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Franz Hutchesons der Rechte Doctors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow Sittenlehre der Vernunft,

aus dem Englischen übersetzt.

Erster Band.

Mit Königl. Pohln. und Churfl. Sächs. allergn. Privilegio. ------------------------------------------------------------

Leipzig , bey Johann Wendler,

1756.

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Vorrede Von dem Leben, Schriften, und Cha racter des Verfassers.

Doctor Franz Hutcheson war den 8 August 1694. gebohren. Sein Vater, Herr Johann Hut cheson, war Prediger bey einer presbyteriani schen Gemeinde im nördlichen Theile von Jrrland. Er hatte den Ruhm eines vernünftigen, gelehrten, from men und tugendhaften Mannes. Sein Sohn, Franz, wurde im achten Jahr seines Alters, nebst seinem äl tern Bruder, der Aufsicht und Anführung ihres Gros vaters, Herr Alexander Hutchesons, anvertrauet, wel cher ebenfalls ein würdiger presbyterianischer Geistlicher in demselben Theile von Jrrland, aber aus Schottland gebürtig war. Er war der zweyte Sohn einer alten und angesehenen Familie in der Grafschaft Ayr in die sem Königreiche. Franz verrieth gar bald eine ausserordeutliche Fähigkeit, eine ungemeine Wissensbegierde und die vor trefflichste Gemüthsbeschaffenheit. Die sonderbare Menschenliebe und Uneigennützigkeit, durch welche er, sein ganzes Leben hindurch, sich unterschied, zeigte sich schon in seiner frühesten Jugend bey verschiedenen Gele genheiten. Sein unschuldiges und sanftes Betragen, seine große Fähigkeit und sein besonderer Fleis verschaff
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2 Vorrede. ten ihm bald die vorzüglichste Zuneigung seines Grosva ters. Aber seine Liebe zu seinem Bruder war so gros, daß er über die Zärtlichkeit seines Grosvaters keine Freude empfand, weil sein Bruder nicht einen glei chen Antheil daran hatte. Der Vorzug, welcher ihm gegeben wurde, verursachte ihm so gar eine wahre Be kümmernis, und er wendete alle Mittel und alle nur mögliche unschuldige Kunstgriffe an, es dahin zu brin gen, daß sein Bruder die Liebe seines Grosvaters eben so sehr zu verdienen scheinen möchte. Und da sein Grosvater in seinem letzten Willen eine ehemalige Ein richtung seiner Familiensachen, zu seinem Vortheil, geändert hatte: so konten seine Anverwandten ihn durch keine Gründe bewegen, es anzunehmen, sondern er schlug es schlechterdings aus, und bestand darauf, daß es bey der ersten Einrichtung bleiben müsse. Diese und viele andere Beyspiele von gleicher Art, welche angeführt werden könten, liessen seine ausserordentliche Uneigen nützigkeit in reifern Jahren vorhersehen. Nachdem er die Anfangsgründe der Wissenschaf ten erlernt hatte, wurde er auf eine von seinen Anver wandten etwas entlegene Akademie geschickt, um sich mit der Weltweisheit bekant zu machen. Er wurde daselbst in der ordentlichen scholastischen Philosophie unterwiesen, welche damals in Ansehen stand, und auf welche er sich mit einem mehr als gewöhnlichem Eifer und Fleis se legte. Im Jahr 1710. verlies er die Akademie, und be gab sich auf die Universität zu Glasgow, in die Classe de rer, welche die natürliche Weltweisheit erlernten. Zu gleicher Zeit übte er sich von neuem in der griechischen
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Vorrede. 3 und lateinischen Sprache: und er brachte es in allen Theilen der Gelehrsamkeit, welchen er seinen Fleis wid mete, so weit, als man es von einem so fähigen und so sorg fältig gebildeten Geiste erwarten konte. Nachdem er den gewöhnlichen Lauf der philosophi schen Wissenschaften vollendet hatte, richtete er seine Ge danken auf die Gottesgelahrheit, welche er, zu der ei gentlichen Wissenschaft und Beschäftigung seines Le bens zu machen, sich vornahm. In dieser Absicht stu dirte er die Theologie verschiedene Jahre auf der Universi tät zu Glasgow unter der Anführung des gelehrten Pro fessors, Johann Simsons. Unter den mannichfaltigen Lehren der Theologie, welche er seiner genauesten Untersuchung werth fand, be schäftigte er sich zuerst mit der erhabenen Lehre von dem Wesen, den Vollkommenheiten und der Vorsehung Got tes, worauf die andern sich insgesamt gründen. Das gelehrte und scharfsinnige Buch, welches Doctor Clark kurze Zeit zuvor hiervon herausgegeben hatte, fiel ihm in die Hände. Ob er gleich die Schlüsse desselben voll kommen billigte, und einen grossen Begrif von seinen ungemeinen Fähigkeiten und Einsichten hatte: so fand er doch, nach einer ernstlichen und aufmerksamen Prüfung seiner Beweise, die Ueberzeugung nicht, welche er wünschte und erwartete. Voll Verlangen, sich in dieser Lehre mehr Genüge zu leisten, und besonders die Stär ke und Gründlichkeit der Beweise a priori, wie man sie zu nennen pflegt, darinnen angewendet zu sehen, schrieb er im Jahr 1717. einen Brief an ihn, worinnen er sei ne Einwürfe anführte, und eine weitere Erklärung forderte. Man hat unter Hutchesons Briefschaften kei
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4 Vorrede. ne Beantwortung dieses Briefes vom Döctor Clark ge funden. Je mehr er nachdachte, je mistrauischer wur de er immer gegen die Richtigkeit und Stärke der me taphysischen Beweise, durch welche man das Daseyn, die Einheit und die Vollkommenheiten der Gottheit darzuthun sich bemüht. Er glaubte nicht nur, daß diese Art von Beweisen der Fähigkeit gemeiner Menschen nicht gemäs sey, sondern daß auch die Gelehrten selbst dadurch keine gründliche und immerwährende Ueberzeu gung erlangen könten. Er hatte schon in seinen jün gern Jahren die Meinung, und er hat niemals Ursache gefunden, sie zu ändern, daß einige Gegenstände unserer Erkäntnis, ihrer Natur nach, des Beweises einer völli gen und unwidersprechlichen Gewisheit fähig sind, daß man hingegen bey andern blos zu einer Wahrscheinlichkeit gelangen kan; und daß, da Gewisheit zu fordern, wo es nur bis zur Wahrscheinlichkeit zu bringen ist, für eben so unvernünftig angesehen werden mus, als wenn man verlangen wollte, Töne zu sehn, und Farben zu hö ren. Er war überdieses überzeugt, daß das Unterneh men, die genauesten Beweise zu geben, wo keine möglich sind, für die Vortheile der Wahrheit und Religion von sehr gefährlichen Folgen sey; weil dasselbe, an statt uns zu einer vollkommenen Gewisheit zu führen, das Gemüth mit Zweifel und Ungewisheit erfüllt, und dem Scepticismus geneigt macht. Denn wenn wir bey der Art von Ueberzeugung, welche die Natur der Sache zulässt, still zu stehen uns verweigern, und bis zu der höchsten Art derselben, bis zu den genauesten und un überwindlichsten Beweisen, hinaufsteigen wollen: so werden wir unmittelbar hieraus folgern, daß gar keine Ueberzeugung vorhanden sey, weil wir die Art derselben
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Vorrede. 5 nicht antreffen, die wir erwartet hatten. Solcherge stalt bleibt das Gemüth beständig in Ungewisheit, und bildet sich ein, gar keine Beweisthümer für sich zu ha ben, ungeachtet wirklich alle diejenigen, welche die Natur der Sache zulässt, vor ihm liegen, und einem jeden ge nug thun, dessen Verstand nicht von einer unnatürli chen Begierde nach einer gelehrten Erkäntnis in allen Sachen, ohne Unterschied, in Unordnung gebracht wor den. Diese Meynung von den verschiedenen Stufen der Ueberzeugung, welche den verschiedenen Gegenständen un serer Erkäntnis eigen sind, veranlassten Hutcheson zuerst, die Sittenlehre auf die Erfahrung, und nicht, auf die abgesonderten Verhältnisse der Dinge gegeneinander, zu gründen. Er hatte sechs Jahre auf der Universität zu Glasgow zugebracht, als er nach Jrrland zurück gieng, und sich den gewöhnlichen Prüfungen unterwarf, um in den geistlichen Stand zu treten; worauf ihm die Freyheit ertheilt wurde, unter den Presbyterianern zu predigen. Man wollte ihn eben zum Prediger bey ei ner kleinen presbyterianischen Gemeinde im nördlichen Theile von Jrrland machen; als einige Edelleute bey Dublin, welche wusten, daß seine Geschicklichkeit grösser war, als daß er sie bey dieser entfernten Gemeinde ganz hätte anwenden können, ihn ersuchten, eine Art von Pri vatakademie zu errichten. Er lies sich diesen Antrag gefallen, und verwaltete das übernommene Amt so an ständig und so glücklich, daß alle diejenigen, welche ihre Kinder seiner Aufsicht anvertrauten, mit ihm ausserordent lich zufrieden waren; und er zog bald die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Er hatte sich nur eine kurze Zeit
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6 Vorrede. in Dublin aufgehalten, als seine Verdienste und Voll kommenheiten schon überall bekant waren. Personen aus allen Ständen, die einigen Geschmack an den Wis senschaften hatten, oder gelehrte Leute hochzuschätzen wu sten, suchten seine Bekantschaft und Freundschaft. Un ter andern beehrte ihn der Lord Viscount Molesworth mit einer vorzüglichen Achtung und Freundschaft, wel cher in dem Umgang mit ihm viel Vergnügen fand, und ihn durch seine Critiken und Anmerkungen in den Stand setzte, seine Untersuchung über die Begriffe von der Schönheit und von der Tugend, ehe sie ans Licht trat, zu verbessern und vollkommener zu machen. Do ctor Synge, itziger Lord Bischof von Elphin, dessen Freundschaft Hutcheson allemal unter die grössten Freu den und Glückseligkeiten seines Lebens zählete, übersahe ebenfalls seine Schrift, und half ihm den allgemeinen Plan des Werks entwerfen. Die erste Ausgabe kam, ohne den Nahmen des Verfassers, heraus, aber die Vortreflichkeit des Werks verstattete ihm nicht, lange verborgen zu bleiben. Es er hielt so vielen Beyfall, und erweckte von dem Verfasser so grosse Begriffe, daß der damalige Lord Lieutenant von Jrrland, Lord Granville, dessen Einsicht und Geschmack in den Werken des Geistes und der Gelehrsamkeit überall bekant ist, seinen geheimen Secretär abschickte, sich bey den Buchhändlern nach dem Verfasser zu erkundigen. Da er aber von denselben seinen Nahmen nicht erfah ren konte: so lies er ihnen einen an den Verfasser gerichteten Brief einhändigen. Auf diese Art wurde Hutcheson mit dem Lord bald bekant, und erhielt, die ganze Zeit seiner Regierung hindurch, von ihm die
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Vorrede. 7 vorzüglichsten Kennzeichen von Vertraulichkeit und Achtung. Von dieser Zeit an, wurde seine Bekantschaft in Jrrland fast von allen denjenigen gesucht, welche entweder wegen ihrer Würde, oder wegen ihrer Gelehrsamkeit in Ansehen standen. Der Erzbischof King, der Verfasser des Buchs de origine mali, hielt Hutcheson sehr hoch, und seine Freundschaft war für ihn in einer Begebenheit von grossem Nutzen, die ausserdem von verdrieslichen Folgen gewesen wäre, und ihn gänzlich außer Stand hätte setzen können, in seiner Stelle noch weiter nützlich zu seyn. Es wurden zween verschiedene Versuche ge macht, Hutcheson, vor dem erzbischöflichen Gerichte, zu verklagen, weil er sich unterstanden hätte, die Erziehung der Jugend zu übernehmen, ohne sich durch die Unter schrift der englischen Kirchenordnung und durch die Er laubnis vom Bischof, hierzu geschickt gemacht zu haben. Es wurde aber durch diese beyden Versuche nichts aus gerichtet, weil der Erzbischof den grössten Unwillen gegen diejenigen zu erkennen gab, welche so kühn gewesen wa ren, sie zu unternehmen. Er versicherte ihn zugleich, daß er nicht Ursache hätte, von dieser Seite einige Beun ruhigung zu befürchten, so lange es in seiner Gewalt stünde, es zu verhüten. Er erwarb sich auch die Hochachtung des Primaten, Bolter, welcher, auf seine Veranlassung, an die Universi tät zu Glasgow ein Geschenk eines jährlichen Einkom mens machte, zum Unterhalt eines Stipendiaten, der sich zu einer gewissen Art von Gelehrsamkeit geschickt machen sollte. Dieses ist nur eines von den vielen Beyspielen, die man von der wohlthätigen Gemüthsart dieses Prä
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8 Vorrede. laten anführen kan. Herr West, ein Edelmann von großer Geschicklichkeit, und von einem bekanten Eifer für die Vorrechte der Freyheit im Staat und in der Religion, war besonders von Hutcheson eingenommen, und lebte mit ihm, so lange er sich in Jrrland aufhielt, in grosser Vertraulichkeit. Wenige Jahre nach der Untersuchung kam die Abhandlung über die Leidenschaften heraus. Da diese beyden Bücher schon lange in der Welt sind, und man davon schon unterschiedene neue Auflagen gesehn hat, woraus die Aufnahme derselben hinlänglich beurtheilet werden kan: so würde es unnöthig seyn, von densel ben etwas zu sagen. Um diese Zeit verfertigte er einige philosophische Abhandlungen, worinnen er auf eine an dere, und der menschlichen Natur anständigere Art, als Herr Hobbs, die Ursachen des Lachens aufsuchte. Diese Abhandlungen kamen in einer Sammlung unter der Auf schrist<Aufschrift>: Briefe des Hibernicus, heraus. Einige Briefe in dem Londoner Journal von 1728. mit der Unterschrift Phi laretus, welche Einwürfe wider verschiedene Lehren in der Untersuchung enthielten, veranlassten Hutcheson, dieselben in dieser öffentlichen Schrift zu beantworten. Die Briefe und die Beantwortung sind hernach beson ders gedruckt worden. Der Streit blieb unentschieden, weil der Briefwechsel, welchen sie nachgehends, nur un ter sich, fortzusetzen beschlossen hatten, durch den Tod des Philaretus unterbrochen wurde. Nachdem er seine Privatakademie in Dublin, sieben bis acht Jahre, mit großen Beyfall unterhalten hatte, wurde er im Jahr 1729 nach Schottland als Professor der Philosophie auf der Universität zu Glas
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Vorrede. 9 gow berufen. Der Ruhm, welchen er sich durch seine Gelehrsamkeit und Verdienste erworben hatte, waren der einzige Bewegungsgrund, daß die Universität zu Glas gow ihm die durch den Tod des gelehrten und ver dienstvollen Herrn Gershom Carmichael erledigte Stel le antrug. Die Welt billigte ihre Wahl, und der Er folg rechtfertigte dieselbe sattsam. Die Professoren merkten gar bald, daß seine Aufnahme in ihr Colle gium, in Absicht auf den Ruhm und die Vortheile der Gesellschaft, gute Wirkungen hatte. Verschiedene junge Standespersonen kamen mit ihm von seiner Akademie, und sein Ruf lockte viele andere aus England und Jrr land. Doch vielleicht wird sich der Leser mehr verwun dern, daß er die Stelle annahm, als daß sie ihm von der Universität, ohne sein Ansuchen, angetragen wur de. Wenn man fragen sollte, wie es sich hat zutragen können, daß ein Mann von Hutchesons Verdiensten, der so viele vornehme, angesehene und vielvermögende Personen unter seine Freunde zählen konte, sieben bis acht Jahre hindurch, einer Privatakademie, mitten in ei nem Lande vorstehen müssen, wo es so viele Stellen gab, die sich für gelehrte und verdienstvolle Männer so wohl schickten; oder wenn man fragen sollte, wie es sich hat zutragen können, daß man ihm verstattete, sein Va terland zu verlassen, alle Vereinigung mit seinen Verwandten und Freunden aufzugeben, und in der Mit ten seines Lebens sich in ein ander Königreich zu wenden, um daselbst eine wenig einträgliche aber sehr beschwerli che Stelle auf einer Universität anzunehmen: so wird es genug seyn, auf diese Fragen zu antworten: daß seine Freunde eben so bereit, als fähig waren, ihm zu die nen, und daß seiner Beförderung von dieser Seite
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10 Vorrede. nichts im Wege stand. Er hatte besondere Ursachen, die ihn abhielten, eine Beförderung zu suchen, oder auch die sichersten und unfehlbarsten Mittel anzuwenden, wodurch er dazu hätte gelangen können. Man muß aber seinem Charakter Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und zu erwähnen nicht vergessen, daß er in dem Stan de, worein ihn die göttliche Vorsehung hatte setzen wol len, eben so nützlich als zufrieden war, und daß weder die Liebe des Reichthums noch der Schimmer und die Pracht des menschlichen Lebens ihn vermögen konten, sei nen Gesinnungen die mindeste Gewalt zu thun. Man kan noch hinzufügen, daß die unsichtbare Hand einer allweisen Vorsehung, welche alle Vorfälle des menschli chen Lebens, und alle Entschliessungen des menschlichen Willens ordnet, ihn in ein solches Amt führete, das ihn zwar nicht ausserordentlich vornehm machte, aber doch vielleicht mehr, als ein jedes anderes, seinen ungemeinen Talenten angemessen war, und ihm Gelegenheit gab, der Welt mehr wahre und wichtige Dienste zu leisten, als er in einem andern Stande zu thun fähig ge wesen wäre. In seinem neuen Amte war er nicht, wie auf sei ner Akademie, verbunden, die Sprachen und verschiede nen Theile der Philosophie zu lehren, sondern er hatte Musse, der Wissenschaft, die er vorzüglich liebte, der menschlichen Natur, feine<seine> vornehmste Aufmerksamkeit zu widmen. Er hatte hohe Gedanken von ihrer ursprüng lichen Würde, und war überzeugt, daß sie, selbst in die sem verdorbenen Zustande, durch eine richtige Unterwei sung und fleissige Bildung, grosser Verbesserungen fä hig wäre. Es wurde ihm das Lehramt der philosophi
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Vorrede. 11 schen Sittenlehre angewiesen. Er verfuhr bey der wei tern Nachforschung in dieser Wissenschaft, auf keine an dere Art, als bey ihrer Erlernung. Er setzte alle Un tersuchungen über die abgesonderten Beziehungen der Dinge auf einander, über die ewige Uebereinstimmung und Mishelligkeit derselben, bey Seite, und richtete seine Betrachtungen nur auf das, was uns immer vor Augen ist, und unmittelbar durch Wahrnehmungen und Er fahrungen erkant werden kan; nämlich, was wir von der gegenwärtigen Beschaffenheit der menschlichen Natur, durch die Erfahrung lernen; welcher Zustand des Her zens, und welche Art zu leben, unserer ganzen Bestim mung am gemässesten sey. Er hatte angemerkt, daß es unsern Zeiten zum Glück und Ruhm gereichte, daß man sich in der Na turlehre von der Gewohnheit, Hypothesen und will kührliche Lehrgebäude anzunehmen, losgearbeitet und die Mühe übernommen hätte, die Einrichtung der materiali schen Welt durch Beobachtungen und angestellte Ver suche selbst kennen, und die darinnen wirkenden Kräfte und Grundursachen bestimmen zu lernen. Er sahe au genscheinlich, daß die Naturlehre, blos durch dieses Verfahren, zu einem höhern Grad der Vollkommenheit, als sie vorher erreicht hatte, gestiegen wäre, und daß, wenn man auf diesem Wege fortgehen würde, diese Wis senschaft noch wichtigere Verbesserungen zu hoffen hätte. Er war überzeugt, daß ein wahrer Abris der Sitten lehre ebenfalls keine Geburt des Witzes und der Erfin dung, oder des richtigsten metaphysischen Tiefsinns seyn könne, sondern von eigenen Betrachtungen der verschie denen Kräfte und Grundtriebe hergenommen werden
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12 Vorrede. müsse, deren wir uns in unserm eigenen Busen bewusst sind, und von welchen wir einsehen können, daß sie, im ganzen menschlichen Geschlechte, in gewissen Graden wir ken. Es müsse also in der Sittenlehre wenigstens für sehr zuträglich gehalten werden, den Bau unsers Innern, als ein Ganzes, das aus verschiedenen Theilen zusam mengesetzet ist, genau zu untersuchen, das Amt und den Endzweck eines jeden Theiles, nebst den natürlichen Verhältnissen dieser Theile unter einander, anzumerken, und daraus die Absicht des Ganzen und die mannichfal tigen Verrichtungen zu folgern, wozu sie von ihrem großen Urheber bestimmt zu seyn scheinen. Er glaubte, man hätte Grund zu hoffen, daß, wenn man auf eben die Art, wie man den Bau eines thierischen Körpers, und einer Pflanze, oder das System der Himmelskörper zu untersuchen pflegt, genauere philosophische Untersuchun gen über die verschiedenen natürlichen Grundtriebe und natürlichen Neigungen des menschlichen Geschlechts an stellte, man zu einer weit richtigern Theorie der Sitten lehre gelangen würde, als es bisher möglich gewesen wäre: und eine Theorie, welche, auf so deutlichen und festen Gründen, beruhete, würde einem jeden, der die Wahrheit zu finden suchte, vollkommene Genüge leisten. Denn wir können, durch das innere Bewusstseyn und Ge fühl, die Beschaffenheit unsers innern Wesens eben so genau kennen lernen, als uns die verschiedenen Theile ei nes Körpers, durch Hülfe unserer Augen, bekant wer den: und wir dürfen wegen der Absichten, zu welchen, wenigstens die vornehmsten Theile unsers Innern, be stimmt sind, eben so wenig zweifelhaft seyn, als wir es wegen der Absichten der Glieder an unserm Körper, und unserer äusserlichen Sinne seyn können. So sehr
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Vorrede. 13 wir von dem Daseyn und den Vollkommenheiten des höchsten Wesens überzeugt sind; eben so sehr sind wir überzeugt, daß die moralische Beschaffenheit unserer Natur sein Werk ist, und wir folgern hieraus, daß es gewis sein Wille sey, daß wir uns in diejenige Ver fassung des Gemüths setzen, und diejenige Art zu leben erwählen sollen, welche den offenbaren Absichten und Bestimmungen seines göttlichen Werks am gemässesten ist; und daß ein solcher Zustand des Herzens und ein solcher Plan des Lebens, welcher am gewissesten mit dem Endzweck aller Theile desselben übereinstimmt, als die vollkommenste Art zu handeln angesehen werden und die Pflicht, die Glückseligkeit und Vollkommenheit der Men schen ausmachen mus. Unser Verfasser hat in dem folgenden Werke ei nen Versuch gemacht, zuförderst die verschiedenen Grund triebe der menschlichen Seele, in so fern sie ein sittliches Ganzes ausmachen, zu entwickeln, und daher den Ur sprung unsrer Begriffe vom sittlichen Guten und Uebel, und unsers Gefühls der Pflicht oder sittlichen Verbind lichkeit, aufzusuchen. Hierauf bemüht er sich zu er forschen, worinnen eigentlich die höchste Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts bestehe; und sodann sucht er die besondern Gesetze der Natur, oder diejenigen Re geln zu bestimmen, welche nothwendig beobachtet wer den müssen, wenn in der Verbindung, worinnen wir ge geneinander, als Mitglieder einer Gesellschaft, stehen, das allgemeine Beste befördert werden soll. Man mus es dem Urtheil des aufmerksamen und unpartheyischen Le sers überlassen, ob der Verfasser in diesem allen glücklich gewesen ist.
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14 Vorrede. Wenn man indessen auch annehmen wollte, daß sein Lehrgebäude, nach einer längern und nähern Prü fung des Wesens, und der Wirkungen unserer Seele, in einigen Stücken eine Aenderung oder Verbesserung zuge lassen haben würde: so bleibt doch allemal gewis, daß alle seine Anmerkungen und Betrachtungen vollkommenen Beyfall verdienen, weil er die höchste Tugend und Vor treflichkeit eines Menschen eben darin setzet, worinnen sie, nach einer gesunden Philosophie und der göttlichen Offenbarung, bestehen soll, nämlich in einer so ferti gen und so beständigen Ausübung aller guten Neigungen gegen Gott und den Menschen, daß dadurch alls andre Begierden, Leidenschaften und Neigungen in Schranken gehalten und wir angetrieben werden, nur solche Handlungen zu unternehmen, wodurch die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts auf die vollkommen ste Art, die in unsern Kräften steht, befördert werden kan.* Man mus bekennen, daß die Lehre unsers Verfassers, nach welcher wir, vermöge der Be 1
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Vorrede. 15 schaffenheit unserer Natur,** wirklich in einer innerli chen geheiligten Verbindlichkeit stehen, das Beste des menschlichen Geschlechts, selbst auf Unkosten des Lebens und aller Freuden desselben, zu befördern, mit der Lehre des Christenthums, die uns gebietet, unser Leben für die Brüder zu lassen, entweder völlig übereinkommt, oder ihr doch nahe verwandt ist. Sie giebt uns zu glei cher Zeit richtigere, liebreichere und würdigere Begriffe von der menschlichen Natur, die, vermöge ihres Ur sprungs, darauf eingerichtet ist, nach weit uneigennützi gern Grundtrieben zu handeln, als diejenigen Weltweisen gestehen wollen, welche darau<daran> arbeiten, alle Regungen der menschlichen Seele einzig und allein auf die Selbst 2
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16 Vorrede. liebe zu gründen, so sehr auch dieselben, gleich beym ersten Anblick, davon entfernt zu seyn scheinen mögen. Ob gleich diese edlen Grundtriebe, in diesem verdorbenen Zustand, durch sinnliche und eigennützige Leidenschaften dergestalt unterdrückt und überwältiget werden, daß sie sich nicht in der gehörigen Lebhaftigkeit äufsern<äussern>, selbst wenn die bequemste Gelegenheit dazu vorhanden ist: so ist doch, nach unsers Verfassers Begriffen, die Absicht des Urhebers der Natur aus dem wichtigen Umstande sattsam wahrzunehmen, daß das moralische Gefühl be ständig sein Amt so treulich verwaltet, daß es niemals einer wahrhaftig uneigennützigen Tugend den stärksten und innigsten Beyfall versagen wird. Je weniger Ver dacht vorhanden ist, daß der Märtyrer, der Patriot, der Held, wenn er sein Leben, in einer würdigen Sache, aufgiebt, einige Absichten dabey habe, wenn es auch nur der Nachruhm wäre; desto lauter und anhaltender ist der Beyfall aller Zuschauer; dahingegen derselbe sich so bald vermindert, als man dem Sterbenden den ge ringsten eigennützigen Bewegungsgrund schuld geben kan. Nach dieser Vorstellung der Dinge trägt die mensch liche Seele nicht nur in ihren Verstandeskräften das Ebenbild des göttlichen Verstandes, sondern auch in ih ren geselligen und auf das gemeine Beste gerichte ten Neigungen das Ebenbild der göttlichen uneigennützi gen Gütigkeit an sich. Solchergestalt ist zwischen der Beschaffenheit unsers Innern, welches darauf eingerich tet ist, das allgemeine Beste zu befördern, und zwi schen der Einrichtung des Ganzen die vollkommenste Uebereinstimmung. Wir finden in der ganzen Natur die bewundernswürdigste Sorgfalt, die allgemeinen Vor theile aller Gattungen lebendiger Wesen zu befördern.
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Vorrede. 17 Es ist also der Analogie der Natur gemäs, daß die Men schen, als die oberste Classe der Geschöpfe auf dieser niedern Welt, mit der Geneigtheit versehen seyn müssen, das allgemeine Beste ihrer Nebenmenschen vor Augen zu haben, und es für ihre Pflicht zu halten, selbst ihr Le ben dahin zu geben, wenn es ein allgemeiner Vortheil erfordert. Hutcheson war ein zu vernünftiger und zu gelehrter Mann, als daß er blos bey besondern Lehrsätzen der Moral hätte stehen bleiben sollen. Seine Wissen schaft schränkte sich nicht auf sein eigenes Lehrgebäude ein, und man wird bey Durchlesung des folgenden Werks deutlich wahrnehmen, daß er mit den Schriften der Al ten und Neuern, welche die Sittenlehre, die Religion und die Regierung zum Gegenstand haben, sehr wohl bekant war. Auch selbst in diesem Umfange war die Sittenlehre nicht die einzige Wissenschaft, der er seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmete. Eine heftige Wissensbegierde war ihm natürlich. Er liebte die Wahrheit, und forschte nach ihr mit Unparteylichkeit und unermüdetem Fleisse. Er besas eine geschwinde Ein sicht und ein treues Gedächtnis; und er hatte sich nicht nur gewöhnt, immerfort zu denken und zu forschen, son dern er fand auch Vergnügen dabey. Seine Seele war niemals der Ermattung unterworfen, die so oft den Fleis berühmter Leute unterbricht: seine Kräfte waren be ständig gleich munter und wirksam. Ein Geist, der so viele Vorzüge besas, und so viele Jahre hinter einander in dem Umgang mit den Wissenschaften zuge bracht hatte, muste sich nothwendig eine weitläuftige Ge lehrsamkeit erworben haben.
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18 Vorrede. In seiner Jugend machte er sich mit dem Geist der Alten sehr genau bekant, und er empfand und bewun derte bald die Richtigkeit und ungekünstelte Schönheit der Gedanken und des Ausdrucks, welche ihre Schriften unsterblich und unschätzbar gemacht haben. Er las die Geschichtschreiber, Dichter und Redner des Alter thums, mit einer Art von Begeisterung, und zugleich mit einer critischen Genauigkeit. Er hatte besonders die Dichter so oft gelesen, daß er lange Stellen aus ihnen im Gedächtnis behalten hatte, die er in seinen Vorlesun gen, bey Gelegenheit, auf eine sehr gute Art anzuwen den wusste. Daß er die lateinische Sprache vollkommen verstand, ist aus den Schriften zu beurtheilen, die er darinnen verfertigt hat. Sein Abris der Metaphysik, Geisterlehre, natürlichen Theologie, und sein Auszug aus der Ethik sind in einer zierlichen und reinen Schreibart abgefasset, die man nur selten in neuern lateinischen Schriften antrift. Er hatte alle Theile der Philosophie so sorgfältig durchgedacht, daß er darinnen keine gemeine Einsicht be sas. Er verfertigte einen kleinen Abris der Vernunft lehre, welchen er zwar nicht für die gelehrte Welt be stimmt hatte, wodurch er aber doch sattsam bewies, daß er ein Meister in dieser Wissenschaft war. Man sieht aus seiner Metaphysik, daß er die unvernünftigen Fra gen und unnützen Streitigkeiten der alten Scholastiker, die über diesen Theil der Philosophie eine so dicke Fin sternis verbreitet haben, ungemein wohl inne hatte. Er hat diese Wissenschaft in ein helles Licht gesetzt, und sie lehrreich und unterhaltend gemacht. Die Naturlehre verstand er so, wie sie durch die Hülfe der Mathematik
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Vorrede. 19 und der Erfahrungen verbessert worden, und er wen dete die Käntnis derselben zu dem edlen Vorsatz an, die grossen Wahrheiten von dem Daseyn, den Vollkom menheiten und der VorsehungGottes zu befestigen. Er hatte es in der Geschichte der Künste und Wissenschaften sehr weit gebracht; er war bis zu ihrem Ursprung zu rückgegangen, hatte die verschiedenen Veränderungen, das Wachsthum, den Verfall, und die Wiederaufnah me derselben genau beobachtet, und den Character der merkwürdigsten Philosophen, nebst den unterscheidenden Lehren und der besondern Eigenschaft ihrer Philosophie angemerkt. Ueber dieses hatte er eine ungemeine Känt nis der kirchlichen und bürgerlichen Geschichte alter und neuer Zeiten, welche desto mehr an ihm zu bewundern war, da er mit tiefsinnigern und ernsthaftern Wissenschaf ten Umgang pflog. Er verstand auch die Grundsprache des alten Testaments, und obgleich seine andern gelehr ten Beschäftigungen ihm nicht erlaubt hatten, selbst ein Criticus darinnen zu werden: so waren ihm doch die wichtigsten Critiken derjenigen bekant, welche sich durch ihre Gelehrsamkeit in dieser Sprache hervorgethan hatten. Nirgends zeigte sich sein grosser fähiger Geist in einem hellern Glanze, als in dem Umgange mit seinen Freunden. Man mochte sich unterreden, wovon man nur wollte; so kosteten ihm seine Gedanken so wenig Mühe, sein Ausdruck war so faslich, und seine Wissen schaft von so grossem Umfange, daß ihm jedermann mit Vergnügen zuhörete. Es giebt Leute, die wirklich ei nen grossen Vorrath von Gelehrsamkeit besitzen; allein sie scheinen ihn in so weit von einander entlegenen Ge
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20 Vorrede. genden ihres Verstandes beygelegt zu haben, daß es Zeit erfordert, ehe sie ihn zusammen schaffen und davon Gebrauch machen können. Bey andern scheint es, daß ihre grosse Gelehrsamkeit nur Finsternis über ihre Gedanken verbrei tet, und daß sie von den untermengten Begriffen, die sich in ihren Verstand auf einmal eindrängen, verhin dert werden, die Dinge zu unterscheiden. Aber der ganze Schatz seiner Wissenschaft lag immer vor ihm, und war beständig zu seinem Dienst bereit. Er über sah auf einen Augenblick alles, was mit seinem itzigen Gegenstand zusammenhieng, und verwarf dasjenige, was keine Verwandschaft mit demselben hatte. Er sprach von den schwersten und tiefsinnigsten Sachen mit einer Leichtigkeit und Deutlichkeit, die vielleicht Leuten von nicht geringerer Geschicklichkeit wiederholte Bemü hungen gekostet haben würde, ohne ihn zu erreichen. Es kostete ihm wenig Arbeit, betrügerische Vernunftschlüsse aufzulösen. Er unterschied die wahre Gelehrsamkeit von der falschen; die Gegenstände unserer Erkäntnis, welche der unwidersprechlichsten Beweise fähig sind, von solchen, welche es nicht sind; nützliche und wichtige Fra gen, von solchen, welche blos die Neugier befriedigen und zum Zeitvertreib dienen. Er hatte nichts so sehr und so beständig vor Augen, als den wirklichen Nu tzen, den die Wissenschaften im menschlichen Leben schaf fen können. Seine Absicht war nicht, mit unerhebli chen Dingen sich zu belustigen, sondern er hatte bey al len seinen Untersuchungen den wahren Vortheil des menschlichen Geschlechts zum Augenmerk. Selbst von methaphysischen Streitigkeiten, wovon er keinen an dern Nutzen hoffen konte, nahm er Gelegenheit, dem Stolz und der Eitelkeit der jungen Leute Ein
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Vorrede. 21 halt zu thun, die von ihrer grossen Gelehrsamkeit so voll sind; und er zeigte, wie unfähig auch die scharf sinnigsten Sterblichen wären, in die geheime Natur und in das Wesen der Dinge einzudringen. Diese besondern Talente waren in Hutcheson mit den liebreichsten Neigungen und den nützlichsten Tugen den verbunden. Die Reinigkeit seiner Sitten war, von seiner Jugend an, unbefleckt. Gleichwie er allemal den höchsten Abscheu vor dem Laster zu erkennen gab: also blieb er beständig in den entferntesten Gegenden von ihm, und vermied auch die mindesten und verzeihlich sten Unanständigkeiten im Betragen. Allein diese strenge Tugend wurde nicht von dem Eigensinn, nicht von der Ungeselligkeit begleitet, die sie so oft zu Gefährten hat, und die nicht allein so viele sonst schätzbare Leute unangenehm machen, sondern auch die guten Wirkun gen hindern, welche ausserdem die Tugenden derselben auf andere haben würden. Er war vollkommen auf richtig, und verabscheuete in Worten und Werken auch den geringsten Schein einer Hintergehung. Er verachtete diese kleinen Kunstgriffe, die man in der Welt gemeiniglich für lobenswurdige Geschicklichkeiten und für Beweise einer nicht gemeinen Klugheit zu hal ten pflegt. Er war von Natur frey und offenher zig, und voll Eifer, das zu sagen, was er für wahr hielt. Schon beym ersten Anblick verrieth er seine red liche und aufrichtige Seele, und bey einer nahen Bekant schaft mit ihm fand man ihn niemals von sich unter schieden. Er war ganz Wohlgewogenheit und Zunei gung. Man durfte ihn nur sehen, um sich hiervon zu überzeugen. Seine Mine und sein Betragen bewiesen es.
