten, oder vorüberrauschender Leidenschaften zugestanden werden; man sollte
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im Ehestande. 759(Erster Abschnitt.) vielmehr solche Strafen darauf legen, und ein solches Begehren mit so vielen Unbequemlichkeiten überhäuf fen, daß nicht leicht eine Parthey auf den Einfall gerathen könte, sie geringer Streitigkeiten wegen zu suchen, oder der andern auf eine boshafte Art so zu begegnen, daß sie dadurch bewogen werden möchte mit ihr gemeinschaftlich um die Trennung anzuhal ten. Wenn man einen grossen Theil zum Exempel das Drittheil oder die Hälfte der Güter von beyden, oder einen gleichen Antheil von dem was beyde durch ihre Arbeiten gewinnen könten, so gleich gewis sen sichern Personen zu erkännte, die dafür zum Be sten der Kinder wenn sie anders welche hätten, sor gen müsten, oder wenn sie keine hätten nach dem Masse ihres Reichthums ihnen eine beträchtliche Geldstrafe zum Besten des Staats auferlegte: so würde sie dies vielleicht abhalten, geringer Ursachen wegen um die Ehescheidung anzuhalten, oder einan der mit Vorsatz so übel zu begegnen, daß der un schuldige Theil mit dem andern Theil bey einen sol chen Ansuchen Gemeinschaft machen müste. Neue Verehlichungen musten beyden Theilen auf eine ge raume Zeit verboten werden, um zu sehen, ob sie nicht vielleicht zu einer gegenseitigen Liebe zurückkehren möchten. Wenn sie ohngeachtet dieser beschwerlichen Umstände, lieber geschieden seyn wollen, um einen grössern Unglücke das sie ihrer Vereinigung* er 58
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(Drittes Buch.) 760 Die Rechte und Pflichten dulden zu entgehen, so würde es grausam seyn, ih nen eine solche Freyheit zu versagen. Wenn die Schuld hauptsächlich an einer Parthey liegt, solte man billig den grösten Theil der Strafen oder der übeln Folgeln der Ehescheidung dem schuldigen Theile aufbürden. (Verderb nis einiger Gesetze un ter den Chri sten.) Wenn die Verderbnis solcher Personen, die sich zu den besten Gesetzen bekennen, allemal auf die Ge
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im Ehestande. 761(Erster Abschnitt.) setze selbst oder auf ihre Urheber zurück fiele: so kön te der Christenheit nichts zu einer grössern Schande gereichen, als die Gesetze die in vielen christlichen Staaten in Ansehung der Hurerey, des Ehebruchs und der Ehescheidung eingeführt sind. Die Schrift empfielt uns freylich die Reinigkeit der Sitten, und zeigt uns alle entgegengesetzte Laster ohne Be schönigung in ihren häslichsten Farben; aber in
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(Drittes Buch.) 762 Die Rechte und Pflichten vielen christlichen Staaten ist die gröbste Art der Hu rerey, die Verführung vorher unschuldig gewesener Personen durch Anwendung aller Betrügereyen und des Meineids kein Verbrechen das den Gesetzen nach strafbar wäre, wenn keine Gewalt gebraucht worden ist; als wenn die Gesetze jedem alle mögliche Arten der Wollüste, und die Befriedigung der schändlich sten Geilheit erlaubten. Für diejenigen, die nur ei nigen Fortgang in der Unverschämtheit gemacht ha ben, ist die Strafe womit sie von der Kirche belegt werden, nur ein Spas. Auch für den Ehebruch findet sich auf beyden Seiten keine gehörige Strafe. Jn gewissen Ländern mus eine Geldstrafe gleichsam zur Schadloshaltung erlegt werden. Niemand wird durch solche Verbrechen unfähig gemacht alle Ehrenstellen in bürgerlichen und Kriegsdiensten zu erhalten, oder deswegen bey seinen Ansuchen um eine solche Stelle weniger günstig aufgenommen. Dem ohngeachtet sieht Gott und die Welt wie gewisse Ce remonien und Moden durch die Kirchengesetze ein geschärft, und auch durch die weltlichen Rechte be hauptet werden. Uebertritt man dieselben, wenn es auch aus einen GewisseszweifelGewissenszweifel oder in der Mei nung geschehen solte, daß wir Gott damit beleidi gen würden, so sind wir aller Hoffnung auf irgend eine Ehrenstelle, oder irgend ein ansehnliches Amt in unserm Vaterlande verlustig. Ferner, ob man gleich den Ehebruch für eine rechtmässige Ursach zur Ehescheidung hält, so for dert man doch gemeiniglich solche Beweise davon, die es beynahe niemals möglich ist zu schaffen. Da
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im Ehestande. 763(Erster Abschnitt.) die gegenseitige Zufriedenheit beyder Partheyen in ei ne solchen Verbindung, jeder derselben, wenn sie der andern getreu ist, wichtiger seyn mus als die Un terhaltung einer freundschaft<Freundschaft> mit einem andern, so mus aller andre vertraute Umgang diesem, wenn er nicht damit bestehen kan unstreitig weichen; ob gleich nicht leicht bey Leuten die tugendhafte Absich ten haben ein solcher Umgang eine Parthey wird beunruhigen können. So bald also eine Parthey die andre wegen einer zu grossen Vertraulichkeit mit einer dritten Person im Verdachte hat, und ihr denselben in Gegenwart einiger Zeugen bekant macht, solte jede freywillige Unterredung der ver dächtigen Parthey mit der dritten Person an einen einsamen Ort für einen Beweis des Ehebruchs ge halten werden. Die freundschaftlichste Unterre dung mit einen den wir auf eine erlaubte Art lie ben, kan an öffentlichen Orten oder an solchen wo wenigstens mehrere Personen zugegen sind, gehal ten werden. Ferner erlaubt das päbstliche Recht die Ehe(Ungereimt heiten, im päbstlichen Rechte.) scheidung wegen des Ehebruchs, welche die einzige hinlängliche Ursache ist, die es Statt finden läst; bestraft aber die Schuldigen nicht nach ihrem ver dienten Lohne, und verschaft der unschuldigen Par they keine Gerechtigkeit. Beyde werden ferner wider alle gesunde Vernunft von anderweitigen Verehli chungen abgehalten. Man könte die Schuldigen vielleicht mit Rechte abhalten, daß sie diejenige Person mit der sie das Verbrechen begangen hätten, nicht heyrathen dürften, denn sonst könten viele
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(Drittes Buch.) 764 Die Rechte und Pflichten. durch die Hofnung den Gegenstand ihrer unerlaubten Neigungen zu besitzen zum Ehebruch bewogen werden. Aber man solte sie nicht der Nothwendigkeit ausse tzen ein Laster zu begehn, wozu sie schon eine zu gros se Neigung gezeigt haben, sondern man solte sie mit andern Strafen belegen. Es würde schicklicher seyn sie zu Heyrathen mit Personen die schon ihrer Schande wegen bekant nnd<und> für sie wollüstig genug wären, zu zwingen, damit sie desto weniger wieder in die Versuchung gerathen möchten andre zu verführen. Die unschuldige Parthey von dem Vergnügen der Ehe abzuhalten ist eine förmliche Ungerechtigkeit, (Die Ursa chen dersel ben in der Geschichte untersucht.) eine neue widernatürliche Jnjurie. Den Ursprung dieser Gesetze entdeckt man sehr leicht in der Geschichte. Zur Zeit der ersten Verfolgungen waren einige melancholische Begrif fe von der Heiligkeit die im Leiden bestünde, und ei ne Unreinigkeit in unsern unschuldigsten Vergnü gungen, beynahe durchgängig eingerissen. Man glaubte, daß weltliche Verrichtungen, mit der höch sten Frömmigkeit nicht bestehen könten, da doch die Frömmigkeit niemals aufrichtiger und lebhafter ist, als wenn sie uns zu allen gefälligen und liebreichen Diensten gegen andre, aus einer Empfindung von unsrer Pflicht gegen GOtt, geneigt macht. Und die wahre*Weltweisheit lehrt uns sowohl als die Re ligion daß eine wahre Gottesfurcht, Ruhe, Erge bung in den göttlichen Willen, und sogar auch die Abwendung unsrer Gedanken von irrdischen Din gen, so gut an einem Hofe, oder in einem Feldla ger, als in einer Wüsteney gefunden werden können. 59
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im Ehestande. 765(Erster Abschnitt.) Man bewunderte in den uralten Zeiten den ehelosen Stand als heilig, und glaubte von der keuschesten Ehe, wenn man noch am besten davon urtheilte, daß sie ein der höchsten Reinigkeit ein unfähiger Stand wäre. Die Geistlichen, die für Muster der Vollkommenheit angesehen seyn wollten, lebten bey nahe durchgängig unverheyrathet, und priesen ei nen solchen Stand an. Da sie nach der Einfüh rung des Christenthums Reichthum und Gewalt in die Hände bekamen, wurden sie so verderbt als die Layen, um aber ihren alten bekanten Grundsätzen uicht<nicht> zu widersprechen, und ihr Ansehen bey den Layen und die Ehrerbietung, die man ihnen durch gängig erwies, zu behaupten, musten sie diesen Schein der Heiligkeit und Entfernung von der Welt beybehalten, ob er gleich der ausdrücklichen Lehre der Apostel zuwider ist. Auf einige von deu<den> ersten Kirchenversamlungen, ward den Geistlichen anbefohlen, im ehelosen Stande zu leben, und diese Befehle wurden in den verderbten Zeiten oft wider holt. Dagegen aber schmiedeten sie ein Gesetz nach dem andern, um sich vor der Schande, die sie wegen Unterhaltung ihrer Veyschläferinn<Beyschläferinn>nnd<und> Huren ver dienten, zu sichern. Es ist sehr begreiflich, daß nach einem solchen Verbote der erlaubtesten Ergetz lichkeiten ins geheim die grösten Wollüste von einer verderbten Art Menschen musten getrieben werden, die über dies noch in aller Ruhe und Ueppigkeit lebte. Jn dem eilften und zwölften Jahrhunderte, den Zei ten der Unwissenheit und des Aberglaubens, ward alles Recht, Ehe und andre Liebessachen zu unter suchen, und darüber zu erkennen, der weltlichen
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(Drittes Buch.) 766 Die Rechte und Pflichten Obrigkeit entzogen, und der geistlichen zugeeignet. Die Strafe, womit sie die Verbrecher belegten, waren vielerley unnütze, und zuweilen lächerliche Bussen, oder Geschenke, die sie den Geistlichen ma chen musten. Die vorigen Gesetze waren für ihre Absichten zu strenge. Der Ehebruch war für eine solche Geistlichkeit die bequemste Art zu sündigen; sie durften nicht fürchten, entdeckt zu werden, und eben so wenig für den Unterhalt ihrer erzeugten Kin der sorgen. Die Beweise, die man zu Gewisma chung eines Ehebruchs erforderte, musten also schwer, und beynahe unmöglich gemacht, und allen, die auf eine solche Art Art beleidiget worden, so viel mög lich, die Lust benommen worden, ihre Genugthuung gerichtlich zu suchen. Dem beleidigten Kläger muste man nach einer Ehescheidung, die er durch die deutlichsten Beweise erhalten, alles anderweiti gen Heyrathen verbieten. Es würde gar zu wi dersprechend gewesen, und selbst einer papistischen Nation, als unrecht in die Augen gefallen seyn, wenn man den Ehebrecherinnen und ihren Liebha bern, alle Strafe erlassen hätte, ohne bey den Ehe brüchen der Männer eine gleiche Gelindigkeit zu ge brauchen. Aus diesen Ursachen wurden die Stra fen für alle nur sehr leicht eingerichtet, und die Geistlichkeit kante die vorzüglichen Vortheile sehr gut, die für sie aus den Vorurtheilen, die man von ihrer Heiligkeit hatte, und der guten Gelegenheit durch ihre Beichten, und andre unter dem Schein der Religion vorgenommene Betrügereyen, vertraut zu werden, entstanden.
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im Ehestande. 767(Erster Abschnitt.) XIII. Die allgemeinen Pflichten bey einer sol chen Verbindung, können wir hinlänglich aus den(Allgemeine Pflichten bey einer solchen Verbindung) Endzwecken, wozu sie bestimmt ist, ersehn. Da die ser Stand eine durch unser ganzes Leben beständige Freundschaft seyn soll, so mus er die gröste Vor sicht bey der Wahl der Mitgenossen erfordern, die durch ihre Tugend, ihre Gutherzigkeit, Klug heit und einandre ähnliche Beschaffenheit der Tem peramente, diese Verbindung zu einer innerlichen auf aufrichtige Hachachtung<Hochachtung> gegründeten Freund schaft machen müssen,<.> Es ist die Pflicht aller der jenigen, die sich hinein begeben wollen, sich zu einer naturlichen<natürlichen> Gutherzigkeit, und der Fertigkeit sich selbst zu beherrschen, zu gewöhnen, und eine Wis senschaft von den Dingen, die im menschlichen Le ben vorkommen, zu erlangen. Bey der Wahl, einer sich für uns schickenden Person, sollte der Rath unsrer Freunde für uns von grossem Gewichte seyn. Jun ge Leute schenken oft ihre Neigungen ohne Ueberle gung weg, und wenn es einmal geschehen ist, sind sie nicht mehr im Stande richtig und unpartheyisch zu urtheilen. Es ist von grossem Nutzen, wenn man vor läuffig von den Schwachheiten und Unvollkommen heiten, die den Besten unter dem menschlichen Ge schlechte allmal noch ankleben, wohl unterrichtet ist; und also der Einbildungskraft nicht erlaubt, uns ei ne beständig gleiche, heitre, kluge, und ruhige Auf führung eines Theils, als möglich vorzustellen. Oft glauben junge Leute in einander solche Gemüths arthen zu entdecken, wenn sie von einer starken
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(Drittes Buch.) 768 Die Rechte und Pflichten gegenseitigen Leidenschaft eingenommen, und noch nicht durch die Verdrüslichkeiten oder unvermuthe ten Unfälle, die in einer Familie allemal vorkommen, auf die Probe gestellt sind; und also wird ihnen nachher die geringste Verdrieslichkeit der kleinste Widerstand zur Ursache, sich darüber zu wundern, und belcidigt<beleidigt> zn<zu> finden. Wenn wir aber von den Schwachhei ten und den plözlichen Anfällen von Leidenschaften, denen die besten Gemüther allemal unterworfen blei ben, hinlänglich unterrichtet sind, so werden wir sie von jemanden, bey dem die guten Eigenschaften die Oberhand haben, gern geduldig ertragen, und durch die gemeinen Unfälle des Lebens, weit weniger auf gebracht, oder verdrieslich gemacht werden. Jede Gelegenheit, wo der andere Theil seine Gutherzig keit, oder andre liebenswürdige Eigenschaften zeigt, jeder Fall, wo er sich aus Gefälligkeit selbst über windet, oder aus Liebe etwas erträgt, wird die ge genseitige Liebe und Hochachtung eines solchen Paa res vergrössern. (Untersu chung des Entwurfs des Plato.) XIV. Hier können wir die übertriebnen Ein fälle des Plato nicht mit Stillschweigen übergehn. Er beobachtet die mancherley Unbequemlichkeiten, die aus den eingeschränkten Banden der Ehen, und der väterlichen Liebe entstehen; daß die meisten Menschen ihre Absichten und Neigungen auf eine kleine Zahl von Gegenständen einschränkten, und allgemeinere Vortheile verabsäumten, weil sie nur für den Nutzen ihrer Kinder oder Verwandten mit Eyfer sorgten, daß in solchen Personen die Laster
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im Ehestande. 769(Erster Abschnitt.) übersehen, und die gehörige Strenge gegen sie nicht beobachtet würde; daß unendliche Streitigkeiten durch die Eyfersucht, und über streitige Rechte der Familien entstünden. Oft würde ein grosser Reich thum für die unnützesten Mitglieder der Gesellschaft aufgehäuft, und die Leute aus solchen eingeschränk ten Absichten, und nicht wegen ihrer Tugenden oder ihrer Verdienste zu grossen Ehren und hoher Ge walt befördert. Er schlägt also in seinem Staate eine gewisse Versammlung von Oberaufsehern* vor, wodurch nicht nur alle Güter gemein gemacht, sondern auch alle diese eingeschränkten Arten von Zuneigung verbannt werden. Seinem Plane nach, war es niemanden erlaubt, für sich ein Weib zu nehmen. Vater und Mutter würden ihre eignen Kinder nicht, und kaum sich selbst gekant haben. Alle Kinder würden gleich nach ihrer Geburt in ge wisse öffentliche Häuser gebracht, und also zu Kin dern des Staats gemacht worden seyn. Jeder, der diesen Plan liest, wird viele ungerechte Vorwür fen, die man ihm gemacht hat, falsch befinden. Nie mals ist in dem Entwurfe einer Regierungsform we niger für die Befriedigung der Sinne gesorgt worden. Ein grosser Fehler dieses Plans scheint(Vernünf tige Einwür fe dawider.) darinnen zu bestehen, daß er sich zu der menschli chen Natur und dem Trieben, die Gott derselben ein gepflanzt hat, nicht schickt. Wir haben schon die grossen Uebel gezeigt,** die aus der Gemeinschaft der 60 61
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(Drittes Buch.) 770 Die Rechte und Pflichten Güter entstehn würden, und eine solche Gemein schaft der Kinder, müste noch weit grössere nach sich ziehen. Fürs erste, würde die Sorgfalt und Ar beit, die zu Erziehung und Erhaltung der Kinder unentbehrlich ist, welche in dem gegenwärtigen Zu ftande<Zustande> die Eltern, ihrer zärtlichen Zuneigung we gen, mit Freuden über sich nehmen, von andern als eine unerträgliche Arbeit angesehn, und selten getreu ausgerichtet werden. Ferner würde das Le ben seiner angenehmsten Freuden beraubt werden, die durch die eheliche und väterliche Liebe entstehn, und durch die allgemeine Liebe gegen eine ganze Nation, oder auch besondre Freundschaften nicht ersetzt werden können. Und was die besondern Freundfchaften<Freundschaften> betrift, welche kein Entwurf einer Regierungsform, so lange unsre Herzen so bleiben, als sie Gott gemacht hat, fähig ist zu verbannen: so würde auch diese schon vie le von den bey jenen genauern Vereinigungen be fürchteten Uebeln hervorbringen; das menschliche Geschlechte müste denn durchgängig weiser in der Wahl seiner Freunde, als der Wahl einer Gelieb ten, oder in der väterlichen Liebe seyn. Sehn wir nicht ganz klar, daß oft die Bande des Bluts wenig Einflus auf die Factionen haben, wodurch Staaten zerrissen werden; ja daß vielmehr diejenigen, die darinnen verwickelt sind, oft dem Triebe des Bluts ent gegen handeln? Sie entstehen aus der Ehrsucht, aus den verschiedenen Meinungen über die beste Art den Staat zu regieren, und aus Bewunderung und Eyfer für gewisse vorzügliche Character, auf deren Treue und Weisheit sich die verschiedenen Partheyen verlassen. Warum wollen wir denn das Leben sei
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im Ehestande. 771(Erster Abschnitt.) ner vorzüglichsten Freuden berauben; derjeni gen, die aus einer gegenseitigen Liebe in solchen zärt lichen Verbindungen entstehn, und die allemal als die stärksten Bewegungsgründe zum Fleisse, als ein Sporn, zum* Eyfer für das Beste seines Vater landes, und allen andern edlen Unternehmungen befunden worden sind. Es müssen höhere Arten von Erkentnis und Tugend durchgängig eingeführt, und unsre natürli chen Neigungen unterdruckt<unterdrückt> werden, wenn uns Fleis, Geschäftigkeit, Arbeit und Gefahren, blos aus einer ruhigen allgemeinen Neigung gegen das ganze Ge schlecht angenehm werden sollen; wenn wir eines so zärtlichen Zusammenhanges und der Hofnung beraubt sind, daß wir unsre Freygebigkeit, Gros muth und Pracht, unserm Gefallen nach werden zeigen, und zu der Glückseligkeit derer, die wir vor züglich lieben, etwas beytragen können. Die Ge setzgeber eines jeden Staats, können vermittelst einer sehr mittelmässigen Weisheit und Tugend solche Gesetze über die Kinderzucht, die Gewalt der Sit tenrichter, über die Beschaffenheit der Personen, die der Wahl zu Aemtern und Ehren fähig sind, und die Beerbung der Eltern, machen, daß dadurch die ärgsten von den Uebeln, die Plato befürchtete, bey nahe dnrchgängigdurchgängig vermieden werden, ohne deswe gen das Leben seinen zärtlichstenFreunden in den natürlichen Verbindungen der Familien durch 62
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(Drittes Buch.) 772 Die Rechte und Pflichten Ehen zu berauben. Der Endzweck des bürgerli chen Regiments, ist wie Aristoteles* in seiner rich tigen Beurtheilung dieses Entwurfs anmerkt, nicht allein die Einigkeit und Ruhe eines Staats, son dern die allgemeine Glückseligkeit des Volks.

Der zweyte Abschnitt, Von den Rechten und Pflichten der Eltern und Kinder.

(Hier zei gen uns un sre natürli chen Triebe das Recht.) Das Verlangen Kinder zu besitzen, ist dem menschlichen Geschlechte natürlich, wo es nicht durch andre Verlangen eingeschränkt, oder über wogen wird. Unsre Natur ist so beschaffen, daß unsre Kinder lange in einem sehr schwachen Zustan de bleiben, wo sie einer beständigen Hülfe und Vor sorge von andern, sowohl ihrer Schwachheit, als der Unwissenheit wegen, benöthigt sind, worinnen sie sich in Ansehung der Gefahren, womit sie be ständig umgeben sind, befinden. Die Kinder müs sen in vielen Dingen unterrichtet, und sehr oft von Sachen, wornach sie ein Verlangen besitzen, abgehal ten werden; wenn sie zur Reiffe gelangen, und ih re Rolle im menschlichen, Leben nur mittelmässig spielen sollen. Für alle diese Bedürfnisse hat die Natur gesorgt, indem sie den Herzen der Eltern, die zärtlichsteLiebe gegen sie eingeprägt hat, wo durch ihnen diese lange und mühselige Aufmerksam keit versüst wird. Weil wir vernünftige Wesen, und fähig sind, etwas vorauszusehn, oder durch Zeit und lange Aufmerksamkeit Erfahrungen einzusam 63
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der Eltern und Kinder. 773(Zweyter Abschnitt.) meln: so ist diese Liebe so eingerichtet, daß sie unser ganzes Leben durchdauert; denn die Kinder können, so lange die Eltern leben, ihrer Hülffe oder ihres Raths bedürfen, und in vielen andern Betrachtun gen die grösten Vortheile von ihnen erhalten. Die Eltern können ebenfals ihr ganzes Leben hin durch vermittelst dieser starken und beständigen Zu neigung, und der Glückseligkeit ihrer Kinder ein be ständig neues Vergnügen geniessen. So hat die Natur die freundschaftlichsten Gesellschaften und dauerhaftesten Verbindungen vermittelst dieser un veränderlichen Zuneigung der Eltern, und der star ken Bewegungsgründe von Dankbarkeit hervorge bracht, die sie den Kindern zeigt, diese natürliche Nei gung durch ihre Aufführung zu befestigen. Die Absicht Gottes zeigt sich sehr deutlich(Der Zu stand der Kinder und die Liebe der Eltern gründen die ser ihre Ge walt.) durch seine ganze Einrichtung. Denen Eltern zeigt ihre natürliche Zuneigung gegen die Kinder ihre Verbindlichkeit, dieselben zu erhalten, und ihre Glückseligkeit nach äusserstem Vermögen zu beför dern zu suchen. Der schwächliche und unwissende Zustand, worinne die Kinder lange beharren, zeigt uns der Eltern unumgränzte Gewalt, ihre Hand lungen, so wie es ihre Sicherheit, und eine gehörige Erziehung erfordert, zu lenken. Doch macht sie die se Gewalt für die Kinder leicht und sicher, indem sie alle unnöthige Strenge verbietet. Die Zunei gung der Eltern selbst mus sie geneigt machen, den Kindern, so bald sie zu einer reifen Stärke und Er käntnis gelangt sind, die Freyheit zuzugestehn, wenn sie nämlich fähig sind, sie zu geniessen, und ihren
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(Drittes Buch.) 774 Die Rechte und Pflichten Verstand in den Geschäften des Lebens anzuwenden; dem ohngeacht aber werden sie dieselben noch immer die Vortheile ihres Raths, und alle andern Wohl thaten geniessen lassen. Die Kinder hingegen müs sen, so bald sie nur das Geringste von den sittlichen Pflichten verstehn lernen, einsehen, daß sie verbun den sind in ihren jungen Jahren sich zu unterwer fen und gehorsam zu seyn; daß sie dankbar seyn, und dieses so sehr es in ihren Vermögen steht, ih ren Wohlthätern zeigen müssen; daß sie vor allen Dingen ihren Neigungen nachgeben müssen, wenn nämlich eine solche Gefälligkeit, mit dem Vergnü gen, das ihnen die Natur in ihrem Leben bestimt hat, bestehn kan, und daß sie oft verbunden seyn können, ihnen ihre eignen Neigungen und Ergötzlichkeiten aufzuopfern, wenn diese nicht zu ihrer Glückseligkeit unentbehrlich erfordert werden. Sie müssen er kennen, wie heilig die Pflicht ist, ihre bejahrten El tern in ihren Schwachheiten oder ihrer zweyten Kind heit zu ertragen, und ihrem zuweilen verdrieslichen und mürrischen Wesen mit Sanftmuth zu begeg nen, weil sie in ihrer Kindheit eine gleiche Begeg nung sehr lange aus einer zärtlichen uneigennützi gen Neigung ausgestanden haben. Ohne diese Nei gung würden sie niemals zur Reife gediehen seyn; keine menschliche SorfaltSorgfalt, keine Wachsamkeit der bürgerlichen Obrigkeit hätte ihre Erhaltung gewis machen, oder ihre Eltern zu einer so getreuen und sorgfältigen Aufmerksamkeit zwingen können. (Wie lange die Gewalt der Eltern dauert.) II. Die offenbare uneigennützige Natur dieser Neigung zeigt ebenfalls die Natur und die Dauer
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der Eltern und Kinder. 775(Zweyter Abschnitt.) der Gewalt der Eltern. Der Grund des Rechts ist die Schwachheit und Unwissenheit der Kindheit, die es unumgänglich nothwendig macht, daß sie eine geraume Zeit von andern regiert werden mus, und die natürliche Zuneigung der Eltern zeigt uns, daß sie die von der Natur bestimmten Regierer sind, wo keine kluge Einrichtung des Staats auf eine wirksamere Art für ihre Erziehung gesorgt hat. Die uneigennützige und grosmüthige Natur dieser Neigung zeigt, daß eine solche Gewalt von der Na tur zum Besten der Kinder, und vermöge der Glück seligkeit derselben auch zum Vergnügen und zur Freude der liebenden Eltern bestimmt ist. Dieses Recht kan sich also nicht so weit erstrecken*, daß es den Eltern erlaubte, die Kindrr<Kinder> zu tödten, oder sie auf eine elende Art als Sclaven zu halten. So bald sie zu reifen Jahren und zur Vernunft gelangt sind, darf ihnen diejenige Freyheit, die zu den vernünftigen Vergnügungen des Lebens erfor 64
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(Drittes Buch.) 776 Die Rechte und Pflichten dert wird, nicht versagt werden. Die Zuneigung der Eltern macht ihnen eine solche Befreyung gewis, wie sie durch die von Gott ihnen verliehene Vernunft dazu berechtiget werden. (Diese Ge walt ist bey den Eltern gemein.) Dieser Grund der väterlichen Gewalt zeigt uns ganz deutlich, daß beyde Eltern ein gleiches Recht darauf haben; und daß der Mutter unrecht geschieht, so oft man ihr ihren gleichen Antheil da von entzieht, wenn sie nicht ihrem Manne aus Vertrauen auf seinen erhabnern Verstand freywil lig den lezten Ausspruch in allen Angelegenheiten zugestanden hat. So bald aber der Vater sich ei ner Sache nicht annimmt, oder abwesend, oder gar todt ist; gebührt dieses ganze Recht der Mutter. Diese ganze Gewalt kan sich, weil sie nichts als die Erhaltung und gute Erziehung der Kinder zum Grunde hat, auf nichts weiter als mässige Züchti gungen erstrecken, die im geringsten nicht das Le ben in Gefahr setzen dürfen; und der höchste Grad der Strafe ist, eine gänzliche Verlassung, oder Ver stossung aus der Familie. Es ist ebenfalls klar, daß dieses Recht seiner Natur, Absicht und Dauer nach gänzlich von dem Rechte der bürgerlichen Ge walt unterschieden seyn mus, welchem eine grosse Anzahl erwachsner Personen des gemeinen Bestens der Gesellschaft wegen beständig unterworfen blei bet; welches auch zu allen Strafen und gewaltsa men Mitteln berechtigt, die die Vertheidigung oder die Sicherheit des gemeinen Wesens erfordern kan; weil dieses auf keine besondre Neigungen, die die Natur gegen wenige in unsre Herzen ge
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der Eltern und Kinder. 777(Zweyter Abschnitt.) pflanzt hat, sondern auf die allgemeine Liebe ge gen das Ganze gegründet, und von Menschen ei ner grossen Gesellschaft zum Besten eingeführt ist. Diese Gewalt der Eltern aus der blossen Zeugung herzuleiten, ist eine thörichte Anwendung gewisser Grundsätze, die in Ansehung des Eigen thums angenommen sind, und hier so ungeschickt als möglich ist, angewendet werden. Die Leiber der Kin der werden durch einige Theile der Leiber der El tern gebildet, aber im geringsten nicht durch ihre Weisheit oder Kunst. Sehr oft geschieht es so gar wider ihre Absicht, und ihren Wunsch. Gott, der den Eltern die zur Fortpflanzung nöthigen Eigen schaften mitgetheilt hat, bildet so gut die Leiber der Eltern als der Kinder, und verordnet blos diese Art ihrer Zeugung, um beyden ihre Rechte und Pflich ten zu zeigen. Die Seele, der vornehmste Theil, ist ein eignes unmittelbar von ihm hervorgebrach tes Wesen. Man kan also Kinder nicht als einen Zuwachs oder als Früchte der Leiber ihrer Eltern ansehn, und glauben, daß sie denselben in allen möglichen Umständen folgen. Sie werden ver nünftige wesentliche Theile des grossen Systems, und erlangen ein gleiches Recht auf alle natürli che Rechte, welche ihre Eltern geniessen, so bald sie vernünftig genug sind, sie gehörig zu gebrau chen. Sie werden durch die Zeugung eben so we nig ein Eigenthum ihrer Eltern, als sie durch das Saugen in die Gewalt der Ammen gerathen; da doch aus dem Leibe solcher Personen oft mehr Thei le in den Leib der Kinder übergehn, als noch von
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(Drittes Buch.) 778 Die Rechte und Pflichten beyden Eltern darinnen übrig sind. Nach dieser Art zu schliessen erhielte der Eigenthümer des Viehes von dem sie eine Zeitlang genährt und geklei det worden, ein noch stärkeres Recht. Ein Va ter, der sein Kind wegsezt, oder seine Erziehung ver nachlässigt, hat kein Recht auf irgend eine Gewalt über dasselbe, sondern derjenige, der für seine Erzie hung und Erhaltung freywillig sorgt, erhält, ob er es gleich nicht gezeugt hat, die väterliche Ge walt darüber. Die Zeugung zeigt blos, vermittelst der natürlichen Zuneigung, die sie hervorbringt, diejenige Person an, der diese Pflicht obliegt, und solche Personen sollte man in Ausübung derselben nicht hindern, oder ihnen die dadurch erlangte Gewalt streitig machen; man müste denn noch mehr für das Kind sorgen, und es durch eine bessere Er ziehung glücklicher machen wollen. Wenn aber die Eltern todt sind, oder sich dieser Pflicht aus Bosheit entzogen haben: so erlangt ein jeder, der die Sorge für die Erziehung freywillig übernimmt, alle Gewalt der Eltern. (Welche Rechte sie in sich begreift.) Diese Hauptabsicht der Gewalt der Eltern zeigt, daß sie wenige von den Rechten in sich be greift, die bey den Römern die patria poteſtas ver schafte. Das Kind mus als eine Person betrach tet werden, welche die Fähigkeit hat, vernünftig zu handeln; und die wider ihre Eltern gegründete Rechte zu behaupten im Stande ist, obgleich diese die natürlichen Vormünder derselben sind, und ein Recht haben, die Handlungen des Kindes, so lange es ihm noch an gehöriger Vernunft fehlt, zu regie
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der Eltern und Kinder. 779(Zweyter Abschnitt.) ren, und seine Güter zu verwalten. Wenn ein Kind durch Schenkungen, Vermächtnisse oder Erbschaften, Güter erhält, so sind die Eltern nicht die Eigen thümer, sie dürfen sich auch nicht mehr von den jährlichen Einkünften derselben zueignen, als ihnen gebührt, um alle Unkosten und Mühe, die ihnen durch den Unterhalt und die Erziehung des Kindes verur sacht worden sind, zu ersetzen. Eben dieses kan man von allen Gütern behaupten, die ein Kind vermittelst einer besondern Klugheit oder Geschicklichkeit, wäh rend seiner Unmündigkeit erlangt; denn diese kön nen oft viel mehr betragen, als zu allen nöthigen Kosten einer klugen Erziehung erfordert wird. III. Dies mag von der Gewalt der Eltern im(Die Rechte des Hanpts<Haupts> einer Fami lie.) eigentlichen Verstande genug seyn, welche ganz na türlich aufhört, so bald die Kinder dem völligen Ge brauch ihrer Vernunft erlangt haben. Es giebt noch zwo andre Arten von Gewalt, welche gemeinig lich darauf folgen, aber von sehr verschiedener Na tur, und auf ganz andre Gründe gebaut sind. 1) Die Gewalt des Haupts einer Familie. 2) Das Ansehn, oder der Einflus (wodurch man es eher als durch Gewalt ausdrücken könte) den die Eltern ihre Lebenszeit hindurch über ihre Kinder be halten, wenn diese auch schon erwachsen sind, und nicht mehr in ihren Häusern leben. Was die erste betrift so setzt man, wenn jemand erwachsne Kin der oder andre Freunde in seinen Hause unterhält, voraus, daß diese sich der einmal in der Familie eingeführten Ordnung oder dem, was der Herr der selben verlangt, unterwerffen, da sie durch ihren
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(Drittes Buch.) 780 Die Rechte und Pflichten freywilligen Aufenthalt darinnen stillschweigend er klären, daß sie sich eine solche Unterwürfigkeit ge fallen lassen. Hätten sie nicht darein willigen wol len, so hätten sie sich auch nicht die daraus entste henden Vortheile oder Bequemlichkeiten anmassen müssen. Diese Gewalt ist blos auf die Einwilli gung derjenigen die ihr unterworfen sind gegründet, und diese wird durch ihren freywilligen Aufenthalt in der Familie bekant gemacht. Diese Gewalt kan von keinem grossen Umfange seyn. Zur Erhaltung der Ordnung in einer tugendhaften Familie wird wenig Strenge erfordert, und die äusserste Bestrafung wozu das Haupt derselben berechtigt seyn kan ist die Verstossung aus derselben. Hat ein Mitglied Ver brechen begangen, welche eine härtere Strafe verdie nen, so hat das Haupt der Familie und jeder andre eben die Rechte zu bestrafen, die er gehabt ha ben würde, wenn die schuldige Person niemals dar innen gelebt hätte. Aus einem solchen Stande oder einer solchen Verbindung entsteht kein Recht jeman den mit einer von den strengern Strafen zu belegen. Wenn zu irgend einer Zeit die Gewohnheit einge führt wurde, daß die Häupter der Familien eine hö here Gewalt über ihre Hausgenossen ausübten, und wenn erwachsene Personen, die dieses wüsten, in dem Schosse der Familie blieben, und also in eine solche Gewalt willigten: so konten sie unstreitig dadurch dem Oberhaupte einer Familie eine eben so hohe Gewalt über sich verleihen, als itzt von der bürgerlichen Obrigkeit ausgeübt wird, und also ei ne Familie zu einer kleinen Monarchie machen.
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der Eltern und Kinder. 781(Zweyter Abschnitt.) IV. Die andre Art der Gewalt ist diejenige, welche die Eltern billig allemal über ihre Kinder(Die kind liche Pflicht hört niemals auf.) behalten sollten, wenn diese sich gleich schon selbst unterhalten, und eine neue Familie ausmachen. Diese ist noch mehr von aller Aehnlichkeit mit der bürgerli chen Gewalt, oder irgend einen Zwangsrechte, oder dem Rechte irgend eine Handlung der Kinder un gültig zu machen, entfernt. Sie besteht in nichts mehr als einem Rechte das auf die starken Pflichten der Dankbarkeit, alle edle Empfindungen der Kin der, und der Unterwürfigkeit gegründet ist, die alle der geheiligten Ordnung der Natur schuldig sind. Dieses Recht mus sie geneigt machen den Neigungen der gütigen Wohlthäter, die mit so an haltender Geduld und Zärtlichkeit die Schwachhei ten ihrer Jugend ertragen haben, und noch immer die zärtlichste Liebe für sie hegen, so viel wie möglich zu befriedigen, und wenn sie auch nicht die liebenswür sten<liebenswürdigsten> sind, ihnen nachzugeben. Die Kinder zeigen die gröbste und unerlaubteste Undankbarkeit, wenn sie für das Vergnügen ihrer Eltern in ihren alten Tagen nicht sorgen, wenn sie die gewöhnliche Ver drieslichkeit des Alters noch vermehren, oder sich bedenken, den Vortheilen oder Vergnügungen so gü tiger Wohlthäter und getreuer Freunde, die ihrigen aufzuopfern, wenn diese nicht von besonderer Er heblichkeit sind. Besonders sind die Kinder aufs heiligste ver(Sie ver bindet uns zu einer dankbaren Gefälligkeit.) bunden die Neigungen ihrer Eltern bey allen Din gen die so wohl für jene als auch für sie von gros ser Wichtigkeit sind, zu Rathe zu ziehen. Hieher
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(Drittes Buch.) 782 Die Rechte und Pflichten gehört ihre Verheyrathung; wodurch diejenigen das Leben erhalten, die einmal ihre Gros - El tern so gut vorstellen, als diejenigen von denen sie unmittelbar gezeugt worden, auch sehr oft jenen eben so lieb als diesen sind. Die Verheyrathung ist wirklich für die Glückseligkeit der sich verbinden den Partheyen wichtiger als für ihre Eltern, und diese haben also kein Recht sie mit Gewalt wider ihre Neigungen zu zwingen, und also ihr ganzes Leben misvergnügt und unglücklich zu machen. Hinge gegen wird sich auch ein Kind welches eine Person heyrathet die seinen Eltern unbezwinglich zuwider ist, der angenehmsten Gemeinschaft mit ihnen berau ben; und es ist also verbunden wenn es gleich schon zu reiffen Jahren und zur Vernunft gelangt ist, den Eltern so viel möglich in diesen Punkte zu fol gen. Es würde eine grausame Belohnung für al le Sorgfalt und die beständige Liebe der Eltern seyn, wenn man durch eine übereilte Heyrath sie des Ver gnügens berauben wollte, diejenigen die ihnen sonst allemal die theuresten sind, zu lieben. Wenn das Kind die Abneigung der Eltern von der geliebten Per son für unbillig hält, so ist es verbunden vorher alle mögliche Vorstellungen zu thun, auch sich um Schiedsrichter zu bemühen, damit durch kluge Freun de ein solches Vorurtheil überwunden werden möge. Ein Kind handelt grausam und undankbar, wenn es ohne vorher alle diese Mittel versucht zu haben, ohne der Eltern Einwilligung einen solchen Schritt thut. Sind sie aber versucht, und die Vorurthei le von den Schiedsrichtern ungegründet befunden worden, sind die Neigungen des Kindes schon so
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der Eltern und Kinder. 783(Zweyter Abschnitt.) sehr gebundeu<gebunden>, daß es ohne ihre Befriedigung ein unglückliches Leben führen würde; so hat es das Recht sich seiner Freyheit zu Erlangung seiner Glück seligkeit zu bedienen; und mus sich in der Folge noch immer bemühen, durch die gehorsamste Auf führung die Vorurtheile der Eltern zu überwinden. Da die geheiligten Bande der Liebe der Eltern(Pflichten gegen die Schwachen oder Eigen sinnigen.) nur selten durch die ungehorsame Aufführung der Kinder gänzlich aufgelöst werden können: so wird auch ein rechtschaffner Mann auf der andern Seite die natürlichen Neigungen seines Herzens so stark zu machen suchen, daß keine Reizung sie aufzuhebeu<aufzuheben> im Stande ist. Ein tugendhafter Mann hat alle mal so viel Achtung oder Ehrfurcht vor der Ord nung der Natur, daß er gegen die ärgsten Eltern, gegen solche die das Vermögen der Familie ver schwendet, oder gar ihn in seiner Jugend vernach lässigt hat, mehr Zuneigung behält als gegen einen Fremden von gleichem Character. Ein Kind kan, wenn es zur Reife gekommen ist, allemal in so fern es die Gesetze der Gesellschaft erlauben, den Ver schwendungen der Eltern Einhalt zu thun suchen. Dem ohngeachtet bleibt es immer liebenswürdig in solchen Umständen eine liebreiche Gesinnung zu zei gen, wenn es nämlich die Sicherheit unsers Hau ses oder unsers Vaterlandes zuläst; und gegen die übelgesinneten oder mürrischen, wenn uns auch kei ne persönlichen Verdienste dazu bewegen, aus Ach tung für die ehrwürdige Ordnung der Natur gefäl lig zu seyn. Wenn gleich der Umgang der Eltern nichts nützliches oder angenehmes enthält, auch kei
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(Drittes Buch.) 784 Die Rechte und Pflichten ne Hofnung ihre Temperamente zu bessern, Statt findet: so thut ein Kind doch allemal wohl, wenn es dieselben zu unterstützen sucht, und für ihre Be quemlichkeit und Ruhe sorgt; in so fern es gesche hen kan ohne sie in ihren Lastern oder gefährlichen Thorheiten zu bestärken. (Wie weit sich die Ge walt der El tern erstre cket.) V. Da die Gewalt der Eltern alle zur Erzie hung der Kinder erforderlichen Mittel in sich be greift; so mus sie auch in grossen Nothfällen ver schiedene nicht sehr gewöhnliche Rechte mittheilen. Was ein Vater der nur in erträglichen Umständen ist auf die Erziehung seiner Kinder wendet, wird mit Rechte wenn das Gegentheil nicht ausdrücklich bekant gemacht ist, für ein Geschenke gehalten. Dies giebt kein Recht die Wiederersetzung zu fodern, der Vater müste denn selbst in sehr bedrängte Umstände gerathen, und wird nur in der Absicht gegeben, daß die Kinder ihn in einem hohen Alter, wenn er es bedarf wieder unterstützen sollen. Den gewöhn lichen Absichten der Eltern nach, sind die Kinder auf gewisse Weise von dem was sie erwerben, Mit eigenthümer, obgleich eine von den Eltern das Ganze verwaltet. Wenn Kindern schon ein beson ders Vermögen von andern hinterlassen ist, so han deln die Eltern nicht unrecht, wenn sie die Kosten welche die vernünftige Erziehung des Kindes erfor dert, als eine Schuld berechnen, besonders wenn es ihrer eignen Umstände, oder ihrer übrigen Kin der wegen nothwendig ist. Die Eltern müssen gleichfalls das Recht haben die Erziehung ihrer Kin der andern Leuten die geschickter als sie selbst sind,
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der Eltern und Kinder. 785(Zweyter Abschnitt.) oder mehrere Zeit dazu haben, zu überlassen; oder sie von andern an Kindes Statt aufnehmen zu las sen, wenn diese bequemer für ihre Erziehung sor gen können. Dies sind gewöhnliche Rechte der Eltern. Jn sehr bedrängten Fällen aber, haben sie ferner das Recht, diesen Anspruch die Ersetzung des vergangnen Aufwands zu fordern, einem Frem den zu übertragen, und das Kind auf eine so lange Zeit zu einer erträglichen Art von Dienstbarkeit zu verbinden, bis es soviel erworben hat, als erfor dert wird, seinen währender Zeit gebrauchten Un terhalt, und die Schuld der Eltern zu bezahlen. Jenes aber behält das Recht frey zu seyn, sobald es selbst im Stande ist, das Seinige abzutragen, oder ein Freund sich erbietet es zu thun. Ein sol cher Contract ist zuweilen zur Erhaltung der El tern nothwendig, und oft dem Kinde selbst ein gu ter Dienst, das wie jeder andre Unmündige, durch eine kluge Handlung des Vormunds verbunden wird. Die Verbindlichkeit desselben ist eine von denen ex quaſi contractu, wovon wir schon gehan delt haben. Weil aber die Eltern andern kein grössers Recht über ihr Kind mittheilen können, als sie selbst besitzen, so kan es niemals einer ewigen oder erblichen Sclaverey unterworfen werden. Ein solcher Contract ist so wenig ein nützlicher Dienst, oder ein negotium utile geſtum, daß man ihn viel mehr für unrecht halten mus. Er kan auch keine Verbindlichkeit hervorbringen. Die Gewalt eines Staats über seine Glieder(Die bürger liche Gewalt ruht auf ganz verschiede nen Gründen) ruht auf ganz andern Gründen. Wenn eine gros
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(Drittes Buch.) 786 Die Rechte und Pflichten se Anzahl von Menschen sich ihres gemeinen Be stens wegen zu einer Gesellschaft vereinigt haben, wo jeder auf die gemeinen Kosten Sicherheit für alle seine Rechte, und für sich und seine Nachkom menschaft erhält, den Schutz der Gesetze und der Obrig keit geniest, von Armeen beschützt wird, und die un zählbaren Vortheile eines gesitteten Lebens erhält: da ist es billig, daß man sie, um so ausserordentli che Vortheile für das Ganze zu erhalten, zwingt sich den grösten Gefahren auszusetzen, ja zuweilen gar einem gewisse Tode entgegen zu gehen. Die Unmündigen geniessen mit den Erwachsenen gleiche Vortheile, und sind also der Gerechtigkeit nach dem Staate unterworffen, ehe sie selbst ihre ausdrückli che oder stillschweigende Einwilligung haben geben können. Sie haben von ihrer Geburt an alle diese Vortheile genossen, und sind also in Betracht der selben verbunden alles mögliche zu thun, was in ih rem Vermögen steht, und zur Erhaltung der Glück seligkeit und Dauer so wohlthätiger Einrichtungen etwas beytragen kan. Wir werden in Zukunft noch weitläuftiger hievon handeln. Man handelt wie ich glaube, nicht billig und klug, wenn man die Gewalt der Eltern durch die Gesetze vergrössert. Die jenige, welche die Natur ihnen beygelegt hat, ist zu den Endzwecken der Erziehung hinreichend. Die Eltern sind aus verschiedenen sehr in die Augen fal lenden Ursachen, sehr unbequeme Personen, ihnen die Handhabung der Gerechtigkeit über ihre Kinder an zuvertrauen. Und es ist die grausamste Ungerech tigkeit, wenn man ihnen erlaubt ein Kind, ohne sein Verschulden zu tödten, von sich zu stossen, oder in eine ewige Sclaverey zu verkauffen.
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der Herrn und Bedienten. 787(Dritter Abschnit.)

Der dritte Abschnitt, Die Pflichten und Rechte der Herrn und Bedienten.