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22 Vorrede. Diese Gemüthsart war ihm so sehr eigen, daß man auch in seinen Schriften Spuren davon antrift, an wel chen vielleicht sein Herz eben so viel Antheil hat, als sein Verstand. Und wenn dasjenige, was in seinem Lehr gebäude auf die liebreichen und geselligen Neigungen ge gründet worden, eine Vertheidigung nöthig hätte: so würde man es wenigstens auf eine sehr angenehme Art mit der Gewalt entschuldigen können, welche diese Neigungen über ihn selbst hatten. Sein Herz war zur Freundschaft gemacht. Er war zwar mit äusserlichen Versicherungen derselben sehr zurückhaltend; aber er war allemal bereit, sich jedermann durch die wichtigsten Dienste, die man von einem Freun de erwarten kan, gefällig zu machen. Seine Freunde nahmen bey jedem unglücklichen Zufall, bey jeder Be kümmernis, ihre Zuflucht zu scinem<seinem> Rath und Beystand. Die heftige Zuneigung zu seinen Freunden, siegte über seinen natürlichen Widerwillen gegen den Wunsch, an gesehen zu seyn; ein Sieg, den die Betrachtung seines eigenen Vortheils niemals hätte erhalten können. Sei ne Gefälligkeiten schränkten sich nicht blos auf seine be sondern Freunde und Anverwandten ein; sein Herz über flos von Gütigkeit gegen alle, die er kante, und er ergrif jede Gelegenheit, sich ihnen angenehm und ver bindlich zu machen. Ob gleich nur wenige einen so star ken Trieb zu den Wissenschaften haben, und sich densel ben mit einer so anhaltenden Aufmerksamkeit und An strengung widmen; so muste doch dieser Geschmack seiner Neigung, Gutes zu thun, oftmals nachgeben. Er war von einer ungemein wohlthätigen Gemüthsart; beson ders war es ihm eine wahre Freude, hoffnungsvollen
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Vorrede. 23 Jünglingen, die sich in dürftigen Umständen befanden, beyzustehen, und ihren Fleis nicht nur mit einem Zu schus an Gelde, sondern auch durch die Erlaubnis, daß sie seinen Vorlesungen, ohne einige Bezahlung, bey wohnen durften, zu unterstützen. Mit einer Art von vernünftiger Schwärmerey, die ihn immer begeisterte, und den vornehmsten Theil seines Characters ausmachte, nahm er sich der Vortheile der Gelehrsamkeit, Freyheit, Religion, Tugend und der menschlichen Glückseligkeit an. Aus allem, was er sagte und that, konte man wahrnehmen, daß er die edle Absicht hatte, sie zu befördern und auszubreiten. Sie vermochten so viel über ihn, daß sie einen Einflus auf sein ganzes Betragen hatten, und ihm einen allgemei nen Geist, von dem weitesten Umfange, mittheilten. Das, was wir in ihm einen allgemeinen Geist nennen, bestand nicht in einer unbestimmten Begierde nach allem demjenigen, was wir nicht wissen, oder nicht vollkommen verstehen; sondern in einem erleuchteten und uneingefchränkten<uneingeschränkten> Eifer für die Glückseligkeit der Men schen, und die Mittel sie zu befördern. Seine Liebe zur wahren Gelehrsamkeit, seine unermüdete Sorgsalt<Sorgfalt>, sie zu erlangen, und den Geschmack an ihr auszubreiten, machte ihn zu dem Amte, welches die Vorsicht ihm angewiesen hatte, ausserordentlich geschickt. Und viel leicht haben wenige Leute, in gleichen Aemtern, mit glei chem Glück und Eifer, den Geschmack an der ächten Lite ratur ausgebreitet. Allein sein Eifer blieb nicht in den Gränzen seines eigenen Lehramts, sondern derselbe erstreckte sich auf alles, was im menschlichen Leben Vortheil und Nutzen schaffen kan. Wenn er sprach: so
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24 Vorrede. glaubte man, er hätte fast allen wichtigen Bedienungen vorgestanden; so sehr verrieth er, daß er die Vortheile einer jeden verstand, und sich ernstlich angelegen seyn lies, zur Beförderung derselben etwas beyzutragen. Sein gutartiges Herz fand die gröste Freude daran, die Mittel aufzusuchen, wodurch in den verschiedenen Ständen der menschlichen Gesellschaft dasjenige, was von den Regeln der Ordnung abwich, mit denselben in Uebereinstimmung gebracht, oder dasjenige, was mit denselben schon übereinkam, zu mehrerer Vollkommenheit erhöht werden könte. Die von ihm hierzu gemachten Entwürfe gründeten sich auf keine leere Einbildungen, sondern sie waren der Ausführung fähig, und hätten die Aufmerksamkeit aller derjenigen verdient, welche Gewalt und Ansehen in der Gesellschaft, in den Stand setzten, sie zur Ausführung zu bringen. Dieser Eifer für das gemeine Beste zeigte sich beständig in seiner Art zu den ken, und nicht nur in seinen ernsthaftern, sondern auch in sei nen heitern und vergnügten Stunden. Er war an Entwür fen, die den Vortheil anderer angiengen, unerschöpflich; doch niemals hat er an einen gedacht, der seine eigenen Nutzen betroffen hätte. Wir haben schon angemerkt, daß er in seiner Jugend, zu einer Zeit, da man an Glückseligkeiten, die in die Augen fallen, den meisten Geschmack zu haben pflegt, niemals auf Vorschläge ge hört hat, die ihm eine Ausficht<Aussicht> in Reichthümer und An sehen eröfneten. In seinem reifen Alter, da aber der gute Zustand seiner Gesundheit ihn noch hoffen lies, viele Jahre zu leben, wurde ihm der Antrag gethan, auf der Universität zu Edimburg Professor der philosophischen Sittenlehre zu werden. Ungeachtet er in dieser Stelle mehrere Einkünfte und bessere Gelegenheit gehabt haben
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Vorrede. 25 würde, mit den vornehmsten und angesehensten Personen bekant zu werden: so war er doch in seinem gegenwärti gen Stande vergnügt, und gänzlich abgeneigt, ihn je mals zu ändern. Diese vortreflichen Talente machten seinen Umgang, besonders für seine Freunde, so unterhaltend und lehrreich, daß derselbe allen denjenigen, die ihn zu geniessen das Glück hatten, eine Schule der Weisheit war. Es hätte eine sehr unverständige Gesellschaft seyn müssen, die er nicht zugleich vergnügt und unterrichtet hätte. Eine un gemeine Lebhaftigkeit der Gedanken und des Ausdrucks, ein immerwährender Quell von Gütigkeit und Menschen liebe, und eine sichtbare Mine von innerer Glückseligkeit machte ihn zur Seele der Gesellschaft und hatte auf alles, was ihn umgab, einen belebenden Einflus. Er war munter und scherzhaft, vertraulich, und im höchsten Grad gefällig, und ganz und gar frey von Stolz und Zwang. Kein Zeichen einer Eitelkeit oder Zufriedenheit mit sich selbst wurde man an ihm gewahr. Er verlangte keinen Ruhm, und er bildete sich auf den ungesuchten Besitz desselben nichts ein. Er war unter allen, die um ihn waren, derjenige, der die meisten Vorzüge besas, und zugleich der einzige, der es nicht gewahr wurde. Seine Gedan ken beschäftigten sich niemals mit seinen eigenen Voll kommenheiten. Er wurde durch die Ausübung liebrei cher Neigungen, durch den Eifer für die gemeinen Vor theile, und durch das begierige Forschen nach der Wahr heit abgehalten, auf sich selbst aufmerksam zu seyn. Die ses war so ein unläugbarer Theil seines Characters, daß selbst diejenigen, welche am wenigsten geneigt waren, vortheilhaft von ihm zu denken, ihn niemals eines Stolzes
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26 Vorrede. oder einer Eitelkeit beschuldigen konten. Seine natür liche Bescheidenheit wurde durch seine gottesfürchtigen Gesinnungen noch mehr erhöhet und verfeinert. Er war von den grossen Wahrheiten der natürli chen und geoffenbartenReligion und von dem wichtigen Einflus einer geziemenden und vernünftigen Gottesfurcht auf die Glückseligkeit des menschlichen Lebens und auf die Befestigung und Reinigkeit eines tugendhaften Wan dels, auf das stärkste und lebhafteste überzeugt. Man konte in dem Umgange mit ihm merken, wie viel Gewalt seine Gottesfurcht auf sein Herz hatte. In seinen öffent lichen Vorlesungen lies er keine, auch nicht die, von sei nem eigentlichen Gegenstand, entfernteste Gelegenheit vorbey, daß er sich nicht weitläuftig und voll Entzückung über die Anständigkeit und den Vortheil der voll kommensten Ehrfurcht gegen Gott, und über unsre Pflicht, alle unsere Gaben, unsre Tugenden und alles, was wir besitzen, seiner Gütigkeit zuzuschreiben, erkläret hätte. Dieses waren in seinen Augen die unfehlbarsten Mittel, die Aufwallungen von Stolz, von Eitelkeit und Selbstzufriedenheit zu unterdrücken, welche in den Her zen solcher Leute zu entstehen pflegen, die nicht ernstlich und oft daran denken, daß sie nicht besser sind, als an dere, und daß sie nichts besitzen, als was sie em pfangen haben. Er sahe diese Gesinnungen, wenn sie sich einmal in unserer Seelen festgesetzt haben, als den eigentlichen Grund der Einfalt des Herzens und Wan dels an, welche die höchste Vollkommenheit eines tu gendhaften Characters ausmacht. Hutcheson wurde durch alle diese Vorzüge, durch seine grosse Gelehrsamkeit, und durch das glückliche Ta
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Vorrede. 27 lent, ohne Mühe, und doch richtig und gründlich zu sprechen, zu dem vortreflichsten Lehrer, den unsre Zeiten je mals gesehn haben. Er besas eine natürliche und ein nehmende Beredsamkeit. Er sahe wirklich mehr auf den Verstand als auf den Ausdruck, und doch war sein Aus druck gut. Er war in der nachdrücklichen und genauen Sprache, die zu philosophischen Untersuchungen so unent behrlich ist, ein Meister. Aber er hielte es weder in sei nen Vorlesungen, noch in seinen Schriften über Gegen stände der Religion und Sittenlehre, für seine Pflicht, ohne Ausnahme ein unterrichtender Lehrer zu seyn, der für nichts, als die erforderliche Kürze und Genauigkeit in richtigen Erklärungen und bündigen Schlüssen, zu sorgen hätte. Er glaubte die Pflichten seines Amts eben so vollkommen zu erfüllen, wenn er bey moralischen Be trachtungen, die das Herz rühren können, sich länger verweilte, und die Liebe zur Tugend erregte, als wenn er den wichtigsten Lehrsatz mit der grösten philosophischen Genauigkeit vortrüge und erläuterte. Er sahe die Bil dung des Herzens als den vornehmsten Endzweck aller moralischen Unterweisung an. Er machte dieselbe be ständig zu seinem Augenmerk, und er besas alle Eigen schaften, darinnen glücklich zu seyn, so weit es durch menschliche Mittel möglich ist. Er dachte und empfand mit einer so ausserordentlichen Lebhaftigkeit, daß er bey den grossen Gegenständen der Sittenlehre und Religion in die höchste Entzückung gerieth. Dieses gab seinem Vortrage eine angenehme Gestalt, welche die Aufmerk samkeit der Zuhörer unterhielt, und zu gleicher Zeit den stärksten Eindruck in ihren Seelen zurücklies. Er er füllte ihre Herzen mit einem neuen und höhern Vergnü gen, als sie jemals zuvor empfunden hatten, wenn er mit
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28 Vorrrede. seiner einnehmenden Art, ihnen eine Aussicht in weite Gefilde der Erkäntnisse, wovon sie vorhin gar keine Be griffe gehabt hatten, eröfnete. Wenn er, zum Exempel, seinen Zuhörern, bey der Vorlesung über die natürliche Theologie, in dem Bau eines jeden einzelnen Dinges un zähliche Beweise einer bewundernswürdigen Kunst und einer liebreichen Absicht entdeckte, und hernach die er staunlichern Beweise der weisesten Allmacht und der gü tigsten Sorgfalt in dem allgemeinen Ganzen, als ein Ding betrachtet, ihnen vor Augen legte: so ist leicht zu begreifen, daß dieses auf ihre zarten Gemüther, die von der Liebe zur Wissenschaft voll waren, einen tiefen Ein druck machen muste. Solche Betrachtungen der Natur waren ihnen neue Entdeckungen, welche sie mit Vergnü gen und Erstaunen erfüllten, und ihnen zugleich die an genehmste und stärkste Ueberzeugung von dem Daseyn und den Vollkommenheiten des grossen Urhebers der Welt ver schaften. Wenn er sie von der Betrachtung der äusserli chen Welt, zu dem Anschauen einer innerlichen, der menschlichen Seele, fortführte, und ihnen in der morali schen Beschaffenheit derselben ebenfalls die Spuren der göttlichen Weisheit und Gütigkeit zeigte: so wurden sie von neuem Vergnügen und Erstaunen durchdrungen, und empfiengen neue und überzeugendere Proben von den herrlichen Eigenschaften des Vaters unserer Geister. Und wenn er die verschiedenen Tugenden als schön an sich selbst, als die edelste Anwendung unserer ver nünftigen und moralischen Kräfte, und als die einzige Quelle der wahren Würde und Glückseligkeit einzelner Personen und ganzer Gesellschaften schilderte: so wurden sie von diesem liebenswürdigen Gemählde bezaubert, und fühlten ein inniges Verlangen, das zu seyn, was sie
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Vorrede. 29 sahen. Das Vergnügen, welches aus dem anbrechen den Licht der Wahrheit und der Schönheit der Tugend in fähigen und gutgearteten Seelen entspringt, erregt eine so heftige Begierde zur Wissenschaft, und einen so grossen Eifer, sie zu erlangen, daß es auf einige Zeit die Em pörungen der jugendlichen Leidenschaften aufhält, welche stark genug sind, junge Leute in ihren besten Jahren hinzureissen. Damit man sich aber nicht einbilde, als ob diese mächtige Wirkungen blos den Reitzungen der Neuheit zuzuschreiben wären: so ist noch zu erwäh nen, daß einige von seinen Zuhörern, die schon Jahre und Wissenschaft hatten, seine Vorlesungen über die phi losophische Sittenlehre, vier, fünf, auch sechs Jahr hin ter einander besuchten, und immer neue Unterhaltung fan den, obgleich der Hauptgegenstand, jedes Jahr, allemal derselbe war. Seine Vorlesungen wurden dadurch noch nützli cher, daß sie sich nicht auf tiefsinnige Betrachtungen und auf ein besonderes Lehrgebäude einschränkten, sondern sich gemeiniglich bis auf das gemeine Leben erstreckten. Er entdeckte zuweilen die gewöhnlichen Thorheiten und La ster des vornehmsten Theils der Welt, die Abweichungen von Recht und Billigkeit in dem geschäftigen Theil dessel ben, und die gefährlichen Klippen, an welchen die Ju gend scheitern, und Tugend und Glückseligkeit verlieren kan. Zu andern Zeiten blieb er bey Materien stehen, de ren Wichtigkeit von jedermann eingesehen werden konte. Die grosse Grundregel, auf welcher er bestand, und die er dem Herzen seiner Zuhörer einzuprägen suchte, war, sich über alle Dinge zu freuen, in der festen Ueberzeu gung, daß es eine allgemeine Vorsehung eines unendlich
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30 Vorrede. weisen und gütigen Wesens gebe, welches alle seine Werke liebt, und von welchem sich nicht denken lässt, daß es et was, das es gemacht hat, hassen könne. Er pflegte die ses unaufhörlich, auf das nachdrücklichste, einzuschärfen, „als den festen Grund eines gänzlichen Vertrauens auf Gott, und einer ehrerbietigen Unterwerfung unter seinen Willen, bey allen Vorfallenheiten. Man müsse die Lei den als unsere grösten Wohlthaten ansehen, weil sie uns nicht nur Gelegenheit verschaffen, die erhabensten Tu genden, als die Ergebung in den Willen Gottes, die Verzeihung der Beleidigungen, die Vergeltung des Bö sen mit Guten, auszuüben; sondern uns auch den Weg zeigen, zu richtigen Begriffen von der Eitelkeit aller Dinge, ausser der Liebe zu Gott, und der allgemeinen Menschenliebe, zu gelangen: alles, was wir haben, müsse nicht uns selbst, sondern Gott, welcher alles giebt, zugeschrieben werden: Liebe und Dankbarkeit, welche Gott den Ruhm, daß alles, was vortreflich ist, von ihm herkomme, nicht verweigert; und ein unaufhörlicher Ei fer, Gutes zu thun, schienen ihm die höchste menschliche Vollkommenheit auszumachen.“ Er drückte sich über diese grossen Grundsätze, mit der leichten und einnehmen den Art aus, welche unmittelbar das Herz rührt, und der Einbildungskraft die schönsten und reizungsvoll sten Bilder vorstellt. Da er alle Jahre Gelegenheit hatte, in seinen Vor lesungen den Ursprung der Regierung zu erklären, und die verschiedenen Arten derselben gegen einander zu halten: so lies er sich besonders angelegen seyn, die wichtigen Vortheile, welche die Freyheit im Staat und in der Re ligion der menschlichen Glückseligkeit bringt, einzuschär
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Vorrede. 31 fen. Da die Liebe zur Freyheit und der Eifer, sie zu be fördern, seine eigentliche Grundsätze waren: so pflegte er sich bey denselben allemal sehr weitläuftig, mit Anführung der bündigsten Beweise, und mit dem ernstlichsten Vorsatz der Ueberzeugung aufzuhalten; und er war so glücklich, daß wenige seiner Zuhörer, mit was für Vorurtheilen fie<sie> auch zu ihm gekommen waren, ihn ohne die vortheilhaf testen Begriffe von den Meinungen, die er in diesem wich tigen Puncte annahm und vertheidigte, verliessen. Ausser seinen beständigen Vorlesungen, welche er über die natürliche Religion, die Sittenlehre, die Rechts gelehrsamkeit und Staatskunst, wöchentlich fünf Tage hielt, beschäftigte ihn noch eine andere, drey Tage wö chentlich, worinnen er die besten griechischen und lateini schen Schriftsteller des Alterthums, über die Sittenlehre, auslegte, und sowohl die Sprache, als die Grundsätze derselben, auf die geschickteste Art erklärte. Ausser diesen Vorlesungen hielte er allemal des Sontags Abends noch eine über die Wahrheit und Vor treflichkeit der christlichen Religion, worinnen er alle Beweise von der Wahrheit und den wichtigen Vortheilen derselben deutlich und genau anführte, und den Zusammenhang ihrer göttlichen Lehren aus den ursprünglichen Zeugnis sen des neuen Testaments selbst, und nicht aus den par teyischen und scholastischen Lehrgebäuden der neuern Zei ten vortrug. In dieser Vorlesung hatte er die meisten Zuhörer, weil die Studirenden aus allen Ordnungen die sen Tag von ihren besondern Beschäftigungen frey waren, und derselben desto lieber beywohnten, je mehr sie über zeugt waren, daß sie Vergnügen und Unterricht fin den würden.
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32 Vorrede. Ein Lehrer, der solche Gaben hatte, und einen sol chen Eifer bezeigte, die Pflichten seines Amts zu beobach ten, der alle Vorzüge eines redlichen Mannes besas, der für die wohlgeartete Jugend so eingenommen war, der sich aller ihrer Angelegenheiten annahm, und bey allen Vorfallenheiten ihnen Gefälligkeiten erwies; ein solcher Lehrer muste nothwendig ihre gröste Hochachtung und Zuneigung gewinnen. Dieses setzte ihn bey denselben in ein grosses Ansehen, welches er blos zu der vortreflichen Absicht anwendete, tugendhafte Eindrücke in ihre Herzen zu prägen, und ihnen eine Neigung zur Gelehrsam keit, zu schönen Künsten, und zu allem, was im mensch lichen Leben anständig und nützlich ist, beyzubringen. Er hatte das besondre Glück, daß er die Liebe zur alten Literatur, besonders zum Griechischen, wieder erweckte, welches, vor seiner Zeit, auf der Universität sehr verab säumt worden war. Jedermann, der um ihn war, er hielt von ihm eine solche Liebe zur Wissenschaft und eine solche Begierde zu forschen, daß die Studirenden, auch bey ihren Spatziergängen und Besuchen, sich mit vielem Scharfsinn über gelehrte Sachen unterhielten, und da durch immer begieriger wurden, ihren Fleis auf die wich tigsten Sachen zu wenden. Er nahm sich nicht nur der jenigen Studirenden an, die seiner Aufsicht unmittelbar anvertrauet waren; sondern er bemühete sich auch, den übrigen in allen Facultäten, so oft sich Gelegenheit fand, nützlich zu seyn. Besonders suchte er denjenigen, welche sich der Gottesgelahrheit widmeten, Dienste zu leisten, und unter andern wichtigen Unterweisungen, ihnen richtige Begriffe von dem vornehmsten Gegenstand der geistlichen Redekunst beyzubringen. Tiefsinnige Betrachtungen über streitige Fragen sowohl aus der Theologie, als aus
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Vorrede. 33 der Philosophie, schienen ihm, wenigstens bey den or dentlichen Gelegenheiten, keine Materien zu seyn, die sich für die Kanzel schickten. Er hielt besonders dafür, daß man keinen Nutzen zu hoffen hätte, wenn man auf der Kanzel die dahin nicht gehörigen speculativischen Fragen abhandeln wollte, z. E. ob die menschliche Natur unei gennütziger Neigungen fähig sey? ob der Ursprung der Pflicht oder der sittlichen Verbindlichkeit aus dem natür lichen Bewustseyn, oder aus dem moralischen Gefühl; aus dem Gesetz, oder aus der vernünftigen Betrachtung des Eigennutzes, herzuleiten sey? und andre solche Unter suchungen. Ob gleich solche Fragen in der Schule der Weltweisheit* untersucht werden können und müssen; so gehörten sie doch, seiner Meinung nach, nicht in das Gebiet des Predigers, dessen Amt nicht ist, die Grund triebe der menschlichen Seele zu erklären, sondern sich an dieselben zu wenden, und sie in Bewegung zu setzen. 3
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34 Vorrede. Was überdieses die philosophischen Fragen wegen der sittli chen Verbindlichkeit anbetrift: so kommen die verschiedenen Arten sie zu erklären, darinnen vollkommen überein, daß sie die Ausübung tugendhafter Handlungen nothwendig machen, welche eben der vornehmste Gegenstand ist, womit der hei lige Redner sich beschäftigen soll. Der allgemeine Plan zu predigen, welchen er anpries, bestand in folgenden: Da die Menschen kraftlose, unwissende, schuldige Geschöpfe sind, die ihre eigene Glückseligkeit nicht befördern kön nen, und jeden Augenblick unvermeidlichen Uebeln aus gesetzt sind: so müssen sie aufgefordert werden, sich für solche zu erkennen, und die Lehren der natürlichen und ge offenbarten Religion, welche für diejenigen Trost enthalten, die sich in dieser demüthigenden Gestalt sehen, müssen denselben in das höchste Licht gesetzet werden. Da sie der Gefahr unterworfen sind, durch eigennützige und sinnliche Leidenschaften, von ihrer Pflicht und Glückse
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Vorrede. 35 ligkeit hinweggelockt zu werden: so sind ihnen die schreck lichen Lehren der Religion, welche sie in Furcht setzen und ihren unordentlichen Leidenschaften Einhalt thun können; und hingegen angenehmere, welche sie zur Ausübung rei ner Sitten, und zur Rechtschaffenheit und Menschenliebe ermuntern können; in ihrer ganzen Stärke vor Augen zu legen. Und da sie geneigt sind, bey der allgemeinen Er käntnis ihrer Pflichten stehen zu bleiben, ohne dieselbe zu der Einrichtung ihrer Herzen und ihres Lebens anzuwen den; so mus der heilige Lehrer sich nicht zu sehr bey allge meinen Sätzen, dergleichen die Schönheit, Vortreflich keit und Billigkeit der göttlichen Gesetze sind, aufhalten, sondern sich besonders bemühen, sie zu unterrichten, wie sie sich in allen Verfassungen und Ständen des Lebens, selbst bey den geringsten und gewöhnlichsten Geschäften desselben, zu verhalten haben. Alles dieses mus, ohne einen mühsamen Schwung des Ausdrucks, auf die deut liche und ungekünstelte Art vorgetragen werden, welche das Herz rührt, und in das Gewissen und in das unmit telbare Gefühl eines jeden eindringt. Zu allem diesen ist noch hinzuzufügen, daß er auch ausserhalb seines Lehramts, in allen andern Betrachtungen, ein brauchbares Mitglied der Universität war, weil seine grossen Talente und sein unermüdeter Eifer ihn geschickt und willig machten, die bürgerlichen Vortheile derselben eben so sehr, als die Gelehrsamkeit, zu befördern. So war das Leben dieses würdigen Mannes, welches er in einem unaufhörlichen, aber ihm nicht beschwerlichen Fleisse, in der beständigen Bemühung, nach allen seinen Kräf ten Gutes zu thun, und Wahrheit, Tugend und Religion un ter den Menschen auszubreiten, zugebracht hat. Kurz, er be sas ungemeine Vorzüge und ungemeine Tugenden, und hatte
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36 Vorrede. nur geringe Fehler, die von seinen guten Eigenschaften her rühreten. Wenn er zuweilen sich zusehr erhitzte: so war die ses seinem lebhaften Geist und seinem feinen Gefühl zuzu schreiben. Wenn sein Unwillen heftig war: so war er blos durch die Niederträchtigkeit und Bosheit, die sein Herz so sehr verabscheuete, erregt worden. War er zu einer Zeit offenher zig, da es besser gewesen wäre, zurückhaltend zu seyn: so war sein redliches und aufrichtiges Herz daran schuld, das keiner Verstellung fähig war. Einigen misfiel seine edle Freymü thigkeit, andere waren auf seinen Ruhm eifersüchtig; ei nige verläumdeten ihn aus Vorurtheil, andere aus Heuche ley; aber sein Verstand, sein Geist und seine Verdienste wer den noch erhoben werden, wenn die Urtheile, die man zu sei nem Nachtheil fällte, längst vergessen sind. Eine gute Leibesbeschaffenheit, und eine beständige Ge sundheit, die, ausser einigen schwachen Anfällen vom Poda gra, niemals, als einige Monate vor seinem Tode, unterbro chen worden war, schienen der Welt noch länger den Genus eines so schätzbaren Lebens zu versprechen. Aber es gefiel der allweisen Vorsicht, ihn, nachdem er sich wenig Monate nicht wohl befunden, und einige Tage das Fieber gehabt hatte, in dem drey und funfzigsten Jahre seines Alters, und im scchs<sechs> zehnten seines Aufenthalts in Glasgow, abzufordern. Er wurde von allen Freunden der Gelehrsamkeit und Tugend, be klagt, und sein Tod war für die Gesellschaft, von welcher er ein so vortrefliches Mitglied gewesen war, für alle seine Anver wandten und Freunde, ein unwiederbringlicher Verlust. Er hatte sich, bald nach seiner Niederlassung in Dublin, mit Maria Wilson, einer Tochter Franz Wilsons, Esq; ver heirathet, welcher in der Grafschaft Langford Güter besas, und sich als Hauptmann in dem Dienst des Königs William, un sterblichen Andenkens, bey den damaligen Staatsveränderun
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Vorrede. 37 gen hervorgethan hatte. Er zeigte bey seiner Verbindung die Uneigennützigkeit und Grosmuth, die alle andere Handlun gen seines Lebens begleitete. Er hatte einen Abscheu vor dem Gebrauch die Heirath für eine Art von Kauf und Verkauf an zusehen. Er wurde blos durch den guten Verstand, die liebens würdigen Eigenschaften und vollkommenen Tugenden seiner Gattin gerührt; und die ununterbrochne Glückseligkeit ih res Ehestandes rechtfertigte seine weise und tugendhafte Wahl. Er hat einen Sohn, Franz Hutcheson, Doctor der Arzney kunst, hinterlassen, welcher frühe Proben seines fähigen Gei stes abgeleget hat, und der Herausgeber dieses Werks ist. Wenn jemand wünschen sollte, etwas von Hutchesons äusser licher Gestalt zu wissen: so darf man nur sagen, daß sie ein Bild seiner Seele war. Eine mittlere Länge, ein ungezwun genes und freyes, aber anständiges und männliches Betra gen, gab ihm ein edles Ansehen. Seine Gesichtsfarbe war schön und roth, und seine Züge waren regelmäsig. Seine Mi ne und sein Blick verriethen Verstand, Geist und ein gütiges und heiteres Herz. Man wurde von seiner ganzen Person, gleich beym ersten Anblick, zu seinem Vortheil eingenommen. Es ist noch zu gedenken, daß man bey allem, was von der Philosophie des Verfassers, gesagt worden ist, blos die Absicht gehabt hat, die Meinungen desselben vorzutragen, und daß der Verfertiger dieses Lebens, seine eigenen Gedanken dabey ganz bey Seite gesetzt hat. Der Verfasser war ein Freund der Wahrheit und der Freyheit zu denken, und er ver langte nicht, daß jemand seine Meinungen annehmen sollte, wenn er sich nicht überzeugt sähe, daß sie auf sichern Gründen ruheten. Die Absicht, die Gottesfurcht, die Tugend und das Beste der Menschen zu befördern, ist in dem ganzen Werke so offenbar, daß man hoffen darf, der gröste Theil desselben wer de den Beyfall aller unpartheyischer und gutgesinnter Leser er
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38 Vorrede. halten, so sehr auch der Verfertiger dieser Nachrichten, oder andre Leute, in besondern Meinungen, oder in der Entschei dung besondrer Fragen, von dem Verfasser abgehen möchten. Einige gütige Richter werden, und vielleicht nicht ohne Grund, den Ausspruch thun, daß von dem Character Hutche sons, als Schriftsteller betrachtet, viel zu wenig gesagt wor den. Sie werden sagen, „man habe von ihm nur erwähnt, daß er die menschliche Seele, als ein moralisches Ganzes, untersuchet, und darinnen eine Reihe von Neigungen, wel che sich alle auf das Beste anderer, als den letzten Endzweck, beziehen, und ein moralisches Gefühl, welches uns gewisse Neigungen und Handlungen für gut, und die entgegenge setzten für böse erkennen lässt, wahrgenommen habe. Dieses alles aber habe er mit allen Philosophen gemein, die mit ihm uneigennützige Neigungen in der menschlichen Na tur zugeben. Er verdiene hingegen, in Ansehung der mei sten und vornehmsten Artikel, die sich auf die Känt nis der menschlichen Natur und der Sittlichkeit beziehen, der Welt als ein Original vorgestellt zu werden. Denn obgleich alle Anhänger der grosmüthigen Philosophie, in unsrer Natur gewisse Neigungen annehmen, welche die Glückseligkeit anderer zum letzten Gegenstand ha ben: so wird und mus doch alsdenn, wenn die handelnde Person sich nach den wichtigsten Regeln des menschlichen Verhaltens umsieht, und die Fragen aufwirft: warum soll ich dieses gegenwärtige Verlangen befriedigen? oder warum soll ich mich ihm, zum Vortheil eines andern, widerse tzen? von Hutcheson eine ganz andre Antwort erfolgen, als die übrigen Philosophen bisher gegeben haben. Nach diesen letztern ist die handelnde Person der Betrachtung ihrer per sönlichen Glückseligkeit, welche aus der Herrschaft der tu gendhaften Neigungen entspringt, überlassen, und durch die
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Vorrede. 39 selbe wird ihre Wahl bestimmt; denn diese Philosophen neh men für ausgemacht an, daß das ruhige und überlegte Be streben der handelnden Person, nur einen letzten Zweck ha ben könne, nämlich ihren eigenen höchsten Vortheil, oder ih re persönliche Glückseligkeit. Hutchesons Lehre ist von ei nem ganz andern Inhalt. Vermöge derselben giebt es drey ruhige Bestimmungsgründe in unserer Natur, nämlich, das ruhige Verlangen nach unserer eigenen Glückseligkeit; das ruhige Verlangen nach der Glückseligkeit anderer Wesen, und das ruhige Verlangen nach der sittlichen Vollkommen heit. Jeder von diesen Bestimmungsgründen ist als ein letzter Zweck anzusehen. Zwischen dem zweyten und dritten kan schwerlich ein Widerspruch entstehen; aber zwischen dem ersten und den übrigen beyden kan oft, wenig stens ein scheinbarer Streit, vorfallen, und in allen diesen Fällen ist es so fern, daß unsere Natur darauf eingerichtet seyn sollte, dem Verlangen nach unsrer eignen Glückseligkeit, zum Nachtheil der andern Bewegungsgründe, nachzugeben, daß vielmehr das moralische Gefühl allemal der handelnden Person gebietet, einem jeden von den letzten Bestimmungs gründen den erstern willig aufzuopfern. Alles dieses sind Sachen, welche auf die Erfahrung ankommen, und ein je der mus hiervon, nach sich selbst, urtheilen. Nichts ist so sehr streitig, als ob das Verlangen nach der sittlichen Vollkom menheit, oder das Verlangen nach der eignen Glückseligkeit für den höchsten Bestimmungsgrund angesehen werden müsse, der mit der gegenwärtigen Beschaffenheit unsrer Na tur übereinkommt. Vor unserm Verfasser ist niemals ein Philosoph darauf gefallen, eine solche Vorstellung von un srer Natur zu machen, daß der Trieb nach der sittlichen Vor treflichkeit dafür angesehen werden müsse. Die Natur hat die Eintracht zwischen den letztern beyden der drey höchsten“
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40 Vorrede. „Bestimmuugsgründe<Bestimmungsgründe> der menschlichen Seele gestiftet; aber die Religion allein kan, nach unserm Verfasser, alle drey in eine unveränderliche Harmonie bringen, und alle Mishel ligkeit unter ihnen verhüten. Man mus gestehen, daß Hutcheson diese Lehre vollstän diger und gründlicher vorgetragen hat, als irgend einer von den alten und neuen Weltweisen. Aber, daß keiner von ihnen jemals darauf gefallen sey, kan ohne eine weitläuftige und sehr genaue Prüfung ihrer Werke nicht mit Gewisheit be hauptet werden, ungeachtet es vielleicht wahr seyn kan. Unser Verfasser hat niemals auf den Ruhm neuer Entdeckungen Anspruch gemacht, sondern ihn vielmehr verbeten. Man kan dieses seiner ungemeinen Bescheidenheit zuschreiben; und viel leicht rührt es von eben dieser liebenswürdigen Tugend her, daß er die Sittenlehre mehr in der schlechten Gestalt bloser Er fahrungen, als in der prächtigen Tracht einer tiefsinnigen Wissenschaft ansahe; und daß er sich mehr bemühete, seine Leh ren in den vornehmsten Stücken mit den Grundsätzen andrer guter Moralisten in Verwandschaft zu bringen, als sie von denselben zu trennen. Seine Absicht war also, zu zeigen, daß wenn man die grosmüthigen Neigungen und das morali sche Gefühl zugleich in der menschlichen Natur annimmt, die Lehre von der ewigen Uebereinstimmung und Mishelligkeit der Dinge und von der Unveränderlichkeit der moralischen Wahrheiten, richtig und gründlich wird. Aber es ist Zeit, dem Leser die Durchlesung des Werks und die Beurtheilung der Lehren des Verfassers, zu überlassen, welche er bey einer ge nauen Prüfung sehr wohl gegründet finden wird. Auf der Universität zu Glasgow, den 24 December 1754.
W. Leechmann , Doctor und Professor der Gottesgelahrheit.
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Sittenlehre der Vernunft. Das erste Buch, Von der Beschaffenheit der menschli chen Natur und dem höch sten Gute. ------------------------------

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Der erste Abschnitt, Von der Beschaffenheit der menschlichen Natur, und ihren Kräften, vornehmlich von dem Verstande, dem Willen und den Leidenschaften.

I.Die Absicht der philosophischen Sittenlehre(Was die philosophi sche Sitten lehre sey.) ist, die Menschen zur Ausübung derjenigen Handlungen zu gewöhnen, welche ihre gröste Glück seligkeit und Vollkommenheit am sichersten beför dern können; in so weit dieses durch Wahrnehmun gen und Folgerungen, die aus der Beschaffenheit der Natur hergeleitet werden, ohne Hülfe einer über natürlichen Offenbarung geschehen kan. Diese Grundregeln, oder Vorschriften des Verhaltens werden dahero für Gesetze der Natur angesehen, und das System oder die Sammlung derselben wird das Gesetz der Natur genennet. Die menschliche Glückseligkeit, welche der(Die Känt nis der menschlichen Kräfte ist darinnen nöthig.) Endzweck dieser Wissenschaft ist, kan nicht deut lich eingesehen werden, wenn man sich nicht zuvor mit der Beschaffenheit der menschlichen Natur, und allen ihren empfindenden und handelnden Kräften,
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(Erstes Buch.) 42 Von der Beschaffenheit und mit den natürlichen Gegenständen derselben be kant gemacht hat. Denn die Glückseligkeit ist derjenige Zustand der Seele, worein sie durch ihre verschiedenen angenehmen Empfindungen oder Veränderungen versetzt wird. Man verfährt also in dieser Wissenschaft am natürlichsten, wenn man die verschiedenen empfindenden und handelnden Kräfte oder Fähigkeiten der Menschen nebst den verschiedenen natürlichen Bestimmungen derselben, und den Gegenständen, von welchen ihre Glückse ligkeit entsteht, zuförderst untersucht; alsdenn aber die verschiedenen Vergnügungen, deren sie fähig sind, mit einander vergleicht, damit wir entdecken können, worinnen die höchste Glückseligkeit und Vollkommenheit bestehe, und wie das ganze Ver halten beschaffen seyn müsse, durch welches dieselbe erlangt werden kan. Bey dieser Untersuchung darf man dasjenige, was zwar, zur Natur unsers Körpers oder unsrer Seele, gehört, aber in der Sittenlehre keinen grossen Nutzen schaft, nur kurz berühren. Wir werden unnöthige Streitigkeiten vermeiden, und wegen desjenigen, was andre Schriftsteller bereits gut er klärt haben, uns auf sie beziehen. Wir werden dahero viel sinnreiche anatomische Betrachtungen über die Vorzüge, welche der menschliche Körper vor dem Körper andrer beseelter Geschöpfe hat, übergehen. Der Leser wird dieselben bey anato mischen Schriftstellern, und beym Docter Cum berland finden.
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 43(Erster Abschnitt.) II. Wenn ihr den Menschen, von seiner Ge burt an, betrachtet: so seht ihr ein Geschöpf, das(Schwach beiten<Schwachheiten> der Menschen von ihrer Kindheit an.) schwächer, und weniger, als alle andere, fähig ist, ohne Hülfe eines Erwachsenen, sich zu erhalten; und das auch länger, als alle andre, in diesem Stande des Unvermögens bleibt. Alle andre be seelte Geschöpfe gelangen schon in wenigen Mona ten zu ihrer vollen Lebhaftigkeit, und zu dem voll kommenen Gebrauch ihrer Kräfte; wenige haben mehr, als vier oder fünf Jahre, zu ihrer völligen Reife nöthig. Zehen bis zwölf Jahre brauchen die Menschen, ehe sie sich durch ihre eigene Kunst und Arbeit erhalten können, selbst in den gesitte testen Gesellschaften, und in den Weltgegenden, de ren Bewohner sich von der Aehnlichkeit mit den wil den Thieren am weitesten entfernt haben. Andere beseelte Geschöpfe kommen bekleidet und bewafnet aus der Hand der Natur; sie haben alles, was zu ihrer Vertheidigung und Erhaltung gehört, ohne daß ihres gleichen nöthig hätten, sich darum im mindesten zu bemühen. Die unbebauete Erde giebt ihnen ihre Nahrung; Wälder und Felsen dienen ihnen zu Wohnungen. Die Menschen sind unbe kleidet und unbewafnet. Jhre zuträglichste und angenehmste Nahrung ist seltner, und erfordert Mühe und Arbeit. Jhre Körper sind nicht im Stande, den Unbequemlichkeiten der Witterung zu widerstehen, wenn nicht für ihre Kleider und Wohnungen mühsam gesorgt wird. In ihren zar ten Jahren hängt also ihre Erhaltung von der Sorgfalt der Erwachsenen ab; und ihr ganzes Le ben würde elend seyn, wenn sie sich in Wüsteneyen
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(Erstes Buch.) 44 Von der Beschaffenheit befänden, und des Beystands ihrer Mitbrüder sich beraubt sähen. (Die Ab sichten der selben.) Man mus dieses für keine unbillige Grau samkeit des Urhebers der Natur gegen die Men schen ansehen. Wir werden bald das Gegenmittel wider diese langwierige Schwachheit unsrer jün gern Jahre in der zärtlichen Zuneigung der Aeltern zubereitet finden; wir werden die Endursachen der selben in den verschiedenen Verbesserungen wahr nehmen, deren wir fähig sind. Die Mittel unse rer Erhaltung erfordern viel Mühe und Geschick lichkeit: wir sind verschiedener edler Vergnügungen fähig, die andern beseelten Geschöpfen unbekant sind, und in den nützlichen und angenehmen Kün sten ihren Grund haben, welche wir, ohne eine lange Erziehung, ohne vielen Unterricht, und ohne die Nachahmung anderer, nicht erlernen können. Wie viel Zeit haben wir nöthig, unsre Mutter sprache zu lernen? Wie viel Geschicklichkeit wird selbst zu den gemeinsten Künsten des Ackerbaues, oder anderer zur Wirthschaft gehörigen Verrichtun gen, erfordert? Ein Körper, mit voller Stär ke ausgerüstet, ohne eine Seele, die weder Künste noch Wissenschaften, noch gemeinnützige Fähigkeiten besässe, würde uns unbändig und un biegsam machen. Wir würden unsern Aeltern und Lehrmeistern eine Last seyn. Da wir also nö thig haben, unterwürfig zu bleiben: so haben wir nicht so zeitig die Kräfte haben sollen, uns von die sem nothwendigen und liebreichen Joche losmachen zu können.
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 45(Erster Abschnitt.) III. Die natürlichen Triebfedern, welche sich zuerst entdecken, sind unsre äusserlichen Sinne,(Kräfte, welche sich zuerst äus sern.) nebst einigen geringen Kräften, uns selbst zu bewe gen, einer Begierde nach Nahrung, und einem an gebohrnen Trieb, sie zu uns zunehmen. Alle diese Kräfte äussern sich für uns auf eine zu dunkle Art, als daß wir sie vollkommen verstehen könten: noch viel weniger wissen die Thiere, daß sie von ihnen zu den Brüsten ihrer Mütter geführt werden, oder daß eine besondere Bewegung der Luft nöthig ist, wenn sie säugen wollen. Wir handeln anfänglich alle auf gleiche Art nach angebohrnen Trieben, die uns eine höhere Hand weislich eingepflanzt hat. Unsre äusserlichen Sinne bringen bald Vor stellungen des Vergnügens oder des Schmerzens in unsre Seele: und mit diesen Vorstellungen entdeckt sich zugleich unmittelbar eine natürliche immerwäh rende Neigung, jenes zu wünschen, und diesen zu verabscheuen; nach allem zu trachten, was die Ur sache oder die Gelegenheit des Vergnügens seyn kan, und hingegen die Ursachen des Schmerzens sorgfältig zu vermeiden. Dieses sind wahrschein licher Weise unsre ersten Begriffe von natürlichem Guten und Uebel, von Glückseligkeit und Elend. Die äusserlichen Sinne sind diejenige Einrich(Der eigent liche Begrif der sinnli chen Empfin dung.) tung unserer Natur, vermittelst welcher alle mal gewisse Vorstellungen in der Seele ent stehen, so oft die Gliedmassen des Körpers ent weder gewisse Eindrücke empfangen, oder in gewisse Bewegungen gesetztwerden. Ei nige von diesen Vorstellungen erhalten wir blos durch
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(Erstes Buch.) 46 Von der Beschaffenheit einen Sinn, andre durch zween oder mehrere. Untern die erstern gehören diese fünf Arten, näm lich, Farben, Töne, Geschmack, Geruch, Kälte oder Hitze; einige scharfsinnige Schriftsteller zäh len ihrer mehr. Wir können diese die eigentlichen Begriffe der sinnlichen Empfindung nennen. Die Gelehrten sind darinnen einig, daß diese sinnlichen Empfindungen weder in Abbildungen oder Vorstellungen der äusserlichen Eigenschaften in den Gegenständen, noch in den Eindrücken oder Veränderungen, welche die Gliedmassen des Kör pers empfangen, bestehen. Sie sind entweder Zeichen, welche uns neue Vorfallenheiten in un serm Körper, wovon uns die Erfahrung und Beobachtung die Ursachen entdeckt, ankündigen; oder sie sind Merkmale, die der Urheber der Natur angegeben hat, uns zu unterrichten, welche Dinge nützlich und unschädlich, oder schädlich sind; oder sie sind Anzeigen der Dinge, welche wir aus serdem nicht unterscheiden würden, und die gleich wohl in unsern Zustand einen Einflus haben. Doch alle diese Merkmale oder Zeichen können zu der Abbildung dessen, was sich ausser uns befin det, eben so wenig beytragen, als der Knall eines Geschützes, oder die Entzündung des Pulvers das Unglück eines Schiffs abbildet. Die angenehmen sinnlichen Empfindungen des Geschmacks, Ge ruchs, und Gefühls, entstehen von unschädlichen oder nützlichen Gegenständen, wenn sie mit der ge hörigen Mässigung gebraucht werden: die unange nehmen oder schmerzhaften Empfindungen hinge
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der menschl. Natur und ihrer Kräften. 47(Erster Abschnitt) gen von solchen, welche schädlich sind, oder keinen Nutzen haben. Durch das Gesicht und Gehör scheint der Schmerz keinen unmittelbaren Zugang zu uns zu finden; kaum ist eine sichtbare Gestalt oder ein Ton eine unmittelbare Gelegenheit dazu; obgleich die gewaltsame Bewegung des Lichts oder der Luft, eine schmerzhafte Empfindung hervorbrin gen kan. Und doch empfängt die Seele das un schätzbare Vergnügen über Schönheit und Har monie, und die Begriffe von Grösse, Figur, Lage und Bewegung, durch Hülfe des Gesichts und Ge hörs. Nicht durch diese beyden letztern, sondern durch die ersten drey, wird in uns das Vergnügen hervorgebracht, das man sinnlich nennt. Die Begriffe, welche wir durch zween oder(Begleiten de Begriffe der sinnli chen Em pfindung.) mehrere Sinne erhalten, sind Dauer, Anzahl, Ausdehnung, Figur, Bewegung, Ruhe. Dauer und Anzahl haben in jeder Vorstellung oder Hand lung in der Seele statt, sie mag von den Glied massen des Körpers abhängen oder nicht. Die ein fachen Begriffe in dieser Classe, welche einige die begleitenden Begriffe der sinnlichen Empfindung nennen, sind nicht ohne Ausnahme entweder ange nehm oder schmerzhaft. Wir finden, an der Ver einigung verschiedener Arten von Figuren und Be wegungen, Vergnügen. In den Verhältnissen der Figur mit der Farbe, liegt Schönheit, und in den Verhältnissen der Zeit und der Töne, ist Harmonie. Die Verhältnisse der Zahlen und Figuren sind das Feld, auf welchem wir die Kräfte unsrer Vernunft am freyesten und uneingeschränktesten beschäftigen können. Hiervon hernachmals.
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(Erstes Buch.) 48 Von der Beschaffenheit IV. Es giebt eine andere natürliche Kraft der (Begriffe vom Be wustseyn und Nach denken.) Vorstellung, die zwar immer angewendet, aber nicht genug überdacht wird, eine innerliche Em pfindung, Wahrnehmung oder ein Bewustseyn al ler Handlungen, Leidenschaften und Veränderungen der Seele, wodurch ihre eigenen Vorstellungen, Urtheile, Schlüsse, Neigungen und Empfindungen, die Gegenstände ihrer Betrachtung werden können. Sie kennt sie, und weis ihre Benennungen; und also kennt sie auf eben die Art, wie sie Körper kennt, sich selbst, durch unmittelbar empfundene Eigenschaften, ungeachtet das Wesen beyder unbe kant ist. (Urtheile und Schlüsse) Diese beyden Vorstellungskräfte, die sinnli che Empfindung und das Bewustseyn, brin gen der Seele die Gegenstände ihrer Erkäntnis zu. Alle unsre ersten und unmittelbaren Begriffe ent springen aus einer von diesen zwo Quellen. Aber die Seele bleibt nicht bey der blossen Vorstellung der Dinge stehen. Sie vergleicht die erhaltenen Begriffe, unterscheidet ihre Beziehungen, bemerkt die Verändrungen, welche in den Gegenständen ih rer Betrachtung durch Handlungen, die wir selbst oder andere unternehmen, veranlasst werden; sie untersucht die Natur, die Verhältnisse, die Ursa chen und Wirkungen, die vorhergehenden und nach folgenden Umstände eines jeden Dinges, wenn sie nicht durch ungestüme Begierden daran verhindert wird. Diese Kräfte zu urtheilen und zu schliessen, sind bekanter, und von allen Philosophen besser untersucht worden, als irgend eine andre; dahero
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 49(Erster Abschnitt.) wir sie übergehen. Alle diese verschiedenen Kräfte der äusserlichen Empfindung, des Bewusstseyns, des Urtheilens und des Schliessens werden gemeinig lich die Wirkungen des Verstands genennt. V. Ob es gleich noch einige andere Arten(Die Wir kungen des Willens.) von feinern Empfindungen giebt, die den Men schen natürlich zu seyn scheinen: so haben doch ei nige davon die Wirkungen des Willens, die Nei gungen und Leidenschaften zum Gegenstand. Es ist dahero nöthig, den Willen und seine natürlichen Bestimmungen zuförderst ein wenig zu betrachten, ehe wir uns zu diesen feinern Erfindungen wenden. Es ist klar, daß, sobald als ein Begrif, ein Urtheil oder ein Schlus, uns einen Gegenstand oder eine Begebenheit als unmittelbar gut oder an genehm, oder als das Mittel eines künftigen Ver gnügens oder der Sicherheit vor dem Uebel, ent weder in Absicht auf uns selbst, oder auf eine Person, die uns lieb ist, vorstellt; daß als denn unmittelbar ei ne neue Bewegung der Seele entsteht, die von den Wirkungen des Verstandes unterschieden ist, näm lich ein Verlangen nach diesem Gegenstand oder dieser Begebenheit. Sobald wir aber wahrneh men oder dafür halten, daß ein Gegenstand oder eine Begebenheit die Gelegenheit zu Schmerz oder Elend, oder zu dem Verlust eines Gutes, sey; so bald entsteht die entgegengesetzte Bewegung, welche Abscheu genennt wird. In allen diesen Fäl len entstehen die ersten Bewegungen des Willens von Natur, ohne daß eine Wahl oder ein Ge heis vorhergeht, und sie sind die allgemeinen
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(Erstes Buch.) 50 Von der Beschaffenheit Quellen der Handlungen eines jeden vernünftigen Wesens. (Vier all gemeine Classen der Wirkungen des Willens.) Zu dem Willen werden genteiniglichgemeiniglich zwo an dre Gemüthsbewegungen gerechnet, welche, von un sern Vorstellungen der Gegenstände oder Bege benheiten, herrühren, in sofern sie, unserm Ver langen gemäs, erhalten, oder nicht erhalten wer ten; oder in sofern sie, unserm Abscheu ge mäs, entfernt und verhütet werden, oder nicht. Sie werden Freude und Traurigkeit genennet. Aber da dieselben die Seele nicht unmittelbar in Bewegung setzen: so scheinen sie eher neue Empfindungen der Seele, als Wirkungen des Willens zu seyn. Dem ungeachtet werden diese Worte oft ohne Unterschied gebraucht, wie es bey vielen andern Benennungen der Handlungen und Leidenschaften gewöhnlich ist. Wie man also durch Vergnügen oder Freude das Verlangen nach einer Begebenheit, die, wenn sie sich zuträgt, uns erfreuen wird, auszudrücken pflegt: also wird Traurigkeit an statt Furcht oder Abscheu ge braucht. Wir haben dahero die alte* Eintheilung der Bewegungen des Willens, in Verlangen, Ab 4
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 51(Erster Abschnitt) scheu, Freude und Traurigkeit angenommen. Wir können uns auch schwerlich einen Geist vorstellen, der nicht diese Veränderungen und Bewegungen des Willens auf eine oder andere Art hätte. Da die Gottheit alle Macht und alle Vollkommenheit besitzt: so mus sie freylich aller Bewegungen, die einen Schmerz einschliessen, unfähig seyn. Die Wirkungen des Willens können wie(Eigennü tzige und ge meinnützige Wirkungen des Willens) derum in zwo Classen getheilet werden. Einige sind auf die Erlangung des Guten und Abwendung des Gegentheils, in Absicht auf unsern eigenen Vortheil; einige aber sind auf die Erlangung des Guten in Absicht auf andere; und auf die Abwendung der Uebel, die ihnen drohen, ge richtet. Die erstern wollen wir eigennützig oder auf uns selbst gerichtet, die andern aber gemein nützig oder auf andere gerichtet, nennen. Man mag mit so tiefer Gründlichkeit, als man will, zu behaupten suchen, daß alle Bewegungen des Willens aus einer Quelle entspringen: so kan doch niemand läugnen, daß wir oft ein inneres wahres und unverstelltes Verlangen, nach der Wohlfart anderer, in sehr verschiedenen Graden, in uns wahrnehmen. VI. Es giebt zwo ruhige natürliche Bestim(Die zwo ruhigen Be stimmungen des Willens. Selbstliebe) mungen des Willens, welche bey dieser Gele genheit besonders betrachtet werden müssen. Erstlich ein unveränderlicher und immerwährender Trieb nach unserer eigenen höchsten Vollkommen heit und Glückseligkeit. Dieser natürliche Trieb wirkt in dem ganzen Geschlechte der Menschen. Da sie über ihre eigene Beschaffenheit und über ihre Kräfte, zu handeln und zu empfinden, nicht nach
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(Erstes Buch.) 52 Von der Beschaffenheit denken, noch darauf merken: so haben wenige die verschiedenen angenehmen Empfindungen, deren sie fähig sind, oder die verschiedenen Kräfte zu han deln, betrachtet und verglichen. Wer aber dieses thut, wird ein ruhiges Verlangen nach der Voll kommenheit aller unsrer thätigen Kräfte, und nach den höchsten angenehmen Empfindungen, welche, wie wir bey der Vergleichung finden, den wichtig sten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben, in uns wahrnehmen. Diejenigen, welche diese Betrach tungen und Vergleichungen nicht angestellt haben, tragen ein natürliches Verlangen nach solchen Ar ten von angenehmen Empfindungen, wovon sie durch ihre Sinne oder höhere geübte Kräfte einige Begriffe erlangt haben, in sofern dieselben neben einander bestehen, oder zu bestehen scheinen; und begehren die Vollkommenheit solcher Kräfte, die ihre Erwartung erfüllen können. Wenn diese Empfin dungen einander zuwider zu seyn scheinen: so wird die Seele, wenn sie ruhig ist, vor allen andern die jenigen verlangen, welche den wichtigsten Einflus auf ihre Glückseligkeit zu haben scheinen. So weit sind alle einig. (Liebe ge gen andre.) Die andre erwähnte Bestimmung des Wil lens ist auf die allgemeine Glückseligkeit anderer ge richtet. Wenn die Seele ruhig ist, und die Be schaffenheit und Kräfte anderer Wesen, ihre na türlichen Handlungen und Fähigkeiten, glückselig oder elend zu seyn, betrachtet; wenn die eigennü tzigen Triebe, Leidenschaften und Begierden ent schlummert sind: so äussert sich ein ruhiger Trieb der Seele, die grösste Glückseligkeit und Vollkom
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 53(Erster Abschnitt.) menheit der ganzen ihr bekanten Welt zu verlan gen. Unser innerliches Bewustseyn ist ein unver werflicher Zeuge, daß ein solcher Trieb, eine solche Bestimmung der Seele in uns ohne alle Bezie hung auf eine Art unsrer eignen Glückseligkeit wirkt. Aber hier findet sich wiederum, daß, weil wenige das ganze System der den Menschen be kanten Wesen untersucht haben, diese Bestimmung des Willens sich nicht immer, und nicht in ihrem ganzen Umfange, äussert; sondern wir finden nur ein natürliches Verlangen nach der Glückseligkeit einer solchen einzelnen Person, solcher Gesellschaften, und solcher Systemen, wider welche bey einer ruhi gen Betrachtung, weder ein Vorurtheil, noch die Vermuthung streitet, daß ihre Glückseligkeit der unsrigen auf einige Art entgegen sey. Da der Begrif unsrer eignen höchsten Glück seligkeit, oder die grösste Summe angenehmer Em pfindungen, nicht bey allen Menschen insgesamt an zutreffen ist: so ist dieselbe auch nicht ihr aus drücklicher Wunsch oder Endzweck. Wir können dahero nicht sagen, daß jedes besonderes ruhiges Verlangen nach eigenem Vortheil die Erreichung dieser Summe zur eigentlichen Absicht habe, und daß nach dem Gegenstand dieses Verlangens, un ter dem Begrif eines nothwendigen Theils dieser Summe, getrachtet werde. Die Menschen ver langen von Natur, selbst bey ruhigen Bewegun gen der Seele, nur nach solchen Gegenständen, welche Nutzen bringen, oder die Vermittler ange nehmer Empfindungen sind, als nach Reichthum, Gewalt, Ehre; ohne daß sie dabey die Gedanke
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(Erstes Buch.) 54 Von der Beschaffenheit haben, dieselben zu einem Theil der grössten Sum me zu machen. Auf gleiche Art haben wir ruhige Neigungen des Wohlwollens gegen einzelne Perso nen, oder kleinere Gesellschaften unsrer Mitbrüder, wobey keine Betrachtung des ganzen grossen Systems vorhergegangen ist, und wobey diese Personen und Gesellschaften nicht als Theile dieses grossen Systems angesehen, noch ihre Glückselig keit, als ein Theil der grössten Summe der allge meinen Glückseligkeit, begehrt worden. Derglei chen sind unsre ruhigen Neigungen des Wohlwol lens gegen Freunde, gegen das Vaterland, gegen Personen von ausserordentlichen Verdiensten, ohne daß wir uns in unsern Gedanken auf das ganze grosse System beziehen. Wir können, wenn wir wollen, alle angenehmen Empfindungen, welche wir, blos um unsertwillen, begehren, zu der gröss ten Summe unsrer eigenen Glückseligkeit schla gen; und wir können auf gleiche Art alle unsre ru higen besondern Neigungen des Wohlwollens gegen andre, zu der allgemeinen Wohlgewogenheit, im weitesten Umfange, bringen. Es ist von wichti gen Folgen, solche grosse Absichten zu haben, und diese Beziehungen zu machen. Doch es ist klar, daß die verschiedenen besondern Neigungen, sie mö gen auf uns selbst oder auf andere gerichtet seyn, ohne unruhige Bewegungen wirken, wenn auch keine solche Beziehungen vorhergegangen sind. (Unruhige auf uns selbst und andre gerichtete Leidenschaf ten.) VII. Doch ausser allen diesen ruhigen Be wegungen des Willens, die von einem kleinern oder grössern Umfang sind, giebt es besondere Lei
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 55(Erster Abschnitt.) denschaften und Begierden, welche bey gewissen Gelegenheiten, natürlicher Weise entstehen; deren jede ihre eigene Befriedigung, ohne alle weitere Beziehung, zum letzten Zweck hat; und welche von heftigen, verworrenen und unangenehmen Em pfindungen begleitet werden, die so lange fort dauern, bis der Gegenstand oder die Befriedigung erlangt worden. Einige von diesen unruhigen Leidenschaften und Begierden sind auf uns selbst, einige aber auf andere gerichtet, und einige sind beydes zugleich. Von der ersten Art sind Hun ger, Durst, Wollust, Triebe zum sinnlichen Ver gnügen, Reichthum, Macht oder Ruhm. Von der zweyten Art sind Mitleiden, Glückwünschun gen, Dankbarkeit, eheliche und verwandschaftliche Neigungen, so oft als sie zu heftigen und unruhi gen Bewegungen der Seele werden. Zorn, Neid, Unwillen, können zu beyden Arten gehören, nach dem sie aus der Betrachtung einer Hindernis entweder unsers eigenen Vortheils, oder des Vortheils unsrer Freunde, oder andrer geliebter und hochgeachteter Personen entstehen. Alle diese entstehen bey na türlichen Gelegenheiten, wobey die Seele weder auf die grösste Glückseligkeit ihrer selbst, noch an derer, bedacht ist. Der Unterschied zwischen den ruhigen und unruhigen Bewegungen des Willens, sie mögen auf uns selbst oder auf andere gehen, mus einem jeden in die Augen fallen, welcher in Erwägung zieht, wie oft dieselben einander entgegen han
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(Erstes Buch.) 56 Von der Beschaffenheit deln. * So wird uns Zorn oder Wollust auf ei ne Seite ziehen; und ein ruhiger Blick auf unsern höchsten Vortheil, auf die grösste Summe des eigenen Wohls, oder auf einigen besondern Vor theil, wird uns auf die entgegengesetzte Seite len ken. Zuweilen überwindet die Leidenschaft den ru higen Trieb; und zuweilen ist der letzte Sieger. Das ruhige Verlangen nach Reichthum wird man chen, obgleich nicht ohne Weigerung, zu starken Ausgaben nöthigen, wenn er dadurch zu einem vortheilhaften Handel, oder zu einer einträg lichen Beförderung gelangen kan; unterdessen wird der Geitz über diese Ausgaben unwillig werden. Das stille Verlangen nach unsrer Kinder oder Freunde Tugend, Ehre und Vollkommenheit wird uns veranlassen, sie von uns hinwegzusenden, und Gefahren auszusetzen; dahingegen die väter liche und mütterliche oder freundschaftliche Leiden schaft sich diesem Vorhaben widersetzet. Dankbar keit, Mitleiden und freundschaftliche Liebe, werden uns auf dieser Seite anliegen; auf der andern werden wir von der Liebe des Vaterlandes oder ei ner Zuneigung von grösserm Umfange, angetrieben werden. Wir strafen unsre Kinder, wir schrän ken sie ein, wir halten sie zu mühsamen Lernen und Arbeiten an, aus einer ruhigen Zuneigung; un terdessen daß eine zärtliche Leidenschaft, alles, was ihnen beschwerlich ist, misbilliget. Den Begier den zuwider, welche zur Erhaltung des Lebens, nach 5
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 57(Erster Abschnitt.) dem Lauf der Natur, bestimmt sind, beredet uns die Liebe des Lebens zur Enthaltsamkeit, zu schmerz haften Curen, und zu ekelhaften Arzneyen. Gleichwie zu dem Verstand nicht nur die niedern Kräfte der sinnlichen Empfindung, die wir mit den unvernünftigen Thieren gemein haben, son dern auch die Kräfte der Vernunft und des Bewust seyns gehören; also gehörenauch<gehören auch> zu dem Willen nicht nur die körperlichen Begierden und unruhigen Leidenschaften, sondern auch die verschiedenen ruhi gen und weniger eingeschränkten Neigungen einer edlern Art. VIII. Wir schreiben auch dem Willen die(Kräfte der Bewegung.) Kraft zu, uns selbst zu bewegen; weil wir, wenn wir die Bewegung wollen, gewisse Theile des Kör pers so bewegen, wie es unser Wille vorschreibt. Es sind nicht alle Theile desselben so eingerichtet, daß wir sie, nach unserm Gefallen, bewegen kön ten; sondern blos diejenigen, deren Einrichtung auf diese Art für uns nothwendig, und im Leben nützlich ist. Die Bewegungen der innern Theile, von welchen die Dauer des Lebens unmittelbar ab hängt, geschehen ohne alle Wirkungen unsers Willens, und wir können sie durch kein unmittel bares Wollen geschwinder oder langsamer machen. Die Aufsicht über die Bewegungen, welche un aufhörlich nothwendig sind, würde die Seele be ständig beunruhigen, und sie zu allen andern Be schäftigungen unfätzig<unfähig> machen. Es erregt auch nicht jede Bewegung noch jeder Eindruck auf die Theile des Körpers, Empfindungen in der Seele.
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(Erstes Buch) 58 Von der Beschaffenheit Die innern Bewegungen, von welchen das Leben unmittelbar abhängt, empfindet sie nicht, so lange der Körper in guter Ordnung ist. Eine solche Empfindung würde eine beschwerliche und unnütze Zerstreuung der Seele bey allen ihren guten Unter nehmungen seyn; wie bey einer Krankheit zu ge schehen pflegt, wenn wir die Bewegung des Her zens, oder den Pulsschlag fühlen. Die sinnlichen Empfindungen zeigen uns nur solche Veränderun gen, Begebenheiten, oder Gegenstände an, von welchen wir unterrichtet zu seyn nöthig haben. Dahero ist die Bewegung des Haupts, der Augen, des Munds, der Zunge, der Füsse, und des un schäzbarsten und mit der grössten Kunst gebildeten Werkzeugs, der Hand, unserm Willen unterwor fen. Alles dieses sind deutliche Beweise der weisen und gütigen Einrichtung unsers Schöpfers. Un sre Glieder werden unmittelbar durch die Muskeln und durch eine Kraft bewegt, welche das Haupt, vermittelst der Nerven, durch unsern Körper ver breitet. Aber, bey unsern willkührlichen Bewe gungen, wissen wir von dieser Zwischenbewegung eben so wenig, als wir sie wollen. Wir haben die lezte Bewegung zur Absicht; und die andern ge schehen ohne unser Wissen und Willen. Auf glei che Art wird die sinnliche Empfindung, durch eine Bewegung in einer Nerve, die bis zu dem Gehirn fortgehet, hervorgebracht. Wir empfinden keine Bewegung im Gehirn; sondern wir haben eine Empfindung, die sich blos auf den äusserlichen Theil des Körpers, der den Eindruck empfangen hat, be zieht, und die blos diesen Theil einzunehmen scheint;
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der menschl. Natur und ihren Kräften. 59(Zweyter Abschnitt.) wovon wir keine Erklärung angeben können. Die se Betrachtungen haben einige scharfsinnige und fromme Männer auf die Muthmassung gebracht, daß ein höhers Wesen, oder die Gottheit selbst, nach gewissen allgemeinen Gesetzen, die einzige physika lische Ursache aller unsrer Bewegungen, und die einzige Ursache aller unserer sinnlichen Empfindun gen seyn müsse.
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Der zweyte Abschnitt. Von den feinern Empfindungskräften.

I.Nach einer allgemeinen Betrachtung der Kräfte des Verstandes und Willens gehen wir nunmehro zur Untersuchung der fei nern Kräfte der Empfindung, zu einigen andern natürlichen Bestimmungen des Willens, und zu den allgemeinen Gesetzen der menschlichen Na tur, fort. Ausser den Sinnen des Gesichts und Gehörs(Vergnü gen der Ein bildungs kraft.) haben die meisten Menschen, ob gleich in verschie denen Graden, gewisse Empfindungskräfte von ei ner feinern Art, als daß wir sie bey den meisten unedlern Thieren, welche die verschiedenen Farben und Figuren sehen, und die verschiedenen Töne hö ren, voraussetzen könten. Wir können dieselben das Gefühl der Schönheit und Harmonie, oder, mit Addison, die Einbildungskraft nennen. Was für einen Nahmen aber wir ihnen auch geben wollen: so ist es offenbar, daß die verschiedenen nachfolgenden Eigenschaften der Gegenstände, von
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(Erstes Buch.) 60 Von den feinern der Natur zubereitete Qvellen<Quellen> des Vergnügens sind; oder daß die Menschen natürliche Kräfte und Be stimmungen haben, von ihnen Vergnügen zu em pfinden. (Schönheit.) 1. Gewisse Gestalten sind dem Auge, ohne alle Rücksicht auf das Vergnügen über lebhafte Farben, angenehmer, als andere; besonders diejeni gen zusammengesezten, worinnen Einförmigkeit und ein richtiges Verhältnis der Theile unterein ander, wahrzunehmen ist. Wir können, durch das Geheis unsers Willens, eben so wenig einen Wohl gefallen an allen Gestalten, ohne Unterschied, her vorbringen, als wir dem Geschmack alle Gegenstän de angenehm machen können. (Nachah mung.) 2. Gleichwie die Neigung nachzuahmen den Menschen, von ihrer Kindheit an, natürlich ist: also empfinden sie über jede Nachahmung* Vergnü gen. Wenn das Original schön ist: so werden wir ein doppeltes Vergnügen haben; aber eine voll kommene Nachahmung der Schönheit oder der Häs lichkeit, sie geschehe nun durch Farben, Figuren, Sprache, Stimme, oder Bewegung, bringt an sich selbst Vergnügen. (Harmonie.) 3. Gewisse Zusammensetzungen von Tönen sind allen Menschen überhaupt, unmittelbar ange nehm, wovon uns die Musikverständigen leicht un terrichten können. Die geringern Vergnügungen entstehen von der Zusammenstimmung; aber ein 6
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Empfindungskräften. 61 höhers Vergnügen entstehet aus solchen Zusammen(Zweyter Abschnitt.) setzungen, welche durch abgemessene Töne, die Ver änderungen der menschlichen Stimme nachahmen, wodurch die verschiedenen Neigungen der Seele, bey wichtigen Gelegenheiten, ausgedrückt werden. Plato* und Lykurg** fanden dahero in der Musik einen moralischen Character, und glaubten, daß sie auf die Sitten der Menschen einen Einflus habe. 4. Da wir mit Vernunft begabt sind, dieje(Absicht.) nigen Mittel, welche zu Erhaltung eines Endzwecks geschickt sind, und die verschiedenen Beziehungen und Verknüpfungen der Dinge zu unterscheiden: so liegt ein unmittelbares Vergnügen in der Er käntnis, *** welches von dem Urtheil selbst unter schieden ist, ob es gleich mit ihm in einer natürli chen Verbindung steht. Wir empfinden auch ein Vergnügen, wenn wir Kunst und Absicht in einem Werke entdecken, das zu Erreichung wichtiger End zwecke eingerichtet ist; oder in einem Geräthe, das alles hat, was zu seiner Bestimmung gehört; wir mögen Hofnung haben, davon Gebrauch zu machen oder nicht. Wir empfinden ein Vergnügen, wenn wir die Kräfte unserer Vernunft und unserer Er findung beschäftigen und anwenden können; wir freuen uns, wenn wir andere dieselben ebenfalls anwenden sehen, und die kunstreichen Wirkungen 7 8 9
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(Erstes Buch.) 62 Von den feinern davon wahrnehmen. In solchen Werken der Kunst vergnügen wir uns, die Schönheit der Gestalt und der Nachahmung vermischt zu finden, in so weit es die Absicht derselben verstattet. Aber das höhere Vergnügen, die Absicht auszuführen, verursacht, daß wir das geringere, wenn es mit jenem nicht zugleich bestehen kan, nicht achten. (Ursachen der Verschieden heit des Ge schmacks.) II. Wenn wir zugeben, daß alle diese Beschaf fenheiten natürlich sind: so können wir von der Verschiedenheit der Meinung und des Geschmacks, die wir wahrnehmen, Rechenschaft geben. Denn die mannichfaltigen Eigenschaften, an welchen wir einen in unsrer Natur liegenden Wohlgefallen ha ben, können von einem auf diese Art, von andern auf eine andere Art, betrachtet werden. Der Dürf tige, der Geschäftige, oder der Träge können die Schönheit in Kleidungen, in Gebäuden und in Ge räthe, zu der sie ausserdem gelangen könten, verab säumen, ohne unempfindlich dagegen zu seyn. Ei nigen kan es blos um eine ungekünstelte Einför migkeit in den Theilen, zu thun seyn; andere kön nen die Nachahmung der schönen Werke der Na tur darunter mischen, und unter diesen können wie derum einige eine Reihe solcher Gegenstände, wie sie aus der Hand der Natur kommen, einige aber Gegenstände von erhöheter Schönheit, wählen: es kan auch die Art der Nachahmung mehr oder weni ger vollkommen seyn. Einige können bey ihren Arbeiten vornehmlich auf das Vergnügen, wel ches aus der Wahrnehmung der Absicht und des Nutzens entstehet, sehen, und das Vergnügen über
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Empfindungskräften. 63(Zweyter Abschnitt.) die Schönheit und Nachahmung, nur in so weit es mit jenem besteht, zur Absicht haben. In den seltsamsten Kleidungen ist eine Uebereinstimmung der Theile, eine Einrichtung nach der Gestalt des menschlichen Körpers, und oft auch eine Nachah mung. Unsere Kleider sind nicht so leicht und so beqvem<bequem>, als die ehemaligen, und sie sind weniger geschickt, die Gestalt des Körpers sichtbar zu ma chen. Diejenigen, welche auf diesen Endzweck se hen, werden die ehemaligen Kleider; diejenigen aber, welche daran nicht denken, oder darauf nicht sehen, werden die neuen vorziehn. In der Baukunst ist es eben so beschaffen. Diejenigen, welche auf die Nachahmung der Ver hältnisse des menschlichen Körpers, in gewissen Thei len der Baukunst, aufmerksam sind, werden an den Bauarten, welche damit übereinstimmen, Vergnü gen finden. Andere, die den Gebrauch kennen, welchen die äussere Einrichtung gewisser Theile so gleich entdeckt, kan diese wahrgenommene Absicht gefallen. Einige können, ohne hierauf zu sehen, an der Uebereinstimmung der Theile Wohlgefallen haben; einige aber können, durch Verbindung ge wisser Begriffe, etwas billigen oder misbilligen; wovon wir hernachmals reden wollen. Wenn man alles Gefühl der Schönheit blos auf einen wahren oder scheinbaren Nutzen gründen wollte: so würde man niemals im Stande seyn, zu erklären, warum man auch an denjenigen nütz lichen Dingen Gefallen findet, wovon man, ausser dem Vergnügen, sie zu betrachten, keinen Vor
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(Erstes Buch.) 64 Von den feinern theil zu gewarten hat; warum uns die Gestalt der Blumen, der Vögel, des Wilds, vergnügt, auch wenn wir keinen wahren oder scheinbaren Nutzen von ihnen zu hoffen haben; warum einer, der die Baukunst gar nicht versteht, an der Betrachtung eines schönen Gebäudes, Gefallen findet; woher es kömt, daß uns die Nachahmungen solcher Gegen stände Vergnügen bringen, welche, wenn sie an eben dem Orte sich wirklich befänden, wo ihre Ab bilder sind, keinen Nutzen schaffen würden. Man könte eben sowohl behaupten, daß wir, ehe uns et was Wohlschmeckendes vergnügte, zuvor die klein sten Theilchen desselben kennen und wissen müsten, daß ihre Natur unsern Nerven nicht unange nehm sey. (Grosser Nutzen im menschlichen Leben.) Das Vergnügen dieser feinern Empfindun gen* ist von keiner geringen Wichtigkeit in dem Leben der Menschen. So sehr auch dasselbe von denjenigen, welche nach Reichthum und Ansehn streben, oft hindangesetzt zu werden scheint: so ha ben sie es doch für sich, auf ihre künftige Lebenszeit, oder für ihre Nachkommenschaft eben so wohl zur Absicht, als andere, welche einen bessern Geschmack haben, und dasselbe zum Endzweck ihrer meisten Bemühungen machen. Bey dem grössten Theil 10
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Empfindungskräften. 65(Zweyter Abschnitt.) der Menschen, welche vor unruhigen Begierden ei nigermassen gesichert sind, äussert sich ein Gefallen an diesem Vergnügen. So bald die Nationen dem Frieden im Schoos sind: so bald fangen sie an, sich in den Künsten zu üben, welche dieses Ver gnügen verschaffen; wie wir aus den Geschichten aller Zeiten und Völker lernen. Zu diesen Vergnügungen der Einbildungs(Vergnü gen an Neu heit und Grösse.) kraft kan man noch zwo andre angenehme Empfin dungen rechnen, welche aus der Neuheit und Grös se der Dinge entstehen. Die erstere wirkt allemal eine angenehme Bewegung, wenn wir müssig sind, welche sich vielleicht auf die Wissensbegierde grün det, die so tief in unsrer Seele liegt. Wir wer den hiervon im Verfolg reden. Die Grösse ist eine angenehme Beschaffenheit in einem Gegen stand der Betrachtung, die von der Schönheit und den Verhältnissen desselben unterschieden ist. Ja, auch alsdenn, wenn diese letztern nicht vorhanden sind, vergnügt sich die Seele an allem, was weit, von grossem Umfange, hoch oder tief ist, ohne Rücksicht auf einen Vortheil, der aus diesen Be schaffenheiten entstehen könte. Die Endursachen dieser natürlichen Bestimmungen, oder Empfindun gen des Vergnügens kan man bey vielen* Schrift stellern finden. III. Eine andere wichtige Bestimmung oder(Sympa thien. Mitleiden.) Empfindung der Seele kan die sympathetische 11
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(Erstes Buch.) 66 Von den feinern genennet werden, die von allen äusserlichen Sin nen unterschieden ist, und vermöge welcher unsere Herzen mit denjenigen, deren Zustand uns bekant ist, zugleich fühlen. Wenn wir den Schmerz, die Traurigkeit und das Elend, welches andre empfin den, sehen oder wissen, und unsre Gedanken darauf richten: so fühlen wir ein starkes Mitleiden und ein Bestreben, ihnen beyzustehen, so lange keine entgegengesetzte Leidenschaft uns zurückhält. Und dieses* geschieht ohne alle Absicht auf den Vor theil, der uns aus diesem Beystand zuwachsen kön te, oder auf den Verlust, den wir befürchten mü sten, wenn dieses Leiden fortdauerte. Wir sehen, daß dieser Trieb bey Kindern heftig wirkt, bey wel chen man doch die wenigsten Absichten auf einen Vortheil vermuthen kan. Zuweilen äussert die selbe sich mit so vieler Heftigkeit, daß er auch bey Leuten, die eben nicht die weichherzigsten sind, wenn sie grausamen Hinrichtungen zusehen, Ohnmachten veranlasst. Dieser Trieb ist von keiner kürzern Dauer, als unser Leben. (Gemein schaftliche Freude.) Wir haben auch eine Neigung, an der Freu de anderer Theil zu nehmen, wenn keine vorherge gangene Nacheiferung, keine eingebildete Hinde rung unsers Vortheils, und kein Vorurtheil dersel ben entgegen sind. Wir haben diese Sympathie selbst mit den unvernünftigen Thieren gemein, und eben daher komt es, daß uns die Beschreibungen, welche die Dichter von ihrer Freude machen, so 12
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Empfindungskräften. 67(Zweyter Abschnitt.) sehr gefallen. Aber gleichwie unsre eigennützigen Neigungen, welche das Uebel zurücktreiben, der gleichen Furcht, Zorn und Rache sind, insgemein die Seele stärker bewegen, als diejenigen, durch welche wir unser Bestes zu erreichen gedenken: also wirkt das Mitleiden stärker auf uns, als der Trieb, uns mit andern zu freuen. Und dieses ist eine sehr weise Einrichtung, weil die Befreyung vom Schmerz nothwendig vor dem Genus des Gu ten vorherzugehen scheint. Die heftigern Bewe gungen der Seele sind dahero auf dasjenige gerich tet, was am nothwendigsten ist. Diese Sympa thie scheint sich in allen unsern Neigungen und Lei denschaften zu äussern. Sie scheinen sich alle an dern mitzutheilen. Wir sind nicht nur traurig mit den Betrübten, wir freuen uns nicht nur mit den Glücklichen, sondern auch die Verwunderung, oder das Erstaunen, welches sich an jemanden äus sert, erregt eine ähnliche Bewegung der Seele in allen, die ihn sehen. Wenn wir wahrnehmen, daß andere sich fürchten: so fürchten wir uns mit ih nen, ehe wir noch die Ursachen davon wissen. Ein Gelächter bewegt uns zum Lachen, Liebe gebiert in uns Liebe, und die andächtigen Regungen, welche wir in andern entdecken, sind für uns Einladungen zur Andacht. Man sieht leicht, was für einen un mittelbaren Einflus diese Sympathie auf die grosse Bestimmung der Seele hat, die allgemeine Glück seligkeit zu befördern. IV. Ehe wir noch einiger anderer feinern Em(Ein natür licher Trieb zur Bewe gung in den meisten be) pfindungen erwähnen, deren Gegenstände die mensch
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(Erstes Buch.) 68 Von den feinern (seelten Ge schöpfen.) lichen Handlungen sind, müssen wir die allgemeine Bestimmung der Seele, alle ihre thätige Kräfte beständig zu üben, bemerken. Wir entdecken an den Menschen, gleich von der Kindheit an, einen Trieb zur Beschäftigung und zur Bewegung. Die Kinder berühren, ergreifen, betrachten und kosten alles. Wenn sie älter werden, so äussern sich an dere Kräfte. Sie wollen alle mögliche Versuche machen, sie beobachten alle Veränderungen, und untersuchen ihre Ursachen; und dieses aus einem Triebe zur Beschäftigung, und aus einer eingepflanz ten Wissensbegierde, wenn sie auch von keiner Hofnung einigen Vortheils gereizt werden. Wir nehmen wahr, daß die meisten andern Thiere, so bald sie das Licht erblicken, aus gleichem Triebe, auf die von dem Urheber der Natur bestimmte Art, ihre verschiedenen Kräfte üben; und sie sind bey dieser Uebung, so mühsam und ermüdend sie auch sey, weit glücklicher, als sie in dem Stand einer sinnlichen Trägheit seyn würden. Die Schlangen versuchen ihre kriechenden Bewegungen; das Wild richtet sich auf, und geht oder läuft; die Vögel er heben sich auf ihren Flügeln und schwingen sich in die Höhe; das Wassergeflügel begiebt sich aufs Wasser, so bald es dasselbe gewahr wird. Das Füllen übt sich im Rennen; der Stier* braucht seine Waffen, die Hörner; und der Hund folgt seiner Bestimmung zur Jagd. 13