I.Sobald das menschliche Geschlecht der Anzahl(Was Ge legenheit zu dieser Art des Verhältnis ses unter den Menschen gegeben.) nach ziemlich zugenommen hatte, und die fruchtbarsten Länder bevölkert waren, konte es nicht fehlen, daß manche durch gewisse Zufälle un begütert geblieben, oder keine eigenen Güter beka men, worauf sie ihren Fleis hätten wenden kön nen: hingegen musten andre, denen ein gros ses Eigenthum zugefallen war, der Arbeiten andrer benöthigt seyn. Sie musten unfehlbar geneigt werden, sie dagegen zu unterhalten, oder ihnen noch grössere Belohnungen zu geben, und hierdurch ward der Stand der Herrn und Bedienten sehr na türlich hervorgebracht. Ob sich in den ältesten Zeiten die Menschen auf lebenslang, oder nur auf eine gewisse Zahl von Jahren in solche Contracte eingelassen haben, daran ist uns wenig gelegen. Die Rechte und Pflichten dieser Stände werden deutlicher aus folgenden Betrachtungen erhellen. 1) Die Arbeiten jeder Person von mittel(Haupt grundsätze der natürli chen Gerech tigkeit in die sem Stande) mässiger Natur oder Fähigkeit, sind von weit grös sern Werthe, als das, was zu ihrem Unterhalte er fordert wird. Wir sehen, daß gesunde Leute durch gängig einen guten Ueberschus ihres Gewinstes zum Unterhalte einer jungen Familie, oder gar zu ihrem Vergnügen anwenden können. Wenn ein Bedien ter sich durch einen Contract zu beständiger Arbeit anheischig macht, ohne etwas mehr, als seinen Un
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(Drittes Buch.) 788 Pflichten und Rechte terhalt zu verlangen, so ist der Contract völlig un gleich und ungerecht. Und weil dieser von der Art derjenigen ist, wo beyde Theile sich zu gleichen Ver bindlichkeiten verstehen müssen, so hat er das voll kommne Recht, eine anderweitige Belohnung, ent weder in einem Peculio, oder in einem besondern Vorrathe für sich und seine Familie, oder einer an ständigen Unterhaltung derselben zu verlangen. 2) Ein solcher Bedienter mag sich auf sein ganzes Leben, oder anf<auf> gewisse Jahre anheischig ge macht haben, so behält er alle Rechte, die dem menschli chen Geschlechtege mein<gemein> sind, sowohl gegen seinen Herrn, als auch gegen andre; das Recht über sei ne Arbeiten ausgenommen, daß er seinem Herrn übertragen, und dagegen das Recht auf seinen Un terhalt, oder andre Belohnungen erhalten hat. Wenn die Gewohnheit eingeführt ist, daß die Herrn eine billige Gerichtsbarkeit über die Bedienten aus üben, die mit ihrer Sicherheit und ihrem Glücke bestehen kan: so glaubt man daß der Bediente sich derselben unterwirft, wenn er sich freywillig in die Familie begiebt; eben so, wie ein Fremder, der sich in einem Staate aufhält, sich zugleich dadurch den Gesetzen desselben, in so fern sie die Fremden angehn, unterwirft. Wenn jemand einem andern nicht das Recht auf alle seine Arbeiten, sondern nur [nur] auf eine gewisse Art derselben, übertragen hat, so ist er auch nur dazu verbunden, und in allen andern Betrach tungen so frey, als sein Herr. Jn keinem von die sen Fällen, kan der Herr sein Recht einem andern
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der Herrn und Bedienten. 789(Dritter Abschnitt.) übergeben, oder den Bedienten zwingen, eiuem<einem> an dern zu dienen, dies müste denn in dem Contracte ausdrücklich ausgemacht seyn. Es ist für den Be dienten von sehr grosser Wichtigkeit, welchem Herrn er dienet. Von jemanden, der sich bequemt hat, einer leutseligen und menschenfreundlichen Person, oder einer solchen, die für ihn nur wenig Arbeit hat, zu dienen, kan man nicht annehmen, daß er ebenfalls darein willige, andern Personen, von andern Temperamenten zu dienen, die vielleicht här tere Arbeiten von ihm verlangen können. 4) Man kan die Menschen unstreitig zu ei ner viel ärgern Art der Dienstbarkeit zwingen, um entweder andern mit Vorsatze verursachte Schä den zu ersetzen, oder solche Schulden zu bezahlen, die sie sich durch ihre eigne Laster unfähig ge macht haben zu tilgen. Die Person, der sie eine solche Jnjurie angethan haben, besitzt ein vollkom menes Recht auf ihre Arbeiten, und zwar ihr gan zes Leben hindurch, wenn die Schuld nicht eher abgetragen werden kan. Ein Verbrecher kan eben falls statt der Strafe zu den allerstrengsten Arten der Arbeit verurtheilt werden. Jn diesen Fällen erhalten andere zu ihrem Vortheile das Recht, aus ihren Arbeiten soviel Gewinn zu ziehen, als nur immer möglich ist. Welche Menschlichkeit man auch so unglücklichen Dienern schuldig seyn mag, weil sie immer unsre Nebengeschöpfe bleiben, so kan doch die Gewalt und das Recht des Herrn, weil es blos zu seinem Vortheile da ist, ohne seine Bewilligung, an andre nicht übertragen werden; dennoch aber verlie
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(Drittes Buch.) 790 Pflichten und Rechte ren in einem solchen Stande der Dienstbarkeit we der der Verbrecher, nachdem er die zur gemeinen Sicherheit nöthige Strafe erduldet hat, noch viel weniger der Schuldner die natürlichen Rechte, die dem menschlichen Geschlechte gemein sind, dieje nigen ausgenommen, die sonst alle andre über ihre eigne Arbeiten haben. Wenn sie soviel arbeiten, als in ihrem Vermögen steht, so haben sie ein Recht auf ihren Unterhalt. Ja sie haben sogar das Recht, sich mit Gewalt gegen alle unnütze barbarische Mar tern, gegen alle Verstümmelungen oder Absichten sie zum Dienste der Lüste ihrer Herrn zu schänden, oder allen Zwang, wodurch man sie zu einem wider ihr Gewissen lauffenden Gottesdienste bringen will, zu wehren. Sie können durch Contracte, oder alle andre rechtsständige Wohlthaten andrer Rechte er halten welche dazu dienen können, ihre Schuld zu til gen, oder den Werth ihrer Arbeiten ganz oder zum Theile zu ersetzen, wenn diese ihnen nicht als eine Strafe, andern zum Beyspiele auferlegt sind. Be sonders enthalten sie Rechte durch alle Handlungen der Herrn, vermöge deren sie ihnen etwas von ihrer Arbeit erlassen. (Viele Na tionen deh nen den Be griff von der Freyheit zu weit aus.) Da diese Art der Sclaverey ihren billigen Grund hat, so treiben viele Nationen ihre Begriffe von der Freyheit zu weit, wenn sie nicht zugcben<zugeben>, daß ein Bürger jemals in eine ewige Sclaverey ge rathen kan. Dennoch würde vielleicht kein Gesetz besser im Stande seyn, einen durchgängigen Fleis zu befördern, und die niedrigen Stände von der Trägheit und vom Müssiggange abzuhalten, als
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der Herren und Bedienten. 791(Dritter Abschnitt.) wenn man eine beständige Sclaverey zur gewöhn lichen Strafe derjenigen Müssiggänger machte, die nach geschehenen gehörigen Erinnerungen, oder einer kurzen Sclaverey nicht haben bewogen werden kön nen, sich und ihre Familien durch nützliche Arbeiten zu unterhalten. Die Sclaverey würde ebenfalls eine sehr bequeme Strafe für diejenigen seyn, die entweder durch Unmässigkeit oder andre Laster sich und ihre Familien ins Verderben gestürzt, und beyde zu einer Last für das gemeine Wesen gemacht haben. Man könte es erst, nach dem Exempel der Jüden, mit einer siebenjährigen Sclaverey versu chen, und sie alsdenn in Freyheit setzen, wenn sie ei ne Fertigkeit, fleissig zu seyn, erlangt hätten. Wo nicht, so sollte man sie zu einer ewigen Sclaverey verdammen. Sie könten ebenfalls für viele andre Verbrechen bequemere Strafen, als die gewöhnli chen abgeben. II. Die Begriffe von der Sclaverey, die un(Die griechi schen und römischen Gebräuche sind auf kei ne Weise zu vertheidigen) ter den Griechen, den Römern und [and] andern alten Völkern herrschten, waren entsetzlich unge recht. Kein verursachter Schade, kein begangnes Verbrechen kan einen Menschen in eine Waare ver wandeln, die aller Rechte beraubt und unfähig ist, sich einige zu erwerben, oder der von dem Eigenthü mer kein Unrecht wiederfahren kan. Sonst müste man auch behaupten, daß man dadurch, wenn man ohne Noth ein Unglück, oder andern ein unnöthiges Elend verursachte, das gemeine Beste beförderte, oder die Glückseligkeit des Systems nicht verrin gerte, welches sich selbst widerspricht.
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(Drittes Buch.) 792 Pflichten und Rechte (Die meiste Gelegenheit ward durch die Gefan genschaft im Kriege dazu gege ben.) Die Gefangenschaft im Kriege konte bey na he die einzige Gelegenheit zur Einführung dieser Sclaverey geben; und wir werden untersuchen, in wie fern irgend ein Recht des Ueberwinders ihn be rechtigen kan, solche Gefangne mit ihren Nach kommen zu ewigen Sclaven zu machen, oder sie nach dem Gefallen andrer zu einer immerwähren den Arbeit zu zwingen. Denn was das übrige Elend der Sclaverey betrifft, das durch die griechi schen und römischen Gewohnheiten eingeführt war, so ist nichts im Stande, dasselbe zu rechtfertigen. (Die Ge wohnheit ist grausam und unvernünf tig.) Es ist zu verwundern, wie weise und gesit tete Völker, bey denen sonst die Grundsätze der Menschlichkeit und Tugend herrschen, und denen die Unbeständigkeit des Kriegsglücks nicht unbekant ist, jemals eine so grausame Gewohnheit haben ein führen können, die bey vielen Gelegenheiten ihre ei gnen Bürger so unglücklich machen kan als ihre Feinde, die sowohl diejenigen, die für die gerechte Sache fechten, als die auf der ungerechten Seite be trift, und den Patrioten, den Heldenmüthigen eben so elend macht, als den Eigennützigen und den Feigen. Ja die leztern setzen sich gemei niglich vor solchen Gefahren in Sicherheit. Müs sen nicht alle Empfindungen von Mitleiden und Menschlichkeit so gut als die Betrachtungen über das gemeine Beste des menschlichen Geschlechts uns ein solches Verfahren mit den Gefangnen als un gerecht vorstellen, wenn man es auch mit dem Vorwande eines äusserlichen Rechts entschuldi gen könte?
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der Herren und Bedienten. 793(Dritter Abschnitt.) Ferner kan durch eine gewaltsame Besitzneh mung kein Mensch, wenn er nicht rechtmässige Ur(Wenn der Krieg nicht billig gewesen ist, ist sie un gemein un gerecht.) sache darzu gehabt hat, ein Recht erhalten. Alles was jemand ohne einen gegründeten Anspruch nimt, ist er in seinem Gewissen verbunden, zu ersetzen. Eine allgemeine Ubereinstimmung der Nationen scheint zwar zum Vortheile neutraler Staaten und ihrer Unterthanen ein gewisses äusserliches Recht auf die Güter, oder die Gefangenen, die sie von bey den feindseligen Parteyen unter einem billigen Vor wande erhalten, eingeführt zu haben; so daß die alten Eigenthümer sie, ihrer gerechten Sache we gen, von dem neutralen Staate nicht zurückfordern können. So lange aber dergleichen genommene Güter in dem Besitze des ersten Nehmers oder seiner Landsleute bleiben, haben die alten Eigenthümer, wenn nämlich ihre Sache billig gewesen ist, das Recht, sie wieder zu fordern, wenn nicht durch ihre eignen Unterhandlungen, oder die Tractaten, welche ihre Regenten, durch deren Handlungen sie gebun den werden, darüber geschlossen haben, diesem Rechte entsagt worden ist. III. Gesezt auch, die Gefangnen werden von(Selbst in einem billi gen Kriege ist sie kaum zu rechtfertigen.) denenjenigen genommen, die gerechte Sache gehabt haben: so kan man doch in gewöhnlichen Fällen nicht anders als unter dem Vorwande einer Strafe, der zu erhaltenden Sicherheit für gleiche Unternehmun gen aufs künftige, oder der Schadloshaltung et was von ihnen verlangen. Aus keiner von diesen Ur sachen kan man durchgängig alle Unterthanen eines Staats, der sich in den ungerechtesten Krieg ein gelassen hat, mit einer ewigen Sclaverey belegen.
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(Drittes Buch.) 794 Pflichten und Rechte Fürs erste ist ein Fünftheil der Unterthanen allemal unschuldig, wenn der Staat einen unge rechten Krieg übernimmt. Jn einer vollkomnen Demokratie, wo alle Familienhäupter ihre Stim men geben müssen, machen dennoch die Weiber, die Unmündigen, die Bedienten, die keinen Theil an den öffentlichen Berathschlagungen nehmen, mehr als vier Fünftheile eines jeden Volks aus. Und wie selten sind demokratische Reichsversammlun gen einstimmig? Jn allen übrigen Regierungs formen trägt von hunderten kaum einer etwas zu der Ungerechtigkeit, eines Raths oder einer Hand lung bey, und eben so wenige hätten etwas thun können, sie zu verhindern. Die Unterthanen bezahlen ihre Auflagen, wozu die Gesetze sie zwin gen, ohne zu wissen, wozu sie angewendet werden. Wenn sie sich auch weigerten, dieselben zu bezahlen, so würden sie mit Gewalt zu ihrem Schaden dazu gezwungen werden, und den Krieg dennoch nicht hindern. Gesezt auch, sie sähen die Ungerechtig keit des Krieges ein, so könten sie ihm doch durch ihr Misfallen, oder durch das Weigern, ihre Ab gaben zu erlegen, nicht zuvor kommen. Bey vie len kan die Unwissenheit in Ansehung der politischen Angelegenheiten auch unüberwindlich seyn. Sie folgen den scheinbaren Gründen, die ihnen von ih ren Obern vorgelegt werden, und die blosse Billi gung einer ungerechten Handlung kan kein Verbre chen bey solchen Personen seyn, denen es nicht mög lich gewesen ist, sich besser zu unterrichten. Keine politische Vereinigung kan ein Volk wegen solcher Verbrechen seiner Beherrscher strafbar machen, wo
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der Herren und Bedienten. 795(Dritter Abschnitt.) zu es ihnen nicht seinen Rath, oder noch weniger durch irgend eine unerlaubte Handlung oder die Unterlassung seiner Pflichten Gelegenheit gege ben hat. Ferner wird die durchgängige Absicht aller(Sie schickt sich auch nicht, die Endzwecke der Strafe zu erreichen.) Strafen, nämlich die Abschreckung ungerechter Leute von Unternehmung gleicher Jnjurien, gar nicht durch die Bestrafung unschuldiger Unterthanen erhalten. Diese wirket nur sehr schlecht auf boshafte Prin zen oder Regenten. Die natürlichsten und wirk samsten Strafen würden diejenigen seyn, womit man die ungerechten Regenten selbst belegte, wel che die Ursachen der Jnjurien sind, worüber man sich beklagt. Keine Strafe ist gerecht, wenn nicht ein Verbrechen bey dem Leidenden vorhergegangen ist; andre Uebel, womit man zuweilen unschuldi ge Personen mit Rechte belegt, gehören unter ei nen ganz verschiedenen Begriff. Was die Sicherheit vor gleichen Jnjurien aufs(So wenig alsaufs<als aufs> künf tige Sicher heit zu ver schaffen.) künftige betrift: so sind in allen gewöhnlichen Fäl len nur diejenigen verbunden, sie zu schaffen, die da durch, daß sie wider ihre Pflichten etwas vorgenom men oder unterlassen, ein Verbrechen begangen, oder zu andern erwiesenen Jnjurien etwas beyge tragen haben. Die ganze Sicherheit, die man durch die Sclaverey der Gefangenen und ihrer Nachkommen erlangt, kan durchgängig durch viel menschlichere Mittel erhalten werden. Man kan sie mit ihren eroberten Gütern bey sich behalten, bis man einen billigen Frieden erzwungen hat. Man könte sie zu einer mässigen Arbeit anhalten, um
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(Drittes Buch.) 796 Pflichten und Rechte dadurch von Zeit zu Zeit den Reichthum des belei digten Staats zu vermehren: und wenn sie sich von der Gerechtigkeit unsrer Sache überzeugen liessen, so könte man ihnen erlauben, sich bey uns als Un terthanen niederzulassen, und alle Rechte des mensch lichen Geschlechts zu geniessen. Man könte sie so gar naturalisiren, denn hierdurch würden unsre Feinde eben so sehr geschwächt, und unser Staat eben so sehr vergrössert werden, als durch ihre Sclaverey. (Die Ge fangnen sind nur selten verbunden Schaden zu ersetzen.) 2) Was den zweyten Vorwand, nämlich die Ersetzung des verursachten Schadens betrift: so ist dem Rechte der Natur nach niemand dazu verbun den, der nicht wider seine Pflicht etwas vorgenom men oder unterlassen und aus einer solchen Auffüh rung Vortheil gezogen hat. Jn diesen Umständen be finden sich die wenigsten Unterthanen; wenn auch ihre Beherrscher ihren Nachbarn das grausamste Un recht anzuthun suchen. Die Ursache, „daß jeder, der durch irgend eine Einrichtung, durch Erlangung gewisser Gü ter zu seinem Vortheile; oder irgend ein Amt, das er in einer solchen Absicht bestellt, andern den ge ringsten Schaden verursacht, verbunden ist, ent weder denselben zu ersetzen*, oder die Einrichtung aufzuheben oder die Person auszuliefern die durch den Misbrauch ihres Amts den Schaden verur sacht hat,“ findet vielleicht wider die Personen der 65
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der Herren und Bedienten. 797(Dritter Abschnitt.) jenigen Bürger Statt, die entweder die ungerech ten Regenten gewählt oder eine solche Regierungs form eingeführt haben die nothwendig ihrer Natur nach zu Jnjurien Anlas geben mus; oder überhaupt wider solche Bürger die die Gewalt haben ihre Re genten einzuschränken, oder gar abzusetzen. Aber auch in solchen Fällen sollte es der Wahl der gefan genen oder überwundenen Bürger überlassen wer den, ob sie ihre ungerechten Regenten verlassen, und wenn es in ihren Vermögen steht sie ausliefern, und also ihre alte Freyheit geniessen, oder allen Schaden ersetzen, alle Sicherheit vor künftigen Jnjurien die von unpartheyischen Schiedsrichtern für nöthig gehalten wird, verschaffen, und ihre al ten Regenten behalten wollen.* IV. Wenn die Eroberer nur die geringste Ach(Wen die Ueberwinder billig bestra fen sollten.) tung für die Gerechtigkeit hegten, so würde man sie öfter auf die Auslieferung ungerechter Regenten, ih rer Räthe, und Minister, an diejenigen, denen sie Unrecht gethan haben, dringen sehen. Sie würden ein unschuldiges Volk in Freyheit lassen sich entwe der eine neue Regierungsform, oder bessere Verwal ter der Alten zu wählen. Doch dieses Recht eine billige Schadloshaltung zu erlangen zu suchen, ist nichts als ein blosser Vorwand, so bald wir eine hinlängliche Genugthuung entweder durch Gewalt erhalten haben, oder sie uns von der unterliegen den Parthey angeboten wird. Dies letztre wird fast beständig von jedem Staate geschehn, ehe er seine Unterthanen zu Sclaven werden, oder sich selbst zu 66
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(Drittes Buch.) 798 Pflichten und Rechte einer Provinz des Eroberers machen läst. Es würden also allemal eine vollkommne Schadloshal tung und völlige Sicherheit vor künftigen ähnlichen Jnjurien, die von unpartheyischen Schiedsrichtern für nöthig erkant wird, ohne so grausame Mittel von dem Sieger erhalten werden können. Aus dieser Betrachtung erhellet klar wie grausam und unmenschlich es ist, die Unterthanen eines Staats und ihre Nachkommen wegen eines unge rechten Krieges in den sich ihre Regenten eingelas sen haben, durchgängig zu Sclaven zu machen. (Womit man oft die jenigen die in einen un gerechten Kriege ge dient haben entschuldi gen kan.) Diejenigen die entweder als gemeine Solda ten oder Officire vom untersten Range in einem ungerechten Kriege die Waffen geführt haben, sind allemal was die Ungerechtigkeit ihrer Sache betrift, unüberwindlich unwissend. Jn vielen Staaten werden sie mit Gewalt angeworben. Geschieht es mit ihren freyen Willen so liegt bey ihnen gemeinig lich die Meinung zum Grunde, daß sie nur in ge rechten Angelegenheiten werden gebraucht werden. Und wenn sie einmal angeworben sind, so ist es ein Verbrechen das mit dem Tode bestraft wird, wenn sie ihren Obern nicht gehorchen. Befinden sich die Umstände so, so ist es schon barbarisch, wenn man nur daran denkt solche Gefangnen zu bestrafen. Wir haben ein Recht uns selbst zu vertheidigen, jedes Recht, des uns gebührt und dem sie sich wi dersetzen, mit Gewalt zu behaupten, und so lange sie uns widerstehen hierzu alle mögliche Gewaltthä tigkeiten anzuwenden. So bald sie aber gefangen sind, und uns nicht mehr schaden können, müssen
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der Herren und Bedienten. 799(Dritter Abschnitt.) wir daran denken, daß sie unschuldig sind, daß selbst diejenigen, denen die Ungerechtigkeit ihrer Sa che bekant gewesen ist, die also dadurch daß sie die Waffen wider uns geführt, ein wirkliches Verbre chen begangen haben, dazu durch die stärkste Ver suchung gebracht worden sind, weil sie des Todes gewesen wären, so bald sie dem Befehl ihrer Obern nicht gehorcht hätten. Wir müssen das auf allen Seiten veränderliche Kriegsglück betrachten, und uns vorstellen, daß die Strenge die wir anwenden unfehlbar unsre Feinde bewegen wird, den recht schaffensten und edelsten unsrer Unterthanen auf eben eine solche Art zu begegnen: daß eine solche Aufführung von den ungerechten Siegern sowohl als von den gerechten nachgeahmt werden wird. Es ist unstreitig erlaubt solche Gefangnen bey sich zu behalten, sie auf gewisse Zeiten zu erträglichen Arbeiten zu verbinden, um dadurch unsre Kraft zu vermehren und die Kraft des Feindes zu schwächen, bis wir billige Friedensvorschläge erhalten haben. Oder wir können sie verbinden, sich als Unterthanen in unserm Staate wieder<nieder> zu lassen. Jede härtere Begegnung scheint so wohl wider die Menschlich keit, als die Achtung, die wir für das gemeine Beste behalten müssen, zu streiten. V. Dies scheinen mir die allgemeinen Regeln(Einige ausserordent liche Fälle.) oder Gesetze der Natur in Ansehung der Gefange nen zu seyn. Es können sich vielleicht einige be sondere Fälle ereignen, oder einige Entschuldigun gen wegen der Nothwendigkeit finden, die im Stande sind gewisse ausserordentliche Schritte, wel
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(Drittes Buch.) 800 Pflichten und Rechte che die gewöhnlichen Regeln überschreiten, zu recht fertigen. Wenn es kein ander Mittel giebt einen barbarischen Feind zu verhindern oder abzuschrecken, daß er unsern Nebenbürgern, die in seine Hände ge fallen sind, nicht aufs grausamste begegnet, als wenn wir uns gegen unsre Gefangnen gleicher Grau samkeit bedienen; wenn wir vieles Blutvergiessen unter unsern Mitbürgern verhindern, einen unge rechten Feind demüthigen, oder ihn von seinen grau samen Absichten abschrecken können, wenn wir gegen Gefangne, an deren Sicherheit dem Feinde viel ge legen ist, einige Grausamkeiten ausüben und darin fortsahren<fortfahren> bis wir ihn zu billigen Friedensvorschlägen gezwungen haben; wenn wir durch den Krieg, wo zu uns der Feind durch seine Beleidigungen den ge zwungen hat, so geschwächt sind, daß wir unsre Freyheit nicht behaupten können, wenn wir nicht unsre Stärke auf Kosten des angreifenden Staats um ein merkliches vermehren, welches durch die Arbeit ihrer Gefangenen oder eine erzwungene Ver setzung derselben in unsre Lande geschehen kan: so kan in solchen Fällen, wenn sanftere Mittel keine Wirkung haben würden, eine so strenge Aufführung gerechtfertiget werden. (Jndessen bleibt die erbliche Sclaverry<Sclaverey> allemal un gerecht.) Ohne eine solche offenbare Nothwendigkeit aber ist es allemal äusserst unmenschlich und grau sam, Gefangene besonders Weiber und Kinder in einer ewigen Gefangenschaft zu behalten. Denn wie wir schon vorher* gezeigt haben, müssen die Kinder derjenigen die man mit Rechte zu Sclaven 67
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der Herren und Bedienten. 801(Dritter Abschnitt.) gemacht hat, allemal als Freygebohrne angesehn werden, oder vielleicht nur das Personen die ver bunden sind, das was ihr Unterhalt gekostet hat zu ersetzen. „Hätten, sagen einige Schriftsteller, die Ueberwinder sich des Kriegsrechts bedient und die Eltern getödtet, so würden die Kinder niemals ge boren worden seyn, sie sind also ihr Leben und Al les dem Ueberwinder schuldig.“ Aber dies beweist Nichts. Die Ueberwinder haben kein Recht ihre Ge fangenen bey kalten Blute umzubringen. Wenn sie auch dieselben ungestraft hätten umbringen kön nen; so giebt die Unterlassung einer solchen Bos heit ihnen kein Recht auf derselben oder ihrer Kinder Dienstbarkeit. Auf diese Weise wäre jeder verbun den der Sclave eines mächtigen Seeräubers oder eines Räubers zu werden der ihm das Leben geschenkt hätte; und er müste der Leibeigne jedes grosmüti gen Mannes seyn, der ihn von einer Gefahr be freyet hätte. So können Fürsten ihr Leben, Gebähr müttern, Aerzten, oder Wundärzten schuldig seyn, die sie hätten ermorden können, ohne deswegen eine Strafe zu befürchten. Sind sie deswegen mit al len ihren Nachkommen Sclaven? Gesetzt auch man hätte die Eltern mit Recht tödten können, so kom men doch ihre Kinder unschuldig an die Welt. Sie sind vernünftige Wesen mit uns von einerley Ge schlechte. Gott hat ihren Leib und ihre Seele hervorgebracht. Sie bestehn mit uns und unsern Kindern aus einerley Theilen, und sind mit gleichen Kräften begabt. Sie gerathen sehr früh für ihren Unterhalt in Schulden, so bald aber diese Schuld
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(Drittes Buch.) 802 Pflichten und Rechte durch ihre Arbeiten bezahlt werden kan, oder ein gros müthiger Freund sich erbietet sie in ihren Namen zu tilgen, so bald sind sie eben so frey als irgend ein anderer vom menschlichen Geschlechte. VI. Derjenige also, der einen andern mit Gewalt in der Sclaverey behält, ist allemal ver bunden sein Recht zu beweisen. Der Sclave, wel cher verkauft, oder in ein fremdes Land gesetzet wird, ist nicht verbunden zu beweisen, daß er seine Frey heit niemals verwirkt hat; sondern derjenige der ihn mit Gewalt in seinem Besitze behält, ist in allen Fällen verbunden sein Recht zu beweisen, beson ders wenn der alte Eigenthümer bekant ist. Jn diesem Falle ist jeder Mensch der ursprüngliche Ei genthümer seiner eigenen Freyheit, und der Be weis daß er ihrer verlustig geworden ist, mus dem jenigen obliegen der ihn derselben mit Gewalt be rauben will. Die jüdischen Gesetze sahen sehr auf die Gerechtigkeit in Ansehung der Dienstbarkeit der Hebräer. Diese fand nicht anders als nach einer vorhergegangenen Einwilligung, einem Verbrechen oder einem verursachten Schaden Statt; und auch alsdenn war es ihnen erlaubt ihre Herren wegen einer grausamen Begegnung zur Rechenschaft zu fodern. Auch war die Dienstbarkeit nur auf eine gewisse Zeit festgesetzt; wenn sich nach geschehener Unter suchung der Sclave nicht geneigt bezeigte, sie zu ver längern. Die Gesetze in Ansehung der fremden Sclaven, enthielten ebenfalls viel menschliche Fürsor ge gegen die ungemässigte Strenge ihrer Herren. Bey Christen aber ist jeder verbunden, die Gelindigkeit
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der Herren und Bedienten. 803(Dritter Abschnitt.) die ein Hebräer seinen Landsmanne schuldig war, je dem andern Knechte zu erweisen, weil in Anse hung der Menschlichkeit und Barmherzigkeit sowohl als auch in Ansehung der natürlichen Rechte aller Unterschied der Nationen aufgehoben ist. Viele von denen Rechten die über ausländische Sclaven zugestanden wurden, kan man vielmehr für eben solche gültige Ausnahmen von der Strenge der Gesetze halten, als die Vielweiberey oder die Ehescheidung. Diese verschaffen zwar dem Uebertre ter eine äusserliche Straflosigkeit, sie können aber sein Gewissen keinesweges befriedigen. Die Verbindlichkeit die ein solches Verhält nis, wie das zwischen Herren und Dienern, in seinen verschiedenen Arten, mit sich führt, erhellt sehr deutlich aus seiner Natur, und seinen Ursachen. Der Diener ist verbunden seinem Herren vor dem Angesichte Gottes, dessen Vorsehung ihm ein sol ches Loos bestimt hat, alle Treue und bereitwilli ge Dienste zu leisten; hingegen erfordert es des Herren Pflicht gegen ihn als sein Nebengeschöpf mit Barmherzigkeit und gelinde zu verfahren. Die ses ist zwar in unglücklichen Umständen, hat aber mit ihm gleiche Neigungen, und ist mit ihm gleicher Glückseligkeit, gleiches Elends und gleicher Tu genden fähig. Eben so ist er verbunden ihm seinen Lohn richtig zu bezahlen, und alle andre Versprechen, die er ihm gethan hat, zu halten.
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(Drittes Buch.) 804 Von den Bewegungsgründen

Der vierte Abschnitt, Von den Bewegungsgründen, wodurch die Menschen zu Errichtung einer bürgerli chen Regierung gebracht worden.

(Die bürger liche Gewalt hat ihren Grund in der Unvollkom menheit oder Verderbnis der Men schen.) Wenn alle Menschen vollkommen weise und I.tugendhaft wären, wenn alle die gehöri gen Mittel die allgemeine Glückseligkeit unsers Geschlechts zu befördern, einsähen, und geneigt wä ren, ihnen zu folgen: so würde uns weiter nichts fehlen, und wir würden keiner andern Verpflich tnngen<Verpflichtungen> oder Verbindungen bedürffen, als ihrer eig nen Tugend oder ihrer Weisheit. Die Nothwen digkeit der bürgerlichen Gewalt, entsteht also ent weder aus der Unvollkommenheit oder der Verderb nis der Menschen, oder aus beyden. (Jn welchem Verstande die Menschen von Natur gesellig sind.) Wenn einige alte Schriftsteller von den Menschen als einem Geschlechte reden, das von Natur zur bürgerlichen Gesellschaft geschickt ist,* so verstehen sie darunter nicht, daß sie aus einem natür lichen Triebe sogleich eine politische Vereinigung, oder einen Stand, wo sie der Gewalt bürgerlicher Gesetze unterworfen wären, wünschen würden; wie sie sich aus angebohrnen Trieben, nach dem Ehe stande, oder nach Kindern sehnen, oder im Stande 68
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zu einer politischen Vereinigung. 805(Viertee Abschnitt,) der natürlichen Freyheit einen freyen Umgang mit andern suchen. An und für sich betrachtet, ist es niemanden angenehm, in Ansehung seiner Handlun gen, der Führung anderer unterworffen zu seyn, oder, daß andre eine Gewalt über seine Güter, oder gar über sein Leben besitzen sollten. Die Menschen müssen erst eingesehen haben, daß die Gefahren und Ueb el<Uebel>, womit die Anarchie allemal begleitet ist, weit grösser sind, als alle Unbequemlichkeiten die daraus entstehen, wenn sie mit andern gemeinschaft lich ihre Handlungen der Anordnung gewisser Re genten, oder Versammlungen unterwerffen, die für die gemeine Sicherheit zu sorgen, verbunden sind. Wenn das geschehen ist, so müssen sie unfehlbar an fangen, eine politische Regierung, so wohl ihrer eignen Sicherheit, und ihres eignen Vortheils, als auch des gemeinen Bestens wegen, zu wünschen. Da ferner die Menschen von der Natur mit Ver nunft, Vorsichtigkeit und Klugheit begabt sind, und in dem gegenwärtigen Zustande unsrer Natur eine Art von politischer Vereinigung, von uns für ein unentbehrliches Mittel gehalten werden mus, uns selbst und andern Ruhe und Glückseligkeit zu verschaffen: so müssen wir in dieser Absicht noth wendig ein Verlangen darnach haben. Die Natur hat uns auch mit hinlänglichen Kräften, und dem ge hörigen Verstande versehen, alle politische Aemter zu verwalten. Es ist den Menschen ebenfalls natürlich vor zügliche an andern wahrgenommene Eigenschaften, als Herzhaftigkeit, Weisheit, Menschlichkeit, Ge
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(Drittes Buch.) 806 Von den Bewegungsgründen rechtigkeit, und einen patriotischen Eifer hoch zu ach ten und zu bew undern<bewundern>. Sie setzen von Natur auf Leute, die solche Neigungen besitzen, ein Vertrauen, und lie ben sie. Sie sind geneigt, ihre wichtigsten Ange legenheiten ihrer Vesorgung zu überlassen, und alle mal eifrig sie zu ansehnlichen Aemtern oder der Gewalt, die gemeinen Angelegenheiten der Ge sellschaft zu besorgen, zu befördern. (Die von der Anarchie unzertrenn lichen Uebel würden ent weder aus der Schwach heit oder den Lastern der Menschen entstehen.) II. Die Uebel, die bey einer Anarchie zu fürch ten wären, entstehen ganz natürlich, theils aus der Schwachheit der Menschen, selbst bey denenjenigen, die keine ungerechten Absichten hegen; theils aber auch aus den ungerechten und lasterhaften Neigun gen, die bey vielen Menschen entstehen können. Man behauptet mit Unrechte, daß blos die Bos heit der Menschen ein bürgerliches Regiment noth wendig machte. Auch die Schwachheiten solcher Personen, die im Ganzen gerecht und tugendhaft sind, können es erfordern. (Streite die aus den ver schiedenen Begriffen vom Rechte entstehen können.) 1. Rechtschafne Leute können bey vielen Gele genheiten über das, was recht ist, uneinig seyn. Leute die keine ungerechten Absichten hegen, die sich fest vorgesetzt haben, bey allen Vorfällen gerecht zu ver fahren, können sich dem ohngeachtet sehr oft irren. Sie können durch den geheimen Einflus des Ei gennutzes hintergangen werden. Sie können an dre, daß sie sich mit den erwählten Schiedsrichtern verstünden, im Verdacht haben, und also aus Ver trauen auf ihre Stärke, sich den Ausfprüchen<Aussprüchen> der selben nicht unterwerfen, sondern auf alle Gefahr zu Gewaltthätigkeiten schreiten.
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zu einer politischen Vereinigung. 807(Vierter Abschnitt.) Ferner können Leute von ungewöhnlichem Verstande auf gewisse Dinge fallen, die dem ge(Weise Re genten sind besser im Stande das Wohl aller zu beför dern.) meinen Besten ausserordentlich zuträglich sind; sie sind aber nicht im Stande, die Einfältigern, oder diejenigen, die durch die Ausführung solcher Ab sichten etwas leiden, wegen ihrer Schwach heit oder des Argwohns, daß der Erfinder arglisti ge und schädliche Absichten hege, davon zu über führen. Es ist bekannt genug, wie schwer es hält, ehe man den Pöbel von seinen alten Gewohnheiten abbringen, und bewegen kan, neue Erfindungen, die beym Ackerbaue oder in den mechanischen Kün sten von viel grösserm Nutzen sind, anzunehmen. Wie viel würde es also nicht schwerer seyn, sie zur Einwilligung in grosse und edlere Absichten, die ei nen entfernten Nutzen ganzer Völker zum Grunde haben, aber viel gegenwärtige Arbeit und Kosten verursachen, zu bewegen. Da es in unserm Ge schlechte Leute von erhabnerm Genie, von durchdrin genderm Verstande, und edlern allgemeinen Absich ten giebt, so weist uns die Natur auf dieselben, als auf Männer, die geschickt sind, die HaudlungenHandlungen der Menge, so, wie das gemeine Beste es erfordert, zu regieren; wenn sie hinlängliche Sicherheit ver schaft haben, daß sie sich der Gewalt, die man ihnen anvertraut, mit aller Treue bedienen wollen. 2) Aber die Verderbnis des menschlichen(Die Gefah ren die aus den Lastern der Menschen entstehen, machen ein bürgerliches Regiment nothwendig.) Geschlechts, macht ein bürgerliches Regiment noch viel nothwendiger. Da viele geitzig und ehrbe gierig sind, oder ungerecht verfahren, und andre zu unterdrucken suchen, wenn sie die Gewalt in Hän
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(Drittes Buch.) 808 Von den Bewegungsgründen den haben: da sie oft mehr durch die Hofnung ei nes nahen Gewinstes zu einer Jnjurie bewogen, als durch die Aussicht von entferntern Uebeln, die für sie selbst daraus entstehen können, davon abgeschreckt werden: so mus wider die bösen Gesinnungen sol cher Leute ein bequemes Mittel gesucht werden. Ein Mittel, das gleich gegenwärtig und empfind lich ist: und keines kan diese Wirkung besser hervor bringen, als das bürgerliche Regiment, das mit hinlänglicher Stärke versehen ist, die Gerechtigkeit zu handhaben, und die Ungerechten mit gleich gegenwärtigen Strafen zu belegen. Wenn auch der gröste Theil, ja sogar alle einzelne Personen ei ner solchen Versammlung ungerecht nnd<und> verderbt sind, so werden doch solche Männer zusammen ge nommen, nur selten ungerechte Gesetze geben. Alle Menschen haben eine Empfindung von dem, was recht oder unrecht ist, und einen natürlichen Ab scheu vor der Ungerechtigkeit. Jch kan vielleicht meines Vergnügens wegen, oder auf Antrieb einer Leidenschaft, meiner eignen Empfindung von der Gerechtigkeit zuwider handeln; ich werde aber von andern, die nichts dabey gewinnen, einer solchen Ungerechtigkeit wegen verabscheut werden. Eben so, kan ein andrer seines Vortheils wegen unge recht verfahren; aber ich, und alle übrigen, werden ihn deswegen hassen. So werden alle beschaffen seyn, und sie würden also selten einig werden kön nen, ungerechte Gesetze zu geben, wenn auch gleich jede Person für sich genommen, nicht so strenge Grundsätze hätte, daß sie der Gerechtigkeit, wenn sie mit ihren eignen Vortheilen oder einer ihrer Lei
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zu einer politischen Vereinigung. 809(Vierter Abschnitt.) denschaften nicht bestehen könnten, getreu bleiben würde. Jeder kan ferner befürchten, daß die Un gerechtigkeit eines andern ihm selbst mit zur Gefahr gereichen möchte, oder wenn er geneigt ist, seinem Nachbar unrecht zu thun, so mus er den gemein schaftlichen Unwillen der Anderen besorgen. Eine Versammlung von vielen wird also niemals irgend einem ihrer Glieder erlauben, mit andern von ihren Gliedern ungerecht zu verfahren, und keine offen bare Ungerechtigkeit gegen eines derselben, wird durch das öffentliche Ansehn bestätiget werden. Ausge nommen, wenn die ganze Gewalt einer einzigen Person übertragen ist, die es sich vielleicht erlauben kan, ihren Unterthanen ungerecht zu begegnen; oder wenn nur wenige Theil daran haben, die sich also für sich selbst zu einer, von dem Volke abgesonder ten Gemeinschaft verbinden, das Volk vorsetzlich nnterdrücken<unterdrücken>, und nur unter sich selbst eine genaue Gerechtigkeit beobachten können. Es ist wahr, daß sich auch in der Anarchie(Jn der Anarchie findet keine solche Si cherheit statt.) eben der natürliche Abscheu vor der Ungerechtigkeit, auch selbst bey bösen Leuten finden mus, wenn sie nichts dabey gewinnen, ja, sie sind zuweilen eben so geneigt als die Tugendhaften dem Beleidigten beyzu stehen. Aber wegen der menschlichen Schwachheiten können alle gefährliche Unternehmnngen<Unternehmungen>, wodurch wir auf eine gewaltsame Art, entweder unser Recht zu erlangen, oder eine Jnjurie abzutreiben suchen, ohne eine kluge Regierung, oder der Vereinigung des Willens aller derer, die daran Theil haben, selten glücklich ausschlagen. Viele rechtschafne Leute we
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(Drittes Buch.) 810 Von den Bewegungsgründen gern<weigern> sich vielleicht aus Feigheit bey solchen gefährli chen Vorfällen ihnen Beystand zu leisten. Andre sind vielleicht wegen der klügsten Mittel, verschiedner Meynung, und viele können sich auch aus Eigensinn, Hochmuth, oder Misverstand aufs hartnäckigste, wi der die von andern, vorgeschlagnen Mittel setzen. Weise Leute, die solche Gefahren wohl überdacht haben, und selbst darinnen gewesen sind, haben vielleicht eine grosse Menge zuerst beredt, sich das einzige Mittel, das dafür da ist, gefallen zu lassen. Dies besteht darinn, daß man Männer von bekanter Weisheit und Gerechtigkeit zu Schiedsrichtern in allen Streitigkeiten, und zu Anordnern aller Maas regeln, die zur Sicherheit und Glückseligkeit des Ganzen nothwendig sind, einsezt. Diese müssen mit hinlänglicher Gewalt versehen werden, daß sie die Widerspänstigen zwingen können, sich ihren Verordnungen oder Aussprüchen zu unterwerffen, und dies mus dadurch geschehen, daß alle sich ver bindlich machen, ihre eigene Stärke nach ihren Ver ordnungen anzuwenden. (Schlechte Entwürfe ei ner Regie rnngsform<Regierungsform> sind gefähr lich.) III. Es müssen unstreitig die gefährlichsten Folgen entstehen, wenn die Gewalt in übeln Hän den ist, und gewisse Regierungsformen zu übereilt und ohne Ueberlegung eingeführt werden. Den noch ist die unvollkommenste Art einer solchen Re gierung in Ansehung unzähliger Vortheile der Anarchie vorzuziehen. Wie vortreflich muß also eine weise Einrichtung derselben seyn? Die allge meine Glückseligkeit mus viel mächtiger befördert, und die Gerechtigkeit weit besser gehandhabet wer
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zu einer politischen Vereinigung. 811(Vierter Abschnitt.) den, wenn beyde sich in den Händen weiser und un parteyischer Männer besinden<befinden>, die die Gewalt ha ben, die Widerspänstigen zu Befolgung ihrer Aus sprüche zu zwingen, als wenn alle Menschen der Tu gendhafte oder Böse, der Weisen oder Thörichte, jeder seinem besondern Einfall folgte. Bey allen Regierungsformen wird auch die ausdrückliche Be dingung von ihren Urhebern vorausgesezt, daß nur die Weisen und Gerechten, Theil an der Gewalt haben sollen; obgleich die Vorsichtigkeit, die man deswegen anwendet, niemals hinlänglich ist. Wird aber diese Absicht erhalten, so kan an der grösten weltlichen Glückseligkeit, die nur durch menschliche Mittel zu erlangen steht, nichts fehlen; das Volk wird weis lich vor allen Gefahren, die ihm von aussen gedro het werden, in Sicherheit gesezt; unter ihm selbst werden alle gegenseitige Jnjurien verhindert; die Gerechtigkeit wird mit Klugheit gehandhabt, und alle Künste, die nur im Stande sind, das Leben zu bessern, werden getrieben werden. Alle Stände, die Schwachen und Einfältigen so gut als die Wei sen, die eigennützigen sowohl als die grosmüthigen werden geneigt gemacht oder gezwungen werden, das ihrige zu dem gemeinen Besten beyzutragen. Weise Gesetze werden die Sitten, und selbst die Herzen einer Nation bessern, und sie zur Tugend ge neigt machen. Wie wenig diese Absichten in der erträglichsten Art der Anarchie, die wir uns nur einbilden mögen, erreicht werden können, müs sen wir gleich beym ersten Anblicke einsehn. Wir müssen uns aber hier nicht, wie viele(Eine böse Regierung kan so gefähr lich als die Anarchie) gethan haben, übereilen und schliessen, daß die böse
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(Drittes Buch.) 812 Von den Bewegungsgründen ste Regierungsart der besten Art der Anarchie vor (seyn. Dies ist aber kein Vorwurf für das bürgerli che Regi ment.) zuziehen sey. Es ist nicht zu leugnen, daß es bey den ärgsten Regimenten allemal einige gute Gesetze giebt, daß die Gerechtigkeit in vielen Fällen woran die Regenten oder ihre Lieblinge keinen Theil neh men, vernünftig gehandhabt, und oft der Staat vor fremden feindlichen Anfällen, vermöge der vereinig ten Stärke und Klugheit, geschützt wird, welches alles Vortheile sind, die man freylich in der schlech testen Art der Anarchie nicht erreichen kan. Aber in einer Anarchie, wo die Sitten noch nicht durch Ruhe, Reichthum und Ueppigkeit verderbt wären, könte viel Glückseligkeit, Einfalt und Unschuld der Sitten, viel Eifer zur gemeinschaftlichen Verthei digung, zur Beobachtung der Gerechtigkeit unter einander, und selbst ein ziemlicher Flor der Künste Statt finden. Da hingegen in schlecht eingerichte ten Regierungsformen die grosse Gewalt, die andern des gemeinen Bestens wegen übertragen wird, zur durchgängigen Unterdrückung des Volks, zu Räu bereyen und ungerechter Gewalt, und Unterdrü ckung alles dessen, was in den Herzen und Cha raetern<Charactern> der Unterthanen nur frey und edel ist, ange wendet werden kan. Es ist zu unsrer Absicht schon hinlänglich, wenn wir nur behaupten können, daß alle Vortheile, die man in einer Anarchie wünschen oder erhalten können würde, weit besser und sicherer durch ein wohl eingerichtetes bürgerliches Regiment erreicht werden. Daß verderbte Regierungsfor men grosses Unheil verursachen können, ist nicht ein gegründeter Einwurf wider alle bürgerliche Ver fassungen überhaupt, sondern vielmehr eine Anprei
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zu einer politischen Vereinigung. 813(Vierter Abschnitt.) sung derselben; weil die besten Dinge, wenn sie ver derbt worden sind, schädlich werden können. Vernünftige Leute müssen also ihren Verstand damit beschäftigen, daß sie die besten Arten der bür gerlichen Regierung zu erfinden suchen, oder die schon eingeführten so verbessern, daß sie dadurch geschickt werden, ihren Endzweck hervorzubringen: und nicht, das Mittel, das zur Erlangung des ge meinen Bestens am bequemsten ist, verwerffen, weil es durch die Thorheit der Menschen in ein Werkzeug des Verderbens verkehrt werden kan. Die Men schen haben seit beträchtlichen Zeiten nicht mehr in der Anarchie gelebt. Diejenigen, die sie vor Alters versucht haben, haben sie vielleicht, so lange die Ein falt der Sitten fortdauerte, erträglich gefunden. So bald aber die durchgängige Verderbnis über hand nahm, fanden sie, daß es nöthig war, ein bür gerliches Regiment einzuführen. Wenn dieses auch auf die schlechteste Art eingerichtet ist: so kömt es dennoch allemal unzähligen Uebeln zuvor, und ist allezeit bequem, die Gerechtigkeit zu handhaben, und ein Volk zu beschützen. Solche Beyspiele, wo das bürgerliche Regiment nützlich ist, werden viel öfter gefunden, als diejenigen, die von seinen Mis bräuchen zeugen; daß es also schwer seyn würde, zu beweisen, daß die unvollkomnen und thörichten Re gierungsformen, die schon in der Welt eingeführt ge wesen sind, viel mehr Böses als Gutes verursacht, oder grössere Uebel nach sich gezogen haben, als aus ei ner so langen Dauer der Anarchie entstanden seyn würden.
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(Drittes Buch.) 814 Von den Bewegungsgründen Der innerliche natürliche Werth des bürger (Ursachen, warum sich so viele in diesem Pun cte irren.) lichen Regiments wird oft nicht beobachtet. Wir werden nur sehr schwach von den Vortheilen ge rührt, die wir dadurch in der allgememen Beschü tzung, und der Handhabung der Gerechtigkeit erhal ten. Dies setzen wir vielmehr als etwas bekantes schon voraus. Aber die geringste Umkehrung oder Beleidigung desselben, vermittelst grausamer oder tyrannischer Handlungen rührt uns aufs äusserste, und wir erinnern uns derselben sehr lange mit Un willen. Eben so wie viele in dem Lauffe der Na tur oder der allgemeinen Beschaffenheit des mensch lichen Geschlechts es für ein grosses Uebel halten, wenn sie, vermöge ihres angebornen Mitleidens durch die verschiedenen Unglücksfälle, welche die Menschen oft befallen, gerührt werden; indem sie den beständig anhaltenden, und von jeden schon er warteten Lauf von Freuden und Segen, womit das menschliche Geschlecht beseligt ist, nicht wahrnehmen. Dies aber darf dennoch die Menschen nicht abhalten, wenn sich eine Gelegenheit und Hofnung zum glück chen Erfolge zeigt, selbst durch solche gewaltsame Mit tel, die auf eine Zeitlang eine Anarchie verursachen können, die Besserung verderbter Regierungsformen zu erhalten zu suchen; wenn diese nothwendig sind, eine gänzliche Umkehrung der Absichten, die bey einem bürgerlichen Regimente allemal zum Grunde liegen, zu verhüten, und so grosse Vortheile hervorbringen können, daß alle Uebel, die auf eine kurze Zeit durch die gewaltsame Veränderung entstehen, dadurch überwogen werden.
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zu einer politischen Vereinigung. 815(Vierter Abschnitt.) IV. Die Menschen haben ein bürgerliches Re giment hauptsächlich eingeführt, „um Sicherheit(Welche Art von Vereini gung in ei nem Staate nothwendig ist.) vor den Jnjurien, die die Menschen von einander selbst zu fürchten haben, zu erhalten, und das gemei ne Beste durch die vereinigten Kräfte einer grossen Menge desto besser zu befördern.“ Diese Endzwe cke können nicht erhalten werden, wenn nicht eine grosse Anzahl Menschen entweder zu einer Ueberein stimmung in ihren innerlichen Grundsätzen und Mei nungen gebracht, oder wenn dies unmöglich ist, ge nöthigt wird, wenigstens also zu handeln, als wenn alle so übereinstimmten: denn sonst kan die Stärke des ganzen Körpers nicht zu den angeführten Absich ten angewendet werden. Die letzte Art von Ueberein stimmung oder Vereinigung kan erhalten werden, wenn „viele Menschen sich anheischig machen, ihre Handlungen und Stärke von einer Person, oder einer Versamlung so lenken zu lassen, als das gemei ne Beste es erfordert, oder es nöthig ist, um alle die, so vielleicht in Zukunft sich dieser Person oder Ver samlung ungehorsam bezeigen möchten, mit Gewalt zum Gehorsam zu bringen.“ Wenn sich dem nach eine grosse Zahl von Menschen unter einerley Regimente vereinigt haben, so machen sie einen po litischen Körper aus, wo es ausgemacht ist, daß der Wille der regierenden Person oder Versamlung, was die äusserliche Wirkung anbetrift, der Wille des Ganzen seyn soll. Der natürliche Endzweck und die einzige Bestim(Der einzige Endzweck des bürgerlichen Regiments. Dieser steht der despol<t>i) mung jedes bürgerlichen Regimens ist, wie alle ein sehn, die nur noch eine Empfindung von ihrer Hoheit
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(Drittes Buch.) 816 Von den Bewegungsgründen haben, in so ferne sie vernünftige Geschöpfe sind, (schen Gewalt gerade ent gegen.) die allgemeine Glückseligkeit des ganzen Körpers, worinne die Regenten selbst als ein Theil mit ein geschlossen sind, und dieser Theil ist nach dem Maasse ihrer Geschicklichkeit, oder ihres Eifers das gemei ne Beste zu befördern mehr oder wenig wichtig. Ein bürgerliches Regiment ist von der despoti schen Gewalt eines Herren wesentlich unterschie den, weil man unter der letzten eine Gewalt ver steht die zum Vortheile des Regenten eingeführt ist. Despotisch, und bürgerlich oder politisch sind sich widersprechende Ausdrücke. (Keine bür gerliche Ge walt ist rechtmäßig, wenn sie nicht auf das Beste des Staats abzielet.) Ein Regente kan sich nnr<nur> derjenigen Gewalt mit Recht anmassen, die zu der Glückseligkeit des ganzen vereinigten Cörpers nothwendig ist, oder wenigstens doch dahin leitet. Alle andre ist ungerecht, unter welchen Vorwande sich auch einer dieselbe zu eignen mag, weil es aus den allgemeinen Grund sätzen der Moral erhellet, daß das Vergnügen oder der Nutzen einer oder weniger Personen allemal dem allgemeinen Vortheile grosser Mengen von Men schen untergeordnet bleiben mus. Alle Contracte und Bewilligungen die irgend jemanden eine unnü tze oder ungerechte Gewalt mittheilen sind ungültig, weil sie sich auf einen Jrrthum in Ansehung der zu gestandnen Sache und ihrer Folgen gründen. Der Unterthan kan sich zu Nichts verbinden als eine solche Gewalt mitzutheilen, die als dem ganzen Staatskörper nützlich erkant wird, und der Regen te kan keine andre verlangen. Von noch andern Ansprüchen auf eine gewisse Gewalt wollen wir ins künftige handeln.
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zu einer politischen Vereinigung. 817(Vierter Abschnitt.) V. Wie sehr auch die Menschen eine vollkom ne Freyheit lieben, wie viel Unbequemlichkeiten sie(Es giebt allemal bil lige Ursa chen, die uns eher zu einer bür gerlichen Vereinigung als einer Anarchie be wegen kön nen.) auch als Folgen der Einführung eines bürgerlichen Regiments vorhersehen mögen: so können sie dennoch hinreichende Gründe haben, sich einem erträglich einge richteten Regimente zu unterwerffen. Einige Schrift steller machen eine unnatürliche Beschreibung von den Lasten die den Menschen in einem politischen Staate aufgelegt werden. Sie stellen nur die zu fälligen Gefahren vor, denen die Menschen oft unter einer bürgerlichen Regierung blos gestellet sind, als wenn dieses nothwendige einem solchen Zustande al lemal anklebende Uebel wären. Sie überlegen aber nicht daß die Menschen eben diesen Uebeln in einem bürgerlichen Regimente weniger blos ge stellt sind, als sie in seiner Anarchie seyn würden.* Um aber dennoch die Menschen zu Erduldung solcher Unbequemlichkeiten zu bewegen, vergrössern sie die Uebel der Anarchie so sehr, als ihnen möglich ist, und über alle Wahrheit. Jn einer weltlichen Regie rung, sagen sie, haben die Regenten ein Recht über Leben und Tod bey denenjenigen die sie für gewisser Verbrechen schuldig halten. Aber in einem Stan de der natürlichen Freyheit wird sich jeder Neben mensch eine solche Gewalt über uns anmassen, und es ist wahrscheinlich, daß vor dem bürgerlichen Richtstuhle unsre Sache besser untersucht, auch ge rechter mit uns verfahren werden wird. Die Obrigkeit eignet sich noch ein andres Recht über un 69
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(Drittes Buch.) 818 Von den Bewegungsgründen ser Leben zu, nämlich das Recht die Menschen, zu den gefährlichsten Diensten zu zwingen, wenn es zur Vertheidigung des Ganzen nöthig ist. Aber solchen Gefahren würden wir uns in einer Anarchie eben so oft, entweder allein, oder mit freywilligen Gehülfen aussetzen müssen, die wir bewogen hätten, uns zu unsrer Vertheidigung beyzustehn. Die Obrig keit behauptet ein Recht über unsre Güter, sie eignet sich einen Theil derselben durch Tribute, zum Vortheile des ganzen Staatskörpers zu. Alsdenn aber be dient sich eine weise Obrigkeit solcher Abgaben, das Eigenthum des Ganzen zu vermehren, oder zu be haupten. Jn einer Anarchie würde jeder verbun den seyn, in eben dieser Absicht weit grössere Sum men aufzuwenden, ohne so viel Hofnung auf einen glücklichen Erfolg zu haben. Wenn in einer bürgerlichen Verfassung jeder verbunden ist, viele kostbare und mühsame Pflichten zum Besten des Ganzen oder einzelner Nebenbür ger auszuüben: so geniest er auch alle Vortheile mit, die aus ähnlichen Diensten, wozu andre ver bunden sind, entstehn. Eine nur erträgliche Art vom bürgerlichen Regimente mus also alle anlo cken; alle müssen sie sowohl in Absicht auf ih ren eignen Nutzen, als aus grosmüthigern Ur sachen wählen; weil es klar ist, daß ein vorzüg lich weiser und tugendhafter Mann, oder eine Ver samlung von wenigen, von eben solchen Chara ctern, wenn sie die Aufführung eines grossen Hau fens von Menschen anordnen, das gemeinschaftli che Beste Aller weit besser befördern können, als
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zu einer politischen Vereinigung. 819(Vierter Abschnitt.) eben diese Anzahl von Menschen zu thun im Stan de wäre, wenn jeder seinen verschiedenen Maasre geln folgte. Die lebhafte Vorstellung aller dieser Bewegungsgründe hat vielleicht die Menschen be wogen, sich zu grossen Haufen in gewisse Körper zu vereinigen, und von weisen Männern regie ren zu lassen. VI. Die Meinung vieler scharfsinnigen Män(Es ist we nig daran ge legen, ob wir die Asichten, wissen, die die Menschen zuerst bewo gen haben sich zu verei nigen.) ner, „daß nämlich die ersten politischen Vereini gungen aus den ungerechtesten Absichten entstan den wären, daß sich böse Leute zuerst vereinigt und Städte gebauet hätten, um ihre Nachbarn zu unterdrücken und zu plündern,“ steht dieser Lehre im geringsten nicht im Wege. Gesezt dies wäre wahr, da es doch selbst in Ansehung der allerersten Staaten, und also noch viel weniger von denenje nigen, die in den nachfolgenden Zeiten eingeführt worden sind, zu erweisen ist; so beweist es weiter nichts, als das böse Leute zuerst auf diese Erfindung gefallen sind, oder zuerst entdeckt haben, daß eine politische Vereinigung von grossem Nutzen zur Sicherheit und Erhaltung einer grossen Versam lung, und zum Wachsthume aller ihrer Vortheile sey. Vielleicht hat die Furcht, worinn solche Leu te beständig vor der gerechten Rache ihrer beleidig ten Nebenmenschen haben leben müssen, ihnen Ge legenheit zu dieser Erfindung gegeben. Da hin gegen tugendhafte Leute, die mit Rechte nichts zu besorgen gehabt haben, vielleicht nicht so bald auf Erfindungen in der Kunst sich zu vertheidigen ge fallen seyn möchten. So bald aber nur einige
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(Drittes Buch.) 820 Von den Bewegungsgründen politische Vereinigungen zu Stande geöracht gewe sen sind, haben alle abgesonderte Familien in den angränzenden Ländern die Nothwendigkeit einer gleichen Verbindung, aus den schon angeführten Ursachen sogleich einsehen müssen. (Die Men schen sind gleich An fangs nicht mit Gewalt, sondern durch ver nünftige Be wegungs gründe zu solchen Verei nigungen ge bracht wor den.) Es ist sehr unglaublich, wenn man behaupten will, daß die Menschen gleich mit Gewalt gezwun gen worden, sich einem bürgerlichen Regimente zu unterwerfen; weil man von keinem Menschen glau ben kan, daß er Stärke oder Gewalt genug gehabt habe, eine beträchtliche Menge von Menschen zu einer solchen Unterwerfung zu bringen; hat er aber sich dazu des Beystandes von andern bedient: so müssen diese schon vorher seiner Gewalt unterwor fen gewesen seyn. Es mussen also schon politische Vereinigungen da gewesen seyn, ehe man sich einer beträchtlichen Gewalt bedienen können, die Men schen zu einer Unterwürfigkeit zu zwingen. Es ist wahr, wir sinden<finden>, daß in sehr alten Zeiten die Häu pter gewisser Familien ein grosses Gefolge von Hausgenossen verschiedener Art bey sich geführt ha ben. Wir müssen aber in der gegenwärtigen An gelegenheit nicht auf die Namen, sondern auf die wirkliche Gewalt sehen. Solche Häupter der Fa milien haben die Gewalt gehabt, welche jezt die bür gerlichen Regenten besitzen, und die Menschen sind durch die schon angeführten Ursachen bewogen wor den, sich in den Schutz ihrer Familien oder kleinen Staaten zu begeben. Um uns vieler Strei tigkeiten, die zu unsrer gegenwärtigen Absicht unnö thig sind, zu überheben, wollen wir die weisen und
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zu einer politischen Vereinigung. 821(Vierter Abschnitt.) gerechten Bewegungsgründe untersuchen, wodurch die Menschen haben bewogen werden können, in ein bürgerliches Regiment zu treten. Wir wollen fer ner die Arten, wie dieses billig eingerichtet werden kan, betrachten, und uns nicht in Streitigkeiten über die Geschichte einlassen. Wenn es wahr ist, daß der Anfang vieler Regierungsformen äusserst schändlich und ungerecht gewesen ist, so kan dieses vielleicht den Stolz der elenden Sterblichen etwas demüthigen, die nunmehro eine Gewalt besitzen, welche durch die niederträchtigsten, verächtlichsten Handlungen ihrer Vorfahren, die sich der Schwach heit, Leichtgläubigkeit, der Streitigkeiten, oder des Aberglaubens ihrer Nebenmenschen bedient haben, gegründet ist, deren Einbildungskraft aber dennoch mit Vorstellungen von einer besondern Heiligkeit oder Göttlichkeit ihrer Würde und ihrer Rechte zu herrschen erfüllt ist, und die sich bemühen, andern, die an allen schätzbaren Eigenschaften vielleicht un endlich über sie erhaben sind, gleiche Begriffe bey zubringen.

Der fünfte Abschnitt. Von der natürlichen Methode, ein bürgerli ches Regiment einzurichten, und den wesentlichen Theilen desselben.