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Empfindungskräften. 69(Zweyter Abschnitt.) Die Kinder sind, so lange sie wachen, in Be(Besonders im Men schen.) wegung, und scheuen weder Ermattung noch Ue berdrus. Sie haben so lange eine Abneigung ge gen den Schlaf, bis er sie wider ihren Willen über wältiget. Sie bemerken, was vorgeht, erinnern sich daran, und denken darüber nach. Sie lernen die Benennungen der Dinge, untersuchen die Na tur, den Bau, den Gebrauch und die Ursachen der selben, und ihre Neugier wird keinen Verweisen nachgeben. Gegen diejenigen, die liebreich gegen sie sind, äussern sie bald liebreiche Neigungen. Sie sind dankbar, und begierig, in allem, was man lobt, vortreflich zu seyn. Bey ihren Spielen sind sie entzückt, wenn sie glücklich sind, und die Oberhand behalten; und sie werden ausserordentlich nieder geschlagen, so bald andere sie übertreffen. Sie erzörnen sich geschwind über eine eingebildete Be schimpfung oder Beleidigung. Sie fürchten sich vor einen empfundenen Schmerz und werden über die Ursache desselben unwillig; aber sie geben sich zufrieden, so bald sie finden, daß andre ihn nicht mit Vorsatz verursacht haben, oder, daß sie ihre Reue bezeigen. Sie nehmen nichts so übel auf, als falsche Beschuldigungen oder Vorwürfe. Sie sind zur Aufrichtigkeit, zur Wahrheit und Offen herzigkeit geneigt, so lange sie nicht einige daraus entstandene üble Folgen erfahren haben. Sie sind voll Ungedult, andern etwas neues oder seltsames, oder etwas, das Verwunderung oder Gelächter er regen kan, zu erzählen. Sie sind bereit, andern mit allem zu dienen, was sie selbst nicht brauchen. Sie sind begierig, sich andern gefällig zu machen,
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(Erstes Buch.) 70 Ven den feinern und kennen keinen Argwohn, so lange sie keine Be leidigungen empfangen haben. Dieser Trieb zur Beschäftigung dauret so lange wir leben, und den Gebrauch unserer Kräfte behalten. Die verworfensten und trägsten Men schen sind nicht ganz müssig; sie haben eine Art von Geschäften, ihre Cabalen und ihren Umgang, wo sie ihre Kräfte anwenden, oder sie haben einige an dre geringe Empfindlichkeit gegen sinnliche Ver gnügungen. Wir sehen überhaupt, daß die Men schen, blos durch diese oder jene Art zu handeln, glücklich werden können, und die Uebung der Kräf te des Verstandes ist, von unsrer Geburt an, bis zu unsern Tod, eine Qvelle<Quelle> des natürlichen Ver gnügens. Die Kinder sind über die Entdeckung einer neuen oder kunstreichen Sache entzückt, und voller Ungedult, sie andern zu zeigen. Oeffentli che Schauspiele, Seltenheiten, Pracht, unterhalten ihre ganze Aufmerksamkeit. Vornehmlich aber sind die wichtigen Handlungen grosser Männer, ihr Glück, und der Stand, darinnen sie gelebt haben, man mag davon erzählen hören, oder lesen, oder sie vorstellen sehen, das Vergnügen eines jeden mensch lichen Alters. Hier wird das Vergnügen durch unser geselliges Gefühl der Freude erhöhet; und durch unsern Trieb zum Mitleiden, und durch den Antheil, den wir an Personen, die wir bewundern, zu nehmen pflegen, wird der Eifer der Untersuchung vermehret. Wenn einigen Menschen ein fähiger Geist verstattet, sich den schwerern Wissenschaften zu na
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Empfindungskräften. 71(Zweyter Abschnitt.) hen: was für eine heftige Begierde bemerkt man alsdenn nicht an ihnen zur Käntnis der Geometrie, Arithmetik, Astronomie und der Geschichte der Na tur? Es ist ihnen eine Freude, alle Mühe anzu wenden, und ganze Nächte zu wachen. Haben wir nöthig, die Fabelgeschichte und Philologie zu er wähnen? Es ist offenbar, daß in der Wissen schaft ein hohes natürliches Vergnügen liegt, das mit keinen Reitzungen eines Vortheils verknüpft ist. Ein gleiches Vergnügen liegt in der Känt nis desjenigen, was die Geschäfte des Lebens be trift, und derjenigen Wirkungen, welche die Hand lungen auf die Glückseligkeit einzelner Personen oder ganzer Gesellschaften haben. Wie sehr sind alle diese Erfahrungen derjenigen Philosophie ent gegen, nach welcher der einzige Trieb, oder die einzige Bestimmung der Seele in einer Begierde nach den Vergnügungen, welche der Körper gewährt, oder nach der Befreyung vom körperlichen Schmerz, liegen soll. V. Durch eine höhere Kraft der Empfin(Ein mora lisches Ge fühl.) dung, als alle bisher erwähnte sind, liegt für die Menschen in den Handlungen die grosse Quelle ihrer Glückseligkeit zubereitet, nämlich durch diejenige, vermittelst welcher sie moralische Begriffe von Handlungen und Charactern erhalten. Niemals ist, ausser den Jdioten, eine Art von Menschen ge wesen, welche alle Handlungen für gleichgültig an gesehen hätten. Sie finden alle den moralischen Unterschied der Handlungen, ohne Absicht auf den Vortheil oder Nachtheil, den sie davon zu gewar
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(Erstes Buch.) 72 Von den feinern ten haben. Da dieses moralische Gefühl von gros ser Wichtigkeit ist: so soll in einem folgenden Ab schnitt weitläuftiger davon gehandelt werden. Ge genwärtig mag es genug seyn, das anzumerken, was wir alle fühlen, nämlich, daß gewisse edle Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen, wenn wir uns ihrer selbst bewust sind, die ange nehmsten Empfindungen des Beyfalls und einer innerlichen Zufriedenheit in uns hervorbringen; und daß, wenn wir diese Neigungen und Hand lungen an andern bemerken, wir nicht nur ein in niges Gefühl des Beyfalls und eine Empfindung ihrer Vortreflichkeit in uns wahrnehmen, sondern auch eine daher entstehende Gewogenheit und einen Eifer für ihre Glückseligkeit empfinden. Wenn wir uns der entgegengesetzten Neigungen und Handlungen selbst bewust sind: so fühlen wir die Verweise unsers Gewissens, und ein Misfallen an uns selbst; wenn wir sie an andern bemerken: so misbilligen wir ihre Gemüthsbeschaffenheit, und halten sie für niederträchtig und hassenswürdig. Die Neigungen, welche diesen moralischen Beyfall erregen, sind entweder alle unmittelbar auf das gemeine Beste gerichtet, oder sie stehen, mit die sen gemeinnützigen Gesinnungen, in einer natürli chen Verbindung. Diejenigen aber, welche das moralische Gefühl misbilligt und verwirft, sind entweder so bösartig, daß sie darauf gerichtet sind, andre in Unglück zu stürzen; oder sie haben den ei genen Vortheil so sehr zur Absicht, daß sie ungü tige Gesinnungen verrathen, oder doch die gemein
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Empfindungskräften. 73(Zweyter Abschnitt.) nützigen Neigungen den Grad der Höhe nicht er reichen lassen, der zur Beförderung des gemeinen Besten erfordert, und von Menschen ordentlicher Weise erwartet wird. Dieses moralische Urtheil ist nicht nur wohl(Ist allen Menschen gemein.) erzogenen und nachdenkenden Personen eigen. In den rauhesten Menschen entdeckt man Spuren da von; und junge Gemüther, die am wenigsten, an den verschiedenen Einflus der Handlungen auf sich selbst oder auf andre, denken, und ihren eigenen künftigen Vortheil wenig zu Herzen nehmen, fin den gemeiniglich an allem, was moralisch ist, den meisten Gefallen. Daher komt es, daß die Kin der, sobald sie die verschiedenen Benennungen der Neigungen und Gemüthsarten wissen, so sehr begierig sind, solche Geschichten erzählen zu hören, welche den moralischen Character der Menschen und ihre Glücksumstände vor Augen stellen. Da her entsteht die Freude über den Wohlstand des Gütigen, des Redlichen und des Gerechten; und der Unwillen über das Glück des Grausamen und des Verräthers. Von dieser Kraft werden wir im Verfolg ausführlich handeln. VI. Gleichwie wir, von der vorhergehenden(Ein Ge fühl der Eh re.) Bestimmung, zu dem Wohlgefallen und Misfal len an uns selbst und an andern, wie es der wahr genommenen Beschaffenheit des Gemüths gemäs ist, angewiesen werden: also empfinden wir, vermöge einer andern natürlichen Bestimmung, die wir das Gefühl der Ehre und Schande nennen können, ein grosses Vergnügen, wenn wir durch unsre guten
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(Erstes Buch.) 74 Von den feinern Handlungen den Beyfall und die Hochachtung an drer erhalten, und wenn sie uns ihre Dankbarkeit zu erkennen geben; hingegen gehn uns Tadel, Verachtung und Vorwürfe durchs Herz. Alles dieses äussert sich im Gesichte. Wir erröthen, wenn wir uns für Schande, Tadel, oder Ver achtung fürchten. Es ist wahr, wir bemerken, von unsrer Kind heit an, daß die Menschen denjenigen, welche sie ehren und hochachten, Gutes zu erzeigen geneigt sind. Aber wir berufen uns auf das Herz der Menschen, ob sie nicht, wenn sie geehrt und hoch geachtet werden, ein unmittelbares Vergnügen empfinden, ohne daß sie dabey auf einen künftigen Vortheil denken; und ob sich dieses Vergnügen nicht auch alsdenn eben so sehr äussert, wenn sie gleich voraus wissen, daß sie keinen Vortheil er warten dürfen. Bemühen wir uns nicht insge samt um einen guten Ruf nach unserm Tode? Und woher komt es, daß nur die Furcht der Schande und nicht auch die Furcht anderer Uebel, die Er röthung zur Gefährtin hat, wenn dieses nicht ein unmittelbarer Trieb ist? Die Ursache, welche Aristoteles* von die sem Vergnügen angiebt, ist zwar wohl ausgedacht, aber sie ist nicht die richtige. Er meint, wir hät ten an der Ehre um deswillen Gefallen, weil sie ein Zeugnis von unsrer Tugend sey, 14
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Empfindungskräften. 75(Zweyter Abschnitt.) welche, wie wir uns bewust wären, das höchste Gut ausmache. Diese Betrachtung kan zuweilen die Ehre denjenigen angenehm ma chen, welche, in Ansehung ihres eigenen Verhal tens, zweifelhaft und mistrauisch sind. Aber haben nicht auch Männer von den grössten Vorzügen, die von der Güte ihres Verhaltens vollkommen überzeugt sind, über ein Lob, das man ihnen bey legt, eine gleiche natürliche Freude, die ganz et was anders ist, als der Beyfall, den ihnen ihr in neres Urtheil zugesteht. Die gütige Absicht, welche Gott bey Ein pflanzung dieses Triebes gehabt hat, ist offenbar. Er reizt zu allem, was vortreflich und liebenswür dig ist; er giebt der Tugend eine angenehme Be lohnung; er übersteigt oft die Hindernisse, welche ihr von niedrigen Vortheilen der Welt in den Weg geleget werden; er ermuntert selbst Leute von ge ringen Tugenden zu solchen nützlichen Dienstlei stungen, die sie ausserdem von sich abgelehnt haben würden. Solchergestalt werden diejenigen, welche nur auf ihren eigenen Vortheil sehen, wider ihre Neigung angetrieben, den allgemeinen Vortheil zu befördern; und diejenigen, welche ihm zuwider handeln, werden bestraft. Ein andrer Beweis, daß dieses Gefühl der Ehre ein ursprünglicher Trieb sey, ist dieser: Wir bestimmen den Werth des Lobes, das uns andre zugestehen, nicht nach ihrer Fähigkeit, uns zu die nen, sondern nach ihrer Geschicklichkeit, über der gleichen Sachen zu urtheilen. Wir fühlen den
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(Erstes Buch.) 76 Von den feinern Unterschied zwischen dem eigennützigen Verlangen, einem angesehenen Manne zu gefallen, von dem wir unsre Befördrung erwarten können; und zwi schen der innern Freude über den Beyfall eines Kenners, der uns ausserdem keine Dienste leisten kan. Man fieht<sieht>, daß die Liebe zum Ruhm eine der allgemeinsten Leidenschaften der Seele sey. (Ein Gefühl der Anstän digkeit und Würde.) VII. Ob gleich die Handlungen, durch das moralische Gefühl, den grössten Einflus auf unser Glück oder Elend haben: so ist doch klar, daß die Seele, in manchen Kräften des Körpers und des Geistes, noch andere Vortreflichkeiten wahrnimmt. Wir müssen sie entweder in uns selbst oder in an dern bewundern, und wir finden, an gewissen Ue bungen derselben, Vergnügen, ohne sie als morali sche Tugenden anzusehen. Wir vermengen die Worte oft zu sehr, und wir suchen nicht, die ver schiedenen Empfindungen der Seele, mit gehöriger Unterscheidung auszudrücken. Wir wollen für unsere Urtheile über solche Fähigkeiten, Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen, die wir für tugendhaft halten, den Nahmen des moralischen Beyfalls beybehalten. Wir finden, daß dieser Bey fall eine Empfindung ist, die sich von der Be wunderung und dem Wohlgefallen unterscheidet, welchen wir an verschiedenen andern Kräften und Fähigkeiten haben. Wir werden auch durch ein Gefühl der Anständigkeit und der Würde vergnügt. Dieses Gefühl ist uns ebenfalls natürlich, aber von dem moralischen Beyfall ganz und gar unter schieden. Wir kennen nicht nur den Nutzen, wel
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Empfindungskräften. 77(Zweyter Abschnitt.) chen diese schätzbaren Kräfte und ihrer Uebung, ih ren Besitzern gewähren; sondern sie bringen auch die angenehmen Bewegungen der Bewunderung und des Wohlgefallens, in verschiedenen Graden, hervor. Solchergestalt ist Schönheit, Stärke, Geschwindigkeit, Leichtigkeit des Körpers anständi ger und schätzbarer, als ein starker gefrässiger Ma gen, oder ein Geschmack, der sich auf gute Spei sen versteht. Man sieht männlichen Belustigun gen, dem Reiten und Jagen, mit mehrerem Ver gnügen und Gefallen zu, als dem Essen und Trin ken, wenn es auch mässig geschieht. Eine Ge schicklichkeit in diesen männlichen Uebungen ist oft hochzuschätzen; dahingegen ein Hang zur blosen Sinnlichkeit auch selbst alsdenn Verachtung verdient, wenn er nicht zu Ausschweifungen verlei tet, und, auf das gelindeste zu reden, nur unschul dig ist. Ja es kan sich in der Gestalt des Leibes, in den Geberden, in den Bewegungen, entweder etwas anständiges und edles, oder etwas unan ständiges und unedles äussern, ohne, daß sich die Hoffnung eines Vortheils in das Urtheil der Zu schauer mischt. Aber dieses äussert sich noch mehr bey den(In ver schiedenen Graden.) Kräften der Seele, und in der Uebung derselben. Die Bewunderung eines durchdringenden Ver stands, einer Fähigkeit zu Geschäften, eines Ver mögens, mit einem anhaltenden Fleisse zu arbeiten, eines treuen Gedächtnisses, eines ungesuchten Wi tzes, ist uns natürlich; aber sie ist von dem mora lischen Beyfall ganz und gar unterschieden. Es
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(Erstes Buch.) 78 Von den feinern scheint, als wenn wir, für jede natürliche Kraft, mit einem richterischen Geschmack versehen wä ren, der die eine Art ihrer Anwendung empfiehlt, und die entgegengesetzte misbilligt. Daher gefal len uns alle schöne, und alle mechanische Künste, als die Mahlerey, Bildhauerkunst, Dichtkunst, die Musik, die Baukunst, Gärtnerkunst. Wir be trachten nicht nur die Werke selbst mit Vergnügen, sondern wir empfinden auch eine natürliche Bewun derung der Personen, in welchen wir einen Ge schmack und Geschicklichkeit in diesen Künsten wahr nehmen. Hingegen werden die niedern Kräfte, welche blos auf die Befriedigung der Sinne ge richtet sind, gleichgültig angesehen, und sie sind oft Ursachen der Schaam und Verachtung. (Die Glück seligkeit han delnder We sen liegt in den Hand lungen.) Die Anmerkung des Aristoteles ist also richtig: „Die vornehmste Glückseligkeit han delnder Wesen entspringt aus den Hand lungen; und zwar nicht aus allen Ar ten von Handlungen, sondern aus solchen, welche ihrer Natur angemessen sind, und welche die Natur empfiehlt.“ Wenn wir den körperlichen Begierden Gnüge leisten; so em pfinden wir ein unmittelbares Vergnügen, das auch die Thiere empfinden, aber keine weitere Befriedi gung. Wir finden nichts edles, wenn wir darüber nachdenken; wir haben nicht zu hoffen, daß andere Gefallen daran haben werden. Es giebt eine An wendung anderer körperlicher Kräfte, welche mehr Edles und Angenehmes zu haben scheint. Es sind überall verschiedene Grade; ein feiner Geschmack in
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Empfindungskräften. 79(Zveyter<Zweyter> Abschnitt.) den schönen Künsten ist immer angenehmer; die Aus übung bringt Vergnügen; die Werke gefallen dem Zuschauer, und verschaffen dem Verfertiger Ruhm. Die Uebung der höhern Kräfte des Verstandes in Entdeckung der Wahrheit, und richtiger Schlüsse, ist desto rühmlicher, je wichtiger die Sachen sind. Aber den höchsten Grad des Edlen erreichen die tu gendhaften Neigungen und Handlungen, die Ge genstände des moralischenGefühls. Einige andere Fähigkeiten der Seele, welche,(Nebenbe griffe.) mit den gemeinnützigen Neigungen, in einer na türlichen Verwandschaft stehen, und weder den höchsten Grad des Eigennutzes noch der Sinnlich keit neben sich leiden, scheinen von dem moralischen Gefühl selbst unmittelbar gebilliget zu werden. Von diesem wollen wir an einem andern Orte handeln. Wir müssen hier nur anmerken, daß gewisse vergesellschaftete Begriffe; beständige Ver gleichungen in Metaphern und Gleichnissen; und andere Ursachen, einigen unbeseelten Dingen Ne benbegriffe von Würde, Anständigkeit und Heilig keit mitgetheilt haben. Einige sind gering und verächtlich: andere hingegen sind in dem mittlern Stande der Gleichgültigkeit. Unsere Neigung, nachzuahmen, und Uebereinstimmungen zu bemer ken, hat alle Sprachen mit Metaphern erfüllt. Gleichnisse und Allegorien gefallen in vielen Aus arbeitungen ungemein. Daher komt es, daß wir viele Gegenstände mit Nebenbegriffen von solchen Eigenschaften ausschmücken, deren sie eigentlich nicht fähig sind. Einige von diesen Begriffen
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(Erstes Buch.) 80 Von den feinern sind gros und verehrungswürdig; andere niedrig und verächtlich. Einige suchen die natürliche Ur sache oder Gelegenheit des Lachens, einer Bewegung der Seele, deren alle fähig sind, und die allen an genehm ist, durch ein natürliches Gefühl des Lächerlichen in Gegenständen oder Begebenhei ten zu erklären. (Die Noth wendigkeit vergesell schafteter Begriffe.) IIX. Ehe wir zu den Fähigkeiten des Wil lens fortgehen, wollen wir noch eine natürliche Bestimmung, die ausser unsrer Willkühr ist, an merken, nämlich, solche Vorstellungen, die zugleich vorgekommen sind, oder auf einmal einen starken Eindruck auf die Seele gemacht haben, neben einander zu stellen, oder zusammen zu knüpfen, so, daß immer einer die andre begleitet, wenn ein Ge genstand eine oder mehrere davon lebhaft macht. Gleichwie wir dieses in geringern Fällen wahrneh men: also erstreckt sich diese Erfahrung auch auf unsre Begriffe vom natürlichen und moralischen Guten oder Bösen. Wenn die Gewohnheit und die Meinung der Welt gewisse Handlungen oder Begebenheiten uns, eine Zeit lang, als gut oder böse vorgestellt hat: so wird es uns schwer, die Ver einbarung aufzuheben, ungeachtet vielleicht unsere Vernunft von dem Gegentheil überzeugt ist. Man hat also eine dunkle Einbildung von dem Anstän digen oder Unanständigen gewisser Handlungen; von dem Elend eines Zustands und von dem Glück eines andern; so wie man bey Kirchhöfen sich Ge spenster vorstellt. Obgleich viele Widerwärtigkei ten und Laster aus dieser Quelle entspringen: so
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Empfindungskräften. 81(Zweyter Abschnitt.) müssen mir<wir> doch gestehen, daß diese Bestimmung schlechterdings nothwendig sey. Ohne sie würde für uns das Gedächtnis, die Erinnerung, und selbst die Sprache einen geringen Nutzen haben. Wie mühsam würde es seyn, wenn wir bey jedem Wor te, das wir hören, oder zu sprechen verlangen, eine besondere Erinnerung nöthig hätten, um ausfindig zu machen, was für Worte und Begriffe, durch die Gewohnheit der Sprache, verbunden sind? Es würde eine eben so beschwerliche Arbeit seyn, als wenn wir eine verborgene Schrift, wozu wir einen Schlüssel gefunden, entziffern wollen. Ton und Begriffe sind mit einander so genau verknüpft, daß der eine allemal von dem andern begleitet wird. Wie geht es zu, daß wir uns erinnern? Wenn wir um eine vergangene Begebenheit gefragt werden: so wird der Zeit, oder des Orts, eines Nebenum stands, oder einer damals gegenwärtigen Person erwähnt; und diese bringen das ganze Gefolge der vergesellschafteten Begriffe mit sich. Man spricht von einer Streitigkeit; eine Person, die davon un terrichtet ist, findet, daß, ehe sie es noch will, die vornehmsten Schlüsse beyder Theile, sich ihrer Seele vorstellen. Dieser Fähigkeit mus man grössten Theils die Gewalt der Erziehung schuld geben, welche in unsrer Kindheit, viele Verknüpfungen der Begriffe hervorbringt. Wenige haben die Gedult, oder den Muth, zu untersuchen, ob dieselben, in der Natur, oder in der Schwachheit ihrer Anführer, gegrün det sind. IX. Viele von den natürlichen Bestim(Der Wille und die Fer tigkeiten.) mungen des Willens sind von denjenigen, welche
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(Erstes Buch.) 82 Von den feinern hiervon besonders gehandelt, und die natürlichen Gelegenheiten der verschiedenen Leidenschaften und Neigungen aufgesucht haben, hinlänglich erklärt worden. Auf diese Schriftsteller wollen wir uns hiermit beziehen. Wir haben die starke natürliche Neigung zu Handlungen oben betrachtet. Wir wollen eine andre Bestimmung, oder ein anderes Gesetz unsrer Natur bemerken, vermöge dessen die öftere Wiederholung einer Handlung, uns nicht nur die Verrichtung derselben, durch den Wachs thum unserer thätigen Kräfte, erleichtert, sondern auch die Seele zur künftigen Unternehmung ge neigt, oder dieselbe unwillig macht, wenn sie gewalt sam davon zurückgehalten wird. Und dieses wird eine Fertigkeit genennt. Bey unsern leidenden Empfindungen wird Vergnügen und Schmerz durch das beständige Gefühl vermindert; und doch wird die Unzufriedenheit über den Mangel des Vergnügens vermehret, wenn wir ihn lange erlit ten haben. Von so schädlichen Folgen die Fertig keit in dem Laster ist: so gros sind die Vortheile, welche die Fertigkeit in der Tugend verschaft. Es ist ein Vorzug, der vernünftigen Wesen gemein ist, daß sie auf diese Art einige ihrer Kräfte, nach ihren Gefallen verstärken, und die Dauer und Lebhaftigkeit derselben befördern können. Es ist auch allemal in unsrer Gewalt, eine Fertigkeit dadurch zu schwächen, wenn wir uns entweder al ler Anwendung derselben enthalten, oder ihr stand haft entgegen handeln. Könten wir keine Fertig keiten erlangen: so müsten unsre Kräfte immer schwach bleiben, und eine jede Handlung, welche
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Empfindungskräften. 83(Zweyter Abschnitt.) Kunst erfordert, würde uns beständig so schwer seyn, als wir sie bey unsern ersten Versuchen finden. Aber alle diese Verknüpfungen, Fertigkeiten,(Weder Fer tigkeit noch Gewohnheit bringen neue Begriffe her vor.) Gewohnheiten, oder Vorurtheile machen uns die Gegenstände angenehm, oder unangenehm, nach dem Begriffe, von einer Eigenschaft oder Art, den wir durch unsre von der Natur erhaltenen Sinne empfangen haben; allein sie können keine neuen Be griffe hervorbringen. Es werden dahero keine Empfindungen des Beyfalls oder der Abneigung, kein Wohlgefallen oder Misfallen hinlänglich er klärt, wenn man sie dem Vortheil, der Gewohn heit, oder Erziehung, oder der Verbindung der Begriffe zuschreibt; woferne man nicht vollkom men zeigen kan, was dieses für Begriffe sind, und zu was für einer Empfindung sie gehören, nach welcher diese Gegenstände entweder gebilliget oder gemisbilliget werden. X. In einem gewissen Alter entsteht unter(Die eheli chen und ver wandschaft lichen Nei gungen.) beyden Geschlechtern ein neuer Trieb, der auf die Fortpflanzung unsrer Art gerichtet ist, und der um deswillen, weil er in unsern ersten Jahren, ehe wir die zu Erhaltung der Nachkommen erforderliche Wissenschaft und Erfahrung erlangt haben, schäd lich oder unnützlich seyn würde, in der Ordnung der Natur weislich nachgesetzt worden ist. Dieser Trieb in dem Menschen zielt nicht blos auf eine sinnliche Lust ab, wie bey den Thieren; er ist kein blindes Verlangen, das in dem Menschen eben so, wie bey den Thieren, nach einer vorhergegangenen
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(Erstes Buch.) 84 Von den feinern Erfahrung der Lust wirkt. Er besteht in einem natürlichen Wohlgefallen an der Schönheit, welche uns liebenswürdige Eigenschaften zu versprechen scheint. Wir stellen uns etwas moralisch Gutes vor, und daher entsteht Zuneigung und Hochach tung, ein Verlangen nach der Gesellschaft auf Le benszeit; Freundschaft, Liebe und Gegenliebe, und vereinigte Vortheile. Dieses Urtheil und dieses Verlangen begleitet den natürlichen Trieb der Men schen. Sie haben also alle ein Verlangen, Nach kommen zu haben, wenn keine stärkern Betrach tungen, die daneben nicht bestehen können, sie zu rückhalten. In dem Menschen liegt, wie in den Thieren, eine besondere starke Zuneigung gegen seine Nach kommenschaft, und eine zärtliche Sorgfalt, sie zu erhalten und glücklich zu machen. Diese Zunei gung dauert bey den Menschen so lange als das Le ben, und als die Aeltern ihren Abkömmlingen Gu tes thun können. Sie erstreckt sich, unvermin dert, bis auf Enkel und Urenkel. Bey den Thie ren trift man dieselbe nur zu der Zeit an, da die Jungen Beystand nöthig haben; wo dieser nicht mehr nöthig ist, wird auch jene nicht mehr wahr genommen. Sie dauert so lange, bis die Jungen sich selbst erhalten können, und alsdenn hört sie völ lig auf. Diese ganze Einrichtung ist ein überzeu gender Beweis von der Weisheit des Urhebers der Natur. Eine ähnliche, aber schwächere Zunei gung begleitet die Bande des Bluts unter den Sei tenverwandten. Diese zärtliche Neigungen sind
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Empfindungskräften. 85(Zweyter Abschnitt.) die Quellen von mehr als der Hälfte der Bemü hungen und Sorgen der Menschen; und wenn ei nige Kräfte da sind: so ermuntern sie die Seele zu Fleis und Arbeit, und zu grossen und anständigen Unternehmungen. Durch ihre Vermittelung wird das Herz einer jeden zärtlichen liebreichen und gesel ligen Neigung fähiger gemacht. XI. Man kan dem Menschen schwerlich ei nen natürlichen Trieb zur Gesellschaft mit seinen(Die Men schen sind ge sellig, und zur bürgerli chen Gesell schaft ge schickt.) Nebenmenschen streitig machen. Es ist dieses ein unmittelbarer Trieb, welchen wir bey vielen Arten von Thieren ebenfalls wahrnehmen. Wir können die Geselligkeit nicht ganz den Bedürfnissen zuschrei ben. Die andern Grundtriebe der Menschen, ihre Neugier, ihre Neigung, das, was ihnen begegnet, einander mitzutheilen, ihr Trieb zur Thätigkeit, ihr Gefühl der Ehre, ihr Mitleiden, ihre Wohlge wogenheit, ihr Trieb zur Freude, und das morali sche Gefühl würden in der Einsamkeit entweder gar nicht, oder doch nur wenig angewendet werden können, und aus dieser Ursache vereinigen sich die Menschen, ohne daß ein Zwang, oder eine Betrach tung ihrer Bedürfnisse, der unmittelbare und letzte Bewegungsgrund dazu seyn sollte. Die Bande des Bluts würden eben diese Wirkung haben, und wahrscheinlicher Weise haben dieselben vie le Menschen, welche sich ihren Mangel in der Einsamkeit vorgestellet, zuerst veranlasst, daß sie sich, mit dem Vorsatz, einander beyzustehen, und sich zu vertheidigen, vereinigt haben. Nachdem diese Vereinigung geschehen war: so gewann die vorzügliche Redlichkeit, Klugheit oder Herzhaftig
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(Erstes Buch.) 86 Von den feinern keit einiger unter ihnen, die vorzügliche Achtung und das Vertrauen aller übrigen. Es entstanden Streitigkeiten. Sie sahen bald ein, daß die Ent scheidung derselben durch Gewalt, von üblen Fol gen sey. Sie bemerkten, wie viel Gefahr es brin ge, wenn bey den Berathschlagungen über die Ver besserung ihres Zustands oder über die gemein schaftliche Vertheidigung, die Stimmen getheilt wären, ob sie gleich alle sich nur einen Endzweck vorgesetzt hätten. Diejenigen, für welche sie die meiste Achtung hatten, wurden zu Schiedsrich tern in ihren Streitigkeiten, und zu Vorstehern der ganzen Gesellschaft, in Angelegenheiten, die den gemeinen Vortheil betrafen, erwählet. Diese ga ben nach ihrer Einsicht, Gesetze, und machten Ein richtungen zum Besten des gemeinen Wesen. Die übrigen empfanden die Annehmlichkeiten einer gu ten Ordnung, der Sicherheit, der Gesetze, und hatten Ehrfurcht gegen die Gesellschaft, gegen ihre Vorsteher und die eingeführte Verfassung. Die feinern Geister fühlten patriotische Gesinnungen, und die Liebe des Vaterlands in der Brust; und alle wurden, durch die Bande der Verwandschaft, durch gemeinschaftliche Geschäfte, und durch den Genus der Beschützung ihrer selbst und ihrer Gü ter, zur Liebe der Gesellschaft und zum Eifer für die Vortheile derselben angetrieben. (Die natür liche Reli gion.) XII. Da die Ordnung, Grösse, die regel mäsige Einrichtung und Bewegung in der sichtba ren Welt die Seele mit Bewunderung erfüllet; da die verschiedenen Classen der Thiere und Pflanzen,
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Empfindungskräften. 87(Zweyter Abschnitt.) in ihrer ganzen natürlichen Beschaffenheit, die vor treflichste Kunst, den regelmäsigsten Bau, die deut lichsten Absichten, und die bequemsten Mittel zu ge wissen Endzwecken zeigen: so müssen aufmerksame und nachdenkende Menschen ein oder mehrere ver nünftige Wesen, wahrnehmen, von welchen alle diese weise Ordnung und diese Pracht abhängt. Das Grosse und Schöne erfüllt die Seele mit Ehr furcht, und es veranlasset uns, zu schliessen, daß dasselbe unter einem vernünftigen Geiste stehe, und von ihm geordnet werde. Eine sorgfältige Be trachtung unserer eigenen Natur und ihrer Kräfte leitet uns zu eben dieser Folgerung. Unser mora lisches Gefühl, unsre Empfindung von Güte und Tugend, von Kunst und Absicht; unsre Erfahrung, daß es eine moralische Auftheilung in uns gebe, nach welcher Glück und Unglück auf Tugend und Laster unmittelbar folgt; und daß eine gleiche Austheilung auch in äusserlichen Dingen, vermit telst einer natürlichen Richtung, vorhanden sey; alles dieses mus uns eine moralische Regierung in der Welt entdecken. Und da die Menschen geneigt sind, ihre Wissenschaften, Erfindungen und Muth massungen einander mitzutheilen: so müssen die Be griffe von einer Gottheit und Vorsehung bald aus gebreitet werden, und eine geringe Anwendung der Vernunft wird sie zur völligen Ueberzeugung füh ren. Auf diese Art wird eine gewisse Gottesfurcht und Frömmigkeit gemein werden, von der man mit Recht sagen kan, daß sie einem vernünftigen Sy stem natürlich sey. Eine frühzeitige Offenbarung und eine von Zeit zu Zeit fortgeführte Erzählung
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(Erstes Buch.) 88 Von den feinern ist der menschlichen Erfindung hierinnen zuvorge kommen; aber diese allein würden kaum den Glau ben so allgemein gemacht haben, wenn ihnen die augenscheinlichen Gründe, welche in den Werken der Natur liegen, nicht geholfen hätten. Die Begriffe von der Gottheit und eine Art der Anbe tung sind wirklich unter den Menschen allemal eben so gemein gewesen, als das gesellschaftliche Leben, der Gebrauch der Sprache, oder auch die Fort pflanzung ihres Geschlechts; und also müssen sie für natürlich gehalten werden. Die verschiedenen Kräfte, Fähigkeiten, und Bestimmungen, wovon wir bisher geredet haben, werden in dem ganzen menschlichen Geschlecht ge funden, wenn nicht irgend ein Zufall einige einzel ne Personen verunstaltet, oder sie gar verstümmelt, und ihnen eine natürliche Kraft geraubt hat. Aber, in den verschiedenen einzelnen Personen trift man nicht alle diese Fähigkeiten, in gleichem Grade, an; bey einem ist diese grösser; bey einem andern jene; und eben daher entstehet die grosse Verschie denheit in den Charactern, Doch, bey ei ner bequemen Gelegenheit, und wenn von ei nem stärkern Triebe kein Widerstand vorhanden ist, wird sich eine jede äussern, und ihre Wir kung thun. (Die Ursa chen des La sters.) XIII. Ungeachtet alle diese edlern Kräfte, von welchen wir gehandelt haben, uns natürlich sind; so sind doch die Ursachen des Lasters und der
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Empfindungskräften. 89(Zweyter Abschnitt.) Verderbnis der Sitten offenbar. Wir wollen die Ursachen, die uns das Licht der Natur nicht ent deckt, mit Stillschweigen übergehn, und anmerken, daß die Menschen, wenn sie keine sorgfältige Er ziehung haben, die Jahre ihrer Jugend mit Be friedigung ihrer sinnlichen Begierden, und mit Uebung einiger niedern Kräfte, welche durch eine lange Nachsicht immer zunehmen, verbrin gen. Das Nachsinnen über moralische Begriffe, die feinern Vergnügungen, und die Verglei chung derselben mit den unedlern, ist eine müh same Beschäftigung. Die Begierden und Lei denschaften entstehen von sich selbst, wenn ihre Gegenstände, wie es sich oft zuträgt, vorkom men. Sie zu unterdrücken, zu prüfen, und im Gleichgewicht zu erhalten, ist ein schweres Werk. Vorurtheile und ungegründete Verbin dungen der Begriffe, sind Menschen von gerin ger Aufmerksamkeit sehr gewöhnlich. Unsere eigennützigen Leidenschaften gelangen, durch un sere Nachsicht, bald zu einer gewissen Macht. Das menschliche Leben ist also eine unzusammen hängende Vermischung vieler geselligen, liebrei chen, unschuldigen; und vieler eigennützigen, menschenfeindlichen und sinnlichen Handlungen, nachdem es sich zuträgt, daß eine oder die andre unserer natürlichen Fähigkeiten erregt wird, und über andere die Oberhand behält.
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(Erstes Buch) 90 Lezte Bestimmungen
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Der dritte Abschnitt, Von den lezten Bestimmungen des Willens und den gemeinnützigen Neigungen.

(Die lezten Bestimmun gen der See le.) I.Wenn wir nach diesem langen Verzeichnis von den verschiedenen Kräften der Em pfindung, durch welche eine grosse Menge von Ge genständen, zum Vergnügen oder zum Schmerz, zu einer Art von Glückseligkeit oder Elend, Anlas geben; wenn wir nach dem Verzeichnis von den vielen Fähigkeiten des Willens, oder den Bestim mungen der Begierden; wenn wir nach diesem al len urtheilen: so müssen wir die menschliche Natur für eine sehr verworrene Zusammensetzung halten, woferne wir nicht unter diesen Kräften eine Ord nung, und eine Abhängigkeit der einen von der an dern, finden, und durch diesen Weg unterscheiden können, welche von ihnen von der Natur bestimmt sey, die Beherrscherin der übrigen zu seyn. Hier von wollen wir in einigen folgenden Abschnitten handeln. Zuerst lehret uns der Verstand, oder die Kraft zu denken, zu vergleichen, zu urtheilen, die Richtung der verschiedenen Empfindungen, Be gierden, Handlungen, Befriedigungen auf unsre ei gene Glückseligkeit, oder auf die Glückseligkeit an derer; und den verglichenen Werth jeden Gegen stands und jeder Befriedigung, unterscheiden. Die se Kraft urtheilt über die niedern oder untergeord neten Endzwecke: die höchsten Endzwecke sind aus ser ihrem Gebiet. Wir suchen dieselben durch eine unmittelbare Fähigkeit oder Bestimmung der See le auf, welche in der Reihe der Handlungen vor
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des Willens. 91(Dritter Abschnitt.) allen Schlüssen vorhergeht. Keine Meinung, kein Urtheil kan zu einer Handlung bewegen, wenn kein vorhergehendes Verlangen nach einem Endzweck vorhanden ist. Wenn keine andere Bestimmnng<Bestimmung> oder Be(Die Selbst liebe wird als die einzi ge angeführt.) gierde in der menschlichen Seele wäre, als der Trieb zu unsrer eignen Glückseligkeit: so würde die ruhige *Selbstliebe der einzige leitende Grund trieb seyn, welchen die Natur bestimmt hätte, alle andre Neigungen zu beherrschen, einzuschränken, und sie auf die Erlangung ihres Endzwecks zu richten. Sie würde die Vernunft zu ihrer Rath geberin haben, und diese würde ihr die Mittel hier zu an die Hand geben. Aber dieser Endzweck würde blos durch diese höchste Bestimmung, ohne Beyhülfe eines Schlusses, festgesezt werden. Dieses ist eine Lehre, welcher sehr viele(Verschiede ne Erklärun gen davon.) Schriftsteller besonders gewogen sind, und die durch ihre Einfalt vergnügt. Aber diese Schriftsteller machen sehr verschiedene und einander widerspre chende Erklärungen von den eigennützigen Ver gnügungen und der Glückseligkeit, welche man bey den Pflichten, die wir gemeiniglich für tugend 15
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(Erstes Buch.) 92 Lezte Bestimmungen haft halten, zur Absicht hat. Einige glauben, daß in einigen Vortheilen der Welt, in einigen körper lichen Vergnügungen, oder in den Mitteln, dazu zu gelangen, der einzige Bewegungsgrund zu allen Pflichten, und zu allen, auch den anständigsten Hand lungen, und der einzige höchste Endzweck derselben, liege. Dieses war die Meinung der Cyrenaiker, und wahrscheinlicher Weise der Epikuräer; sie ist auch die Meinung einiger neuern Weltweisen. Andere sagen, wir begehrten den Wohlstand ande rer einzelner Personen, oder ganzer Gesellschaften, blos als das Mittel unsrer eigenen Sicherheit und Glückseligkeit; andere halten dafür, wir begehr ten ihn als das Mittel einiger feinern Vergnü gungen, die wir, durch eine Sympathie, mit an dern über ihr Glück zugleich empfänden; noch an dere wollen, unser Endzweck|sey|das<Endzweck sey das> Vergnügen, welches wir empfinden, wenn wir geehrt werden; oder die Belohuung<Belohnung>, welche wir für unsre Dien leistungen entweder von Gott oder von Menschen erwarten. Aber man hat noch eine höhere Lehre. Es nehmen einige zwar keine andre ruhige Bestim mung der Seele an, als unsre eigene Glückseligkeit, allein sie geben zu, daß wir ein moralisches Ge fühl haben, und viele besondere liebreiche Nei gungen besitzen, die wirklich uneigennützig sind, die Glückseligkeit anderer zum lezten Endzweck haben, und oft wirksam sind, wenn wir auch in unsrer Seele keine Beziehung derselben auf unsre eigene Glückseligkeit wahrnehmen. Allein sie fügen hin
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des Willens. 93(Dritter Abschnitt.) zu: „der einzige ursprüngliche Qvell<Quell> eines jeden ruhigen und überlegten Vorsatzes, diese grosmü thigen Neigungen auszuüben, und dieselben, den eigennützigen Neigungen zuwider, zu befriedigen, sey dieser: wir empfänden die erhabenste Lust ei nes Beyfalls, den wir uns selbst geben, wenn wir diese grosmüthigen Regungen befriedigen; diese Lust sey ein grösseres Glück, als irgend eines; und das Verlangen nach ihr, welches aus einer ruhigen Selbstliebe entspringe, sey die Absicht eines jeden überlegten Vorsatzes, tugendhaft zu seyn; ob gleich die liebreichen Neigungen uns oft, auch ohne diese Gedanke, zu wohlthätigen und grosmüthigen Handlungen antreiben könten.“ Diese lezte Erklärung enthält eine liebens würdige Vorstellung der menschlichen Natur und ihrer Neigungen, und räumt auch den edelmüthig sten Tugenden des Lebens, eine ansehnliche Stelle ein; aber sie hat nicht den Verdienst der Einfalt, wie die andern Erklärungen, welche jede Regung des Herzens, unmittelbar aus der Selbstliebe, herleiten. Man kan diese Lehre nicht unter dieje nigen rechnen, welche sich blos auf die Selbstliebe gründen, weil sie die edelsten Tugenden aus den uneigennützigen Neigungen, welche dem Herzen na türlich sind, herleitet, ob sie gleich, in unsern ruhi gern Stunden, durch die ruhige Betrachtung und das Verlangen unsrer eigenen Glückseligkeit befe stiget werden können. Allein, unsre Beschäfti gung ist, die Wahrheit zu finden, und wir wollen andern Schriftstellern ihre Lehren überlassen. Es
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(Erstes Buch.) 94 Lezte Bestimmungen ist zu dem Ende nöthig, daß wir sowohl die Nei gungen, welche man für uneigennützige ausgiebt, als auch das moralische Gefühl, durch welches wir alle Bewegungen des Willens beurtheilen, in genaue Erwägung ziehen, damit wir einsehen kön nen, ob in der Seele, wie wir oben bemerkt haben, eine andre ruhige Bestimmung vorhanden sey, ausser derjenigen, welche sich auf unsre eigene Glück seligkeit bezieht; und ob einige besondre Neigun gen vorhanden sind, welche auf das Beste anderer, als ihren unmittelbaren und höchsten Gegenstand, abzielen, ohne alle Absicht auf einigen eigenen Vortheil. (Bey den Begierden ist die Unru he von den Bewegungs gründen un terschieden.) II. Die ruhige Selbstliebe, oder die Be stimmung einer jeden einzelnen Person, ihre eigene Glückseligkeit zu suchen, ist eine Bewegung des Willens, welche keine unruhige Empfindung zur Begleiterin hat. Aber die verschiedenen eigennützi gen Triebe, welche auf besondre Gegenstände ge richtet sind, werden gemeiniglich von einigen unru higen ungestümen Empfindungen, in sehr verschie denen Graden, begleitet: doch sind diese Empfin dungen von den Wirkungen des Willens, mit wel chen sie vereiniget sind, eben sowohl unterschieden, als von den Bewegungsgründen der Begierden. Der Bewegungsgrund ist das Gute, welches wir in einem Gegenstand, oder in einer Begebenheit wahrgenommen haben, und auf welches die Begier de gerichtet ist; aus dieser Begierde entstehet eine Unruhe, bis wir das Gute erlangt haben. Bey dem Abscheu ist der Bewegungsgrund ein wahrge
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des Willens. 95(Dritter Abschnitt.) nommenes oder befürchtetes, und vielleicht noch nicht empfundenes Uebel. Unruhe begleitet den Abscheu so lange, bis das Uebel abgewendet wor den. Die schmeichlerische Aussicht in Vergnügun gen, oder in ein grosses Ansehen, welches mit dem Ueberflus verknüpft ist, sind die Bewegungsgründe der Begierde nach Reichthum; und niemals ist es das unruhige Gefühl, welches die Begierde selbst begleitet. Dieses Gefühl ist in der Natur eine Fol ge von der Begierde. Wenn wir dasjenige, was wir begehrten, er langt haben: so entsteht, ausser dem Vergnügen, welches wir dadurch erhalten können, und welches der Bewegungsgrund der Begierde war, oft noch ehe wir dasselbe geniessen können, ein anderes Ver gnügen, welches eine unmittelbare Folge des glück lichen Erfolgs ist, wenigstens in solchen Fällen, wo eine Schwierigkeit der Erlangung, oder die Furcht eines widrigen Zufalls vorhanden war. Es wäre abgeschmackt, wenn man behaupten wollte, diese Freude über den glücklichen Erfolg sey der Be wegungsgrund der Begierde. Wir dürften keine Freude über den glücklichen Erfolg empfinden, und wir würden keine Begierden haben, wenn nicht die Wahrnehmung eines andern Gutes der Bewe gungsgrund gewesen wäre. Es ist unläugbar, daß bey allen unsern eigennützigen oder gemeinnü tzigen Trieben ein Bewegungsgrund, ein vorgesez ter Endzweck, vorhanden sey, welcher von der Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die Entfernung der aus der Begierde entstandenen Un
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(Erstes Buch.) 96 Lezte Bestimmungen ruhe unterschieden ist. Denn ausserdem würden alle unsre Begierden die seltsamsten Dinge von der Welt seyn, und wir würden eine Kleinigkeit eben so heftig begehren, als das grösste Gut; weil die Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die Entfernung der aus der Begierde entstandenen Unruhe, in beyden Arten von Begierden, einander gleich seyn würde. Es ist also seltsam, alle unsre Begierden um deswillen für eigennützig auszuge ben, weil wir, bey ihrer Befriedigung, uns über den glücklichen Erfolg vergnügen, und uns von dem aus den Begierden entstandenen unruhigen Gefühl befreyen. (Das Wohl wollen gegen andere, wel ches sich auf den Eigen nutz grün det, ist keine Tugend.) III. Es wird niemand läugnen, daß gewisse wohlthätige Handlungen, aus den eigennützigen Begierden nach Belohnungen, Erwiederungen der geleisteten Dienste, und nach Ehre, entspringen können. Man kan andern aus Furcht einer un gerechten Gewalt, oder einer gerechten Ahndung dienen. Ja, aus dem Verlangen nach unsrer ei genen Glückseligkeit kan in uns ein inneres un verstelltes Verlangen nach der Glückseligkeit an derer entstehen, wenn wir sehen, daß diese leztere ein Mittel ist, unsre eigene zu befördern. So verlangt man nach dem Glück eines Gesellschafters in gemeinschaftlichen Unternehmungen; nach dem blühenden Zustand eines Landes oder einer Gesell schaft, von welchem unser Glück abhängt; nach der weiteren Beförderung eines Freundes, von dem wir die unsrige erwarten; nach dem Wohlstand und der guten Aufführung eines Untergebenen
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des Willens. 97(Dritter Abschnitt.) oder eines Mündels, welche dem Lehrer oder Vor mund zur Ehre gereichen kan. Diese Triebe, wel che wirklich auf die Wohlfart anderer abzie len, sind unsern eigennützigen Begierden unter worfen. Man ist darinnen einig, daß die Begierden,(Ob es Neigungen giebt, wel che, ohne al le Absicht auf unsern eige nen Vor theil, die Wohlfart anderer zum Endzweck haben.) welche zwar auf die Wohlfart anderer gerichtet sind, aber, ohne alle andre Neigung, den Begier den nach unserm eigenen Vortheil unterwürfig seyn müssen, nichts tugendhaftes in sich haben. Eine Veränderung in den äusserlichen Umständen, ohne einige Veränderung in der Gemüthsbeschaffenheit, würde, auf gleiche Art, in uns das Verlangen nach den Widerwärtigkeiten anderer erregen. Die vor nehmste Frage ist, ob die Neigungen, welche wir für gemeinnützig halten, auf einige edlere, als ei gennützige, Vortheile gerichtet sind, und dieselben zum höchsten Endzweck haben: oder ob keine lieb reichen Neigungen, auf das Beste anderer, als den höchsten und lezten Endzweck, abzielen; und ob diese, von der Natur, (entweder an und für sich, oder vielleicht zuweilen durch einige Be trachtungen eines Eigennutzes,) zu der unmittelba ren Ursache des moralischen Beyfalls bestimmt wor den sind. IV. 1. Es ist klar, daß alles, was wir von(Sie sind von den Be= lohnungen, die wir von Menschen er warten kön nen, unab hängig.) andern Menschen, in Absicht auf Reichthum oder Armuth, Ehre oder Schande, körperliches Vergnü gen oder körperlichen Schmerz, hoffen oder fürch ten, nur der Bewegungsgrund zu äusserlichen Handlungen oder Gefälligkeiten, und nicht zu ei
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(Erstes Buch.) 98 Lezte Bestimmungen ner innern Gewogenheit oder zu einem Verlangen nach ihrer Glückseligkeit seyn kan; weil wir alle wissen, daß unsre innerlichen Neigungen andern verborgen sind. Das äusserliche Verhalten kan blos das Mittel abgeben, dasjenige, was wir von ihnen hoffen, zu erlangen, oder, was wir fürchten, abzuwenden. (Sie sind auch von den Belohnun gen Gottes und dem in nern Beyfall unabhängig.) 2. Da die Liebe unserer selbst nur ein Ver langen nach den Mitteln unsrer eigenen Glückselig keit in uns hervorbringt: so kan man schwerlich be haupten, daß selbst die edelsten Vortheile die Qvel le<Quelle> einer wahren Zuneigung gegen andre seyn kön nen. Wenn man mit dem höhern Vergnügen ei nes innern Beyfalls bekant ist, welcher aus dem Bewustseyn eines guten Herzens und liebreicher Neigungen, entspringt; oder wenn man sich über zeugt hält, daß die Gottheit, für Menschen, von solcher Gemüthsbeschaffenheit, Belohnungen be stimmt habe: so können diese zween Bewegungs gründe ein Verlangen in uns erregen, diese gemein nützigen Neigungen zu besitzen, damit wir durch dieselben glücklich werden mögen. Könten wir, auf das Geheis unsers Willens, Neigungen, die wir zu haben verlangen, in uns hervorbringen: so würden wir, aus diesen Bewegungsgründen, uns mit liebreichen Neigungen versehen. Allein wir können uns keine Art von Neigungen, durch die sen Weg, verschaffen. Gleichwie, durch keine Wir kung des Willens, Hochachtung gegen einen Gegen stand, der nichts vortrefliches hat; oder Furcht vor etwas, das nicht furchtbar ist; oder Unwillen ohne
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des Willens. 99(Dritter Abschnitt.) eine vorhergegangene Beleidigung; oder Mitlei den, ohne Wahrnehmung eines Elends; oder Dankbarkeit, ohne eine vorhergegangene Gütigkeit, hervorgebracht werden kan: also kan eine Seele, welche ganz von der Begierde nach ihrer eigenen Glückseligkeit eingenommen ist, durch keinen Be fehl ihres Willens, liebreiche Neigungen in sich hervorbringen. Die natürliche Ursache mus vor handen seyn, ehe eine Neigung entstehen kan. Wenn unsre Herzen wirklich so beschaffen(Wie die göttlichen Gesetze wir ken, die Men schen tugend haft zu ma chen.) sind, wie sie von den Vertheidigern der eigennützi gen Neigungen beschrieben werden, daß nämlich, so bald sich der Zustand empfindender Wesen unsern ruhigen Gedanken darstellt, wir eine natürliche Wohlgewogenheit empfinden, woferne weder Vor theile, noch eine in ihnen wahrgenommene üble Beschaffenheit sich entgegensetzen, und die natürli chen Regungen unserer Seelen hemmen: so wer den die Bewegungsgründe, uns die edlern Vergnü gungen des Beyfalls unserer selbst, oder die Be lohnungen Gottes zuwege zu bringen, uns geneigt machen, auf den Zustand anderer unsere ruhige Aufmerksamkeit zu richten; wir werden den gerin gen Widerstand der Vortheile und selbst die Hin dernisse des Unwillens überwinden. * Eben diese 16
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(Erstes Buch.) 100 Lezte Bestimmungen Bewegungsgründe werden uns veranlassen, alle dieje nigen Eigenschaften, Vollkommenheiten oder Gefäl ligkeiten anderer zu untersuchen, welche die natür lichen Gelegenheiten zu liebreichern Neigungen sind. Auf diese Art haben die Vorschriften der göttlichen Gesetze auf unsere Neigungen einen Einflus. 3. Vermöge der Liebe unserer selbst hingegen, verlangen wir blos nach den Mitteln, wodurch wir unsre eigene Glückseligkeit befördern können. Nun ist aber die wirkliche Glückseligkeit anderer weder die Ursache, noch das Mittel, den Beyfall unserer selbst oder die Belohnungen Gottes zu er halten. Unsre Herzen geben uns Beyfall, und Gott verspricht uns Belohnungen, nicht weil an dre wirklich glücklich sind, sondern weil wir lieb reiche Neigungen haben, und unsre Kräfte zu ih rem Vortheil anwenden; der Erfolg mag sie nun glücklich machen oder nicht. Dahero kan unser Verlangen nach dem Vergnügen unsers eigenen Beyfalls, oder nach göttlichen Belohnungen, uns nur zu den Wunsch veranlassen, diese Neigungen zu besitzen, und ihnen gemäs zu handeln. Aber diese
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des Willens. 101(Dritter Abschnitt.) Neigungen können nicht durch den Willen erweckt werden; und wenn sie vorhanden sind: so sind sie einzig und allein auf die Wohlfart anderer, als ihren lezten und höchsten Endzweck gerichtet; ob wir gleich bey unsern vorhergegangenen Berath schlagungen mit uns selbst, oder bey unsern Ueber legungen, wegen der inneren Bildung unsrer See le, den Entschlus gefasst haben können, alle diese Neigungen in Absicht auf unsre eigene Vollkom menheit und höchste Glückseligkeit, in uns lebhaft zu machen; auf alle diejenigen Betrachtungen, durch welche sie natürlicher Weise erregt werden können, unsre Achtsamkeit zu richten; und alle ge ringe dawider streitende Vortheile dieser gegenwär tigen Welt zu verachten. Diese grosmüthigen Neigungen wirken oft da, wo keine Ueberlegung, kein Vorsatz, sie lebendig zu machen, vorhergegan gen ist; und, wenn ein solcher Vorsatz vorhergeht: so sind sie allemal, auf ihren natürlichen Gegen stand, die Wohlfart anderer, gerichtet, und sie müssen in der Seele eher vorhanden seyn, als alle Bemühungen, sie lebendig zu machen. Es ist nichts fremdes oder ungewöhnliches,(Die Nei gungen ent stehen nicht so gleich, wenn wir wünschen, sie zu besitzen.) daß es einem Menschen an gewissen zärtlichen und grosmüthigen Neigungen, als der Liebe, der Hoch achtung, der Dankbarkeit, des Mitleidens, der Be reuung zugefügter Beleidigungen, fehlen kan; un geachtet er ernstlich wünscht, sie zu besitzen. Eine innerliche Sinnesart oder ein System von Nei gungen ist kein Werk, das, auf einmal, durch einen blosen Wunsch, oder Befehl, entstehet. Man sieht
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(Erstes Buch.) 102 Lezte Bestimmungen oft, daß Menschen, welche Tugend und Gottesfurcht nicht geachtet haben, bey der Annäherung einer Ge fahr oder bey andern Gelegenheiten, entweder von Selbstliebe oder von der Furcht der Strafe ange trieben, aus vollem Herzen wünschen, daß sie Liebe und Dankbarkeit gegen Gott, Liebe und Wohlwol len gegen ihren Nächsten, eine gelassene und zur Verzeihung geneigte Gemüthsart, und Reue über ihre Sünden in sich wahrnehmen möchten; und doch lehret sie ein trauriges Bewustseyn, daß alle diese Neigungen in ihnen nicht entstehen. In tu genthaften Menschen wirken dieselben ohne alle Ab sicht auf einen Vortheil, ohne Betrachtung eines innern Beyfalls oder zukünftiger Belohnungen. Ja, sind nicht einige von diesen liebreichen Neigungen die stärksten, in deren Ansehung wir weder Ehre von den Menschen, noch Belohnungen von Gott, noch einen beträchtlichen innern Beyfall erwarten dürfen? Unter dieselben gehören die Nei gungen der Ehegatten und Verwandten, die Freund schaft und Dankbarkeit. So sehr wir auch dieje nigen verachten, welchen es an denselben fehlt; so werden diese Neigungen doch immer für geringere Tugenden gehalten, und einige verdienen kaum Tu genden genennet zu werden. (Es entsprin gen nicht alle liebreiche Neigungen aus der Sym pathie.) V. Einige behaupten, daß unsere meisten grosmüthigen Neigungen, unserm eigenen Besten, vermittelst einer Sympathie, unterworfen wären, welche das Vergnügen oder den Schmerz, die Glückseligkeit oder das Elend anderer zu beständi
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des Willens. 103(Dritter Abschnitt.) gen Ursachen unsers eigenen Vergnügens und Schmerzens machte. Wir freuen uns, wenn wir sehen, daß andre glücklich sind, oder wenn wir, in einer Entfernung von ihnen, nur wissen, daß sie es sind. Auf gleiche Art empfinden wir Schmerz oder Traurigkeit über ihr Elend. Um nun dieses Vergnügen zu erhalten, und diesen Schmerz zu vermeiden, sagt man, haben wir, vermöge der Selbstliebe, ein innerliches aufrichtiges Verlangen nach ihrer Glückseligkeit, ungeachtet dasselbe von dem Verlangen nach unsrer eigenen abhängt. Aber ob gleich diese Sympathie für einen natürli chen Grundtrieb und für einen schönen Theil un srer innern Einrichtung anzusehen ist: so können doch dadurch niemals alle liebreiche Neigungen er kläret werden. Wenn sie allein wirkt: so steht sie immerfort im Verhältnis mit dem wahrgenomme nen oder eingebildeten Elend oder Leiden, ohne Ab sicht auf andre Nebenumstände; dahingegen unsre grosmüthigen Neigungen sehr verschiedene Grade und Verhältnisse haben. Wir können eine schwä chere Wohlgewogenheit gegen eine unbekante Per son empfinden; aber wie viel stärker ist nicht die Neigung der Dankbarkeit, die Liebe und Hochach tung gegen einen würdigen Mann, oder gegen ei nen vertrauten Freund, die verwandschaftliche Lie be? Wenn diese Sympathie die Ursache aller Lie be seyn soll: so mus sie sehr vielen Veränderungen unterworfen seyn, und durch empfangene Wohl thaten, durch die Wahrnehmung der moralischen Vortreflichkeit, durch Vertraulichkeit, und Blutver wandtschaft zunehmen; denn die innerliche Gewo
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(Erstes Buch.) 104 Lezte Bestimmungen genheit, die liebreiche Neigung, nimmt durch diese Ursachen stark zu. Wenn man auch annimmt, daß diese Sympathie, durch diese Ursachen, natürlicher Weise verändert wird: so kan doch aus derselben nicht erklärt werden, wo her der unmittelbare Ausbruch einer heftigen Liebe und Gewogenheit gegen einen Character, welcher uns in der höchsten moralischen Vortreflichkeit vor gestellt wird, entstehet, ehe wir an den Zustand des selben gedacht, oder erfahren haben, ob er glücklich oder elend sey. Man setze voraus, daß er sich in den entfern ten Gegenden der Erde, oder in einem andern Planeten aufhalte. Wir können in der That die Absicht der Seele, bey ihrem Bestreben und bey ihren Nei gungen erkennen. Ist wohl bey einigen sympa thetischen Freuden unser eigenes Vergnügen der Gegenstand, auf welchen jede liebreiche Neigung, und jeder gutherziger Wunsch abzielet? Ist die Sorge für die Kinder, ist die Liebe des Vater lands, auch alsdenn, wenn sie uns zu einer über legten Aufopferung des Lebens antreibet, auf die Erreichung eines eigenen Vergnügens, gerichtet? Wenn und wo kan es erreicht werden? Nur ei nen Augenblick oder zween zuvor, ehe uns der Tod, allen menschlichen Angelegenheiten entzieht. Ueber dieses denken auch wenige von uns daran, den Zustand derjenigen, die uns überleben, zu wissen. Sollte Gott einem rechtschaffenen und unerschrockenen Manne ankundigen, daß sein Tod, in dem nächsten Augenblicke, erfolgen, und daß er keine Empfin dung mit den Sterblichen weiter gemein haben,
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des Willens. 105(Dritter Abschnitt.) noch ein Andenken an sie behalten werde, daß ihm aber seine letzten Wünsche, in Ansehung seiner Kin der, seiner Freunde, seines Vaterlands, gewähret werden sollten: würde dieser Mann ihre Wohl fart nicht eben so inbrünstig wünschen, als in sei nem vorherigen Leben, ungeachtet seine angenehme sympathetische Einbildung im nächsten Augenblicke aufhören sollte? Wie will man aus der Sympa pathie erklären, warum die sterbenden Menschen für alle diejenigen, die ihnen werth sind, solche Be ängstigungen fühlen, warum sie andern dieselben so zärtlich empfehlen, sie vermahnen, und so brünstig für sie beten, da sie doch überzeugt sind, daß sie gegenwär tig aus diesem Zustande versetzet werden, und von menschlichen Angelegenheiten weiter nichts wissen sollen? Auch unser Mitleiden gegen die Unglückli(Das Mit leiden ist nicht eigen nützig.) chen ist offenbar auf die Erleichterung ihres Elends gerichtet, wenn wir auch auf unsern eigenen Schmerz nicht aufmerksam sind. Niemals kan der letzte Endzweck einer Begierde blos die Entfernung der Unruhe seyn, welche dieselbe begleitet. Ob also gleich in der Natur, zwischen unserm Vortheil und den Gegenständen unsrer zärtlichen Neigungen, ei nige Verbindung seyn kan: so geht doch die Nei gung, welche auf ihren guten Endzweck abzielet, vor dieser Verbindung vorher, und ist die Ursache von ihr. Wir freuen uns daher über das Glück unsrer Kinder, unsrer Freunde, unsers Vaterlan des; weil wir eine ganz unabhängige Gewogen heit gegen sie haben. Wir lieben sie und wün
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(Erstes Buch.) 106 Lezte Bestimmungen schen ihre Wohlfart, nicht um deswillen, weil ihre Glückseligkeit uns erfreuen, und ihr Elend uns be trüben kan. Je stärker also unsre vorhergegan gene Liebe und Zuneigung war, desto grösser ist unsre Freude über ihre Glückseligkeit; und unsre Betrübnis über ihr Elend. (Einige Nei gungen sind gänzlich un eigennützig.) Dieses kan genug seyn, die wichtigen Wahr heiten fest zu setzen, daß unsre Natur solcher Nei gungen fähig ist, welche, im genauesten Verstan de, uneigennützig sind, und weder von der Selbst liebe abhängen, noch einen Eigennutz zum Endzweck haben. Die Bande des Blutes, erhaltene Wohl thaten, die Wahrnehmung der moralischen Vor treflichkeit sind, ohne Betrachtung eines Vortheils, der uns von ihnen zuwachsen könte, die natürlichen Ursachen dieser besondern liebreichen Neigungen. Einige davon entstehen ohne Verdienst; alle aber haben das Beste anderer zum lezten Endzweck; und alle wirken oft in der Seele, wenn sie auf ih ren eigenen Vortheil nicht sieht, oder keinen ver nünftigen Grund hat, ihn zu hoffen. Ja sie äussern sich auch noch alsdenn, wenn sie die Seele in Un ruhe und Bekümmernis setzen. (Ruhige Neigungen und Leiden schaften.) VI. Gleichwie wir oben bemerkt haben, daß die besondern Bewegungen des Willens, in Absicht auf das eigene Beste, entweder ruhige Neigun gen oder ungestüme Leidenschaften sind; also gilt dieses auch von denjenigen besondern Bewegungen, welche auf das Beste anderer abzielen. Einige von ihnen sind still und ruhig; sie haben die Glückselig keit ihres Gegenstands zur Absicht, welcher entwe
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des Willens. 107(Dritter Abschnitt.) der eine einzelne Person oder eine ganze Gesellschaft ist. Sie sind mit keinen ungestümen Empfindun gen verbunden, und verursachen nur alsdenn Un ruhe, wenn sie ihre Absicht nicht erreichen; an dere sind ungestüm, und werden von unruhigen Empfindungen begleitet. Wir können in dieser Vergleichung noch weiter gehen. Wie die menschliche Seele, wenn sie in sich selbst hineingeht, eine ruhige allgemeine Neigung gegen ihre eigene höchste Glückseligkeit, wovon sie einen Begrif hat, in sich findet; also finden wir eine ähnliche unabhängige Neigung in Absicht auf das Beste anderer Menschen. Wenn wir ruhig sind, und unsrer Seele den Begrif des grössten möglichen Systems empfindender Wesen, und der höchsten Glückseligkeit, deren es fähig ist, vorstel len: so finden wir zugleich eine ruhige Bestim mung, dieselbe zu verlangen, ohne dabey auf einige Verbindung mit unsern eigenen Vortheilen zu se hen. Wir finden, daß diese zwo grossen Bestim mungen, deren eine auf die höchste eigene Glückselig keit, die andre aber auf das grösste allgemeine Gute abzielet, unabhängig von einander sind, und daß jede die Gewalt erlangen kan, alle besondre Neigungen ihrer Art zurückzuhalten, und sich die selben unterwürfig zu machen. Aber hier entsteht eine neue Zwietracht in(Ob der ei gennützige Grundtrieb dem gemein nützigen un terworfen ist, oder nicht.) diesem zusammengesetzten Baue. Diese zween Grundtriebe scheinen auf ganz verschiedene Wege zu leiten. Mus die gemeinnützige Bestimmung und alle ihre besondre Neigungen der eigennützigen
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(Erstes Buch.) 108 Lezte Bestimmungen nachgeben, und unter ihrer Herrschaft stehen? Dürfen wir uns unsern liebreichen Bewegungen, nur in so weit es der Eigennutz verstattet, und wei ter nicht, überlassen? Oder mus die eigennützige der gemeinnützigen weichen? Oder können wir an nehmen, daß in diesem zusammengesetzten System zween höchste Grundtriebe vorhanden sind, welche sich oft einander widersetzen, ohne daß eine Bey legung ihres Zwists möglich sey? Oder können wir eine ursprüngliche ruhige Bestlmmung, welche auf das gemeine Beste abzielet, läugnen; und sol len wir blos eine Verschiedenheit von besondern liebreichen Neigungen zugeben, die als die höchsten angesehen werden müssen, und zwar weder aus der Selbstliebe entstehen, noch eigentlich auf den Ei gennutz, als ihren natürlichen Endzweck, gerichtet sind; die aber doch, bey allen unsern überlegten Berathschlagungen über die allgemeine Einrichtung unsers Verhaltens, nebst den besondern eigennützi gen Begierden und Leidenschaften, dem ursprüngli chen Triebe zu unserer eigenen Glückseligkeit und Vollkommenheit, unterworfen sind? Dieses Letztere scheint das System einiger vortreflichen Schrift steller des Alterthums und neuerer Zeiten zu seyn. (Dieses wird durch das moralische Gefühl be stimmt.) Wenn man hier anführen wollte, daß wir, durch unsere Vernunft und Ueberlegung, die Ab sicht einsehen können, welche Gott, der Urheber unsrer Natur, bey diesem ganzen Bau unsrer Nei gungen gehabt hat; daß die allgemeine Glückselig keit und die Glückseligkeit einer jeden einzelnen Person, in so fern diese neben jener bestehen kan,
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des Willens. 109(Dritter Abschnitt.) sein einziger augenscheinlicher Endzweck sey; und daß dieser Endzweck uns zur Vorschrift dienen müsse, nicht nur alle eigennützigen Neigungen, sondern auch selbst alle grosmüthigen besondern Neigungen, so, wie es das allgemeine Beste des Ganzen erfordert, in Schranken zu halten und zu unterdrücken; wenn man alles dieses anführen wollte: so ist es zwar in der That gegründet, allein die Schwierigkeit wird dadurch noch nicht gehoben, wenn wir nicht zuförderst unterrichtet sind, welche Bestimmung der Seele, welcher Bewegungsgrund, uns antreibt, den göttlichen Absichten gemäs zu handeln. Ist es das Verlangen nach Belohnun gen: so ist die eigennützige ruhige Bestimmung der einzige letzte Grundtrieb bey allen überlegten Unter nehmungen des Lebens. Ist es eine Empfindung der moralischen Vortreflichkeit Gottes, ein Ver langen, ihn nachzuahmen, ist es Liebe und Dank barkeit: so mus das Verlangen nach der morali schen Vortreflichkeit die höchste ursprüngliche Be stimmung seyn. Aber ungeachtet dieses Verlan gen nach der moralischen Vortreflichkeit, ein ur sprünglicher unabhängiger Trieb ist: so setzet dassel be doch einige vorhergehende Bestimmungen des Willens, als seinen Gegenstand, voraus. Und un ter diesen müssen einige seyn, in welchen die höchste moralische Vortreflichkeit bestehet, ausserdem würde unser Gefühl der moralischen Vortreflichkeit und das Verlangen nach ihr, weil es viele besondere widereinander streitende Neigungen empfehlen könte, uns in ein neues Labyrinth führen. Die Auflö sung dieser Schwierigkeiten müssen wir, vermittelst
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(Erstes Buch.) 110 Von dem moralischen Gefühl, einer vollständigen Betrachtung des obenerwähnten moralischen Gefühls, finden, zu welcher wir, im nächsten Abschnitt, fortgehen und die Gründe anführen wollen, wodurch zu beweisen ist, daß die ses moralische Gefühl eine ursprüngliche Be stimmung in unsrer Natur sey, welche unter die andern Kräfte der Empfindung nicht gerechnet werden kan.
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Der vierte Abschnitt, Von dem moralischen Gefühl, oder der Fä higkeit, die moralische Vortreflichkeit zu em pfinden; und von den höchsten Gegen ständen desselben.

(Der Be grif der mo ralischen Güte liegt nicht da rinnen, daß sie uns ver mittelst der Sym pathie Vergnü gen ver schaffe.) I.Ob gleich liebreiche Neigungen in uns liegen, welche das Beste anderer zum letzten Zweck haben, und deren Befriedigung uns ange nehm ist: so ist doch unser Beyfall, welcher das moralische Verhalten begleitet, ganz etwas anders, als wenn uns dasselbe blos um deswillen gefällt, weil es, bey Befriedigung dieser liebreichen Nei gungen, für uns ein Anlas zum Vergnügen gewe sen ist. Gleichwie nicht ein jedes Verhalten, das uns dieses Vergnügen verschaft, unsern Beyfall er hält: also geben wir denselben oft einem solchen Verhalten, das uns kein Vergnügen veranlasst; und der Beyfall, welchen wir dem guten Verhal ten, das uns dieses Vergnügen gewährt, zugestehen, steht mit dem Vergnügen selbst in keinem abgemes senen Verhältnis. Dahero werden viele Erfin dungen und Künste, welche den Personen, oder den
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und dessen Gegenständen. 111(Vierter Abschnitt.) Ländern, die wir lieben, Nutzen schaffen, nicht mit dem Beyfall beschenkt, der eine Belohnung der Tugend ist; hingegen geben wir denselben gros müthigen Unternehmungen, wenn sie gleich nicht gelingen. Wir geben ihn den Tugenden un srer Feinde, wenn sie auch den vornehmsten Ge genständen unsrer Liebe Schaden zufügen können. Die Tugenden oder grosmüthigen Gesinnungen redlicher Männer in ältern Zeiten, gegen ihre Zeit genossen; oder unter den entferntesten Völkern, gegen ihre Landsleute, für welche wir nur schwache Neigungen haben; crhalten<erhalten> eben sowohl unsern Beyfall, als wenn unsre Freunde, oder unser Va terland, die Gegenstände unsrer stärksten Neigun gen, durch ähnliche Tugenden und Gesinnungen be glückt worden wären. Ferner, ungeachtet der Beyfall, welchen wir(Noch darin nen, daß sie das morali sche Gefühl vergnügt.) der moralischen Vortreflichkeit zugestehen, eine ange nehme Handlung oder Empfindung der Seele ist: so ist doch offenbar, daß das Gute, welches unsern Beyfall erhält, keineswegs das Bestreben ist, uns eine angenehme Empfindung zu verschaffen. Wenn uns eine schöne Gestalt gefällt, und wir die Schön heit dem Gegenstand zuschreiben: so sagen wir nicht, daß er um deswillen schön sey, weil wir bey dem Anblick desselben einiges Vergnügen em pfanden; sondern wir sind durch diesen Anblick um deswillen vergnügt worden, weil er, ehe wir ihn noch sahen, bereits schön war. Auf gleiche Art finden wir, bey der Bewunderung der Tugend ei nes andern, daß die ganze Vortreflichkeit oder die
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(Erstes Buch.) 112 Von dem moralischen Gefühl, Eigenschaft, deren Billigung uns die Natur vor schreibt, in diesem andern liegt; und wir werden durch die Betrachtung derselben deswegen vergnügt, weil der Gegenstand vortreflich ist; hingegen wird der Gegenstand nicht aus der Ursache für vortreflich angesehen, weil er uns vergnügt hat. (Noch darin nen, daß sie der handeln den und ur theilenden Person Vor theil schaft.) II. Noch viel weniger erhält die Tugend um deswillen unsern Beyfall, weil sie eine Neigung, oder eine Handlung ist, welche der handelnden Person Vergnügen verschaft. Sie kan ihn zwar, wenn sie nachdenkt, vermittelst des moralischen Ge fühls, Vergnügen bringen: aber es ist unläugbar, daß wir die Tugend eines andern alsdenn am mei sten bewundern, wenn wir auf ihre Schwierigkei ten, Gefahren und Sorgen aufmerksam sind, und an ein gegenwärtiges oder zukünftiges Vergnügen der handelnden Person nicht gedenken. Es wäre seltsam, wenn die Menschen nicht im Stande seyn sollten, zu erkennen, unter was für einer Gestalt, oder unter welchem Begrif oder unter welcher Vorstellung sie ihre eigene Neigungen und ihr eignes Verhalten, oder die Neigungen und das Verhalten anderer, billigen, hochachten, oder bewun dern; und das Gegentheil misbilligen und ver werfen. Man sollte denken, es sey offenbar, daß der Begrif, unter welchem man die Tugend billigt, keineswegs in der Erwartung liege, daß sie der han delnden Person Vortheil, und der Person, welche den Beyfall ertheilt, eine Belohnung verschaffen werde. Niemals erwartet derjenige, welcher die Tugend eines andern billigt, dafür eine Beloh
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und dessen Gegenständen. 113(Vierter Abschnitt.) nung; er ertheilt ihr auch alsdenn seinen Beyfall wenn er dadurch die Beförderung seines Vortheils nicht hoffen darf: und er wird solche Handlungen, mit welchen die Erreichung eines Nutzens verknüpft ist, desto weniger hochachten, je vortheilhafter sie für die handelnde Person sind, und je mehr er sich vorstellt, daß sie von derselben, in Absicht auf ih ren eigenen Vortheil, unternommen worden. Wir achten eine Handlung um deswillen der Belohnung werth, weil sie gut ist, und wir halten sie nicht deswegen für gut, weil sie Belohnung verdient. Die urtheilende und die handelnde Person legen alle beyde guten Handlungen, in Absicht auf die Tu gend, einen desto grössern Werth bey, je höher sie der handelnden Person zu stehen kommen, und je nachtheiliger sie derselben sind. Beyde Personen misbilligen solche Handlungen als unmoralisch, welche die ersten der andern, durch Vorstellung eines Gewinns, ablockt, und welche die andere in der Absicht, ihn zu erhalten, unternimmt; sie hal ten beyde dafür, daß diese Handlungen, auf diese Art, auf einen Vortheil abzielen. Wenn also die deutliche Vorstellung, daß die(Noch in der Einbil dung eines Vortheils.) urtheilende oder handelnde Person einen Vortheil erhalten werde, keinen moralischen Beyfall zulässt: so können wir destoweniger annehmen, daß dunkle Einbildungen, oder unbestimmte Verknüpfungen gewisser Begriffe von Vortheilen, welche die urthei lende oder handelnde Person zu hoffen hat, die Ge stalt sey, unter welcher die Tugend unsern Bey fall erhält.