I.Der Anfang und Endzweck der bürgerlichen(Die bürger liche Gewalt gründet sich auf eine Ein willigung oder gewisse Verträge.) Gewalt zeigen, daß sie vollkommen von der väterlichen unterschieden ist, obgleich die Gesin nungen einer guten Obrigkeit, da sie beständig für das Wohl der Unterthanen sorgen mus, den Nei
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(Drittes Buch.) 822 Vom Ursprunge der Staaten, gungen der Eltern ziemlich gleich kommen, so daß solche Regenten den ehrenvollen Namen der Väter ihres Volks erhalten. Aber die Gewalt der El tern gründet sich auf eine besondre natürliche Zu neigung, und den Mangel der Vernunft bey ihren Kindern. Sie nimt beständig ab, in dem Maasse, wie die Vernunft der Kinder zunimt, und hört gänzlich auf, wenn sie zur Reife gediehen sind. Die bürgerliche Gewalt betrift die Erwachsnen; sie hört nicht auf, und kein Fürst ist der natürliche Vater seines Volks. Blosse Gewaltthätigkeiten oder eine überlegne Stärke können keinem ein Recht verschaffen. Wenn also Gott, vermittelst einer ausdrücklichen Offenbarung nicht gewisse Personen zu Regenten ernannt, und die Grade der Gewalt, die ihnen zustehen soll, (welches doch noch bey keinem Volke geschehen ist), ausdrücklich bestimmt hat: so müssen die Gränzen ihrer Rechte und der Verbind lichkeit der Unterthanen nach den Endzwecken jeder politischen Vereinigung, oder einem ausdrücklichen Contracte festgesezt werden. Handlungen oder Verträge der Menschen sind die einzigen Mittel, eine bürgerliche Gewalt zu gründen oder zu verlängern. Und weil keine vernünftige Wesen, die der Ueberle gung oder einer Aufmerksamkeit auf ihr eignes oder das Beste derjenigen, die sie lieben, fähig sind, glück lich seyn können, wenn ihre wichtigen Rechte nicht hinlänglich gesichert sind, sondern von dem verän derlichen und unverschämten Eigenwillen anderer abhangen, und die allgemeine Glückseligkeit der wichtigste Endzweck aller bürgerlichen Vereini gungen ist, so daß keine Regierungsform gerecht seyn
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 823(Fünfter Abschnitt.) kan, wenn sie nicht auf gewisse Weise darauf ab zielt: so kan kein Regiment, keine eingeführte Ge walt rechtmässig seyn, die sich nicht auf die Einwil ligung des Volks gründet, oder so eingerichtet ist, daß nach einer kurzen Erfahrung alle von Herzen damit zufrieden seyn, und einsehen müssen, daß alle ihre wichtigen Vortheile vollkommen damit beste hen können. Wenn sich gleich viele aus Mangel an Einsicht, aus Leichtsinnigkeit oder aus einen nie dergeschlagenen Mangel an Herzhaftigkeit andre Ar ten von Regierungsformen, wobey diese Sicherheit sich nicht findet, gefallen lassen, so beweist dieses nicht die Rechtmässigkeit einer solchen Gewalt. Denn ich glaube, daß diese alsdenn schon die ärgsten Wirkungen unter den Menschen hervorgebracht ha ben, indem sie den Muth der Unterthanen unterdrü cken, sie zu allen weisen und männlichen Unterneh mungen unfähig machen, und sie der vernünftig sten Vergnügungen des Lebens berauben. II. Die bürgerliche Gewalt wird am natür(Drey zur Gründung eines Staats gehörige Handlun gen.) lichsten durch folgende drey verschiedene Handlun gen der Menschen gegründet: 1) durch einen Con tract oder einen Vertrag der Menschen unter einander, daß sie sich in eine Gesellschaft oder ei nen Körper vereinigen, sich von andern regieren, und ihr Bestes von ihnen besorgen lassen wollen. 2) Durch eine Erklärung oder eine Bestimmung, die das ganze Volk von der Art der Regierungs form und den Personen macht, denen sie anver traut werden soll; und 3) durch eine gegenseitige Verbindung der nunmehr eingesetzten Regenten,
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(Drittes Buch.) 824 Vom Ursprunge der Staaten, und des Volks, vermöge welcher die ersten sich an heischig machen, sich der ihnen verliehenen Gewalt, nur zum gemeinen Besten zu bedienen, und die letz ten einen vollkommenen Gehorsam angeloben. (Eine recht mässige Ge walt setzt al lemal eine vorhergegan gene Hand lung voraus die die Stär ke der drey vorhero an geführten in sich hält.) Ob es gleich nicht wahrscheinlich ist, daß die Menschen bey jeder Einrichtung der verschiedenen Staaten, diese drey besondern Schritte gethan ha ben: so ist es doch klar, daß vor allen mit Recht eingeführten Regimenten, eine Unterhandlung vor hergegangen seyn mus, die die Kraft dieser drey verschiednen Puncte in sich hat. Wenn ein Volk, das entweder vor Jnjurien, die einige aus seinem Mittel ihm erweisen könten, oder vor einer frem den Macht in Furcht steht, durch eine Handlung sich vereinigt, einen weisen, rechtschafnen und tapfern Mann, zu seinem Monarchen zu ernennen, so vereiniget es sich auch, einen gemeinschaft lichen Körper auszumachen, der von ihm regiert werden soll. Er hingegen macht sich, wenn er das Amt annimmt, eben dadurch anheischig, dasselbe so zu verwalten, wie der Endzweck desselben, der, wie alle Theile vorausgesetzt haben, das Beste des Gan zen ist, es erfordert; und das Volk gelobt ausdrück lich an, gehorsam zu seyn. Eben der Fall findet sich bey der Einsetzung eines Senats. Selbst auch bey der Einrichtung einer Demokratie, mus eine Hand lung vorher gehn, die die drey angeführten in sich begreift. Der erste Contract ist offenbar da, so wohl, als die Bestimmung der Regierungsform, da alle sich vereinigen, daß sie dem, was in der Versammlung des Volks, oder durch die meisten
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 825.(Fünfter Abschnitt.) Stimmen beschlossen wird, folgen wollen. Was den dritten Punct betrift, so ist er offen bar schon in den vorigen Handlungen enthal ten, weil alle sich ausdrücklich zu Erhaltung der Ruhe, und zu Beförderung des gemeinen Bestens verbinden. Jeder verbindet sich ins besondere bey den Stimmen, die er in den Versammlnngen<Versammlungen> des Volks zu geben hat, die Sicherheit desselben, und das gemeine Beste zu Rathe zu ziehen, und verspricht also, gut zu regieren. Man setzt auch von jedem voraus, daß er sich den Ausprüchen dieser Versammlung, mit dem grösten Gehorsam unter werffen wolle. Eben diese Handlungen werden entweder ausdrücklich, oder stillschweigend vorgenom men, so oft gewisse Personen, freywillig zu einem schon eingerichteten Staate treten, und zu Bürgern desselben aufgenommen werden. Sie lassen es sich gefallen, sich mit dem Körper des Staats zu verei nigen; sie willigen dadurch zugleich mit in die einge führte Regierungsform, und indem sie des obrig keitlichen Schutzes und andrer bürgerlichen Vor theile geniessen, versprechen sie einen unverbrüchli chen Gehorsam zu leisten. III. Diese Unterhandlungen zeugen sehr deut(Jn wiefern die Nach kommen schaft durch solche Hand lungen ver bunden wird) lich, wie natürlich ein solcher politischer Zusammen hang, und die daraus folgenden Verbindlichkeiten, entstehn. Jn wiefern sie aber die Nachkommen schaft verbinden, das ist nicht so klar. Alle Staa ten setzen von den Nachkommen ihrer Unterthanen voraus, daß sie mit ihren Eltern, in einem gleichen politischen Zusammenhange, und unter gleichen
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(Drittes Buch.) 826 Vom Ursprunge der Staaten, Verbindlichkeiten stehn; obgleich Unmündige un fähig sind, ihre Einwilligung zu geben, und man also in Ansehung ihrer, keine stillschweigende Ein willigung annehmen kan. Es würde auch nie mand von dieser Verbindlichkeit frey seyn, wenn er gleich, sobald er zur Reyfe gelangt wäre, durch sei ne erste Handlung erklärte, daß er nicht einwilli gen wollte, oder, wenn er sich mit einem fremden Staate wider denjenigen, worinnen er gebohren worden, in eine Verschwörung einliesse. Um die ses zu erläutern, wollen wir anmerken: 1) Erstlich, daß was alle feindselige Versu che betrift, die von irgend einer Person, sobald sie zur Reiffe gelangt ist, unternommen werden, der Staat ein ungezweifeltes Recht habe, so wohl sich selbst dawider zu vertheidigen, als auch die Urheber desselben zu bestrafen, diese mögen seine Untertha nen seyn, oder nicht. Alle Staaten verfahren bey solchen Gelegenheiten auch mit Unmündigen, als mit ihren Unterthanen, und dies mit Rechte, weil 2) Der Vater, indem er sich einem po litischen Staatskörper unterwirft, nicht nur sich, sondern auch seinen Kindern, den Schutz der Ge sellschaft, und alle Vortheile eines gesitteten Lebens zuwege bringt. Dies ist in allen erträglich einge richteten Staaten ein negotium utile geſtum, oder ein Verfahren das ihnen ausserordentlich vortheil haft ist. Weil sie während ihrer Minderjährigkeit alle diese schätzbaren und unentbehrlichen Vortheile genos sen haben, so sind sie sehr natürlich verbunden, sich al
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 827(Fünfter Abschnitt.) len den Bedingungen zu unterwerffen, die man auf eine billige Art, für die zugestandne Erlaubnis an allen diesen Vortheilen Theil zu nehmen, von ihnen hätte verlangen können. Nun kan es keine billigern Bedingungen geben, als daß sie fortfahren eine ge sellschaftliche Vereinigung zu verstärken, und zu er halten, der sie soviel schuldig sind; und dieselbe weder zur Zeit der Gefahr, noch sonst jemals ohne eine billige Genugthuung für die genossenen Vor theile verlassen. Es könnte auch keine Gesellschaft jemals vor ihrem Untergange sicher seyn, wenn man es allen, sobald sie zu einem reiffen Alter gelangt wären, freystellen wollte, sich eines eigensinnigen Einfalls wegen, von derselben, ohne vorher geleistete Schadloshaltung zu trennen. 3) Alle diejenigen, die von ihren Voreltern ein grosses Vermögen, und besonders Landgüter er erbt haben, können noch zu etwas mehrerem ver pflichtet seyn, denn der Vorfahr hat diese Güter vielleicht mit Rechte einem weise angeordneten bür gerlichen Regimente unterworfen, so, daß niemand ein Recht erhalten kan, dieselben zu besitzen, wenn er sich nicht zugleich dem eingeführten Regimente unterwirft, oder ein Glied desjenigen Staats wird, in dessen Grenzen sie liegen. Es ist natürlich, daß keine Gesellschaft sicher seyn könnte, wenn nicht alle ihre Länder diese Eigenschaft hätten, welche verhin dert, daß keine von dem Staate abgesonderte Person Güter darinnen besitzen kan: denn sonst könte sie eine fremde Gewalt dahin ziehn, und sie zu einer Zuflucht aller Verbrecher und Rebellen machen.
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(Drittes Buch.) 828 Vom Ursprunge der Staaten, Diejenigen also, die solche Güter ihrer Voreltern fordern, müssen sie mit der Bedingung annehmen, daß sie Kraft der von ihren Vorfahren bekann ten Einwilligung, dem einmal eingeführten Regimente unterworffen seyn wollen; dies müste denn so sehr wider die Natur, und das Beste des menschlichen Geschlechts streiten, daß die Unge rechtigkeit des Contracts selbst den Vorfahren der ihn geschlossen hat, eben so gut, als seine Nach kommen hätte berechtigen können, davon ab zugehn. 4) Wenn sich aber der Staat in keiner ge genwärtigen Gefahr befindet, so scheint es wider die Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu streiten, wenn man ihn für die Unterthanen zu einem Gefängnisse macht; und ihnen nicht erlaubt, eines vernünftigen Vortheils wegen, denselben zu verlassen, und sich mit andern Staatskörpern zu vereinigen, wenn sie ihre Landgüter an zurückbleibende Unterthanen ver kauffen, und den Staat, wegen aller Vortheile, die sie auf seine Kosten erlangt haben, schadlos halten. Was die Schadloshaltung betrift, so wird sie durch gängig von allen Unterthanen, die keiner vorzügli chen Vortheile genossen haben, freylich schon ver mittelst dessen, was sie jährlich zu dem Aufwande des Staats beytragen, entrichtet. Und alle Men schen, auch sogar die Minderjährigen, tragen etwas dazu bey, indem sie entweder von Ländereyen, oder andern Gütern Abgaben bezahlen, oder andre Gü ter verzehren, wovon Steuern entrichtet werden müssen. Die Zwangsmittel, deren man sich be
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 829(Fünfter Abschnitt.) dient die Unterthanen in dem Staate zu behalten, können wenn derselbe von keiner allgemeinen Gefahr bedroht wird, nur selten erlaubt seyn, sie werden auch niemals für nöthig gehalten werden, als in einigen elenden und ungerechten Regimentsverfas sungen. Diejenigen aber die nachdem sie erwach sen sind in dem Staate bleiben, und des gemein schaftlichen Schutzes und andrer Vortheile der Un terthanen geniessen, von denen * glaubt man mit Rechte daß sie eingewilligt haben, und mit den al ten Bürgern, die die ersten Stifter des Staats ge wesen sind, unter einerley Verbindlichkeit stehn. Sie behalten aber dennoch das Recht zu allen ge rechten Einwendungen wider entdeckte Betrügereyen in dem ersten Contracte, oder wegen eines in dem vornehmsten Endzwecke desselben vorgegangenen Jrrthums. IV. Aus den höchsten Begriffen von der Bil(Es kan ein Regiment mit Recht oh ne vorherge gangene Ein willigung der Unter thanen ein geführt wer den.) ligkeit oder dem Rechte erhellet es, das zwar die Einwilligung Aller ein natürliches Mittel ist Staa ten zu gründen, oder einem die bürgerliche Gewalt zu verleihen; daß aber dennoch ein kluger mit hin länglicher Gewalt versehener Gesetzgeber, nach der strengsten Gerechtigkeit obgleich auf eine ungewöhn liche Weise handelt, wenn er eine weise und zum gemeinen Besten wirklich bequeme Regierungsform mit Gewalt bey einem einfältigen von Vorurtheilen angefüllten Volke einführen kan, das zu der Zeit aufs äusserste unzufrieden damit ist; wenn nur alle 70
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(Drittes Buch.) 830 Vom Ursprunge der Staaten, Wahrscheinlichkeit da ist, die ihn überzeugen kan, daß sie nach einem kurzen Versuche von Herzen damit zufrieden seyn werden. Eine solche Aufführung mus mehr Gutes hervorbringen als wenn er zugä be, daß ein Volk durch seine eignen unvernünftigen und gefährlichen Vorurtheile unglücklich würde. Aber unsre gesunde Vernunft zeigt uns daß eine un umschränkte erbliche Monarchie unter diesen Vor wande nicht eingeführt werden kan, weil es unmöglich zum gemeinen Besten gereichen kan, wenn man das Glück von tausend oder Millionen Unterthanen den Willen oder dem Eigensinne eines ihrer Neben menschen unterwirft, der oft so sehr ein Sclave der Laster und der Thorheit ist, als sie selbst, ja der diesen Lastern wegen der ihm übergebnen unumschränk ten Gewalt, und des Stolzes und der Schmeicheley wegen, die einem so hohen Stand allemal begleiten, weit mehr ausgesetzt ist. (Die Ein willigung hat auch nicht allemal die Kraft zu verbinden.) Gesezt auch der gröste Theil einer unvorsichti gen Menge hätte in einen gefährlichen Plan ge willigt. Sie finden aber nachher wie viel Verder ben er hervorbringen mus, so sind sie weil sie sich in den wesentlichen Gegenständen des Contracts ge irrt haben, von aller Verbindlichkeit die er sonst hätte verursachen können, frey. Sie können auf die Einführung einer neuen Regierungsform drin gen, und ihre ersten Regenten haben nicht das ge ringste Recht irgend eine Schadloshaltung zu ver langen, weil sie an dem vorgegangenen Jrrthum eben so schuldig sind, als das Volk. Auch verursacht ihnen die Veränderung nicht allemal einen Scha
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 831(Fünfter Abschnitt.) den. Sie können vielleicht darauf dringen wieder in eben die Umstände gesezt zu werden, worinne sich ihre Familien vor ihrer Erhebung zur Führung des Regiments befunden haben, und das Volk ist viel leicht verbunden ihnen ein solches Ansuchen zuzuge stehn, wenn es mit seiner Sicherheit bestehen kan. Geht dies aber nicht an, so ist das Volk nicht ver bunden zu leiden, daß irgend jemand eine ungemässigte oder gefährliche Gewalt besitzt, denn diese kan viel leicht darauf abzielen, dasselbe in die Sclaverey zu stürzen. Am wenigsten darf es dieselbe denen zugeste hen, die schon durch den Misbrauch der ihnen anver trauten Gewalt, indem sie dieselbe zu Unterdrückung ihrer Nebenmenschen anwenden wollen, ihr Recht verwirkt haben. Wenn sich das Volk in keiner sol chen Gefahr befindet so handelt es vielleicht mensch lich, wenn es seinen abgesezten Beherrschern alle Güter die ihre Familien vor Zeiten besessen, haben wieder einräumet, oder ihnen gar zugesteht in einem Stande zu leben der sich demjenigen etwas nähert, wozu sie durch seine eigene Uebereilung erhoben, und gewöhnt worden sind. V. Wenn sich eine grosse Zahl von Menschen(Ein Volk wird in An sehung mo ralischer Rechte oder Verbindlich keiten als ei ne Person angesehen.) zum gemeinen Besten unter einer gewissen Regie rungsform vereinigt hat: so ist es sehr natürlich, daß man eine solche Gesellschaft als eine Person ansieht, die ihre verschiednen Rechte und Verbindlichkeiten hat, die von den Rechten und Verbindlichkeiten ih rer einzelnen Glieder unterschieden sind. So kan ei ne Gesellschaft das Eigenthum von gewissen Gütern oder andern Rechten besitzen, worüber kein einzel nes Glied, das geringste Recht hat Contracte zu
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(Drittes Buch.) 832 Vom Ursprunge der Staaten, schliessen, es müste ihm denn von dem Staate, oder von denenjenigen, denen der Staat dieselben anver traut hat, aufgetragen seyn. Die Gesellschaft kan in Schulden gerathen, die von den gemeinschaftli chen Einkünften oder Gütern, nicht aber von dem Vermögen der Privatleute bezahlt werden müssen. Eine Gesellschaft als eine Person betrachtet, kan durch eben die Contracte, oder eben die Ursachen der Verbindlichkeit, die bey einzelnen Personen Statt finden, verbunden werden; als durch Verbind lichkeiten, die quaſi ex contractu, aus Andern verur sachten Schäden, oder Jnjurien entstehn. Ueberhaupt genommen finden die gemeinen Gesetze der Natur, wodurch einzelne Personen verbunden werden, auch bey Gesellschaften Statt. Sie müssen, sich aller Jnjurien gegen einzelne Personen, die nicht mit zu ihnen gehören, sowohl, als auch gegen andre Ge sellschaften enthalten: sie müssen Treue und Glau ben in Contracten halten, haben auch mit einzelnen Personen in Ansehung der gewaltsamen Vertheydi gung und Behauptung gegründeter Ansprüche wie auch in allen Nothfällen einerley Rechte. Denn da sich die Personen die sich zu den verschiedenen Gesellschaften vereinigen, vorher im Stande der na türlichen Freyheit und Gleichheit befunden haben, so sind alle Gesellschaften die aus solchen Leuten be stehen in Absicht auf einander, in eben dieser natür lichen Freyheit. Und beynahe alle gemeine Regeln, die uns zeigen welche Aufführung der einzelnen Per sonen unter einander billig ist, und zum gemeinen Besten gereicht, entdecken uns auch wie die Auf führung einer Gesellschaft gegen die andre beschaf
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 833(Fünfter Abschnitt.) fen seyn mus. Daß also das Völkerrecht, in so fern es ein Gebäude von verbindenden Regeln an(Das Völ kerrecht ist mit dem Rechte der Natur ziem lich einerley) zeigt, mit dem Rechte der Natur, welches die einzel nen Personen betrift ziemlich einerley ist. Was kleine re Gesellschaften betrift, die in einer grössern von Leu ten die der grössern schon unterworffen sind, ge stiftet werden, so werden sie zwar als moralische Personen, nicht aber als solche, die sich im Stande der natürlichen Freyheit befinden, angesehn. Alle ih re Handlungen bleiben der gemeinschaftlichen Ge walt, wodurch die grössere regieret wird, unter worffen, und müssen nach ihren Gesetzen einge schränkt werden. Es giebt zwar einige von dem Rechte der Natur oder dem nothwendigen und durchgängig verbindenden Völkerrechte unterschiede ne Regeln, die auf Gewohnheiten oder stillschwei gende Verträge gegründet sind, von diesen aber werden wir inskünftige handeln. V. Die verschiedenen Arten von Gewalt die(Hohe Rechte die in den bür gerlichen Re gimente un entbehrlich sind.) den Regenten in einer bürgerlichen Regierung verliehen werden müssen, werden gemeiniglich ein getheilt in die höhern Majestätsrechte* die man auch wesentliche Stücke der höchsten Gewalt benennt, und in niedere Rechte,** die zu einem bürgerlichen Regimente nicht unentbchrlich<unentbehrlich> sind. Die wesentlichen Theile werden wieder einge theilt in die innerlichen*** oder diejenigen, die in 71 72 73
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(Drittes Buch.) 834 Vom Ursprunge der Staaten, nerhalb der Gesellschaft unter ihren Unterthanen ausgeübt werden, und die äusserlichen, die gegen fremde Nationen, und auswärtige unabhängende Staaten Staat<Statt> finden. Weil es die Absicht des bürgerlichen Regiments ist, so wohl unter den Un terthanen durch gute Ordnung zu Hause Ruhe und Glückseligkeit und den freyen Genus aller ih rer Rechte zu erhalten, als auch den ganzen Staats körper mit allen seinen Gliedern gegen auswärtige Beleidigungen zu beschützen, und ihm alle Vor theile zu verschaffen, die durch eine kluge Anfüh rung gegen die Ausländer erhalten werden können. (Das Recht Gesetze zu ge ben.) Die Rechte die innerhalb der Gesellschaft aus geübt werden, sind diese 1) das Recht die Handlun gen der Unterthanen so wie es das gemeine Beste erfordert, durch Gesetze zu regieren, die das was zu diesem Endzwecke bequem ist, anbefehlen und beloh nen, das Gegentheil aber bey Strafe verbieten. Die Gesetze können ferner die verschiedenen Rechte der Menschen deutlicher und genauer bestimmen, be queme und zum gemeinen Besten dienende Arten sie andern zu übertragen und zuzueignen anzeigen, ja selbst den Gebrauch derselben nach eben so all gemeinen Absichten einschränken. (Auflagen anzuordnen.) 2) Ein neues Recht, das auch in diese Clas se gehört, ist dasjenige vermöge dessen die Regie rung anordnen kan, wie oder wieviel jeder von sei nem Vermögen zu den Ausgaben des Staats durch Bezahlung der in den verschiedenen Staaten eingeführten Auflagen, Contributionen &c beytragen soll. Diese beyden Arten von Gewalt, nennt man ge
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 835(Fünfter Abschnitt.) meiniglich zusammen genommen, die Gewalt Ge setze zu geben. 3) Das Recht der Jurisdiction in Civil-(Das Recht die Gesetze zu vollstrecken.) und Criminal-Sachen, wodurch alle Streitigkei ten der Unterthanen über ihre Rechte, durch An wendung der allgemeinen Gesetze auf sie entschieden, und die durch dieselben verordneten Strafen, an de nen vollzogen werden, die solche Verbrechen began gen haben, die die Ruhe des Staats stören. Es werden also Kraft derselben grosse Gerichtsversam lungen, Richter die in bürgerlichen und Criminal sachen entscheiden, und niedere Obrigkeiten und Be amte der Gerechtigkeit verordnet, die über die genaue Beobachtung der gemeinen Gesetze sowohl als der besondern Befehle die von den höchsten Regenten gegeben werden, wachen müssen. Dies nennt man gemeiniglich die Gewalt die Gesetze zu vollstrecken. 4) Die Rechte die wider Ausländer ausgeübt(Das Recht Krieg anzu fangen, und Friedens oder Hand lungstracta ten zu schlies sen.) werden, sind folgende zween: Erstlich zur Verthei digung des Staats einen Krieg anzufangen, und al so die Unterthanen zu bewaffnen, und in den Kriegs verrichtungen zu üben; auch zu ihrer Anführung Befehlshaber über sie zu verordnen. Zweytens das Recht Tractaten zu schliessen, solche welche die Bedingungen des Friedens nach einem vorhergegan genen Kriege bestimmen, solche die uns Allianzen oder Bundesgenossen verschaffen können, uns dar inne beyzustehn, oder solche die ohne die geringste Absicht auf einen Krieg einem Staate und seinen Un terthanen andre Vortheile in Ansehung des Han dels, der Gastfreyheit der verschiedenen Untertha
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(Drittes Buch.) 836 Vom Ursprung der Staaten, nen gegen einander, oder der Verbesserung der Künste, verschaffen können. Hierauf gründet sich auch das Recht Gesandten oder Abgeordnete abzusenden, einen solchen Tractat mit den Abgeordneten andrer Natio nen zu Stande zu bringen zu suchen. Alle diese Rech te bringen verschiedene Schriftsteller unter einen all gemeinen Namen, der aber nicht im Stande ist sie alle auszudrücken, nemlich die Gewalt mit andern Völkern Unterhandlungen zu pflegen,* welche die Rechte des Krieges sowohl als die Rechte des Frie dens in sich begreift. (Einige aus serordentli che Rechte sind zuwei len nothwen dig.) VI. Alle diese Rechte müssen nothwendig in jeder bürgerlichen Verfassung, gewissen Regenten anvertraut werden, die sie nachher in dem Maasse besitzen, das in der ursprünglichen Verfassung, oder den Grundgesetzen bestimmt ist. Wie wir aber schon gewiesen haben, daß gewisse ausserordentliche Fälle zuweilen Privatpersonen in einem Stande der natürlichen Freyheit das Recht verschaffen können von Gesetzen, welche sie in allen gemeinen Fällen ver binden abzugehn; so findet eben dieses auch bey den Regenten eines Staats Statt, daß sie nämlich in ausserordentlichen Fällen auch gewisse ausserordentli che Rechte haben, daß die nicht in den Schranken der gewöhnlichen Gesetze bleiben dürfen, wenn diese Rech te nothwendig sind, um das gemeine Beste, oder einen 74
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und ersten Einrichtung polit. Körper, 837(Fünfter Abschnitt.) wichtigen Vortheil für das Ganze zu erhalten.* Solche Rechte finden in allen Staaten Statt, selbst in solchen wo aufs strengste für die Sicherheit, der Freyheit und des Eigenthums jedes Unterthanen ge sorgt ist, und erstrecken sich in grossen Nothfällen, besonders in Kriegszeiten, über alle Arbeiten und Güter der Unterthanen. So kan der Staat jedem Unterthan mit Recht seine Ländereyen nehmen, wenn diese nothwendig sind um einen wichtigen Ort oder einen engen Pas zu befestigen. Die Schiffe der Unterthanen können weggenommen werden, um Truppen damit wegzuführen; man kan sich ihres Vor raths an Mund-und Kriegsbedürfnissen bedienen, sie mögen ihn fahren lassen wollen, oder nicht. Wie wir aber bey den Nothfällen die sonst widerrechtli che Unternehmungen der Privatpersonen rechtferti gen können, gewiesen haben, daß einer der sich sol cher Ausnahmen zu seinen Vortheile bedient, alle mal verbunden ist, dem andern allen verursachten Schaden zu ersetzen: so ist der Staat noch vielmehr verbunden, jedem Unterthanen den Schaden den er zum gemeinen Besten, über seinen gewöhnlichen Antheil den er mit allen andern Nebenunterthanen gemein hat, hat tragen müssen, aus dem öffentli chen Schatze zu ersetzen. Solche ausserordentliche Rechte erstrecken sich über das Leben sowohl als das Eigenthum. VII. Die geringern Arten der Gewalt, die die höchsten Regenten gemeiniglich zugleich mit besitzen, 75
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(Drittes Buch.) 838 Vom Ursprunge der Staaten, sind in einem bürgerlichen Regimente nicht unum gänglich nothwendig. Einige davon können von vie len Staaten gar entbehrt werden, oder sind dem ganzen Staate so eigen, daß sie keiner obrigkeitli chen Person oder keiner Versamlung ohne gros sen Schaden aufgetragen werden können; wie z. E. das Recht alle Geldbussen oder verwirkte Sachen einzutreiben, das Recht auf schiffbrüchige oder andre Güter, deren Eigenthümer unbekant sind, wie auch über gewisse Arten von Bergwerken. Die Rechte, Würden und Ehren mitzutheilen, Geld zu prägen, Kinder zu legitimiren, verdamten Perso nen Gnade widerfahren zu lassen, oder die Art der Strafe zu ändern, Schuldnern Schutz zu verschaf fen und so weiter, die in allen monarchischen Staa ten dem Prinzen, in aristokratischen aber der Ver samlung der Grossen oder einem Vorsitzer derselben gebühren, von welchen sie wieder andern aufgetra gen werden. (Alle unab hängige Staaten be finden sich in Ansehung anderer in der natürli chen Freyheit) VIII.Politische Staaten, sie mögen gros oder klein seyn, besitzen allemal wenn sie von einen Vol ke aufgerichtet worden sind, das vorher unabhän gig und keiner andern Gewalt unterworffen gewe sen ist, oder das wenigstens das Recht gehabt hat sich von einer vorhergegangenen ungerechten Gewalt zu befreyen, die höchste Gewalt, und befinden sich in Ansehung aller andern grossen oder kleinen Staaten im Stande der natürlichen Freyheit. Bey dieser Materie mus man nicht auf Namen sehen, der Staat mag ein Königreich, ein Kayserthum, ein Fürstenthum, ein Herzogthum, ein Land, eine
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und ersten Einrichtung polit. Körper. 839(Fünfter Abschnit.) Republik oder eine freye Stadt benennet werden. Wenn er alle wesentlichen Stücke der höchsten bürgerlichen Gewalt innerhalb seines Bezirkes aus üben kan, ohne von andern Personen oder Staa ten abzuhangen, wenn niemand das Recht hat, sei ne Handlungen einzuschränken, oder ungültig zu machen: so besitzt er alle Majestätsrechte, seine Länder mögen auch noch so klein, oder seiner Unterthanen noch so wenig seyn; und er hat alle Rechte eines ab hängigen Staats. Diese Unabhängigkeit der Staaten, und ih(Die Unab hängigkeit wird durch Bündnisse nicht ge schmälert.) re Absonderung von andern politischen Körpern, wird im geringsten nicht durch Tractaten, oder Bündnisse geschmälert, wodurch verschiedne ge wisse Theile der höchsten Gewalt, als die Rechte des Kriegs und des Friedens, vermöge gewisser off oder defensiv Allianzen gemeinschaftlich ausüben. Zween Staaten bleiben obgleich solche Tracta ten unter ihnen geschlossen sind, von einander abge sonderte und unabhängige Körper. Alsdenn hält man sie nur für politisch ver einigt, wenn einer einzelnen Person oder einer gewis sen Versammlung das Recht verliehen ist, gewisse wesentliche Stücke der höchsten Gewalt im Namen beyder auszuüben, oder beyde Staaten zu verhindern, daß keiner sich derselben allein, ohne den andern bedie nen kan. Wenn einmal eine Person oder eine Versammlung berechtigt worden ist, alle wesent chen Stücke im Namen beyder auszuüben, so ma
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(Drittes Buch.) 840 Vom Ursprunge der Staaten &c chen sie hernach einen Staat aus, und sind einan der vollkommen einverleibt; obgleich die verschied nen Theile eines so zusammengesetzten Staats viel leicht ihre alten Gesetze und Gewohnheiten in Anse hung gewisser Privatrechte beybehalten. Diese können den verschiedenen Theilen, von der Gewalt, die sich über das Ganze erstreckt, bestätigt worden seyn. Wenn aber nur ein kleiner Theil der höchsten Gewalt einer Person, oder einer Versamm lung, von beyden aufgetragen ist, wie z. E. das Recht über Krieg und Frieden, oder das Recht, Streitigkeiten zwischen zween Unterthanen aus verschiednen Staaten zu entscheiden, da dem ohnge acht beyde Staaten alle übrige Theile innerhalb ih rer Grenzen, auf eine vollkommen unabhängige Art ausüben: so nennt man sie ein System von Staa ten, und in solchen Systemen finden sich oft grosse Hauffen von kleinen Staaten vereinigt. Solche Systeme entstehen, wenn ein König noch eine andre Krone erhält, und also in beyden Königreichen ge wisse Theile der höchsten Gewalt allein ausüben kan, oder, wenn verschiedne Staaten sich unter einander vergleichen, eine gemeinschaftliche Regie rung auszumachen, wie vor Zeiten die Achaischen Staaten. Einige Schriftsteller benennen daher solche Systeme Achaische Vereinigungen.
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841(Sechster Abschnitt.)

Der sechste Abschnitt, Die verschiedenen Regierungsformen, mit dem, was sie vortheilhaftes oder nach theiliges enthalten.

I.Wie diese wesentlichen Stücke der höchsten(Drey ein fache For men.) Gewalt, entweder einer Person, oder ei ner Versammlung von mehrern anvertraut werden, so entstehen auch verschiedene Regierungsformen, von welchen einige sehr weise zum Besten der Ge sellschaft eingerichtet sind, und also regelmässig ge nennt werden, andre aber nur schlecht zu einem sol chen Endzwecke dienen, und daher unregelmässig heissen. Wenn alle Theile der höchsten Gewalt einer Person übertragen sind, so nennt man es eine Mo narchie. Hat man sie einer Versammlung, und zwar von Grossen, anvertraut, so heist es eine Ari stokratie. Gehören sie aber der Versammlung des ganzen Volks, oder einigen Abgeordneten desselben, so wird es eine Demokratie genannt. Dies sind die drey verschiednen Classen, der einfachen Arten. Wo die höchste Gewalt einer Versammlung aufgetragen ist, da versteht es sich allemal, das Ge gentheil müste denn in den Grundsätzen ausdrück lich ausgemacht seyn, daß der gröste Theil der Ver sammlung allemal das Recht hat, alle vorgebrach te Sachen zu entscheiden; und daß dasjenige der Wille derselben ist, was die meisten Stimmen in der Versammlung gewählt haben. Es ist aber beynahe nothwendig, daß eine gewisse Anzahl der
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(Zweytes Buch.) 842 Von verschiedenen Glieder festgesetzt wird, die allemal zugegen seyn mus, um einer solchen Versammlung das Recht zu verleyhen, den ganzen Staat vorzustellen, denn sonst könten zuweilen kleine Cabalen, die nach theiligsten Dinge in derselben ausmachen. Es ist ferner der vorsichtigsten Klugheit gemäs, wenn man ausmacht, daß bey Sachen von grosser Wichtigkeit die blosse Mehrheit der Stimmen nicht hinreicht, sondern entweder zween Drittheile oder drey Fünf theile erfordert werden; besonders, wenn die vorha bende Sache die Veränderung eines alten Gesetzes, oder die Verdammung einer angeklagten Person betrift. Man sollte sich ferner vor der offenbaren Falschheit hüten, die unvermeidlich ist, wenn die der Versammlung vorgelegte Frage, oder die Sache, die durch die Mehrheit der Stimmen entschieden werden soll, drey Glieder hat. Denn in einem sol chen Falle können mehr Stimmen auf ein Glied der Frage fallen, als auf jedes von den beyden andern, obgleich die auf die beyden letzten gefallenen Stim men beynahe zween Drittheile der Versammlung ausmachen. So können in einer Versammlung von hundert Personen vier und dreyssig Stimmen für einen Theil der Frage, und für jeden der an dern beyden drey und dreyssig seyn; dem ohngeacht aber wird der Wille von vier und dreyssigen, eine Sa che wider den Willen von sechs und sechzigen bestim men, wenn nicht in den Grundgesetzen einem solchen Misbrauche ausdrücklich vorgebaut ist. Man soll te solche Fragen erst allemal in einfache Fragen von zween Theilen verwandeln, und wenn einer von die sen angenommen wäre, so könnte man ihn, wenn
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Regierungsformen. 843(Sechster Abschnitt.) es nöthig wäre, wieder in eine andre Frage, die zween Theile hätte, abtheilen. Eben so sollte, wenn man gewisse Aemter durch die Wahl wieder besetzen will, und drey Canditaten da sind, allemal eine Samm lung der Stimmen vor der Entscheidenden vorher gehn, um zu erfahren, welche zween von den drey Canditaten, die mehresten Stimmen haben. Der jenige, der die wenigsten Stimmen hätte, sollte bey der entscheidenden Sammlung der Stimmen aus gelassen, und zwischen die beyden andern Candita ten gestellt werden. III. Jede von diesen drey Classen der Regie(Jede Clas se der einfa chen Form hat mancher ley Arten in sich. Die Monar chie.) rungsformen, hat mancherley ihr untergeordnete Ar ten, die doch zuweilen in wesentlichen Stücken ver schieden sind. Eine Monarchie ist entweder unumschränkt, wo die ganze Regierung der Klug heit und Redlichkeit des Prinzen, ohne alle andre Einschränkungen aufgetragen ist, als die, so sich wegen des wesentlichen Endzweckes aller bürgerlichen Re gimente von selbst verstehn: oder eingeschränkt, wo durch gewisse Grundgesetze oder Bedingungen bey Uebertragung der Gewalt, das Maas derselben be stimmt wird, wo gewisse öffentliche Rechte ihm nicht anvertraut, sondern dem Volke vorbehalten werden, wo dennoch aber kein Gericht, oder keine gewalthabende Versammlung Statt findet, die nicht von ihm ihre Gewalt erhielte. Ferner ist die Monarchie; entweder erblich, oder sie beruht auf der Wahl, sie dauert das ganze Leben des Prinzen durch, oder nur eine gewisse Zeit.
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(Drittes Buch) 844 Von verschiedenen Die Aristokratie, oder das Regiment einer (Die Aristo kratie.) Versammlung der Grossen ist einer eben solchen Ver schiedenheit fähig. Es ist entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt, entweder nur auf eine ge wisse Zeit gültig, wo die Grossen nur eine Zeit lang in der Versammlung sitzen, hernach aber wie der Privatleute, wie vorher werden; oder ewig. Sie ist entweder erblich, wo die Häupter gewisser Familien allemal Rathsherrn sind, oder sie beruht auf der Wahl, wo entweder zu gewissen Zeiten der ganze Senat verändert, und ein neuer gewählt, oder der Abgang von Zeit zu Zeit, wie er sich ereignet, durch die Wahl ersetzt wird. Dies ge schieht entweder* durch die Election oder Wahl des Volks, oder die Cooptation der Glieder des Se nats. Zuweilen giebt auch ein gewisses Vermö gen oder der Besitz gewisser Ländereyen, das Recht, Sitz und Stimme im höchsten Rathe zu haben. Dies nennet Aristoteles ein Oligarchie.** (Demokra tien sind von verschiedner Art.) Auch die Demokratien sind von verschiedner Art. Zuweilen wählen alle freye Leute in einem Staate mit gleichem Rechte den Senat. Zuwei len aber werden jährlich, oder zu andern festgesetzten Zeiten, gewisse Abgeordnete, entweder von dem gan zen Volke zugleich gewählt, oder ieder von den verschiedenen kleinen Districten, worin dasselbe 76 77
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Regierungsformen. 845(Sechster Abschnitt.) eingetheilt ist, hat das Recht, eine gewisse Anzahl von Abgeordneten in den Rath zu schicken. Zuweilen gehören gewisse Güter oder Ländereyen dazu, jemanden zu einer Stimme im Rathe, oder zu einer Stimme bey der Wahl der Abgeordneten zu berechtigen. Zuweilen werden die Glieder des höchsten Raths durch das Loos gewählt. Zuwei len haben alle Stimmen, diese sind aber nicht von gleicher Wirkung. Sie sind in gewisse Classen,* und diese Classen wiederum in kleinere Classen oder Centurien, nicht sowohl nach ihrer Zahl, son dern nach ihrem Ansehen oder ihrem Reichthum ein getheilt, so, daß die vorkommenden Angelegenhei ten nicht durch die Mehrheit der Stimmen, son dern die Mehrheit der übereinstimmenden Centu rien, ausgemacht werden; ob sich gleich in einer Centurie oft eine viel grössere Anzahl befindet, als in einer andern. Dies sind die wichtigsten Arten der einfachen Regierungsformen. Die vermischten Formen sind unzählig, wie(Die ver mischten For men sind un zählig.) nämlich die Monarchie, von einer der oben ange führten Arten, mit den verschiednen Arten der Ari stokratie oder Demokratie, oder mit beyden ver bunden werden kan. Es können wieder neue Ver änderungen entstehen, wenn die verschiedenen Theile der höchsten Gewalt verschiedentlich, entwe der dem Prinzen, dem Rathe, oder einer Versamm lung des Volkes anvertraut werden. Diese Mannigfaltigkeit ist also unendlich, wie man 78
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(Drittes Buch.) 846 Von verschiedenen aus des AristotelesPolitik und dem Harring ton sehen kan. (Die wich tigsten Grundre geln.) III. Um uns in den Stand zu setzen, die ver schiednen Formen zu vergleichen, und von den be sten zu urtheilen, wollen wir einige sehr wichtige Grundregeln voraussetzen, und alsdenn über die Bequemlichkeiten oder Unbequemlichkeiten verschie dene der einfachsten Formen, die allemal Theile einer Vermischten ausmachen müssen, einige Be trachtungen anstellen. (Vier wichti ge Grundre geln müssen allemal zum Grunde ge legt werden.) 1) Es ist klar, daß wenn durch eine Regie rungsform folgende vier Dinge erhalten werden können, nämlich gehörige Weisheit, um die Mas regeln zu beurtheilen, die zum gemeinen Besten am bequemsten sind;Treue dabey;Geschwindigkeit und Verschwiegenheit bey Ausführung dersel ben; und Einigkeit, daß eine Nation alsdenn alle die Glückseligkeit geniessen mus, die irgend eine Regierungsform nur zu verschaffen im Stande ist. Die Weisheit des Regenten wird die wirksam sten Mittel dazu entdecken, und die Treue sie wählen. Durch Verschwiegenheit und Geschwin digkeit werden sie am besten zur Wirklichkeit ge bracht werden, und die Einigkeit wird einem der grösten Uebel, nämlich den bürgerlichen Kriegen und den Empörungen zuvorkommen. Die grosse Nothwendigkeit für die Verhütung der Spaltungen und bürgerlichen Kriege zu sorgen, hat die meisten Schriftsteller in der Staatswissenschaft noch auf eine andre Grundregel gebracht, nämlich
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Regierungsformen. 847(Sechster Abschnitt.) 2) Daß wenn in einer vermischten Regie rungsform die verschiednen Theile der höchsten Ge(Die Theile der höchsten Gewalt müs sen allelmal<allemal> auf gewisse Weise ver bunden werden.) walt vertheilt sind, so daß viele dem Prinzen, andre wieder einem hohen Rathe, und noch andre einer Versammlung des Volks eigen sind, daß da ein nexus imperii eine gewisse politische Verbindung unter denseiben bleiben mus, wodurch die Jnhaber der Gewalt verhindert werden, jeder für sich allein, oder einander gar entgegen zu handeln. Wenn dafür nicht gesorgt wird, so können zwo Arten von Obrig keit eingeführt werden, von denen jede die höchste Gewalt besizt, und dies mus Gelegenheit zu be ständigen innerlichen Kriegen geben. Dieser Fall würde sich ereignen, wenn der Senat und die Ver samlung des Volks beyde die Gewalt verlangten, Gesetze zu geben, wie es sich in Rom zutrug, nach dem die Tribunen das Volk ohne Erlaubnis des Raths zu versammlen angefangen, und erhalten hat ten, daß die Schlüsse des Volks Gesetze seyn soll ten; da der Rath für seine Schlüsse eben das Recht verlangte. Eben so verhielt es sich auch bey vie len Europäischen Nationen, da die Geistlichen sich unterstunden, Gesetze zu geben, und eine gewisse Jurisdiction ausüben wollten, ohne darinne von der weltlichen abzuhängen. Wenn also die ver schiednen wesentlichen Theile der höchsten Gewalt unter verschiedene Personen oder Versamlungen ver theilt sind, so müssen sie auf eine andre Art wieder stark mit einander vereinigt werden. Wenn ein Prinz das Recht über die Vollstreckung der Gesetze und über Krieg und Frieden, eine andre Versamm lung aber das Recht hat, die Gesetze zu geben: so
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(Drittes Buch.) 848 Von verschiedenen mus die Gewalt, Tribute zu erheben, nothwendig zwischen dem Prinzen und dieser Versammlung ge theilt werden, damit der Prinz niemals seinen Vor theil dabey sinden kan, ohne ihre Einwilligung, einen Krieg anzufangen, und der Prinz mus wieder einen Theil an der Gewalt der gesetzgebenden Ver sammlung haben. Wenn diese Verbindungen nicht da wären, so könten oft Gesetze gegeben werden, die der Prinz nicht vollstrecken wollte, oder der Kö nig könte einen Krieg anfangen, den die Nation sich weigerte zu unterstützen. (Es ist nicht nöthig, daß alle in einer Person, oder einer Ver samlung ver einigt seyn müssen.) Es ist deswegen keinesweges nothwendig, daß alle Theile der höchsten Gewalt nothwendig ent weder einer einzigen Person oder einer Versamlung anvertraut werden müssen. Die Einigkeit kan durch andre Mittel erhalten werden; und die Vor theile des Staats können es erfordern, daß sie ge theilt seyn müssen. (Der Besitz von Gütern ist der einzige Grund der bürgerlichen Gewalt. Jn Monar chien.) 3) Eine andere Grundregel ist sowohl der Vernunft, als der Erfahrung aller Nationen nach, eben so gewis: „Daß ein grosses Eigenthum und zwar hauptsächlich in Ländereyen der natürliche Grund ist, worauf jede Gewalt ruhen mus; ob es gleich an und für sich selbst nicht das geringste Recht auf irgend eine Gewalt mittheilt.“ Wo ein grosses Eigenthum ist, können eine grosse Menge Menschen erhalten, und ihre Hülfe kan gegen aller hand Belohnungen erhalten werden. Wo man sie nicht erhalten oder belohnen kan, darf man auf ih ren Beystand keine Rechnung machen. Leute, die im Besitze grosser Güter sind, und also sich der
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Regierungsformen. 849(Sechster Abschnitt.) Stärke von vielen bedienen können, werden alle mal ihren Antheil an der öffentlichen Gewalt haben wollen. Und Leute die Gewalt besitzen, werden sie auf eine oder die andre Weise anzuwenden suchen, um Güter zu ihrer Erhaltung zu erlangen. Dies mus in einem Staate mancherley Zerrüttungen ver ursachen. Eine blosse Monarchie wird nie lange ohne Kron oder Erbländer bestehen können, wo die Länder entweder ein wirkliches Eigenthum des Prinzen sind, oder er doch alle Gewalt darüber hat, die sonst das Eigenthum verschaft. Es ist wahr, daß eine Monarchie, oder die Gewalt weniger Per sonen zu erhalten, es nicht nöthig ist, daß der Prinz oder die Regierung nur die Hälfte der unter ihnen stehenden Länder wirklich besitze. Ein viel kleinerer Antheil wird hinlänglich seyn, wenn die verschied nen Versammlungen, die an der Regierung Theil haben, unter einem Monarchen oder der Gewalt Weniger vereinigt sind. Er wird allemal im Stan de seyn, zwey oder dreymal so viel Güter an Macht zu überwiegen, die unter einer grossen Menge vertheilt sind, welche selten im Stande ist, sich in ihren Ab sichten, oder über die dazu dienenden Mittel zu ver gleichen. Dennoch bleibt allemal die Grundregel, daß ohne einem grossen Antheil von eignen Gütern ei ne solche Gewalt von keiner Dauer seyn kan. Eine erbliche Aristokratie wird ebenfalls(2) Jn der Aristokratie.) beständigen Empörungen und Veränderungen un terworffen seyn, wenn nicht ein grosser Theil der dem Staate gehörigen Länder ein wirkliches Eigen
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(Drittes Buch.) 850 Von verschiedenen thum der Senatoren sind. Weil diese oft selbst in ihren Meinungen oder Absichten uneinig sind: so sind ihre Schlüsse mehr Ungleichheiten unterworfen, als in einer Monarchie, und sie müssen also auch mehr eigenthümliche Güter besitzen, wenn ihre Form dauerhaft seyn soll, als zu der Befestigung einer Monarchie nöthig ist. Wenn sie nicht bey nahe die Hälfte aller Ländereyen besitzen, so kan sich leicht eine andre Gewalt erheben, die im Stande ist, sie zu un terdrücken, und eine neue Regierungsform ein zuführen. (3) Jn der Demokratie.) Eine Demokratie kan nicht dauerhaft seyn, wenn nicht alles Eigenthum durch das ganze Volk so gleich vertheilt ist, daß nicht leicht wenige Mit glieder desselben, wenn sie sich vereinigten, so viel Reichthum zusammen bringen könten, daß sie dadurch in den Stand einer Stärke gesezt würden, die der Stärke des übrigen Volks überlegen wäre. Jn ver schiednen andern vermischten Regierungsformen mus ebenfalls eine gehörige Eintheilung des Eigen thums beobachtet werden, sonst werden sie allemal voller Aufruhr und Unruhe seyn. Wenn das Re giment seinen gehörigen Grund anf<auf> dem Eigen thume hat, so ist es dauerhaft. Diese Dauer kan aber in vielen Regierungsformen dem Volke zum Unglück und zur Unterdrückung gereichen, weil es keine Stärke behält, ein ungerechtes Regiment ab zuschaffen, oder wieder in Ordnung zu bringen. Dies zeigt sehr deutlich, welche Sorgfalt bey der Erfindung eines Entwurfs erfordert wird, wie man das Eigenthum gehörig eintheilen, und solche
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Regierungsformen. 851(Sechster Abschnitt.) Veränderungen in Ansehung desselben zu verhüten suchen mus, die im Stande seyn könten, einen guten Plan zu verderben. Hierauf sollten ins besondre die Gesetze über die Ländereyen und Aecker ihr Augen merk haben. 4) Da es klar ist, daß sich in allen Demo(Jn jedem Plane wird etwas von der Demo kratie erfor dert.) kratien, und allen demokratischen Versammlungen, die wirklich vom Volke gewählet werden, und in Ansehung der Vortheile mit ihm vereinigt sind, allemal eine getreue Sorgfalt für das gemeine Be ste, welches zugleich auch das Beste der Versammlung ist, sinden<finden> mus: so kan keine Regierungsform gut seyn, wo nicht die wichtigsten Theile der bürgerlichen Gewalt entweder ganz oder zum Theile einer solchen Versammlung aufgetragen sind, die allemalder<allemal der> Ab sicht, weswegen alle bürgerliche Regimente eingeführt sind, am meisten getreu bleiben mus. Und wenn al so die Beschaffenheit des Volks, seine Sitten und Ge wohnheiten, seine Künste und sein Handel nicht schon von selbst hinlänglich für eine solche Vertheilung der Güter sorgen, die nothwendig ist, um den de mokratischen Theil der Regierungsform zu erhal ten: so sollte man in Ansehung der Ländereyen Ge setze geben, welche verhindern müsten, daß nicht ein zu grosser Reichthum von einigen aufgehäuft wür de, der im Stande wäre, eine dem ganzen Staats körper überlegne Gewalt hervorzubringen. Alles was man von Einschränkung der Freyheit der Rei chen, oder der Jnjurie sagt, die man ihnen anthä te, wenn man ihnen verhinderte, ihre Güter auf eine erlaubte Art zu vergrössern, ist falsch. Das
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(Drittes Buch.) 851 Von verschieden gemeine Beste verhindert sie im geringsten nicht, so viel zu erlangen, als zu allen unschuldigen Vergnü gungen und Ergötzlichkeiten des Lebens nöthig ist. Gesezt auch, dies geschähe, so darf man doch die Freyheit von Tausenden oder Millionen nicht mit den selbst unschuldigen Vergnügungen einiger we niger Familien, und also noch vielweniger mit der Befriedigung ihrer Ehrsucht, ihren unerlaubten Ergötzlichkeiten, mit dem äusserlichen Prange oder dem Ansehen, das sie durch eine unrechtmässiger Weise an sich gerissene Gewalt erlangen, auf die Wage bringen. (Man sollte keinem Stan de unter den Menschen Freyheiten zugestehn, die dazu dienen können, an dre zu unter drucken<unterdrücken>.) Aus eben dieser Ursache sollte man alle un gegründete Unterscheidungen, unter den Bürgern des Staats, wodurch nur gewisse Stände oder Fa milien geschickt gemacht werden, gewisse Posten zu erlangen, die ihren Besitzern viele Gewalt und gros sen Reichthum verleihen, entweder zu verhindern oder abzuschaffen suchen, weil diese Stände dadurch Gele genheit bekommen, einen unmässigen und gefährli chen Reichthum zu sammlen, diejenigen aber, die da von ausgeschlossen sind, dadurch die gerechtesten Ursachen zum Unwillen und zur Rachgier, und ein abgesondertes Jnteresse erhalten. So sehn wir, daß Rom zu keiner Ruhe gelangen konte, ehe nicht edelmüthige und für das gemeine Beste gutgesinn <gutgesinnte>Plebejer, wider ihre alten unbilligen Gesetze, einen Zugang zu den höchsten Bedienungen des Staats erhielten. Das allgemeine Beste des Ganzen ist die Ursache, warum sich ein Volk vereinigt, und nicht die Hoheit weniger Personen. Wenn gewisse Stän
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Regierungsformen. 853(Sechster Abschnitt.) de allen Vortheil allein genössen, so müsten sie auch ei nen besondern Staat ohne eine Verbindung mit den übrigen Ständen ausmachen. 5) Ob es gleich nicht möglich ist, eine gewisse(Welche Zahl von Menschen am geschick testen ist, ei nen Staat zu bilden.) Zahl von Personen oder Familien, als die bequem sten zur Ausmachung eines Staats zu bestimmen: so können wir doch klare Ursachen entdecken, wa rum gewisse Anzahlen zu klein, und andre zu gros sind. Denn fürs erste ist es klar, daß je grösser(Einige sind zu gros.) die Anzahl des vereinigten Volks ist, es auch immer mehr zu besorgen steht, daß die Wachsamkeit der Obrigkeit sich nicht wird über alle erstrecken kön nen, um für ihren Schutz und die Verbesserung ih res Zustandes zu sorgen, und daß vielen Unord nungen nicht wird können abgeholfen werden. Auch werden die Unordnungen und Convulsionen eines so grossen Körpers allemal desto gefährlicher und von desto traurigern Wirkungen begleitet seyn, je grösser die Anzahl derjenigen ist, die daran Theil nehmen. Ferner zweytens: Je grösser die Anzahl der Men schen ist, die sich in einem Staate vereinigen, desto geringer mus die Anzahl der Staaten werden, wo rinn das ganze menschliche Geschlecht abgetheilt ist. Folglich wird auch ein geringerer Theil der Men schen Gelegenheit haben, sich zu erheben, seine Ge schicklichkeit und politischen Fähigkeiten zu zeigen, oder sie zum Besten des menschlichen Geschlechts zu verbessern. Jn manchen ungeheuern Staaten, die aus vielen Millionen bestehn, werden nur sehr we nige zu den höchsten Rathsversammlungen gelassen,
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(Drittes Buch.) 854 Von verschiedenen und überhaupt nehmen nur sehr wenige an der Re gierung Theil. Alle übrigen sind entweder gänz lich ausgeschlossen, oder haben weiter nichts zu thun, als daß sie dem Befehl ihrer Obern blindlings ge horchen. Wenn eben diese Menge Menschen in mehr kleinere Staaten abgetheilt worden wäre, so hätten viele Leute von grossen Genie, und vortreflichen Fä higkeiten Gelegenheit bekommen, ihre Geschicklich keiten anzuwenden, und sie durch Anwendung zum Besten des menschlichen Geschlechts zu verbessern. Sie würden entweder die Menschen zur Tugend ge bildet, ihre gesellschaftlichen Neigungen ausgearbei tet, sie zu allen bürgerlichen und Kriegsdiensten ge schickt gemacht, oder die schönen Künste verbessert haben. Diesem zu folge finden wir, daß alle Tu genden und freyen Künste in den kleinen Staaten von Griechenland weit herrlicher geblüht haben, als in irgend einem von den grossen Reichen. (Andre zu klein.) Hingegen aber mus 1) die Anzahl so gros seyn, daß sie an Stärke jeder von den Vereinigun gen, die offenbar ungerecht sind, aber dennoch leicht entstehen können, überlegen ist. Bey Spaltungen in einem Staate können sich, besonders in grossen Rei chen, leicht grosse Mengen aus falschen, obgleich scheinbaren Gründen vereinigen; dies mus in einer guten Regierungsform vermieden werden. Es ge schicht zwar nur selten, daß sich tausend See- oder andre Räuber vereinigen, eine offenbar ungerechte Plünderung auszuüben, dennoch aber sind vielleicht tausend Familien nicht mächtig genug, so starken Rot ten solcher Leute, als man immer noch Ursache hat zu befürchten, zu widerstehn.
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Regierungsformen. 855(Sechster Abschnitt.) Ferner giebt es 2) grosse und nützliche Ent würfe, die dem menschlichen Leben wichtige und lange daurende Vortheile verschaffen können, wozu aber sowohl ein grosser Reichthum, als eine grosse Zahl von Händen erfordert wird. Wie z. E. zu Ausrot tung der Wälder, zu Austrocknung der Moräste, zur Unterhaltung des Handels mit den Ausländern, zu Erbauung der Städte, zu Aufrichtung der Manu facturen, zu Einführung der schönen Künste und Aufmunterung der Künstler. Drittens: Welche Anzahl auch immer, vor dem Ursprunge grosser Staaten in ihrer Nachbarschaft, hinreichend gewesen wäre, sich alle Bequemlich keiten des Lebens zu verschaffen, und also einen Staat ausmachen: so werden doch, wenn ein gros ses Reich einmal gegründet ist, weit grössere Men gen von Menschen erfordert um in seiner Nachbar schaft einen Staat aufzurichten. Jn solchen Fäl len ist es den Augenblick rathsam, daß sich viele kleine Staaten in einen grossen vereinigen, oder we nigstens ein sehr genau verbundens System ausma chen, um dem zu mächtig gewordenen Reiche wider stehen zu können. Dieser Endzweck wird selten durch blosse Bündnisse oder Allianzen erhalten, denn kleine Zwistigkeiten können oft diese aller ihrer Wir kung berauben. So verbundene Staaten wenden auch selten alle ihre Kräfte so sehr an, als sie nach einer so genauen Vereinigung oder nach der Errich tung eines Systems das einer Einverleibung nahe käme, thun würden.
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(Drittes Buch) 856 Von verschiedenen 6) Wie im Stande der natürlichen Freyheit (Ausseror dentliche Rechte, we gen zu er halte der künstigen<künftigen> Sicherheit.) einige ausserordentliche Gefahren, auch ausseror dentliche Maasregeln rechtfertigen können, wie es in jeder bürgerlichen Gesellschaft erlaubt ist, allen Vermehrungen des Eigenthums die nicht unrecht mässig sind Einhalt zu thun, wenn sie nur mit der Zeit dem Staate gefährlich werden können: so ha ben auch vielleicht alle Staaten das Recht, der zu gefährlich werdenden Gewalt irgend eines Nach barn Einhalt zu thun. Wenn sie sehn, daß ein Staat aufs künstlichste zu Eroberungen, und zur Unterdrückung seiner Nachbaren eingerichtet ist, wenn er so viel Truppen auf den Beinen hält, daß sie sich nicht dafür in Sicherheit setzen können, wenn sie ihrem Volke nicht verwehren wollen, seinen un schuldigen und erlaubten Verrichtungen nachzugehn, oder ohne sich in grosse Kosten zusetzen: so haben sie das Recht* sich auf einmal von dieser Gefahr zu befreyen, ehe sie zu gros wird. Zu diesem Ende können sie die Gewalt eines so ehrsüchtigen Nach bars zu demüthigen, und von ihm durch die Ueber gabe einiger festen Plätze, oder durch Schleiffung der selben hinlängliche Sicherheit zu erhalten suchen. Wenn weniger heftige Mittel zu ihrer Sicherheit hinreichen, so sind sie verbunden dieselben anzu wenden. (Die Ein richtung der Regierung mus allen Misbranch<Misbrauch> der Gewalt) 7) Endlich müssen wir ein für allemal an merken, daß man bey Entwürffen von Regierungs formen gar nicht darauf sehen mus, was tugend 79
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Regierungsformen. 857(Sechster Abschnitt.) hafte Leute wenn sie die Gewalt besässen thun wür den. Rechtschaffne und weise Männer werden in(wenn sie in böse Hände geriethe zu verhindern suchen.) jeder Regierungsform die allgemeine Glückseligkeit aufs Beste befördern. Sondern die Sache ist, „daß wir den Staat und seine Glieder so viel mög lich vor allen Unglück in Sicherheit zu setzen suchen müssen, wenn auch die Gewalt in böse Hände ge rathen sollte:“ denn keine menschliche Weisheit kan in ein heuchlerisches oder veränderliches Herz sehen, und in jedweden Plane ist es möglich, daß böse Leu te die Gewalt erhalten. Es können aber in der Anordnung des Regiments solche Einrichtungen ge macht werden, die ihren bösen Absichten Einhalt thun, oder die Versuchung ihre Gewalt zu misbrau chen schwächen können. Oder sie können ihnen doch alle Hofnung darinn glücklich zu seyn, und beyna he alle Möglichkeit Vortheil dadurch zu erhalten, entziehn. IV. Nunmehr gehn wir zu den besondern An(Besondere Vortheile oder Gefah ren bey den einfachen Ar ten. Bey einen Wahlkönig reiche.) merkungen über das fort, was die verschiedenen von den einfachsten Arten gutes oder nachtheiliges enthalten. Die Monarchie von allen Arten hat beynahe durchgängig die Eigenschaft, daß sie ihrer Natur nach die Einigkeit befördert, und ihre Absich ten mit Geschwindigkeit und sehr geheim aus führen kan. Es können wider alle Arten von Re genten Empörungen entstehn, weil aber in der Mo narchie eine einzige Person alle Gewalt besitzt, so findet sich in ihrem ursprünglichen Plane die wenig ste Gelegenheit zum Aufruhre. Eine Person die beständig gegenwärtig ist ihre Gewalt auszuüben,
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(Drittes Buch.) 858 Von verschiedenen kan es allemal mit weit grösserer Geschwindigkeit, und Heimlichkeit thun, als irgend eine Versamm lung von vielen. Jn Wahlkönigreichen ist, wenn die Gesetze der Wahl nur erträglich eingerichtet sind, so ziemlich für die Weisheit des Regenten gesorgt. Sonst aber findet sich in diesem Plane keine Si cherheit wegen der Treue und sehr wenige wegen der Einigkeit. Weil die Krone nicht auf die Nach kommen des erwählten Monarchen fällt, so wird er sich beständig bemühen, die Verfassung des Reichs zu ändern; oder verzweifelt er an diesem Vorhaben, so wird sein nächstes darin bestehn, daß er* seine Familie, durch alle mögliche Pressungen seiner Un terthanen zu bereichern, und zu vergrössern suchen wird. Wenn auch während seines Lebens die Ei nigkeit erhalten wird, so ist doch bey einer neuen Wahl allemal ein bürgerlicher Krieg zu befürchten. (Bey einer erblichen Monarchie.) Bey erblichen Monarchen hat man viel leicht weniger Ursachen, bürgerliche Kriege zu be fürchten, und mehr Sicherheit in Ansehung der Treue, weil die Grösse der Familie des Prinzen auf die Glückseligkeit seines Landes beruht. Dies wird aber von vielen Prinzen übersehn, die voll kommen entgegen gesezte Maasregeln ergreiffen, in dem sie sich den Wollüsten, den Vergnügungen oder dem Geize überlassen. Sie schlagen den Geist ih rer Unterthanen nieder, berauben sie ihres Vermö gens, und unterdrücken alle erhabne Tugend und Liebe zur Freyheit, weil sie dieselben für sich und ih 80
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Regierungsformen. 859(Sechster Abschnitt.) rer Familie gefährlich halten. Die Sicherheit we gen der Treue wird also sehr klein, und wegen der Weisheit oder Geschicklichkeit fällt sie gänzlich bey solchen Leuten weg, die von ihrer Jugend an, in einem so hohen Stande erzogen sind, wo ihnen eine beständige Ehrfurcht, die mit aufrichtigen Erinne rungen und Verweisen nicht bestehen kan, erwiesen wird, und wo alle über das was ihnen zuwider ist ein Misfallen bezeugen. Es ist gar kein Wunder, daß ungezähmte Leidenschaften bey ihnen entstehn, daß solche unbezwungene Gemüther alle billige Gesin nungen gegen ihre Nebengeschöpfe verlieren, zu de ren Besten ihnen doch alle diese Gewalt anvertraut ist, daß sie unfähig werden sich selbst zu beherrschen, oder sich zu einer mühsamen Unternehmung zu ih rem eignen oder der Welt Besten anzustrengen. Solche Personen müssen allemal der Raub oder das Eigenthum der niederträchtigsten und listigsten Schmeichler werden. Wenn man wegen der Treue und Weisheit(Einge schränkte Monarchien sind besser als die abso luten.) hinlängliche Sicherheit hätte, so könte keine bessere Regierungsform erfunden werden als eine unum schränkte erbliche Monarchie. Aber bey keinen erblichen Amte auf der Welt kan eine solche Sicher heit gefunden werden. Jn Monarchien die blos durch Gesetze eingeschränkt sind, ohne das gewisse Versammlungen einige Stücke der höchsten Gewalt mit dem Prinzen theilen, bleibt immer noch eben die Gefahr sowohl wegen des Unverstandes als der Ver schiedenheit des Jnteresse der Monarchen. Aber das Recht sich zu widersetzen wird mit Hülffe einer solchen
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(Drittes Buch.) 860 Von verschiedenen Einrichtung dem Volke deutlicher in die Augen fal len. Es wird gleich ein viel grösserer Theil des Volks bereit seyn, sein Recht durch Anwendung einer gerechten Gewalt zu behaupten, so bald der Prinz einige von denen angreift, die ihm durch die Grundsätze vorbehalten sind, als es ohne diese Ein schränkung seyn würde. Diese Regierungsform aber wird niemals ohne Streitigkeiten seyn können, weil der Prinz sich allemal sein Recht zu erweitern be mühen, das Volk aber beständig dawider wachen wird. (Oft findet sich in Aristo kraten die Weisheit, aber desto seltner die Einigkeit, Geschwin digkeit und Verschwie genheit.) V. Jn Aristokratien, wo alle Gewalt einer Versammlung von Leuten, die in den grösten Bedie nungen und den glücklichsten Umständen stehen anvertraut ist, kan man zwar hinlängliche Weis heit und politische Fähigkeiten erwarten, um das zu entdecken, was das Beste des Staats erfor dert, und es zur Wirklichkeit zu bringen. Aber wi der Aufruhr und bürgerliche Kriege findet sich kei ne Sicherheit. Diese Form kan auch nicht die Treue der Regenten in den öffentlichen Angelegenhei ten gewis machen, oder der Geschwindigkeit und Ver schwiegenheit fähig seyn. Die Absichten eines ver derbten Senats werden allemal dahin gehen, sich und ihre Familien, vermittelst der Unterdrückung des Volks zu bereichern. Jn etlichen Senaten sind diese Uebel noch weit mehr zu befürchten, und dem grösten Theile solcher Versammlungen, kan es alsdenn auch an den erforderlichen politischen Ein sichten fehlen. Bey Leuten, die in einem grossen Reichthume, oder mit grosser Gewalt gebohren sind,
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Regierungsformen. 861(Sechster Abschnitt.) haben gemeiniglich, Ehrsucht, Eitelkeit, trotziger Uebermuth, und eine ungesellige Verachtung aller niederen Stände die Oberhand; als wenn diese letztern nicht mit ihnen von einerley Geschlecht, oder ihre Mitbürger wären. Jn einem so erhabnen Stande, werden die Menschen auch sehr oft durch Faulheit, Wollust und Schwelgerey verderbt. Eine unvermischte erbliche Aristokratie, ist eine von den ärgsten Formen, weil sie weder für die Weisheit noch für die Treue, und so wenig für die Einigkeit als Verschwiegenheit, Sicherheit verschaft. Bey einer Versammlung von Senatoren, die(Diejenigen wo der höch ste Rath ge wählt wird, sind die be sten.) auf ihre Lebenszeit entweder vom Volke selbst, oder wenigstens auf eine Art gewählt werden, wo es nicht möglich ist das Beste desselben aus den Augen zu setzen, findet sich weit mehr Sicherheit in Anse hung der Weisheit, so wohl als auch der Treue. Obgleich das Volk nicht allemal der beste Richter von Fähigkeiten ist, so folgt es doch gemeiniglich dem Rufe der Weisheit, den wirklich weise Leute gemeiniglich erhalten. Solche Senatoren müssen, so wohl aus Dankbarkeit gegen diejenigen, die sie gewählt haben, als auch durch ihr Verlangen nach der Liebe des Volks, und die Begierde durch ihr Anse hen bey dem Volke auch einmal ihre Freunde zu ei ner gleichen Stelle zu verhelfen, zur Treue bewogen werden. Wegen Uneinigkeit und Empörung in der Versammlung selbst aber zeigt uns eine solche Re gierungsform keine Sicherheit. Auch können immer noch die Senatoren durch die ehrgeitzigen Absichten,
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(Drittes Buch.) 862 Von verschiedenen ihren Reichthum zu vergrössern, von der Treue ge gen das Volk abgezogen werden. Wenn die neuen Glieder durch die Wahl der Versammlung selbst gemacht werden, so kan sich sehr leicht der ganze Senat in eine gefährliche Cabale ver wandeln, die nicht im Stande ist, die geringsten Vor theile, die der Endzweck jedes bürgerlichen Regen tens sind, hervorzubringen; ja so gar es versuchen, sich erblich zu machen. Wenn aber die Glieder des Senats von dem Volke gewählt werden, und nur eine kurze Zeit in ihrem Amte bleiben, wenn sie nachher keine andre Rechte, als das übrige Volk be halten, so könnte man einen solchen Senat eher eine Versammlung des Volks, und die Regierungs form eine Demokratie nennen. Jn einer solchen Form sind zwar die Weisheit und Treue der Re genten überflüssig gesichert, sie ist aber beständigen Empörungen blosgestellt, und kan in der Ausfüh rung ihrer Absichten weder geschwind noch verschwie gen seyn. Diese Regierungsform kan man als denn nur eine Aristokratie nennen, wenn das Volk verbunden ist, die Glieder des Senats aus gewissen grossen Familien zu wählen. Dann aber gehört sie auch nicht mehr zu den einfachen Arten, weil eines der wichtigsten Stücke der höchsten Gewalt, näm lich das Recht die obrigkeitlichen Personen zu er wählen, bey dem Volke ist. Wenn aber das Volk in seiner Wahl nur auf gewisse Stände, oder etliche grosse Familien eingeschränkt ist, so wird dies allemal zwo grosse Factionen hervorbringen, die jede ein von der an
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Regierungsformen. 863(Sechster Abschnitt.) dern abgesondertes Jnteresse haben. Die weisen herzhaften und ehrbegierigen unter den Plebe jern, werden sich allemal aufs stärkste bemühen, ei ne solche Absonderung aufzuheben, und auch einen Zutritt zu dem Senate zu erhalten. Mancherley Aufruhr wird also in einer solchen Regierungs form schwerlich vermieden werden können.* VI. Jn allen Formen der Demokratie ist man in Ansehung der Treue gesichert. Die Verfamm lungen<Versammlungen> des Volkes werden allemal die Glückseligkeit des Ganzen wünschen, weil dies ihre eigne ist. Wo aber solche Versammlungen alle Gewalt haben, und nicht durch einen Prinzen oder Senat in den Schranken er halten werden kan, da hat man wenig Weisheit, Ei nigkeit und Verschwiegenheit zu erwarten. Es ist ganz natürlich, daß da, wo alle freye Leute sich versammlen, keine Weisheit, keine Unveränderlichkeit ihrer Schlüsse Statt finden, und vieler Aufruhr unmöglich vermieden werden kan. Listige und nie derträchtige Schmeichler des Volks, können viel leicht wider alle tugendhafte und grosse Leute den Neid oder Verdacht des Volks erwecken, wenn 81
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(Drittes Buch.) 864 Von verschiedenen man ihrer auch aufs äusserste benöthigt ist. Zuwei len sind ihre Schlüsse bis zur Ausschweiffung kühn, wenn aber eine falsche Furcht einmal bey ih nen eingewurzelt ist, sind sie oft eben so niederge schlagen und kleinmüthig. (Eine Ver sammlung von Depu tirten ist die beste demo kratische Form.) Wenn die Gewalt einer zahlreichen Versamm lung von Deputirten des Volkes, die dasselbe nur auf eine kurze Zeit vorstellen, anvertraut ist, so kan man gleiche Treue erwarten, wenn sie nämlich ohne betrügerische Ansichten, so, wie das Beste des Volks es erfordert, gewählt worden sind, aber viel mehr Weisheit und Standhaftigkeit. Dennoch aber ist eine solche Form vor Spaltungen und Aufruhr nicht gesichert. Da sich vielleicht der Ei gensinn des Volks bey den verschiednen Wahlen al lemal ändert, so ist sie auch zu unbeständig. (Die besten Arten zu wählen.) Die Wahl durchs Loos verhindert zwar alle Betrügereyen und Bestechungen, sie hebt aber auch alle Klugheit der Wahl und alle Absicht auf die [die] Verdienste auf, man müste denn schon vorher eine kleine Anzahl von Candidaten durch Samm lung der Stimmen gewählt haben, und hernach unter diesen das Loos für einen, den Ausspruch thun lassen. Wenn man die höchste Versammlung so einrichtete, daß eine Sache durch Mehrheit der Cen turien, und nicht durch Mehrheit der Stimmen ent schieden würde: so wäre dies zwar ein Mittel, die weiste Gewalt in die Hände vornehmer* und ge schickter Leute zu bringen, man würde aber dennoch 82
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Regierungsformen. 865(Sechster Abschnitt.) dadurch nicht für mancherley Aufruhr gesichert seyn. VII. Aus dem, was wir bisher angeführt haben, er(Keine ein fache Form kan sicher seyn.) hellt ganz deutlich, daß keine Gesellschaft durch eine ein fache Form hinlängliche Sicherheit erhalten kan. Wenn man diejenigen Formen, die wirklich weise nach dem wahren Endzwecke aller bürgerlichen Regimente eingerichtet sind, regelmässig nennen wollte, so würden alle einfachen Arten, vielmehr den Namen der un vollkommnen und unausgebildeten erhalten. Ver mischte Formen, die aus allen dreyen zusammen ge setzt sind, werden wir, nach der Lehre der Alten** so wohl als der Neuern, als die besten befinden. Es trägt wenig zur Ehre einer Regierungsform bey, und beweist noch weniger, daß sie gerecht und klug ist, wenn man beweisen kan, daß sie die älteste und schon in den ersten Zeiten eingeführt gewe sen ist. Wir können von keiner Sache weniger, als von dem bürgerlichen Regimente vermuthen, daß die Menschen dasselbe gleich beym ersten Anblick, oder nach einer kurzen Erfahrung zur Vollkommen 83
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(Drittes Buch.) 866 Von verschiedenen heit haben bringen können, da eine gute Einrich tung desselben, die gröste Weisheit und Erfahrung erfordert. Wenn wir uns nach dem Alterthum richten wollten, so müsten wir wieder in die Hölen zurück weichen, uns der Häute von Thieren, der Ei cheln und wilden Früchte der Erde, statt unsrer ge genwärtigen Wohnungen, Speisen und Kleider bedienen. Ein ungekünstelter einfacher Plan kon te in den alten Zeiten, wo noch mehr Einfalt und Unschuld in den Sitten herrschte, vielleicht von sehr glücklichen Folgen seyn. Nachdem sich aber die Ueppigkeit und Verderbnis eingeschlichen hat, haben die Menschen bald die Nothwendigkeit einer künstlichern Einrichtung ihrer Regimentsverfas sung einsehen müssen. (Die ver mischten Formen sind unzählig.) Von vermischten Formen giebt es eine un endliche Mannigfaltigkeit, nachdem nämlich die ver schiednen Theile der höchsten Gewalt, in den monar chischen aristokratischen, oder demokratischen Staa ten von allen oben angeführten Arten, verschiedent lich eingetheilt sind. Viele von diesen Verände rungen, werden in dem vierten, fünften und sech sten Buche des Aristoteles und im Harrington be trachtet, und die natürlichen Ursachen ihrer Ver änderungen, und ihres Untergangs untersucht. Wir wollen nur einige allgemeine Anmerkungen anfüh ren, welche die beste Weise betreffen, wie diese ver schiedenen einfachen Arten in einer vermischten Re gierungsform verbunden werden können.
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Regierungsformen. 867(Sechster Abschnitt.) VIII. Um den demokratischen Theil zu erhal ten, haben wir schon oben den Nutzen der Gesetze in(Weiseste Arten dersel ben, mit Ge setzen, die die Aufhäufung des Reich thums ver hindern.) Ansehung der Ankauffung der Ländereyen, oder ir gend eines andern Mittels angemerkt, welches fä hig seyn kan, zu verhindern, daß nicht ein zu gros ser und gefährlicher Reichthum von wenigen auf gehäuft wird. Man kan keine gewisse Summe als die höchste bestimmen. Jn dem Maasse, wie die Staaten verschieden sind, können ihnen auch ver schiedne Grade des Reichthums gefährlich, oder nicht gefährlich seyn. Wenn solche Gesetze die Leute auf ein gar zu geringes Vermögen einschränken, so be nimmt dies dem Fleisse derjenigen, die zum Handel und zu Manufacturen die geschicktesten sind, den Muth. Erlauben sie aber die Aufhäuffung eines zu grossen Reichthums, so können sich vielleicht einige mächtige Familien, wenn sie sich verbinden, den übrigen Theil der Nation unterwerffen. Eini ge vermischte Staaten sind ohne solche Gesetze gesi chert, wenn nämlich der Adel seine Güter verkauf fen kan, und unter den Bürgerlichen Handel und Manu facturen<Manufacturen> blühen; diese auch zu Posten, die grosse Gewalt und vielen Reichthum verleihen, ge langen können. Vermöge dieser Mittel kan der Reichthum ohne den Beystand der Gesetze hinläng lich vertheilt werden. 2) Bey allen Formen durchgängig ist es kein(Wo für ei nen guten Wohlstand der Land leute gesorgt wird.) geringer Vortheil, wenn die gemeinen Pachter oder Landleute in guten Umständen sind, nicht so, daß sie im Stande wären, im Müssiggange zu leben, und sich Bedienten zu halten, um alle Arbeit für sie zu
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(Drittes Buch.) 868 Von verschiedenen verrichten, sondern nur so, daß die Fleissigen und Arbeitsamen im Stande sind, sich einen überflüssi gen Unterhalt zu erwerben, daß sie glücklich leben können, und zulängliche Stärke am Leibe und am Geiste erhalten, um sich und ihr Vaterland gegen einheimische Tyrannen, oder auswärtige Anfälle zu vertheidigen. (Wo sich das Volk durch Depu tirte ver sammlet.) 3) Die sicherste Art der Versammlung des Volks in einer vermischten Form, ist diejenige, wenn es gewisse Deputirten auf eine Zeit lang wählt. Bey solchen Versammlungen muß die Anzahl der Deputirten, welche die verschiednen Districte schicken können, nach der Menge des Volks, und seinem Reich thum in jedem bestimmt werden. Es wird nicht möglich seyn Bestechungen zu verhüten, wenn klei ne oder arme Districte oder Städte das Recht ha ben, mehrere vorzustellen, als das Verhältnis ihres Reichthums gegen die andern, oder der Theil, den sie an Abtragung der zum gemeinen Besten be nothwendigen Summen nehmen, es erlaubt. Ue berdies geschicht<geschieht> den übrigen Districten ein offenba res Unrecht. Die Wahl mus so eingerichtet werden, daß alle Bestechung unmöglich ist, denn sonst stel len die Deputirten ihre verschiednen Districte nicht wirklich vor. An der Treue einer solchen Ver sammlung, kan man unmöglich zweifeln, und es muß ihnen also ein grosser Theil von der Gewalt Gesetze zu geben, anvertraut werden. Gesetzt auch, solche Versammlungen wären weniger geschickt, Ge setze anzugeben, oder darüber zu berathschlagen, so soll ten sie doch den grösten Theil an der Gewalt haben,
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Regierungsformen. 869(Sechster Abschnitt.) ihnen die Stärke der Gesetze zu geben, weil sie nicht leicht einer Einrichtung diese Stärke geben werden, wenn sie nicht glauben, daß sie dem Ganzen nütz lich ist. Denn alles, was dem Volke zur Unter drückung gereichen kan, ist auch ihnen gefährlich. 4) Um allerhand Aufruhr in der Versamm(Ein Senat ist nothwen dig, der die Gewalt hat dem Volke gewisse Ge setze oder Schlüsse vorzutragen, der die Ju risdiction und das Recht obrigkeitliche Personen einzusetzen besitzt.) lung des Volks, und der Veränderlichkeit ihrer Schlüsse und Maasregeln, zuvor zu kommen, ist es allemal gut, wenn ein Senat von wenigen ein gesetzt wird, welcher von dem Volke selbst, wegen bekannter Geschicklichkeiten, erwählt werden, und das Recht haben mus, sich über Gesetze oder andre Schlüsse zu berathschlagen, und sie hernach dem Volke vorzustellen. Er sollte nur eine gewisse Zeit dauren, aber nicht auf einmal, sondern von Zeit zu Zeit durch die neue Wahl einer gewissen Anzahl von Mitgliedern verändert werden. Einem so eingerich teten Senate, könnte man auch die höchste Juris diction und das Recht in allen Streitsachen den letzten Ausspruch zu thun, wie auch die Wahl al ler obrigkeitlichen Personen, und die Besetzung aller bürgerlichen Aemter und Kriegsbedienungen anver trauen: zum wenigsten sollte er an allen diesen Dingen einen grossen Antheil haben. Man würde nur wenig Ursache zu fürchten haben, daß er solche Absichten, die dem Besten des Volks entgegen wären, hegen könte, weil die Mitglieder desselben nach wenigen Jahren, mit ihren Familien, was das Recht betrift, mit dem Volke in einerley Umständen seyn werden. Jhre ganze Hofnung nach Verlauf der gesetzten Zeit wie der gewählt zu werden, beruht auch auf der Liebe,
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(Drittes Buch.) 870 Von verschiedenen die sie sich bey dem Volke zu erwerben gewust ha ben. Ein solcher Senat würde am besten im Stande seyn, von den Fähigkeiten der Leute zu wichtigen Aemtern zu urtheilen. (Jn den Aemtern sind eine Ab wechselung, oder die leges anales nothwendig.) 5) Jn allen Senaten und Versammlungen, die nur eine gewisse Zeit dauern, ist es von grossen Nutzen, wenn sie von Zeit zu Zeit verändet werden, also, daß zu einer gesetzten Zeit der dritte oder vierte Theil abgeht, und ihre Plätze durch neu gewählte Glieder ersetzt werden. Gesetzt, dies geschähe alle Jahre, oder alle zween Jahre, so bleibt immer eine grössere Anzahl von alten Mitgliedern übrig, welche die Ursachen der vorher genommenen Maasregeln einzusehen, im Stande, und einmal zu öffentli chen Verrichtungen gewöhnt sind; die neu Aufge nommenen aber reichen hin vorher geschmiedete Ca balen zu hindern, oder zu vernichten. Es werden durch eine solche Einrichtung neue Personen in den Stand gesetzt, ihre Geschicklichkeiten zu zeigen, oder sie zum gemeinen Besten anzuwenden. Der Staat erhält mehr Leute, denen er wichtige Angelegenhei ten in bürgerlichen Dingen, oder solche, die den Kriegsstand betreffen, anvertrauen kan. Er wird auch durch den Tod oder die Verräthereyen der ein mal gebrauchten Leute nicht unglücklich gemacht. Diese Methode ist ferner nicht fähig, so viel Un willen und Neid unter dem Volke, oder in grossen Familien zu erregen, als sich allemal findet, wenn eine kleine Anzahl von verbundenen Leuten, auf eine lange Zeit alle reiche und ansehnliche Aemter allein besitzt; der Gefahr nicht zu gedenken, die für jeden
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Regierungsformen. 871(Sechster Abschnitt.) freyen Staat allemal entsteht, wenn wenige Perso nen die Gewalt lange besitzen. Es mus dadurch ein Uebermuth bey ihnen entstehen, und sie müssen solche ehrsüchtige Absichten zu hegen anfangen, als sie nie gekant haben würden, wenn ihrer Gewalt durch die Gesetze ein gewisses Ziel gesetzt wor den wäre. 6) Eben diese Gründe zeigen, wie vortheil(Die Ge walt aller obrigkeitli chen Perso nensollte<Personen sollte> auf eine ge wisse Zeit eingeschränkt seyn.) haft es ist, alle obrigkeitliche Personen nur auf ein Jahr zu wählen, oder wenn diese Zeit zu Ausfüh rung gewisser grossen Absichten zu kurz ist, we nigstens ihre Gewalt auf eine gewisse kleine Anzahl von Jahren einzuschränken. Diese Einrichtung kan oft den Staat des Diensts solcher Leute berau ben, die ausserordentliche Fähigkeiten besitzen, und doch nicht allemal. Diejenigen, die, weil es die Gesetze verlangen, ein Amt niederlegen müssen, sind nicht beleidigt, und ihre Nachfolger könen sich ihres Raths und ihres Beystands bedienen. Wo solche Gesetze schon eine geraume Zeit eingeführt gewesen sind, wird es niemals an Leuten fehlen, die alle zu den verschiedenen bürgerlichen oder Kriegsdiensten er forderliche Geschicklichkeiten und Erfahrung besitzen. Die Hofnungen des Staats ruhen niemals auf ei ner einzigen Person, und keiner kan durch seinen Tod einen unersetzlichen Verlust verursachen. Jede obrigkeitliche Person wird desto eifriger seyn, dem gemeinen Wesen Dienste zu leisten, und sich die Lie be des Volks zu erwerben, um sich versehen zu kön nen, daß sie so bald es die Gesetze erlauben, wieder gewählt werden wird. Wenn ein Staat die ehr süchtigen Absichten hat, Eroberungen zu machen, so
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(Drittes Buch.) 872 Von verschiedenen thut er vielleicht wohl, wenn er den kriegerischen Befehlshabern ein langes Regiment verstattet. Solche Entwürfe aber vermehren sehr selten die Glückseligkeit des siegreichen Staats. Sie verur sachen andern viel unverdientes Elend, und sind also boshaft und ungerecht. (Nothwen digkeit einer monarchi schen oder dictatori schen Gewalt.) 7) Um in jeder von solchen Versammlungen allen Aufruhr zu verhüten, oder sie abzuhalten, daß sie sich nicht unter einander anfallen, und einander ihre Rechte zu entreissen suchen, sollte eine monar chische oder dictatorische Gewalt zwischen ihnen ein gesezt werden, um Schiedsrichter zu seyn. Durch dieses Mittel kan auch die Ausführung aller ihrer Absichten, wenn es nöthig ist, weit geschwinder und verschwiegner erhalten werden. Diese Gewalt kan entweder einer ganzen Familie erblich aufgetragen werden, deren ganzes Vermögen Reichthum zu er langen aber den Gesetzen unterworffen seyn, oder von den Verwilligungen der Versammlung des Volks abhangen mus; oder man könte sie nur klei nen Versammlungen von wenigen anvertrauen, die von dem Senat auf eine gewisse Zeit gewählet wür den, und beständig sitzen müsten, um immer bereit zu seyn, die Stärke des Staats zu seiner Vertheidi gung gegen plötzliche Gefahren anzuwenden. Die Glieder dieser Versammlung müsten von Zeit zu Zeit und nicht auf einmal verändert werden, und jedes derselben, nach Verlauf seiner Zeit von dem Senat oder der Versammlung des Volks, wegen aller Unternehmungen während seiner Regierung, zur Rechenschaft gefordert werden können. Einem
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Regierungsformen. 873(Sechster Abschnitt.) solchen Prinzen oder einer solchen Versammlung kan man das Recht die Gesetze oder die Schlüsse des Volks zu vollstrecken, ganz sicher anvertrauen. Er kan auch mit dem Senate an der Vergebung der Aemter Theil haben. 8) Eine wohl eingerichtete Art mit Kugeln(Nutzen der Art mit Ku geln zu losen.) zu losen* verhütet allen Streit der Mitwerber und allen unerlaubten Einflus auf die Stimmen. Die Sache mag eine Wahl oder die Bestimmung ge wisser in dem Senate oder der Versammlung des Volks vorgetragner Angelegenheiten, oder einen rich terlichen Ausspruch betreffen. Vermittelst der Ku geln kan jederman nach seinem Gefallen stimmen, ohne sich der Rachgier der Mächtigen, dem Hasse des Volks oder dem Zorne seiner Partey auszuse tzen. Der Bestecher kan seine angewandten Sum men verlieren, und doch keine Stimme erhalten. Zugleich ist es klar, daß die Art mit Kugeln zu lo sen alle Schaam aufhebt, und dem Privathasse, der Bosheit und dem Neide ein freyes Feld öff net. Diese Leidenschaften können aber selten einen grossen Theil einer zahreichen Versammlung wi der eine und die nämliche Person einnehmen, wenn sie nicht gegründete Ursache dazu gegeben hat. Diese Unbequemlichkeiten sind also bey weiten nicht 84
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(Drittes Buch.) 874 Von verschiedenen so gros als diejenigen, womit andre Arten zu losen in einer freyen Nation begleitet sind. Die ärgste Wirkung dieser Art zu losen ist diejenige, daß sie oft grosse und rechtschafne Männer zwingt, ihr Vater land auf einige wenige Jahre zu verlassen, wenn ihre Landsleute anfangen, ihrer zu grossen Macht wegen Verdacht zu schöpfen. (Die Depu tirten des Volks sollten vorläuffig von den vor kommenden Sachen un terrichtet werden.) 9) Die Glieder der Versammlung sollten allemal schon zum voraus von den Sachen, welche vorkommen werden, unterrichtet seyn*, damit sie nicht nöthig hätten, durch ein langweiliches Ge zänke damit bekant zu werden. Alle die geneigt sind, diejenigen, die billig die vortheilhaften oder nachtheiligen Gründe einer Sache wissen müssen, davon zu unterrichten, werden allemal eine bessere Gelegenheit dazu finden, wenn sie mit Leuten zu thun haben, die ruhig und bey kälterm Blute sind, als man sie sich mitten in der Hitze der Versamm lung vorstellen kan. (Ein Gericht die Sitten zu richten.) 10) Jn jedem Staate ist eine sittenrichter liche Gewalt von grosser Wichtigkeit, um die Sit ten des Volks in Ordnung zu erhalten, und Uep pigkeit, wollüstige Schwelgerey und andre Laster, wodurch sonst alle für die Welt nützliche Tugenden und alle getreue Sorgfalt für das gemeine Beste vernichtet werden würden, entweder zu unterdrü 85
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Regierungsformen. 875(Sechster Abschnitt.) cken, oder wenigstens zu Gegenständen der Schan de zu machen. Hiervon werden wir mit der Zeit weitläuftiger handeln. Es ist vergebens, daß sich Prinzen und andre Regierungen über die Verderb nis der Sitten beklagen. Jhre Klagen müssen vielmehr einen gerechten Unwillen wider sie selbst er regen, da sie eben so bereitwillig sind die höchsten Wür den in den Kriegs- und bürgerlichen Ständen den lasterhaftesten Personen zu geben, als Tugendhaf te damit zu belohnen. Sie erwarten vergebens eine herzliche Ehrerbietung vor ihrer Person oder ihrer Autorität, da diejenigen, die am nächsten um sie sind, und von ihnen erhoben werden, die ih nen anvertraute Gewalt und ihren Reichthum hauptsächlich anwenden, der Schwelgerey und andern schändlichen Lastern ungestraft nachzuhän gen, oder sich und ihre Familien auf eine eigennützi ge Art zu vergrössern. Die Sittenrichter müsten von dem Senate gewählt werden, und die Gewalt besitzen, Leute von schändlichen Lebensart oder einer lüderlichen Auf führnng<Aufführung> von allen Aemtern und Würden abzuse tzen. Sie müsten ferner berechtigt seyn, die Ange klagten mit einigen noch härtern Strafen zu bele gen. Diese Gewalt ist vielleicht sicherer in den Hän den einer Versammlung von Sittenrichtern, die von Zeit zu Zeit verändert wird, als bey irgend einer andern Person. Durch eine genaue Betrachtung über diese Puncte können vielleicht die besten Arten von Re gimentsformen ausfündig gemacht und von der un
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(Drittes Buch.) 876 Die Rechte der Regenten. endlichen Menge von vermischten, die es giebt, abge sondert werden. Von den Gesetzen, die sich zu jeder Regierungsform auf besten schicken, wird weitläus tig<weitläuftig> genug im Aristoteles und im Harrington ge handelt.