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(Erstes Buch.) 114 Von dem moralischen Gefühl, Es ist eben so offenbar, daß die Tugend nicht aus dem Gesichtspuncte gebilliget wird, weil wir Ehre von ihr erwarten. Die Absicht, Ehre zu er langen, kan bey einer handelnden Person der Be wegungsgrund zur Unternehmung äusserlicher Handlungen seyn: aber die Richtung einer Hand lung auf die Ehre, kan denjenigen, der in derselben keinen Grund zur Ehre findet, zu keinem Beyfall bewegen. Unser Verlangen, geehrt zu seyn, und die Bereitwilligkeit einer andern Person, uns zu eh ren, setzt in beyden ein moralischesGefühl voraus. Und alle Absichten einer handelnden Person, die auf die Erlangung des eigenen Beyfalls gerichtet sind, müssen, auf gleiche Art, ein moralisches Gefühl voraussetzen. Wir können dahero nicht sagen, daß eine Handlung deswegen für gut gehalten werde, weil sie der handelnden Person das Vergnügen des eigenen Beyfalls verschaft; sondern sie verschaft derselben dieses Vergnügen, weil ihre Güte vor dem eigenen Beyfall vorhergeht, oder weil sie die Ei genschaft hat, welche wir, vermöge der Beschaf fenheit dieses Gefühls, billigen müssen. Unsre ge genwärtige Frage ist: welches ist diese Eigenschaft, und wie wird sie empfunden? (Noch in der Ueberein stimmung mit den Ge setzen.) III. Der erste Begrif, unter welchem wir den Neigungen und Handlungen unsern Beyfall ertheilen, ist nicht blos die Uebereinstimmung mit dem göttlichen Willen oder Gesetz. Wir untersuchen oft ernstlich die moralische Güte, Gerechtigkeit, Heiligkeit, und innere Richtigkeit der Gottheit selbst sowohl, als ihres Willens oder ihrer
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und dessen Gegenständen. 115(Vierter Abschnitt.) Gesetze. Diese Eigenschaften sind der Inhalt un srer allgemeinen Lobeserhebungen. Sie bedeuten wirklich mehr, als daß der Wille oder das Ge setz Gottes mit sich selbst übereinstimme. Wir können dieses auch einem Geiste zuschreiben, welcher Vorzüge des Verstandes, ohne einen heili gen Willen, besitzet. Die Uebereinstimmung ge wisser Handlungen mit der Natur Gottes, ist nicht die Uebereinstimmung mit seiner Unermeslichkeit, Ewigkeit und Allmacht. Es ist die Uebereinstim mung mit seiner Güte, Heiligkeit und Gerechtig keit. Wir müssen vor allen Dingen diese morali schen Vollkommenheiten kennen, ausserdem hat die Beschreibung der Uebereinstimmung mit ihnen keinen Nutzen. Der Begrif der moralischen Güte, unter wel(Oder mit der Wahr heit.) chem wir den Neigungen und Handlungen Bey fall ertheilen, wird durch die Uebereinstimmung derselben, mit Wahrheit und Vernunft, mit richtigen Sätzen und den Gründen der Dinge, nicht wohl erklärt; da, in dem gewöhnlichen Ver stande, diese Character jedem Gegenstande der Seele zukommen, über welchen sie wirklich ur theilt, er mag nun beseelt oder unbeseelt, tu gendhaft oder lasterhaft seyn. Uebereinstim mung mit der moralischen Wahrheit, oder richtige moralische Sätze, gehören eben sowohl für das Laster, als für die Tugend. Die Seele un terscheidet das Wahre in beyden, und gleichwie je der richtiger Satz mit seinem Gegenstand überein komt: also komt jeder Gegenstand mit dem Satze
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(Erstes Buch.) 116 Von dem moralischen Gefühl, überein. Man sagt, daß nur diejenigen morali schen Wahrheiten gemeint würden, welche uns leh ren, was für Handlungen gut, pflichtmäsig und anständig sind. Diese Worte bedeuten nicht mehr, als die Worte moralische Güte; und als denn ist die Erklärung nicht besser, als diese: „die moralische Güte einer Handlung ist ihre Ueberein stimmung mit solchen wahren Sätzen, welche uns lehren, daß die Handlung gut sey;“ oder: „gute Handlungen sind solche, von welchen es wahr ist, daß sie gut sind.“ Mit einem Worte, wenn wir alle Beschrei bungen der moralischen Güte, durch die Ueber einstimmung mit der Vernunft, wohl prü fen: so müssen uns dieselben zu einem unmittelba ren ursprünglichen Gefühl oder Bestimmungs grunde unsrer Natur leiten. Alle Gründe, die uns zu einer Handlung antreiben, werden uns zu einer ursprünglichen Neigung oder einem angebohrnen Triebe des Willens zurück führen; und alle Grün de des Beyfalls, oder solche, die uns eine Hand lung als gut vorstellen, werden uns endlich zu der Ueberzeugung von einem ursprünglichen Gefühl oder Empfindungsvermögen, bringen. (Oder An ständigkeit.) Auf gleiche Art müssen die Beschreibungen der moralischen Güte, durch das, was anständig und zweckmäsig ist, uns zu diesen ursprüngli chen Bestimmungen führen. Die zweckmäsige Beschaffenheit der Mittel oder der mittelbaren Ab sichten beweiset nicht, daß sie gut sind, wenn nicht der letzte Endzweck gut ist. Die zweckmäsige Be
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und dessen Gegenständen. 117(Vierter Abschnitt.) schaffenheit eines Endzwecks, welcher wirklich der lezte ist, ist ein lächerlicher Ausdruck. Da er sich auf nichts weiter bezieht: so kan er auch zu nichts wei ter bestimmt seyn. Alle lezten Absichten werden durch einige ursprüngliche Bestimmungen unsrer Natur festgesezt. * Es ist vergebens, die Unterweisung, Erzie hung, Gewohnheit, und Verknüpfung gewisser Be griffe, als den Ursprung des moralischen Beyfalls, anzuführen. Da uns diese keine neuen Empfin dungen geben können: so lasst uns untersuchen, welches die Meinung oder der Begrif sey, auf wel chen unser Beyfall sich gründet, und zu welcher Empfindung er gehört, durch welchen Weg der Begrif zusammengesetzet worden, oder welches die Ursachen gewesen sind, welche uns auf die Mei nung gebracht, daß eine solche Eigenschaft der Handlung wesentlich, oder mit derselben verknüpft sey; und dieses wird uns zu der ersten Quelle führen. IV. Es liegt also, wie ein jeder, bey einer(Es giebt ein morali sches Ge fühl.) stillen Achtsamkeit und Betrachtung, wahrnehmen mus, in uns eine natürliche und unmittelbare Be stimmung, gewisse Neigungen und die daraus flies senden Handlungen zu billigen; oder ein natürli ches Gefühl der unmittelbaren Vortreflichkeit der 17
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(Erstes Buch.) 118 Von dem moralischen Gefühl, selben, welche zu keiner andern Eigenschaft, die wir durch unsre übrigen Empfindungen, oder durch Schlüsse erkennen, gerechnet werden kan. Wenn wir diese Bestimmung ein Gefühl oder einen angebohrnen Trieb nennen: so nehmen wir nicht an, daß dieselbe unter die niedre Art von Em pfindungen gehöre, welche von den Gliedmassen des Körpers abhängen, und welche auch den Thieren gemein sind. Sie kan eben sowohl, als die Kräf te, zu urtheilen und zu schliessen, in der Seele ih ren beständigen Sitz haben. Und es ist unwider sprechlich, daß die Vernunft nur eine solche Kraft sey, welche, als eine Gehülfin der lezten Bestim mungen unsers Verstandes und Willens, angesehen werden mus. Der letzte Endzweck wird durch eine Empfindung, oder durch eine Bestimmung des Willens festgesetzet. Wir werden durch einige Em pfindungen glücklich, und die Liebe unserer selbst be stimmt uns dazu, ohne vorhergegangene Schlüsse. Die Vernunft kan uns nur die Mittel anwenden oder zween Endzwecke vergleichen lehren, welche schon vorher, durch einige andere unmittelbare Kräfte, bestimmet sind. (Es ist der Analogie der Natur ge mäs.) In beseelten Geschöpfen andrer Art findet sich ein angebohrner Trieb zu den Handlungen, die ihnen eigen sind, und sie empfinden die grösste Lust in der Befriedigung desselben, wenn sie auch mit Arbeit und Schmerz verknüpft ist. Können wir annehmen, daß die Menschen von solchen ursprüng lichen Trieben leer sind? Da die Thiere, über die Natur und die Handlungen anderer, eben so wenig,
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und dessen Gegenständen. 119(Vierter Abschnitt.) als über ihre eigenen, nachzusinnen scheinen: so können sie blos die gegenwärtige Lust, welche die Befriedigung ihrer Triebe begleitet, empfinden. Aber in den Menschen, welche ihre eigenen Neigun gen und Handlungen, zu Gegenständen ihrer Be trachtung machen können, lässt uns die Analogie der Natur erwarten, daß sie dieselben eben sowohl, als andre Gegenstände, empfinden und daran Ver gnügen haben müssen. Wir scheinen für jede unsrer Kräfte ein ihr angemessenes Gefühl, einen urthei lenden Geschmack zu haben, welcher den Gebrauch, für den jede Kraft bestimmt ist, der handelnden Person empfiehlt, und sie veranlasst, diesen Ge brauch an andern zu billigen und hochzuschätzen. Wir bemerken dieses bey den Kräften, zu reden, nach zuahmen, nach einem Plan und mit Kunst zu ar beiten, uns zu bewegen, zu denken; hier ist ein Ge fühl, welches die wahre und eigentliche Anwendung dieser Kräfte wahrnimmt, und empfiehlt. Es würde ein Uebelstand in der Einrichtung unsrer Natur seyn, wenn, wir für Kräfte und Handlun gen von noch grösserer Wichtigkeit kein solches Ge fühl hätten; wenn Geschöpfe, deren jedes von Na tur, in Absicht auf seine Nebengeschöpfe, einander sehr entgegengesetzter Neigungen und daraus flies sender Handlungen fähig ist, deren jedes mit ihnen in beständiger Gemeinschaft seyn mus, und wegen seiner Erhaltung von ihnen abhängt; wenn diese Geschöpfe keinen unmittelbaren Wohlgefallen an solchen Neigungen und Handlungen empfänden, welche der Vortheil des ganzen Systems nothwen dig macht. Soll ein unmittelbares Gefühl den
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(Erstes Buch.) 120 Von dem moralischen Gefühl, wahren Gebrauch der untern Kräfte empfehlen; und wollen wir dem ungeachtet keine natürliche Empfindung für den Gebrauch der obern Kräfte annehmen? (Dieses Ge fühl erfor dert Ausbil dung und Verbesse rung.) V. Das moralische Gefühl ist eben sowohl, als einige andere unserer unmittelbaren empfindenden Kräfte einer Ausbildung und Verbesserung fähig, ohne daß wir eine Beziehung auf eine höhere Kraft der Vernunft, welcher ihre Empfindungen zugeschrieben werden müsten, voraussetzen dür fen. Wir hatten ehemals an einfachen, kunstlosen und gemeinen Melodien Vergnügen. Wir giengen in der Musik weiter, und fanden feinere und ver mischtere Compositionen. Wir finden darinnen ein grösseres Vergnügen, und fangen an das zu verach ten, was uns vormals gefiel. Von den Regun gen des Mitleidens durchdrungen, stellt ein Richter manche Verbrecher auf freyen Fus. Wir billigen sein weiches empfindliches Herz. Aber wir finden, daß Gewalt und Beleidigungen überhand nehmen; der Genügsame, der Gerechte, der Arbeitsame wird gedrückt und beunruhigt, und ist unsicher. Ei ne Betrachtung von grösserm Umfange, die Be trachtung des öffentlichen Vortheils, lehrt uns, daß gewisse Arten von Mitleiden von schlimmern und unglücklichern Folgen sind, als eine strenge Vollziehung der Gerechtigkeit. Das Mitleiden, an sich selbst, entstellt niemals; aber eine Neigung von ei nem weitern Umfange, die Liebe gegen die Gesellschaft, der Eifer, die allgemeine Glückseligkeit zu befördern, ist von einem höhern Adel, und der Mangel
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und dessen Gegenständen. 121(Vierter Abschnitt.) dieser Triebe entstellt einen Character. Dieses al lein beweiset, was wir gegenwärtig behaupten, daß es nämlich unter den verschiedenen gebilligten Nei gungen viele Grade giebt; immer sind einige vor treflicher, als andre. Wir bringen also die Unregel mäsigkeiten, welche in diesem moralischen Gefühl vorkommen, eben so in Ordnung, wie wir unsre Vernunft selbst verbessern. Gleichwie wir einen übeln Geschmack in der Harmonie, durch die Ge wöhnung des Ohrs an feinere Zusammenstimmun gen; in der Schönheit, durch die Darstellung fei nerer Werke, welche ein höheres Vergnügen brin gen, ändern und verbessern können: also machen wir unser moralisches Gefühl vollkommener, wenn wir unsrer Seele grössere Systemen, und Neigungen, von weiterm Umfange, gegen dieselben, vorstellen. Auf diese Art werden dem moralischen Gefühl seine Gegenstände zugebracht, welchen es auch alsdenn Beyfall ertheilen wird, wenn diese Neigun gen der Wirkung eingeschränkterer Neigungen, die, an sich selbst betrachtet, wirklich gut und rühmlich sind, entgegen seyn sollten. Hier ist keine Bezie hung auf eine höhere Kraft der Empfindung, oder auf die Vernunft nöthig. Jrret nicht auch selbst unsre Vernunft oft mals, wenn sie aus einer unvollkommenen und par teyischen Gewisheit übereilte Folgerungen zieht? Mus hier eine höhere Kraft seyn, unsre Vernunft auf den rechten Weg zu weisen? Nein; wenn wir uns die Gründe von beyden Seiten, vermittelst einer anhaltenden Aufmerksamkeit und der vorsich
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(Erstes Buch.) 122 Von dem moralischen Gefühl tigsten Anwendung der Kraft zu schliessen, vollkom men deutlich vorstellen: so wird unser übereiltes Urtheil verbessert. Eben so ist es mit den morali schen Empfindungen beschaffen. (Das morali sche Gefühl ist bestimmt, über unsre andern Kräf te die Herr schaft zu füh ren.) VI. Dieses moralische Gefühl hat, vermöge seiner Natur, die Bestimmung, alle unsre Kräfte in Ordnung und in Schranken zu erhalten. Die ser Würde, dieser gebietenden Natur werden wir uns sobald unmittelbar bewust, als wir uns des Gefühls selbst bewust werden. Man kan von unmittelba ren Empfindungen, keine andern Beweise führen, als daß wir uns auf unsere Herzen berufen. * Dieses Gefühl lässt uns nicht glauben, daß das moralische Gute, so es uns empfiehlt, von den Vortheilen, die uns andere Sinne anpreisen, blos dem Grade nach unterschieden und übrigens von gleicher Art sey, so, daß es uns erlauben sollte, ge ringere moralische Uebel, welche immer Uebel blei ben werden, in der Absicht auszuüben, um dadurch einige grosse Vortheile anderer Art zu erlangen; oder dasjenige, was wir, in dem gegenwärtigem Falle, für unsre Pflicht, oder für moralisch gut ach ten, in der Absicht zu unterlassen, damit wir grosse Uebel einer andern Art abwenden mögen. Son dern gleichwie wir den Unterschied der Arten un mittelbar wahrnehmen, gleichwie wir unmittelbar empfinden, daß die Vergnügungen, welche aus der Dichtkunst, der Mahlerey und den Wissenschaften( * Bonum boc de quo agi- mus, est illud quidem plurimi aestimandum, sed ea aesti- matio genere valet, non ma- gnitudine. -- Alia est aesti- matio virtutis, quue genere, non crescendo valet. Cicero de Fin. L. III. c. 10. )
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und dessen Gegenständen. 123(Vierter Abschnitt.) entstehen, über das Vergnügen, welches der feinste Geschmack der Zunge verschaft, weit erhaben sind: also fühlen wir auch die unmittelbare Ueberzeu gung, daß das moralische Gute von einer höhern Art und Würde sey, als alles übrige Gute, welches wir durch andre sinnliche Kräfte empfinden. Bey allen andern angenehmen Empfindun gen wird uns unser Zustand desto weniger gefallen, je mehr wir geringere Vergnügungen andern, die grösser sind, aufopfern müssen: und unsre Empfindung des grössern wird, so bald die erste flüchtige Freude über die glückliche Erlangung desselben vorbey ist, durch alle Opfer, die wir ihm gemacht haben, nicht um das mindeste vermehret; ja in dem Urtheil der Zu schauer wird, in dieser Betrachtung, das grössere Vergnügen, oder wenigstens unser Zustand, für desto geringer angesehen, und unser Verhalten um desto weniger gebilliget. Wenn wir also Ruhe, Gesundheit, oder Vergnügen, dem Reichthum, dem Ansehn, oder auch den schönen Künsten auf opfern: so gewinnen diese Vergnügungen dadurch keine Würde; und das Verhalten hat für andere keine mehrere Reitzungen. Aber bey dem morali schen Guten wird die sittliche Vortreflichkeit durch die Grösse des Opfers, welches ihr nothwendig ge macht werden muste, erhöhet. Sie wird von der handelnden Person selbst mehr gebilligt, von den Zuschauern mehr bewundert, und um so viel mehr zur Nachahmung erwählet. Dieses Gefühl macht nicht nur das Herz mit sich selbst zufrieden, wenn es ein jedes anderes Vergnügen dem moralischen
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(Erstes Buch.) 124 Von dem moralischen Gefühl, Guten aufgeopfert hat; sondern es empfindet auch die höchste mit Beyfall verknüpfte innere Freude über ihre Fähigkeit, so zu handeln. Dieses zeigt deutlich genug, daß dieses moralische Gefühl be stimmt ist, über alle andere Kräfte zu gebieten. (Die vor nehmsten Gegenstände des Beyfalls sind die lieb reichen Nei gungen.) VII. Lasst uns nunmehro die verschiedenen Kräfte oder Fähigkeiten erwägen, welche dieses Ge fühl billigt oder misbilligt. Es ist klar, daß die ersten Gegenstände desselben die Neigungen des Willens sind, und daß die verschiedenen Neigun gen, welche gebilligt werden, ob sie gleich, den Gra den nach, einander sehr unähnlich sind, dennoch alle in der allgemeinen Bestimmung übereinkommen, daß sie auf die Glückseligkeit anderer, und auf die moralische Vollkommenheit der Seele, die ihre Be sitzerin ist, abzielen. Keine Handlungen, wenn sie auch wirklich der Gesellschaft zum Besten gereichen, werden mit dem Beyfall, welcher für die Tugend bestimmt ist, beschenkt, wenn sie das Ansehn haben, daß sie aus keiner innern Wohlgewogenheit gegen eine Person herfliessen, noch sich auf solche Fähig keiten gründen, welche in der handelnden Person eine Wohlgewogenheit natürlicher Weise voraus setzen, oder wenigstens die Betrachtung des blosen Eigennutzes ausschliessen. Die Bestrebungen nach Ehre oder auch nach Belohnungen in der Zu kunft, wenn man sie bey Handlungen, die wirklich andern den grössten Nutzen verschaffen, als die ein zigen Bewegungsgründe der handelnden Person, ohne Liebe zu Gott, Verehrung seiner moralischen Vortreflichkeiten, ohne Dankbarkeit gegen ihn, und
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und dessen Gegenständen. 125(Vierter Abschnitt.) ohne Wohlgewogenheit gegen die Menschen vor aussetzet, werden den Ruhm guter moralischer Nei gungen nicht erhalten. Und doch kan eine feste Ue berzeugung, daß wir,[,] vermöge der Ordnungen der Gottheit, für unsere Gutthaten künftig belohnt und glücklich werden sollen, eine beständige und wirksa me Ursache solcher Handlungen, oder ein Bewe gungsgrund zu denselben seyn. Aber ein bloses Verlangen nach eigener Glückseligkeit, ohne alle Liebe gegen Gott oder die Menschen, ist niemals der Gegenstand des Beyfalls. Eben dieses beweiset, wie sehr der moralische Beyfall von der Ueberzeu gung unterschieden sey, daß die Handlungen zu dem Vortheil desjenigen, der sie billigt, abzielen, weil er von einer solchen beständigen eigennützigen Ge neigtheit, Handlungen zu unternehmen, mit wel chen wirklich das Beste anderer verknüpft ist, eben so grosse Vortheile hoffen kan, als von irgend einer liebreichen Zuneigung. Daß einige Arten von gemeinnützigen Nei(Dieses ist aus der Er fahrung ge wis.) gungen, oder einige Fähigkeiten, die mit ihnen ver bunden zu seyn scheinen, die natürlichen Gegenstän de des Beyfalls sind; und daß die entgegengesezten Neigungen, oder der Mangel liebreicher Gesinnun gen die Gegenstände der Verachtung ausmachen, wird leicht einzusehen seyn, wenn wir auf die Gründe merken, aus welchen wir die Gemüthsar ten und Handlungen der Menschen zu erheben oder zu tadeln, zu billigen oder zu misbilligen gewohnt sind. Bey allem, was wir loben oder wider einen Tadel retten wollen, pflegen wir der handelnden
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(Erstes Buch.) 126 Von dem moralischen Gefühl, Person eine liebreiche oder gutthätige Absicht, oder einen wohlgemeinten Vorsatz zuzuschreiben. Wenn durch ein Unternehmen andern ein Nachtheil zuge zogen wird, welchen die handelnde Person entweder zur Absicht gehabt, oder vorhergesehen hat, oder der doch, wenn sie auf den Vortheil anderer eine zärtliche Aufmerksamkeit gehabt hätte, leicht vorher zusehen gewesen wäre: so wird dieses Unternehmen für den Beweis eines bösen Herzens, oder solcher ei gennützigen Leidenschaften, welche alle Wohlge wogenheit und Menschenliebe überwältigen, an gesehen. (Anständig keit und Würde ist von der Tu gend unter schieden.) VIII. Es ist offenbar, daß die Gegenstände unsers Beyfalls und unsrer Verachtung, stufen weise, von den gleichgültigen Handlungen entwe der bis zu der höchsten Tugend hinaufsteigen, oder, auf eben die Art, bis zu dem tiefsten Laster herab sinken. Es ist schwer, die verschiedenen Zwischen stufen, in der gehörigen Ordnung, genau anzuge ben; aber die höchste und niedrigste ist leicht wahr zunehmen. Die gleichgültigen Neigungen und Handlungen sind diejenigen, welche, auf unschuldi ge Vortheile der handelnden Person, abzielen, und wodurch zwar der Gesellschaft kein Nachtheil zuge zogen wird, die aber doch auf das Beste anderer gar nicht gerichtet sind. Hierunter gehöret die nothwen dige und mässige Befriedigung des Hungers und Durstes und andre solche geringe Handlungen. Die verschiedenen Stufen zu erklären, müssen wir, wie wir bereits oben berührt haben, bemerken, daß, ausser dem moralischen Beyfall, welchen die Tugend er
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und dessen Gegenständen. 127(Vierter Abschnitt.) hält, noch ein anderes Gefühl in uns vorhanden ist, welches uns in vielen Gesinnungen und Hand lungen, die wir nicht für tugendhaft erkennen, eine gewisse Würde und Anständigkeit wahrnehmen lässt. Daher kömt es, daß wir den Uebungen in schönen Künsten und Wissenschaften, ja auch einigen Vollkommenheiten des Körpers, als der Stärke und der leichten und ungezwungenen Bewegung desselben, einen höhern Werth beylegen, als der blosen thierischen Sinnlichkeit. Eben daher rührt es, daß wir in andern einen geschäftigten Geist, ei ne anhaltende Arbeitsamkeit, Ueberlegung und Vor sicht, und eine besondere Geschicklichkeit in Verrich tungen, wenn sie nicht zur Beleidigung anderer, obwohl ausserdem blos zur Beförderung des eige nen Vortheils, in Absicht auf Reichthum und Eh re, angewendet werden, allemal höher schätzen, als eine schläfrige unthätige Trägheit. Das ruhige Verlangen nach eigenem Vor(Eigenschaf ten, die we der als La ster verwor fen, noch als Tugen den gebilli get werden.) theil wird keinesweges als ein Laster verwor fen, ob es gleich nicht für eine Tugend angese hen wird. Keine von den wirklich natürlichen und eigennützigen Begierden und Leidenschaften werden, an sich selbst, als übel verworfen, wenn sie in gewissen Schranken bleiben; ungeachtet die handelnde Person sie auf keinen öffentlichen Vor theil richtet. Es war für das gemeine Beste noth wendig, daß den Menschen solche Neigungen einge pflanzt wurden, und es würde der Natur gerade entge gen gewesen seyn, wenn dieselben, auch so lange sie unschädlich bleiben, in die Reihe der verwerflichen
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(Erstes Buch.) 128 Von dem moralischen Gefühl, Neigungen gesezt worden wären. Da also diese eigennützigen Neigungen auf einen Endzweck ab zielen, der für das allgemeine Beste, das heisst, für das Beste einer jeden einzelnen Person, nothwen dig ist, und da die Fähigkeiten, dieselben zu befrie digen, Kräfte sind, welche als sehr nützliche Gehül finnen der grosmüthigsten und gemeinnützigsten Neigungen angewendet werden können: so hat sich die Weisheit und Güte des Urhebers der Natur darinnen geäussert, daß er uns zu der Uebung dieser Kräfte geneigt geschaffen und ein unmittelbares Wohlgefallen an denselben, so oft wir sie an uns selbst oder an andern wahrnehmen, in uns gelegt hat; ob gleich dieses Wohlgefallen von dem mora lischen Beyfall ganz und gar unterschieden ist. Wir haben alle von der Einrichtung der menschlichen Natur und von einem gewissen Ver hältnis der Neigungen, welches zu einem untadel haften Character erfordert wird, durch das Be wustseyn und die Erfahrung einen Begrif erlanget. Die eigennützigen Neigungen werden alsdenn ge misbilligt, wenn wir sehen, daß sie dieses untadel hafte Verhältnis aufheben, die liebreichen Neigun gen ausschliessen und überwältigen, die ganze Seele mit Entschlüssen, die ihren eigenen Vortheil zum Zweck haben, ausfüllen, und verursachen, daß die handelnde Person den grosmüthigen Neigungen, welche sie, ihrem Zustand gemäs, hätte ausüben können, sich nicht überlassen kan. (Grade der Tugend.) IX. Es giebt noch eine andere Art von Eigen schaften und Fähigkeiten einer feinern Natur, wel
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und dessen Gegenständen. 129(Vierter Abschnitt.) che zwar von der ruhigen allgemeinen Wohlgewo(Erstlich ei nige Eigen schaften und Fähigkeiten, die von den liebreichen Neigungen unterschieden sind.) genheit und von den besondern liebreichen Neigun gen unterschieden sind; die aber dem ungeachtet mit diesen Neigungen in einer natürlichen Ver wandschaft stehen, natürliche Beweise derselben sind, und die höchste Art von Selbstliebe und Sinn lichkeit nicht neben sich leiden. Diese scheinen un mittelbare Gegenstände des moralischen Gefühls, obgleich vielleicht nicht die höchsten zu seyn. Sie scheinen unmittelbar gebilligt zu werden, ehe wir noch an diese Verwandschaft mit den uneigennützi gen Neigungen denken, oder uns vorstellen, daß die handelnde Person sie auf wohlgemeinte Endzwecke richte. Von diesen moralischen Fähigkeiten giebt es verschiedene Arten, welche alle ein unmittelbarer Beyfall begleitet, wenn die Seele nicht sogleich wahrnimmt, daß sie in einem lasterhaften Vorsatze angewendet werden. So wird die Tapferkeit ge billigt, in so fern daran gelegen ist, daß etwas mo ralisches höher, als das Leben, geachtet werde, und in so fern neben ihr der höchste Eigennutz gar nicht bestehen kan. So bald man sie bey einem Raube, oder zu blos eigennützigen Endzwecken, zur Befrie digung der Wollust oder des Geitzes, anwenden sieht, wird sie ein Gegenstand des Abscheues. Da Tu gend und Unschuld allein keiner Verstellung nöthig hat: so können die Offenherzigkeit und die Aufrich tigkeit kaum von einem liebreichen und menschen freundlichen Herzen getrennt seyn. Diese Eigen schaften werden unmittelbar gebilliget, ehe wir viel leicht noch an diese Verknüpfung denken; daher komt es auch, daß die Wahrhaftigkeit, in unsern
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(Erstes Buch.) 130 Von dem moralischen Gefühl, Reden, als ein unveränderlicher Grundtrieb vor ausgesetzet wird. (Wenn die Wahrhaftig keit gebilliget wird.) Ich weis nicht, ob Cicero hiervon eine rich tige Erklärung gegeben hat, wenn er sagt, „daß wir eine natürliche Wissensbegierde hätten, und gegen Unwissenheit, Jrrthum und Betrug eine Ab neigung fühlten; und daß wir dahero diejenigen Gesinnungen billigten, welche natürliche Mittel zur Wissenschaft sind, und uns gegen alle Hinter gehung in Sicherheit setzen.“ Die Wahrhaftig keit scheint, von unsrer Kindheit an, einen unmit telbaren und innigen Beyfall von uns zu erhalten. Wir sehen, daß der erste natürliche Trieb, in der jungen Seele, darauf gerichtet ist, die Wahrheit zu reden, und sie wird ihm so lange folgen, bis eine unangenehme Erfahrung sie gelehrt hat, diesem natürlichen Triebe entgegen zu handeln. Man braucht hier nicht der Höflichkeit und guten Sitten zu erwähnen; sie sind die wahre Zierde der Tu gend, das eigentlichste Zeugnis liebreicher Neigun gen, und erhalten dahero unsern Beyfall. Da alle diese Fähigkeiten und Eigenschaften in dem mensch lichen Leben von grosser Wichtigkeit sind, und den Menschen grossen Nutzen bringen, wenn sie sich auf liebreiche Neigungen gründen, und mit ihnen in ei ner natürlichen Verknüpfung stehen, oder den höch sten Eigennutz ausschliessen: so ist es ein Werk der höchsten Weisheit und Gütigkeit, daß dieselben, ver mittelst unsers moralischen Gefühls, unserm Beyfall unmittelbar empfohlen werden.
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und dessen Gegenständen. 131(Vierter Abschnitt.) Aber unter allen solchen Fähigkeiten und Ei(Verlangen nach der mo ralischen Vortreflich keit.) genschaften unsrer Natur, welche von den liebreichen Neigungen unterschieden sind, ist keine so nahe mit ihnen verwandt, keine ein so natürlicher Beweis derselben, keine leistet ihnen einen so unmittelba ren und nothwendigen Beystand, als ein geübtes und erhöhetes moralisches Gefühl selbst, ein inniges Ver langen nach der moralischen Vortreflichkeit, nebst einem hohen Wohlgefallen an derselben, so oft sie wahrgenommen wird. Die Kraft oder das Ge fühl selbst nennen wir nicht tugendhaft: aber, wo dasselbe in einem hohen Grad anzutreffen ist, da erregt es natürlicher Weise ein heftiges Verlangen, alle liebreiche Neigungen zu besitzen. Es übersteigt alle kleine Hindernisse, welche ihm in den Weg ge legt werden, und veranlasst die Seele, daß sie alle natürliche Mittel anwendet, sie zu erwecken. Da nun die nachsinnende Seele ihre eigenen Kräfte zu dem Gegenstand ihrer Betrachtung machen kan: so erhält dieses hohe Gefühl der moralischen Vor treflichkeit, vor allen andern Eigenschaften, einen vorzüglichen Beyfall. Und das daher entstehende Verlangen nach der moralischen Vortreflichkeit, die daraus fliessende innige Liebe, Hochachtung und Wohlgewogenheit gegen Personen, welche dieselbe besitzen, werden als die liebenswürdigsten Neigun gen und die höchsten Tugenden unmittelbar ge billigt. X. Nachdem wir diese Betrachtungen vor(Es werden die Grade angeführt.) ausgeschicket haben: so wollen wir folgende Grade des Beyfalls bemerken, welchen wir Gegenständen, die nicht blos gleichgültig sind, ertheilen.
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(Erstes Buch.) 132 Von dem moralischen Gefühl, (Eine gewis se Würde.) 1. Man kan zuerst die Anwendung der männlichen Kräfte, welche zwar in keiner natürli chen und nothwendigen Verbindung mit der Tu gend stehen, die doch aber über Sinnlichkeit und Eigennutz erhaben sind, als den Gegenstand einer Art von Hochachtung und Wohlgefallen anführen. Dergleichen sind die Uebungen in den schönen Kün sten, äusserliche schöne und ordentliche Einrichtungen, und die Beschäftigung mit tiefsinnigen Wissenschaf ten. Ein jeder nimmt einen gewissen Anstand in diesen Vergnügungen wahr, und mus das Verlan gen nach ihnen billigen; und sie sind wirklich der Tugend und dem allgemeinen Vortheil weit weni ger entgegen gesezt, als die heftigen Neigungen und Begierden einer niedern Art. 2. Es ist unterdessen klar, daß unser mora lisches Gefühl solchen Eigenschaften und Fähigkei ten, welche mit tugendhaften Neigungen unmittel bar verknüpft sind, und welche die verächtliche Selbstliebe ausschliessen, einen weit grössern Werth beylegt. So werden Aufrichtigkeit, Wahrhaftig keit, Tapferkeit, und ein starkes Gefühl der Ehre, bey Bestimmung eines moralischen Preises, über andre Fähigkeiten hinweggesezt. (Ruhige lieb reiche Nei gungen er halten mehr Beyfall als die Leiden schaften.) 3. Um aber auf die unmittelbarern Gegen stände des moralischen Beyfalls, die liebreichen Neigungen selbst, zu kommen: so ist es gewis, daß, unter Neigungen von gleichem Umfange, die ruhi gen und überlegten Bestrebungen des Herzens von uns mehr Beyfall erhalten, als die unruhigen Leiden schaften; und daß wir wiederum, unter den ruhigen
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und dessen Eigenschaften. 133(Vierter Abschnitt.) Neigungen, diejenigen, welche von grösserm Umfange sind, mehr billigen, als die eingeschränktern. So ist eine gesezte eheliche und verwandschaftliche Liebe, oder der ruhige überlegte Vorsatz, die wahre Glück seligkeit der Personen, welche mit uns durch die Bande der Ehe und Verwandschaft verknüpft sind, zu befördern, den unruhigen zärtlichen Leidenschaf ten vorzuziehen. Die Liebe gegen eine Gesellschaft, oder gegen ein Land, ist schätzbarer, als die Neigun gen, welche sich blos auf unsre Familie beziehen. Wir können die vorzügliche Würde, welche sich in diesen Fällen äussert, daran erkennen, daß, wenn wir des Kampfes in unsrer Brust, und des Wider stands der unruhigen und eingeschränktern Nei gungen ungeachtet, den ruhigen Neigungen und solchen, die von grösserm Umfange sind, standhaft folgen; daß alsdenn die Seele, in den Stunden einer tiefen Stille, und bey ihren ruhigsten Ueber legungen, ihrem eigenen Verhalten Beyfall giebt, und kaum jemals unterlassen wird, ein gleiches Ver halten an andern zu billigen; wenn in diesem lez tern Falle ihre Leidenschaften keinen Aufruhr und Widerstand erregen. Wenn wir uns im Gegen theil, der ruhigen und allgemeinern Neigung zuwi der, einer Leidenschaft oder eingeschränktern Nei gung überlassen haben, und die Seele zur Ueberle gung zurück kehrt: so ist sie unwillig über sich selbst, und sie misbilligt gleich beym ersten Anblick ein gleiches Verhalten an andern. Die vortreflichste Gemüthsart also, und die(Die höchste moralische Vortreflich keit;) jenige, welche, ihrer Natur nach, sich den höchsten
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(Erstes Buch.) 134 Von dem moralischen Gefühl, (allgemeines Wohlwol len.) moralischen Beyfall erwirbt, ist die ruhige, unver änderliche, allgemeine Geneigtheit gegen das ganze System, oder die Wohlgewogenheit im weitesten Umfange. Und dieses scheint der unterscheidende Begrif zu seyn, welchen wir uns von der morali schen Vortreflichkeit der Gottheit machen können. (und die Lie be dieser Neigung.) Eine andre Bestimmung, welche in den Men schen und wahrscheinlicher Weise in allen Wesen, die so allgemeiner Neigungen fähig sind, die vor hererwähnte unzertrennlich begleitet, ist das Wohl gefallen an dieser allgemeinen Wohlgewogenheit und ein daraus herfliessendes Verlangen nach die ser moralischen Vortreflichkeit, nebst einer Ach tung und einem Wohlwollen, von höherer Art, gegen alle, in welchen dieselbe angetroffen wird. Diese Liebe der moralischen Vortreflichkeit ist eben falls ein hoher Gegenstand des Beyfalls, wenn wir dieselbe, vermittelst des Nachdenkens, in uns finden, oder in andern wahrnehmen. Sie ist ei ne, von der Wohlgewogenheit oder dem Verlan gen, andere glücklich zu wissen, ganz und gar un terschiedenc<unterschiedene> Neigung; und sie gehört in eine ande re Reihe von Neigungen, so, daß nicht wohl zu be stimmen ist, ob sie mit der andern verglichen wer den kan. Sie scheint mit ihr verwandt, und in ihrer Art die höchste zu seyn, die nur möglich ist. Sie ist niemals eine Widersacherin der Wohlge wogenheit, sie ist eine Bundsgenossin und Gehülfin derselben. Dieses Verlangen nach der morali schen Vortreflichkeit, diese Liebe gegen den Geist, welcher sie besizt, und die daraus herfliessenden Em
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und dessen Gegenständen. 135(Vierter Abschnitt.) pfindungen von Achtung, Verehrung, und Ver trauen, machen das Wesentliche der wahren Got tesfurcht aus. Wir reden niemals von einer Wohlgewogen heit gegen Gott, weil dieses Wort anzeigt, daß man in dem Gegenstand ein Bedürfnis oder den Mangel eines Gutes voraussetzet. Gleichwie wir aber gegen einen Freund Wohlgewogenheit em pfinden, wenn er unsers Beystands benöthigt ist: also wird eben diese Regung der Seele, eben diese Gesinnung gegen ihn, noch übrig bleiben, wenn er zu dem glücklichsten Zustande, den wir nur wün schen können, gelanget ist; und alsdenn äussert sich dieselbe in der Freude über seine Glückseligkeit, die wir mit ihm zugleich fühlen. Auf diese Art kön nen unsre Seelen, ohne alle Voraussetzung eines Bedürfnisses, in der Gottheit, von der höchsten innern Freude und Ergötzung an ihrer unum schränkten und unwandelbaren Glückseligkeit, ein genommen seyn. XI. Es ist leicht zu bemerken, daß, von dem(Die Grade des Lasters.) gleichgültigen Zustande der Seele an, durch die verschiedenen Grade der moralischen Schändlichkeit hindurch, ein gleicher Unterschied anzutreffen ist. Der erste Grad derselben ist der Mangel der löbli chern Fähigkeiten und Eigenschaften, welcher wirk lich keine übeln Neigungen einschliesst, und einen Character zwar nicht unmoralisch, aber doch ver achtungswürdig macht. So misfällt uns das un vernünftige Verhalten eines Mannes, blos in Ab sicht auf seinen eigenen Vortheil, ohne an einen
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(Erstes Buch.) 136 Von dem moralischen Gefühl, Nachtheil zu gedenken, der für die Gesellschaft daraus entstehen könte. So erregen Unachtsam keit, Leichtsinn, Faulheit, Trägheit, ein natürliches Misfallen, ohne daß wir auf ihre Wirkungen in der Gesellschaft acht haben. So verachten wir eine Seele, die gegen das männlichere Vergnügen, welches Künste und schöne Wissenschaften gewäh ren, unempfindlich ist. Wenn ein Verhalten, das, in Absicht auf den eigenen Vortheil, unvernünftig ist, auch auf den öffentlichen einen nachtheiligen Einflus hat, oder, ausser der handelnden Person, noch einige andre Personen betrift, deren Vortheil dieselbe hätte in Betrachtung ziehen sollen: alsdenn verdient dieses Verhalten einen höhern Grad der moralischen Verwerfung. Die Schwäche der Ta lente und Fähigkeiten, welche eine Frucht der Träg heit und Sinnlichkeit ist, und ein Mangel an edel müthigen Neigungen haben ein gleiches Schicksal zu gewarten. 1. Die Gegenstände des gelindesten mora lischen Misfallens oder Tadels sind die Fälle, wenn man, bey Befriedigung einer anständigen einge schränktern Neigung, dasjenige aus der Acht ge lassen hat, was das allgemeine Beste mehr beför dert haben würde. Ein solcher Fall komt vor, wenn man, bey Besetzung einer Bedienung, einen guten Freund oder einen Wohlthäter einer andern Person vorzieht, welche mehr Verdienste und Ge schicklichkeit besitzt. Wenn jemand bey einer sol chen Gelegenheit sich selbst einem Freunde von ge ringern Verdiensten nachsetzet: so kan dieses wirk
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und dessen Gegenständen. 137(Vierter Abschnitt.) lich für einen Mangel eines gehörigen Verhält nisses unter diesen anständigen Neigungen angese hen werden, da auf diese Art die eingeschränktere einer andern von weiterm Umfange vorgezogen wird. Allein die moralische Schönheit einiger ein geschränkten Neigungen ist so gros, daß wir einige Mängel, in andern von grösserm Umfange, willig übersehen. Ein ähnlicher Fall ist es, wenn je mand einem Freunde Dienste leistet, die ihm so viel Unruhe und Verlust kosten, daß sie den Werth des Guten, welches er seinem Freunde verschaft, weit übersteigen, und ihn vielleicht zu einigen künf tigen wichtigern Gefälligkeiten unfähig machen. Wenn aber jemand einen Freund von gleichen Ver diensten sich selbst vorzieht; so wird das gemeine Beste dadurch eben sowohl befördert, und überdie ses eine liebenswürdige Neigung der Freundschaft befriedigt. Und doch kan das entgegengesetzte Verhalten, wenn nicht ganz besondere Umstände einem Freund das Wort reden, nicht als unmora lisch gemisbilliget werden. 2. Andere Gegenstände eines geringern Ta dels sind die dem gemeinen Besten nachtheiligen Handlungen, welche eine Person zu unternehmen genöthiget wird, um dadurch dem Tod, der Mar ter oder der Sclaverey zu entgehen; wenn auch der gemeine Nachtheil grösser seyn sollte, als die Uebel, welche diese Person vermeidet. In diesem Falle kan die handelnde Person keine übeln Gesinnungen haben; ja, sie kan grosmüthige Neigungen besitzen, ob sie gleich nicht von der heroischen Stärke sind,
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(Erstes Buch.) 138 Von dem moralischen Gefühl, welche das moralische Gefühl empfehlen würde. Die Schuld wird durch die Grösse der Versuchung, welcher zu widerstehen wenige Muth genug haben, ausserordentlich vermindert. Zu einen untadel haften Character, erfordern wir nicht nur die Ab wesenheit aller boshaften Verfassungen des Ge müths, sondern auch gute Neigungen, und zwar solche, die von einem grossen Umfange sind; nebst einer Sorgfalt für die Vortheile anderer. Der ei gentliche Grad ist nicht so genau zu bestimmen; es ist auch dieses nicht nothwendig. Je stärker die grosmüthigen Neigungen sind, und je grösser ihr Umfang ist, desto besser ist die Gemüthsbeschaffen heit; je schwächer sie sind, und je mehr die entge gengesezten und eingeschränktern die Oberhand be halten, desto schlimmer ist die Verfassung des Ge müths. Es ist unsre Pflicht, nach der höchsten moralischen Vortreflichkeit zu trachten, und nicht blos damit zufrieden zu seyn, daß wir Unehre und Tadel vermeiden. 3. Ein andrer Grad des Lasters sind die plötzlichen Gemüthsbewegungen des Zorns, der Ahn dung und des Unwillens bey Veranlassungen, die wir entweder in einem ganz falschen Gesichtspuncte betrachten, oder ohne alle gegründete Ursachen uns selbst vergrössern. Wenn diese Leidenschaften zu Beleidigungen Anlas geben: so sind sie lasterhaft, obgleich nicht im höchsten Grade; wenn sie aber durch lange Nachsicht, sich in eine immerwährende Feindscligkeit<Feindseligkeit>, in eine überlegte Bosheit und Rach gier verwandeln: so machen sie den hassenswürdig sten Character aus.
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und dessen Gegenständen. 139(Vierter Abschnitt.) 4. Eine Art von häslichern Lastern ist, wenn sich die Menschen von eigennützigen Leiden schaften und sinnlichen Begierden zu ähnlichen Be leidigungen verleiten lassen. Dieses sind schlim mere und schwächere Entschuldigungen eines Ver gehens, als die Leidenschaften des Zorns und der Rachgier. 5. Noch verabscheuenswürdiger sind die Be leidigungen, welche aus einem ruhigen Triebe nach eigenem Vortheil, mit überlegtem Vorsatz und in der Ueberzeugung, daß es Beleidigungen sind, an dern zugefügt werden. In diesen Fällen mus das moralische Gefühl ganz überwältigt und seiner na türlichen Macht in der Seele beraubt seyn; alle Menschenliebe mus unterliegen. Ein ähnlicher Fall ist es, wenn die Menschen, aus blosem Eigen nutz, ohne alle unruhige Versuchung, ohne alle Absicht auf das gemeine Beste, ihren moralischen Empfindungen entgegen handeln, und wenn Falsch heit, Betrug und Undankbarkeit, eine niederträch tige Furcht vor dem Verlust einiger Vortheils, welcher keine solche Uebel nach sich zieht, die einen rechtschaffenen Mann beunruhigen dürften, die Triebfedern ihrer Unternehmungen sind. 6. In diese Classc<Classe>, oder in eine noch ver abscheuenswürdigere, gehöret die Gottlosigkeit, oder der Mangel der gebührenden Neigungen gegen Gott, wenn man weis und erkennt, daß er ein voll kommen gutes Wesen sey. Unser moralisches Ge fühl mus im tiefsten Schlummer liegen, wenn das Verlangen ermangelt, die höchste Vortreflichkeit zu
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(Erstes Buch.) 140 Von dem moralischen Gefühl, kennen, und, wenn man sie kennt, sie zu lieben; oder wenn man sich nicht bemühet, ehrfurchtsvolle Regungen der Dankbarkeit für die grössten Wohl thaten, die wir empfangen haben, und die jeden Au genblick wiederholet werden, zu unterhalten. Eine abscheulichere Gemüthsart, die sich zwar überhaupt denken lässt, die aber bey dem menschli chen Geschlechte oder bey Geschöpfen einer gütigen Gottheit kaum anzutreffen seyn wird, ist eine be ständige, ursprüngliche Bosheit, oder ein Verlan gen, andere elend zu sehen, ohne von der Betrach tung des Eigennutzes dazu bewogen zu werden. (Das mora lische Gefühl bringt alle unsre Kräfte in Ordnung.) XII. Ein Geschöpf, in welchem eine solche Verschiedenheit von empfindenden Kräften, und von Begierden, die einander so oft entgegen sind, angetroffen wird, müste eine Zusammensetzung, ohne Ordnung, ohne Regelmäsigkeit, ohne Absicht, zu seyn scheinen; wenn das moralische Gefühl nicht in genaue Betrachtung gezogen würde. Vermit telst desselben sind alle Kräfte und Begierden einer Harmonie fähig; sie können alle, bey einem Ziele, zusammen treffen, und alle in Eintracht neben ein ander bestehen. Es ist schon bewiesen, daß wir verschiedener grosmüthiger Neigungen fähig sind, welche das Beste anderer zum lezten Gegenstand haben, und weder aus der Betrachtung eines Ei gennutzes entstehen, noch auf die Erreichung eines eigenen Vortheils abzielen. Das moralische Ge fühl zeigt deutlich, daß wir auch einer ruhigen all gemeinen Wohlgewogenheit fähig sind, und daß diese, als die höchste grosmüthige Bestimmung, zur
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und dessen Gegenständen. 141(Vierter Abschnitt.) Regentin unsrer besondern gemeinnützigen und ei gennützigen Neigungen versehen sey. Die Seele mus, in den ruhigen Stunden der Ueberlegung, sich selbst den innigsten Beyfall geben, wenn sie auf die se Art handelt. In Ansehung der Neigungen, die auf uns selbst gerichtet sind, hält unsre Selbstliebe, oder unsre ruhige Betrachtung des grössten eigenen Vortheils, unsre besonderen eigennützigen Leiden schaften zurück, und die Seele ist über sich vergnügt, wenn sie auf diese Art handelt. Wenn man zugiebt, daß die verschiedenen(Die ruhige Selbstliebe ist nicht der höchste Grundtrieb.) grosmüthigen Neigungen einer eingeschränkteren Art, natürlich sind; und doch behauptet, daß kein allgemeiner Grundtrieb vorhanden sey, als die Selbstliebe, welche den grosmüthigen Neigungen nachgiebt, oder ihnen Einhalt thut, nachdem sie unsern eigenen grössten Vortheil befördern oder hin dern; welche zuweilen diesen liebreichen Neigungen in Absicht auf das hohe Vergnügen, das wir von der Befriedigung derselben erwarten, ihre völlige Freyheit erlaubet; zu andrer Zeit aber ihnen Grän zen setzt, wenn ihre Belustigung den Verlust, welchen wir dadurch befürchten, nicht überwieget: so ist dieses ein System, welches wirklich unter allen Kräften der Seele, durch die Voraussetzung, daß wir dieselbe bey unsern Ueberlegungen, wie un ser Verhalten einzurichten sey, alle auf das Ver langen nach unsrer eignen Glückseligkeit richten, eine gewisse Eintracht stiftet; und man kan mit Recht behaupten, daß der Urheber der Natur, zwi schen der Befriedigung unsrer grosmüthigen Nei
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(Erstes Buch.) 142 Von dem moralischen Gefühl, gungen und unserm eigenen höchsten Vortheil, eine entfernte Verknüpfung gemacht habe. Allein die Empfindungen unsers Herzens, die Vernunft, und die Geschichte empören sich wider dieses System, welches dem ungeachtet einige vortrefliche Schrift steller und eifrige Vertheidiger der Sache der Tu gend angenommen zu haben scheinen. Diese Verknüpfung unsers eigenen höchsten Vor theils mit der Befriedigung unsrer grosmüthigen Nei gungen ist, in vielen Fällen, der liebreichen Seele unmerkbar, und sie handelt nach ihren grosmüthi gen Triebe, ohne an ihren eigenen Vortheil zu den ken. Ja, sie nimmt zuweilen wahr, daß ihr gan zer eigener Vortheil der grosmüthigen Neigung, die sie befriedigen will, entgegen sey, und neben ihr nicht bestehen könne. Wenn keine andre ruhige ursprüngliche Bestimmung in unsrer Seele wäre, als der Trieb nach unsern eigenen Vortheil: so wür de sich derjenige den vollkommensten Beyfall zu versprechen haben, welcher nur seine eigene Glück seligkeit, allen liebreichen Neigungen, und dem all gemeinen Besten zuwider, beständig beförderte. Das, was die einzige ruhige Bestimmung ist, mus jede Handlung, die aus ihr fliesst, rechtfertigen, wenn sie auch den besondern liebreichen Neigungen noch so sehr entgegen wäre. Wenn man sagen wollte: „es sey ein Jrrthum, wenn man sich ein bilde, daß unser Vortheil denselben entgegen sey, so lange es eine gütige Vorsicht gebe“: so mag man zugeben, daß es ein Jrrthum sey; dieses ist blos ein Fehler des Verstandes. Allein die Ver
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und dessen Gegenständen. 143(Vierter Abschnitt.) fassung des Herzens, welches den Vortheil des Ganzen seinem eigenen Vortheil, mit Vorsatz auf opfert, müste nach diesem System, einen morali schen Beyfall erhalten. Dieses aber ist den Em pfindungen unsers Herzens offenbar zuwider. Kan dieses die einzige lezte Bestimmung, der(Eine andre lezte Bestim mung des Willens in Absicht auf das gemeine Beste.) einzige lezte Endzweck seyn, welchem die Seele, bey Ausübung ihrer edelsten Kräfte, mit einem innern Beyfall, vorsätzlich entgegen zu handeln sich ent schliessen kan? Hat man keine Beyspiele von Men schen, welche, ohne an einen künftigen Zustand zu denken, ihr Leben, zum Besten ihrer Freunde oder ihres Vaterlandes, willig aufgeopfert haben? Wird nicht diese Gemüthsart und dieses Verhalten von einem jeden Herzen gebilliget und desto mehr bewun dert, je weniger man muthmassen kan, daß die Lie be der Ehre und des Nachruhms, oder ein andrer Eigennutz sich unter die grosmüthigen Neigungen gemischt habe? Nimmt nicht die Bewunderung desto mehr zu, wenn solche Entschliessungen, mit Ueberlegung, gefasset und ausgeführet werden? Al les dieses ist ganz unstreitig wahr; und dennoch würde dieses alles seltsam und unmöglich seyn, woferne der Eigennutz der einzige lezte Endzweck eines jeden ruhigen Verlangens seyn sollte. Es ist dahero eine andre lezte Bestimmung vorhan den, deren unsre Seelen fähig sind, und welche bestimmt ist, die ursprüngliche Quelle der ruhig sten und überlegtesten Handlungen zu seyn; ein Verlangen, andre glücklich zu machen, eine lezte Wohlgewogenheit, welche auf keinen eigenen
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(Erstes Buch.) 144 Von dem moralischen Gefühl, Vortheil sich bezieht, und oft, ohne eine solche Be ziehung, wirkt. (Das mo ralische Ge fühl ist be stimmt alle andere Kräfte in Schranken zu halten.) Wenn Fälle vorkommen, wo diese zwo Be stimmungen nicht neben einander bestehen können: so bezeichnet und empfiehlt das moralische Gefühl, auf einmal, die edlen liebreichen Gesinnungen; aber ohne alle schmeichlerische Vorstellung eines künftigen Vortheils einer höhern Art, welcher in den Reizungen des innern Beyfalls und des Lobes der Welt liegt. Dieses Gefühl empfiehlt die ge meinnützigen Neigungen, vermittelst einer unmit telbaren Empfindung, die wir nicht zu erklären wis sen: es billigt die edelmüthigen Regungen des Her zens, welche diejenigen verrathen, die selbst ihr Le ben aufzuopfern bereit sind, ohne daß sie von den Ueberlebenden etwas hoffen, oder das zukünftige Leben in einer andern Welt, in Betrachtung ziehen. Wenn also das moralische Gefühl, mit seiner gan zen Kraft, wirkt: so wird durch die von der Natur ihm ertheilte gebieterische Gewalt, die grosmüthi ge Bestimmung, deren Gegenstand die allgemei ne Glückseligkeit ist, zu der höchsten in der Seele erhoben. Man wird ohne Mühe einsehen, daß wir hier nicht von der ordentlichen Beschaffenheit der Menschen reden. Wir sind nicht in den Gedan ken, daß diese ruhigen Bestimmungen, allemal ausge übet werden, und daß sie die besondern Leidenschaften beständig zurück zu halten pflegen. Wir reden von der Beschaffenheit unserer Natur, zu welcher sie, durch gehörige Bildung, gelangen kan; und von
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und dessen Gegenständen. 145(Vierter Abschnitt.) den ursprünglichen Trieben, welche in uns wirken können und sollen, wenn wir der Seele solche Ge genstände vorstellen, welche fähig sind, dieselben zu erregen. Ohne Zweifel haben einige gutartige Menschen nur die besondern liebreichen Neigungen in ihrem Leben ausgeübt, und eine innere Zufrie denheit darüber empfunden, ohne daß sie auf das ganze System gesehen, und die allgemeinste Wohl gewogenheit zu ihrem Gegenstand gemacht haben. Kaum haben einige Lasterhafte jemals ihre höchste eigene Glückseligkeit vor Augen gehabt, und in der Absicht sie zu befördern, sich der ruhigen, überlegten Selbstliebe überlassen; sie haben vielmehr ihren ei gennützigen Begierden und Leidenschaften, ohne die se Ueberlegung, die Herrschaft eingeräumt. Noch weniger haben alle tugendhafte Menschen wirklich alle ihre eigennützigen und gemeinnützigen Neigun gen auf die allgemeinste Wohlgewogenheit gerich tet, ob es gleich der Seele möglich ist. Eben so wenig haben jemals alle bösartige Menschen alle ihre Neigungen der ruhigen Selbstliebe unterwür fig gemacht. XIII. Da aber die eigennützigen Triebe sehr stark sind, und in den meisten Menschen, durch Hülfe der Gewohnheit und einer frühzeitigen und langen Nachsicht, sich über ihr geseztes Ziel erhe ben; die grosmüthigen Neigungen hingegen wenig geachtet werden, und das moralische Gefühl oft entschlummert: so ist es höchstnothwendig, daß wir unsre Kräfte anwenden, unsre Neigungen, in einer guten Ordnung, zu erhalten, und das moralische
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(Erstes Buch.) 146 Das Gefühl der Ehre und Schande, Gefühl zu stärken. Wir müssen die verschiede nen Vergnügungen, deren unsre Natur fähig ist, mit einander vergleichen, damit wir diejenigen entdecken, welche den meisten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben. Wir müssen unsre ganze Kraft zu denken anwenden, zu der Erkäntnis zu gelangen, daß ein regierender Geist diese Welt beherrsche, und daß es eine moralische Austheilung gebe. Diese Betrachtungen müssen uns zu der Ueberzeugung führen, daß alle grosmüthige Re gungen der Seele und die eigennützigen Neigungen sehr wohl neben einander bestehen können; sie müs sen uns lehren, eine solche Einrichtung unsers gan zen Lebens zu machen, und ein solches Verhalten zu erwählen, welches diesen beyden Bestimmungen am gemässesten ist. Dieses soll den Inhalt einiger folgenden Abschnitte ausmachen. Vorhero aber wollen wir das moralische Gefühl, durch das Ge fühl der Ehre noch mehr ins Licht zu setzen, die All gemeinheit beyder zu zeigen, und sodann zu bestim men suchen, in wie fern sie einander ähnlich zu seyn scheinen.