Der siebende Abschitt. Die Rechte der Regenten, und wie weit sie sich erstrecken.

(Worinn die höchste Ge walt besteht.) I.Die Rechte der Regenten bestehen in denen, die sie durch Verfassung des Staats erhalten, in so fern nämlich die Rechte der Unterthanen ihrer Natur nach veräussert werden können, und wirklich durch solche Handlungen, die keine Ausnahmen lei den, veräussert worden sind. Vornämlich ist es klar, daß diejenigen, die die höchste Gewalt besitzen, keiner Person, oder keinem Gerichte auf Erden von ihrer Aufführung Rechenschaft zu geben verbunden sind, das Gegentheil enthält einen Wiederspruch. (Sie ist nicht in allen Staaten ei nerley.) Hieraus aber können wir nicht schliessen, daß in jeder Regierungsform, einer Person, oder einer Versammlung, oder beyden gemeinschaftlich, eben so viel Gewalt anvertraut seyn müsse, als vielleicht in andern Planen ihnen anvertraut ist. Wenn sich in einem Lande die ganze Masse des Volks wieder aufs neue versammlete, und sich entschlösse, die Gewalt seiner Regenten so unumschränkt als mög lich zu machen, so könte es ihnen freylich eben so grosse Rechte mittheilen, als in irgend einem andern Staa te die Regenten mit Recht besitzen können. Jn gewissen Staaten besitzt schon der Prinz oder ein
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Die Rechte der Regenten. 877(Siebenter Abschnitt.) Senat, oder beyde gemeinschaftlich eine unumschränk te Gewalt; in andern hingegen, sind vermöge ih rer ursprünglichen Einrichtung gewisse Rechte dem Volke vorbehalten, die also weder der Prinz, noch irgend eine grosse Versammlung, noch beyde ge meinschaftlich, das geringste Recht haben, sich zuzu eignen. So finden sich in einigen Staaten Grund gesetze vermöge deren die Gewalt Gesetze zu geben dem Prinzen und einer gewisse Versammlung ge meinschaftlich übergeben ist, und beyde sind, wenn sie sich auch vereinigen, nicht im Stande sie zu än dern. Keine Acte einer solchen Versammlung kan den König berechtigen für sich selbst Gesetze zu ma chen, oder eine Auflage zu haben. Alle solche Vergleiche des hohen Raths oder der Versamm lung des Volks mit dem Könige sind von selbst un gültig, weil sie über alle Gewalt die ihnen anver traut ist, erhaben sind. Jn gewissen Monarchien die man unumschränkt und erblich nennt macht der Prinz niemals einen Anspruch auf das Recht die Ordnung der Nachfolge zu ändern, ohne die Ein willigung des ganzen Staatskörpers einen Theil sei ner Lande zu veräussern, oder sein Königreich einem andern zu übergeben. Eben diese Sache zeigt sich noch deutlicher,(Dies zeigt sich wenn zween Staa ten einander einverleibt sind.) wenn zween unahängige Staaten einander einver liebt<einverleibt> worden sind, von denen jeder sich gewisse Rech te vorbehalten hat, die der Gewalt der Person oder der Versammlung die bestimmt ist das Ganze zu re gieren, nicht unterworffen seyn sollen. Es ist nicht zu leugnen, daß in grossen Nothfällen die Regenten
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(Drittes Buch.) 878 Die Rechte der Regenten. eines Staats mit Recht einige Schritte über die gewöhnlichen Grenzen die ihnen gesezt sind wagen können, sie können auch vielleicht ohne Noth und auf eine verrätherische Art, wider die Bedingun gen handeln, auf welche ihnen ihre Gewalt anver traut ist, ohne daß der Staat ein förmliches Mit tel hat Genugthuung dafür zu erlangen. Aber die Schwierigkeit diese Genugthuung zu erlangen zeigt nicht, daß sie das geringste Recht gehabt haben, so unnöthige Handlungen vorzunehmen. Wo keine solche Einschränkungen gemacht sind, können die Regenten alle alte Gesetze oder Verordnungen eines zu erhaltenden Vortheils wegen ändern, ohne daß sie durch die Noth dazu getrieben werden, weil die se Gewalt ihnen anvertraut ist. Wo es hingegen Grundgesetze giebt die gewisse Rechte als unver änderlich bestimmen, da kan nichts als die äusserste Nothwendigkeit solche Schritte rechtfertigen, die die Grenzen dieser Gesetze überschreiten. Sonst geht aller Glaube der Tractaten die bey solchen Vereinigungen verschiedener Staaten zum Grunde gelegt werden, verloren. Der Fall ist eben so als wenn zween Privat leute sich durch einen Contract zu einer gewissen Gemeinschaft verbunden, und einige ausdrückliche Dinge vorbehalten haben. Die äusserste Noth kan einen Theil rechtfertigen wenn er einem solchen Vor behalte zuwider handelt. Dennoch aber behauptet niemand, daß ein Theilhaber, der durch ausdrück liche Vorbehalte gebunden ist, ohne die Einwilli gung der übrigen so viel Gewalt über den gemein
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Die Rechte der Regenten. 879(Siebenter Abschnitt.) schaftlichen Vorrath hat, als er haben würde, wenn ihm die Verwaltung desselben ohne solche Einschrän kungen aufgetragen wäre. Wenn die Regenten solche vorbehaltne Rechte ohne Noth angreiffen, so erhalten die beleidigten Personen und alle die, so geneigt sind ihnen beyzustehen, das Recht sich auf eine gewaltsame Art zu widersetzen, und zu verthey digen. II. Regenten, welche die ihnen anvertraute(Jn welchen Verstande die Regenten heilig sind.) Gewalt auf eine weise Art gebrauchen, sind in die sem Verstande wirklich heilig, „daß sie Personen von hoher Wichtigkeit für das gemeine Beste sind, und daß alle Jnjurien oder Gewaltthätigkeiten womit man sich an ihnen vergreift weit strafbarer sind als ähnliche Verbrechen gegen Personen von geringerer Wichtigkeit, weil dem gemeinen Wesen dadurch ein grösserer Nachtheil widerfährt.“ Aber in diesem Verstande ist jeder tugendhafte und der Welt nützliche Mann heilig, er mag in einem so hohen Range stehn oder nicht. Die Rechte der Regenten, der obrigkeitlichen Personen und der Geistlichkeit, sind auf keine andre Art heilig als die Rechte aller andern Menschen, ob sie gleich zuwei len wichtiger sind. Gott hat uns durch keine Of fenbarung einer Regierungsform das Maas der zu übergebenden Gewalt, oder die Art der Nachfol ge bestimmt, so wenig als sie die Regenten irgend ei ne Nation die sich noch auf dem Erdboden befindet, ernannt hat. Sein Gesetz erfordert, daß ein Re giment eingeführt werden mus, wie es alle andre Dinge erfordert, die zum gemeinen Besten dienen
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(Drittes Buch.) 880 Die Rechte der Regenten. können. Die Form der Regierung aber und das Maas der Gewalt sind der menschlichen Klugheit überlassen. Sein Gesetz erfordert eben so das Ei genthum und bestätigt allen Menschen ihre natürlichen oder erlangten Rechte. Es ist aber der menschlichen Klugheit überlassen, vermittelst allerhand Unter handlungen, Einrichtungen darüber zu machen. Eben die Gesetze der Natur und Offenbarung die den Regenten ihre öffentlichen Rechte bestätigen, bestätigen auch den Unterthanen ihre Privatrechte, und diese lezten scheinen desto wichtiger und gehei ligter zu seyn, weil die ersten blos bestimmt sind diese zu erhalten. Jedes eingeführte sowohl öffent liche als Privatrecht könte aus verschiedenen Ur sachen mit Recht sowohl eine Verordnung Got tes als eine Verordnung der Menschen ge nannt werden. (Pflichten ge gen die Re genten.) So lange die Regenten redliche Absichten zu haben scheinen, und ihre Regierung das gemeine Beste nur erträglich befördert, müssen wir wenn sie gleich nicht an Tugenden sehr erhaben oder von allen Fehlern in ihrer Aufführung frey sind, ihre Schwachheiten so viel möglich übersehen. Wir müssen überlegen mit welchen Schwierigkeiten und grosse Versuchungen ein so hoher Stand begleitet ist. Sie sind immer für das gemeine Beste sehr wichtige Personen. So kan man auch bösen Regenten, denen man um ihrer selbst willen Nichts schuldig ist, des Staats oder der Welt wegen viel schuldig seyn. Gewaltsame Veränderungen sind allemal mit vie len Gefahren und beträchtlichen Uebeln begleitet.
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Die Rechte der Regenten. 881(Siebenter Abschnitt.) Man darf sie nicht wagen, ausgenommen wenn es nothwendig ist, um grossen schon gegenwärtigen Ue beln oder solchen zu entgehen, die man bey der ge genwärtigen Regierungsform oder der Verwal tung derselben gewis zu fürchten hat. So lange diese Uebel, diejenigen die bey einer gewaltsamen Veränderung zu befürchten sind, nicht überwiegen, oder keine Hoffnung so grosser Vortheile Statt findet, daß alle diese Uebel dadurch überwogen werden, so lange ist es eine heilige Pflicht der Unterthanen ge gen ihr Vaterland, gehorsam zu bleiben, und die Uebel eines bürgerlichen Kriegs zu vermeiden. Wo es sich aber anders befindet, und keine gelindere Mit tel den Staat von seinem Elende befreyen oder da vor in Thorheit setzen können, da ist es eine Pflicht die allen gegen ihr Vaterland obliegt, daß sie alles in der Welt versuchen müssen die Regierungsform zu ändern, oder so verrätherische Regenten ihrer Ge walt zu berauben. Alle eingebildete Heiligkeit ih rer Character und Personen ist alsdenn verlohren. Sie hören auf ein Seegen des menschlichen Ge schlechts zu seyn, und sind vielmehr eine Pest desselben. III. Das Recht sich einem eingeschränkten Köni(Jn allen Regierungs formen be hält das Volk das Recht sich zu widersetzen.) ge oder Senate zu widersetzen, wenn er sich eine Gewalt die ihm vermöge der Verfassung des Staats nicht aufgetragen ist, anmasst, oder die Rechte gewis ser Versammlungen die an der höchsten Gewalt, mit Theil haben, angreift, fällt sehr natürlich in die Augen. Wir müssen uns aber nicht einbilden, daß dieses Recht sich zu widersetzen allein in einge
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(Drittes Buch.) 882 Die Rechte der Regenten. schränkten Regierungsformen Sattt finde, wo durch gewisse Grundgesetze, oder Contracte, oder durch einen von den Regenten vor der Einsetzung ge nommene Eyd, dem Volke gewisse Rechte ausdrück lich vorbehalten, und vor ihrer Gewalt in Sicherheit gesetzt sind. Jn diesen Fällen ist das Recht sich zu widersetzen vielleicht weniger streitig, und das ganze menschliche Geschlecht wird so gut als die Untertha nen, ehe über die Rechtmässigkeit desselben und die Fälle, wo es angewendet werden darf, einig wer den. Bey allen Regierungsformen aber auch bey den unumschränktesten wissen alle Theile, daß der natürliche Endzwek, warum gewissen Personen eine solche Gewalt anvertraut, darinn besteht, daß das Wohl und die Sicherheit des Ganzen erhalten wer den soll. Wenn also die Gewalt nicht zu diesem Endzwecke sondern aus tyrannischen Absichten, oder durch Thorheit und Bosheit der Regenten, die glei che Wirkung hervorbringen müssen, zum Verder ben des Volks angewendet wird: so kan niemand den Unterthanen das Recht sich zu widersetzen strei tig machen, weil ihnen ihr Contract gebrochen wor den ist, dies muste denn mit einer offenbaren Noth entschuldigt werden. Nicht wieder zu gedenken, daß die Uebertragung einer unumschränkten Macht an einen Prinzen oder einen Senat, wobey das Volk allem Rechte sich zu widersetzen entsagte, seiner Natur nach ein ungültiges Verfahren seyn mus, weil es auf einen Jrrthum in Ansehung des Stücks, das bey solchen Unterhandlungen das wesentlichste ist, nämlich die Abzielung der Regierungsform aufs ge meine Beste, gegründet ist.
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Die Rechte der Regenten. 883(Siebenter Abschnitt.) Dies setzt nicht voraus, daß ein Gerichts hof oder eine Versammlung über die Könige in Mo(Dieses Recht sich zu widersetzen beweist nicht daß bey dem Volke eine erhabnere Gewalt sey.) narchien, über den Senat in Aristokratien und über die Versammlungen des Volks in Demokratien er hoben seyn kan. Es sezt blos voraus, daß die höchsten bürgerlichen Obrigkeiten oder Regenten den göttlichen und natürlichen Gesetzen unterworffen und durch einen gewissen Contract gebunden sind, worauf sie sich entweder ausdrücklich oder stillschwei gend bey ihrer Uebernehmung der Gewalt eingelas sen haben; daß sie nicht mehr Gewalt besitzen als ihnen vermöge der Verfassung des Staats gebührt, und daß, weil alle bürgerliche Gewalt offenbar nur des gemeinen Bestens wegen gegeben oder angenom men wird, derjenige, der sie zu entgegen gesezten Ab sichten anwendet, durch seine Untreue den andern Theil von seiner Verbindlichkeit befreyt und also die Unterthanen das Recht haben sich wider alles Un recht, das man ihnen anthun will, zu vertheidigen. Ein Recht sich wider Jnjurien zu setzen zeigt keine vor zügliche bürgerliche Gewalt an. Ja es kan mit der niedrigsten Unterwürfigkeit bestehn. Die Untreue des Obern kan seine Unterthanen von allen Ver bindlichkeiten gegen ihn befreyen, und so gar ein Sclave kan das Recht erhalten sich einem wilden und grausamen Herren mit Gewalt zu widersetzen, wenn er gleich aus den gerechtesten Ursachen sein Sclave geworden ist. IV. Da es klar ist, daß in allen Regimenten(Wer Rich ter seyn mus, ob die Ge walt meinei diger Weise gemisbraucht worden ist.) die bürgerliche Gewalt gewissen Personen blos des gemeinen Bestens wegen anvertraut ist, so können
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(Drittes Buch.) 884 Die Rechte der Regenten. allerhand Fragen entstehn, ob eine solche Gewalt durch solche Untreue, wodurch sie billig verwirkt wird, gemisbraucht werden kan, oder nicht. Wir reden hier nicht von solchen Jrrthümern oder Verse hen der Regenten, die die Unterthanen von jeden Sterblichen, weil alle fehlen können, billig erwar ten müssen. Diese geduldig zu ertragen, so lange ihre wichtigen Vortheile in Sicherheit bleiben, haben sie stillschweigend angelobt, und sie sind aufs hei ligste verbunden es zu thun, sowohl wegen ihrer Pflichten gegen ihren Regenten, die überhaupt ge nommen gut ist, als auch wegen des Vaterlands. Wenn es aber die Frage ist, ob die Misbräuche der Gewalt so gros sind, daß sie mit einer getreuen Ab sicht nicht bestehen können, oder daß sie das Volk, wenn damit fortgefahren wird, unglücklich machen müssen? dürfte man vielleicht denken, daß keine von beyden Partheyen ein unpartheyischer Richter in ihrer eignen Sache seyn könne. Der Regent aber hat dennoch allemal den wenigsten Anspruch, davon zu urtheilen, weil der streitige Punkt der ist, ob er seine Gewalt verwirkt hat, oder nicht? und er wird gewis niemals wider sich selbst ein Urtheil fällen. Der schiedsrichtliche Ausspruch weiser Männer aus einer entfernten Nation die auf keiner Seite Nichts gewinnen kan, würde bey solchen Fällen ungemein nützlich seyn. Aber das Volk oder eine Versamm lung von weisen Abgeordneten, denen es sich anver trauen kan, hat allemal die gegründesten Ansprüche auf das Recht diesen Punkt zu entscheiden. Weil alle bürgerliche Gewalt blos zu ihrem oder ihrer Ab ordner Besten und nicht zum Vortheile der Regen
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Die Rechte der Regenten. 885(Siebenter Abschnitt.) ten eingeführt ist. Und wer hat ein besseres Recht von einen Depositario oder einer Person, der die Ge walt anderer anvertraut ist, zu urtheilen, als eben diejenigen die ihr dieselbe anvertraut und sie zu dem Ende mit ihrer Macht unterstützt haben. Wenn ferner das Volk nach einem Versuche(Die Men schen haben in vielen Fällen das Recht eine Gewalt die sie andern anvertraut haben zu wi derrufen.) befindet, daß die Art der Gewalt, die es blos zu seinem Vortheile angeführt hatte, ihm wirklich ge fährlich wird; so hat es das Recht dieselbe zu ver ändern. Ein Regente mus ausserordentlich un verschämt seyn, wenn er seiner eignen Vortheile oder seiner Familie wegen nicht in eine solche Verän derung willigen, oder das Volk zu Haltung eines Contracts anhalten will, den es, wie er selbst über zeugt ist, blos in der Absicht geschlossen hat, daß er zum gemeinen Besten gereichen sollte, für welches er selbst gleichfalls nach allen Kräften zu sorgen ange lobt hat. Der Regente würde als ein Mandata rius handeln, der nachdem er einmal von andern ge braucht worden, einige wichtige Angelegenheiten der selben nach einer allgemeinen Vorschrift zu besorgen, sich weigerte, neue Jnstructionen oder Einschrän kungen von denen anzunehmen, die ihn eingesezt haben, oder, wenn er sich weigern wollte, seine erste Commission niederzulegen. Wenn er dem Volcke durch Vorstellungen und Erklärung seiner Absich ten bey seiner Aufführung nicht genug thun kan; so kan er mit Rechte sein mühseliges Amt niederle gen, auf die Ersetzung des Schadens, den er viel leicht erlitten hat, dringen, und verlangen, daß sei ne Familie wieder in eben den guten Stand gesetzt
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(Drittes Buch.) 886 Die Rechte der Regenten. werde, worinne sie sich vor ihrer Erhebung befunden. Dies aber ist das Volk verbunden zu thun, wenn es mit seiner Sicherheit bestehen kan. Aber ein Volk oder einen die Hälfte desselben an Zahl weit über treffenden Theil zu zwingen, daß es bey einer Re gierungsform bleiben mus, die es verabscheut, oder sie mögen wollen oder nicht seine Unterthanen zu blei ben ist ausserordentlich unsinnig. Als wenn Mil lionen Menschen, worunter sich tausend finden, die mit den Regenten gleiche Wissenschaft, Tugend, Geschicklichkeit, und Fähigkeit glücklich oder un glücklich zu seyn besitzen, zu einem Eigenthum des selben bestimmt wären, das zu seinem Vortheile seinen Vergnügungen, und zu Befriedigung seiner Eitelkeit, wider alle Absichten jedes bürgerlichen Re giments angewendet werden dürfte. (Auf beyden Theilen kön nen grosse Verbrechen begangen werden.) Wenn ein mit Vorurtheilen angefülltes Volk wider seine Regenten, oder die eingeführte Regierung ohne hinlängliche Ursachen Verdacht schöpft, und denselben wider die Gesetze einer guten Einrichtung seinen Gehorsam entzieht; so begeht es unstreitig ein entsetzliches Verbrechen, das zuwei len die schrecklichsten Folgen nach sich zieht. Eben dieses thut auch der Regent, wenn er eine Gewalt, die dem Volke wirklich gefährlich ist, nicht fahren lassen will, auf welche Art er sie auch erhalten ha ben mag. Sind die Ursachen ihres Verdachtes gegründet, so leisten sie sich und ihren Nachbarn ei ne schuldige Pflicht, wenn sie alle mögliche Gewalt anwenden, eine Veränderung zuwege zu bringen.
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Die Rechte der Regenten. 887(Siebenter Abschnitt.) Ueber die Gerechtigkeit dieser Ursachen aber, wird es schwer seyn, einen Richter auf Erden zu finden. Gesetzt aber, ein Prinz oder ein Senat sind überzeugt, daß keine Ursache da ist, in die Regie rungsform, oder ihre Art dieselbe zu verwalteuverwalten, ein Mißtrauen zu setzen; es könuen<können> aber dennoch keine Erklärungen oder Vorstellungen, oder kein schieds richterlicher Ausspruch, die Unterthanen befriedi gen, und ihre Furcht aufheben; so können die Re genten kein Recht haben, ihre Gewalt zu behalten, wenn sie kein Mittel finden, das Volk von seinen Besorgnissen zu befreyen; weil ein Volk, das in be ständiger Furcht und Mißtrauen lebt, nicht glück lich seyn kan, und die allgemeine Glückseligkeit der einzige Endzweck der bürgerlichen Gewalt ist. Leute, die die Gewalt besitzen, können vielleicht aus Klug heit und mit Recht einige Schritte wagen, die der ge genwärtigen Neigung ihrer Unterthanen zuwider sind, und nicht von ihnen gebilliget werden, weil sie die Ursachen ihrer Aufführung nicht allen mit genugsa mer Sicherheit anvertrauen können. Sie können vielleicht mit Rechte eine Form einführen, die das einfältige Volk, beym ersten Anblicke nicht billigt, wenn sie nur moralisch überzeugt seyn können, daß alle Unterthanen, nach Entdeckung der Ursachen sol cher Unternehmungen, und einem Versuche der neuen Einrichtung und ihrer Vortheile, vollkommen da mit zufrieden seyn werden. Ein Freund kan sich eben so in gewissen besondern Fällen der Gewalt bedie nen, den besondern Befehlen seines Freundes, der ihm seine Angelegenheiten aufgetragen hat, zuwider zu
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(Drittes Buch.) 888 Die Rechte der Regenten. handeln; ja er kan es sogar wagen, ihm einige nütz liche Dienste zu leisten, die ihm gar nicht aufgetragen sind, oder von denen er weiß, daß sein von Vorurthei len eingenommener Freund, nicht darein willi gen würde; weil er die Nothwendigkeiten einer sol chen Unternehmung, oder die grossen Vortheile, die daraus folgen müssen, nicht einsehen würde. Sol che Unternehmungen aber müssen nicht die wichtig sten, sondern sich bald zeigende Dinge betreffen, und nichts kan solche rechtfertigen, die einen allgemei nen und anhaltenden Verdacht, oder ein lange dau rendes Mistrauen verursachen; weil dieses die gan ze Glückseligkeit eines Volkes vernichten mus, des sen Seelen durch die Selaverey<Sclaverey> noch nicht verderbt sind, und noch nicht aller Sorgfalt oder Vor sichtigkeit wegen der künftigen Vortheile ihres Va terlandes verlohren haben. Ein solcher Verdacht, und ein so unruhiges Mistrauen, ist allemal in einer unumschränkten erblichen Monarchie und Aristo kratie in einem gewisse Maasse unvermeidlich, weil das Volk nicht die geringste Sicherheit für seine wichtigsten Rechte sieht. (Eine einge führte Regie rungsform kan selten ein gegrün detes Recht verschaffen, wenn sie nicht gut eingerichtet ist.) V. Nur die Regierungsformen sind gerecht, die ihrer Natur nach das gemeine Beste befördern. Wenn einmal ein Regiment eingeführt ist, das so gut zum Bösen als zum Guten angewendet werden kan, ohne daß für eine vernünftige Sicherheit, daß es wird zum Guten angewendet werden müssen, ge sorgt ist, wie in allen einfachen unumschränkten Monarchien und Aristokratien, oder vielmehr Oli
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Die Rechte der Regenten. 889(Siebenter Abschnitt.) garchien, so haben die Personen, denen die Gewalt anvertraut ist, ein Recht, sich derselben so lange zu Beförderung des gemeinen Bestens zu bedienen, bis die Gesellschaft es für gut befunden, eine neue Re gierungsform einzuführen. Sie können das alte Regiment nicht länger beybehalten, wenn der grö ste Theil derselben, in eine Veränderung willigt, oder nur ein Theil des Volks mit der alten Regie rungsform unzufrieden ist, und auf bessere Sicher heit für das gemeine Wohl dringt. Da uns die ge sunde Vernunft zeigen mus, daß in solchen Planen nicht die geringste Sorgfalt angewendet worden ist, die grösten Uebel zu verhüten, so ist jeder, sobald er dieses einsieht, verbunden, in gewisse nothwendige Einschränkungen oder Einrichtungen, wodurch für die gemeine Sicherheit gesorgt wird, zu willigen. Dadurch, daß ein Volk sich übereilt, und in einen Jrrthume über das, was in der Natur der Contracte am wichtigsten ist, einen Contract geschlossen hat, erhalten die Regenten kein Recht. Ein Regent begehet einen Meineyd, und bricht den Glauben, den man bey Anvertrauung der bürgerlichen Gewalt in ihn gesetzt hat, wenn er sich solchen Einschrän kungen widersetzt, die nothwendig sind, das allge meinste Unglück zu verhüten. Keine unumschränk ten erblichen Herrscher, können ihre Unterthanen durch Eyde verbinden, daß weder sie, noch ihre Nachkommen, sich ihnen widersetzen wollen, noch das Recht hindern, das sie haben, nothwendige Ein schränkungen zu machen, wenn einmal die Nachfol ge auf tyrannische Ungeheuer fallen sollte. Sie
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(Drittes Buch.) 890 Die Rechte der Regenten. sollten sich allemal des einzigen Endzwecks ihrer Ge walt erinnern, und daß ihnen nichts, als das Beste ihrer Unterthanen anvertraut ist. (Zuweilen find<sind> die Un terthanen verbunden, sich böser Regierungs formen zu un terwerfen.) Es ist gewis, wenn ein unvernünftiger Plan einmal eingeführt ist, wenn man keine Hofnung hat in den Bemühungen, denselben zu ändern, glücklich zu seyn, sondern sie wahrscheinlicher Weise nur dienen werden, die Kette schwerer zu machen: oder, wenn die Uebel, die bey seiner Fortdauer zu fürchten, oder die Vortheile, die bey der Verände rung zu hoffen sind, nicht so gros sind, daß sie das schreckliche Elend überwiegen, das in einem bürger lichenKriege allemal zu befürchten steht; so sind vielleicht dle Unterthanen, vermöge der Pflichten ge gen ihr Vaterland, aufs heiligste verbunden, ihre Absichten und Unternehmungen, bis auf eine geleg nere Zeit zu verschieben, und währender Zeit gehor sam zu seyn. Eben so, wie ein rechtschafner Mann sich und seiner Familie schuldig ist, lieber seinen Geldbeutel einem Räuber zu überlassen, als sein Le ben durch Vertheydigung desselben in Gefahr zu setzen. Das Recht, das die Regenten in einer solchen un sinnigen Regierungsform haben, die Unterthanen zu unterdrücken und zu Sclaven zu machen, ist einer ley mit dem, daß ein Räuber auf das Geld hat, daß er jemanden gezwungen, ihm zu versprechen. Der Jrrthum ist eine so gegründete Ausnahme wi der einen Contract, als die gebrauchte Gewalt. Und beysolchen<bey solchen> unsinnigen Regierungsformen findet diese Ausnahme allemal Statt; der starken Ursache der dringenden Noth nicht zu gedenken. Wenn die
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Die Rechte der Regenten. 891(Siebenter Abschnitt.) Form überhaupt genommen gut, und das Volk bey derselben sicher ist, es finden sich aber einige Theile, woraus einige nicht sogar beträchtliche Uebel entstehen, und die Regenten bestehen darauf, sie bey zubehalten; so können wir allenfalls zugestehen, daß sie ein äusserliches Recht darauf besitzen, so, wie ein eigennütziger Mann, einen andern zu Erfüllung eines einmal geschlossenen, aber unbilligen Con tracts anhalten kan. Das Volk ist vielleicht aus Absicht auf einen entfernten Nutzen, oder auf die Welt verbunden, ruhig zu bleiben, um grössere Ue bel, die aus gewaltthätigen Mitteln entstehn könn ten, zu verhüten. Der Regente aber hat auf sei ner Seite kein Recht, worauf er sich mit einem gu ten Gewissen beruffen könnte. VI. Wenn Regenten, die auf eine rechtmässige(Verbind lichkeiten der Untertha nen, ihren Regenten wider Empö rungen beyzustehen.) Art eingesetzt sind, und ihre Gewalt gehörig anwen den, bey einem grossen Theile eines verderbten Vol kes verhast werden, und Empörungen wider sie ent stehn, so sind die übrigen Unterthanen verbunden, ihnen mit aller Treue beyzustehen. Es ist eben falls ihre Pflicht, ihnen wider alle unrechtmässige Mitwerber, oder alle fremde Anfälle behülflich zu seyn. Dies sind die Unterthanen nicht nur den be sten Regenten, sondern auch solchen schuldig, die nur im Ganzen gute und getreue Absichten haben, ob sie gleich sonst viele Schwachheiten an sich ha ben können; mit einem Worte, alle denen, die nicht die grossen und wichtigen Vortheile des menschli chen Geschlechts angreiffen, zu deren Erhaltung es sich in verschiednen Staaten vereinigt hat. Die
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(Drittes Buch.) 892 Die Rechte der Regenten. Unterthanen sind zu einer solchen Treue um so viel heiliger verbunden, weil der ungerechte Mitwer ber oder Angreiffer zum voraus die ärgste Hofnung von seinen Absichten, nnd<und> seiner künftigen Regie rung macht, indem er solche Mittel anwendet, sie zu erhalten. (Wenn es erlaubt ist, sich einem Erobrer zu unterwerf fen.) Wenn aber ein solcher glücklich ist, den ersten Regenten vom Throne stöst, sich selbst die höchste Gewalt zueignet, und schon so fest darin gesetzt hat, daß nur noch sehr wenig Hofnung übrig ist, den er sten Regenten, ohne das gröste Blutvergiessen und Elend wieder einzusetzen; wenn der Eroberer ei ne Regierungsform einführt, wodurch die wichti gen Rechte des Staats, so gut als vorher in Si cherheit gesetzt werden; so, daß die Wiedereinfüh rung des vorigen Regiments, keinen Nutzen schaf fen kan; so wird es die Pflicht des ersten Prinzen, seine Ansprüche fahren zu lassen, weil er diese blos zum Vortheile des Volks erhalten hat; dieser aber nunmehr nicht mehr damit bestehen kan. Und ein Volk, das von seinen gegenwärtigen ruhigen und sichern Zustande, und von der Unmöglichkeit, den er sten Regenten, ohne das gröste Blutvergiessen wie der einzusetzen, überzeugt ist, kan sich mit Rechte bey der gegenwärtigen Verfassung beruhigen und die öffentliche Glückseligkeit durch Bestätigung derselben fortdaurend machen, ja es ist oft gar dazu verbun den. Bey allen gegenseitigen Verbindlichkeiten ist es unsinnig, wenn man behauptet, daß der eine Theil immer noch verbunden bleibt, wenn es dem andern unmöglich geworden ist, die Pflichten zu ent
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Die Rechte der Regenten. 893(Siebenter Abschnit.) richten, wegen welcher beyde sich ihre Verbindlich keiten aufgelegt haben. Solche Zufälle sind Aus nahmen, die bey allen Contracten voraus gesetzt werden. VII. Oft erhebt sich wider diese Grundsätze, in(Diese Grund sätze leiten keines Weges zur Empö rung.) Ansehung der Rechte sich zu widersetzen, ein allge meines Geschrey, daß sie beständigen Aufruhr und Empörungen verursachen müsten, da doch das Ge gentheil bekannt genug ist. Solche Unglücksfälle entstehen viel öfter aus der entgegengesetzten Lehre, wodurch lasterhaften Regenten eine unumschränkte Gewalt zugestanden wird, die sie berechtigt von ih rem Volke wider die Natur und alle gesunde Ver nunft, die gewissenhafteste Unterwürfigkeit zu er warten, wenn sie der Tyranney und Unterdrückung den Zügel gänzlich schiessen lassen. Es ist bekannt, daß die Menschen nur gar zu ofte die gegründetesten Pflichten, wovon sie überzeugt sind, überschreiten: sie werden also viel weniger strenge in Beobachtung solcher aberglaubischen Grundsätze seyn, die in der Vernunft nicht gegründet sind. Die Hofnung, vermittelst solcher Grundsätze, die den Regenten eine unumschränkte Gewalt zueignen, und allen Wider stand verbieten, die Welt ruhig zu erhalten, ist ganz falsch. Wo auch die gegründeten Rechte des menschlichen Geschlechts bekannt, und durchgängig angenommen sind, herrscht doch allemal eine so all meine<allgemeine> Liebe zum Frieden, so viel Neigung nur er trägliche Regenten hochzuachten, so viel eingewur zelte Zuneigung, zu alten Gesetzen und Gewohn heiten, so viel Abscheu vor dem was ihnen zuwi
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(Drittes Buch.) 894 Die Rechte der Regenten. der ist, so viel Furcht vor den Gefahren bey Zer rüttungen des Staats, und so viel Hofnung auf allerhand Vortheile unter der gegenwärtigen Re gierung, daß es nur selten möglich ist, eine Ver ändrung zuwegen, oder eine hinlängliche Anzahl zu sammen zu bringen, die an gewaltsamen Unterneh mungen, wider eine schon lange eingeführte Regie rung Theil nehmen will, wenn auch die Untertha nen vollkommen dazu berechtiget wären. Wir sehen auch, daß solche Unternehmungen beynahe nie mals glücklich ausschlagen, wenn nicht die Gewalt auf die gröbste Art gemisbraucht, und gänzlich zum Verderben des Volks angewendet worden ist. Das menschliche Geschlecht ist überhaupt ge nommen, zu zahm und gutherzig gewesen, und da her rührt es, das itzt beynahe neun Zehntheile aller Nationen auf Erden, unter einer widerrechtlichen Sclaverey seufzen, die sie vollkommen berechtigt wären, auf die gewaltsamste Art abzuschütteln. Jn den Zeiten der Finsternis, und oft auch in aufgeklärten Jahrhunderten sind, durch die schänd lichen Künste arglistiger Prinzen, durch die knech tische Niederträchtigkeit der meisten Geistlichen, die das Volk im Aberglauben erhielten, durch die Ver bote die richtigen Grundsätze in Ansehung der Rech te des menschlichen Geschlechts bekant zu machen, die richtigen angebohrnen Begriffe von der Art zu regieren in den Gemüthern der Menschen ausge löscht, nnd<und> diese hingegen mit verwirrten Vorstel lungen von etwas Göttlichem in den Monarchen an gefüllt worden. Man überredte ihnen, die Re
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Die Rechte der Regenten. 895(Siebenter Abschnitt.) genten, so gar auch die ärgsten, stellten auf gewisse Weise die Gottheit vor; gewisse Familien besässen ein göttliches Recht, das von dem Besten der Na tionen, die sie regieren sollten, gänzlich abgesondert wäre, und wegen solcher eingebildeten, und unge gründeten Verbindlichkeiten ist das beste Blut die ser Nationen durch die streitenden Parteyen vergos sen worden. Es ist kein Wunder, daß Millionen sich für ein Eigenthum eines ihrer Nebenmenschen halten, der vielleicht so einfältig und unwürdig ist, als der Schlechteste unter ihnen, da gleich Künste des Aberglaubens es haben dahin bringen können, daß Millionen, ja die Erfinder solcher Betriegereyen selbst, vor einem von ihnen aufgerichteten Klotze oder Steine niedergefallen sind, oder Affen, Katzen und Krokodille, als die obersten Anordner ihrer Glück seligkeit angebetet haben. Daher rührt es, daß vie le gelehrte Leute sich nicht scheuen, von Erb- oder despotischen Königreichen zu reden, wo Millionen Menschen mit allen ihren Nachkommen auf ewige Zeiten in ihrem Gewissen verbunden sind, bestän dig einem ihrer Nebenmenschen unterworfen zu seyn, und ihm oder seinen Nachkommen, als eine an dre Waare, blos zu seinem Vortheile, oder zu Befrie digung seiner eigensinnigen Einfälle, zu dienen. VIII. Die bürgerliche und natürliche Freyheit(Von der natürlichen und bürger lichen Frey heit.) haben dieses gemein. Wie die letzte „ein Recht ist, das jeder hat, nach seiner Neigung zu handeln, wenn er nur innerhalb der Schranken der Gesetze der Natur bleibt,“ so ist die bürgerliche Freyheit, „das Recht so zu handeln, wie es ihm gefällt, wenn
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(Drittes Buch.) 896 Die Rechte der Regenten. er nur die natürlichen und bürgerlichen Gesetze nicht übertritt.“ Die Gesetze heben die Freyheit im geringsten nicht auf, sondern sind vielmehr ihr natürlichster und sicherster Schutz. Gäbe es kein Recht der Natur, das andre abhielte, die Rechte ih rer Nebenmenschen zu beleidigen, oder sich dieselben anzumaassen, so fände kein Recht, und kein Genus der natürlichen Freyheit Statt. Gäbe es keine bürgerlichen Gesetze, uns wider Jnjurien oder die unrechtmässige Gewalt Stärkerer zu schützen, so wäre niemand in der Gesellschaft eines einzigen Rechts versichert, weil alle von dem Willen derje gen, die eine grössere Stärke hätten, abhängen mü sten. Und wie man von einem sagen kan, daß er frey handelt, wenn er der Führung eines andern, auf dessen vorzügliche Weisheit er sich fest verläst, freywillig folgt: so kan man auch behaupten, daß die Menschen unter der strengsten Regierung, wo die Sitten aufs genaueste bestimmt sind, dennoch überflüssige Frey heit behalten, wenn sie von der Weisheit und gu ten Absicht der Gesetze überzeugt, und herzlich damit zufrieden sind; ob sie ihnen gleich nicht ungestraft zuwider handeln dürften, und in Ansehung des grö sten Theils ihrer Aufführung an diejenige, die das Gesetz verordnet, gebunden sind. Wenn man un ter der bürgerlichen Freyheit eine Ausnahme von der Verbindlichkeit der Gesetze verstünde, so würde in den an besten eingerichteten Staaten die wenigste Freyheit Statt finden. (Begriffe der Griechen und Römer von einem freyen Volke.) Jn unsern neuern Regierungsformen, wo sich der Staat wenig um die Erziehung und die Zucht
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Die Rechte der Regenten. 897(Siebenter Abschnitt.) seiner Unterthanen bekümmert, ist ihre natürliche Freyheit auf alle Weise nur sehr wenig eingeschränkt, und ein Volck wird frey genennet, wenn seine wich tigen Vortheile hinlänglich vor den räuberischen Absichten, oder dem Eigensinn derjenigen, die die Gewalt besitzen, gesichert sind. Die Griechen und Römer scheinen mit dem Ausdrucke populus liber einen andern Begriff verbunden, und nur Aristo kratien oder solche Regierungsformen darunter ver standen zu haben, wo die höchste Gewalt, oder we nigstens die wichtigsten Theile derselben in den Hän den des Volks, sind, so, daß das ganze Volk die Re gierung führt, oder wenigstens mit Befehlen und Gehorchen abwechselt.

Der achte Abschnitt. Von den Mitteln, die höchste Gewalt zu erlan gen, und in wie fern sie gerecht sind.

I.Wir haben schon gezeigt, daß die einzige na(Die Ein willigung des Volks grün det die höch ste Gewalt oder Maje stät.) türliche Weise, die höchste Gewalt zu er langen, die Einwilligung, oder eine freywillige Ue bertragung desselben von dem Volke ist; und es ist klar, daß es keinen Zweig der höchsten Gewalt giebt, der nicht auf eine solche Art hervorgebracht werden kan. Alle Majestät Gewalt oder Würde, wovon wir uns vernünftige Begriffe machen kön nen, (denn wir können uns hier auf die Ausschwei fungen einer enthusiastischen Einbildungskraft nicht einlassen), sind weiter nichts, als eine gewisse Menge verschiedner Rechte, die ein Prinz, ein Se
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(Drittes Buch.) 898 Von den Mitteln nat oder eine Versammlung von einer grossen Men ge Volks aufgetragen sind.* Kein einzelnes Glied dieser Menge hat vorher diese höchste Gewalt oder diese Majestät besessen, eben so wenig als ein einzelnes Glied Tausend macht. Wenn aber jeder von der Menge einige von seinen Rechten einer gewissen Person oder Versammlung aufträgt: so kan dadurch diese höchste Gewalt oder Majestät her vorgebracht werden, wie viele, wenn sie sich vereini gen, eine Zahl von Tausenden ausmachen. (Alle welt liche Gewalt kan aus Con tracten des Volks entste hen.) Um diesen Begriff noch genauer zu bestim men, so entsteht die Gewalt Gesetze zu geben dadurch, wenn jeder von einer olchen<solchen> Menge einer gewissen Person oder Versammlung das natürliche Recht überträgt, das er auf die Freyheit in Ansehung seiner Handlungen und Güter hat. Die Ge walt, sie zu vollstrecken, entsteht theils aus eben die ser Uebertragung, theils auch dadurch, das jeder dem Prinzen oder der regierenden Versammlung die Rechte, die er in der natürlichen Freyheit wider seine Beleidiger, in Ansehung ihrer erwiesenen Jn jurien, oder der zu erlangenden Schadloshaltung und Sicherheit wegen künftiger ähnlicher Unter nehmungen gehabt haben würde, anvertraut hat. (Selbst auch die Gewalt über Leben und Tod, de ren zweyer ley Art ist.) Die Gewalt über Leben und Tod hält keines weges etwas so göttliches in sich, daß sie durch die 86
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die höchste Gewalt zu erlangen. 899(Achter Abschnitt.) Einwilligung des Volks nicht hervorgebracht wer den könte. Keine Obrigkeit ist so sehr Herr über das Leben eines Menschen, daß sie ihn desselben nach ihrem Gefallen, ohne eine Ursache, berauben könte. Sie hat nur diese zwo Arten von Rechten darüber. Das eine ist unmittelbar, wenn die gemeine Sicherheit es erforder, gewisse Verbre chen am Leben zu strafen. Dies Recht würden die Menschen auch in einem Stande der natürlichen Freyheit besitzen.* Die Obrigkeit sorgt im Na men der beleidigten Person oder der Gesellschaft für diese nothwendige Sicherheit wegen künftiger Jnjurien. Das andre Recht ist mittelbar, ver möge dessen die Obrigkeit ihre Unterthanen zwin gen kan, zum Besten des Staats, die gefährlich sten Dienste, die ihnen oft das Leben kosten kan, zu übernehmen. Nun hätte jeder im Stande der natürlichen Freyheit das Recht, sein Leben in einer für das menschliche Geschlecht wichtigen Angelegen heit, als zu Vertheidigung seiner Familie, seiner Nachbaren und ihrer wichtigen Rechte zu wagen. Nun zeigt uns die gesunde Vernunft, daß es, wenn jeder an solchen gewaltsamen Unternehmen Theil nehme, höchst nothwendig ist, daß sich dieselben vereinigen und nach einerley Maasregeln verfah ren. Niemand kan ihm also das Recht streitig machen, die Anordnung solcher gewaltsamen Un ternehmungen einer einzigen Person, oder Ver sammlung anzuvertrauen, und ihr zugleich das Recht zu geben, sie zu zwingen, im Falle sie sich 87
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(Drittes Buch.) 900 Von den Mitteln weigern sollten, das zu thun, wozu sie ein Recht haben, oder wozu sie durch das Gesetz der Natur verbunden werden. Es ist noch viel klärer, auf welche Weise andre Theile dieser höchsten Gewalt aus eben dieser Quelle entspringen können. (Die Rechte eines Volks sind so gehei ligt, als die Rechte des Regenten.) Es ist wahr, daß die Einrichtung des bür gerlichen Regiments der wichtigste Contract ist, der im menschlichen Angelegenheiten vorkommen kan, und daß also die Verbindlichkeit zur Treue bey demselben weit stärker und geheiligter ist. Aber diese Betrachtung zeigt mehr die grosse Verbind lichkeit der Regenten, ihre Regierung getreu zu verwalten, als die Pflicht der Unterthanen, gehorsam zu seyn. Sie macht die Rechte der Regenten we niger göttlich, als die Rechte der Unterthanen, weil die erstern zur Erhaltung der letztern bestimmt sind, obgleich die Rechte der Regenten wichtiger seyn können, als die Rechte jedes einzeln Unterthanen. (Jn welchem Verstande ei ne Regie gierungs form gött lich ist.) II. Es ist bey nahe überflüssig, die Ursachen zu untersuchen, warum eine Regierungsform vor der andern für göttlich gehalten wird. Diejenige ist unstreitig die göttlichste, die am besten nach dem gemeinen Wohl eingerichtet ist. Die heilige Schrift schreibt allen Nationen nicht einerley Form vor; und am wenigsten scheint sie den so sehr be wunderten Plan der unumschränkten erblichen Mo narchie zu billigen. Das Recht der Natur erfor dert von einem jeden dasjenige zu thun, was nach den ausgedehntesten Begriffe der menschlichen Klug heit zu der Glückseligkeit des menschlichen Ge schlechts etwas beytragen kan; und verbindet uns
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die höchste Gewalt zu erlangen. 901(Achter Abschnitt.) also auch ohne Zweifel die besten Regierungsfor men einzuführen. Es verbindet uns aber dazu nicht stärker, als es uns verbindet, uns der heil samsten Speisen, der besten Kleidung, der zuträg lichsten Bewegungen zu bedienen, oder die nütz lichsten Verrichtungen, und die bequemsten Arten der Baukunst zu wählen. Es hat die Entdeckung dieser Dinge der menschlichen Klugheit überlassen, und Niemand bildet sich deswegen ein, daß alle Menschen zu einerley Art Speise, Kleidung, Bewe gung und Baukunst verbunden sind, und diejeni gen, so davon abweichen, ein Verbrechen begehn, weil sie den vorzüglichen Nutzen jener Arten nicht einsehen. Eben so verhält es sich mit der Regie rungsform, der erste Plan derselben mus billig der beste seyn, der nur zu erfinden steht, und diejenigen, die ihn einführen, müssen die Gewalt haben, durch einen Contract oder gewisse Grundgesetze, die Art zu bestimmen, wie er fortdauern, oder die Gewalt auf andre fortgepflanzt werden soll. III. Ein göttliches Recht auf die Nachfolge(Göttliche Rechte auf die Nachfol ge sind lä cherlich.) in gewissen öffentlichen Aemtern zu behaupten, ist lächerlich. Bey den Vereinigungen der Privat Leute zeigt uns das Recht der Natur nicht, daß die ungetheilte Erbschaft auf einen einzigen fallen müste. Einige bürgerliche Gesetze, wodurch eine solche Art der Nachfolge eingeführt wird, sind voll kommen widernatürlich. Die Natur weist uns bey Privaterbschaften oft auf viele Miterben*, 88
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(Drittes Buch.) 902 Von den Mitteln nämlich auf alle die, welche mit dem Verstorbnen in gleichem Grade der Blutfreundschaft stehen, auch oft auf die aus den Neben- oder heraufsteigenden Linien. Die Nachfolge nach der Linie* wo alle mal einer den Verstorbnen vorstellt, ist eine blosse Erfindung, die eingeführt ist, eine gewisse Person in den Stand zu setzen, gewisse bürgerliche oder kriegerische Aemter zu führen, oder dem gemeinen Wesen eben die Dienste zu leisten, wozu der Ver storbene verbindlich gewesen ist. Das Recht der Erstgeburt kan kein solches Recht verschaffen, es müste denn durch ausdrückliche Gesetze eingeführt seyn, und auch diese sind ausserordentlich ungerecht, wenn sie die ganze Erbschaft einem einzigen zum Nachtheile vieler zueignen, die eben so nahe ver wand sind, und gleiche Verdienste besitzen. Auch die Bewegungsgründe, daß die Erben in den Stand gesetzt werden müsten, gewisse öffentliche Aemter oder Würden mit Ansehen zu führen, müste ihn nur zu einem grössern Theile, oder vielleicht zu ei ner doppelten Portion von der Erbschaft berechti gen. Man kan aber von einem Privatvermögen, das zum Besten einer Familie dient, nicht auf die Gewalt über Staaten und Nationen schliessen, die nicht zum Besten einer Privatfamilie, sondern zum Besten ganzer Nationen bestimmt ist. (Die erbliche Nachfolge in der Linie ist nicht in der Natur ge gründet.) Der geringste Antheil eines Rechts auf die Nachfolge in Aemtern, die durch das Volk einge sezt sind, mus auch von den Handlungen des Volks hergeleitet werden. Und wir haben schon gesehen, 89
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die höchste Gewalt zu erlangen. 903(Achter Abschnitt.) wie viel gegründete Ursachen oft ein Volk haben kan, solche Handlungen zu wiederrufen. Wenn die erbliche Nachfolge in der Linie durch die Gesetze eingeführt ist, so kan sie ausser allem Streite seyn, und allen Streitigkeiten über die Person, die vermö ge dieser Gesetze das nächste Recht dazu hat, zuvor kommen;* aber die Gesetze selbst haben keinen Grund in der Natur, die ihre Gerechtigkeit bewiese. Wenn man auch zugiebt, daß die Erstgeburt eine natürliche Ursache eines Vorzugs ist, ob es gleich nicht leicht ist zu beweisen, warum dieser Vorzug statt finden soll, wenn Brüder einen Bruder, oder Kinder ihre Eltern beerben wollen: oder warum er offenbar vorzüglichen Verdiensten vorgehen soll te: so mus er doch im ersten Grade dem Geschlech te weichen. Ein Sohn geht der klügsten Tochter vor. Jm zweyten Grade, oder wenn noch ent ferntere Anverwandten jemanden beerben wollen, wird auf keinen Unterschied des Geschlechts in den nämlichen Personen gesehn, sondern sie richten sich nach dem Geschlechte desjenigen Anverwandten, in dessen Namen sie auf die Erbschaft einen Anspruch machen, oder auf seine Seniorität. So geht ei ne Grostochter vor einem ältern verstorbnen Soh ne, einem Grossohne von dem zweyten Sohne, ja so gar diesem selbst vor. Die Nichte oder Gros nichte von einem ältern Bruder hat ein näheres Recht, als der Neffe eines jüngern, oder als der jün gere Bruder selbst. So verhält es sich auch in unzäh lich vielen andern Fällen. 90
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(Drittes Buch.) 904 Von den Mitteln Wenn es etwas Göttliches, oder von der Na (Oft ist die erbliche Erb folge von der in der Linie unterschie den.) tur Verordnetes in diesen Angelegenheiten geben kan, so mus man die durchgängige erbliche Nachfolge eher für demselben gemäs halten, als die in der Linie. Jn der ersten erben die Personen, nachdem sie mit dem Verstorbnen nahe durch das Blut befreundet sind. Ein zweyter Sohn geht einem Grossohne, der von dem ältesten gezeugt ist, und ein jüngerer Bruder dem Sohne eines ältern vor, und so geht es weiter allen entfernten Anverwandten. Wie kan sich aber irgend eine von den Personen, unter denen das Recht der Nachfolge so ungewis, ein göttliches oder natürliches Recht anmassen? Wo ist die Erbfolge in der Linie selbst, in den Gütern der Privatleute in der Schrift verordnet. Denn über erbliche Königreiche giebt es kein Gesetze darinne. Man findet kaum etwas davon unter den Gesetzen, die die Beschneidung anbefohlen, die den überle benden Brüdern befehlen, ihres Bruders Witt we zu heyrathen, oder verbieten gewisse Län der nicht zu veräusern, und wenn auch etwas davon angetroffen würde, so kan es doch andre Na tionen nicht verbinden. Verstattet das Gesetz der Natur den Weibern, oder Personen, die nur durch Weiber mit dem Verstorbnen verwand sind, das Recht der Erbfolge in weltlichen Aemtern? Dies wird von den Britten bejaht, aber der Gallier läugnet es. Sollen die Vettern oder Neffen von der mütterlichen, oder nur die von der väterlichen Seite zugelassen werden? Wo findet sich ein göttli ches oder natürliches Gesetz, welches das Geringste von diesen Fällen sagte? Uns allen sind unsre bürger
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die höchste Gewalt zu erlangen. 905(Achter Abschnitt.) liche Gesetze bekannt, und wir haben uns mit der Länge der Zeit so sehr daran gewöhnt, daß wir sie für natürlich halten. Wenn GOtt allen Menschen eine einzige Re(Wenn ir gend eine Re gierungs form beson ders göttlich wäre, so wür de die Ord nung der Nachfolge bestimmt seyn.) gierungsform bestimmt hätte, glauben wir da, daß er bey seiner grossen Güte den Menschen, wie Draco , unverständliche Gesetze gegeben haben wür de. Er selbst würde den ersten Regenten ernannt, gewisse öffentliche Grundgesetze gegeben, die ver schiednen Arten der andern mitzutheilenden Gewalt richtig bestimmt, und die Ordnung der Nachfolge ausser allen Zweifel gesetzt haben. Die Natur zeigt uns, daß itzt alle Staaten durchgängig ohne grosse Gefahr der Theilung fähig sind. Die Nachfolge mus also untheilbar seyn, aber was bestimmt hierinnen die Linie? Alle diese Rechte sind nichts als menschliche Erfindungen.* Sie gründen sich entweder auf eine alte Handlung eines Volks, das einen Prinzen und seinem Erben nach den Gebräu chen, die bey andern Erbfolgen eingeführt sind, die Natur des Staats müste denn einige Aenderungen erfordern, die höchste Gewalt aufgetragen hat, oder auf eine alte Handlung eines Prinzen, dem entwe der die Gewalt die Erbfolge zu bestimmen, aufge tragen gewesen ist, oder der das Volk mit Gewalt gezwungen hat, die von ihm angezeigte Art der Erbfolge einzuführen. 91
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(Drittes Buch.) 906 Von den Mitteln IV. Von allem, was jemals den Namen ei nes Rechts erhalten hat, ist nichts ungegründeter, als der Anspruch, den einige das Recht der Er oberung nennen. Wenn nichts anders da gewe sen ist, ein solches Recht zu gründen, als eine über legene Stärke, so ist es einerley mit dem Rechte, das ein Strassen- oder Seeräuber auf seinen Raub hat. Es ist ein Misbrauch der Sprache, wenn man es ein Recht nennet. (Kein Recht kan ohne ei nen billi gen Anspruch erlangt wer den.) Wir müssen uns hier desjenigen erinnern, was oben* von der gewaltsamen Vertheydigung und Behauptung unsrer Rechte und der Ungerech tigkeit, Gefangene von aller möglichen Art zu Sclaven zu machen, angeführt worden ist. Aus den daselbst festgesetzten Grundsätzen erhellt, 1) daß ein Eroberer, wenn er ungerechte Sache hat, kein Recht erlangen kan, dessen er sich mit gutem Gewissen bedienen könte, auch selbst nicht durch Tractaten, die er mit Gewalt erzwingt. Und wenn die Ueberwundnen ihren Rechten nicht entsagt ha ben, behalten sie beständig ein Recht, das, was sie verlohren haben, wieder zu nehmen, und jeder be nachbarter Staat ist berechtigt ihnen beyzustehen. (Um seine Schadlos haltung zu erlangen, ist eine gänz liche Unter werfung nie mals noth wendig.) 2) Bey der gerechtesten Sache hat niemand ein grösseres Recht, nach Abtreibung aller Jnju rien eine vollkommene Schadloshaltung zu fordern, und durch Bestrafung der Schuldigen, nicht der Unschuldigen Sicherheit vor ähnlichen künftigen 92
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die höchste Gewalt zu erlangen. 907(Achter Abschnitt.) Jnjurien zu erhalten zu suchen. Alles, was zur Erlangung dieser Endzwecke erfordert wird, kan ge recht seyn. Aber alle Gewaltthätigkeiten oder Un terdrückungen, die nicht dazu nothwendig sind, sind ungerecht. Nun sind vor einer gänzlichen Erobe rung gewis alle Jnjurien abgetrieben, und eine gänzliche Schadloshaltung wird auch unstreitig, ehe es zu einer gänzlichen Unterwerfung kommt, schon er halten seyn, oder von dem unterliegenden Theile willig angeboten werden. Wenn nach einem sol chen Erbieten, das so ist, wie unpartheyische Schiedsrichter es für billig erkennen, der Ueber winder noch mehr verlangt, oder mit Gewaltthä tigkeiten fortfährt um mehr zu erhalten, so hört er auf, gerechte Sache zu haben. Beynahe jeder über wundne Staat ist im Stande, den verursachten Schaden durch bewegliche Güter des Staats, oder der Unterthanen, oder durch einen jährlichen Tribut, der eine gewisse Zeit dauert, zu ersetzen, und jeder wird bereit seyn, sich zu einer solchen Schadloshal tung zu bequemen, ehe er seine Unabhängigkeit ver liert, eine Provinz eines andern Prinzen oder Lan des wird, oder seine Länder theilt. Die Person, die verbunden ist einen Schaden zu ersetzen, hat, wenn sie Willens ist es auf eine vollkommne Art zu thun, das Recht zu wählen, welche von ihren Gütern sie dazu anwenden will. Was die Sicherheit vor künftige ähnliche(Auch nicht künftige Si cherheit zu erhalten.) Jniurien betrift, so siehet die ganze Welt ein, daß sie allezeit vor einer gänzlichen Eroberung erhalten oder angeboten wird. Die Sicherheit, die man
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(Drittes Buch.) 908 Von den Mitteln bey einem noch nicht völlig geschlagenen Staate, der noch viele von seinen Kräften übrig hat, für hinlänglich hält, mus es auch gewis bey einem ganz entkräfteten seyn. Nun halten alle Schiedsrich ter es für hinlängliche Sicherheit gegen einen Staat, der noch beynahe in seiner völligen Stärke stehet, wenn er gewisse Grenzfestungen übergiebt oder sie schleift, gewisse Kriegsschiffe überliefert, oder auf seine Kosten eine Besatzung des beleidigten Staats in eine Grenzstadt, oder in einem Passe er hält. Wie viele mehr Sicherheit müssen diese Dinge gegen einen Staat verschaffen, der durch sieg reiche Waffen ganz und gar gedemüthiget ist. (Mit der Strafe dür fen nur die Schnldigen<Schuldigen> belegt wer den.) Was oie<die> Strafe betrift, so können die Per sonen oder Güter eines ganzen Staatskörpers unter keinem Vorwande der Gerechtigkeit, damit belegt werden, da wir oben* gezeigt haben, daß sie in al len Betrachtungen unschuldig sind. Gesetzt auch alle, oder die meisten Häupter der Familie, sind schuldig gewesen, so sind doch ihre Ländereyen und Güter noch immer das Eigenthum ihrer Weiber und Kinder, ob ihnen gleich die Verwaltung desselben an vertraut ist. Diese gemeinschaftliche Besitzer sind durchgängig unschuldig, und sollten kaum unter tausend Familien längstens auch nur eins beschul digt werden. Die Zerstörung eines Staats, oder die Verstossung seiner Unterthanen in die Sclaverey, ist eine strenge Strafe, die alle seine Glieder betrift. Die Strafe ist ihrer Natur nach bestimmt, allen Nachbarn Sicherheit zu verschaffen. Nun aber 93
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die höchste Gewalt zu erlangen. 909(Achter Abschnitt.) verschaffen die Ueberwinder, wenn sie sich alle Gewalt über die Ueberwundenen anmassen, so wenig eine sol che Sicherheit, daß sie vielmehr alle angränzende Staa ten mit grössern Uebeln bedrohen, als sie von den Ueberwindern zu fürchten hätten. Das Jnteresse aller umliegenden Reiche erfordert es demnach solche Eroberuugen<Eroberungen> zu verhindern. Wenn die Eroberer durch Grundsätze von Ge(Die ersten Urheber soll ten bestraft werden.) rechtigkeit angetrieben würden zu bestrafen, so soll ten sie nur die Schuldigen oder die Hauptursachen der ihnen zugefügten Jnjurien mit der Strafe bele gen, und dies sind die Prinzen, und die vornehm sten Regenten eines Staats und ihre Rathgeber. Sie sind die Mörder aller derer, die in dem mit Un rechte von ihnen angefangenen Kriege umkommen. Wenn sie selbst leiden müsten, so würden wir ei ne ruhige Welt haben, und sie würden sich mehr um die Gerechtigkeit ihrer Absichten beküm mern. Böse Regenten werden von Nichts durch die Furcht abgehalten, daß ihre Unterthanen be straft werden könten. Wenn ein Staat seine Nachbarn schon oft auf eine ungerechte Art angegriffen, oder seinen Unterthanen schon lange Zeit so rauberische Neigun gen gezeigt hat, wenn er ungemein vortheilhaft gelegen ist, alle seine Nachbarn zu unterdrücken, entweder vermittelst vorzüglich starker Vestungen, oder des Besitzes so enger Seen, daß er allemal Herr von dem Handel vieler benachbarten Staaten bleibt, so daß die andern nicht vor ihm gesichert seyn können, wenn sie nicht mit unerschwinglichen
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(Drittes Buch.) 910 Von den Mitteln Kosten grosse Flotten und Armeen unterhalten: so haben alle benachbarte Staaten unstreitig das Recht ihn aus diesen Vortheilen oder den Forts und Pässen an solchen Meerengen zu vertreiben. So kön nen sie auch zuweilen eine solche Gesellschaft, die man eher eine Rotte von Räubern als Bürgern nennen möchte, zwingen sich aus einander zu begeben, und sie ihren verschiedenen Staaten einverleiben. Denn aber müssen sie allen, die sie von keinen Ver brechen überführen können, alle billige Rechte ihrer eignen Unterthanen zugestehn. Die benachbarten Staaten aber würden die gröste Thorheit begehn, wenn sie einem Prinz oder einem Staate zugestehn wollten, durch Eroberungen eben eine solche Gewalt über alle umliegende Reiche zu erhalten, als der un gerechte Staat vermittelt seiner Lage besessen hat. (Wenn die Unterthanen zu Ersetzung des Scha dens verbun den sind.) V. Obgleich die Unterthanen eines Staats, der einen andern auf eine ungerechte Art angegrif fen hat, vollkommen unschuldig seyn können, so sind sie doch in gewissen Fällen zu Ersetzung des ver ursachten Schadens verbunden. Diese sollten frey lich zuerst von den Urhebern der Jnjurien von ihren Privatgütern geschaft werden; wenn diese nicht hinreichten, sollte man sich an die gemeinen Güter des Staats oder an die Schatzkammer wenden. Diese kan nur selten nicht hinreichend seyn, weil sie beständig durch neue zu diesen Ende eingeführte Auflagen wieder angefüllt werden kan. Auf diese Art sollten billig die Eroberer, wenn der Gebrauch der Welt eine solche Erfindung bestätigte, ihre Schadloshaltung fordern. Wenn sich aber der un
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die höchste Gewalt zu erlangen. 911(Achter Abschnitt.) gerechte Theil zu keiner Schadloshaltung verstehen will, so mus der Beleidigte sie mit Gewalt neh men. Die Güter der Regenten sind die lezten, die sie erreichen oder deren sie sich bemächtigen kön nen, und sie müssen sich ihre Genugthuung auf die leichteste und kürzeste Art verschaffen. Die Unterthanen sind, weil sie eine solche Regierungsform eingeführt und ihre Regenten zu einer solchen Gewalt erhoben haben, verbunden* ent weder den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen, oder die Regenten auszuliefern, und in der Regie rungsform alles dasjenige zu ändern, was zu künf tigen ungerechten Unternehmungen Gelegenheit ge ben könte. Es sollte ihnen frey stehn, unter die sen beyden Mitteln zu wählen, und wenn sie sich zu einen verstanden hätten, müsten sie alle ihre Rechte und Freyheiten geniessen. Weil aber die Unterthanen gemeiniglich aus(Das Recht im Kriege sich der Gü ter der Un terthanen eines feindse ligen Staats zu bemächti gen und von Repressalien) kindischen und abergläubischen Ursachen sehr abge neigt sind, ihre Regenten der Gerechtigkeit zu über liefern, so sind sie verbunden den verursachten Schaden zu ersetzen. Dies rechtfertigt das Ver fahren, wenn man sich im Kriege der Güter der Unterthanen des feindseligen Staats bemächtiget, da man entweder von den Gütern der Regenten oder der öffentlichen Schätze keine Schadloshaltung er langen kan. Hierzu sind wir berechtigt, wenn uns entweder durch einen öffentlichen Schlus des Staats, oder beleidigende Handlungen seiner Unterthanen 94
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(Drittes Buch.) 912 Von den Mitteln die der Staat habe verhindern oder wenigstens den Urheber derselben zur Ersetzung des verursachten Schadens hätte zwingen können, ein Nachtheil zu gefügt ist, und der Staat sich weigert uns Genug thuung zu verschaffen. Alsdenn haben wir das Recht sie von den Unterthanen zu nehmen wie wir können. Diese mögen sich an ihre Regenten wen den und ihre Schadloshaltung wegen eines Ver lusts suchen, den sie des Staats wegen erlitten ha ben, wie sie wenn auch berechtigt sind denselben aus den öffentlichen Schatze zu erhalten. Wie die Stärke und der Reichthum eines Staats von dem Vermögen seiner Unterthanen abhängt, so ist die Wegnehmung ihrer Güter oft das einzige Mittel das uns übrig ist einen ungerechten Staat zu demü thigen und ihn zu billigen Friedensvorschlägen zu zwingen. Wenn der Staat sich zu billigen Bedingungen versteht: so müssen die unschuldigen Unterthanen, de ren Güter weggenommen worden sind, eine vollkom ne Schadloshaltung entweder durch Zurückgabe der Güter selbst oder durch Ersetzung des Wehrts er halten. Wenn in den Tractaten die genommnen Güter dem, der sie genommen hat, gelassen werden, so hat er schon so viel auf Abschlag wegen des Scha den seines Landes erhalten und die Forderung auf den Staat wird dadurch verringert. und in die sen Falle hat der Unterthan, der seiner Güter be raubt worden ist, das Recht seine Schadloshaltung von seinem Staate zu fordern. Wenn die Güter wiedergegeben, oder dem Rechte nach von demjeni
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die höchste Gewalt zu erlangen. 913(Achter Abschnitt.) gen der sie genommen hat, ersezt werden müssen; so behält sein Staat das Recht von dem andern wegen der Jnjurien, die die Capturen veranlasst ha ben, die gröste Schadloshaltung zu fordern. Die erstere Weise ist beynahe durchgängig in Ansehung in öffentlichen Kriegen genommener Güter eingeführt, obgleich den Privatleuten ihr Verlust, den sie durch die Wegnehmung ihrer Güter leiden, nur sel ten ersezt wird. VI. Man führt an um das Recht der Erobe(Bey einem Kriege kan man keinen stillschwei genden Con tract wegen einer zukünf tigen Unter würfigkeit annehmen.) rung zu behaupten, „daß derjenige der sich in einen ungerechten Krieg einläst, sich stillschweigend zu allen den Umständen bequemt, worein ihn das ver änderliche Kriegsglück versetzen kan, daß er also, wenn er überwunden wird, verbunden ist, dem Ueberwinder vollkommen unterworffen zu seyn, oder gar sein Sclave zu werden, wenn dies die gewöhnliche Art ist mit den Gefangnen umzugehn.“ aber diese Art zu schliessen ist vollkommen unsinnig. Die Natur des Krieges und alle Erklärungen die deswegen von beyden Seiten gethan werden, ma chen die Vorstellung von einem solchen Contracte gänzlich unmöglich, wenn er nicht ausdrücklich ver abredet worden ist; wie es oft geschehen und ausge macht worden ist, daß beyde Staaten einander ein verleibt oder einer dem andern auf erträgliche Be dingungen unterwürfig werden soll. Wenn wir die Waffen ergreiffen, so erklären wir dadurch, daß wir unsre Rechte behaupten wollen, und nicht ge meint sind eins derselben, so lange wir noch im
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(Drittes Buch.) 914 Von den Mitteln Stande sind uns zu wehren, fahren zu lassen. Nach der vollkommensten Niederlage hält es nie mand für einen Meyneid, wenn die Ueberwundenen sich von neuen vereinigen, wenn sie sich in andre Welttheile begeben, oder sich neue Bundesgenossen verschaffen, um den Krieg zu erneuern. Wenn man von Natur die geringsten Begriffe von einen solchen Contracte hätte: so würde ein solches Ver fahren allemal für verrätherisch angesehen werden. (Ein solcher Contract kan nicht ge genseitig seyn.) Ferner ist es gar nicht wahrscheinlich, daß die ungerechte Parthey sich auf einen solchen Con tract einlassen würde, wenn nicht die andere in gleiche Bedingungen willigte. Hat nun jemand jemals sich eingebildet, daß die kriegerischen Unter nehmungen, die ein Staat vornimmt seine Rechte zu vertheydigen, einen Vertrag anzeigen, daß er im Falle er überwunden wird, seiner Unabhängigkeit, oder der persönlichen Freyheit seiner Unterthanen entsagt haben will? Es gesteht auch keine Parthey in öffentlichen Kriegen, daß sie unrecht habe. Sie lassen sich aber deswegen nicht auf einen solchen Con tract ein, man kan es auch keinesweges glauben, weil sie das Gegentheil allemal ausdrücklich bekant machen. So gar von See- und Strassenräubern, die doch alle Rechte des menschlichen Geschlechts ver wirken, und ihnen vermittelst ihrer offenbar unge rechten Gewaltthätigkeiten entsagen, glaubt man nicht, daß sie über ihren zukünftigen Zustand, im Falle sie überwunden werden sollten, Contracte schlies sen. Auch hält man ihre Bemühungen zu ent kommen, oder andre Gewaltthätigkeiten, deren sie sich zu ihrer Vertheidigung bedienen, für keine Mei
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die höchste Gewalt zu erlangen. 915(Achter Abschnitt.) neidigen Brüche ihrer Treue, wenn sie nicht wider ein ausdrückliches Versprechen handeln. Es ist lächerlich zu behaupten, daß ein gan(Auch nicht von einem ganzen Vol ke geschlossen werden.) zes Volk bey solchen Gelegenheiten einen Contract schliesse, ausgenommen in Demokratien; und in diesen ist es aus den oben angeführten Gründen den noch falsch. Jn andern Staaten nimt unter hun dert Unterthanen nicht einer Theil an den angefan genen Kriegen, oder den Jnjurien, die ihr Staat vielleicht einem andern erwiesen hat. Viele wissen vielleicht gar Nichts davon ob ihr Staat Krieg oder Frieden hat, wie es sich beynahe durchgängig bey Weibern und Kindern, und bey Häuptern niedri ger Familien verhält. Dennoch mus dieses wun derbare Recht der Eroberung, das durch einen still schweigenden Contract unterstützt wird, sie alle der schmerzhaftesten Strafe, nämlich einer despotischen und erblichen Herrschaft über sie und ihre Nachkom men auf ewig, ja so gar einer unaufhörlichen Scla verey unterwerffen. Gesezt auch die Gewohnheit die Ueberwund nen der umschränkten weltlichen Oberherrschaft des Ueberwinders zu unterwerfen, oder sie zu Sklaven zu machen, wäre durchgängig eingeführt, ob sie gleich wieder alle Gerechtigkeit streitet; gesezt auch die Regenten schlössen ausdrücklich solche Con tracte: so können sie doch dadurch keine Gesellschaft oder keine Person als sich allein verbinden. Durch einen solchen Contract überschreiten sie offenbar alle ihre Gewalt, und alle Rechte, von denen man sich einbilden kan, daß sie ihnen bey der Einrichtung ir
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(Drittes Buch.) 916 Von den Mitteln gend eines bürgerlichen Regiments zugestanden wor den. Sie haben kein Recht ein Volk entweder durch einen ordentlichen Verkauf, oder auf gewisse Fälle geschlossne Contracte, unglücklich zu machen, es an andre zu überlassen oder zu verkaufen. Alle sol che Contracte sind auf beyden Seiten betrügerisch, und den bekanten Bedingungen, worauf allmal die bür gerliche Gewalt andern anvertraut wird, und dem Rechte unschuldiger Personen zuwider. Sie kön nen also keine andre als persönliche Verbindlichkei ten nach sich ziehn. Ein Prinz und ein Senat hat in den unumschränktesten Regierungsformen nur die Rechte eines Mandatarius, dem die Gewalt aufgetragen ist, im Namen anderer ohne wieder holte besondere Bevollmächtigungen nützliche Un terhandlungen zu pflegen; diejenigen die ihn dazu gemacht haben, sind zu weiter Nichts verbunden, als entweder den Contract zu bestätigen, oder der andern Parthey allen Schaden, den sie durch die von ihnen beorderte Person erlitten haben mag, zu er setzen. Jn vielen Fällen ist es auch schon hinrei chend, wenn sie den betrügerischen Regenten an die beleidigte Parthey ausliefern. (Es giebt keine despo tische oder patrimonial Königreiche) VII. Diese Ursachen zeigen, daß eine blosse Eroberung selbst in einer gerechten Sache nicht leicht ein Recht zur höchsten Gewalt über eine überwun dene Nation verschaffen kan. Nun ist die Erobe rung beynahe der einzige Grund, den man für de spotische und patromonial Königreiche anführet, wo der Prinz die Gewalt hat, das Königreich zu ver kaufen, es andern zu überlassen, oder zu theilen,
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die höchste Gewalt zu erlangen. 917(Achter Abschnitt.) oder es nach seinem Belieben einer Person oder Re gierungsform zu unterwerfen. Man kan sie also mit Rechte für ausserordentlich gottlose Eingriffe in die Rechte des menschlichen Geschlechts halten. Grotius und andre grosse Leute, geben einige mö gliche aber sehr unwahrscheinliche Fälle an, wo die ei genthümliche und erbliche Gewalt auf andern Grün den zu ruhen scheint*. Wenn sich nämlich ein ganzes Volk in der grösten Gefahr befindet, von einem barbarischen Feinde ausgerottet zu werden: so kan es, um einen mächtigen benachbarten Staat zu bewegen, ihm beyzustehen, und gegen den gemein schaftlichen Feind einen gefährlichen Krieg zu über nehmen, sich anheischig machen, sich und seine Rechte, in so fern es sie veräussern kan, diesem mäch tigen Nachbar zu unterwerfen, und ihm das Recht geben, diesen neuen Staat nach seinen Gefallen, und so, wie es sein Vortheil erfordert, doch auf eine menschliche Art, zu regieren. Durch ein Verbre chen oder einen verursachten Schaden, woran viele Theil genommen haben, können alle diese in eine ge rechte Sclaverey gerathen, oder sie können alle ihre zu veräussernde Rechte, die zur Ersetzung des Scha dens etwas beyzutragen im Stande sind, verwir ken. Diese lezte Ursache aber kan nur auf eine ge wisse Zeit eine Gewalt über die Verbrecher oder die Urheber des verursachten Schadens gründen. Jhre unschuldige Nachkommenschaft besizt alle natürli chen Rechte des menschlichen Geschlechts, und also 95
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(Drittes Buch.) 918 Von den Mitteln auch das Recht auf die Freyheit, so bald sie genug erworben haben, um die Unkosten, die ihre Erzie hung verursacht hat, zu ersetzeu<ersetzen>. Die Gewalt, die jemand über Verbrecher oder Urheber eines unge rechten Schadens erhält, sollte man niemals eine bürgerliche Gewalt nennen. Was die Contracte betrift, die in der äusser sten Noth geschlossen werden, so kan ein Prinz oder ein benachbarter Staat keine grössern Rechte dadurch erlangen, als was es billig seyn würde, zur Dankbarkeit für den geleisteten wichtigen Dienst zu fordern. Wenn aus Uebereilung mehr zuge standen worden ist, so mus der Contract durch den Ausspruch unparteyischer Schiedsrichter ge mässigt werden. Wie es bey allen andern zu be schwerlichen oder ungleichen Contracten gehalten wird, wo ein Theil sich in dem Werthe der zuge standnen Dinge geirrt hat. Bey diesen allgemei nen Unterwerfungen müssen allemal viel stillschwei gende Vorbehalte und Bedingungen verstanden werden: daß nämlich der Schutz dieses mächtigen Staats fortdauren, und das bürgerliche Regiment auf eine menschliche Art. und seinen natürlichen Endzwecken gemäs, ausgeübt werden soll. Wenn ein Staat es sich gefallen läst, sich einem mächti gen Staate zu unterwerffen, der ein gelindes Re giment führt, so enthält eine solche Handlung kei ne Einwilligung, daß er sich einem andern schwa chen oder ohnmächtigen, oder einem albernen, oder grausamen Tyrannen übergeben lassen will. Ein Staat kan auch dadurch, daß sich ein andrer ihm
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die höchste Gewalt zu erlangen. 919(Achter Abschnitt.) unterwirft, nicht das Recht erhalten, ihn an andre zu überlassen, zu zergliedern und zu theilen. Auch findet die Ausnahme der Noth wider die ausdrück lichsten Contracte allemal Statt, wenn etwas vor genommen wird, woraus grosse unnöthige Uebel entstehen, die denen Dingen zuwider sind, die bey allen möglichen Unterwerfungen unter irgend einer menschlichen Gewalt als ausgemacht vorausgesezt werden. Alle unschuldige Personen haben ein Recht, auf bessere Versicherungen wergen ihrer Sicher heit zu dringen, als in allen eigenthümlichen Erb königreichen gegeben werden. So gar Eltern, die Verbrecher gewesen sind, können ihren unschuldi digen Kindern dies Recht nicht verwirken, so we nig als ein andres natürliches oder erlangtes Recht, das nicht von ihren Eltern auf sie gekommen ist. VIII. Wenn ein Eroberer, der so gar gerechte(Jn wie fern ein Eroberer durch nach folgende Contracte ein Recht er halten kan.) Sache hat, ein überwundnes Volk zwingt, mit ihm einen Contract zu schliessen, und sich seinem Regimente zu unterwerfen: so erhält er durch ei nen solchen Contract, weil er erzwungen ist, kein anders Recht, dessen er sich mit einem guten Ge wissen bedienen könte, als ein See- oder Strassen räuber. Seine Sache ist nunmehr ungerecht, so gerecht sie auch vorher gewesen seyn mag. Und ob es gleich für die Ueberwundnen sehr wichtig ist, daß er aufhören möge Gewalt anzuwenden, wenn er alles, was er mit Recht verlangen können, durch den Krieg erhalten hat, (und dies kan er allemal, ehe es zu einer solchen gänzlichen Unterwerfung kömt): so ist es doch auch unstreitig eine Sache,
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(Drittes Buch.) 920 Von den Mitteln worauf sie ein Recht haben. Wenn er aufhört, fer ner mit Gewaltthätigkeiten wider sie zu verfah ren, die vielleicht ungerecht gewesen wären: so er hält er dadurch eben so wenig ein Recht auf sie, als ich ein Recht auf die Dienstbarkeit eines Menschen erhalte, den ich nicht tödte, ob ich ihn gleich un bewafnet und ohne Hülfe in einer Wüste angetrof fen habe. Wenn aber ein Eroberer einem über wundnen Volke, wie es seine Pflicht erfordert, Schutz verleiht, und dasselbe eine Zeitlang die Waf fen niederlegt; wenn es sich in Anordnung einiger Landesangelegenheiten oder in Dingen, die die gemei ne Ruhe betreffen, an den Ueberwinder oder seine Gerichtshöfe wendet: so scheinen solche Handlun gen freylich einen Contract zu enthalten, daß sie auf eine Zeitlang seiner Gewalt unterworfen seyn wollen, und es wird ein vollkomner Stillstand dadurch hervorgebracht. Ja die Ueberwundnen können sogar dadurch verbunden werden, ohne eine vorhergegangne Bekantmachung oder Erklärung die Feindseligkeiten nicht zu erneuern. Aber die beständige Gegenwart der Macht des Ueberwinders, die alle Versuche wider ihn aufs äusserste gefähr lich macht, hebt in solchen Fällen alle Gründe auf, die uns bereden könten eine stillschweigende Einwil ligung eines solchen Staats in eine beständige Un terwürffigkeit anzunehmen. Nichts als ein aus drüklicher Contract, der freywillig und ohne vor her gebrauchte Gewalt geschlossen ist, kan dem Ero berer das Recht verschaffen, auf die beständige Unter würffigkeit eines Volks und seiner Nachkommen, zu dringen.
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die höchste Gewalt zu erlangen. 921(Achter Abschnitt.) Wenn aber ein Eroberer seine Gewalt durch die Macht behauptet, und eine Regierungsform einführt, die die Glückseligkeit der Unterthanen vollkommen in Sicherheit sezt, so, daß alle ohne Zwang von Herzen damit zufrieden sind. Wenn die Wiedereinsetzung des vorigen Prinzen entweder überhaupt, oder wenigstens ohne die grösten Zer rüttungen des Staats, deren Erfolg immer noch ungewis bleibt, unmöglich ist: so ist der erste Prinz, dem seine Rechte blos zum Besten des Staats, welches nunmehr ihre Aufhebung erfordert, aufge tragen gewesen sind, ausserordentlich unverschämt und ungerecht, wenn er verlangt, daß ein ganzes Volk seine Ruhe und Sicherheit für seine Grösse wagen oder gar aufopfern soll. Der Eroberer begeht unstreitig ein grosses Verbrechen, wenn er die Gewalt behält, und wäre vielleicht in seinem Gewissen verbunden, dieselbe niederzulegen, aber das Volk ist wegen seiner Pflichten gegen sich selbst und wegen der allgemeinen Sicherheit verbun den, den Contract, den es mit ihm geschlossen hat, zu halten. Mit der Zeit lassen die Nachkommen des alten Prinzen entweder ihre Ansprüche fahren, oder sie werden einer so hohen Würde unfähig. Jhr Recht erlöscht, und das Recht der Nachkom men des Eroberers kan auf alle Weise durch den be ständig sortdauernden<fortdauernden> herzlichen Beyfall des Volks vollkomen werden. IX. Jn Monarchien oder Aristokratien, die(Wie die Grundgesetze wegen der Nachfolge verstanden werden müs sen.) durch einen alten Contract des Volks, oder durch Grundgesetze erblich gemacht worden sind, gleicht
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(Drittes Buch.) 922 Von den Mitteln das Recht der Nachfolge in den höchsten weltlichen Würden der Nachfolge in den Lehnen, wo der Nachfolger sein Recht nicht von seinem unmittel baren Vorgänger erhält, weil dieser nicht die Macht gehabt hätte, ihn davon auszuschliessen, sondern er besizt, vermöge der Grundgesetze, alle Gewalt und alle jährliche Einkünfte seines Postens, ohne Absicht auf die Schulden, die sein Vorgänger gemacht ha ben mag. Und weil es keine natürlichen Ursachen oder keinen billigen Grund in der Natur giebt, wa rum zum gemeinen Besten eingeführte Aemter, ehe darüber etwas von dem Volke ausgemacht worden, erblich seyn sollten: so müssen alle solche persönli chen Rechte blos von den Grundgesetzen, oder den ursprünglichen Contracten abhängen. Wo in alten Gesetzen über die Nachfolge in einer Krone nichts ausdrückliches bestimmt ist, son dern nur überhaupt gesagt wird, daß sie erblich seyn soll: so ist es wahrscheinlich, daß die Gesetze* eben die Art der Nachfolge verstehn, die nach der 96
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die höchste Gewalt zu erlangen. 923(Achter Abschnitt.) alten Gewohnheit unter Privatleuten eingeführt ist, ausgenommen, wenn die Natur der Würde ganz klar eine Veränderung erfordert. So mus z. E. ein Königreich ungetheilt auf den Erben kommen, obgleich andere Erbschaften getheilt werden. Auch ist die Nachfolge auf die Nachkommen des ersten Prinzen eingeschränkt, das Gegentheil müste denn ganz klar ausgedrückt seyn. Wie in den alten Gesetzen solcher Monar(Wie sie in Fällen, wo die Würde verwirkt worden ist, verstanden werden müs sen.) chien selten ewas ausdrückliches auf den Fall aus gemacht ist, wenn der Besitzer durch üble Verwal tung der Regierung seine Würde verwirkte, und uns doch die gesunde Vernunft und die bekante Be stimmung einer solchen Würde zeigen mus, daß ei ne gröblich untreue Verwaltung derselben, die dem ausdrücklichen Versprechen, und dem Endzwecke der Einsetzung eines solchen Amts zuwider ist, den Jnhaber seines Rechts verlustig machen mus: so ist es, wenn in einer Nation die Gewohnheit durch gängig eingeführt ist, daß wenn jemand ein verwir kendes Verbrechen begeht, oder abdankt, er dadurch nicht nur seine Abkömlinge, sondern auch seine Verwandten in den Nebenlinien von der Nachfol ge ausschliest, klar, daß die ganze Erbschaft auf den Obern, die Person, oder den politischenCör per zurückfällt, die dieselbe gegeben hat. Es ist auch nach aller vernünftigen Art zu erklären, sehr wahr scheinlich, daß dieses die Absicht der alten Gesetze oder Originalcontracte in Ansehung des Abkommens der Krone gewesen ist, wenn sie nichts ausdrückli ches in einem Falle der Verwirkung oder einer Ab
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(Drittes Buch.) 924 Von den Mitteln dankung enthalten. Wenn Privatleute ihre Gü ter verwirken, so ist eine solche Einrichtung unstrei tig der Menschlichkeit zuwider, weil diese Güter znm Besten der Familie bestimmt sind. Die Wei ber und Kinder sind gemeinschaftliche Eigenthümer davon, obgleich das Haupt der Familie allein alles besorgt. Die Erben einer Krone aber haben keinen so billigen Vorwand. Das Amt eines Königes ist seiner Natur nach, nicht zum Besten einer Familie bestimmt, sondern es wird einer Person zum Dienste einer Nation anvertraut. Es giebt auch nicht den geringsten natürlichen Grund, warum man ver langen könte, daß solche Aemter erblich seyn, oder nach den Graden der Blutsfreundschaft oder der graden Linie auf andre kommen sollen. Die zu rückbleibenden Erben haben keinen andern Anspruch, als den sie durch die alten Contracte oder alten Ge setze erhalten. Und es ist wahrscheinlich, daß es ih re wahre Absicht ist, zum wenigsten alle Abkömm linge, und oft auch die ganze Familie desjenigen, der einmal sein Amt verwirkt hat, auszuschliessen; weil nichts von dem, was man sonst erblich nennt, wenn es einmal verwirkt ist, auf die Abkömm linge oder Verwandten des alten Besitzers kom men kan.* 97
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die höchste Gewalt zu erlangen. 925(Achter Abschnitt.) Die Absicht solcher Gesetze ist sehr deutlich in Ländern, wo alle erbliche Dinge vor Zeiten als Le hen angesehen, und unter den Bedingungen der Treue jedes Nachfolgers, einem jeden übertragen worden sind, so, daß, sobald ein Besitzer sein Amt verwirkte oder abdankte, das Lehn auf denjenigen, der es ihm gegeben hatte, zurück fiel, ohne daß man sich im geringsten an die unschuldigen Ab kömmlinge oder Verwandten kehrte. Diese Ge wohnheit oder dieses Gesetz, so unmenschlich es uns auch in Privatangelegenheiten scheinen mag, zeigt uns, was wir von der Absicht der alten Gesetze, bey der Einführung einer erblichen Krone denken sollen, und die Gründe der Menschlichkeit finden in denen Fällen nicht Statt, wenn öffentliche Aemter ver wirkt worden sind, weil man diese nicht zum Be sten einer Familie, sondern zu Erhaltung des Wohls eines Staats, eingeführt hat. Jndessen giebt viel leicht die Menschlichkeit und Klugheit einige Bewe gungsgründe an die Hand, warum eine Nation bey einer neuen Vergebung der verwirckten Kro ne, sie lieber einer würdigen Person, aus der vori gen Familie, als einer fremden anvertrauen soll; ob dies gleich blos ihrer Klugheit überlassen ist. Eine Verwirknng<Verwirkung> hebt alles Recht der Nachkömm linge auf, weil diese keines haben, als was sich auf die alten Gesetze gründet. X. Es ist erstaunlich, wie man iemals etwas(Jn der Erb folge nach der Linie, ist nichts Gött liches, oder in der Natur Bestimmtes.) göttliches oder natürliches in dem Rechte der Erb folge, in der Linie hat entdecken können, da doch ihr ganzer Vorzug vor der blos erblichen, darinn be
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(Drittes Buch.) 926 Von den Mitteln steht, daß sie alle Ungewisheit, und allen Streit über die nächste Verwandschaft unter den Nachfol gen aufhebt. Hingegen ist sie wieder einigen aus serordentlichen Unbequemlichkeiten ausgesetzt: sie kan die unsinnigsten Nachfolgen verursachen, die vielleicht durch die blos erbliche verhütet worden wären. Z. E. Nach der Erbfolge in der Linie, mus ein Königreich, das in der grösten Unordnung, und der Regierung eines weisen Prinzen äusserst benö thigt ist, auf die junge Grosnichte von eines äl tern Bruders Tochter, vorzüglich vor einem jüngern Bruder fallen, der würdig ist, und ein reiffes Alter, nebst der gehörigen Vernunft erlangt hat. Jeder, der zu den Gewohnheiten seines Landes gewöhnt ist, bildet sich in einer gewissen Verwirrung ein, daß sie natürlich sind, ohne zu überlegen, wie unendlich mannigfaltige Gewohnheiten bey verschiednen Na tionen eingeführt gewesen sind, wo doch allent halben die Krone erblich gewesen ist. Jede von diesen Gewohnheiten, wird durch den langen Ge brauch auf gewisse Weise natürlich. (Wie Kro nen ver wirkt, und die Erben ansgeschlos sen<ausgeschlossen> werden können.) XI. Da das Volk das Recht besitzt, sich so oft es die Erhaltung des Staats erfordert, einem Prinzen zu wi dersetzen, und ihn selbst abzusetzen, wenn er das ihm an vertraute Amt misbraucht, so können wir auch füglich folgenden Schlus machen. Wenn ein ge genwärtiger Erbe, ehe er noch zum wirklichen Be sitze gelangt, entweder so viel Dumheit, so grau same und tyrannische Neigungen, oder so viel ge fährlichen Aberglauben, und solche Treulosigkeit verräth, daß diese mit der Anvertrauung des Amts,
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die höchste Gewalt zu erlangen. 927(Achter Abschnitt.) das die Gesetze ihm bestimmen, und der Sicherheit der Unterthanen, bey ihren wichtigen Vortheilen, und ihrer Religion nicht bestehen können, so haben sie ein Recht, ihn zu verhindern, daß er nicht zur Nachfolge gelangt, und also das Blutvergiessen, oder das Unglück, das bey einem bürgerlichenKrie ge, zu seiner Absetzung unvermeidlich wäre, zu ver hüten. Denn eine solche Person kan keine hin längliche Sicherheit verschaffen, daß sie die ihr an vertraute Gewalt, wenn sie sie einmal in Händen hat, nicht zu den ärgsten Absichten misbrauchen wird. Jnsbesondere; obgleich Jrrthümer in Reli(Welche Grundsätze schon leben de Erben von der Nachfol ge ausschlies sen können.) gionssachen keinen Menschen seiner bürgerlichen Rechte verlustig machen; obgleich Niemand seine Rechte durch die Vielgötterey, die Deisterey, oder die heydnische Abgötterey verwirken kan, wenn er nur keine abergläubischen Grundsätze hegt, die ihn treulos in seinen Contracten, grausam und tyran nisch gegen sein Volk, ungerecht in seiner Juris diction, oder ungeschickt machen können, die Frey heit und Unabhängigkeit des Staats zu beobachten, so verhält es sich doch ganz anders, wenn er solchen Grundsätzen, als die folgenden sind, anhangt, „daß er ein göttliches Recht haben wird, in Staatssa chen so zu verfahren, als es ihm beliebt, und selbst den Staat zu verkaufen, oder andern zu übergeben: daß er ein Recht hat, oder gar in seinem Gewissen verbunden ist, alle diejenigen, die mit ihm nicht ei nerley Religion haben, mit Feuer und Schwerd auszurotten, und daß diese Pflicht allen Verspre
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(Drittes Buch.) 928 Von den Mitteln chungen oder Contracten, die entweder er selbst, oder seine Vorfahren, mit den Unterthanen ge schlossen haben, vorgeht: daß er in seinem Gewis sen verbunden ist, einem fremden Prinzen, unter dem Vorwande der Religion, einen grossen Theil der bürgerlichen Jurisdiction innerhalb des Staats und über viele Glieder desselben, ausüben zu las sen, auch eben demselben die Jnvestitur von vielen reichen Aemtern zuzugestehn, die eine grosse welt liche Gewalt mit sich führen, aber zum Scheine mit geistlichen Namen belegt sind, und alle Ge meinschaft mit den Unterthanen des Staats, die er in den Bann gethan hat, zu verbieten.“ Wenn eine Person solche Grundsätze hat, so hat man mehr Recht sie von der Nachfolge auf die Krone einer freyen unabhängigen Nation, die durch Gesetze regiert wird, auszuschliessen, als einen Rasenden oder Wahnwitzigen, weil er unstreitig der Welt gefähr licher seyn mus. (Die Rechte eines Staats über Colo nien.) XII. Eben die Lehre von denen Rechten, die durch die Eroberung erlangt werden können, die bey Monarchen gilt, gilt auch bey allen andern politischenKörpern, unter welcher Verfassung sie auch immer stehn mögen, und oft haben sich Aristokratien und Demokratien so sehr als Prinzen an den Rechten benachbarter Staaten vergriffen. Wir können diese Materie mit einigen Betrachtun gen über die Rechte der ursprünglichen Länder, über Colonien, die aus ihnen entstanden sind, beschlies sen. Diese werden in sehr verschiednen Absichten,
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die höchste Gewalt zu erlangen. 929(Achter Abschnitt.) und mit verschiedenen Rechten abgeschickt,* oft schickt eine Nation, die einen Ueberflus an Menschen hat, und nicht Willens ist, den Bezirk ihrer Lande zu vergrössern, einen Theil ihrer Unterthanen mit allem hinlänglich versehn, von sich neue Woh nungen für sich zu suchen, und einen neuen unab hängigen Staat zu gründen, worauf die erste Na tion kein andres Recht behält, als eine vorzügliche Freundschaft von demselben zu verlangen. Zuwei len aber werden auch Colonien von freyen Bür gern in der Absicht abgeschickt, neue Eroberungen zu machen, daß die Colonien ein Theil des alten politi schen Staatskörpers bleiben, und mit den übrigen Theilen desselben, gleiche Rechte geniessen soll. Die se beyden Arten Colonien zu gründen, sind in Anse hung der Colonien selbst, vollkommen billig und er laubt. Oft wenn entfernte Länder erobert sind, wird eine Colonie abgeschickt, sie in Besitz zu nehmen, zu vertheydigen und anzubauen, um sie zu einer Pro vinz des alten Staats zu machen, der sie zu seinem Vortheile anzuwenden gedenkt; alsdenn aber ist es nicht seine Absicht, daß sie an der Gewalt oder den Freyheiten der alten Unterthanen Theil nehmen sol len. Wenn eine Anzahl von Bürgern, sich diese Bedingungen freywillig gefallen läst; wenn man ih nen erlaubt, wenn es ihnen beliebt, mit ihrem erwor benen Vermögen, in ihr altes Vaterland zurück zu kehren, und alle Rechte andrer Unterthanen zu ge 98
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(Drittes Buch) 930 Von den Mitteln niessen, so können sie nicht sagen, daß ihnen eine Jn jurie widerfahren sey. Es würde aber ein grau sames, und blos durch eine grosse Noth zu rechtfer tigendes Unrecht seyn, wenn man eine Anzahl von Unterthanen zwingen wollte, sich in Ansehung ihrer Rechte und Freyheiten zu verschlimmern, oder, wenn man sie aufmunterte sich, unter der Anführung und dem Schutze des Staats, kühn in fremde Länder zu wagen, daselbst ihr Glücke zu suchen, und hernach, nachdem sie sich in so entfernten Plätzen niederge lassen hätten, Gesetze gäbe, die sie irgend eines schätz baren Rechts oder Vergnügens beraubt, das den al ten Staaten zu keinem Nachtheil, oder seinen Fein den und Nebenbuhlern zu keinem Vortheile gerei chen könte. (Wenn Co lonien un abhängig werden kön nen.) Der Endzweck aller politischen Vereinigung, ist das gemeine Beste der Vereinigten, und dieses Beste mus dem allgemeinen Wohl des ganzen menschlichen Geschlechts untergeordnet seyn. Wenn die Regierungsform in dem ursprünglichen Lande durch eine fremde Gewalt verändert wird, oder sie sich selbst allmählig so verändert, daß sie aus einer sichern, milden, und gehörig eingeschränkten Gewalt, in eine strenge und uneingeschränktre verwandelt wird oder, wenn unter eben der Regierungsform, tyran nische Gesetze, in Ansehung der Colonien und Pro vinzen gegeben werden, und eine Colonie hat an Menschen und Stärke so zugenommen, daß sie sich selbst alle guten Endzwecke einer bürgerlichen Ver einigung verschaffen kan: so ist sie nicht verbunden, in ihrer Unterwürfigkeit zu beharren, wenn diese
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die höchste Gewalt zu erlangen. 931(Achter Abschnitt.) weit beschwerlicher geworden ist, als sie sie im An fange Ursache gehabt hat, sich dieselbe vorzusteilen. Jhre Einwilligung, sich einer sichern und gelinden Regierungsform oder Gesetzen zu unterwerfen, er strecket sich auf keine Unterwürfigkeit unter eine ge fährliche und tyrannische Regierung. Zu geschwei gen daß, nach allen Grundsätzen der Vernunft, wo ein Vorbehalt eines Rechts oder Anspruchs der Glückseligkeit und Sicherheit eines Volks, nicht so nachtheilig ist, als einem andern, das eine verbun den ist, sein Recht fahren zu lassen, oder in solche Bedingungen und Einschränkungen zu willigen, welche die Freyheit und Glückseligkeit des andern erfordern, es müste denn der dadurch verursachte Schaden von dem andern ersetzt werden. Unzeh lige Menschen lassen sich nicht zwingen, ihre eigene, und ihrer Nachkommen Freyheit und Glückseligkeit den thörichten Anschlägen ihres Vaterlandes aufzu opfern, da es ohne Unterwürfigkeit glücklich seyn kan; und man kan sie auch nur verbinden, die nö thigen Unkosten, welche zur Vertheydigung des Landes nöthig sind, zu ersetzen, und als guten Bun desgenossen und Freunden, den Abgang der Stärke, welche durch ihre Unabhängigkeit verursacht wird, zu vergüten. Es ist überhaupt eine so unnatürli che Sache, wenn man sich eine grosse Gesellschaft vorstellt, die bey einer unabhängigen politischen Vereinigung alle gute Endzwecke befördern könte, und dennoch sich der Regierung verschiedener Glie der unterwirft, die keine hinlängliche Erkentnis von den Umständen und Bedürfnissen der ganzen Ge sellschaft besitzen; oder wenn man setzt, daß diese
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(Drittes Buch.) 932 Von bürgerlichen Gesetzen Gesellschaft sich blos zum Nutzen eines entfernten Landes mus regieren lassen; daß man schwerlich ei nen Grund in der Gerechtigkeit oder Billigkeit da zu wird finden können. Das menschliche Elend hat ohnedem seinen vornehmsten Ursprung daher genommen, daß man ohne Absicht auf die Mensch lichkeit, auf seinen alten Ansprüchen und stillschwei genden Vergleichen beharret hat, um nur die Ge walt über entfernte Nationen auszubreiten, oder grosse und weitläuftige Reiche zu errichten.