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Der, fünfte Abschnitt, Das Gefühl der Ehre und Schande wird er klärt. Die Allgemeinheit desselben und des moralischen Gefühls, und ihre Gleichförmigkeit.

(Das Ge fühl der Ehre ist ein un mittelbarer Trieb.) I.Wenn wir auf unsre Empfindungen auf merksam sind: so müssen wir wahrneh men, daß es nicht nur gewisse Neigungen und
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und ihre Gleichförmigkeit. 147(Fünfter Abschnitt.) Handlungen giebt, welche wir von Natur billigen, hochachten und rühmen, sondern, daß auch in uns eine unmittelbare angenehme Empfindung entsteht, wenn wir von andern, hochgeachtet und gepriesen werden; und daß es uns unangenehm ist, wenn man uns tadelt oder verachtet. Wir fühlen dieses, oh ne davon einen andern Vortheil oder Nachtheil zu hoffen, oder zu fürchten. Eine genauere Be trachtung des Gefühls der Ehre und Schande wird die vorhergehende Erklärung des moralischen Gefühls ungemein bekräftigen. Diejenigen, welche glauben, daß alle Re(Ohne Ab sicht auf ei nigen Vor theil.) gungen des Herzens auf den Eigennutz sich bezie hen, und welche alle unsre empfindenden Kräfte, durch eine künstliche Richtung, auf eine sehr kleine Anzahl einschränken wollen, entfernen sich, in ih rer Erklärung dieser Bestimmungen, besonders in Absicht auf Ehre und Schande, welche unter allen Menschen gemein sind, unendlich weit von der Natur. Sie sagen uns, „wenn eine Person von uns geehrt würde; so sey dieses nichts weiter, als eine Meinung, daß unser Vortheil von ihr abhange. Dieser Vortheil sey entweder ein wirklicher, oder ein eingebildeter. In Absicht auf den ersten, werde der Edelmüthige und Wohlthätige, mit wel chem wir in Verbindung stehen, und welcher uns nützliche Dienste geleistet hat, von uns geehrt. In Ansehung des andern aber ehrten wir die Helden alter Zeiten oder entfernter Völker, in dem wir sie in Gedanken zu unsern Zeitgenossen“
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(Erstes Buch.) 148 Das Gefühl der Ehre und Schande, „und Landsleuten machten, oder glaubten, daß sie uns viele Vortheile verschaft haben würden, wenn wir mit ihnen in Verbindung gestanden hätten. Unsre Hochachtung bestehe also blos darinnen, daß wir uns einen Character oder ein Verhalten, als uns nützlich vorstellten, und ihm in dieser Be trachtung unsern Beyfall ertheilten.“ Sie sa gen weiter, „wir verlangten geehrt, und dafür an gesehen zu seyn, daß wir andern nützlich seyn kön ten, nicht aus einer unmittelbaren Empfindung, sondern weil wir wüsten, daß die Menschen dar auf bedacht wären, denjenigen, die sie ehrten, und von welchen sie sich Vortheile versprächen, Gefällig keiten zu erzeigen. Dieses geschähe aber nicht aus einer uneigennützigen Liebe zu ihnen, sondern in der Absicht, ihnen noch mehrere Vortheile abzu locken; und, in der Hofnung von denjenigen, welche uns für nützlich halten, solche Gefälligkei ten zu erlangen, verlangten wir andern die Mei nung von uns beyzubringen, daß wir ihnen nütz lich seyn könten.“ Es ist unangenehm, sich bey einem System aufzuhalten, welches den unmit telbaren Empfindungen des Herzens so sehr wi derspricht. (Dieses wird durch ver schiedene Gründe be wiesen.) Nach diesem System müste derjenige, welcher eine handelnde Person ehret, und die handelnde Person, welche ihr eigenes Verhalten billigt, von einer einzigen Handlung die entgegengeseztesten Be griffe haben. Jener müste dieselbe blos um des willen für schätzbar halten, weil sie auf seine Ruhe, oder Sicherheit, sein Vergnügen oder Reichthum
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und ihre Gleichförmigkeit. 149(Fünfter Abschnitt.) abzielet; die handelnde Person hingegen müste die selbe, als einen Kunstgrif, als ein nothwendiges, aber unangenehmes Mittel, ansehen, einige ent fernte Vortheile von andern zu erhalten, die wahr scheinlicher Weise ihn durch einige Gegengefälligkei ten bewegen würden, dieses Verhalten gegen sie fortzusetzen. Allein es ist unläugbar, daß wir viele Gesinnungen und Handlungen, welche uns, oder auch einer ganzen Gesellschaft, nützlich sind, nicht hochachten; dergleichen ist eine nützliche Ver rätherey, ein eigennütziger erfindsamer Fleis in Ver besserung der Manufacturen, eine unüberlegte Verschwendung. Ja, bisweilen achten wir etwas hoch, das wir für schädlich erkennen; als die Liebe des Vaterlands an einem Fremden; den Muth an einem Feinde. Soll hier eine dunkle Einbil dung eines Nutzens gegen die deutliche Vorstellung unsers Nachtheils in Betrachtung kommen? Wer findet in sich diese Einbildung eines eigenen Vor theils bey Lesung alter Geschichtschreiber, oder dra matischer Schriftsteller, von welchen die Seele durch die verschiedenen moralischen Bilder so stark be wegt wird? Ueberdieses kan die Vorstellung, daß meine Gesinnungen und mein Verhalten das Beste ande rer befördern, nach ihrem System für mich nichts unmittelbar Angenehmes haben. Kan diese kalte und ungewisse Hofnung eines Gegendienstes, oder Vortheils, welche man den eigennützigen Kunstgriffen anderer verdanken soll, bey einem un zweifelhaften und gewissen Aufwand, bey gewissen Bemühungen, bey gewissen Wunden, bey einem
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(Erstes Buch.) 150 Das Gefühl der Ehr und Schande, gewissen Tode einigen Reitz haben? Woher ent stünde denn die Liebe zum Nachruhm? Alles die ses ist ungeheuer und unnatürlich. Ist alle unsre Bewunderung, des Tapfern, des Mitleidigen, des Uneigennützigen, des Edelmüthigen; ist der Ei fer, mit welchem wir an ihrem Schicksal Theil nehmen; ist unsre Liebe, ist unser heftiger Trieb zur Ehre; ist dieses nichts weiter, als ein solcher kaltsinniger Handel, ein solcher gekünstelter Tausch von eigennützigen Dienstleistungen, ohne einen ausdrücklichen Vertrag? Wir berufen uns hierin nen auf ein jedes menschliches Herz; auf das Herz der Jugend, welche am begierigsten ist, zu loben, und über ein erhaltenes Lob sich am meisten freuet; und welche von dem niedrigen Eigennutz am we nigsten weis. Ist alle Hochachtung und Ehre blos eine kalte Vorstellung, daß wir von einigen Handlungen und Neigungen Vortheile einerndten werden? Ist das verwirrende Gefühl der Schaam, und die Erröthung nichts, als die Furcht eines ungewissen Verlusts, von welchem wir nicht wissen, was er sey, oder wie er uns begegnen wird? Sind sich nicht die Menschen ihrer eigenen Entschlüsse, die Ehre zu suchen; ihrer eigenen Sorgfalt, das zu vermeiden, worüber man sich zu schämen hat; und der Veranlassung des Schmer zes, wenn sie beschämt worden sind, bewust? Ge wis, diese gekünstelten Absichten auf unsern Vor theil könten uns nicht unbekant seyn. (Dieses Ge fühl äussert sich in den er sten Jahren.) II. Es ist also eine unmittelbare Empfindung der Ehre und Schande in uns vorhanden, welche
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und ihre Gleichförmigkeit. 151(Fünfter Abschnitt.) auch oft da wirkt, wo keine eigennützigen Absichten sind, und welche ein moralisches Gefühl vor aussezt. Sie äussert sich in allen Menschen schon in den ersten Jahren ihres Lebens, ehe noch ein hin längliches Nachdenken in ihnen Begriffe von dem, was sittlich ist, festgesezt haben kan. Ehe wir noch einsehen können, daß wir der Anführung an derer, durch eine weise und gütige Einrichtung, un terworfen sind, werden wir schon durch die ange nehmste Empfindung, für unser gefälliges Verhal ten, belohnet, und hingegen schreckt uns die unan genehmste Empfindung ab, eigensinnig und hals starrig zu seyn. Wenn man dieses Gefühl durch die Absicht auf unsern eignen Vortheil erklärt: so würden dadurch alle Regungen der Ehre, der Nie derträchtigkeit eines Verräthers gleich gesezt, wel cher in der Hofnung, eine Belohnung zu erhal ten, das Ansehen haben will, als ob er andern nützlich sey. Diese Erklärung kan uns keine besse re Begriffe von der Bescheidenheit, von dem Ge fühl der Schande, und von dem Abscheu gegen ei ne Zurechnung der moralischen Schändlichkeit, dem pudore der Römer, welcher den edelsten Zug eines Characters ausmacht, beybringen. Wir sehen, daß diese Empfindung der Ehre,(Es sind ver schiedene Grade des sen, was Ehre und Schande bringt.) eben sowohl, als das moralische Gefühl, worauf sie sich gründet, verschiedene Grade zulässt. Vermöge des natürlichen Verlangens nach der Vollkommen heit aller unsrer Kräfte und des Gefühls der Anstän digkeit und Würde, welche wir in einigen darunter vor andern wahrnehmen, empfinden wir ein natür
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(Erstes Buch.) 152 Das Gefühl der Ehre und Schande, liches Vergnügen, wenn wir wahrnehmen, daß an dere die Vollkommenheit einiger männlichen Kräf te besitzen, und aus dieser Ursache hochgeschätzet werden. Dahero kan ein Geschmack in der Musik, in der Bildhauerkunst, der Mahlerey, und auch in einigen männlichen Belustigungen, sich Achtung er werben. Ein wohleingerichtetes Leben, die Pracht in Kleidern, in Gebäuden, im Hausgeräthe, kan unter gewissen Umständen rühmlich seyn. Ein grösseres Lob haben die höhern Fähigkeiten, ein Geist, der die Wissenschaften erweitert, eine feurige Einbildungskraft des Dichters und des Redners zu erwarten. Dieses leztere gründet sich augenschein lich auf ein höheres und moralischesGefühl. Aber wir wollen näher auf das Gefühl des Vergnügens über den moralischen Beyfall kom men. Alle Handlungen, welche aus einer liebrei chen Neigung entspringen, und keiner andern, von einem grössern Umfange, entgegen sind, unterneh men wir mit Zuversicht und Freymüthigkeit, und wir rechnen sie uns zur Ehre. Die sinnli chen Leidenschaften, bösartige Neigungen von Zorn, Feindseligkeit und selbst den ruhigen Trieb nach Eigennutz, suchen wir von Natur zu verbergen; und wir rechnen sie uns zur Schande. (Die Scham haftigkeit ist beyden Ge schlechtern natürlich.) III. Wir können hier die besondere Art von Schamhaftigkeit nicht übergehen, welche, in Ab sicht auf das venerische Vergnügen, sich in allen Altern und Völkern so sehr äussert. Es ist uns ein sehr heftiger Trieb zu den Unternehmungen, welche in dem System am nothwendigsten sind, ein
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und ihre Gleichförmigkeit. 153(Fünfter Abschnitt.) gepflanzt. Damit aber derselbe seinen Endzweck nicht verfehlen möge: so mus er durch unsre Ver nunft und durch die Betrachtung des allgemeinen Vortheils der Gesellschaft, sehr sorgfältig in Ord nung erhalten werden. Es rührt von der grössten Weisheit und Gütigkeit her, daß dieser Trieb, durch eine natürliche Schamhaftigkeit, die sich schon in jungen Jahren äussert, in Schranken gehalten wird. Man wird an Kindern, die keinen Unter richt erlangt haben, diese Schamhaftigkeit nicht so zeitig wahrnehmen, und sie haben auch einige Jah re lang, keinen Begrif von dem Gegenstand und der Absicht derselben, da der Trieb in unsrer Kind heit nicht entstehet. Wenn wir uns Wilde vor stellen, welche in Wüsteneyen erwachsen sind, und die niemals Gegenstände um sich gehabt ha ben, wodurch gesellige Neigungen und moralische Begriffe in ihnen hätten erweckt werden können: so möchten in diesem unnatürlichen Zustande keine natürlichen Triebe wahrgenommen werden. So bald sie aber in Gesellschaft gebracht würden, und so bald sie die Handlungen und Empfindungen anderer vor Augen sähen; so bald würde sich das morali sche Gefühl und die Empfindung von Ehre und Schande entdecken; und besonders würde sich diese natürliche Schamhaftigkeit geschwind an ihnen äussern. So wie sie alle menschenfreundliche und liebreiche Gesinnungen, wenn sie auch auf andere ge richtet wären, billigen, und die entgegengesezte Ge müthsart verabscheuen würden; eben so würden sie alle Sinnlichkeit und eigennützige Neigungen verach ten. So bald sie erfahren würden, wie das mensch
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(Erstes Buch.) 154 Das Gefühl der Ehre und Schande, liche Geschlecht erhalten wird; so bald würden sie, nach ehelichen Verbindungen und nach Abkömlingen, Verlangen tragen; und wenn sie die Veranlas sung dieser natürlichen Schamhaftigkeit fühlen und die Absicht des Triebes einsehen würden: so würde sich in ihnen die natürliche schamhafte Empfin dung entdecken. So bald man einsieht, daß die strenge Be obachtung der ehelichen Gesetze nothwendig ist, wofer ne die Väter, wegen ihrer eigenen Abkömlinge, ge wis seyn sollen: so bald finden sich neue Gründe, sich schamhaft zu verhalten, und bey Erziehung beyder Geschlechter darauf zu sehen, daß sie zu diesem Verhalten frühzeitig gewöhnt werden mögen. Allein über dieses scheint es noch verschiedene natürliche Fä higkeiten und Empfindungen zu geben, welche sich hierauf besonders beziehen, und von der allgemeinen Neigung, sich aller unmässigen Begierden zu schä men, unterschieden sind. Unter diese gehöret be sonders der Trieb zur Sittsamkeit. Diese leztere fängt sich zu der Zeit an, wenn der Trieb, dem sie Einhalt thun mus, entstehet, und sie scheint in dem Alter, mit dem Triebe zugleich, schwach zu werden. IV. Da wir eine natürliche Fähigkeit zu mo ralischen Begriffen besitzen: so werden wir über Handlungen beschämt werden, ohne die wahren Ur sachen zu wissen, warum sie unmoralisch sind. Durch die Erziehung werden uns ungegründete Vorurtheile und Meinungen von Eigenschaften, die wir vermittelst einiger unsrer empfindenden Kräfte wahrnehmen, beygebracht, und wir stehen
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und ihre Gleichförmigkeit. 155(Fünfter Abschnitt.) in der Einbildung, als ob dieselben in einigen Ge genständen angetroffen würden, wo sie nicht sind. So sind wir, wider gewisse Speisen, eingenommen, die wir niemals gekostet haben; wir könten aber, in Absicht auf diesen Geschmack, keine Vorurtheile haben, wenn wir nicht diesen Sinn von der Natur empfangen hätten. Auf gleiche Art werden wir durch gewisse Vorstellungen, welche uns das moralische Ge fühl anpreiset, veranlasset, entweder andre zu loben, oder von andern Lob zu verlangen, ob wir gleich gemeiniglich von den Absichten der Handlungen, und von den Neigungen, aus welchen sie herflies sen, sehr unvollkommene Begriffe haben. Was wir von dem moralischen Gefühl angemerkt haben, bezieht sich auch auf unsre Em pfindung der Ehre. Wir haben nämlich über den Beyfall anderer ein ungemeines Vergnügen, und zwar nicht nur wegen der guten Neigungen selbst, sondern auch wegen aller derjenigen Fähigkeiten und Gesinnungen, welche ihre natürlichen Begleiterinnen sind, und die entgegengesezten Neigungen ausschlies sen. So rechnen wir uns Tapferkeit, Wahrhaftig keit, Aufrichtigkeit, Offenherzigkeit, und die Ruhmbe gierde selbst zur Ehre, ungeachtet wir wissen, daß das Vergnügen, welches aus dem erhaltenen Lo be entspringt, so stark ist, und, daß so vieler Ver dacht, beneidet zu werden, daher entstehet, daß die Menschen sich hüten, ein ungedultiges Verlangen nach diesem Vergnügen zu verrathen, oder die Ent zückungen, in welche sie von ihm gesezt werden, bli cken zu lassen, damit sie nicht einer zu grossen Ei genliebe beschuldiget werden mögen.
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(Erstes Buch.) 156 Das Gefühl der Ehre und Schande, (Das mora lische Gefühl und die Em pfindung der Ehre erstre cket sich auf alle Theile des Lebens.) V. Die Stärke des moralischen Gefühls und der Empfindung der Ehre äussert sich in allen Theilen des Lebens. Die grösste Wollust bey Gastgeboten entlehnt ihre vornehmsten Reizungen von einer Vermischung moralischer Belustigungen, von der Mittheilung des Vergnügens und von den Begriffen des Anständigen und Schönen. Derje nige, welcher die Lust, die er in Essen und Trinken findet, einsam, ungesellig, ohne gastfrey zu seyn, geniesset, ist einer allgemeinen Verachtung un terworfen. Das vornehmste Vergnügen der Mahlerey, der Dichtkunst und der Macht der Beredsamkeit entspringt aus ähnlichen Qvellen<Quellen>. Die Geschichte, welche uns den moralischen Character und die Glücksumstände der Grossen und ganzer Völker schaften vorstellet, beschäftigt unser moralisches Gefühl, und unsre geselligen Empfindungen bey dem Schicksal anderer. Die Dichtkunst unterhält uns auf eine noch rührendere Art, wenn sie uns eben dergleichen Gegenstände in erdichteten Chara ctern lebhaft vorstellet, und unser Schrecken, Mit leiden, und moralische Bewunderung erreget. Die Macht des Redners besteht darinnen, daß er uns Beyfall oder Verwerfung abnöthigt, und die daher fliessenden Neigungen der Achtung oder des Unwillens erregt, wenn er alle moralische Eigen schaften der Handlungen und Character; alle mit leidenswürdige Nebenumstände, welche einen Feh ler vermindern oder entschuldigen, und unsre Ge wogenheit gewinnen können; alles, was die Schuld
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und ihre Gleichförmigkeit. 157(Fünfter Abschnitt.) vergrössert, und unsern Unwillen verstärket, voll kommen vorstellt, und sowohl bey Lob als Tadel die lebhaftesten Farben anwendet. Die Musik, die Bildhauerkunst, und die Mah lerey erhalten ausser dem natürlichen Vergnügen, welches sie durch eine genaue Nachahmung gewäh ren, eine höhere Kraft und einen stärkern Reitz, wenn in ihren Werken etwas moralisches ent halten ist. Die vornehmsten Schönheiten der Gesichts bildung und des äusserlichen Betragens bestehen * in dem Ausdruck sanfter und liebreicher Neigun gen oder solcher Eigenschaften, die eine moralische Hochachtung verdienen; welches alles aus den Beywörtern, wodurch wir unsern Wohlgefallen zu erkennen geben, wahrgenommen werden kan. Un ser Misfallen an einer Gesichtsbildung wird durch das Lasterhafte, welches sie verräth, oder uns zu verachten scheint, eben sowohl erreget, als durch die verworfenen Eigenschaften selbst. Daher komt es, daß wir in der Gesichtsbildung ** eines Zor nigen, eines Neidischen, eines Stolzen, und eines Eigennützigen so viel häsliches finden; und daß hingegen die Anmuth in derjenigen, welche zärtli che, gefällige und liebreiche Neigungen ausdrückt, uns so sehr entzückt. 18 19
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(Erstes Buch.) 158 Das Gefühl der Ehre und Schande, Wir sehen, wie viel Einflus dieser morali sche Ausdruck der Gesichtsbildung auf den natür lichen Trieb unter beyden Geschlechtern hat. Kön te ein Mensch zu seiner vollen Reife gelangen, ohne die mindesten moralischen Begriffe zu haben (wofer ne dieses bey andern, als Jdioten, möglich ist): so würde vielleicht dieser Trieb auf keine andre Art bey ihm wirken, als bey den Thieren. Wir neh men wahr, daß die Schönheit uns zuerst vortheil hafte Begriffe von der Verfassung des Gemüths beybringt; und, wenn die nähere Bekantschast die se Begriffe bestätiget: so empfinden wir eine inni ge Hochachtung, ein volles Verlangen nach einer freundschaftlichen Vereinigung. So bewundern wir Witz, ein gutes Herz, Klugheit, Gefälligkeit, Ehrbarkeit, eine Herrschaft über die unedlen Be gierden, zu deren Befriedigung uns der natürliche Trieb aufmuntert. Daher komt es, daß die Lei denschaft der Liebe das Gemüth in allen liebens würdigen Tugenden vollkommener macht. Wenn ein Volk, welches die Vortheile nicht hoffen darf, die seine Anführer zur Absicht haben, dennoch einen heftigen Eifer für eine gewisse Par tey zu erkennen giebt: so rührt dieses daher, weil es eine gewisse moralische Würde, eine gewisse Gerechtigkeit der Sachen, eine gute Gesinnung der anführenden Personen, sich vorstellt. (Unsre Freundschaft gründet sich nicht auf den Eigennutz.) Es ist ungerecht, wenn man behaupten will, daß alle unsre Freundschaft sich auf den Eigennutz gründe, wenn wir nur mit gelehrten, gefälligen und liebreichen Personen einen vertraulichen Um
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und ihre Gleichförmigkeit. 159(Fünfter Abschnitt.) gang pflegen, hingegen unwissende, menschenfeind liche und eigennützige Leute fliehen. Es ist wahr, der Umgang mit den erstern ist lehrreich, angenehm und sicher; mit den leztern aber unnütz, unan genehm und gefährlich. Aber ist deswegen eine jede Freundschaft, ein jeder vertraulicher Umgang, eine blosse Verstellung und Heucheley? fühlt man niemals eine innere Hachachtung gegen gewisse Cha racter, und ein Wohlwollen gegen die Personen, welche sie besitzen? Verlangen wir allemal nur Unterricht, nur Vergnügen, nur Gewinn, so wie wir einen Lehrmeister in der Absicht bezahlen, uns eine Kunst zu lehren; einen Virtuosen, uns zu be lustigen; einen Ackersmann, uns eine Arbeit zu verrichten? Verhalten wir uns gegen unsre Freunde nur äusserlich verbindlich und gefällig, da mit wir unsre Vortheile nicht verlieren mögen? Fühlt nicht hingegen jedermann eine innere Hoch achtung eine innere Wohlgewogenheit gegen tu gendhafte Bekanten, welche auch alsdenn, wenn er von ihnen getrennt ist, und keine Hoffnung mehr hat, sie wieder zu finden, immer noch fortdauert? Wenn kein solches moralisches Gefühl, keine Empfindung der Ehre in uns vorhanden wä re, wenn wir, wie einige einsehende Männer behaupten wollen, einzig und allein eigennützig wären: so würde das menschliche Leben ganz etwas anders seyn, als uns die tägliche Erfahrung lehrt, ein trauriger, liebloser, kaltsinniger, ver drieslicher Zustand von Verstellung und Argwohn.
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(Erstes Buch.) 160 Das Gefühl der Ehre und Schande, Es ist nöthig, hier anzumerken, daß, unge achtet wir durch frühzeitige Vorurtheile, welche uns die äusserlichen Sinne beybringen, darauf ein gerichtet werden, Dinge, welche nicht Gegenstände des einen oder des andern sind, für nichts wirk liches zu halten, und alles, was wir nicht auf diese Art empfinden können, für Erdichtungen und Ein bildungen anzusehen; wir dennoch bey einer Auf merksamkeit, auf das innere Gefühl unserer Her zen, wahrnehmen, daß dasjenige, dessen Wirklich keit am unläugbarsten ist, unser wahres Glück oder Elend; die Anständigkeit und Würde, welche uns allein die vollkommenste Zufriedenheit mit uns selbst gewähren kan, in deren Betrachtung wir andre lieben, hochachten und bewundern, und sie für vor treflich oder glücklich ansehen, oder zu unsern Freunden wählen; daß dieses alles Eigenschaften von einer höhern und edlern Art sind, als daß sie durch diejenigen Kräfte, welche vornehmlich dem Körper zu dienen bestimmt sind, erkant werden sollten. VI. Einige argwohnen, daß das moralische Gefühl und die Empfindung der Ehre nicht natür lich seyn könten, weil unter den verschiedenen Na tionen so unterschiedene und einander so entgegen gesezte Begriffe von dem, was moralisch ist, anzu treffen wären. Allein, wenn man ihnen auch zu giebt, daß der Geschmack verschieden sey, daß ver schiedene Menschen und Völker gewisse Handlun gen, unter verschiedenen Betrachtungen und Be griffen, billigen und misbilligen: so beweiset dieses
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und ihre Gleichförmigkeit. 161(Fünfter Abschnitt.) doch blos so viel, daß ihre Empfindungen einan der nicht gleich sind; nicht aber, daß ihnen weder das moralische Gefühl, noch die Empfindung der Ehre natürlich wären. Viele halten etwas für wohlschmeckend, welches für andere einen unange nehmen Geschmack hat; wer wollte aber deswegen läugnen, daß der Sinn des Geschmacks uns na türlich ist? Allein die Gleichheit des moralischen Gefühls ist weit grösser, als die Gleichförmigkeit des sinnlichen Geschmacks. Die verschiedenen Gründe, wodurch verschiedene Personen ihren Beyfall und ihre Ver werfung rechtfertigen, werden uns, bey einer ge nauen Prüfung, zu einerley ursprünglichen Be griffen, vom moralischen Guten und Bösen, zu rückleiten. Wenn die Menschen, in allen Nationen, ge wisse Handlungen billigen und retten wollen: so pflegen sie eine Richtung derselben auf die Glück seligkeit anderer, eine liebreiche Absicht von einem kleinern oder grössern Umfange, einige grosmüthige Neigungen, oder einige Gesinnungen, welche mit denselben natürlicher Weise verknüpft sind, anzufüh ren. Wollen wir ein unvernünftiges Verhalten entschuldigen: so sagen wir, die handelnde Person habe eine gute Absicht gehabt: sie habe die übeln Folgen nicht vorhergesehn: oder sie habe eine solche Veranlassung dazu gehabt, daß selbst ein Mann von einer gefälligen oder gerechten Gemüthsart sich nicht anders verhalten haben würde. Wenn wir ein übles Verhalten tadeln und verwerfen wollen:
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(Erstes Buch.) 162 Das Gefühl der Ehre und Schande, so zeigen wir, daß aus demselben alle entgegenge sezte Neigungen und Gesinnungen sich veroffenba ren, als Grausamkeit, Zorn, übertriebener Eigen nutz, oder ein Mangel an solchen liebreichen Nei gungen, welche, bey allen Menschen insgesamt, er wartet werden. Wenn wir ein Verhalten, ohne Be ziehung auf diese bösen Neigungen, oder auf den Man gel der guten, blos als unvorsichtig, misbilligen: so geschieht es zuweilen aus einer guten Gesinnung gegen die handelnde Person, oder aus einem Mitleiden mit ihr, ob wir gleich ihre geringen Fä higkeiten, ihre Faulheit, Einfalt und Trägheit verachten; und wir werden durch die Gedanken besänftiget: „daß der arme Mensch keine bösen Absichten gehabt und auch andern keinen Schaden zugefügt habe.“ Dieses ist oft eine falsche Ent schuldigung, weil das gemeine Beste, wenn sich eine Person unfähiger macht, ihm zu dienen, eben so wohl darunter leidet, als die besondern Freunde dieser Person. Ja wir werden finden, daß die Menschen zu weilen entweder nach einer wahren oder nach einer falschen Meinung das Urtheil fällen, daß eine Handlung einige von den Eigenschaften oder Ab sichten habe, welche die natürlichen Gegenstände des Beyfalls sind. Wir können uns oft wirklich ohne Grund einbilden, daß gewisse Handlungen ei ne gute Wirkung auf das gemeine Beste haben, oder, daß sie aus guten Neigungen herkommen, oder, daß die Gottheit sie gebietet, und daß sie ihr angenehm sind; und in dieser Einbildung werden
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und ihre Gleichförmigkeit. 163(Fünfter Abschnitt.) sie von uns gebilliget. Es ist unsre Vernunft, die dem moralischen Gefühl einen falschen Begrif vorstellt. Der Jrrthum liegt in der Meinung oder im Ver stande; nicht aber im moralischenGefühl. Alles, was dasselbe billigt, ist wirklich gut; obgleich die Handlung diese Eigenschaft nicht haben kan. In Sachen, die unsern Vortheil betreffen, wählen und billigen wir zuweilen dasjenige, was uns am Ende Nachtheil bringt. Niemand schliesst daraus, daß wir, in der Selbstliebe, oder der Billigung unsers eigenen Vortheiles, uns selbst unähnlich wären. Durch einen gleichen Jrrthum in Anse hung der moralischen Eigenschaften gewisser Hand lungen kan weder das moralische Gefühl bestrit ten, noch bewiesen werden, daß es sich nicht allemal ähnlich sey. Die Leidenschaften der Zuschauer und der handelnden Personen verhindern, daß die mo ralische Natur derjenigen Handlungen, welche den Leidenschaften ihren Endzweck erreichen helfen, nicht genau geprüfet wird. Wollust, Wuth und Rache, reissen die Menschen mit Ungestüm in den Unter gang, welchen ein ruhiger Mann sieht und vermei det. Allein dieses beweiset nicht, daß die Men schen in Ansehung ihres moralischen Gefühls oder ihrer Selbstliebe einander unähnlich wären. Der Beweis, daß entweder gar kein mora lisches Gefühl in den Menschen angetroffen wer de, oder daß es doch von einer grossen Verschieden heit sey, kan anders nicht geführet werden, als wenn dargethan wird, daß ganze Völker oder eine
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(Erstes Buch.) 164 Das Gefühl der Ehre und Schande, grosse Anzahl von Menschen entweder alle Hand lungen, welche ihren eigenen Vortheil nicht zu be treffen scheinen, für gleichgültig halten; oder daß sie an Grausamkeit, Verrätherey, Undankbarkeit, ohne Anlas verübten Mordthaten und Martern, wenn dieselben nicht sie selbst betreffen, eben so viel Vergnügen finden als an dem Gegentheil: daß sie dieselben für eben so anständig und liebens würdig halten, als die Menschenliebe, das Mit leiden, die Freygebigkeit, die Treue: daß sie das Verbrechen des Tarqvins<Tarquin> , oder des Decemvirs, Claudius , eben so sehr billigen, als das Verhalten des Scipio gegen seine gefangne Spanierin. Allein, solche Nationen sind uns selbst von Leuten, welche Reisen in die entferntesten Länder gewagt haben, noch nicht entdeckt worden. (Die Ursa chen der Ver schiedenheit des Beyfalls und des Ta dels.) VII. Die vornehmste Ursache von der Ver schiedenheit des Beyfalls sind folgende drey. 1. Die verschiedenen Begriffe von der Glückseligkeit, und den Mitteln, sie zu befördern. Nationen, welche (Verschie dene Begrif fe von Glück seligkeit.) mit den Verbesserungen, deren das Leben durch Kunst und Fleis fähig ist. unbekant sind, und un ter welchen die gemeinen Nothwendigkeiten des Le bens leicht erhalten werden können, finden keine Gelegenheit, Kunst und Fleis dadurch in Aufnahme zu bringen, daß sie einem jeden das Eigenthum an den Früchten seiner Arbeit versichern wollen. Ja, sie können es für keinen Schaden ansehen, wenn den Menschen dasjenige, was sie sich durch Kunst erworben haben; der Vorrath, welcher ih nen nicht nöthig ist, oder der Ueberflus, der sie wol
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und ihre Gleichförmigkeit. 165(Fünfter Abschnitt.) lüstig und träge machen kan, entzogen wird; der Diebstahl kan dahero unter ihnen für nichts uner laubtes angesehen werden. Wenn einer Nation unbekant wäre, wie nützlich es ist, daß die Väter, wegen ihrer Abkömlinge, in Gewisheit sind, oder wenn sie kein Verlangen nach dieser Gewisheit trü ge: so würde sie in denjenigen Verständnissen, wo von gesittetere Nationen glauben, daß sie der Ge sellschaft höchst nachtheilig sind, nichts moralisches Böses wahrnehmen. Aber keine Nation ist hierin nen unempfindlich gewesen. In einigen gesitteten Staaten sind Gesetze(Die Ursa chen barbari scher Gesetze,) eingeführet, welche wir für barbarisch und gottlos halten. Aber wenn die Gründe derselben, oder die Vorstellungen, unter welchen man sie billigt, in Er wägung gezogen werden: so finden wir allemal, daß eine Absicht auf das gemeine Beste darunter liegt. Ohne Zweifel giebt es einige wenige Exem pel, daß Gesetzgeber, aus einem übertriebenen Eifer für ihre eigne Grösse, oder für die Grösse ihrer Na tion, ungerechte Gesetze gemacht haben, welche sich durch nichts moralisches empfehlen. Dieses be weiset nur, daß zuweilen unser Gefühl des Rechts durch verschiedene Triebe unterdrückt werden kan. Allein wie viele unsinnige Meinungen sind ange nommen worden! Wie viele seltsame Jrrthümer, wie viele Ungleichheiten hat man nicht in der Kraft zu schliessen entdeckt, welche an dem menschlichen Geschlechte so bewundert und für die unterscheidende Kraft desselben erkant wird! Die meiste Ver schiedenheit in unsern moralischen Empfindungen,
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(Erstes Buch.) 166 Das Gefühl der Ehre und Schande, in unserm Beyfall und Tadel, entstehet von den wi dersprechenden Vernunftschlüssen, welche von dem Einflus der Handlungen auf das gemeine Beste, oder von den Neigungen, aus welchen sie herflies sen, gemachet werden. Das moralische Gefühl scheint allemal einerley unmittelbare Gegenstände, einerley Neigungen und Gesinnungen, unverän dert zu billigen und zu misbilligen; ob wir gleich über gewisse Handlungen, welche für Beweise ge wisser Gesinnungen gehalten werden, sehr verschie dene Urtheile fällen. Und doch soll der Verstand, in welchem alle diese Jrrthümer sich eräugen, die natürliche höchste Kraft seyn; das moralische Gefühl aber soll es, wegen der Verschiedenheit des Beyfalls, nicht seyn; und gleichwohl entsteht dieselbe aus der Verschiedenheit der Urtheile. (Verschiede ne Syste men.) 2. Die zweyte Ursache der Verschiedenheit des Beyfalls liegt in den grössern oder kleinern Systemen, welche sich die Menschen vorstellen, wenn sie die Absichten gewisser Handlungen betrach ten. Einige sehen blos auf ihr Vaterland, und auf den Vortheil desselben; ohne die übrigen Men schen in Betrachtung zu ziehen. Andre haben noch eingeschränktere Systemen; nur eine Partey, eine Secte oder Cabale. Aber wenn wir unsre Betrachtungen nach der Vorschrift der Wahrheit und Gerechtigkeit erweitern, und den Bau der menschlichen Seele bemerken, welcher bey allen Nationen einerley ist; so werden wir finden, daß es keiner an gutgearteten Menschen fehlt, welche eben diese zärtliche Neigungen gegen Anverwandte,
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und ihre Gleichförmigkeit. 167(Fünfter Abschnitt.) Freunde und Wohlthäter; eben dieses Mitleiden gegen Unglückliche; eben diese Bewunderung und Liebe einer vollkommenen Tugend, eben diese eifrige Besorgnis für ihr Vaterland besitzen, welche wir unter uns so hoch schätzen. Wir müssen in uns ein heiliges Band der Natur finden, welches uns auch an Fremde verknüpft, und ein Gefühl der Billigkeit, des Mitleidens und des Wohlwollens, welches wir allen schuldig sind. Menschen von geringer Aufmerksamkeit sind ihre Landsleute, oder Anhänger der einzige schätzbare Theil des menschli chen Geschlechts. Alles ist bey ihnen billig, was zu ihrem Vortheil gereicht, ob es gleich andern nachtheilig ist. Hier entsteht die Verschiedenheit des Beyfalls wiederum aus verschiedenen Meinun gen über eine Sache. Wären gewisse Nationen oder Seeten<Secten> im vollkommensten Grade gottlos, grausam, und giengen sie nur auf solche Unter nehmungen um, welche alle Menschen in ewiges und zeitliches Elend stürzen müssen, wären sie dabey un ter einer solchen Gewalt von Zauberey, daß derselben keine Vernunftschlüsse widerstehen könten: so wür de eine gewaltsame Vertilgung dieser Ungeheuer durch Feuer und Schwerd kaum getadelt werden können. Aus einem solchen Gesichtspuncte pfle gen alle Verfolger, welche gewisse Grundsätze ver theidigen, diejenigen anzusehen, die sie Ketzer nen nen; und aus dieser Ursache bringen sie andern einen allgemeinen Abscheu gegen dieselben bey. Aehnliche Begriffe machen sich einige kleine Secten, von einander, und daher verlieren sie die Empfindung des moralischen Bösen, wel
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(Erstes Buch.) 168 Das Gefühl der Ehre und Schande, ches in ihrer Feindseligkeit und Verfolgung liegt. (Verschiede ne Meinun gen von den Geboten Gottes.) 3. Die dritte Ursache, welche eine Verschie denheit der Urtheile über gewisse Handlungen ver anlasst, und die eben so oft, als die andern, vor komt, ist die Verschiedenheit der Meinungen von demjenigen, was Gott geboten hat. Die Men schen handeln zuweilen aus einem Verlangen nach Belohnungen, oder aus einer Furcht vor Bestra fungen, ihrem moralischen Gefühl entgegen, und gehorchen dem, was sie für einen göttlichen Befehl erkennen. Sie können dieses auch aus an dern eigennützigen Leidenschaften thun. Sie kön nen einige dunkle Begriffe von Pflicht und Ver bindlichkeit haben, welche von demjenigen, was ih re Herzen billigen würden, wenn die Vorstellung des göttlichen Befehls nicht vorhanden wäre, un terschieden sind. Eine lange Gewohnheit und die Verknüpfung gewisser Begriffe macht hierbey einen starken Eindruck in die Seelen der Menschen. Aber wenn unter verschiedenen Nationen verschie dene Begriffe von den Gegenständen des göttlichen Befehls vorhanden sind: so wird der Gehorsam oder Ungehorsam gegen Gott mit so starken mora lischen Farben und Bildern vorgestellet, daß sie nothwendig auch bey den unveränderlichsten moralischen Fähigkeiten, einen verschiedenen Beyfall und Tadel veranlassen müssen. Gott wird überall für einen guten und weisen Geist, für den Urheber unsers Lebens und alles des Guten, das wir geniessen, erkant. Den Gehorsam müs sen wir unter der höchsten Art der Dankbarkeit, der
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und ihre Gleichförmigkeit. 169(Fünfter Abschnitt.) Liebe der moralischen Vortreflichkeit, und als et was, das auf das allgemeine Beste einen vortheil haften Einflus hat, billigen: und der Ungehorsam mus von uns unter den entgegengesezten Begrif fen gemisbilligt werden. Wer also gegen dasje nige, was er für Gottes Befehl hält, aus der Be trachtung eines zeitlichen Vortheils oder eines sinn lichen Vergnügens, oder in der Absicht, andre zu einem gleichen Verhalten zu verführen, ungehor sam ist; mus für äusserst undankbar, sinnlich, ei gennützig oder grausam gehalten werden. Wenn in Ansehung desjenigen, was Gott gebietet, ver schiedene Meinungen überhand nehmen: so ist es unvermeidlich, daß nicht eine Verschiedenheit im Beyfall und Tadel, welche sich auf diese Meinung gründet, wahrgenommen werden sollte; obgleich die natürlichen unmittelbaren Gegenstände des Lo bes und Tadels bey allen Menschen eben dieselben sind. Dieses erklärt die verschiedenen Gebräuche bey dem Gottesdienst, die verschiedenen Begriffe von Heiligkeit und Ruchlosigkeit, und den grossen Abscheu, welchen einige Nationen gegen gewisse Ge wohnheiten haben, welche andere für unschädlich und gleichgültig halten, weil sie von keinem Ver bot derselben etwas wissen. Diese Betrachtungen erklären hinlänglich,(Verschiede ne Gebräu che beym Gottesdienst und Beariffe<Begriffe> von der Gott losigkeit.) warum die Aufopferung der Menschen und andere dergleichen ungeheure Gebräuche gebilliget werden; ungeachtet es wahrscheinlich ist, daß oft solche Men schen, welche von der Gütigkeit ihrer Götter nur eine geringe Ueberzeugung hatten, blos aus Furcht,
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(Erstes Buch.) 170 Das Gefühl der Ehre und Schande, ohne allen moralischen Beyfall, dergleichen Gebräu chen gefolgt sind. Es lässt sich gleichergestalt aus diesen Betrachtungen erklären, warum Blutschan de und Vielweiberey unter einigen Nationen ver abscheuet wird, bey welchen doch ihre schädlichen Folgen nur wenigen bekant sind; und daß sie hin gegen bey andern Völkern für gesetzmässig gehal ten werden. Niemand bilde sich ein, als ob Handlungen, (Jrrthümer sind oft Ver brechen.) welche aus falschen Meinungen von gewissen Vor fällen, oder von den Geboten Gottes, herfliessen, nur unerhebliche Vergehungen wären, und einen Character nur einem geringen Tadel aussetzen kön ten. Wenn der Jrrthum aus keiner bösen Nei gung, und aus keinem beträchtlichen Mangel einer guten Neigung herrühret: so ist die Handlung noch zu entschuldigen. Allein viele Jrrthümer, in welche wir in Ansehung der Meinungen von der Verehrung Gottes, oder von der Liebe unsrer Ne benmenschen, verfallen, sind Beweise eines grossen Mangels an der Liebe der moralischen Vortreflich keit, dem gerechten und edlen Verlangen, Gott zu kennen, zu verehren, und ihm zu vertrauen, wel ches zu einem guten Character erfordert wird; oder sie sind Beweise eines grossen Mangels an Menschenliebe, wenigstens an der allgemeinen und edlern Art derselben. Wenn diese Neigungen leb haft sind: so müssen sie die Menschen ermuntern, in Ansehung ihrer Pflichten und der Einrichtung ihres Verhaltens, grossen Fleis und Vorsicht anzu wenden; und sie müssen folglich dieselben zu rich
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und ihre Gleichförmigkeit. 171(Fünfter Abschnitt.) tigen Urtheilen in wichtigern Sachen führen, weil für einen jeden, der aufrichtig und achtsam ist, in der Natur eine hinlängliche Ueberzeugung zuberei tet liegt. Niemand kan genugsame Menschenlie be und Rechtschaffenheit besitzen, welcher glauben kan, daß die Aufopferung der Menschen, oder die Verfolgung seiner Nebengeschöpfe wegen gewisser Grundsätze in der Religion, welche der Gesellschaft keinen Nachtheil bringen, Pflichten seyn können, die Gott angenehm sind. VIII. Daraus, daß in uns ein moralisches Gefühl vorhanden ist, darf man nicht folgern, daß wir angebohrne Begriffe von den verschiede nen HandlungeuHandlungen; oder angebohrne Meinungen von ihren Folgen und ihrem Einflus auf die Ge sellschaft haben. Wir entdecken dieselben durch Beobachtungen und Schlüsse, und wir ziehen dar aus oft sehr entgegengesezte Folgerungen. Die Gegenstände dieses Gefühls sind keine äusserlichen Bewegungen oder Handlungen, sondern die innern Neigungen und Gesinnungen, welche wir aus den wahrgenommenen Handlungen, vermittelst der Kraft zu schliessen, folgern. Diese unmittelbaren Gegenstände der Seele können oft einerley seyn, ungeachtet die äusserlichen Handlungen einander gesezt sind. Wie gewisse Verwundungen und Verstümmelungen entweder aus Has oder aus Liebe geschehen können: also bewegt uns die Liebe, zuweilen den Gegenstand derselben schmerzhaft zu züchtigen, zuweilen aber ihm Vergnügen zu ver schaffen. Und wenn die Menschen, bey Beurthei
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(Erstes Buch.) 172 Das Gefühl der Ehre und Schande, lung der Handlungen, verschiedene Meinungen von diesen Neigungen annehmen: so wird einer diesel ben loben, und der andre tadeln. Sie werden aber diese verschiedenen Meinungen von den Neigungen, aus welchen die Handlungen herrühren, alsdenn annehmen, wenn sie darüber, ob die Handlungen auf das Beste oder auf den Nachtheil der Gesell schaft oder einzelner Personen gerichtet sind, ver schiedene Urtheile fällen. Derjenige, welcher ein zig und allein, oder doch vornehmlich auf die guten Absichten der Handlungen aufmerksam ist, wird die schädlichen Wirkungen derselben nicht gewahr wer den, sondern sich einbilden, daß sie aus tugendhaf ten Neigungen herfliessen, und er wird sie solcher gestalt billigen. Hingegen wird ein andrer, der mehr auf die schädlichen Wirkungen derselben auf merksam ist, den Schlus machen, daß sie aus den entgegengesezten Neigungen ihren Ursprung ha ben, und er wird sie folglich verwerfen. (Warum['] es nöthig ist, die Verknüpf fung der Tu gend mit dem Eigen nutz zu be trachten.) Wenn bey Festsetzung der Gründe der Sit tenlehre, nichts weiter erfordert würde, als eine theoretische Untersuchung, welche Neigungen tu gendhaft sind, welches Verhalten Beyfall verdie net, und was hingegen für lasterhaft zu halten sey: so würde die Erklärung, welche wir bisher von der Beschaffenheit unsers moralischen Gefühls ge geben haben, hierzu hinlänglich seyn. Da dassel be nicht allein bestimmt, was tugendhaft und la sterhaft ist, sondern auch die verschiedenen Grade dieser Eigenschaften in den verschiedenen Arten der Neigungen und Handlungen festsezt: so könten wir
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und ihre Gleichförmigkeit. 173(Fünfter Abschnitt.) nunmehro, zu einer nähern Betrachtung der Pflich ten des Lebens, fortgehen, und unsre Kraft zu schliessen zu der Entdeckung anwenden, was für besondere Neigungen und daraus fliessende Hand lungen einen vollkommenen Beyfall verdienen, und nicht nur den Vortheil einiger Theile des ganzen Systems befördern, sondern auch, neben dem all gemeinen Besten, vollkommen bestehen können; was für Neigungen und Handlungen, selbst solche, wel che unter die liebreichen gehören, und auf den Vor theil einzelner Theile abzielen, dem allgemeinen System schädlich seyn können; und auf diese Art könten wir, aus dem moralischen Gefühl, und der grosmüthigen Bestimmung der Seele, die be sondern Gesetze der Natur herleiten. Allein da wir einen starken Hang zu unsrer eigenen Glückse ligkeit und viele besondere eigennützige Begierden und Neigungen haben, und da diese oft so heftig sind, daß sie dem moralischen Gefühl nicht un mitttelbar unterworfen werden können, so sehr wir uns auch der Würde desselben und des wichtigen Einflusses, welchen es auf unser Glück oder Elend hat, bewust sind; da oft ein von Unruhe begleite ter starker Verdacht in uns entstehen kan, als ob wir, wenn wir dem Antrieb unsrer liebreichen Nei gungen und dem moralischen Gefühl folgen wollten, unserm Vortheil entgegen handeln, und etwas verabsäumen würden, wodurch unsre Glück seligkeit mehr befördert werden könte, als es durch die innere Zufriedenheit mit uns selbst, und durch den Beyfall, den uns andere zugestehen, geschiehet: so ist es zu Bestätigung der Gründe der Sittlich
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(Erstes Buch.) 174 Unsre Gewalt über Empfindungen, keit, zu Entfernung der Hindernisse, welche von den eigennützigen Trieben herrühren, und dazu, daß die Seele den Entschlus fassen möge, auf dem Wege, welchen ihr das moralische Gefühl empfiehlt, standhaft fortzugehen, höchstnothwendig, eine ge naue Vergleichung aller menschlichen Vergnügun gen anzustellen, und daher zu bestimmen, welche davon unsre grösste Glückseligkeit ausmachen.