Der Neunte Abschnitt, Von der Beschaffenheit der bürgerlichen Ge setze und ihrer Beobachtung.

(Jn wie fer ne die bür gerliche Ge walt die Re ligion be stimmen kan) I.Die Macht Gesetze zu geben und zu handha ben, wird in jedem Staate ausgeübt. Wir wollen von dem ersten den Anfang machen. Das gemeine Beste und die Glückseligkeit des Volks, die sich vornehmlich auf ihre Tugend grün det, mus die Hauptabsicht aller Gesetze seyn, und ein Gesetzgeber mus sich bemühen, durch gerechte und wirksame Mittel die wahren Grundsätze der Tugend zu befördern, wodurch die Menschen zur Gottesfurcht und Gerechtigkeit ihrer Nächsten ge führet werden; damit sie zu jedem guten Amte ge schickt, und in allen, was ihnen anvertraut wird, treu seyn mögen. Es ist eine sehr edle Kunst, eine solche Auferziehung,* Unterricht und Zucht zu er 99
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und ihrer Beobachtung. 933(Neunter Abschnitt.) denken, wodurch den Lastern gesteuert, die Leiden schaften unterdrücket, und die verwirrten Begriffe von einer grossen Glückseligkeit bey einer lasterhaf ten Aufführung, welche die Menschen zu Sclaven macht, verbessert werden. Eine reine und heilige Gesinnung gegen Gott, ein festes Vertrauen auf seine Güte und Vorsorge in der Welt, und die Handhabung der Gerechtigkeit durch Belohnungen des Guten und Bestrafungen des Bösen, sind so wohl die Quellen der höchsten Glückseligkeit, als die stärksten Bewegungsgründe, zu einem geselligen, freundschaftlichen und tapfern Dienste. Die bür gerliche Obrigkeit mus davor sorgen, daß das Volk in diesen Stücken wohl unterrichtet, und ihm alle Anleitung gegeben werde, dadurch diese guten Mei nungen und Gesinnungen in ihm entstehen und erhalten werden mögen. Die Wahrheit wird alle zeit mit gleichem Vortheile die Oberhand über den Jrrthum erhalten, wo man nur die Jrrthümer durch solche Vorurtheile nicht schon ausgerottet hat, die alle vernünftige Untersuchung aufheben. Die Obrigkeit mus dahero alle, besonders junge Ge müther von dem Daseyn, Güte und Vorsorge Got tes, und von allen geselligen Pflichten des Lebens und den Bewegungsgründen dazu unterrichten lassen. Ein jedes vernünftiges Geschöpf hat ein(Kein Zwang über die Mei nungen der Menschen.) Recht über diese Dinge selbst zu urtheilen. Die Menschen müssen nach ihrer eigenen Ueberzeugung, die sie haben, Beyfall geben, und können das Ge gentheil davon nicht annehmen. Dieses ist ein
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(Drittes Buch.) 934 Von bürgerlichen Gesetzen Recht, dessen sie sich nicht begeben können. Es kömt hier auf keinen Contract an, und die Obrig keit hat kein Recht, gewisse Meinungen dem Volke aufzudringen. Sie kan den Menschen ihre Gedan ken nicht abzwingen, oder Strafen darauf legen, wenn sie dasjenige, was sie vor gerecht hält, nicht eben so ansehen. Solche Strafen sind kein Mittel, ein rich tiges Urtheil feste zu setzen, und sie können weiter nichts als Verstellung und Heucheley hervorbringen, und gehören zu den grausamsten Eingriffen in die heiligen und unverbrüchlichen Rechte aller vernünf tigen Wesen. (Die Obrig keit mus ei gene Lehrer des Volks be stellen.) Weil es nun von der grossen Nachsicht und Abhaltung des Volks herrührt, daß kaum einer un ter hunderten sich des Rechts, eine Privatmeinung zu hegen, bedienet; so wird der grössere Haufen alle zeit denjenigen folgen, die den Schein einer vor züglichern Weisheit haben. Es erfordert dahero das Jnteresse der Obrigkeit und ihre Pflicht gegen den Staat, davor zu sorgen, daß weise und gute Männer bestellt und unterhalten werden, die alle diejenigen, welche sich wollen anweisen lassen, un terrichten können. Wenn die Obrigkeit einen er träglichen Religionsplan hat, so hat sie auf diese Weise ein grosses Vorrecht, den öffentlich gesetzten Lehrern zu folgen, und die Einführung gefährlicher Schwärmereyen zu verbieten. Hingegen würde es ein sehr unnatürlicher Misbrauch ihres Amtes seyn, wenn sie bey unnützen und zweifelhaften Klei nigkeiten, die in ihren Unterthanen keine Furcht, Liebe und Vertrauen zu Gott, keine Mässigkeit ge
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und ihrer Beobachtung. 935(Neunter Abschnitt.) gen sich selbst und keine gerechten und mitleidigen Gesinnungen gegen ihren Nächsten hervorbringen können, eine Unterweisung vornehmen wollten. Es gehöret aber natürlicher Weise vor diejenigen, die mächtig sind, und zum gemeinen Besten des Volks gewisse Güter verwalten, daß sie davor Sorge tra gen, daß solche Grundsätze, die zu den nützlichsten Tugenden führen, dem Volke gehörig erkläret und eingeschärft werden. Alles dieses mus ohne Zwang und Bestrafung(Ohne Ver folgung.) derer, die verschiedene Meinungen hegen, geschehn; ja wenn Leute andere Gedanken haben, und sich vor verbunden achten, dieselben bekant zu machen, so hat die Obrigkeit kein Recht, sie vor diese Bekant machung zu strafen, so irrig sie auch nach ihrer Mei nung sind, wenn sie nur der Gesellschaft zu keinem Nachtheil gereichen. Ein Fantast mag immerhin den ungereimtesten Religionsplan vortragen, so lange er sich nicht wider die Güte des Allmächtigen, oder seine Vorsorge in der Welt, und wider die Grundsätze der sittlichen und geselligen Tugenden auflehnet, so thut er in das Amt der Obrigkeit oder ihre Anstalten noch keinen Eingrif. Es ist da hero ungerecht, da es kein öffentliches Jnteresse verlanget, daß man Leute bestrafet, die sich in ihrem Gewissen verbunden achten, auch solche einfältige Gedanken, die dem Staate nicht nachtheilig sind, und ihnen gleichwohl wichtig scheinen, öffentlich be kant zu machen. Man hat allezeit gefunden, daß, wo in freyen Staaten kein Zwang in gewissen Lehrsätzen gewesen ist, und wo man alles gutwillig
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(Drittes Buch.) 936 Von den bürgerlichen Gesetzen geduldet hat, der Aberglaube und blinde Eifer eini ger schwachen Menschen durch einen freyen Um gang und Gespräch nach und nach ist vertrieben wor den, und die Religion hernach den Vozug erhal ten hat. (Die Bekant machung der Atheisterey oder unmo ralischer Grundsätze ist strafbar.) II. Die offenbare Atheisterey oder Verleug nung einer moralischen Vorsorge, oder der Verbind lichkeit zu moralischen Tugenden, zielet geradeswe ges dahin ab, dem Staate in seinen wichtigsten Ab sichten Schaden zuzufügen; und die Personen, die solche Lehren bekant machen, können in ihren Ge wissen keine Verbindlichkeit haben, so zu handeln. Die Obrigkeit mus ihnen dahero mit Gewalt Einhalt thun, so wie sie mit einem Narren oder Schwärmer, der sich in seinem Gewissen vor ver bunden hält, die Rechte oder das Eigenthum an derer anzugreifen, verfahren würden. Die Obrig keit hat ein Recht, den Staat und seine Glieder wider alles, was ihnen nachtheilig ist, zu vertheydi gen, die widriggesinnten mögen sagen was sie wol len. Dieses Recht erstreckt sich auch auf diejeni gen, welche den schwächern, durch ihre falschen Schlüsse, solche Meinungen beybringen, die mit der Pflicht gegen ihren Nächsten nicht bestehen können, oder der öffentlichen Glückseligkeit schädlich sind, indem sie die stärksten Antreibungen zu guten Dien sten und die Sicherheit vor Jnjurien aufheben. Jedoch da es nicht leicht zu befürchten ist, daß sol che irrige Lehren bey einer gesitteten Nation, wo die Wissenschaften und Künste zunehmen, die Oberhand behalten werden, und hingegen die öffentlichen Be
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und ihrer Beobachtung. 937(Neunter Abschnitt.) strafungen ausser dem allgemeinen Mitleiden der Menschen, einen Narren in seinem Aberwitze und Unsinn bestärken, und bey schwachen Gemüthern den Verdacht erwecken werden, daß die Gründe auf dieser Seite stärker als auf jener seyn; so haben es einige vor eine obrigkeitliche Klugheit angesehen, wo keine offenbare Gefahr bey der Ausbreitung sol cher Meinungen ist, sie der Beurtheilung des gan zen menschlichen Geschlechts zu überlassen, solchen Leuten, die allem Gewissen entsagt haben, nichts an zuvertrauen, und nur alsdenn zu strafen, wenn die Grundsätze durch böseHandlungen sich an den Tag legen. Was die verschiedenen Formen des äusserli(Keine ver schiedenen Religions formen.) chen Gottesdienstes und Religionsplane anbetrift, die noch die grossen moralischen Grundsätze von den Pflichten gegen Gott und den Nächsten beybehalten, weil ohne dem keine Hofnung da ist, daß die Men schen bey aller ihrer Scharfsinnigkeit, und unter schiedenen Vorurtheilen der Erziehung, jemals da rinn einig werden sollten; so ist die Verfolgung in diesem Stück die gröste Thorheit und Grausamkeit. So lange man nicht zum Feuer und Schwerd seine Zuflucht nimmt: so lange werden allezeit verschie dene Meinungen bleiben. Eine solche Verfolgung ist die schrecklichste Unbilligkeit und Grausamkeit, und ein Land wird dadurch oft der nützlichsten Leute beraubt, auf welchen sein Reichthum und Stärke beruhet hat. Hingegen ist es augenscheinlich das wahre Jnteresse eines Landes, wenn ruhige und friedfertige Leute von benachbarten Nationen ihre
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(Drittes Buch.) 938 Von den bürgerlichen Gesetzen Zuflucht dahin nehmen, und dadurch alle diejenigen, die bereits darinne sind, sich verbinden. Die hal be Verfolgung ist nicht vermögend, die verschiede ne Meinungen zu unterdrücken; sie verbittert nur das Volk, und verursachet Rebellion, oder verleitet die Unterthanen zu Nationen, wo sie Ruhe haben, ihre Zuflucht zu nehmen. (Wie unmo ralische Leh ren zu beur theilen.) Was die Bekantmachung der Lehren anbe trift, welche die gesellschaftlichen Tugenden, oder die Bewegungsgründe dazu, aufheben, oder dadurch das Volk zweifelhaft gemacht wird, ob es die bürgerli chen oder kriegerischen Pflichten, die ihm die Obrig keit auflegen kan, zu halten verbunden sey: so mus man allerdings einräumen, daß sich die obrigkeitli che Macht über dergleichen Dinge erstrecke. Sie kan die Leute von der Bekantmachung solcher Leh ren durch Strafen abhalten, und entweder zwingen, dem Staate die gehörige Pflicht zu leisten, oder ih ren Abgang durch solche ersetzen, die bereit find<sind>, es vor sie zu thun: dieses leztere Mittel kan man nicht in Zweifel ziehn. Hingegen der Misbrauch dieser Gewalt, die Leute von der Bekantmachung gefährlich scheinender Lehren abzuhalten, ist biswei len so gros gewesen, daß es nicht zu bewundern ist, wenn viele gutgesinnte Menschen der Obrigkeit die ses Recht nicht einräumen, und ihr nicht mehr ver statten wollen, daß nur solche Leute, deren Lehrsätze der gesellschaftlichen Tugenden nachtheilig sind, oder die Bewegungsgründe dazu aufheben, von allen bürgerlichen Amtern auszuschliessen; und nur das jenige, was durch diese Lehren dem Staate würklich
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und ihrer Beobachtung. 939(Neunter Abschnitt.) Schaden verursacht, zu bestrafen, und zwar in so scharfen Maaße, als es die Beschaffenheit ihrer bö sen Gesinnungen erfordert. Der mögliche Misbrauch dieses angeführten(Die grosse Gefahr des Misbrauchs dieser Ge walt.) Rechts beweiset deswegen nicht, daß gar keines sey. Die Stärke der Vorurtheile und die Heftigkeit der Religionsstreitigkeiten sind immer noch erstaunend gros. Es ist beynahe nichts verhasster als die Lehren, welche die verschiedenen Secten der Chri sten ihren Gegnern aufbürden, da doch ein redli ches Gemüth sehen mus, daß die meisten Beschul digungen ungegründet sind, und daß diese Lehren, welche die grösten Zänkereyen und wechselsweise Verfolgungen verursachet haben, der wahren Gottesfurcht oder gesellschaftlichen Tugenden nicht nachtheilig sind. Wenn also jemals die öftere Ge fahr des Misbrauchs ein Recht verschaffen könnte, so würde es in diesem Falle seyn müssen, wenn man die Bekantmachung gottloser und ungerechter Mei nungen bestrafte; da die hitzigen Eiferer auf allen Seiten* die übrigen Religionsformen der ihrigen entgegen setzen. 100
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(Drittes Buch.) 940 Von den bürgerlichen Gesetzen III. Wo man einmal vor eine gute Unter (Die Beför derung tu gendhafter Leute.) weisung gesorgt hat, da wird alsdenn die Tugend am besten befördert, wenn die Obern ihren Unter gebenen mit gutem Exempel vorgehen, und wenn man tugendhafte Menschen zu allen öffentlichen Aemtern und Ehrenstellen erhebet, und die Laster haften gänzlich hintansetzet. Die Erwählung zu öffentlichen Aemtern, die von einem ganzen Volke oder einem Theile dessel ben geschicht<geschieht>, würde bey denen, die sich Hofnung machen, dem Staate zu dienen, die Menschlich keit und Gerechtigkeit gar sehr befördern, und die Absicht der Policey würde alsdenn am besten er halten werden, wenn die Versamlungen des Volks bey einer thörichten Wahl einem Prinz oder Se nate andere Candidaten vorschlagen müsste, aus welchen der Prinz oder Senat alsdenn einen er wählte. Die Tugend würde da gewiß allgemein werden, wo eine freye Wahl Statt findet. Hin
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und ihrer Beobachtung. 941(Neunter Abschnitt.) gegen wenn die Besetzung, der öffentlichen Ehren stellen blos auf dem Willen eines Prinzen beruhet, so wird sich ein gottloser Regent dieser Macht zum Schaden des Landes bedienen, wenn er die Ver räther des Vaterlandes, oder die seinen Lastern Vor schub thun, damit belohnet. Jedoch wird eine jede Macht und Gewalt einem weisen Prinzen si cher anvertraut. IV.Die Mässigkeit, der Fleis, die Ge(Die in einem Staate nö thigen Tu genden, die Mässigkeit.) rechtigkeit und Tapferkeit sind nebst der Gottes furcht die vorzüglichsten Tugenden in einem Staate dadurch das übrige erhalten wird. Unter der Mäs sigkeit verstehen wir keine völlige Enthaltung von allem äusserlichen Vergnügen oder Pracht; son dern nur solche Neigungen gegen diese Dinge, die durch ein edleres Bestreben nach der Tugend können eingeschränkt werden, wenn es andere wich tige Endzwecke erfordern. Wo man aber sinn liche Ergötzlichkeiten und Pracht alzuheftig verlan get und als etwas grosses ansiehet, und zur Haupt beschäftigung eines Mächtigen macht; und alle an dere Lebensarten verachtet; da wird man alles dem Reichthume, als dem Mittel zu diesem Vergnügen, aufopfern. Die Menschen werden dadurch in al len Ständen arm und dürftig, und die ganze Re gierung wird unordentlich. Das Jnteresse des Landes wird auf diese Weise dem Stolze eines Prin zen zu Hause, und fremden Nationen oder Feinden, durch eben die Personen, die es doch befördern soll ten, gänzlich aufgeopfert.
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(Drittes Buch.) 942 Von den bürgerlichen Gesetzen Der Fleis ist die natürliche Quelle des Reich (Der Fleis.) thums der Grund zu allem Vorrath, den eine Nation in andre Länder schaffen, und dadurch ihre Macht und Reichthümer erlangen kan. Der fleissige Ackerbau mus die Lebensmittel und was zu Ma nufacturen gehöret, liefern; und durch die mecha nischen Künste mus die bequeme Ausführung der Güter veranstaltet werden. Die Güter welche auswärts geschickt werden, müssen überhaupt von allen Auflagen frey seyn; und eben so sollte es auch mit dem was die Künstler nothwendig brauchen, so viel möglich gehalten werden, damit kein ander Land eben diese Güter auf einem fremden Markte heimlich verkaufen könte. Wenn ein Land gewisse Dinge alleine besitzet, so kan man bey ihren Aus fuhren ganz sicher einige Auflagen darauf le gen; sie müssen nur so eingerichtet seyn, das da durch der auswärtige Abgang nicht gar aufgeho ben wird. (Wie der Fleis beför dert wird.) Wenn ein Volk zum Fleisse nicht ist ange halten worden, so verursachet der wohlfeile Preis der Lebensmittel nur noch eine grössere Trägheit. Das beste Mittel darwider ist, wenn man nicht nur auf die Ausfuhr der überflüssigen Lebensmittel ge wisse Belohnungen setzet; sondern auch die Anzahl des Volks das sie verzehren kan, zu vermehren su chet, so wird alsdenn ein jeder, wenn sie theuer zu werden anfangen, mehr Fleis und Mühe, sich diesel ben zu verschaffen, anwenden müssen. Man sollte dahero arbeitsame Ausländer in das Land ziehen, und alle fleissige und emsige Leute unter uns in
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und ihrer Beobachtung. 943(Neunter Abschnitt.) Ruhe wohnen lassen. Man sollte das Volk sich zu verheyrathen anhalten, sonderlich diejenigen wel che schon Kinder zur Arbeitsamkeit aufziehen. Auf die unverheyratheten sollte man grössere Auflagen machen, weil sie dem Staate keine neuen Untertha nen verschaffen. Man mus ferner alle thörichte Begriffe von dem schlechten Werthe der mechani schen Künste zu unterdrücken, und Leute von Stande oder Vermögen dahin zu bringen suchen, daß sie sich mit diesen Dingen ebenfals beschäftigen. Die Faulheit mus man wenigstens mit einer zeit lichen Knechtschaft bestrafen. Die auswärtigen Waaren mus man auch ins Land bringen, und wenn es nöthig scheint Belohnungen darauf setzen, damit wir alle etwas zu thun haben, und wenn wir sie verarbeitet wieder wegschaffen, unsere Mühe her nach wieder bezahlt werden kan. Fremde Manu facturen und Producte mus man, dem der sie ver braucht, sehr theuer machen, wenn man die Ein führung derselben überhaupt nicht verbieten kan, damit sie wenigstens von Geringern, die weit mehr als die Reichen würden nöthig haben, nicht kön nen verbraucht werden. Vornehmlich aber mus man die Schiffarth oder Verführung sowohl der fremden als einheimischen Waaren, als ein richti ges Stück des Fleisses, das allen Profit der Hand lung übersteiget, empor zu bringen bemühet seyn; zumal da es ebenfalls die Vertheydigung auf der See zuwege bringt. Es ist ein eitles Vorgeben, daß die Ver(Weder Ver schwendung noch Unmäs sigkeit sind einem Staa te nützlich.) schwendung und Unmässigkeit zu der Hoheit eines
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(Dritter Buch.) 944 Von den bürgerlichen Gesetzen Staats erfordert würden, da sie zum Besten der Manufacturen vielen Aufwand verursachten. Es ist vielmehr gewis, daß Personen, die nach ihrem Vermögen die besten Producte verzehren, oder die theuresten Manufacturwaaren tragen, ohne Laster seyn, und ihrem Pflichten gemäs leben können. Ja, wenn die Menschen überhaupt etwas sparsamer in diesen Dingen wären; so könte man die feinern Güter mehr ausser Landes schicken; oder wenn auch dieses nicht wäre; so würde doch der Fleis und Reichthum ebenfalls können erhöhet werden, wenn derjenige, welcher von seiner übermäßigen Pracht etwas zum Besten seiner Freunde anwendete, und den Armen Gutes thäte, dadurch andere in den Stand setzte, besser zu leben und mehr zu verzehren, als was er allein bey seiner Verschwendung würde gethan haben. Fünf Familien würden bey einem mässigen Ueberflus einen grössern Aufwand auf eine bessere Art machen, als ein einziger Verschwen der; und die jüngern Kinder, die in mittelmässig reichen Familien ihr Eigenthum haben, würden mehr verthun als ein einziger Erbe der alles im Ueberflus hat, und die übrigen darben müssen. Ueberhaupt ist es gewis daß die Mässigkeit den grössten Aufwand verursacht. Sie macht daß die Menschen reich werden und lange leben. Sie setzt das Volk im Stand, bald zu heyrathen, und zahl reiche Familien zu erhalten. Man erwäge nur ein jedes ins besondere: ein mittelmässiger Auf wand von sechzig oder siebenzig Jahren ist grösser als eine übermässige Verschwendung von zehn oder zwölf Jahren, da unterdessen funfzig an
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und ihrer Beobachtung. 945(Neunter Abschnitt.) dern in der grösten Armuth leben. Wo daher ei ne Nation gefunden wird, die mit allen Lebensmit teln hinlänglich versehen ist, so müssen die Menschen ohne alle Verschwendung durch reichliche Versor gung ihrer Kinder und Anverwandten, und durch Freygebigkeit gegen die Dürftigen und würdigen Armen, den grösten Aufwand machen. V. Die erhabenen Grundsätze der Gerechtig(Die Gerech tigkeit ist von grossen Nu tzen.) tigkeit gereichen einer Nation, in welcher sie vor züglich angetroffen werden, zu ihrer allgemeinen Glückseligkeit; zu geschweigen der innerlichen Be ruhigung, die aus dieser Einrichtung entsteht, so verschaffet sie die allgemeine Ruhe und Sicherheit in einem Staate, indem ein jeder alle seine Rechte und Vergnügen geniessen kan, und der Fleis der Unter thanen, die sich der Früchte ihrer Arbeit zu erfreuen haben, dadurch ermuntert wird. Weil die über handnehmende Ungerechtigkeit eines Volks alle wi drige und schlimme Wirkungen der Erbitterung, Hasses, Furcht, Verdachts und Verderbens, oder entsetzliche Zerrüttungen in Familien verursacht, und die Handelsleute wegen des gewöhnlichen Ver lusts bey ihrer Handlung, durch böse Schuld, auf geschobene Bezahlung und Unkosten dazu zu gelan gen, auch einen viel höhern Preis auf ihre Waaren setzen müssen; so kan es nicht anders kommen, als daß die Güter der Nation auf allen Märkten, in einen höhern Preis gesetzt, und zu Hause theurer bezahlt werden, und die Unschuldigen mit darun ter leiden müssen, und Fremde, die mehr auf die
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(Drittes Buch.) 946 Von den bürgerlichen Gesetzen Gerechtigkeit halten, im Stande sind, ihre Hand lungen auszubreiten, und ihre Waaren heimlich einzuführen. (Leichter Zu tritt zu den Gerichtshö fen.) Jeder Staat mus Gerichtshöfe und Gesetze haben, den Misbrauch dabey zn verhüten. Glück lich ist das Volck, dessen Gesetze ohne Hülfe derer, die bey der Verwirrung der Gesetze reich werden, deutlich können verstanden werden. Es ist un möglich ein solches System von Gesetzen zu ma chen, welches alle mögliche Fälle und Umstände in sich hielte, und der unglückliche Versuch, dieses zu bewerkstelligen, hat die Verwirrung und unendli chen Labyrinthe bey den Gesetzen, wobey noch so viel listige und unanständige Ausflüchte sind, die von den meisten Nationen, so lange Zeit ohne Veränderung ihrer politischen Einrichtung zuge bracht haben, als unerträgliche Lasten auf das Ei genthum, und die Unterhandlungen des Volks angesehen werden, zuwege gebracht. (Wenige Ge setze sind bey klugen Rich tern das Beste.) Es ist gewiß, daß das Recht und Eigen thum, durch einige wenige Gesetze, die den Rich tern vieles zu entscheiden überlassen, wenn man nur annimmt, daß es weise und unintereßirte Rich ter geben könne, am allerbesten erhalten werden. Die Römer hatten in ihrem besten Flore ein weitläuftiges Verzeichnis,* von allen rechtsverstän digen Männern, die von dem Prätor auf das Jahr, 101
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und ihrer Beobachtung. 947(Neunter Abschnitt.) da er sein Amt antrat, als Richter ernennt wurden, und aus diesen wählte man durchs Loos einige we nige, die eine jede Sache entscheiden musten. Die Parthey, deren Sache gerecht zu seyn schien, wurde von allen Beschuldigungen losgesprochen, und die Unkosten fielen alle auf die andere Seite, wenn nicht die Richter bestimmten, daß die letzte Parthey eine so scheinbare Sache habe, daß auch der redlichste Mann darbey hätte können hintergangen werden. Jm Fall aber, daß sich die Sache nicht so verhielt, so wur den einer solchen Parthey mehrere und grössere Stra fen, wegen ihrer ungerechten Streitsucht zuerkant. Die angesehensten und beredtesten Männer zu Rom führten die Vertheydigung einer Sache umsonst, und eben so machten es die Advocaten, wenn sie ihre Meinung und guten Rath ertheilten; und dieses war auch der natürlichste Weg, die allgemeine Freyheit zu erhalten, und bey der Wahl der Rich ter glücklich zu seyn. Warum sollte es nun in ei ner jeden politischen Verfassung nicht angehen, daß die Kläger und Beklagten, ein jeder sich selbst, aus diesem Verzeichnis einen Advocaten erwählten, der ohne Unkosten des Clienten den Prozes führen müste, und daß dieser, der eine gute Sache verthei diget hätte, vor seine guten Dienste gegen einen Bürger von dem Staate bezahlt würde. Es scheint überhaupt eine natürliche Pflicht der Obern zu seyn, daß sie die Mitglieder der Gesellschaft wi der die Jnjurien beschützen, und einen jeden ohne Unkosten zu seinen rechtmässigen Ansprüchen ver helfen; weil ihnen die ganze Gesellschaft ihre natür lichen Rechte übertragen hat.
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(Drittes Buch.) 948 Von den bürgerlichen Gesetzen Die Richter, denen wir unser ganzes Leben anvertrauen, müssen allezeit bestimmen können, ob die Parthey, die den Prozes verlohren hat, eine solche Sache gehabt hat, dabey auch ein Ehrlicher hätte können hintergangen werden. Jm Fall es nicht so gewesen ist; so ist die Strafe des Dieb stahls vor eine ungerechte Vertheydigung noch nicht zu groß, und die scharfe Bestrafung der Ver brechen hilft allen ehrlichen Leuten, die auf diese Weise oft mehr als durch Diebe und Räuber verliehren. (Kriegszucht und Tapfer keit.) VI. Die Tapferkeit und Kriegszucht mus auch so allgemein als möglich seyn. Es ist eine Schan de vor ein Land, wenn angesehne Männer sich über haupt nicht zu den wichtigsten Diensten, nämlich zur Vertheydigung des Landes bey gefährlichen Zei ten schicken. Weil aber der Krieg etwas zufälli ges ist, und die Absichten der Eroberungen meh rentheils von Jnjurien herrühren, so mus der Kriegsdienst keine beständige Handthierung seyn: sondern das ganze Volk mus dahin angewiesen wer den, daß es allezeit auf dem erforderlichen Falle in Bereitschaft ist, und während des Friedens, die Ge setze der Kriegszucht blos im Gedächtnis behält. Alles dieses ist möglich, wo es die vornehmsten Be fehlshaber verstatten. Eine Nation, die sonst nie mals über vierzig tausend Mann erhalten hat, wür de in einem zwanzigjährigen Kriege wohl viermal so viel unterhalten, und diejenigen, so fünf oder mehr Feldzügen beygewohnt hätten, zu alten Sol daten machen können, wenn sie eine solche Verse
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und ihrer Beobachtung. 949(Neunter Abschnitt.) tzung anstellte, daß die alten Regimenter nicht über den fünften Theil Recruten erhielten. Auf diese Weise würden diejenigen, die dem Staate auf eine gewisse Zeit gedienet hätten, eine angenehme Erleich terung bekommen, wenn sie wieder zu ihrer Arbeit und ruhigen Genus ihrer Güter zurück kehren könten. Die Abwechslung in den höhern Militär(Der grosse Nutzen der Abwechse lung bey Kriegsdien sten.) stellen würde der Nation eine Menge von alten Officiers und Generals verschaffen, und nicht bestän dig nöthig seyn, daß man sich auf einen oder zwey verlassen müste, und im Fall diese sterben, oder sich wider ihr Vaterland vergreiffen sollten, niemand alsdenn im Stande wäre, ihre Stellen zu vertreten. Man würde einen beständigen Vorrath von alten Soldaten zu Hause haben, die sich bey unvermu theten Anfällen widersetzen, und nach einer unglück lichen Schlacht, eine ganze Armee wieder in voll komnen Stand bringen könten. Man müste fer ner die jungen Leute in allen Ständen, wo mehr als ein Sohn in einer Familie wäre, dazu anhal ten, daß sie Kriegsdienste thun müsten, und wenn ihre gesetzte Zeit verflossen wäre, zu ihren häuslichen Verrichtungen wieder zurückkehren könten. Solche ansehnliche und tugendhafte Bürger, unter denen viele in ihrem Lande grosses Vermögen hätten, würden mehr Muth und Treue haben, als solche, die um ihr Leben gedungen sind, sich selbst angege ben haben, oder von ihrem Volke dazu ausgeliefert worden, weit sie zu andern Geschäften un tüchtig sind.
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(Drittes Buch) 950 Von den bürgerlichen Gesetzen Eine Aufrichtung eines solchen Plans, wird (Jst ohne grossen Ver lust möglich.) vielleicht anfänglich ein Volk, das vorhero seine ei genen Soldaten unterhalten hat, von seinem Fleisse abhalten. Allein, wenn die Einrichtung nur ein mahl gemacht wäre, so würde es dem Volcke eben so wenig hinderlich seyn als die andre Art. Ein mässiges und tugendhaftes Volk, das sich einige Jahre in Waffen geübt hätte, würde während der Abwechslung einige nützliche Künste treiben, und mit Vergnügen zu seiner Arbeit zurückkehren, wenn der gesetzte Termin vorüber wäre. Tausend Mann, die auf vierzig Jahre, oder auf Lebenszeit im Müs siggange erhalten werden, sind den Manufacturen oder Ackerbau ein eben so grosser Verlust, als wenn fünf tausend Mann acht Jahre Kriegsdienste thun. Es würde überdieses der achtjährige Dienst bey Leu ten, die ihren gesetzten Termin wissen, und auf diese Weise keinen weitern Unterhalt haben, und zu den Auserlesensten des Volks gehören, keine solchen Be griffe erwecken, dadurch ihnen die Rückkehr zu ihrer ruhigen Arbeit unangenehm würde; zumahl, wenn man sie während ihrer Kriegsdienste in der Arbeit zum allgemeinen Besten, als z. E. im Marschiren und Verschanzen, Wege zu bessern, Städte zu be festigen, oder Flüsse schiffbar zu machen, geübt hät te. Solche Arbeiten, wenn sie ihnen mässig auf erleget wären, würden sie an Seele und Leib stär ken. Die Historie wird die Menschen überzeugen, daß sich dieses thun lasse. Hingegen der Gebrauch einer beständigen Militz hat mehr als die Verthey digung des Landes zur Absicht.
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und ihrer Beobachtung. 951(Neunter Abschnitt.) VII. Nichts kan einem Staate nachtheiliger seyn, als wenn ein Theil der höchsten Gewalt von(Die Unab hängigkeit von aller fremden Macht.) fremden Prinzen oder Höfen, die ein ganz andres Jn teresse haben, abhängt. Wir müssen uns in die ser Sache nur durch die Nahmen der Aemter nicht verführen lassen. Derjenige Herr oder Hof, wel cher Auflagen macht, Streitigkeiten die das Eigenthum betreffen, entscheidet, oder es auf Lebens zeit oder auf dem Sterbefall vergiebt, Geldstrafen oder andere Strafen auflegt, die Waffen zu ergrei fen verbietet oder anbefiehlt, bürgerliche Rechte, die das Land oder dessen Einkünfte angehen, bestimmt, die Rechte der Prinzen entscheidet, und über die Verbindlichkeit der Unterthanen zu gehorchen, ur theilet, und diejenigen davon ausnimmt, welche er zu angesehnen Ehrenstellen erhebt, besitzt ohne Zwei fel die höchste weltliche Macht und Gewalt. Die Dinge, worauf sich diese Macht erstreckt, sind weltlich und bürgerlich. Und wenn ein Herr oder Hof in seinem Nahmen und nicht durch Abgeord nete handelt, so verfährt er als ein bürgerlicher Oberherr; es mögen Päbste, Cardinäle, Oberprie ster und Aeltesten oder andere Versamlungen seyn; und gesetzt, daß er seine Aussprüche durch allerhand Kunstgriffe gültig zu machen sucht, so stellt er so lange, als sie ihre Gültigkeit nicht von dem Staate erhalten, einen Oberherrn vor. Ein Prinz oder Staat, der sich ihnen unterwirft, übergiebt ihnen so viel von der höchsten Gewalt, und wird einer innerlichen, oder äusserlichen bürgerlichen Gerichts barkeit unterthänig.
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(Drittes Buch.) 952 Von den bürgerlichen Gesetzen Wenn Prinzen oder Staaten durch Reli gionsbetrügereyen oder niederträchtige Kunstgriffe des Aberglaubens, in eine solche Unterwürfigkeit ge bracht werden: so sind sie nach Entdeckung des Be trugs nicht länger mehr gebunden, weil die durch Betrug erschlichenen Contracte keine Verbindlich keit haben können. Wenn aber ein Staat ein solches abergläubisches Joch abwirft, und sich unabhängig macht; so können ihn die hohen Be fehlshaber auf keine Weise wieder unterthänig ma chen, eben so wenig als sie den ganzen Staat oder einen Theil der höchsten Gewalt an einen fremden Prinzen, unter den Vorwand solcher geistlichen Rechte veräussern könten. Die Veränderung der Nahmen ist der gewöhnliche Staatsstreich aller Betrüger. (Was zu den bürgerlichen Gesetzen ge höret.) VIII. Dinge, die nach allen Betrachtungen gleichgültig sind, gehören eigentlich nicht zu den bürgerlichen Gesetzen. Es ist höchst ungerecht die Menschen in solchen Sachen durch Gesetze einzu schränken. Die Hauptabsicht der bürgerlichen Gesetze ist, 1) die natürlichen Gesetze durch weltliche Stra fen zu bestätigen, und sie bey der Uebertretung der selben, durch besondere Mittel zu handhaben. 2) Die besten Muster der Contracte, Einrichtun gen und Handlung so feste zu setzen, damit man ei nen vollkommnen Abris von den rechten Unterhand lungen und Absichten der Parteyen haben, und den Be trügereyen zuvorkommen könne. 3) Die Gesetzemüs sen<Gesetze müssen> das Volk auf die beste Weise von dem Gebrauch ihrer Rechte sowohl in Ansehung der öffentlichen
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und ihrer Beobachtung. 953(Neunter Abschnitt.) als Privatgüter unterrichten, und sie zu einer klugen Art den Ackerbau, Manufacturen, und Handlung anzulegen, anhalten. 4) Wo ein guter Endzweck auf verschiedene Weise kan erhalten werden, da mus das bürgerliche Gesetz die besten Mittel und Wege bestim men, damit durch solche Einschränkungen kein grös seres Uebel entstehen könne. Wenn aber verschie dene Mittel gleich gut sind, so ist es doch nützlich, daß eine ganze Gesellschaft einige von denselben erwäh let und den Gebrauch derselben anordnet, ob sie gleich an sich nicht besser sind, als die andern. Eben so mus auch das bürgerliche Gesetz, alles genauer be stimmen, was nach dem Rechte der Natur weiter ausgedehnt werden kan. Es ist daher billig und gut, daß die bürger lichen Gesetze die rechte Zeit zu den Zusammen künften der geistlichen und weltlichen Gerichtshöfe bestimmen; allerhand Uebungen, und gewisse Prämien und Belohnungen anordnen; das rechte Maas, die Zeit und Art und Weise feste setzen, wie die Unterthanen zu den öffentlichen Jnteressen des Staats das ihrige entweder an Gütern oder gewis sen Diensten beytragen müssen, und endlich die rechte Zeit ausmachen, in welcher die Menschen, zur Verwaltung ihrer Güter reif und fähig seyn sollen. Auf diese Weise können alle gute Absichten durch verschiedene Gesetze, wenn sie nur bestimmt genug sind, vollkommen erreichet werden. IX. Es können bey der besten Einrichtung(Aeusserliche Rechte und ungerechte Vortheile) der bürgerlichen Gesetze, viele äusserliche Rechte ent
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(Drittes Buch) 954 Von den bürgerlichen Gesetzen stehen, und man mus gewisse Vortheile verstatten, (müssen oft zugestanden werden.) auf welche niemand mit gutem Gewissen dringen kan; und viele* lasterhafte Handlungen bleiben immer noch ungestraft. Die Gerichtshöfe müssen beyden Partheyen zur Vertheydigung ihrer Sache Zeit iassen<lassen>, und sie können, vor der Untersuchung nicht wissen, auf welcher Seite die gerechte Sache ist. Man mus einem, der überzeugt ist, daß er unrecht hat, dennoch eine gewisse Zeit verstatten, ob er gleich dadurch der andern Partey grosse Unkosten verursachete. Die Gesetze müssen auf gewisse For malien und Zeugen, die zur Bekräftigung der Sa che dienen, nothwendig dringen, damit die Betrü gereyen vermieden werden, sonst könten sich die Menschen solcher Gesetze bedienen, und ohne gesetz liche Formalien, gewisse Anordnungen, oder Testa mente, die nach ihrer eigenen Ueberzeugung frey willig geschehn sind, wider das gerechte Verfahren dessen, der etwas verwilligt oder vermacht hat, in Zweifel ziehen, und gar ungültig machen. Wenn aber in solchen Vermächtnissen oder Testamenten etwas ungerechtes und unmenschliches, oder wider alle Billigkeit gegen einem parteyisches enthalten ist, da andere, die gleiche oder bessere Ansprüche dar auf haben, gänzlich hintangesetzet sind; so kan sich ein solcher Mensch mit guten Gewissen des Vor theils bedienen, dem ihm das Gesetz bey solchen Gelegenheiten verstattet, wenn es nur gewis ist, 102
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und ihrer Beobachtung. 955(Neunter Abschnitt.) daß er in Ansehung anderer nichts unbilliges unter nimmt. Sollte aber die Sache gerecht, billig und menschlich, und der Macht dessen, der etwas ver macht, gemäs seyn, so mus sich ein redlicher Mensch keines unerlaubten Verfahrens bedienen, sondern eines viel edlern und aufrichtigern Bezei gens als die Gesetze seines Landes erfordern, sich zu befleisigen suchen. X. Das unverbrüchliche Ansehn der Gesetze,(Belohnun gen.) beruht auf den Strafen und Belohnungen. Diese letztern finden bey allen bürgerlichen Gesetzen eben so wohl Statt, als die Strafen. Der beständige Schutz eines Staats und der Genus aller Vorthei le eines bürgerlichen Lebens gehören zu den allge meinen Belohnungen. Bey vielen Gesetzen giebt es überdieses noch andere besondere Belohnungen, z. E. Prämien, Beförderungen zu Ehrenstellen, und andern wichtigen Aemtern, welches redlichen Leuten die angenehmste Belohnung ist, und sie zu guten Handlungen am meisten ermuntert. Das Ansehn oder die Ehre ist entweder von geringerer Art, z. E. die Hochachtung wegen der redlichen Gesinnungen, die einen Menschen zu einen geselligen Leben geschickt machen; oder von besonderer Vorzüglichkeit, wie es sich vor grosse Eigenschaften, besondere Dienste und Tugen den schickt. Zu der letztern Art hat ein jeder, der es nicht durch ein grausames Verbrechen verlohren hat, ein vollkommenes natürliches Recht, und ge hört dahero nicht zu den bürgerlichen Belohnungen. Es würde eine harte Strafe seyn, wenn man je
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(Drittes Buch.) 956 Von den bürgerlichen Gesetzen mand diese Rechte nehmen oder ihn davon aus schliessen wollte. Die Obrigkeit hat nicht mehr Macht darüber, als über das Leben und Eigenthum des Volks. Sie kan eins von diesen nicht anders als wegen eines Verbrechens wegnehmen. Die klugen und verständigen Menschen werden hierin nen keinem ungerechten Ausspruche folgen. (Die Obrig keit kan nur die äusserli chen Ehren stellen be stimmen.) Unsere innerliche Hochachtung von der vor züglichen Art wird sich nicht nach dem Entschlusse eines Staats oder Prinzen, sondern nach der Vorstellung, die wir von den Verdiensten einer Person haben, richten. Die Obrigkeit kan nur über den äusserlichen Rang, Vorzug, oder andere Zeichen der Ehre richten; und ihr Urtheil giebt den Menschen ein äusserliches Recht, diese Dinge zu for dern. Weil nun die Obrigkeit hiebey gemeiniglich auf die wahren Verdienste der Personen zu sehen pflegt; so können die äusserlichen Ehrenstellen einem Staate sehr nützlich seyn. So bald aber als die Ehrenstellen, ohne Absicht auf ein Verdienst ver geben werden, oder auf diejenigen erblich fallen, die von den Tugenden, wodurch ihre Familie dazu gelangt ist, abgewichen sind; so werden sie von selbst verächtlich, obgleich die Gewalt, die sie beglei tet, von Lasterhaften noch unterstützet wird. Eine solche Aufführung eines Prinzen, oder Staats bey der unverdienten Besetzung der Ehrenstellen, hat eine sehr schädliche Würkung, und ein solcher Rang oder Vorzug wird von schwachen Gemüthern so hoch gehalten, daß diejenigen, die sie führen, vor der gerechten Ahndung der Nationen oft beschützet
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und ihrer Beobachtung. 957(Neunter Abschnitt.) werden. Die moralischen Gesinnungen eines Volks müssen nothwendig verderbt werden, wenn sie se hen, daß da, wo die Tugend vornehmlich seyn soll te, die abscheulichsten Laster angetroffen werden. Erbliche Ehrenstellen und Aemter sind um(Ursachen der erblichen Ehrenstellen.) deswillen aufgerichtet worden, damit die Nachkom men der Tugendhaften entweder von Natur und durch die Nachahmung oder eine gute Erziehung zu diesen Vorzügen gelangen möchten, und die Dienste des Staats den Leuten dadurch angenehmer gemacht würden, wenn sie die ihnen ertheilten Be lohnungen und Ehrenstellen auch auf ihre tugend haften Nachkommen fortpflanzen könten. Hier durch kan es geschehen, daß man jungen Gemü thern durch die zu hoffende Ehrenstelle viel edlere Gesinnungen, die sich zu ihrem Stande schicken, beyzubringen vermögend ist. Man kan dahero die erblichen Aemter nicht gänzlich als unnütze ver werfen, zumal wenn man diejenigen, die ihrem Stande nicht gemäs handeln, ohne Ansehn der Per son, jedesmal erniedrigte oder gar absetzte. Die natürlichen Ursachen der Ehre oder Verdienste sind aus dem, was oben von den Graden der Tugend ist gesagt worden, leicht wahrzunehmen. Es ist aber bey diesen politischen Belohnungen nicht un umgänglich nöthig, daß man sie nach dem Maasse der moralischen Güte ertheilt, sondern so, wie sie zur Beförderung der einem Staate höchst nützlichen Tugenden am meisten beytragen können. XI. Das andere, worauf das Ansehn der Ge(Der wahre Endzweck der Strafen.) setze beruhet, sind die Strafen. Die eigentliche
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(Drittes Buch.) 958 Von den bürgerlichen Gesetzen Absicht bey denselben ist, alle Menschen von laster haften Handlungen abzuziehn, und dadurch die öffentliche Ruhe und Sicherheit wieder andere zu erhalten. Wenn man nun dieses Recht zu strafen, welches nach der natürlichen Freyheit allen zukomt, in einem bürgerlichenStaate der Obrigkeit anver trauet, so erlanget sie es blos in ordentlichen Fäl len, und hat nur die Macht über Leben und Tod in peinlichen Sachen. (Wie Züchti gungen von Strafen un terschieden sind.) Es ist billig und vernünftig, daß man die Züchtigungen, die nur blos zur Besserung des Beleidigers dienen sollen, und der Obrigkeit nicht eigen sind, von den Strafen unterscheidet. Jene können heimlich geschehn, diese hingegen müssen öf fentlich seyn, und das Verbrechen mus allen kund gemacht werden, damit sie davon abgeschreckt wer den. Beyde Dinge aber sind von der Ersetzung des verursachten Schadens unterschieden, „welche sich auf die Wiederersetzung eines Verlusts, den andere durch jemand erlitten haben, bezieht.“ Hierzu sind die Menschen oft verbunden, ob sie gleich nichts lasterhaftes oder ungerechtes begangen haben.* Die Gewalt, die im Kriege gebraucht wird, hat auch eine ganz verschiedene Absicht, we nigstens, wenn sie vor der Eroberung zur Verthey digung oder Ausführung unserer Rechte und An sprüche dienen soll. Hingegen wenn man nach dem Siege die Leute immer noch in Furcht setzen 103
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und ihrer Beobachtung. 959(Neunter Abschnitt) wollte, so würde dieses eine vollkommene Stra fe seyn. Der wahre Bewegungsgrund, warum einer seinen Nebenmenschen Uebels zufüget, mus allezeit von der Menschenliebe herrühren. Uberhaupt aber mus die Obrigkeit die grössern Verbrechen bestra fen, und in Ansehung der geringern Vergehun gen sollten die Menschen mit der Züchtigung oder Ersetzung des Verlusts zufrieden seyn. Nichts ist vermögend einen redlichen Mann in diesen Hand lungen zu beruhigen, als die eigne Ueberzeugung, daß er alles aus einer guten Absicht gethan habe, und daß dieses Verfahren zur Erlangung eines grössern Gutes nothwendig erfordert werde. Wenn wir die göttlichen Strafen rechtfertigen: so stellen wir dabey eben diese Betrachtungen an, die zu er kennen geben, daß die Strafen von seiner Liebe her rühren, und daß sie zur Erhaltung seiner Macht und Beschützung seiner Gesetze dienen, die blos zur höchsten Glückseligkeit seiner vernünftigen Geschöpfe bestimmt sind, und seine Liebe zur Tugend und fe sten Entschluß, die Laster durch solche mächtige Be wegungsgründe auszurotten, anzeigen sollen. Da hero halten wir die göttlichen Strafen um dieser Ursachen willen vor gut und gerecht. Weil nun die Absicht bey den Strafen die Erhaltung der allgemeinen Sicherheit ist: so mus auch das rechte Maas derselben von der Nothwen digkeit, gewisse Laster um der öffentlichen Sicher heit willen zu unterdrücken, und nicht von der mo ralischen Schändlichkeit der Handlungen hergenom
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(Drittes Buch.) 960 Von den bürgerlichen Gesetzen men werden, ob man es gleich oft nach dem Scha den, der aus dem Verbrechen entsteht, zu ermessen pflegt. Da es nun nicht allezeit so beschaffen ist: so müssen oft die grösten Laster, wie wir oben schon erinnert haben, ungestraft bleiben; und einige Handlungen, die der Gesellschaft nachtheilig sind, ob sie gleich aus keinen bösen Herzen herrühren, müssen oft mit grosser Schärfe bestrafet werden, wie z. E. bey der Empörung gegen einen gerechten Prinzen, wegen eines scheinbaren Vorzugs eines andern. Da die Uebel des Kriegs sehr gros sind, so müssen die Menschen abgeschreckt werden, sich muthwillig und ohne Ueberlegung in demselben ein zulassen. Und wenn die Menschen zu gewissen Verbrechen, die eben nicht von der grösten Bosheit herrühren, durch die Hofnung der Verschwiegen heit können gereizet werden, so mus man diejenigen, die ihres Jrrthums überführt sind, schärfer be strafen, als die Reizungen dazu gewesen sind, z. E. der Diebstahl mus härter bestrafet werden, gesezt auch, die Menschen wären durch die Noth ihrer Familien dazu verleitet worden, als einige andere Verbrechen, die von einer weit schlimmern Ge müthsneigung herrühren. (Strafen wegen öffent licher Ver brechen.) Oeffentliche Verbrechen, die in einer übel an gewendeten Gewalt oder unrechtmässigen Anmas sung gewisser Dinge bestehen, müssen härter be strafet werden, als Privatverbrechen, deren Folgen nicht so schädlich sind. Dahero rühret der Unter gang vieler Staaten blos von einer allzugrossen
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und ihrer Beobachtung. 961(Neunter Abschnitt.) Gelindigkeit her, solche Verbrechen an der Obrig keit zu bestrafen.* Scharfe Strafen werden auch bey kleinen Verschuldungen erfordert, zumal wenn die öftere Wiederholung derselben, gefährlich und dem Staa te in gewissen Bedürfnissen nachtheilig ist. So müssen z. E. die Soldaten in Kriegszeiten, wenn sie entweder aus Frevel oder aus einer Sehnsucht nach einem ruhigen Leben davon laufen, harte be straft werden. Jn Friedenszeiten ist dieses nicht so nothwendig, und es ist vielmehr grausam, wenn man sie ohne Noth zu einem Dienste zwingen will, der ihnen höchst unangenehm geworden ist. Bisweilen müssen auch Handlungen, die von den besten Gesinnungen herrühren, wenn es das öffentliche Jnteresse erfordert, bestraft werden. So kan ein Unterofficier von allzugrosser Herzhaftigkeit bestraft werden, wenn er wider die ausdrückliche Vorschrift seines Generals einen tapfern Angriff waget; weil es zur grössten Verwirrung Anlas ge ben würde, wenn Untergebene ihren Befehlsha bern, unter den Schein, daß ein Vortheil über den Feind hätte können erhalten werden, nicht gehorchen wollten. Denn weil aus der Unterlassung der Kriegszucht viel grössere Uebel entstehen können, als es sich bey einer gutwilligen Unterwerfung un ter die Befehle der Obern, die nicht offenbar verrä therisch und der Armee nachtheilig sind, vermuthen 104
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(Drittes Buch.) 962 Von den bürgerlichen Gesetzen lässet: so siehet jeder redlicher Mensch ein, daß es seine Schuldigkeit sey, solchen Befehlen, von denen er gewis weis, daß sie nicht recht sind, zu gehor chen, und sich aller klugen Maasregeln, die ihm seine Vorgesezten verbieten, zu enthalten; es sey denn, daß er durch vernünftige Vorstellungen an dere Befehle von ihnen auswürken könte. Hin gegen wer anders verfähret, der mus bestraft wer den, weil die Gesetze bey den entgegengesezten Fol gen der Handlungen allezeit auf die ganze Gesell schaft ihr meistes Absehn richten müssen. (Jnnerliche Anschläge.) XII. Jnnerliche Absichten und Anschläge, die sich bey der Handlung nicht zu erkennen geben, ob sie gleich könten erwiesen werden, sind doch in ge lindern Regierungsformen nicht strafbar. Leute, die nicht boshaft genug sind, ihre Anschläge auszu führen, mögen immer davon reden wie sie wollen. Wofern sie aber ihre üblen Gesinnungen entdeckt, und dadurch andere verführet haben, so müssen sie von Rechtswegen davor bestraft werden, und die Obrigkeit ist verbunden, denjenigen, den sie haben verführen wollen, vor sein gutes Verhalten genug same Sicherheit zu verschaffen. Wenn aber ein solcher gefährlicher Anschlag schon soweit ausge brochen ist, daß er würde glücklich seyn hinaus gefüh ret worden, wenn er nicht durch eine höhere Macht oder von ungefähr wäre hintertrieben worden, so ver dienet ein solcher Uebelthäter eben die Strafe, es mag ihm sein Anschlag gelungen seyn oder nicht, nachdem man eben die Bosheit und eben den Scha den, welcher der Gesellschaft aus seinen Unterneh
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und ihrer Beobachtung. 963(Neunter Abschnitt.) mungen hätte wiederfahren können, entdeckt hat. Auf diese Weise ist einer, der den andern in der Ab sicht ihm das Leben zu nehmen, Gifft gegeben, oder ein Gewehr auf ihn losgeschossen hat, eben so straf bar, als ein Mörder, es mag nun würklich gesche hen seyn, oder nicht. Es würde sehr nützlich seyn, wenn in einem jeden Staate eine Macht vorhanden wäre, die or dentlichen Verbrecher zu begnadigen, wenn es be sondere Ursachen erforderten, oder die öffent liche Sicherheit wieder dergleichen Vergehungen auf andere Art könte erhalten werden. Was aber die Verbrechen der Obrigkeiten wider die Rechte des Volks oder den abscheulichen Misbrauch ihrer Ge walt und ihrer verderblichen Anschläge wider die politische Staatsverfassung anbetrift, so sollte hier billig keine Begnadigung Statt finden. Bisweilen erfordert es das öffentliche Jn(Eine Macht, die Verge hungen zu begnadigen) teresse, denjenigen, der sich der allerschlimmsten Pri vatverbrechen schuldig gemacht hat, eine Begnadi gung oder wohl gar Belohnung zu geben, um ihn in einigen wichtigen Diensten zu brauchen. So werden z. E. alle diejenigen, welche in den Banden der Strassen- oder Seeräuber ihren Eid brechen und allen vertraulichen Umgang mit ihnen aufhe ben, begnadiget und mit Rechte belohnet, wenn sie die Bande verrathen, oder ihre vorigen Mitgesellen ausliefern. Durch eine solche Aufführung wer den die Zusammenverschwörungen wieder das menschliche Geschlecht ohne unschuldiges Blut auf gehoben; und wenn es auch der schlimste von der
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(Drittes Buch.) 964 Von den bürgerlichen Gesetzen Partey wäre, der um dieser Hofnung willen sich die ses Vortheils bediente, und seine Mitschuldigen verriethe. (Das uner laubte Anse hen der Per son bey Ge richten.) XIII. Das Ansehn der Personen, welches in Gerichten so ungerecht ist, besteht darinn, wenn man blos auf solche Umstände sieht, die weder die Ver gehung noch deren Wichtigkeit, in Ansehung des öf fentlichen Schadens, noch die Menge der darunter leidenden betreffen. Der Schaden ist in Absicht auf die ganze Gesellschaft immer noch einerley, wenn gleich die Menschen, die mit dem Richter verwand sind, oder ihm vorhero einige Wohlthaten erzeigt, oder gewisse Dienste geleistet haben, auf verschiede ne Art gestraft werden. Die Gerichtshöfe müssen vielmehr auf diejenigen Umstände, so viel möglich, aufmerksam seyn, die eine grössere oder geringere Schuld oder Neigung zum Schaden der Gesellschaft anzeigen, oder die Empfindung der Strafen ver mehren oder vermindern, wenn sie ihre Urtheile der Gerechtigkeit gemäs abfassen wollen. Die Geld strafen aber müssen nach Maasgebung des Ver mögens der Angeklagten aufgelegt werden, wenn man verschiedene Personen wegen einerley Verbre chens damit bestrafen will. Eben die Summe, die ein Armer mit Mühe und Noth erlegen kan, ist einem Reichen nur eine Kleinigkeit.Leibesstrafen müssen bey schwa chen und kranken Uebelthätern gelindert, und schimpfliche Strafen bey angesehnen Standsper sonen vermindert werden, weil es bey einerley Ver brechen blos auf die Gleichheit der schmerzhaften Empfindung ankomt.
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und ihrer Beobachtung. 965(Neunter Abschnitt.) Man kan hiernächst mit Rechte fragen, ob denn nicht bey aller Erhöhung der Strafen ein ge(Wie weit ein Staat in der Erhö hung der Strafen ge hen kan.) wisses Ziel zu setzen sey, über welches die Schmer zen nicht mehr dürfen vergrössert werden. Bey vorsetzlichen Mördern und Räubern, die den Tod verdient haben, kan es vielleicht scheinen, als wenn(Die Tortur ist schädlich.) man dergleichen Missethätern etwas weit schlimmeres anthun oder sie wohl eben so martern sollte, wie sie es bey andern gethan haben. Hingegen auf der andern Seite ist es möglich, daß ein solcher ab scheulicher Anblick der Tortur, zumal wenn sie oft geschicht<geschieht>, bey den Zuschauern sehr schlimme Folgen nach sich ziehen kan. Die Leute werden nur da durch verhärtet, und verlieren alsdenn die Stärke der natürlichen Empfindung von Mitleiden, eben so, wie die Flechsen in einem Cörper, wenn sie all zusehr angegriffen werden, endlich auch ihre Kraft verlieren. Ueberdieses so werden solche ruchlose Menschen durch dergleichen harte Strafen noch mehr angetrieben, sich wider alle Ueberzeugung zu verwahren, oder sich wohl gar wegen ihrer Mit schuldigen zu rächen. Wir werden in der Erfah rung finden, daß die Nationen, wo die Torturen eingeführet sind, selten ein so zartes Gefühl der Menschlichkeit haben, als wie diejenigen, wo man nichts davon weis; und daß durch eine leichte To desart, die mit einiger Beschimpfung des todten Cörpers verknüpt ist, und bey den Zuschauern einen Eindruck macht, ohne den Missethäter lange zu mar tern, der Endzweck des menschlichen Geschlechts voll kommen könne erlangt werden. Wenn man aber
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(Drittes Buch.) 966 Von den bürgerlichen Gesetzeu dennoch die Torturen beybehalten will, so müssen sie nur selten gebraucht werden. (Wer den Schaden zu ersetzen ver bunden.) XIV. Man mus niemand wegen des Verbre chens eines andern bestrafen; und es ist niemand zur Ersetzung eines Schadens, wozu er durch keine wirkliche Handlung, oder Unterlassung seiner Pflicht etwas beygetragen, und keinen Vortheil dabey ge habt, oder ihn durch eine Betrügerey und um seines eigenen Nutzens willen verursacht hat, verbunden. Dahero scheint es ganz ungerecht zu seyn, daß die Kinder, die nebst ihren Aeltern das Vermögen der Familie eigenthümlich besitzen, und eben so gerechte Ansprüche darauf haben, um das Verbrechen eines Vaters, ihres ganzen Vermögens verlustig werden sollen; ohne zu erwehnen, daß die Frau, die selbst ein Ansehnliches dazu gebracht, oder das gemein schaftliche Vermögen, durch ihren Fleis vermehrt hat, eben so gerechte Ansprüche darauf haben kan. Es ist zwar der Vater der natürliche Vorsteher und Verpfleger seiner Familie, und die Schulden, die er auf eine kluge oder thörichte Art machet, betref fen die ganze Familie, und er kan alles verschwen den: Hingegen, bey vielen gesitteten Nationen, ist dieses natürliche gemeinschaftliche Recht durch die bürgerlichen Gesetze so bestätiget, daß man auf Ansu chen der Kinder, der ausschweiffenden und thörich ten Lebensart des Vaters Einhalt thun kan. Auf diese Weise ist es auch der Gerechtigkeit und Bil ligkeit gemäs, und man kan es kaum mit einem Scheine der Gerechtigkeit vertheydigen, daß man die Schuldigen nach den bürgerlichen Gesetzen mit
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und ihrer Beobachtung. 967(Neunter Abschnitt.) solchen Strafen belegt, die den Unschuldigen eben so sehr mit betreffen. XV. Was die Strafen einer ganzen Gesell(Die Stra fen ganzer Gesellschaf ten.) schaft anbetrift so scheinen folgende Grundsätze der Gerechtigkeit gemäs zu seyn. 1) Wenn man alle Mitschuldigen, oder soviel als zur Ersetzung des Schadens zureichend sind, ausfindig gemacht hat; so kan man von der ganzen Gesellschaft nichts weiter verlangen. 2) Wenn man dazu nicht gelangen kan, so mus kein Unschuldiger an seiner Person oder Pri vatvermögen um eines Verbrechens einer ganzen Obrigkeit oder Bürgerschaft bestraft werden. 3) Wenn die Mitschuldigen in einer Gesell schaft, wo das Verdienst oder die Verschuldung von einer jeden einzelnen Person abhängt, ausgestorben, oder daraus vertrieben sind; so können die andern Mitglieder der Gesellschaft von Rechts wegen nicht bestraft werden. Ueberhaupt aber wird durch die Strafe oder Geldbusse, die aus dem öffentlichen Schatze erlegt werden, der Endzweck, den man bey solchen Strafen hat, nicht erreicht. Böse Men schen fühlen nur, und werden dadurch abgeschreckt, was sie selbst betrift. Die Noth der ganzen Ge sellschaft rühret sie nicht. 4) Was die Ersetzung des Schadens betrift: so fällt sie, wenn man sie nicht von dem Uebelthäter erhalten kan, auf einen Mächtigern, der durch eine grobe und strafbare Nachlässigkeit, an der Schuld
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(Drittes Buch) 968 Von den bürgerlichen Gesetzen Theil genommen hat, und man mus sich hiebey an sein Privatvermögen zu halten suchen; wenn die ses nicht zureicht, so muß der allgemeine Schatz da vor haften[,]; und wo dieser erschöpft ist, da mus es um eben der Ursachen willen, die wir oben* bey dem Fall der Eroberung in einem rechtmässigen Kriege angeführt haben, aus dem Privatvermögen aller Mitglieder genommen werden. 5) Weil die ganzen Gesellschaften überhaupt mächtig genug sind, ihre Mitglieder vor Jnjurien zu beschützen; so sind die Befehlshaber verbunden, eine hinlängliche Sicherheit vor zukünftige Jnju rien zu geben, und wenn ihre vorige Macht dazu nicht hinreichte, so sollte man ihnen eine grössere ver schaffen. Und man kan ihnen auch wohl solche Vor rechte, die leicht können gemisbraucht werden, ver statten, wenn auf keine andere Weise in Ansehung des öffentlichen Schadens eine genugsame Sicher heit erhalten werden kan. Hingegen, ohne grosse Noth, und wenn die Sicherheit auf andre Art kan erlangt werden, ist es sehr ungerecht, eine ganze Gesellschaft wegen des Verbrechens einiger Mitglie der oder obrigkeitlichen Personen, ihrer wichtigen Rechte nnd<und> Freyheiten zu beraubeu<berauben>. 6. Was die Rechte, die kleinere Gesellschaf ten, als Theile des grossen politischen Staatskör pers geniessen, anbetrift; so können die obrigkeitli chen Personen oder Räthe dieser Gesellschaft keiner 105
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und ihrer Beobachtung. 969(Neunter Abschnitt) wichtigen Rechte, sowohl in Ansehung der unschuldi gen Mitglieder, als auch des ganzen Staats, durch eine üble Verwaltung verlustig werden. 7) Handlungsgesellschaften können, wofern sie ihre Termine oder eingegangenen Bedingungen nicht halten, aller ihrer Freyheiten, beraubet* werden; und man kan die Verbindlichkeit dersel ben gänzlich aufheben. XVI. Jn Ansehung der Auflagen, zur Bestrei(Vortheil hafte Auf lage.) tung der öffentlichen Unkosten, so sind diese die vor theilhaftesten, die mehr auf Ueppigkeiten und präch tige Dinge, als auf Lebensmittel, und mehr auf fremde Producte und Manufacturen, als auf ein heimische gelegt werden, und so beschaffen sind, daß sie ohne grosse Unkosten können eingetrieben wer den. Ueberhaupt aber mus man bey dem, was man im Lande mit Auflagen belegt, mehr auf das Verhältnis gegen das Vermögen des ganzen Volks sehn, als bey den Auflagen auf fremde Ma nufacturen, weil diese letztern oft zur Ermunte rung des Volks erfordert werden, ob man gleich kei ne öffentlichen Ausgaben zu bestreiten hat. Man kan aber dieses Verhältnis niemals ohne eine Schatzung, die in Ansehung des Reich thums der Privatfamilien, alle fünf, sechs oder sie ben Jahre gemacht wird, anstellen. Die römi schen Gesetze zeigen, wie leicht sich dieses thun lasse. Die gröste Unbeqvemlichkeit<Unbequemlichkeit>, die es bey vielen ma 106
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(Drittes Buch.) 970 Von den bürgerlichen Gesetzen chen würde, ist wohl ohne Zweifel diese, daß man bey solcher Gelegenheit vielleicht einige verdorbene Kaufleute entdeckte, und ihnen die Handlung unter sagte, und mehrere zu betrügen ausser Stand setzte. Was aber kluge und redliche Leute anbetrift, die durch Unglücksfälle ihr Vermögen verlohren haben, so würden ihnen ihre Freunde immer noch trauen; hingegen die thörichten Projectenmacher würden al lezeit die Gelegenheit, einen gottlosen Banquerot zu spielen, oder andere Jnjurien, die gewöhnlich sind, zu machen verliehren. Bey einer Schatzung könte man einen jeden nach Maaßgebung seines Vermögens schätzen, und auf diese Weise würden auch die öffentlichen Abga ben niemand zu schwer werden. Denn bey Län dereyen werden die Besitzer, die Schulden haben, all zusehr mit Abgaben überhäuft, und diejenigen, de ren Vermögen aus baaren Gelde bestehet, geben nichts. Zölle und Accisen fallen zwar anfänglich auf die Handelsleute, zuletzt aber muß sie doch der jenige, der die Waaren braucht, tragen. Dahero müssen edle und gastfreye Leute, oder solche, die eine zahlreiche Familie zu unterhalten haben, die ganze Last über sich nehmen, und hingegen ein einzelner geitziger Mensch darf gar nichts dazu geben. (Gehorsam leidend oder thätige.) XVII. Mit diesen Rechten der Obrigkeit ist die Verbindlichkeit der Unterthanen zu einem thätigen und leidenden Gehorsam, aufs genaueste verbun den, wie wir aus folgenden Anmerkungen zei gen werden.
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und ihrer Beobachtung. 971(Neunter Abschnitt.) 1) Wenn der Befehl einer Obrigkeit gerecht und vernünftig ist, und ihr vermöge der Macht, die ihr anvertraut ist, zukommt, so ist ein Unterthan allzeit verbunden, seines Schadens oder Nachtheils ungeachtet, zu gehorchen, ob er gleich den Strafen auf eine listige Art entgehen könte. Dieses fin det sonderlich bey der Bezahlung der Auflagen, oder den Kriegsdiensten Statt. 2) Wenn die Obrigkeit zwar eine Sache an(Verbind lichkeit thö richten Be fehlen zu ge horchen.) befehlen kan, aber sie misbraucht dabey ihre Gewalt, so sind wir dennoch verbunden, wenn wir ihre Be fehle durch vernünftige Vorstellungen nicht ändern können, und sie nicht wider die vollkommnen Rechte der Unschuldigen sind, zu gehorsamen, ob sich gleich die Obrigkeit bey solchen Befehlen versündiget. Dieses ist sonderlich im Kriege möglich, daß der Befehlshaber solche thörichte Befehle ausstellt, von denen die Untergebenen offenbar einsehen, daß sie ihnen zwar nachtheilig sind, aber dem ganzen Staa te nur wenig schaden. Weil nun die Aufhebung aller Kriegszucht viel grössere Uebel nach sich ziehen würde, als die fes<dieses> ist, wenn thörichte Befehle vollzogen werden, und überhaupt alle Zucht verlohren gehen würde, wenn ein Untergebener den Befehlen, die er vor thö richt hält, nicht gehorchen wollte; so ist es oft der Untergebenen ihre Schuldigkeit, auch solchen Be fehlen, dir<die> sie vor unrecht halten, nachzuleben. Wofern aber die Befehle verrätherisch und(Wenn man nicht gehor chen soll.) so gefährlich sind, daß die Vollziehung derselben viel
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(Drittes Buch.) 972 Von den bürgerlichen Gesetzen nachtheiliger seyn würde, als wenn alle Zucht auf gehoben würde; so mus ein redlicher Mann nicht gehorchen, und es aufs äusserste ankommen lassen. Es ist gleichfalls unsere Schuldigkeit, Abgaben oder Tribute, die eine rechtmässige Obrigkeit auflegt, zu geben, ob wir gleich wissen, daß sie ungleich aufge legt sind, und zu thörichten Absichten angewendet werden. Es sind viele bürgerliche und kriegerische Befehle, von deren Gerechtigkeit die Untergebenen nicht recht urtheilen können, weil sie die rechten Absichten derselben nicht wissen. Sie können aber in aller Unschuld darnach handeln, gesetzt auch, ih re Obrigkeit verführe unrecht, wenn sie nur ihre Obrigkeit vor gerecht und weise hält; und sie müs sen oft, wenn sie wissen, daß die Befehle thöricht sind, dem allgemeine Jnteresse ihres Landes gemäs, Gehorsam leisten. 3) Wenn aber ein Unterthan von der Unge rechtigkeit eines Krieges oder andern Sachen, die er thun soll, überzeugt ist, so mus er den thätigen Ge horsam abschlagen, und lieber um des Gewissens willen alle Arten der Trübsalen über sich erge hen lassen. (Wenn der Gesetzgeber seine Gewalt übel braucht, ist kein Ge horsam nö thig.) XVIII. Wofern eine Obrigkeit die Macht, die ihr verliehen ist, überschreitet, und sich mehr, als ihr zugestanden ist, anmasset; so ist es allezeit ge recht und billig, sich solcher angemasseten Gewalt, aller vorgegebenen guten Absichten ungeachtet, gleich im Anfange zu widersetzen, weil das Vorhergehen de schon so gefährlich gewesen ist, und zum Verder
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und ihrer Beobachtung. 973(Neunter Abschnit.) ben der ganzen Gesellschaft und ihrer Rechte noch viel schlimmer werden möchte. 2) Gesetzt nun, eine Obrigkeit überschrei tet zwar überhaupt die ihr verliehene Macht nicht, aber sie misbraucht eine solche Gewalt, die ihr nach einem thörichten Plan der Staatsverfassung zuge standen ist, zum Nachtheil der öffentlichen Sicher heit und Freyheit; so mus ihr ein Unterthan den Gehorsam mit Recht versagen, und sie nöthigen, in solche Bedingungen, die zur allgemeinen Si cherheit erfordert werden, zu willigen, und ein redlicher Mann mus, im Fall er keinen Beystand von andern erhielte, vor solcher Tyranney fliehen, oder soviel Widerstand thun, als ihm möglich ist. Denn es würde vergeblich seyn, wenn er sich ohne Hofnung eines guten Fortgangs, nebst einigen we nigen guten Freunden, in noch grössere Gefahr be geben, oder ungerechten und andern höchst nachthei ligen Befehlen gehorchen wollte 3) Gesetzt, der Plan der Policey ist gut, und(Privat Jnjurien ei nes guten Prinzen sind zu ertragen.) ein Prinz ist in allen Dingen, die ihm anvertraut sind, zwar getreu, aber er ist mit einem ungegrün deten Vorurtheile, gegen einen Unterthanen einge nommen, oder so zornig auf ihn, daß er seinen Un tergang ohne gerechte Ursache suchet, so kan nie mand seinen ungerechten Befehlen, einen Unschul digen zu unterdrücken, gehorchen, und er mus viel mehr selbst das Uebel ertragen, als an andern ausü ben. Der Unschuldige, auf dessen Verderben es abgezielet gewesen ist, hat alsdenn das Recht, sich aller gewaltsamen Mittel der Gegenwehr, auch selbst
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(Drittes Buch.) 974 Von den bürgerlichen Gesetzen wider die Person eines Prinzen zu bedienen, wenn er nur auf das Recht eines Prinzen wider ihn sie het; hingegen darf er wegen der Wohlfarth des Vaterlandes, keinem Prinzen ein Leid zufügen, oder es durch seinen Tod in noch schlimmere Umstände setzen; sondern es ist vielmehr die Schuldigkeit ei nes Unterthanen lieber zu entweichen, als Gewalt zu brauchen, oder im Fall er sich durch die Flucht nicht retten kan, vor das Vaterland ein Märtyrer zu werden. (Widerstand oft recht mässig[-]) Es ist ungereimt, wenn man vorgiebt, daß ein Mensch in keinem Falle ein Recht habe sich zu widersetzen, oder daß er sich niemals unterstehen dürfte über die Befehle seiner Obrigkeit zu urtheilen. Auf diese Weise würden alle Endzwecke der Regie rungsform, alle Sicherheit, und alle wichtigen Rechte des Volks vergeblich seyn, und so bald als die höchste Gewalt in gottlose Hände fiele, ohne Hülfe verlohren gehn. Denn diejenigen, welche die Billigkeit der gegebenen Befehle nicht beurtheilen können, sind auch gewis nicht im Stande, die rech ten Gränzen der höchsten Gewalt zu bestimmen. Nach solchen Grundsätzen muß einer, der sich die höchste Gewalt angemasset hat, in beständigen Be sitz darin bleiben. Ein gottloser Prinz, ein Senat, oder einige wenige democratische Abgeordnete, die einmal im Besitz sind, haben niemals etwas zu fürchten, und ihre Soldaten können nach ihren Befehlen, worüber niemand urtheilen darf, rauben, plündern, und umbringen, die sie vor verdächtig
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und ihrer Beobachtung. 975(Neunter Abschnitt.) halten, und niemand kan ihnen einigen Wieder stand thun. Was die zur Strafe verurtheilten Personen(Die Pflicht der rechtmäs sig verur theilten.) anbetrift, so scheinen sie verbunden zu seyn, diese Strafen zu ertragen, und das Aergernis, daß sie durch ihr Exempel gegeben haben, wieder aufzuhe ben. Man kan ihre Wiederspenstigkeit der Stra fe durch allerhand listige Anschläge zu entgehen, nicht vertheydigen, ob es sich gleich wegen der alzu grossen Versuchung dazu, überhaupt noch entschul digen lässet. Die Gesellschaft hat einmal das Recht zu strafen, und es darf also niemand mit Gewalt sich widersetzen. Es ist nicht rechtmässig, wenn man Gerichtspersonen durch Geschenke, zur Untreue in ihrem Amte zu verführen sucht, oder wohl gar Gewalt wider dieselben braucht. 5. Ein unrecht verdamter oder angeklagter(Die unrecht mässig Ver urtheilteu<Verurtheilten>.) Mensch scheint ein Recht zu haben, seine Flucht durch alle Mittel und Wege, die dem unschuldigen nicht nach theilig sind, veranstalten zu können. Ja, weil nun ein jeder das Recht hat, sich selbst oder andere mit Gewalt zu vertheidigen, obgleich der angreifende Theil in einem unvermeidlichen Jrrthume steht, und ebenfalls unschuldig ist; so kan es auch in eini gen Fällen bey einem unschuldigen Manne oder seinen Freunden wieder einige Untergerichtsperso nen gerecht seyn, wenn der ganze Schaden, der aus einer solchen Widersetzung entsteht, ein geringer Uebel ist als die Vollziehung eines ungerechten Urtheils über einen Unschuldigen.
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(Drittes Buch.) 976 Von den bürgerlichen Gesetzen Eben dieser Fall scheint auch da noch häufi ger vorzukommen, wo die Gesetze gegen sehr viele Menschen offenbar ungerecht und grausam sind, oder einer sich aller natürlichen und beständigen Rechte der vernünftigen Geschöpfe unrechtmässiger Weise anmasset. Dergleichen sind alle diejenigen, die durch Verfolgung unschuldiger Religionsmei nungen die Rechte des Gewissens angreifen. Wenn jemand mit Zuziehung anderer gnugsam mächtig ist, so hat er ein Recht den Gesetzgeber mit Gewalt zu zwingen, daß er solche ungerechte Aus sprüche aufheben mus, und wir haben in diesen Stücken ein Recht, einem solchen, wenn es wahr scheinlich ist, daß er glücklich seyn wird, wider die Tyranney der Gesetzgeber und ihre Gesetze zu ver theydigen. Auf solche Weise kan man die Pflichten der Obrigkeit und Unterthanen, aus der ihnen anver trauten Gewalt und aus der Absicht der bürgerli chen Verfassung leicht entdecken und bestimmen. Die politische Klugheit, die Rechte der Obrigkeiten nach Maasgebung der verschiedenen Bedürfnisse der öffentlichen Angelegenheiten, zu gebrauchen, ist ein sehr wichtiges Stück der menschlichen Erkäntnis, welches man durch viele AufmersamkeitAufmerksamkeit und Er fahrung in weltlichen Dingen, durch eine genaue Einsicht in das Jnteresse und Verfassung der be nachbarten Staaten, und durch die bürgerlichen Historien und politischen Schriften allererst erlan gen mus.
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977(Zehnter Abschnitt.)

Der zehnte Abschnitt. Die Gesetze des Kriegs und Friedens.

I.Der Krieg ist derjenige Zustand, da man sein(Kriegsgesetze unter Staa ten, eben so wie unter einzeln Per sonen.) Recht mit Gewalt vertheydigt oder zu er langen sucht. Weil nun eingeschränkte Prinze oder Staaten, einer gegen den andern in ihrer na türlichen Freyheit leben; so schickt sich auch der oben angeführte Grundsatz,* in Ansehung der gewalt samen Vertheydigung, und Ausführung der Rechte, zu den Kriegen der Staaten, und zu den gerechten Friedensschlüssen derselben. Die Kriege sind entweder privat oder öffent(Oeffentliche oder privat Kriege, feverliche<feyerliche> und andere.) liche. Die erstern geschehen unter Privatleuten in ihren eigenen Nahmen, und die öffentlichen Kriege sind diese, „die von einem ganzen Staate oder dessen obersten Beherrscher wenigstens auf einer Seite unternommen werden. Ein Krieg der von zween uneingeschränkten Staaten auf beyden Seiten geführet wird,“ heist ein feyerlicher Krieg, nnd<und> man schreibt ihn, nach dem Gebrauch der Na tionen, auf beyden Seiten eine Art der äusserlichen* Billigkeit zu, aber nicht in der Absicht, als ob wirklich auf beyden Seiten die wahre Gerechtigkeit sey, oder 107 108
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(Drittes Buch.) 978 Die Gesetze des Kriegs als ob andere Kriege moralisch ungerecht wären. Grotius und seine Nachfolger, erfordern nach den Kriegsgesetzen der alten Römer zu diesem bello ſollemni eine vorhergegangene Ankündigung oder Kriegserklärung, wenn man vorher die billige Ersetzung des Schadens oder die Erfüllung unserer gerechten Ansprüche verlangt hat. Allein man mag von einer vorläufigen Ansuchung unserer Rechte, welches bey dem angreifenden Theile nöthig zu seyn scheint, wenn es seine Angelegenheiten ver statten, sagen was man will, so ist es doch nicht nothwendig, daß man, wenn eine gerechte Anforde rung geschehn, und abschlägliche Antwort dar auf erfolgt ist, eine Kriegserklärung* thun müs te. Es wird dieses auch von dem angegriffe nen Theile nicht verworfen, und es ist vor den andern nicht allezeit dienlich, weil der Feind da durch gewinnet, und die beste Gelegenheit, die eine Nation haben kan, sich Gerechtigkeit zu verschaffen, verlohren geht. Ueberdieses so hat auch eine solche allgemeine Gewohnheit unter den gesittesten Völkern noch nicht überhand genommen. (Bürgerli che Kriege können eben so gerecht seyn als an dere.) Oeffentliche, aber keine feyerlichen Kriege sind diejenigen, da die Obrigkeit Rebellionen und Tumulte zu stillen bemüht ist, und zwo grosse Par theyen im Staate über einige streitige Puncte bey öffentlichen Rechten die Waffen ergreifen. Bis weilen, als in Monarchien, hat die eine Parthey den Schutz und die Einwilligung des höchsten Be herrschers; bisweilen auch nicht, z. E. wenn ein 109
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und Friedens. 979(Zehnter Abschnitt.) Senat oder bürgerliche Gesellschaft gegen einen an dern Krieg führet. Dieses werden bürgerliche Kriege genennet, und in vielen Fällen können diese bürgerlichen Kriege eben so rechtmässig seyn, als es die feyerlichen Kriege auf beyden Seiten sind, weil beyde Theile eben solche scheinbare Ursachen und Vorwendungen der Gerechtigkeit haben können, als nur in Kriegen zwischen Monarchen können ange troffen werden, welches man aus vielen Fällen, in welchen der Widerstand gegen einen Höhern recht mässig seyn kan, beurtheilen mus; wie wir her nach untersuchen werden. II. Die Gesetze des Kriegs betreffen entweder(Gesetze des Kriegs, wel che die Par theyen be betreffen.) die Rechte oder Verbindlichkeiten der streitenden Partheyen gegen einander oder gegen andere neu trale Staaten, die mit beyden Theilen Friede haben. Es ist eine Pflicht, die beyden Partheyen ge gen einander und gegen alle Menschen obliegt, daß, wenn sie vorhero keine Kriegserklärung machen können, es hernach zu thun, und ihre Ansprüche und den Grund derselben zu erklären verbunden sind. Der angegriffene Theil ist eben sowohl als der an dere verbunden, seine Vertheydigung und Verant wortung wider die Anforderungen des angreiffen den Theils kund zu machen. Solche Erklärungen sind die natürlichsten Mittel, wie es einer dem an dern und der ganzen Welt zeigen kan, daß keiner von beyden ohne Recht und Gerechtigkeit, wie Strassen- oder Seeräuber mit einander verfahren. Und auf diese Weise vermeiden beyde Theile den Schein, als ob sie dem Rechte der Natur entsagt
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(Drittes Buch.) 980 Die Gesetze des Kriegs hätten, oder die gemeinschaftlichen Rechte des menschlichen Geschlechts verachteten, zumal wenn die Erklärung etwas mit einem Scheine enthält, das in der That geschehen ist. Wo dieses ist, da kan das ganze Volk auf beyden Seiten unschuldig seyn, wenn es die Vertheydigung seiner Sache vor gerecht hält; und man mus diejenigen, die auf bey den Seiten die Waffen führen, nicht als grausam oder als Feinde des menschlichen Geschlechts ansehn, weil sie unter ihrer bürgerlichen Obrigkeit, und nach ih ren Befehlen, die allem Vermuthen nach gerecht sind, so verfahren müssen. (Die rechten Ursachen des Krieges sind Jnjurien,) III. Bey den Kriegen der Staaten und an dern Privatkriegen mus man sowohl die Ursachen als auch den Anfang, Währung und Ende dersel ben genau bemerken. 1) Die gewöhnlichen rechtmässigen Ursa chen des Kriegs beruhen gemeiniglich auf einer Verletzung eines vollkommnen Rechts. Der Wachsthum des Reichthums und Vermögens bey unserm Nachbar, berechtiget uns nicht, ihn anzu fallen, ob es uns gleich aufmerksamer und fleissi ger machen mus, unser eigenes Vermögen zu ver (oder die an scheinende Gefahr dazu.) mehren und neue Bündnisse aufzurichten. Wo fern aber ein Nachbar sich zum Kriege rüstet, ob er gleich noch keine Jnjurien ausgeübt hat; und wenn er durch eine vortheilhafte Lage oder andere Ursachen so gesezt ist, daß ihn die benachbarten Staaten nicht anders, als durch Unterhaltung grosser Armeen oder Besatzungen beykommen können, so haben sie allerdings ein Recht, sich wider dergleichen Jnju
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und Friedens. 981(Zehnter Abschnitt.) rien durch etwas mehr als Wortversicherungen zu widersetzen, und den angreiffenden Staat durch Uebergabe und Schleiffung der Gräutzvestungen<Gräntzvestungen>, oder Abtretung eines andern Theils seiner Macht zu zwingen, daß er das gesuchte Recht den andern zugestehen mus. 2) Bey den Mitgliedern eines freyen Staats ist es erlaubt zu verhüten, daß sie kein so grosses Vermögen, welches dem Staate nachtheilig seyn könte, bekommen mögen, ob sie es gleich auf eine unschuldige Art zu erwerben suchen, und bey benach barten Staaten können eben die Ursachen seyn, daß sie sich vor der anwachsenden Macht eines andern in Sicherheit zu setzen, oder die Vermehrung ei ner solchen Macht mit Gewalt zu hemmen bemüht seyn müssen. Jedoch dieses scheinen nur ausseror dentliche Rechte im Fall der Noth zu seyn, zu wel chen die Staaten ihre Zuflucht nicht nehmen dür fen, wenn sie das Gleichgewicht der Macht gegen ihren Nachbar durch Fleiß, gute Zucht und andere unanstößige Mittel erlangen können. Jn gewis sen Fällen aber kan uns auch die Nothwendigkeit berechtigen, etwas mit Gewalt zu fordern, was wir als ein vollkommnes Recht ordentlicher Weise nicht erlangen können.* 110
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(Drittes Buch) 982 Die Gesetze des Kriegs 3) Fremde Staaten haben eben sowohl als (Der Bey stand ande rer wider Jnjurien.) die Menschen in ihrer natürlichen Freyheit ein voll kommnes Recht, einen andern, der unschuldiger Weise angegriffen wird, oder nicht Macht genug besitzt den Nachbar zur Erfüllung der gerechten Ansprüche zu zwingen, mit aller Macht beyzustehen. Ja sie sind in gewisser Maasse ausdrücklich dazu verbunden, weil dergleichen Jnjurien auch andern begegnen können, wenn man dem angreiffenden Staate seine gemachte Eroberungen zu behalten verstattet. (Der recht mässige An fang der Feindselig keiten.) IV. Die Feindseligkeiten nehmen alsdenn ih ren Anfang, wenn der angreiffende Staat durch Verletzung eines vollkommnen Rechts oder Ver sagung einer geforderten Ersetzung oder gemachten Ansprüche seine feindlichen Absichten zu erkennen giebt. Es ist billig und vernünftig, daß man ei nem Feinde zuvor zu kommen, und sein Land zum Schauplatz des Kriegs zu machen sucht, und wir sind nicht verbunden, so lange, bis wir angegriffen sind, zu warten. Wir können auch die Feindseligkeiten so lange fortsetzen, bis alle Gefahr abgewendet ist, alle Jn jurien und Kriegsunkosten ersetzet sind, und alles
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und Friedens. 983(Zehnter Abschnitt.) bezahlt ist, was wir mit Recht fordern konten, uud<und> die Sicherheit vor dergleichen Anfällen und Jnju rien vollkommen wieder hergestellt ist. Hingegen würde es offenbar ungerecht, und in Ansehung des Ueberwundenen grausam seyn, und mit der Wohl fahrt des menschlichen Geschlechts streiten, wie wir oben bey den Eroberungen gezeigt haben, wenn man nach Erlangung aller dieser Stücken die Gewalt thätigkeiten immer noch fortsetzen wollte. V. Der Krieg wird am besten durch offenba(Die Ge waltthätig keiten sind die rechte Art zu kriegen.) re Gewaltthätigkeiten wider diejenigen, die sich mit Macht widersetzen, geführet; und es ist natürlicher Weise billig und nothwendig, daß wir unser Recht zu erhalten, oder dem Feind zur Einwilligung ge rechter Friedensvorschläge zu bringen suchen. Eine solche Gewalt aber, die nicht zu unserer Absicht die net, oder ohne welche wir unser Recht erlangen könten, ist wirklich abscheulich und ungerecht. So ist es z. E. mit der Umbringung der feindlichen Gefangnen und allen Grausamkeiten gegen Weiber und Kinder beschaffen, die dennoch unrecht bleiben, wenn wir auch den Feind durch solche Grausamkei ten zu Annehmung gerechter Bedingungen zwingen. Viele gesittete Nationen, die hierinn durch(Nach einem stillschwei genden Ver gleich wer den gewisse Gewaltthä tigkeiten uusgefchlos sen<ausgeschlossen>.) einen stillschweigenden Vergleich übereinzukommen scheinen, haben schon lange verwilligt sich aller un anständigen Kriegsarten, wie z. E. das Vergifften des Wassers, das durch die feindlichen Länder fliesst, und der Gebrauch vergiffteter Waffen und einige andere sind, zu enthalten. Weil nun dergleichen Gewohnheiten menschlich sind, so ist es gottlos und
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(Drittes Buch.) 984 Die Gesetze des Kriegs unanständig von denselben abzugehen, zumal wenn der Feind bereit ist, sie beyzubehalten, und über die ses der Schaden weit mehr als es die Absicht des Kriegs erfordert, durch die Abweichung von sol chen Gewohnheiten vergrössert wird, wenn wir Weiber oder Kinder oder verwundete Personen, die ohnedem keine Dienste wider uns thun können, um bringen; oder unser Feind durch dergleichen Kunst griffe eben so viel gewinnen kan. Die Er mordung der feindlichen Prinzen oder Generale ist durch keine Gewohnheit der Nationen aus geschlossen, es müste denn seyn, daß es durch ei ne Bestechung der Unterthanen oder derer, die ihren Herren den Eid der Treue geleistet haben, geschehn sollte. Es haben es auch wirklich viele gesittete Nationen wider einen feindlichen Prinzen oder Ge neral ausgeübt, und man hat sie deswegen nicht ge tadelt. Dieses aber wird überall verabscheuet, wenn man einen Unterthanen, seinen eigenen Prin zen, oder einen Soldaten, seinen Officier zu ermor den, mit Gelde zu bestechen sucht. (Viele Grau samkeiten werden noch verstattet.) Es ist höchst betrübt, daß man nach Abschaf fung einiger verderblichen Kriegslisten dennoch sehr viele erschreckliche Grausamkeiten wider einen Feind übrig behalten hat. Man bestraft Niemanden oder hält ihn in seinem eigenen Vaterlande vor grau sam, wenn er während des Kriegs unschuldiges Blut vergiesset, raubet, Weiber und Kinder ermor det, und andere unzählige Grausamkeiten begehet. Fällt er aber in feindliche Hände, so wird er dieser Verbrechen wegen nicht verfolget, weil der Gegen
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und Friedens. 985(Zehnter Abschnitt.) theil besorgen mus, daß man es auf der andern Sei te eben so machen würde. Es ist vernünftig, daß man die Grausamkeiten in einer Schlacht, von de nen der Zuschauer wahrnehmen kan, daß sie nicht nöthig gewesen wären, übersieht, und es der mensch lichen Schwachheit, so lange die Furcht und Hof nung dauren, zurechnet. Was aber die unnöthigen Grausamkeiten anbetrifft, die nur da, wo keine Ge fahr ist, oder bey unschuldigen Blute ausgeübt werden; so ist es einer Nation sehr anständig, und zeigt von ihrer Gerechtigkeit, wenn sie ihre Un terthanen solcher Verbrechen wegen aufs härteste bestraft, und die Klagen ihrer Feinde wider sie anhöret. VI. Man hat bisweilen gefragt, in wie fern(Jn wiefern die Kriegs listen er laubt sind.) die Kriegslisten erlaubt wären, und es ist soviel da bey festgesetzt worden, daß wir durch solche An schläge, die wir nicht brauchen wissen zu lassen, un sere Feinde zu hintergehen berechtiget sind, und als erlaubte Kriegslisten gebrauchen können. Und es ist über dieses noch die Gewohnheit eingeführet worden, unsern Feind durch andere Zeichen, die, wenn wir sie gegen unsere Freunde brauchen, un sere Gesinnungen anzeigen, zu hintergehen. Ueber haupt werden da falsche Erzehlungen gemacht, wo man vermuthet, daß sie vor wahr gehalten werden, und diejenigen, welche die öffentlichen Angelegen heiten der Nation besorgen, müssen deswegen Nie mand vor falsch oder treulos halten. Man könte vielleicht hierbey einwenden, daß eine sol che allgemeine Gewohnheit eine stillschweigende Er
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(Drittes Buch.) 986 Die Gesetze des Kriegs lassung des Rechts sey, welches sonst die Feinde ge gen einander in Ansehung der glaubwürdigkeit ih rer Erzählungen haben würden. Allein es mus dieses einem redlichen Gemüthe, zumal wenn es mit einem Zeichen der Freundschaft soll verbunden wer den, überhaupt sehr unangenehm seyn. (Der Betrug bey Tracta ten kan nicht vertheydigt werden.) Was nun die Contracte, Waffenstillstände oder Tractaten anbetrifft, so kan es niemals durch eine Gewohnheit eingeführet werden, den Feind da bey zu hintergehen, und man wird solche Betrüge reyen allezeit vor gottlos und meineidig halten. Die Tractaten sind die einzigen menschlichen Mittel, wodurch ohne eine gänzliche Aufreibung der kriegen den Partheyen der Krieg geendigt, und der Friede wieder hergestellt werden kan. Und ihr Nutzen mus durch die Treulosigkeit dabey zum Nachtheil der heilsamsten Absichten einer Nation gänzlich hin wegfallen. Auf gleiche Weise sind die Feinde verbunden, alle Versprechungen eines gegebenen sichern Ge leits oder Passes zu halten, damit redlich Leute von der Menschlichkeit, die man ihnen schuldig ist, und mit der grösten Schärffe des Krieges bestehen kan, versichert werden. (Die Bil ligkeit der Repressa lien.) VII. Wir haben oben bereits bey den Erobe rungen erkläret, wie es mit dem Privatvermögen der Unterthanen, in Ansehung der Ersetzung des Schadens, den ihr Staat gemacht hat, und dem Rechte der Gegenwehr beschaffen ist, und wollen also hier nur anmerken:
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und Friedens. 987(Zehnter Abschnitt.) 1) Daß ein jeder Staat verbunden sey, seine eigenen Unterthanen vor Jnjurien gegen einen be nachbarten Staat, oder eines andern von ihren Un terthanen abzuhalten. 2) Wenn dergleichen Jnjurien offenbar sind, und die Obrigkeit thut ihnen auf geschehene Klage nicht Einhalt, so ist es eine rechtmässige Ursache zum Kriege; es müste denn seyn, daß die Obrig keit darthun könte, daß solche Unterthanen ihre Treue gebrochen hätten, und unter ihre Gesetze nicht mehr gehörten, und daher auch keinen Schutz zu hoffen hätten. Denn es kan kein Staat vor die Raubereyen der Strassenräuber, die ehemals ihre Unterthanen gewesen sind, Rechenschaft geben. 3) Weil die Unterthanen verbunden sind den Schaden ihrer Obrigkeit zu ersetzen; so ist es billig, daß der beleidigte Staat, wenn er keine Erse tzung bekommen kan, sich auf die leichteste Art eine Genugthuung zu verschaffen sucht, und wenn es auch durch Wegnehmung der Güter, die den Unter thanen gehören, geschehen sollte; so können sich die se an ihre Obrigkeit halten, und von ihr die Erse tzung des Schadens, den sie in öffentlichen Angele genheiten unbilliger Weise erlitten haben, mit Rechte fordern. Es ist überall ein angenommener Gebrauch,(Wenn die Anhaltung der Güter rechtmässig ist.) daß bewegliche Güter, die im Kriege weggenom men, oder in die feindlichen Festungen oder Schiffe gebracht, oder vor rechtmässige Priesen erkant wer den, theils den Capern, theils auch den Staaten,
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(Drittes Buch.) 988 Die Gesetze des Kriegs unter denen die Caper stehen, den bürgerlichen Ge setzen gemäß, eigenthümlich gehören. Diese Wechs lung des Eigenthums wird auch sogar von dem Staate, dem die Güter genommen sind, vor recht mässig erkant, so, daß der alte Besitzer, wenn die Güter wieder ersetzt werden, kein Recht mehr daran hat, sondern zum Theil dem Caper, zum Theil auch dem Staate, nachdem es die Gesetze bestimmt haben, zugehören. Es ist dieses eine Sache, die man um deswillen willkührlich bestimmt und feste setzet, damit die Unterthanen bey beyden Theilen desto mehr angetrieben werden, dem Feinde, soviel möglich, Abbruch zu thun. (Das Völ kerrecht in Ansehung neutraler Staaten.) VIII. Wir kommen nunmehro zu den Gesetzen des Krieges, die neutrale Reiche betreffen, und weil es hierbey sehr viele angenommene Gebräuche giebt, so wollen wir hier nur die Grundsätze, nach wel chen die vornehmsten Fragen können entschieden werden, kürzlich angeben. Die Hauptursache be ruhet grösten Theils auf dem, was man das öffent liche* Völkerrecht nennt, wovon einige Stücke, 111
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und Friedens. 989(Zehnter Abschnitt.) eben so, wie das Recht der Natur, verbinden kön nen, und andere Puncte als Verwilligungen, oder stillschweigende Vergleiche angesehen werden, und sehr veränderlich sind. Die Kriegsgesetze, die neutrale Staaten betref fen, beruhen vornehmlich auf folgenden wenigen Grundsätzen. 1) Kein neutraler Staat ist ohne seine Neigung(Sie kön nen nicht ge zwungen werden, sich vor eine Par they zu erklä ren.) dazu verbunden, sich vor eine von beyden kriegenden Partheyen zu erklären, oder der einen im Kriege beyzustehen, und sich auf diese Weise den Feindse ligkeiten der andern Parthey auszusetzen. Es kan zwar auf einer Seite eine stärkere Verbindlichkeit zur Dankbarkeit oder Gerechtigkeit daseyn, jedoch, wenn sich ein Staat nicht durch Contracte oder Tractaten ausdrücklich dazu anheischig gemacht hat, so mus er frey handeln, und seine Neutralität, so wie es ihm beliebt, fortzusetzen, im Stande seyn. Eben dieses gilt auch bey zwoen streitenden Partheyen in einem bürgerlichenKriege, wo ein Staat, der vorhero mit einem so zertheilten Reiche in Freundschaft gestanden, nicht verbunden ist, sich vor einen von beyden Theilen zu erklären, oder über ihre gerechte Sache einen Ausspruch zu thun. Ei ne sieghafte Parthey siehet es auch vor keine Ver letzung der Freundschaft an, daß ihm der fremde Staat, da der Sieg noch zweifelhaft gewesen, kei ne Hülfe geschickt hat, wofern er es nur mit der andern Parthey auch nicht gehalten hat.
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(Drittes Buch.) 990 Die Gesetze des Kriegs Diesem zu Folge, muß man einräumen, daß (Das äus serliche Recht zu weggenom menen Gü tern ist ein völliges Ei genthums recht.) die Caper in Ansehung der beweglichen Güter, die sie im Kriege weggenommen, ein gewisses äusserli ches Recht erlangen können, welches unwiederruf lich ist, wenn diese Güter von einem neutralen Staate, oder dessen Unterthanen gekauft werden, so, daß sie die vorigen Besitzer nicht wieder von ihren Händen zurück fordern können. Man sieht dieses auch vor keine Abweichung von der Neutralität an, wenn ein neutraler Staat die Güter, die auf der ei nen Seite vor rechtmässige Priesen erklärt sind, an sich kauft. Der Käufer braucht ohnedem nicht zu wissen, wie man zu den Gütern gekommen ist. Wenn aber die vorigen Besitzer ihre Güter wieder zurückfordern können; so mus der neutrale Staat das Verfahren der Caper vor ungerecht erklären, und die bezahlten Güter einbüssen, oder den Capern den Krieg ankündigen. Wenn man aber einem neutralen Staate auf Verlangen der alten Besitzer, die Güter nicht verabfolgen läst, so ist dieses eine offenbare feindliche Erklärung gegen diese Besi tzer und ihr Vaterland. Ueberdieses, wenn die er beuteten Güter an andere Unterthanen eben dieses Staats, von dem sie genommen sind, entweder durch einen neutralen Käufer, oder durch den Feind selbst, (weil die Handlung bisweilen auch während des Kriegs auf beyden Seiten fortdauert,) verkauft werden; so kan sie der vorige Besitzer, sowohl in Ansehung des erwehnten Käufers, als auch wegen des äusserlichen Rechts eines Capers, nicht wieder zurückfordern. Andrergestalt würde alle Handlung
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und Friedens. 991(Zehnter Abschnitt.) entweder mit den Feinden, oder mit neutralen Staaten, nur auf einer Vergünstigung beruhen. Bey weggenommenen Ländern, Städten oder(Solche Rech te finden bey Ländern nicht statt.) Provinzen, von welchen ein jeder Käufer wissen mus, wie sie der Verkäufer erworben hat, kan man mit keinem Scheine einem Caper ein solches Recht zugestehen. Dahero würde ein neutraler Staat, wenn er sie an sich kauffen wollte, die alten Besi tzer, oder den Staat ausschliessen, sich ihrer vorigen Ländereyen wieder zu bemächtigen; oder er würde sie nöthigen, daß sie dem Käufer den Krieg ankün digen müsten. Um deswillen hält man dergleichen Arten zu kaufen, der Neutralität zuwider. Es giebt wirklich ein gewisses äusserliches(Einige Fol gen der ge waltsamen Besitzneh mung der Länder.) Recht, welches die gewaltsame Einnehmung der Länder, Städte und Viehes, begleitet; nämlich, daß alle Dienste, Einkünfte, oder andere jährliche Abgaben, die sonst von den vorigen Besitzern an je manden abgetragen worden, nunmehro an den ge waltsamen Besitzer, wirklich bezahlt und abgegeben werden; so, daß der alte Besitzer oder Beherrscher, wenn er sie wieder erlangt, eben diese Dienste oder Abgaben, wenn sie dem gewaltsamen Besitzer nicht gutwillig angeboten sind, nicht widerfordern, und dergleichen Dienste während des Kriegs, als keine Untreue oder Feindseligkeit ansehen kan. Hingegen kan der Vergleich eines gewaltsa men Besitzers die Unterthanen, während seines Be sitzes, von zukünftigen Diensten, Abgaben oder jähr lichen Gefällen befreyen, so, daß der vorige Besi
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(Drittes Buch.) 992 Die Gesetze des Kriegs tzer oder Beherrscher, wenn er wieder zu dem Besitz seiner Länder kömt, von seinen Ansprüchen ausge schlossen wird. Wenn er aber durch Gewalt oder Drohungen einen Schuldner gezwungen hat, die Schuld, welche entweder der überwundenen Gesell schaft oder deren Beherrscher zusteht, zu bezahlen, und zwar ohne ein heimliches Verständnis mit dem Schuldner; so ist die Schuld vollkommen abge tragen und erloschen.* (Man mus entweder beyden Thei len, oder gar keine Hülfe leisten.) 2) Die Neutralität kan nur dadurch erhal ten werden, wenn man entweder keinen von beyden Theilen, oder beyden Theilen gleich viel Hülfe lei stet. Daher, wenn es der einen Parthey erlaubt ist, in den neutralen Staaten zu werben, so muß dieses der andern Parthey auch verstattet werden, und wenn Truppen in Sold gegeben werden, so mus es auf Verlangen an beyde Theile geschehn, und die Freyheiten der Handlung müssen beyden Theilen eben so, wie vorher, ehe der Krieg aus brach, zugestanden werden. Kriegsvorrath muß keiner von beyden Partheyen, ohne Einwilligung der andern, die ihn vielleicht ebenfalls verlangen würde, geliefert werden; und es pflegt auch ordent licher Weise nicht zu geschehn. Auf eben die Art kan der neutrale Staat einer belagerten Stadt oder Jnsel, oder Küste, die von einer feindlichen Flotte eingeschlossen wird, keine Lebensmittel schi 112
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und Friedens. 993(Zehnter Abschnitt) cken. Hingegen verfallene Güter, oder verbo thene, können an der Küste weggenommen wer den. Wofern ein neutraler Staat mit beyden Par(Wem die Bindnisse verstatten Hülfstrup pen zu schi cken.) theyen in Bündnis steht, und beyden Theilen eine gewisse Anzahl von Truppen zu geben verbunden ist, so kan er sie, so lange die Neutralität währet, keinen von beyden schicken. Wenn es aber sein Jnteresse erfordert, die Neutralität aufzuheben, so kan er an denjenigen Theil, der die gerechte Sache hat, Truppen überlassen. Denn alle Contracte, in Ansehung der Hülfe im Kriege, fassen allezeit diese stillschweigende Bedingung in sich, wenn „die Sache gerecht und billig ist.“ Kein Tractat kan uns verbinden, einer ungerechten Gewalt bey zustehn. 3) Der dritte gewöhnliche Grundsatz ist die(Alle neu trale Staa ten müssen alle Hand luda mit bey den Theilen geniessen.) ser: „Ein neutraler Staat mus von keinem Vor theile, den er in Ansehung des Kriegs von beyden Theilen geniessen kan, ausgenommen von denje nigen, welchen er durch die Handlung mit Kriegs vorrath machen kan, ausgeschlossen werden.“ Alle andre Vortheile der Handlung und Schiffahrt, müssen ihm von beyden Partheyen zugestanden wer den. Es ist dahero unbillig, wenn man die Güter der neutralen Kaufleute, die man auf weggenommenen und vor Prisen erklärten Schiffen findet, zugleich confisciret. Der neutrale Staat hat ein Recht,
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(Drittes Buch.) 994 Die Gesetze des Kriegs die Schiffe von beyden Partheyen zn beladen; und, weil er gleichfalls ein Recht hat, Schiffe an beyde Theile zu vermiethen, obgleich die feindlichen Gü ter auf neutralen Schiffen mit Recht weggenom men werden, so dürfen doch die neutralen Schiffe vor keine rechtmässigen Priesen angesehn werden. Eine jede Parthey hat zwar das Recht, die neutra len Schiffe zu durchsuchen, und zu sehen, ob feind liche Güter darauf befindlich sind; hingegen ist kei ner von beyden Theilen befugt, entweder die Schiffe, oder einen Theil der Güter, die dem Feinde nicht ge hören, wegzunehmen. Es ist ein Recht, wie etwa diejenigen sind, die man im Nothfalle verstattet, daß beyde Theile be dürfenden Falls einige neutrale Schiffe in ihre Häfen führen, und sich derselben zur Versendung der Truppen oder des Kriegsvorraths, nach Bezahlung einer billigen Fracht, füglich bedienen können. Auf gleiche Weise kan kein neutraler Staat das Recht einer Hypothek auf Ländereyen, die von einer von beyden Partheyen in Besitz genommen wor den, verleihen. (Keine Feind seligkeiten sind in neu tralen Staa ten erlaubt.) 4) Ein andrer Grundsatz bey neutralen Staaten ist, „daß sie ein Recht haben, beyde Theile in neutralen Landen oder Häfen von Feindseligkei ten abzuhalten, und die Flüchtlinge von beyden Partheyen in Schutz zu nehmen.“ Ein neu traler Staat ist Herr von seinen Landen und Häfen,
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und Friedens. 995(Zehnter Abschnitt.) und hat folglich ein Recht, allen Gewaltthätigkei ten, die darin sich ereignen, zu hintertreiben; und sein Jnteresse erfordert es auch, so zu verfahren, weil es ihm selbst und seinen Unterthanen zum Nachtheil gereichen kan. Eben so kan auch durch das Wegnehmen der Schiffe, die der neutrale Staat aufzuhalten berechtigt ist, die Handlung mit bey den Theilen unterbrochen oder geschwächt werden, und die Loslassung des Geschützes kan andern mehr Schaden thun, als denen, für welche es bestimmt ist. Es ist der Pflicht eines gemeinschaftlichen Freundes, daß er alle Arten der Gewaltthätigkeiten von beyden Seiten, so viel möglich, abzuwenden sucht, und ein jeder Staat hat auch in seinen Gränzen ein Recht dazu. Dieses Recht erstreckt sich eben so weit, als der Staat die Macht hat, durch das Geschütz von seinen Festungen zu befeh len. Der Gebrauch einer gewissen Macht wider die Feinde gehöret unter die jura majeſtatis, oder un ter diejenigen Arten von Macht, zu welcher kein Staat in den Gränzen eines andern, mit dem er in Friede lebt, ein Recht hat. IX. Was die Flüchtlinge von beyden Theilen(Der Schutz der Flücht linge.) anbetrift, so hat ein neutraler Staat das Recht, sie um gleicher Ursachen willen zu beschützen. Kein fremder Prinz hat ein Recht eine bürgerliche oder peinliche Gerichtsbarkeit in den Gränzen ei nes andern Staats auszuüben. Wenn er oder sei ne Gesandten in einem benachtbarten Staate auf eine gewisse Zeit bleiben dürfen, so behalten sie in
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(Drittes Buch.) 996 Die Gesetze des Kriegs ihrem Lande alle Macht und Rechte; aber da, wo sie sich befinden, haben sie keine, ausgenommen, was ihnen von diesem Staate zugestanden wird. Al lem Ansehn nach scheint es, als wenn ihnen die Nationen durch den langen Gebrauch eine bürger liche Gerichtsbarkeit über ihr Gefolge eingeräumt haben, vermöge welcher sie die Streitigkeiten über das Eigenthum bey ihren eignen Unterthanen ent scheiden können. Eben dieses Recht hat auch ein Consul, der nicht einen Prinzen oder Staat vor stellet, sondern nur ein Agent vor Kaufleute an ei nem fremden Hofe ist, und von seinem Prinzen zum Richter über seine Landsleute in bürgerlichen Sachen gesetzt wird. Sie haben auch in bürger lichen Sachen, wenn es Ausländer betrift, keine Gerichtsbarkeit, und in Ansehung der peinlichen Gerichtsbarkeit, ist es weder einem Prinzen,* noch seinem Gesandten erlaubt, über seine eigene Unter thanen, die mit ihnen in einem andern Staate sich befinden, zu richten, indem hierzu oft der Gebrauch der Macht erfordert wird. (Der Ge brauch gegen Uebelthäter und Ban kerotierer.) Das Recht und die Gewohnheit ist in diesem Stücke sehr unbestimmt. Auswärtige Staaten sind wirklich nach dem Rechte der Natur verbun den, keinen Missethäter oder offenbar boshaften 113
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und Friedens. 997(Zehnter Abschnitt.) Bankerotierer, der zu ihnen flieht, in Schutz zu nehmen, und gleichwohl hat der Staat, aus wel chem sie flüchten, kein Recht, sie mit Gewalt in den Gränzen eines andern Landes zu verfoigen<verfolgen>. Wenn ein Staat nun bemüht wäre, sie der Obrigkeit zu übergeben, so sollte man von dem fremden Staate eine Commission verlangen; und es würde unbil lig seyn, wenn man es bey gnugsamer Sicherheit vor allen Schaden abschlagen wollte, alsdenn wür de die Gewalt der Beherrscher eines solchen Staats auf diese Weise ausgeübt. Jn Ansehung der ge ringern Uebelthäter und gewöhnlichen Bankero tierer, gehet man der Gewohnheit nach den Weg der Gnade und Gelindigkeit, man beschützt sie ge meiniglich, und liefert sie selten der Obrigkeit aus. Bey Staatsverbrechern ist die allgemeine Ge wohnheit sehr vernünftig, daß man sie in fremden Staaten aufnimmt, weil es sowohl in bürgerlichen als Staatskriegen immer noch redliche Leute giebt: und man hält es auch vor keine rechtmässige Ursache zum Kriege, daß man sie nicht ausliefert, oder zu verfolgen und wegzunehmen verstattet, wenn sie während ihres Aufenthalts in fremden Staaten keine neuen Zusammenverschwörungen oder Feindse ligkeiten wider den jetzigen Beherrscher ihres Lan des, der mit ihrer Verbannung und der Einbusse ihres Vermögens zufrieden seyn mus, anspinnen. X. Friedenstractaten sind die natürlichsten(Die Be schaffenheit der Friedens tractaten.) und besten Mittel einen Krieg zu endigen. Man kan die Beschaffenheit derselben, ihre gerechten Be
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(Drittes Buch.) 998 Die Gesetze des Kriegs dingungen, Verbindlichkeit und Ausnahme aus demjenigen hinlänglich einsehen lernen, was wir im vorigen Buche bey den Contracten und den Rechten, die von den Jnjurien andrer entstehen, erinnert haben, indem alle uneingeschränkte Prin zen und Staaten gegen einander im Stande der natürlichen Freyheit sich befinden. (Die Aus nahme eines erzwungenen Contracts gilt nicht.) Die Ausnahme eines mit Gewalt erzwunge nen Contracts, findet hier vielweniger, als bey Pri vatpersonen Platz, es mögen gleich feyerliche oder bürgerliche Kriege seyn, die durch Tractaten sollen geendiget werden. Wollte man diese Ausnahme überhaupt verstatten, so würden alle Tractaten ver geblich seyn, kein Staat würde auf die Verspre chungen und Verpflichtungen des andern achten, und keine streitenden Partheyen würden einander trauen, weil eine von beyden Partheyen, die man zum Frieden zu lenken gesucht hätte, noch immer bey ihrer Verbindlichkeit einwenden könte, daß der Contract oder das Versprechen erzwungen wäre. Auf diese Weise würden alle alte Streitigkeiten, der gemach ten Vergleiche ungeachtet, ihren Anfang wieder neh men, und der Krieg könte nicht anders, als durch den gänzlichen Umsturz, oder Ueberwindung der ei nen Parthey zu Ende gebracht werden. (Aber nicht in allen Fäl len.) Jm Gegentheil sind einige Kriege, die von Prinzen oder Staaten ohne alles Recht angefan gen, und glücklich geführet werden, so offenbar ungerecht, daß es unbillig seyn würde, wenn man ei
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und Friedens. 999(Zehnter Abschnitt.) nen Staat, der mit Gewalt gezwungen worden, die ungerechten Bedingungen einzugehen, alle mögliche Hülfe, entweder vor sich, oder seine Nach kommen dadurch auf ewig abschneiden wollte, ob er gleich die beste Gelegenheit bekommen könte, das ungerechte und grausame Joch abzuwerfen. Wo fern man so verfahren wollte, so würde man hier durch zu der unbilligsten Gewalt und Unterdrückung Anlas geben. Wir müssen daher zwischen einer wirklich ungerechten Gewalt, die aber doch auf einem Schei ne des Rechts beruht, wobey auch redliche Leute, die dem Rechte der Natur gemäs handeln wollen, können hintergangen werden; und zwischen einer solchen Gewalt, die keinen Schein des Rechts hat, einen billigen Unterscheid machen, und den Tracta ten, die auf die erstere Art gemacht werden, eine verbindliche Gültigkeit zuschreiben, sonderlich, wenn man dabey nach dem Gebrauch der gesitteten Nationen auf eine anständige Weise gehandelt hat, und die Tractaten keine Bedingungen enthal ten, die mit dem deutlichen Gesetze der Mensch lichkeit, und den Rechten eines Volks, die zur Sicherheit der Bedürfnisse des Lebens erfor dert werden, streiten. Hingegen solche Tractaten, die mit Gewalt erzwungen sind, und Bedingungen enthalten, die wider alle Billigkeit und Sicherheit des Vols<Volks> sind, können keine verbindliche Gültigkeit erlangen.
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(Drittes Buch.) 1000 Die Gesetze des Kriegs Ohne Zweifel werden nach allen möglichen (Keine voll kommene Entschei dung vieler zweifelhaf ten Fragen.) Entscheidungen immer noch Streitigkeiten übrig bleiben. Und was sind es denn vor scheinbare Rech te, die man vor die Gültigkeit unbillig erzwungener Contracte anführt? Was vor Arten von Bedin gungen kan man denn unmenschlich grausam nen nen? Wo kein allgemeiner Richter ist, da mus man, ohne Absicht auf das Jnteresse beyder Partheyen, sei ne Zuflucht zu der Menschen selbsteigener Em pfindung der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, und zu klugen und neutralen Schiedsrichtern nehmen. (Eintheilun gen der Tra ctaten.) XI. Es giebt viele Eintheilungen von Tra ctaten; einige sind persönlich, und werden nur aus Liebe gegen die Person eines Prinzen auf sei ne Lebenszeit aufgerichtet. Andere werden wirklich Tractaten genent, welche mit einem Prin zen oder Regenten, der im Nahmen des ganzen politischen Staatskörpers handelt, auf ewig ge schlossen werden. Die Verbindlichkeit zu diesen daurt, wenn keine Einschränkung auf gewisse Jahre dabey ist, beständig. Einige sind gleichförmig, welche auf beyden Seiten gleiche Verbindlichkeit haben, oder solche, die dem Vermögen eines Staats ge mäs sind; und andere sind ungleich. Von den ungleichen Tractaten verringern einige, ob sie gleich der einen Parthey mehr zur Last gereichen, als der andern, ihre beyderseitige Unabhängigkeit nicht, z. E. solche, die eine Seite verbinden, die Unkosten des Kriegs zu ersetzen, Schiffe oder
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und Friedens. 1001(Zehnter Abschnitt.) Gränzstädte auszuliefren, oder gewisse Arten der Handlung fahren zu lassen, oder jährlich gewisse Summen zu bezahlen. Der Staat kan, dieser be schwerlichen Bedingungen ungeachtet, bey sich, oder bey andern Nationen seine höchste Gewalt immer noch behaupten. Andere ungleiche Tractaten hinge gen vermindern die uneingeschränkte Gewalt, z. E. wenn ein Staat verwilligt, daß man sich in gewissen Processen an die Gerichtshöfe des andern Staats wenden müsse, oder daß er ohne Einwilli gung des andern keinen Krieg anfangen dürfe. Aus den Bedingungen dieser Tractaten kan man al lererst die Verbindlichkeiten beyder Theile erkennen und beurtheilen. Jn vorigen Zeiten wurden oft zur Bekräfti(Bürgen, warum sie abgeschaft.) gung der Tractaten gewisse Bürgen gegen einander gegeben. Weil sie aber keine Sicherheit verschaffen können, wofern nicht eine Nation eine grosse Grau samkeit ausüben wollte, indem sie die unschuldigen Bürgen, wegen der Treulosigkeit eines Landes, wo zu sie nichts beygetragen haben, bestrafte; so hat man den Gebrauch der Bürgen auf beyden Sei ten abgeschaft. XII. Alle Arten der Tractaten und Bünd(Die Rech te der Ge sandten.) nisse werden durch Gesandte und Gevollmächtigte, welche die Unterhandlungen im Nahmen ihres Staats führen, geschlossen. Die Rechte aller dieser Personen sind nach dem Rechte der Natur einerley, wennn sie zu einem Staate im Nahmen
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(Drittes Buch.) 1002 Die Gesetze des Kriegs eines andern grossen oder kleinen Staats, der von jenem nicht abhängig ist, abgeschickt werden (Jhre Per sonen sind unverletz lich.) Dieses Recht steht erstlich denen zu, die in öffentlichen Angelegenheiten, zu Kriegs- und Friedenszeiten geschickt werden, und zwar derge stalt, daß sich niemand an ihren Personen vergrei fen darf. Man mus ihnen entweder erlauben, daß sie in Ruhe dableiben können, und alle Sicher heit verschaffen, oder, wenn man ihnen dieses nicht zugestehen will, sie ungekränkt zurückkehren lassen. Der mächtigste Feind ist auch bey der gerechtesten Sache in Ermanglung eines unendlichen Rechts verbunden, die Vorschläge der andern Parthey an zuhören, und es giebt gewisse Vorschläge, die er, im Fall sie gemacht werden, annehmen, und alle Feindseligkeiten einstellen mus. Man würde aber keine Vorschläge thun können, wenn man den Per sonen, die sie besorgen, keinen sichern Schutz und Bedeckung verstatten wollte. (Es ist keine natürliche Verbindlich keit die Ge sandten an zunehmen.) Ein Staat ist nach dem Rechte der Natur nicht verbunden, den Gevollmächtigten oder Abge sandten anderer einen längern Aufenthalt in seinen Landen zu verstatten. Solche Personen führen allezeit, wenn sie in ihren Angelegenheiten aufmerk sam sind, das Amt der Kundschafter, und man kan ihnen dahero, ohne feindliche Absichten, den Auf enthalt im Lande verbieten. Weil aber gleichwohl der Vortheil, wenn man es gemeinschaftlich gestat tet, auf beyden Seiten gleich gros ist, und auf die
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und Friedens. 1003(Zehnter Abschnitt.) se Weise viele Zwistigkeiten, die sonst in offenbare Kriege ausgebrochen wären, beygelegt werden kön nen; so ist es bey gesitteten Nationen eingeführt, Gesandten auf beyden Seiten zuzulassen, und ih nen, so lange als sie keine Feindseligkeiten ausüben, oder wider die Staaten, bey welchen sie sich aufhal ten, Zusammenverschwörungen anstiften, vollkom mene Sicherheit zu verschaffen. Die Gesandten können nach dem Rechte der(Was vor Freyheiten ein Gesand ter nach dem Rechte der Natur hat.) Natur keinen andern Schutz, als welchen gesittete Staaten ihren Unterthanen oder andern Fremden verstatten, die um des Vergnügens oder der Handlung willen in ihren Landen sind, verlangen. Wenn sie jemand um Schulden oder Verbrechen willen verklagen will: so müssen sie eben so, wie bey ei nem Privatfremden, in den Gerichtshöfen des Staats, wo sie sich aufhalten, verklagt werden. Und wenn sie natürliche Unterthanen des Staats, wohin sie geschickt sind, bleiben, so werden sie im mer noch als rechtmässige Unterthanen angesehn, ob sie gleich zum Dienste vor andere gebraucht werden. Jhr Amt, welches so wichtig und ansehnlich ist, würde sie ohne Zweifel zu einer grössern Würde und zu mehrern äusserlichen Kennzeichen der Ehre, als sie in ihrem Privatstande hätten verlangen können, berechtigen; allein sie haben ausser einem ausdrück lichen oder stillschweigenden Vergleiche kein voll kommenes Recht mehr. Sie haben aber nach der allgemeinen Ein(Ferner nach der Gewohn heit der Völ ker.) willigung der gesitteten Nationen sehr viele andre
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(Drittes Buch.) 1004 Die Gesetze des Kriegs Freyheiten vor ihre Familie und Gefolge erhalten, deren Bestimmung einen grossen Theil des soge nannten öffentlichen* Völkerrechts ausmacht, wel ches sich auf stillschweigende Vergleiche, die durch eine allgemeine Gewohnheit der Nationen bestätigt sind, gründet. Es kan sich aber, dessen ungeachtet, eine Nation von der Verbindlichkeit in Ansehung der meisten dieser Gesetze losmachen, wenn sie ihrem Nachbar bey Zeiten kund thut, daß sie weder vor ihre eigenen Gesandten dergleichen Freyheiten ver langte, noch auch andern Nationen dieselben zu gestehen wollte. Einige von diesen Freyheiten gründen sich wirklich auf die Menschlichkeit, an dere hingegen beruhen blos auf wunderlichen Ge wohnheiten und eitlen Gesinnungen der Prinzen. (Gesandten sind den Ge richtshöfen eines Staats nicht unter worfen.) XIII. Eine von diesen Gewohnheiten, die mei stentheils an allen Orten eingeführt ist, gründet sich auf vernünftige Sätze, nämlich daß „die Ge sandten, die für andere von dem Staate unabhängi ge Nationen handeln, den Gerichtshöfen des Staats, zu den sie geschickt sind, weder in bürger lichen noch peinlichen Sachen während ihres Auf fenthalts daselbst unterworfen sind.“** Es ist ih nen nichts mehr, als blos eine nothwendige Ver theydigung wider die Gewaltthätigkeit oder Zusam menverschwörung der ihrigen erlaubet. Alles 114 115
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und Friedens. 1005(Zehnter Abschnitt.) Recht zu richten oder zu strafen, wird dem Prin zen, dessen Unterthanen sie vorhero gewesen sind, überlassen. Es ist billig, daß man die Freyheiten der Gesandten auch auf die Personen ihrer Familie und ihr Gefolge z. E. Frau, Kinder, Secretair und Bedienten ausdehnet, weil er sonst in Ermange lung derselben, oder durch ihre Verletzung und Beleidigung beunruhigt und in seinen Geschäften gehindert würde. Wenn aber ihre Aufführung an stössig ist, so kan man ihnen andeuten sich wegzu begeben, und von dem Staate, der sie geschickt hat, Gerechtigkeit fordern; da man hernach bey Ver sagung derselben eine gerechte Ursache zum Kriege hat. Die Ursache der Freyheiten ist diese: die be hutsamsten Gesandten handeln gemeiniglich wider das Jnteresse der Höfe, wo sie sich aufhal ten, und sind dem Lande selbst nicht günstig; da hero würde man auch hinwiederum ihre Sachen in bürgerlichen oder peinlichen Processen wider sie auch bey einen gerechten Ausspruche, doch auf der schlimsten Seite betrachten. Gleichergestalt sieht man keine Ursache, wa rum ein Gesandter, der an dem Orte, wo er sich aufhält, Handlung treibt, oder durch Kaufcon tracte in Schulden kömt, nicht ebenfalls von dem nämlichen Staate könte gezwungen oder dazu an gehalten werden, den Unterthanen Genugthuung zu verschaffen. Wofern er aber in die Gerichts höfe einen Verdacht der Partheylichkeit setzet, so mus er sich willkürlicher Contracte enthalten.
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(Drittes Buch.) 1006 Die Gesetze des Kriegs Eben so wenig Grund haben die Freyheiten de rer, die in seinem Gefolge sind, in solchen Fällen. Es wäre billig, daß ein jeder Gesandter ein Ver zeichnis aller seiner Bedienten, oder derer, die zu seiner Familie gehören, verfertigte, damit der Staat, wo er ist, urtheilen könte, in wie fern ein so zahlreiches Gefolge zu schützen sey. (Sein Haus ist nach den Rechten der Natur kein Heiligthum.) Auf gleiche Weise sieht man keine natürlichen Ursachen, warum man sein Haus auch andern, als nur seinen nöthigen Bedienten, zu einem Heilig thume machen solle; vielweniger daß es die Unter thanen des Staats, wo er sich aufhält, vor der Vollziehung der Gerechtigkeit beschirmen, und also die Macht des Staats über seine eigene Un terthanen einschränken dürfe. Man hat aber bis weilen dergleichen Ansprüche aus diesen irrigen Begriffe gemacht, daß der Gesandte die Person des Prinzen, der ihn schicket, vorstelle, oder eben so angesehn werden müsse; oder einen freyen und un abhängigen Staat vorstellen, und eine gleiche Un abhängigkeit, und Freyheit von aller Macht des Staats, wohin er geschickt ist, vor alle die ihn begleiten, haben müsse. (Der Vorzug der Gesand ten.) XIV. Hieraus entstehen auch die Ansprüche des Ranges und Vorzugs der Gesandten von ver schiedenen Nationen. Es sind dieses aber über haupt entbehrliche Dinge, die von der Gewohnheit oder einem Vergleiche abhängen. Es würde eben so natürlich seyn, daß die Gesandten den Rang
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und Friedens. 1007(Zehnter Abschnitt.) nach ihren verschiedenen persönlichen Würden und Ehrenstellen erhielten, wenn man die unterschiedenen persönlichen Ehrenstellen der Standspersonen bey verschiedenen Nationen mit einander vergleichen könte. Und dieses ist gewis eben so leicht zu machen als die Hoheit und den Vorzug verschiedener Prinzen gegen einander zu bestimmen. Die Na men thun bey dieser Sache gar nichts. Ein Her zog in Rußland oder Venedig, und ein Herzog in Brittannien, ein Marqvis<Marquis> in Brittannien und ei ner in Frankreich haben ein sehr verschiedenes An sehn. Die Könige der alten Britten hatten einst mals ein grösseres Ansehn, als die Käiser zu Con stantinopel oder einige abendländische Käiser in Rom. Alle Rechte des Vorzugs unter unabhän gigen Prinzen und Staaten, müssen durch einen Ver gleich oder Gewohnheit bestimmt werden. Sollten wir der Natur folgen, so müsten die Gesandten den höchsten Rang haben, welche die weisesten und am be sten eingerichteten Staaten, so die gröste Hochachtung verdienen, vorstellten. Eine höhere Macht und ein fürchterliches Schrecken sind die Ursache, daß die Nationen dergleichen Ceremonien den Mächtigsten abtreten müssen. Die erblichen Monarchien und Oligarchien haben das wenigste Recht zu einem vorzüglichen Range.
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(Drittes Buch.) 1008 Die Dauer der polit. Vereinigung

Der eilfte Abschnitt. Die Dauer der politischen Vereinigung und der Beschlus.

I.Man kan die Dauer einer politischen Ver einigung und die Verbindlichkeit eines Bürgers gegen sein Land in folgenden Anmerkun gen feste setzen: (Wenn Un terthanen von den Ver bindungen frey sind.) 1.) Weil diese Vereinigung zum allgemei nen Besten bestimmt ist, so ist es ein grausames Ver fahren eines Staats, wenn er eine kleine Anzahl von Bürgern, die sich anderswo zu verbessern Hof nung haben, aufhält, da doch der Staat durch ih ren Abzug keinen merklichen Verlust hat. Eben so mus es auch eine sehr böse Policeyverfassung seyn, oder doch übel verwaltet werden, wenn man eine grosse Menge von Bürgern nöthigt, den Staat so vielen natürlichen Verbindungen zuwider zu ver lassen. Jn beyden Fällen haben die Bürger, wenn sie durch keine Vorstellungen die Beschwerden ab wenden können, ein Recht, den Staat zu verlassen, da die natürlichen Bedingungen, unter denen sie sich in diese Vereinigung begeben haben, aufge hoben sind. Jm Gegentheil ist es auch sehr gott los und sträflich, wenn man eine gute Vereinigung, die weislich verwaltet wird, so bald der Staat in fremde Hände fällt, verlassen will; und der Staat hat das Recht, die Unterthanen in diesem Falle, da sie verbunden sind, es so viel möglich zu beschützen, davon mit Gewalt abzuhalten.
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und der Beschlus. 1009(Eilfter Abschnitt.) Leute die gewisser Verbrechen wegen auf ewig verbannet sind, gehören nicht mehr zu den Unter thanen, wenn aber die Verbannung in eine entfern te Provinz, die dem Staate unterwürfig ist, ge schieht; so wird hierdurch das Recht des Staats über solche verdorbene Mitglieder nicht aufgehoben. II. Ein Staat, der seine Mitglieder beschü(Gewisse Verände rungen der Policey, setzen die Misver gnügten in Freyheit.) tzen kan, ist aufs heiligste verbunden, es zu thun. Er kan zwar in der äussersten Noth, und wenn er auf andere Weise nicht sicher genug ist, sich selbst durch einen Contract verbinden, keinen weiter, als einen Unterthanen, oder ein gewisses Land, das von einem sieghaften Feinde bedrohet wird, zu schützen. Diese Unterhandlung aber kan die Unterthanen, oder das ganze Land bey einen andern Hülfe zu suchen, nicht abhalten; ihre Verbindung ist gänzlich auf gehoben. Vielleicht kan ein Held zur Errettung eines solchen Landes sich selbst aufopfern. Wenn die mehresten Stimmen in einem(Jn wie fern ein Staat seine Unter thanen schü tzen mus.) Staate darein willigen, die Policey in einigen we sentlichen Puncten, worauf die Sicherheit und Glückseligkeit der Unterthanen beruhet, ohne Zwang oder Aberglauben zu verändern; so haben die Mis vergnügten ein Recht, sich mit ihren Sachen in ein ander Land zu begeben, oder sich gutwillig mit den übrigen zu vereinigen, und man kan sie unter keinem Vorwande eines alten Contracts zurückhalten, da
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(Drittes Buch.) 1010 Die Dauer der polit. Vereinigung man die wesentlichen Puncte ohne ihre Einwilli gung geändert hat. Ein Mensch handelt zwar un gerecht, der mit einer weisen und nützlichen Verän derung der Policey nicht zufrieden ist; man würde ihn aber dem ungeachtet nicht mit Gewalt zwin gen können ohne grosse Noth ein Bürger zu bleiben. Es behalten aber alle wirkliche Tractaten mit andern Nationen nach der Veränderung der Poli cey ihre Gültigkeit eben so wohl als öffentliche Schulden und Ansprüche derselben gegen einander. (Nach der Eroberung sind die Un terthanen frey.) III. Wenn ein Staat von einem andern mit Gewalt erobert ist, so haben die mehresten von den überwundenen kein Recht diejenigen alten Bür ger, die sich hinweg begeben wollen, davon abzu halten. Es kan ein jeder von den Ueberwundenen seine Freyheit behaupten, oder sich mit einem andern Staate verbinden. Der vorige Bund ist nun mehro in Ermanglnng<Ermangelung> einer wesentlichen Bedin gung gänzlich aufgehoben. Jedoch ist es auf alle Weise unrecht, einen Staat zu verlassen, so lange noch Hofnung zu seiner Vertheydigung übrig ist. Wenn ein Volk, das gänzlich überwunden ist, sich auf einmal wieder unvermuthet in Freyheit setzen sollte, so sind alle Bürger, die sich in keine neuen politischen Verbindungen eingelassen haben, verbunden, ihre vorige Vereinigung, im Fall die Bedingungen derselben billig sind, wieder zu er neuern. Wofern aber dieses nicht ist, oder sie haben
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und der Beschlus. 1011(Eilfter Abschnitt) sich durch unverbrüchliche Contracte in neue Po liceyen eingelassen; so sind alle diese neuen Verbindungen gültig, bey welchen sie nach der damahligen Wahrscheinlichkeit, da die vorige Verei nigung aufgehoben wurde, gehandelt haben. Wenn ein Volk, so bereits vor einigen Jahr(Eine Pro vinz, die sich in Freyheit setzt, erlangt nicht alle Rechte wieder.) hundcrten<Jahrhunderten> überwunden, und zu einer Provinz ge macht ist, hernach Gelegenheit finden sollte, sich wieder frey zu machen; so würde es lächerlich* seyn, wenn es eine Anforderung auf diejenigen Länder, die mit andern Staaten schon lange vor hero verbunden gewesen sind, oder vor sich uneinge schränkt bestehen, unter dem Vorwande machen wollte, daß dergleichen Länder mit ihren Vorfahren in Vereinigung gestanden hätten, oder ihnen bey ihrer ehemaligen Freyheit unterwürfig gewesen wä ren. Die Eroberungen haben alle diese Verbin dungen aufgehoben, und es haben nachhero derglei chen Länder die Freyheit gehabt vor ihre eigene Si cherheit zu sorgen. Solche Ansprüche sind noch lächerlicher, vermöge welcher nach einigen Jahr hunderten, und bey so vielfältigen Veränderungen ein Volk nicht mehr Recht haben kan, sich nebst ih ren Vorfahren in diesem Lande noch eben dasselbe 116
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(Drittes Buch.) 1012 Die Dauer der polit. Vereinigung zu nennen als dieses, daß es auf eben den Grund und Boden, wo sein ehemaliger Staat gestanden hat, wohnet. Hingegen dieses wird von jederman eingeräumt, daß ein Volk noch eben dasselbe zu nennen sey, wenn es ferne von seinem vorigen Lande in einen neuen Erdstrich versetzet wird; oder auch wohl ohne Land auf Schiffen sich befindet oder durch Wüsten marschiret. Die neuen Besitzer eben dieser Länder sind ein von den vorigen ganz verschiedener Staat. Wofern ein Staat einmal ohne alle Hofnung sich wieder in Freyheit zu setzen, überwunden ist, so werden alle alte Vergleiche des Volks in Ansehung der politischen Vereinigung bey Dingen, die nun mehro auf der einen Seite zu halten unmöglich sind, ganz ungültig und haben keine Verbindlichkeit mehr. Eben dieses ist der Fall bey Contracten, wo gewisse Länder unter der Bedingung des Schu tzes von einem Staate, der sich nunmehro selbst nicht schützen kan, zu Provinzen gemacht worden sind. IV. So lange als die politische Vereinigung daurt, so kan man die Pflichten der Bürger, die entweder von dem allgemeinen Verhältnisse dersel ben gegen ihr Land und Nebenbürger oder von be sondern Ständen und Aemtern entstehen, aus der Betrachtung des wahren Endzwecks der Vereini gung, den Rechten ihrer Beherrscher und den Ge setzen ihres Landes erkennen und einsehen. Es ist
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und der Beschlus. 1013(Eilfter Abschnitt.) überflüssig, allgemeine Grundsätze die bekant genug sind, und nur in der Anwendung einige Schwierigkeit haben, zu häufen. Ein redlicher Mann wird sich allezeit das Jnteresse einer unschuldigen Ver bindung, und das öffentliche Jnteresse, in welches er durch die göttliche Vorsehung gesetzt ist, angele gen seyn, und zu Herzen gehen lassen, und seine Ge danken auf die Verfassung seines Glücks als auf eine Stimme Gottes, dadurch er zu seinen Mitbrüdern, die er vor andern herzlich liebet, geführet worden, vornehmlich richten. Er wird allezeit eingedenk seyn,* daß er und seine Mitbrüder der bürgerli chen Policey, den Gesetzen und dem ganzen Staate un zehlige Vortheile, als z. E. ihre gesittete Auferzie hung, Sicherheit, beständigen Schutz vor Jnjurien, und alles Vergnügen des Lebens meistentheils zu danken habe. Die Unterthanen sollten sich billig die Erhaltung und Verbesserung der Landsverfassung und das allgemeine Jnteresse des ganzen Staats, von welchen sie die göttliche Vorsehung zu einem Theile bestimmt sind, ihnen die Wohl fahrt des Landes durch edle Grundsätze empfohlen hat, eifrigst angelegen seyn lassen. Kein welt liches Jnteresse noch das Leben selbst mus uns zu theuer seyn, es vor die Erhaltung des Staats, auf welchen die Sicherheit und Glückseligkeit so vieler tausend beruhet, aufzuopfern. 117
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(Drittes Buch.) 1014 Die Dauer der polit. Vereinigung

Der Beschlus.

(Die vor trefliche Ein richtung un sers Wesens.) IV. Nach Anleitung dieser allgemeinen Grundsätze des öffentlichen Völkerrechts, und an derer Gesetze, die einzelne Personen betreffen, kön nen wir nunmehro die wunderbahren Wege der göttlichen Weisheit, bey der Verbindung des mensch lichen Geschlechts am besten einsehen. Eben diese Grundsätze unsrer Natur, und die Neigungen und das Gefühl unsers Herzens bey Wahrnehmung der ordentlichen Einrichtung in der Welt sind es, die uns die innerlichen moralischen Gesinnungen an preisen, und durch eben den angenehmen Gebrauch der Vernunft werden wir angetrieben, daß wir uns und andern das edelste innerliche Vergnü gen, und zugleich die äusserlichen grossen Vor theile und Ergötzlichkeiten, so weit es die unbestän dige Beschaffenheit der irrdischen Dinge verstattet, zu verschaffen suchen. (Die Unbe ständigkeit aller irrdi schen Dinge.) Damit wir uns aber mit keiner falschen Hofnung schmeicheln, unsere äusserliche Glückse ligkeit, die von einzelnen Personen oder Staaten kan erlangt werden, nicht dauerhafter und bestän diger, als es die Natur verstattet, ansehen, und unsere Gemüther dadurch von dem einzigen festen Grunde der Ruhe, Zufriedenheit und Freude, die wir in der beständigen Versicherung der göttlicheu<göttlichen> Vorsorge, in dem Vertrauen auf denselben, und in der Ueberzeugung unseres tugendhaften Wandels geniessen, nicht abziehen mögen; so müssen wir vor allen Dingen, auf die vergängliche, veränder
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und der Beschlus. 1015(Eilfter Abschnitt.) liche und eitle Beschaffenheit einer jeden äusser lichen Sache unsre Aufmerksamkeit richten. Die Staaten hegen in sich selbst den Saa(Alle Staa ten sind der Grund ihres Untergangs.) men des Todes und Verderbens. Er liegt theils in der Verwegenheit, Thorheit und Aberglauben der ersten Beherrscher; theils in dem Stolze, Ehrgeitze und andern Leidenschaften der Regenten und Unterthanen, die sich mit einander aufreiben; ferner in der Schwäche und Unbeständigkeit der menschlichen Tugenden, und in der Neigung zur Verschwendung und zu dem gegenwärtigen Vergnü gen ohne Absicht auf das Zukünftige verborgen. Alle diese Arten des bösen Saamens, nebst der äusser lichen Gewalt und streitigen Jnteresse der Natio nen haben allezeit den Tod und den Untergang ei nes jeden politischenKörpesKörpers verursachet, und wer den es fernerhin auch verursachen, so lange, bis die innerliche Schwäche des Körpers, und die äusserli chen Ursachen ein schreckliches Ende damit machen werden. Gute und redliche Leute bemühen sich unterdessen auf alle Weise, diese fürchterlichen Veränderungen, so lange als sie können, von ihren Freunden oder Vaterlande abzuwenden. Diese liebreichen Dienste sind ihnen die edelsten Beschäf tigungen, die sie in ihrem Leben haben können. Derjenige aber müste wenig an die Ordnung der Natur denken, der nicht einsehen wollte, daß end lich alle unsere Bemühungen, die entweder zur Erhaltung einzelner Personen, oder des ganzen
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(Drittes Buch.) 1016 Die Dauer der polit. Vereinigung politischen Körpers abzieleu<abzielen>, vergeblich und um sonst sind. (Jhre Dauer ist kurz und unmerklich.) Nineve, Babylon, Ctesiphon, Persepolis, das egyptische Theben, Carthago, die ehemals die Hauptstädte ungeheurer Reiche waren, sind jtzt nichts als dunkle und veralterte Nahmen: Athen, Sparta, Crete, Syracus, der Sitz der schönen Künste und Wissenschaften, sind jtzt meistentheils die Wohnungen der Barbarn. Hier ist keine be ständige Dauer der Städte zu hoffen. Man vergleiche den langen Zeitpunct ihrer Währung mit der undenklichen Dauer, die vorher, ehe man sie gebaut hat, vergangen ist, oder man bemühe sich die andere unendlich lange Zeit, in welcher sie vergangen, und vergessen sind, zu erreichen, so wird man finden, daß die mächtigsten und dauer haftesten Reiche vergänglich sind, und nur auf ei nen Tag bestimmt zu seyn scheinen. (Aeusserli che Vergnü gungen sind keine bestän dige Glück seligkeit.) Man betrachte nur die äusserlichen Dinge mit einiger Aufmerksamkeit. Wir sind Geister, die einen irrdischen und verweslichen Körper um sich tragen; gestern waren wir noch ungebohren, und in wenig Tagen werden wir Erde und Staub seyn. Unser sinnliches Vergnügen ist schlecht, vergänglich, und oft gar schändlich. Unser Pracht und Reichthum ist ein Betrug, den wir uns selbst und andern spielen, eine Prahlerey ei ner Glückseligkeit und Sicherheit, da wir doch nichts anders als das geringere Vergnügen ge
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und der Beschlus. 1017(Eilfter Abschnitt.) niessen können, und eben den grösten Beschwerlich keiten des Lebens, als Krankheiten, und Verlust unserer liebsten Freunde, und allem Schmerze und Schwachheit sowohl des Leibes als Gemüths aus gesetzt sind, und in jenem ungewissen Zeitpuncte, da wir alle unsere irrdischen Güter aufgeben müssen, in die Stille, wo wir vor unserm Daseyn waren, wiederum zurück kehren, und nicht mehr sind. Wenn man auch wenige Jahre sich unsrer erinnert, so geschieht es nur in einem kleinen Winkel der Welt; und in Ansehung der Uebrigen, find wir nichts; und in wenig Jahren darauf, sind wir, und alle, die uns gekannt haben, bestän dig vergessen. Gesetzt auch, man dächte allezeit an uns; was hilft es uns, da wir es nicht wissen? Nimrod, Ninus, Cyrus, Alexander, Cäsar,(Hoheit und Ruhm sind eitel.) Carl der grosse, Gengiscan, was fühlen diese vor Schmerzen, wenn man sie jtzt als verhasste Unge heuer, als Geisseln und Plagen des menschlichen Geschlechts ansieht? Was vor Vergnügen ge niessen sie denn, wenn sie von andern grosse Hel den und Halbgötter genennet werden? Durch diese gewöhnlichen Betrachtungen, müssen wir die allzuheftigen Begierden zum irrdischen Jnteres se, die alle Stolzen zur Grausamkeit antreiben, und den ungerechten Streit, dadurch endlich die be sten Policeyen zerrüttet werden, erregen, gänzlich zu unterdrücken suchen.
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(Drittes Buch.) 1018 Die Dauer der polit. Vereinigung Diese Betrachtungen müssen bey einem (Die Hof nung eines zukünftigen Zustandes.) aufmerksamen Gemüthe noch eine viel bessere Wirkung haben. Ein allmächtiger und gütiger Gott regieret die Welt. Wir bemerken bey dem ganzen Baue unsres Wesens, daß er an uns die Tugend billigt, und auf seiner Seite ver langt. Er hat um deswillen unser Geschlecht so erschaffen, daß es im Stande ist, diese öf tern Betrachtungen, welche uns die Thorheit und Eitelkeit der irrdischen Glückseligkeit leh ren, bis ins Unendliche forzusetzen. Er hat in uns die natürlichen Triebe und das heftige Bestreben nach einer weit edlern und dauer haftern Glückseligkeit gepflanzet, und uns diese Neigungen und die daher rührenden Handlun gen, als unsere gröste Hoheit und Vollkommenheit, die man in dieser Welt doch nicht völlig erlangen kan, angepriesen. Unser Wachsthum in dieser so angepriesenen Vollkommenheit, zeigt uns jenen immerwährenden Zustand nach dem Tode als ein Stücke der göttlichen Regie rung, wodurch unsre Herzen dazu vorbereitet, und die dauerhafte Freude aller vernünftigen Geschöpfe, die ein Verlangen darnach haben, erwecket werden sollten. Seine Vorsorge hat es so geordnet, daß diese Hofnung und dieses Ver langen nicht allein weisen, gelehrten und gesitte ten, sondern überhaupt allen Menschen eigen ist. Sollten wir daher diesen allmächtigen und gütigen Händen, die das Verlangen aller
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und der Beschlus. 1019(Eilfter Abschnitt.) lebendigen Geschöpfe erfüllen, nicht trauen? Nein. Lasset uns ihm vertrauen, und nach sei nem Beyspiele Gutes thun; und, weil wir se hen, daß alle Staaten und Städte auf Erden unbeständig und hinfällig sind, so lasset uns aufsehen auf den, der einen festen und ewigen Grund im Himmel hat, dessen Schöpfer Gott selbst ist.
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|| [MXXI]
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1 *Plurima fieri non de- bent qune, facta valent.
2 ** Hier sehn die morali schen Schriftsteller haupt sächlich auf die moralische Gewalt, oder das Recht, solche Sachen zu besorgen und zu führen, mehr auf das principium oder die facul- tatem dantem validitatem actui als auf die Klugheit der Handlung.
3 *de non apperentibus et non exiſtentibus idem eſt iu dicium.
4 * Jn dem bürgerlichen Rechte wird die Verbind lichkeit des Erben, Schul den zu bezahlen, nicht ein quaſi contractus genent, son dern durch eine fictionem juris hält man ihn mit dem Verstorbenen für eine Per son. Dieß ist eine juristi sche Spitzfindigkeit. Die natürliche Ursache zur Ver bindlichkeit, ist einerley mit der, die uns verbindet Lega te zu bezahlen, obgleich jene wie sie sagen quaſi ex con- tractu entsteht.
5 *Matth. VII, 12. Die se vortrefliche Regel wird von einigen Schriftstellern falfch<falsch> verstanden, die ohne eine Grnndfähigkeit<Grundfähigkeit> zu mo ralischen Schlüssen oder ei nen geschwinden innerlichen Geschmack in unsern Hand lungen zuzugestehn, diese Vorschrift gerne zu einen Axiom machen möchten, von dem man alle Lebens Regeln ableiten könte. Aber zu dieser Absicht dient sie nicht. Ein Geiziger for dert, wenn er verkauft, un geheuer viel: er ist aber nicht verbunden, so viel zu bezahlen, wenn er kauft. Eine wollüstige Person wünscht, daß andre ihren Versuchungen nachgeben möchten, soll sie deswegen den Bemühungen andrer unterliegen? Eine verklag te Person wünscht, wenn sie gleich schuldig ist, daß man sie lossprechen möchte: ist es deswegen, wenn sie Rich ter wäre, ihre Pflicht, die Schuldigen frey sprechen? Das Axiom erfordert diese zwey Einschränkungen: 1) daß das Verlangen billig, und 2) daß die Umstände gleich seyn müssen. Dieß sezt schon eine vorhergehen de Erkäntnis der Regeln der Gerechtigkeit voraus, und diese können also kei ne Folgen dieses Axioms seyn.
6 *Nihil poſſumus, niſi quod iure poſſumus.
7 *Penſare damnum.
8 **Perſone quod inter eſt.
9 *** Zweyter Absatz die ses Abschnitts.
10 Dan. 6. 7- 11.
11 *Qui prior tempore potior iure, Abschn. I. dieses Buchs.
12 ** Siehe den zweyten Ab satz dieses Abschnitts.
13 *** Siehe den fünften Abschnitt dieses Buchs den ersten Absatz.
14 * S. Grot.de I. B. & P. Lib. III. c. 21. §. 8. N. 11. und Puffend.de I. N. & G. Lib. IV. c. 1.
15 * Jm XVII Abschnitt dieses Buchs.
16 * Dies ist unstreitig die Meinung von Matth. 8, 23. daß wir uns keiner sol che Formel ohne die Ab sicht uns dadurch zu verbinden, bedienen sol len. Daß dieses bey dem Spruche ausgelassen sey, erhelt aus dem Zusammen hange, und der jüdischen Casuisterey Matth. 23, 20.
17 *Pretium affectionis.
18 *Impendere, expendere nummos &c.
19 * Es gibt noch andre Contracte die unter diese Hauptclasse gehören, als das Darlehn einer Summe Geldes oder einer Sache zum Gebrauch ohne Jnteresse.
20 * Der Mandatarius.
21 ** Der Mandator.
22 *** Hierauf wird in der actione directa mandati ge drungen.
23 * Hierauf kan durch die actionem contrariam ge drungen werden.
24 **Mutuum verſatur in rebus fungilibus, quae red- dendae ſunt in genere non in ſpecie durch genus ver stehen sie das, was die neueren Vernunftlehrerſpe- cies nennen, nämlich gleiche Mengen, Lasten, oder Maas se von einerley Gütern. Durch ſpecies verstehn die Civilisten dasselbe einzelne Gut. Inſtit. Lib. III. tit 15. Die Classischen Schriftstel ler bedienen sich dieser Wör ter in eben dem Verstandt.
25 *Depoſitarius.
26 **Cicero entscheidet hier auf eine zu allgemeine und unbestimte Art. De Off. L. I. cap. 10.
27 *** Siehe den VI Ab schnitt dieses Buchs.
28 * Wie z. E. die Lex Com- miſſaria. welche darinne be steht, daß, wenn der Preis nicht an einem gesezten Ta ge bezahlt wird, der Handel ungültig ist. Addictio in diem, da der Verkäufer be rechtigt ist, einen vortheil hafteru<vortheilhafteren> Preis anzunehmen, wenn er ihm vor einem ge sezten Tage geboten wird. Clauſula retractus, oder das Recht des Rückkaufs. Jus protimiſeos, das Recht des Vorkaufs, im Fall der Käu fer geneigt wird, wieder zu verkaufen.
29 *Locare opus faciendum, wo der Locator den Preis bezahlt. Der Locator operae erhält den Preis.
30 *Harrington und einige andre glauben, dies sey die Policey der Hebraeer ge wesen; deswegen waren die Zinsen unter ihnen ver boten, aber von Fremden durfte man sie nehmen. Deut. 23, 19. Psalm 15, 5.
31 *Inſt. l. III. tit. 28.
32 * Die Verbindlichkeit des Erben, Schulden zu be zahlen, ist unstreitig, mit der Verbindlichkeit des Execu tors, Vermächtnisse zu be zahlen, von gleicher Natur; obgleich die Civilisten die letztre eine Verbindlichkeit quaſi ex contractu benennen. Sie erdichteten, daß der Erbe iu<in> Ansehung der Schulden keine andre Per son wäre als die Verstorb ne, und hielten ihn aus diesem Grunde für verbun den.
33 *Actionem contrariam tutelæ., & negotiorum geſtorum.
34 *Dies ist der Fall, wenn man Gelder auf Schiffe leiht, wo die ganze gegebne Sicherheit in dem Schiffe besteht. Hier hält man eine grosse Belohnung für billig, weil die ganze Summe ver loren ist, wenn das Schiff zu Grunde geht.
35 *Condictio indebita.
36 **Condictio cauſa data cauſa non ſecuta.
37 *Faciendo, vel non faciendo ſecus quam debebat.
38 **Lucrum ceſſans, vel damnum emergens.
39 *Exod. cap. 21. Inſtit. L. IV. Dig. 9. tit. I. und andre de actionibus noxali- bus et de pauperie.
40 *Cauſæ., terminus a quo, & terminus ad quem.
41 * Dies ist vermuthlich die Ursache, warum in den zwölf Tafeln ein Unter scheid zwischen dem fure no- cturno und diurno gemacht wird. Es war verboten einen zu tödten, niſi telo ſe defendat. Siehe auch Exod. 23, 3.
42 * Wie bey Assignatio nen, wenn der Schuldner seinem Gläubiger eine glei che Forderung auf einen dritten abtritt, oder eine gleiche Forderung, die er auf seinen Gläubiger, oder einen seiner Freunde hatte, fahren läst.
43 *Cicerode ſenectute c. 15. 16. 17.
44 *de Officiis L. I. c. 33.
45 *Dominium eminens, oder wie andre es noch richtigere benennen, Ius imperii eminens.
46 * Einige Feinde der Schrift sind so albern ge wesen, daß sie aus diesem Grunde triumphirt haben; viele ihrer Freunde aber haben sie eben so unver nünftig vertheidigt, in dem sie ihr etwas anzu dichten gesucht haben, daß doch ihre Bestimmung nicht erfordert.
47 * So hätten sich die Apo stell und die ersten Märty rer nicht auf die Noth be rufen können, wenn sie aus Furcht vor der Ver folgung unterlassen hätten, das Evangelium zu predi gen.
48 *Durch äusserliche Rechte scheint der Verfas ser solche zu verstehn, die nicht in der Natur gerün det, aber durch eine lange Gewohnheit dazu geworden sind; oder durch gewisse Formeln, die nach der ein mal eingeführten Gewohn heit, ein Recht gründen können, ihre Stärke erhal ten. Der Ueb.
49 * Da einige Auslegungs regeln zu Bestimmung des wahren Verstandes oder der Absichten der Contracte und Gesetze nützlich seyn können: so liefern die mei sten Schriftsteller in dieser Wissenschaft einige beson dre Abhandlungen darü ber. Weil es aber keine besondre Auslegungsregeln für Contracte oder Gesetze giebt, die nicht auch bey al len andern Arten von Re den oder Schriften ange wendet werden könten, so scheint es besser zu seyn, wenn man diese gänzlich der Critik überläst, die sich also in gewissen Theilen auch mit Gesetzen oder Con tracten beschäftigen kan. Es läst sich auch wenig davon sagen, daß nicht je dem Verständigen, der die Sprache und Gewohnhei ten des Landes, wohin die Gesetze oder Contracte ge hören, oder nur die gemein sten Grundsätze der Critik kent, nicht von selbst beyfal len würde.
50 * Es ist nicht zu leugnen, daß man den Männern bey einigen gesitteten Völkern die Vielweiberey zugestan den hat; aber dies beweisst nicht, daß sie nicht uner laubt sey. Einige recht schafne Männer haben sich einer solchen Erlaubnis be dient, vielleicht weil sie durch die Gewohnheit und ihre eigne Leidenschaft ge blendet waren und die Sa che nicht recht überlegten. Auf gleiche Weise haben auch tugendhafte Leute bey gesitteten Völkern den Sklavenhandel getrieben, oder sich der Gewohnheit gleich gestellet, und eine Hälfte ihres Volks ohne ihr Verschulden zu Sklaven gemacht. Andre haben gar aus einer übelverstandnen Frömmigkeit oder Liebe zum Vaterlande, welche Trieb federn ungleich edler sind, als diejenigen die uns zur Vielweiberey anlocken, Menschen, oder gar ihre eignen Kinder geopfert. Nie mand solte also solche Ge wohnheiten für recht hal ten wenn auch gleich eine Nation sich daran gewöhnt hätte, oder diejenigen die dadurch leiden, sich nicht darüber beklagten.
51 * Die Erlaubnis sich Beyschläferinnen zu halten, die in dem römischen Gesetze selbst noch nach der Bekeh rung der Kayser zugestan den ward, mus man sich nicht so vorstellen, als wenn es einem verheyratheten Manne erlaubt gewesen wäre, sich neben seiner Frau andre Personen zu halten. Es war sowol vor als nach der Einführung des Christenthums blos eine Erlaubnis, in eine Art von Ehestand zu treten, die nach dem Gesetze der Natur und selbst der Religion voll kommen rechtmässig ist. Da aber genossen weder die Weiber noch die Kinder der Ehren und bürgerlichen Vortheile, die die juſtae naptiae beyden mittheilten. Siehe Heinecciiantiquit. tit. de Nupt. Gleiche Ehen sind nunmehro auch in eini gen christlichen Landen ge bräuchlich.
52 * Dies war nach dem jüdischen Rechte sowohl als auch nach dem römischen erlaubt, wie man Inſtit. tit. de Nupt. und in Vinnii Comment. sehen kan.
53 * Siehe BuchII. Absch. 8. §. 1.
54 * Dies scheint der jü dischen Sage von den Præ.- ceptis Noacbidarum, das stärkste Gewicht zu geben.
55 * Jn wiefern das neue Testament die jüdischen Ge setze beybehält, kan man aus den Gottesgelehrten und Canonisten sehn. Gro- tius, Puffendorf und Bar- beyraque haben sehr wenig, das in dieser Sache wichtig wäre, aus der Acht gelas sen.
56 * Siehe Levit. XX, 10. Deut. XXII, 22. Die alten rö mischen Gesetze bestraften den Ehebruch, und die Befle ckung freyer unverheyrathe ter Bürgerinnen sehr scharf, wenn diese letztern auch oh ne Gewaltthätigkeit vollzo gen war. Wir finden, daß sie bey einigen Fällen die Todesstrafe für billig hielten; und daß die Ver schneidung die gemeine Strafe war. Die alte Art darüber zu klagen, ist nicht gar zu deutlich. Die Lex Julia de adulteriis verstat tete actionem publicam, oder daß jeder der dazu geneigt war, im Namen des Staats klagen durfte: und die Strafe, womit man den Schuldigen belegt, war die Verbannung und Ein ziehung seiner Güter. Con stantin sezte die Todesstrafe auf den Ehebruch. Cod. 1. 9. tit. 9. b. 30. Die nach folgenden Kaiser liessen et was von dieser Strenge nach. Nov. 134. 10. verord net Justin, daß die Ehebre cherin auf lebenslang ins Kloster gesperrt, und der Ehebrecher mit dem Tode bestraft werden solle.
57 * Diejenigen, welche eine bösliche Verlassung für kei ne Ursache zur Ehescheidung halten wollen, weil die un schuldige Partey nicht von der schuldigen getrennt, son dern verlassen würde, hal ten sich mit einem elenden Wortstreite auf.
58 * Die Schriftstellen, worinnen alle Ehescheidun gen ausser in dem Falle des Ehebruchs, durchgän gig verboten werden, fin den sich Matth. I, 32. Marc. X, 5 - 12. Luc. XVI, 18. Aber bey gewissen andern Verboten, die eben so all gemein sind, glaubt man, daß entweder etwas ausge lassen sey, oder daß sie dem ohngeachtet mehrere Ausnahmen leiden. So glaubt man, daß Matth. V, 34. &c und Jac. V, 12. etwas ausgelassen sey, und daß diese Stellen auch von denenjenigen, an die sie ge richtet gewesen, so verstan den worden: „Eure Lehrer sagen euch, daß gewisse Formeln, wornach man schwört verbinden, und daß andre nicht verbinden, das gewisse bindend sind und andre nicht. (Siehe Matth. XXIII, 16 - 22.) Aber ich sage euch, schwört niemals anders (in der Absicht euch zu verbinden) als bey dem Himmel &c “ Dar auf zeigt unser Erlöser, daß alle solche Formeln, und selbst diejenigen, wel chen ihre Lehrer die Kraft zu verbinden nicht zuge stunden, nichts anders sind, als gleichbedeutende Schwüre bey Gott. Siehe Grotde I. B. & P. l. 2. c. 13. Auf gleiche Weise können wir auch annehmen, daß bey dem Verbote der Ehe scheidung etwas ausgelas sen sey, ohne die Regel zu beleidigen: Exceptio con- firmat regulam in non ex- ceptis. Die jüdischen Lehrer erkanten viele nichts bedeu tende Ursachen für hinläng lich zur Ehescheidung. Ei nige von diesen musten alle mal in dem über die Ehe scheidung ausgestellten Do kumente angeführt werden, weil dieses den Weibern zu einer Art von Beglaubi gungsbriefe diente, um zu beweisen, daß man sie nicht aus den schändlichsten Ur sachen von ihren Männern geschieden hätte. Unter den Fällen die sie für hinläng lich hielten, eine Eheschei dung rechtmässig zu machen, befand sich unstreitig auch der Ehebruch. Nun kan man den ganzen Spruch so verstehen: „Ein jeder der sein Weib aus irgend ei ner von euren Lehrern er laubten Ursache (den Grund des Ehebruchs ausgenom men) von sich stöst, begeht einen Ehebruch.“ Dies macht deswegen andre hin längliche Ursachen nicht un gültig, wie aus Corinth. VII, 15. erhellet, wo erklärt wird, daß die Christen nach einer halsstarrigen Verlas sung des ungetreuen Theils von dem Bande des Ehestan des befreyet sind. Die Juden aber wolten dies nicht zu einer Ursache machen, sie begegneten ihren Weibern als Sklaven, und blos die Männer durften auf die Ehescheidung dringen. Nach einer boshaften Ver lassung wolten sie ihre Wei ber so wie ihr Vieh wieder in Besitz nehmen, und ih rer Zuneigung wegen wa ren sie eben so gleichgültig als wegen der Herzen ih rer Sklaven. Nach dem figürlichen Style der Schrift könte man auch den Verstand des Worts Ehebruch bis auf andre Fehler ausdehnen; wenn nämlich das Herz des einen Theils von dem andern durch einen verstockten Has oder eine hartnäckige Bos heit entfernt bleibt. Ein solcher Zustand der einen Parthey vernichtet eine wichtige Absicht die Gott bey der ersten Einsetzung des Ehestandes gehabt hat und eine Bedingung die vor her ausdrücklich zwischen beyden Theilen ausgemacht ist, welche darinn besteht, daß sie auf ihr ganzes Le ben gemeinschaftliche Ge hülffen bey allen ihren Verrichtungen seyn wollen. Geneſ. II, 18 und 24. Viele andre Verbrechen und eine anhaltende grausame Be gegnung sind eben so wich tige Uebertretungen der we sentlichen Artikel dieses Contracts, als der Ehe bruch.
59 * Siehe Mark. Antonin: an vielen Stellen.
60 * Die φυλακες oder Aufseher.
61 **Pro conjugibus & liberis, pro avis & focis,
62 * Siehe Xenop. CyropedMoresUtop. Telemach. und HarringtonsOcean.
63 * Siehe Aristot. Polit. 1.. 2.
64 * Die Lehre des Hobbs in diesem Punkte mus den Unwillen aller dererjenigen erwecken, die nur der ge meinen Empfindungen der Menschlichkeit fähig sind; obgleich seine Schlüsse zum Theil auch von andern an genommen werden. Hobbs schätzt die Kinder so wie ein andres Gut oder eine Waare, das zuerst von der Mutter in Besitz genommen wird, und sich vollkommeu<vollkommen> in ihrer Gewalt befindet, weil sie es von sich hätte abtreiben, oder bey der Ge burt erdrücken können. Jn der Ehe aber ist sie mit allen ihren Rechten dem Manne, als dem Stärkern, oder vermöge ihrer Einwilligung unterworffen. Die unum schränkte väterliche Gewalt erstreckt sich also auf das ganze Leben, so daß der Va ter seine ganze Nachkom menschaft tödten, verkaufen, oder auf ewig in die Scla verey bringen kan.
65 * Dies ist der natürliche Grund der actiones noxales ex de pauperie in dem bür gerlichen Rechte ff. 9. tit. 1. Si quadrupes pauperiem, etc.
66 * Siehe den Abschnitt dieses Buch.
67 * Siehe oben BuchII. Abhandl. 13. art. 3.
68 * So nennen Aristoti les und Plato den Menschen oft ζωόν πολιτικόν, Pla to aber er gestehet sey συνδυαϛικὸν μᾶλλον ἣ πολιτικόνNicom. l. VIII. c. 12.
69 * Hiervon findet man zu viel im Puffendorf sowohl als im Hobbs.
70 * Diese ist mehr in Ver bindlichkeit quaſi ex contra- ctu als eine stillschweigende, ob man gleich beyde wider sie anwenden könte.
71 *Iura mageſtatis majora.
72 **Iura mageſtatis minora.
73 ***Iura imperii imma- nentia, vel tranſeuntia.
74 * So wie Herr Locke diese drey Benennungen, die Gewalt Gesetze zu geben, sie zu vollstrecken, und Un terhandlungen zu pflegen, erklärt, kan man alle Rechte deren Aristoteles, Grotius und Puffendorf nur gedacht haben, darunter verstehen. Diese Eintheilungen sind von keiner Wichtigkeit.
75 * Einige nennen dieses Recht dominium eminens, andre aber noch besser jus mperii eminens, weil es noch andre Sachen als das Eigenthum unter sich be greift.
76 * Dieser Ausdrücke be dienten sich die alten Rö mer. Creatio bedeutete die Wahl, die vom Volke, Co- optatio hingegen diejenige, die von den Mitgliedern oder der Versammlung, wozu der Gewählte kom men sollte, geschah.
77 **Aristoteles und Plato nennen dies eine Timokra tie, oder Oligarchie.
78 * Des Servius Tullius Comitia centuriata.
79 * Eben so erlaubt das Civilrecht actionem damni infecti ehe uns noch ein wirklicher Schade zugefügt worden ist.
80 * So ist es beständig in der Monarchie, die so unsin nig die geistliche genannt wird, nämlich dem Pabst thume gegangen.
81 * Die meisten von die sen Anmerkungen über die Aristokratie findet man durch die ganze erste Dekas des Livius bestätigt, die Machiavel mit Rechte bey seinen politischen Anmer kungen zum Grunde gelegt hat. Wenn die Senato ren durch einen gewissen Reichthum der Wahl fähig werden, so nennt Aristoteles die Form eine Oligarchie und macht ein langes Ver zeichnis von ihren Gefah ren, l. III. c. 5. & l. IV. c. 2. Wenn sie aber ihres tugendhaften Rufs wegen gewählt werden, so nennt er, wie auch einige andre Alten, es eine eigentliche Aristokratie.
82 * Eine solche Form nennet Aristoteles eine Timo kratie.
83 ** Dies erhellt auch aus dem Aristoteles, ob er gleich eine gewisse Art von blos ser unumschränkter Monar chie vorzieht, die nur in dem Munde der Schmeichler möglich ist, wo nämlich dem Könige etwas göttliches und vor allen andern Men schen in Ansehung der per sönlichen Tugenden ein Vorzug zugestanden wird. Zeno war gleicher Mei nung. Siehe Laert. in Zenon. Auch Polyb. Hiſt. p. 628. und 638. Dionyſ. Halic. Antiq. l. II. Cicer. apud Non. Marcell. de verb. prop. 4. 292. Tacit. Annal. 4. 33.
84 * Die beste Art die Wahl des Volks einzurich ten, ist die vermittelst der Kugeln und des Scru- tinii, wie sie vom Har rington erklärt, und in Ve nedig und einigen andern Staaten wirklich angewen det werden. Die römischen Leges tabellariae sind be kant.
85 * Ein in dem Rathe ausgemachtes Gesetz ward allen durch die Promulga- tionem per trinnudinum be kant gemacht, und es war allen erlaubt, das Gesetz durch Reden von den Rostris zu hindern oder zu befördern zu suchen.
86 * Es ist bekant, daß die Römer die majeſtatem dem Volke zuschrieben; Læ.ſa majeſtas populi romani war also ihr ausdrücklich Wort, wenn sie einen Hochver rath anzeigen wollten. Die Schmeichler eigneten sie den Kaisern zu, als ſuſti- nentibus perſonam populi vel civitatis.
87 * Siehe oben das zweyte Buch den 15 Abschnitt. §. 5.
88 * Wie auch das alte römische Gesetz. Siehe Inſt. L. III. tit. 1. 6.
89 * Siehe Nouell. 118.
90 * S. den Hn. Lockvon der Kunst zu regieren, B. 1. C. 2.
91 * Siehe den Herrn Lockvon der Kunst zu regieren, Buch I. c. XI.
92 * Siehe oben B. II. Abschn. 15. und Abschn. V. Art. 3. dieses Buchs.
93 * Siehe Abschn. 3. dieses Buchs Art. 3.
94 * Siehe die Erklärung dieses Anspruchs oben Ab schnittIII. art. 8. und ff. 9. tit. 1. und 4.
95 * Siehe diese Fälle im Grot. de J. B. et P. L. 1.
96 * Wenn also die Erb schaften blos erblich sind, das ist, wenn sie auf den nächsten Blutsfreund fal len: so ist es auch zu ver muthen, daß es die Absicht der Gesetzgeber gewesen ist, daß die Krone auf die Wei se beerbt werden soll. Daß z. E. ein zweyter Sohn vor einem Enkel vom ältesten verstorbnen Sohne ein jün gerer Bruder vor einen Neffen von einem ältern verstorbnen Bruder, ein Grossohn von einem jün gern Sohne oder einer jün gern Tochter, vor allen Grostöchtern den Vorzug hat. Wenn die Erbfolge in der Linie durch die Ge wohnheit eingeführt ist: so hält man es auch für die Absicht der Grundgesetze, daß die Krone auf eine sol che Art fortgepflanzt wer den soll.
97 * Eine Unfähigkeit recht fertigt nur die Ausschlies sung der unfähigen Person. Eine böse Verwaltung aber kan eine ganze Linie ausschliessen, weil diese kein anders Recht besitzt, als was sie durch die alten Gesetze erhält.
98 * Von dieser Art war die Niederlassung der Lace demonier zu Tarent unter den Phalantus, wie auch anderer griechischen Staa ten in Jtalien.
99 * Dieses war die Absicht der Gesetze des Lycurgus, Solon, Plato, Numa und der alten Perser und Chi neser.
100 * Alle Calvinisten, sa gen die eifrigen Arminianer, sind Gotteslästerer, indem sie alle Ungerechtigkeit und Bosheit von Gott herlei ten, und die Moralität aller menschlichen Hand lungen aufheben. Die Cal vinisten hingegen machen die Arminianer zu Gottes lästerern und Verleugnern der göttlichen Vorhersehung und Vorsorge, indem sie die Menschen in ihren Hand lungen unabhängig ma chen. Alle Materialisten sind Atheisten, sprechen die hitzigen Metaphysiker, und einige Väter der ersten Jahrhunderte. Die Aria ner und Socinianer sind Abgötter und Gottesleug ner, sagen die Orthodoxen. Jene behaupten gegen die Orthodoxen, daß sie Trit heiten sind; und auf glei che Weise verfahren, an dere Secten, und wiegeln die Obrigkeit zur Verfol gung auf, da es doch ge wis ist, daß bey allen die sen Secten eben die Be wegungsgründe zur Tu gend von dem Glauben an die Vorsorge, eben die Er käntnis, daß die Güte Gottes der Quell alles Guten ist was wir genies sen, und eben die Dank barkeit und Vertrauen ge gen ihn, vorgetragen wer den. Keine von ihren Re ligionsformen verleitet die Menschen zu Lastern, aus ser die sehr gewöhnliche Lehre unter ihnen von dem Rechte der Verfolgung.
101 * Diese waren die judi- ces ſelecti, die auf eine ge wisse Zeit Patricii waren, hernach equites wurden, und endlich beydes zugleich vorstellten.
102 * So ist es z. E. bey der Undankbarkeit, Mangel der Gottesfurcht, Unbarmher zigkeit, Geiz u. s. w. Siehe BuchII. wie auch Bar beyracs zwo Reden de be- neficiis et permiſſione le- gum.
103 * Auf diese Weise hat man nach den verschiedenen Absichten diese viere Paena, Caſtigatio, Compenſatio, Ma- la bellica allezeit unter schieden.
104 * Siehe den CiceroOff. L. II. c. 8. und MoylesAb handlung von der römischen Regierung.
105 * Siehe oben Absch. VIII. Art. 5. dieses Buchs.
106 * Dieses ist poena con- ventionalis, die von der poena nnjverſitatis<universitatis> unter schieden ist.
107 *BuchII. Abschnitt 15. §. 5.
108 * Siehe den Grotius, B. I. c. 3. §. 4. So wird juſtum et purum duellum, von beyden Theilen gesagt, obgleich andere Kriege eben so rechtmässig sind. Und juſtae nuptiæ. heissen nicht die Ehen die nach dem Ge setzen erlaubt sind.
109 * Siehe BynkershoeckQuaeſtiones Juris pu- blici, 1. 2.
110 * Es ist eben dieses, was Grotius bey den Kriegen der Jsraeliten mit einigen Nationen, die ihnen auf die besten Friedensversiche rungen den Durchzug durch ihr Land nicht gestatten wollten, behauptet. Und dennoch hat keine Nation ohne wirkliche Noth ein vollkommnes Recht, dieses zu fordern. Eine Armee, die einmal in den Jnnersten eines Landes ist, kan sich Meister davon machen, ehe eine stärkere Armee zu sei ner Beschützung errichtet wird, die andere feindliche Parthey wird eben dies Recht verlangen, und auf diese weise kan der neutrale Staat zum Schauplatz des Kriegs gemacht wer den.
111 * Es ist unnöthig, daß wir uns in einen Wort streit einlassen, ob das Völkerrecht von dendemRech te der Natur unterschie den sey Man kan das Gesetz der Natur in zwey Theile, nämlich in das öf fentliche und Privatrecht eintheilen, so, daß das er ste die Rechte der Staa ten, und das letztere die Rechte und Pflichten ein zelner Personen in sich fasset. Das öffentliche oder Völkerrecht kan wieder in das absolute oder vor zügliche, welches die Ge setze, so sich auf die Ver nunft gründen, enthält; und in das Hypothetische oder geringere; so auf einem Gebrauche oder stillschwei genden Vergleiche beruhet, eingetheilt werden.
112 * Siehe einen merk würdigen Fall von dieser Art in dem Quintilian Inſt. Orat. v. 10. wo Ale xander nach der Eroberung von Theben, den Thessa liern eine Schuld erlies, die sie den Thebanern schul dig waren.
113 * Die Königin von Schweden, Christina, lies einen Secretair, der ihre Anschläge verrathen hatte, während ihres Aufenthalts in Frankreich hinrichten, die Franzosen nahmen die ses als einen Gebrauch der Gewalt in ihrem Lande sehr übel.
114 * Man kan dieses in Wiqueforts Ambaſſador, und bey dem Bynkershoek de foro legati und andern nachsehen.
115 **Legatus non mutat forum.
116 * Siehe die weitläuftige Untersuchung der wichtigen Ansprüche Carls des Gros sen und seiner Nachfol ger zu den Rechten der römischen Kayser Kraft ei ner Erwählung der Bür ger zu Rom, im Grotius De J. B. & P. l. 2. c . 9. und in Gronovs und Bar beyracsAnmerkungen da selbst.
117 * Siehe des Plato Crito.

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