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Der sechste Abschnitt, In wie weit die verschiedenen Empfindun gen, Begierden, Leidenschaften und Nei gungen in unsrer Gewalt sind.

(Worinnen die Glückse ligkeit be steht.) I.Die höchste Glückseligkeit eines Wesens be steht, in dem vollen Genus aller Vergnü gungen, die seine Natur begehrt, und deren sie fä hig ist. Oder, wenn die Freuden, welche seine Na tur zulässt, von einer grossen Mannichfaltigkeit sind, wenn sie zu verschiedenen Arten gehören, die zuweilen nicht neben einander bestehen können, wenn einige davon höher und dauerhafter sind, als die übrigen: so besteht seine höchste Glückseligkeit in dem unwandelbarsten Genus der stärkern und dau erhaftern Vergnügungen, und auch zugleich der geringern Belustigungen, in so weit diese, mit dem vollen Genus der edlern, bestehen können. Da wir nicht alle unangenehme Empfindungen von uns abwenden können, und da es unter denselben ver schiedene Arten und Grade giebt: so müssen wir uns wider stärkere und dauerhaftere Arten und wi
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 175(Sechster Abschnitt.) der höhere Grade derselben in Sicherheit setzen, und, wenn es zu dieser Absicht nothwendig ist, geringere Arten und Grade derselben erdulten, oder einige kleinere Vergnügungen aufopfern. Um uns zu diesem Verhalten geschickt zu ma chen, ist es nöthig, zuförderst eine genaue Untersu chung anzustellen, auf was für Art unsre verschie denen Neigungen und Begierden unter unsrer Ge walt stehen, und in wie weit gewisse Betrachtun gen oder eine gewisse Gewöhnung unsrer selbst, auf unsre Erkäntnis des Guten oder Bösen, des Glücks oder Elends in den verschiedenen Gegenständen, ei nen Einflus habe. 1. Gleichwie die ruhigen Begierden und(Wie die Be gierden un srer Gewalt unterworfen sind.) Abneigungen der Seele natürlicher Weise von un sern Meinungen über das Gute und Böse in den Gegenständen derselben, herrühren: also stehen sie, mit den Graden des wahrgenommenen Guten oder Bösen, in Verhältnis. Die eigennützigen Begier den nach einem besondern Gute werden blos, ver mittelst des ruhigen ursprünglichen Triebes, zur höchsten Glückseligkeit; und durch die Kraft zu schliessen und zu vergleichen, welche den Werth der verschiedenen Gegenstände der Begierden entdecket, unsrer Gewalt unterworfen. Durch die Ver besserung unsrer Meinungen von ihrem Wer the, werden die verschiedenen Begierden in ei nem gehörigen Verhältnisse erhalten. Vermit telst des andern ursprünglichen Triebes, welcher die allgemeine Glückseligkeit, im weitesten Umfange, zum Gegenstande hat; und durch eine gleiche An
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(Sechster Abschnitt.) 176 Unsre Gewalt über Empfindungen, wendung des Verstandes bey Vergleichung des Werths der Gegenstände, welche wir für andere be gehren, können wir die verschiedenen liebreichen Neigungen und Begierden in Ordnung bringen. Denn sobald wir ein grösseres Gut wahrnehmen, sobald ist das ruhige Verlangen nach ihm stärker, als nach einem geringern Gute, welches daneben nicht bestehen kan, und welches wir entweder für uns selbst, oder für andere zu erlangen wünschen. Hier zeigt das moralische Gefühl eben falls seine Gewalt. Da die verschiedenen einge schränktern Neigungen oft einander entgegen sind, oder da einige von ihnen neben den allgemeinen Neigungen gegen ganze Gesellschaften, oder gegen das ganze menschliche Geschlecht nicht bestehen kön nen: so bestimmt das moralischeGefühl durch den stärkern Beyfall, welchen es den allgemeinern ertheilt, diejenige Neigung, welche die Oberhand behalten soll, und bestätiget diese edlere Neigung durch unser natürliches Verlangen nach der moralischen Vortreflichkeit. Die unruhigen Begierden und besondern Lei denschaften, sowohl die eigennützigen als grosmü thigen, werden auf eben diese Art beherrscht. Sie entstehen natürlicher Weise bey gewissen Gelegen heiten, und zwar mit grosser Heftigkeit. Sie in Ordnung zu erhalten und einzuschränken ist eine gewisse Fertigkeit nöthig, welche durch wiederholtes Nachsinnen undfleissige<und fleissige> Uebung erlangt wird. So lange wir ruhig sind, müssen wir fleissig erwägen, wie viel Gefahr es bringt, wenn wir etwas gleich
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 177(Sechster Abschnitt.) bey dem ersten Anblick aus Uebereilung für gut oder böse halten; wir müssen auf unsre ehemaligen Erfahrungen, in uns selbst, und auf dasjenige, was wir an andern wahrgenommen haben, zurückgehen, und uns erinnern, daß oft höhere und dauerhaf tere Vergnügungen dadurch verlohren worden, wenn wir uns einer erregten Begierde oder Leiden schaft unbedachtsam überlassen haben; daß dauer haftes Elend und ein innerer Schmerz auf einige vorüberfliehende Belustigungen gefolgt sind; daß Scham, Elend und Betrübnis die Wirkungen ei nes unbändigen Zornes gewesen; daß die Men schen durch eine übertriebene Furcht oder durch ihre Abneigung gegen Arbeit und mühsame Verrichtun gen, sich Unehre und Verachtung zugezogen haben. Auf diese Art werden wir uns gewöhnen, gegen alles, was wir nicht geprüft haben, mistrauisch zu seyn, und alle Vorsicht anzuwenden, sobald wir den Aufruhr einer unruhigen Leidenschaft fühlen. Wenn solchergestalt die ruhigen Triebe durch öfte res Nachsinnen gestärkt, und die Macht der Leiden schaften geschwächt worden; alsdenn haben wir die wahre Freyheit und die Herrschaft über uns selbst erlangt. Die ruhigen Kräfte werden das Ansehn, zu welchem ihre natürliche Würde sie bestimmt hat, behaupten und anwenden, und unsre Vernunft wird sich üben, die voreiligen Urtheile über das Gute und Böse zu verbessern, und den wahren Werth der verschiedenen Gegenstände unserer Be gierden und Leidenschaften zu prüfen.
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(Erstes Buch.) 178 Unsre Gewalt über Empfindungen, (Ursachen, warum wir den Gegen ständen einen falschen Werth bey legen[=]) II. Zu diesem Vorsatz ist es nöthig, daß wir die gewöhnlichen Ursachen anmerken, warum wir hintergangen werden, und den Gegenständen einen falschen Werth beylegen. Dergleichen sind 1. Die Stärke des Eindrucks und die Hef tigkeit der Begierden, welche durch gegenwärtige (Die Gegen wart solcher Dinge, die in die Sinne fallen.) und sinnliche Dinge erregt werden, diejenigen un gerechnet, welche von Gegenständen, die nicht in die Sinne fallen, oder noch künftig sind, und die uns der Verstand und die Ueberlegung vor stellet, entstehen können. Nur ein fleissiges Nachsinnen kan diesem Uebel abhelfen. Unsere jüngern Jahre verwenden wir fast ganz auf die sinnlichen Gegenstände; wenige können die An strengung der Seele aushalten, welche erfordert wird, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Ge stände, die im Verstande sind, richten und die Em pfindungen des Herzens untersuchen wollen. Die jenigen Kräfte, welche am meisten geübet werden, nehmen zu. Die oftmaligen Regungen der Be gierden verknüpfen mit ihren Gegenständen gewisse dunkle Begriffe einer hohen Glückseligkeit, welches durch die Stärke einiger Empfindungen, wenn die Begierde heftig ist, bestätiget wird. Wenige wenden gnugsamen Fleis an, diese Vergnügungen mit andern zu vergleichen, oder auf die kurze Dauer dieser Em pfindungen, und auf die darauf folgende Sätti gung, Schaam und innere Beängstigung Acht zu haben. Und doch fällt es unserer Vernunft leicht, einzusehen, daß die Dauer eines Vergnügens eben sowohl, als die Stärke desselben, in Betrachtung
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 179(Sechster Abschnitt.) gezogen werden mus; und daß der Zustand der Seele, welcher auf die Befriedigung der unvernünf tigen Begierde folgt, eben sowohl in Rechnung zu bringen ist, als die vorüberfliehende Belustigung. 2. Wenn man der Einbildungskraft verstat(Die Aus schweifung der Einbil dungskraft.) tet, sich zu sehr mit solchen Gegenständen zu be schäftigen, welche uns die Hofnung eines hohen Vergnügens beybringen; so werden dadurch unsre Leidenschaften erhitzt, und unser Urtheil wird auf die Seite solcher Gegenstände gebracht. Das Vergnügen wird zwar hierdurch nur um ein weni ges grösser; ja unsre Lust wird dadurch oft vermin dert, weil sie selten, mit der vorhergegangenen Er wartung, übereinkomt, und also die Mine einer Widerwärtigkeit hat. Allein, wenn unsre aus schweifende Einbildungskraft sich alle Freuden und Vortheile gewisser Stände, eine gewisse Hoheit in Reichthum und Ansehen vorstellt; so werden unsre Begierden nach denselben heftiger, und unsre Be griffe entwerfen uns das Bild einer Glückseligkeit, die weit höher ist, als wir sie wirklich finden werden. Und diese unordentliche Einbildungskraft ermangelt niemals, uns den Schmerz, welchen eine Wider wärtigkeit nach sich ziehen wird, zu vergrössern. 3. Allein keine Ursache unmässiger Begier(Verknü pfungen ge wisser Be griffe.) den oder falscher Urtheile über den Werth ihrer Ge genstände ist gewöhnlicher, als eine ungegründete Verknüpfung gewisser Begriffe, welche wir entwe der durch den Unterricht, oder unsern gewöhnlichen Umgang erhalten haben, und vermöge welcher wir uns Glückseligkeit, ja sogar Tugend und moralische
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(Erstes Buch.) 180 Unsre Gewalt über Empfindungen, Vollkommenheit, oder das Gegentheil derselben, in solchen Gegenständen einbilden, die mit ihnen we nige Verwandschaft haben. Selten werden die Gegenstände so, wie sie sind, ohne alle Verände rung, der Seele vorgestellt. Reichthum und An sehen sind wirklich von grossem Nutzen; nicht nur in Ansehung der natürlichen Bedürfnisse und Ver gnügungen des Lebens, sondern auch weil sie uns in den Stand setzen, andern Gefälligkeiten zu erzei gen. Aber wie oft werden nicht mit denselben Be griffe von sonderbaren Fähigkeiten, von Weisheit, von moralischer Vortreflichkeit und von weit hö hern Freuden, als sie uns verschaffen können, ver knüpft! Diese bezaubern viele Menschen so sehr, daß sie ihren natürlichen Endzweck vergessen, und dieselben um ihrer selbst willen, zu lieben und darauf stolz zu seyn anfangen. Sie verabscheuen einen niedrigen Stand als etwas verworfenes, und elen des, und glauben nicht, daß darinnen moralische Würde und Ehre angetroffen werden könne. Ei nige natürliche Vergnügungen werden ebenfalls weit über ihren Werth geschätzet, und das über mässige Verlangen nach ihnen beunruhiget die Seele. (Aberglau ben.) 4. Auch der Aberglaube, welcher uns durch die Erziehung beygebracht wird, verursacht einen ungegründeten Abscheu gegen die unschuldigsten Lehren und Gebräuche, indem man mit denselben Begriffe von Ruchlosigkeit, Feindschaft gegen Gott, und Bosheit des Herzens verknüpfet; nnd<und> die entgegengesetzten Lehren und Gebräuche, die
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 181(Sechster Abschnitt.) um gar nichts besser sind, zu Kennzeichen von Got tesfurcht, Liebe, Heiligkeit und Eifer für die Seelen der Menschen, macht. Daher entstehet, in den Herzen der übereilten Zeloten aller Ar ten, ein Has gegen diejenigen, welche von ihnen ab gehen; und der Geist der Verfolgung mit allen grausamen Leidenschaften, welche der menschlichen Natur schon so lange zum Vorwurf gereicht ha ben, selbst in derjenigen Religion, welche nur Liebe und Sanftmuth einflössen sollte. III. Es ist sehr nöthig, diese verschiedenen(Alle Men schen fühlen die verschie denen ur sprünglichen Begierden, Vergnügun gen und Schmerzen[=]) Ursachen der falschen Urtheile über den Werth der Gegenstände unserer Begierden und der verschiede nen Vergnügungen des Lebens anzumerken; weil kaum einige Menschen leben, welche niemals einen Trieb zu einer oder der andern dieser verschiedenen Vergnügungen haben sollten; und weil man nicht hof fen kan, daß man die entgegengesezten Uebel niemals erfahren werde. Das Vergnügen und der Schmerz der äusserlichen Sinne werden von allen, welche natürliche Kräfte haben, in gewissen Graden em pfunden, und müssen Verlangen und Abscheu er regen. Der Antrieb der Begierden ist auch un vermeidlich: sie kommen nach einem gewissen Still stand zurück, und man kan den unruhigen Em pfindungen anders nicht entgehen, als wenn man sie mit ihren natürlichen Gegenständen befriedigt. Allein, vermöge der gütigen Einrichtung der Natur können solche Befriedigungen, welche die Unruhe der Begierden abwenden, allemal erlangt werden; und wenn einige moralische Gründe die Befriedi
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(Erstes Buch.) 182 Unsre Gewalt über Empfindungen, gung verhindern: so begleiten höhere moralische Freuden diese Enthaltsamkeit, welche den Verlust vollkommen ersetzen. Selten zieht der körperliche Schmerz einen grossen Theil des menschlichen Lebens an sich. Weise Männer wissen Mittel vorzukehren, die allemal ihre Wirkung thun: und wenn dieses nicht ist: so können sie doch, mitten unter dem Schmerz, sich Gedult und Trost verschaffen. (Andere Be gierden sind schwerer zu befriedigen als die Triebe.) Es ist schwerer, andre unruhige Begierden zu befriedigen, welche von der Voraussetzung einer grossen Glückseligkeit in gewissen Vergnügungen entstehen. Hätten wir uns an keine solche Vor aussetzungen oder an keine solche dunkle Begriffe gewöhnt: so würde uns der Mangel dieser Ver gnügungen nicht unglücklich gemacht haben. Mit den Trieben hingegen ist es ganz anders beschaffen. Wenn wir unsre Meinungen ändern, und unsere verworrene Einbildung zurecht bringen können: so hören entweder die Begierden, und die damit ver knüpften Unruhen gar auf, oder sie werden schwä cher. Die Begierden machen das Leben um einen grossen Theil unglücklicher, als die Triebe. Von dieser Art sind die Begierden nach Reichthum, An sehen, nach einer prächtigen Lebensart, nach Ruhm; und der Abscheu gegen das Gegentheil derselben ist von gleicher Natur. Unsre Meinungen haben auf unsre Neigungen gegen andre, und auf unsre lieb reichen Begierden, einen eben so grossen Einflus, als auf unsre eigennützigen. Was wir für ein grosses Gut ansehen, müssen wir für andre, die wir lieben, innigst begehren; und wir müssen über alle Widerwärtigkeiten unruhig werden.
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 183(Sechster Abschnitt.) Wenn nun diese Meinungen wahr und na türlich sind: so können wir sie nicht ändern, und wir verlangen es auch nicht. Vernunft und Nachdenken werden sie bestätigen. Allein, ei nige Meinungen und dunkle Begriffe, welche unsre Begierden erregen, sind falsch und phantastisch: und die Verbesserung derselben befreyet uns von vielen Schmerz und Unruhen. Einige Vergnü gen sind immer in unsrer Gewalt, welche auch für die höchsten gehalten werden müssen. Woferne die ses wahr ist: so ist es unser höchster Vortheil, da von völlig überzeugt zu seyn; damit unsre stärk ren Begierden nach solchen Dingen erregt werden mögen, welche gewis erhalten werden, und uns die edelsten Vergnügungen verschaffen können. Ueberhaupt, je grösser wir uns ein Gut oder ein Uebel vorstellen, desto stärker ist unser Verlan gen oder unsre Furcht, desto grösser ist unsre Be kümmernis, so lange der Ausgang zweifelhaft ist, und desto grösser wird unser Kummer bey ei nem Unglück, und unsre erste Entzückung bey einem glücklichen Erfolg seyn: allein, wenn die vorher gegangene Einbildung falsch ist: so verschwindet diese Freude bald, und sie verwandelt sich in Un ruhe. Auf der andern Seite wird der Kummer über den unglücklichen Erfolg stark verbleiben, wenn die falsche Einbildung durch die Erfahrung des Vergnügens nicht verbessert wird. Dieses be weiset, wie richtig es sey alle unsre Begriffe von den Gegenständen des Verlangens und Abscheues wohl zu prüfen. Wir sollten solchergestalt bey Bestim
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(Erstes Buch.) 184 Unsre Gewalt über Empfindungen, mung des Werths unsrer sinnlichen Vergnügungen, alle fremde Begriffe von moralischer Würde, Frey gebigkeit, Anständigkeit, Gutherzigkeit, von densel ben absondern, und vielmehr diese Eigenschaften auf eine weisere und tugendhaftere Art, ohne wol lüstige Gastmale und ohne ein verschwenderisches Leben zu erkennen geben. Diese Nebenbegriffe er regen das Verlangen nach Pracht und Ueber flus, und sind die Ursachen einer immerwähren den ängstlichen Unruhe. (Verknüpfte Begriffe sind schwer zu trennen.) IV. Begriffe, welche einmal auf diese Art fest verknüpft sind, verursachen in der Seele eine dauerhafte Unruhe; und eine völlige Ueberzeugung des Verstandes wird, ohne ein langes Nachsin nen und viele Uebung, die Verknüpfung nicht auf heben können. Es sind nur dunkle Vorstel lungen und keine überlegte Schlüsse, welche der Seele des Wollüstigen, des Geizigen, des Stol zen, des Liebenden, in ihren geliebten Gegenständen, eine bewundernswürdige Vortreflichkeit, welche mit ihren Begierden in Verhältnis stehet, vorstel len. Eine lange Nachsicht, wiederholte Re gungen der Begierden in einer Seele, die von an dern Gegenständen abgezogen ist, die Lebensart die Gesichtszüge, und der Ton der Stimme, welche man an Menschen von dergleichen Gesinnungen, in dem öf tern Umgang mit ihnen, bemerkt hat, verknüpfen hohe Begriffe von Glückseligkeit, so fest mit der ge wünschten Befriedigung, daß eine lange Aufmerk samkeit und Ueberlegung nöthig ist, die verworrene Einbildung in Ordnung zu bringen.
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 185(Sechster Abschnitt.) Eine völlige Ueberzeugung, daß die Tugend vortreflicher und wichtiger sey, als andre Vergnügun(Richtige. Begriffe von der Tugend sind zur Glückselig keit noth wendig.) gen, wenn wir anders von denselben richtige Begriffe haben, mus uns allemal vielen Vortheil verschaf fen. Die Meinung wird die genaueste Prüfung aushalten, wie wir hernachmals zeigen wollen; und dieses Vergnügen ist unsrer Gewalt. Allein, die ungleiche Bewunderung einiger Arten von ein geschränkteren Tugenden, und einiger moralischen Gegenstände einer niedern Art, dergleichen blose Tapferkeit, ein Eifer, für die Wahrheit und für ein besonders System von Lehrsätzen der Religion sind, werden die Menschen zu bösen Neigungen und zu abscheulichen Handlungen verleiten, wenn sie die edlern Gegenstände, welche einen allgemeinen gu ten Einflus haben, ganz aus den Augen setzten. Keine natürliche Empfindung oder Begierde ist ohne Nutzen, wenn wir richtige Begriffe davon haben; allein sind dieselben falsch: so können einige von den besten Neigungen und Empfindungen schädlich werden. Unser moralisches Gefühl und die liebreichen Neigungen führen uns an, die bösen zu verwerfen, und ihren Absichten zu widerstehen; ja ihre gänzliche Ausrottung zu wünschen, wenn wir wahrnehmen, daß sie den Verlust anderer, die besser sind, als dieselben, unvermeidlich nach sich ziehen. Diese Grundtriebe nebst dem Zorn und Unwillen, welcher in uns gegen dasjenige, was böse zu seyn scheinet, natürlicher Weise entstehet, können uns zu einem überlegten Has und Abscheu vieler Menschen, die wir fälschlich für lasterhaft halten, verleiten, und Anlas geben, daß wir ihnen
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(Erstes Buch.) 186 Unsre Gewalt über Empfindungen, eben so, wie sie uns, auf eine boshafte Vernichtung andern umzugehen scheinen. (Die Ver besserung unsrer Mey nungen schwächt viele Be gierden.) Wenn unsre Meinungen und unsre Einbil dungskraft zurechtgebracht worden sind: so werden die natürlichen Triebe und Begierden zwar immer noch übrig bleiben, und von einiger Unruhe be gleitet werden; allein einige stärkere werden ge schwächt, und dagegen andere verstärkt werden. Die einfachern Befriedigungen der Triebe, und solche, welche am leichtesten zu erlangen sind, kön nen uns, wenn wir auf eine gute Art damit um zugehen wissen, eben soviel Vergnügungen und Freude verschaffen, als irgend einige andre. Die Vergnügungen der Einbildungskraft können uns ungemein angenehm seyn, und doch kan über den Mangel derselben kein Verdrus in uns entstehen. Viele von diesen Vergnügungen bieten sich allen dar, und erfordern keinen eigenthümlichen Besitz, worunter diejenigen gehören, welche wir über die vortreflichen Schönheiten der Natur und einige Schönheiten der Kunst empfinden. Diese sind auch weder die einzigen noch die höchsten Ver gnügungen. (Die sym patheti schen Em pfindungen sind unver meidlich.) V. Das sympathetische Vergnügen und Mis vergnügen, mus in einem oder dem andern Grade auf uns wirken, und wir sind auf keine Art ge schickt, es zu verhindern. Wir müssen in Gesell schaft leben, und wir haben den Beystand andrer nöthig, deren Glück oder Elend, deren Vergnügen oder Misvergnügen wir nothwendig gewahr wer den müssen. Das ganze menschliche Geschlecht
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 187(Sechster Abschnitt.) fühlt die ehelichen und verwandschaftlichen Nei gungen; und eine ausserordentlich gute Gemüths art, die wir an andern bemerken, erregt in uns eine innige Liebe und Freundschaft. So müssen wir die sympathetischen Freuden und Schmerzen von höhe rer Art empfinden. Hierbey müssen wir ebenfalls über unsre Meinungen und Einbildungen wachen, damit unsre Seele nicht von einem eiteln Verlan gen nach geringen vorüberfliehenden und unnöthi gen Gütern für andere entflammet oder von Be trübnis über geringe und erträgliche Widerwärtig keiten, die ihnen zustossen, niedergeschlagen wer den möge. Allein, wenn wir nicht die Einbil dungskraft unsrer Freunde zu verbessern suchen; so werden wir immer Gelegenheit zu Sympathien haben. Alles Unglück ist, so lange es währet, für denjenigen, der es erfährt, etwas wirkliches. Wer sich einbildet, unglücklich zu seyn, ist es in der That so lange, als diese Einbildung dauert. Wenn die Wahl die Bande der Liebe knüpfet: so ist eine vorgängige genaue Prüfung des Cha racters der Gesinnungen und der Begriffe der Per sonen von den wichtigsten Folgen. Bey einer stär kern Verbindung mit Personen von richtigen Ge sinnungen und einer gebesserten Einbildungskraft können wir uns einen reichlichen Antheil von gesel ligen Freuden versprechen, und wir haben nur ein geringes Misvergnügen zu befürchten, weil die Glückseligkeit dieser Personen weniger ungewis ist, und von äusserlichen Zufällen weniger abhängt.
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(Erstes Buch.) 188 Unsre Gewalt über Empfindungen, Da die menschliche Natur von keinen noth (Es giebt kei ne nothwen digen Ursa chen zur Bos heit.) wendigen Ursachen angetrieben wird, die Bos heit zum lezten Endzweck zu machen: so wird eine ruhige Seele bey einer aufmerksamen Betrachtung der Gemüthsarten, der Meinungen und der wahren Quellen aller Handlungen anderer Menschen wirk lich viele Veranlassungen zu Mitleiden und Be trübnis, allein nur wenige zu Zorn, Unwillen und Neid, und gar keine zu einer vorsätzlichen Bosheit finden. Und so können wir von den Unruhen und dem Ungemach der menschlichen Neigungen und Leidenschaften vollkommen frey seyn. Die Men schen sind wirklich vielen Schwachheiten, unbedacht samen Vorurtheilen, einem unmässigen Verlangen nach eigenem Vortheil, starken sinnlichen Begier den und heftigen Neigungen gegen eingeschränktere Systemen, welche es nicht verdienen, ausgesetzt; sie sind dem Zorn über scheinbare Beleidigungen, die man ihnen selbst, oder andern von ihnen gelieb ten Personen zufügt, unterworfen: allein sie sind nicht darauf eingerichtet, ohne einige Veranlas sung, und ohne alle Hofnung eines Eigennutzes, boshaft zu seyn. Sie äussern vielmehr einige mo ralische Begriffe, und sie sind mit einigen Arten liebreicher Neigungen versehen. Viele von ihren tadelhaftesten Handlungen werden durch einige un rechte Begriffe von ihren Pflichten veranlasset, oder die handelnde Person hält sie für unschuldig, und sie sind Wirkungen einer parteyifchen<parteyischen> und an sich rühmlichen Neigung, welche eine Stärke er langt hat, die ihr nicht zukomt, indem eine allge meinere entschlummert ist.
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 189(Sechster Abschnitt.) VI. Sobald als man die Neigungen anderer wahrnimmt, und über seine eigenen nachdenkt; so(Moralische Eigenschaf ten haben auf das gan ze menschli che Geschlecht Einflus.) bald müssen die moralischen Eigenschaften auf die Seele einen Einflus haben. Keine Erziehung, keine Fertigkeit, keine falsche Meinung, selbst keine gezwungene Nachahmung, kan es verhindern. Ein Lucrez, ein Hobbes, ein Bayle können sich von den Empfindungen der Dankbarkeit, von dem Lobe und der Bewunderung gewisser sittlicher Eigenschaften, und von dem Tadel und Abscheu anderer nicht los arbeiten. Dieses Gefühl verhilft denjenigen, welche ihm Gehör geben, zu einem Ueberflus an innern Vergnügen. Unsre eigene Gemüthsart, unsre eignen Handlungen, können immerwährende Quellen von Freuden seyn, so oft wir darüber Be trachtungen anstellen. Allein, wenn man parteyi sche Begriffe von Tugend und Gerechtigkeit unbe dachtsam unterhält, und weder allgemeine Absich ten noch wahre Meinungen von dem Werth der Personen und Sachen hat: so kan die Bestrebung nach moralischen Eigenschaften, Misfallen und in nere Unruhe veranlassen. Falsche Begriffe von der Tugend können weniger dauerhaft seyn, als an dre Jrrthümer. Personen, welche dadurch beleidigt worden sind, werden selten unterlassen, sie aus einander zu setzen; und Zuschauer, welche durch unsre Leidenschaften und Vortheile nicht verblendet sind, werden ihr Misfallen zu erkennen geben. Und so werden unsre ungegründeten Freuden und die Zufriedenheit mit uns selbst, der Schaam und den innern Verweisen geschwind weichen.
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(Erstes Buch.) 190 Unsre Gewalt über Empfindungen, (Das Gefühl der Ehre äus sert sich bey jederman.) Das Gefühl der Ehre mus ebenfalls Ver gnügen oder Misvergnügen veranlassen, nachdem die Welt, welcher wir bekant sind, ihre Urtheile über unser Verhalten fällt: und da wir die Mei nungen anderer nicht in unserer Gewalt haben: so können wir nicht versichert seyn, allem Tadel zu ent gehen. Wir können aber, als würdige Richter, den Werth der Menschen, nach ihren Eigenschaf ten, bestimmen, und ihnen entweder Lob oder Ta del zuerkennen; und so können wir unsre Ehrbe gierde auf das Lob weiser und tugendhafter Män ner einschränken. Der Beyfall unserer eigenen Herzen und der Beyfall Gottes verschaft uns ein Vergnügen höherer Art, als die Lobeserhebungen der Menschen sind. Wir können dem Verlangen nach dieser geringern Belustigung Einhalt thun, wenn sie neben der höhern nicht bestehen kan. (Das Ver langen nach Reichthum und Ansehen ist allgemein.) VII. Auch das Verlangen nach Reichthum und Ansehen hat auf die Seele einen Einflus, wenn sie wahrnimmt, daß es ihr augenscheinlicher Vor theil seyn würde, ein jedes ursprüngliches Verlan gen zu befriedigen. Diese Bestrebung kan in ei ner gebesserten Seele ruhiger und mässiger seyn, so, daß ein Erfolg, der ihrer Erwartung zuwider ist, ihr keinen grossen Schmerz verursachen wird. Al lein, wenn man nicht nur die Begriffe von äusser lichen Beqvemlichkeiten<Bequemlichkeiten> und Vergnügungen oder von einem Vermögen, andern zu dienen, sondern auch von allen schätzbaren Fähigkeiten, und der mo ralischen Würde, mit Reichthum und Ansehn ver
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 191(Sechster Abschnitt.) knüpft; wenn man sich vorstellt, daß Niederträch tigkeit und Elend mit der Armuth und einem ge ringern Stande verbunden sey; wenn man den na türlichen Nutzen dieser Dinge übersicht, und wenn die ganze Seele von der Absicht voll ist, reicher und angesehener zu werden: so mus eine ängstliche Un ruhe und Ungedult alle Freuden des Lebens verbit tern und vergiften.(Wie die ein gebildeten Begierden entstehen.) Wenn sich die Seele von ihren natürlichen Bestrebungen und Vergnügungen entfernt: so müssen eingebildete an ihre Stelle treten. Wenn die Menschen, aus Trägheit und Abneigung gegen die gehörigen Bemühungen, an Erreichung anstän diger Absichten verzweifeln; wenn einige Zufälle ihre Seelen von den uns natürlichen Neigungen gegen Abkömlinge, Verwandten, und gegen das Vaterland abgezogen haben: so wird ein Verlan gen nach einer Art von Hoheit, von Belustigung und Vergnügen, bey einer gänzlichen Unfähigkeit zu allen würdigen Beschäftigungen sie zu gewissen Bestrebungen antreiben, welche in den Augen ihrer Mitbrüder von gleicher Trägheit, Unfähigkeit und Verderbnis, unter den dunkeln Begriffen von Anständigkeit, Freygebigkeit, Geselligkeit und Ar tigkeit rühmlich geworden sind. Wie könte man es sonst erklären, warum junge Leute so viele Jah re mit Jagen, Spielen, Trinken, Müssiggang und albernen Unterredungen und Ceremonien in öf fentlichen Zusammenkünften und Lustbarkeiten zubringen.
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(Erstes Buch.) 192 Unsre Gewalt über Empfindungen, (Einige Ver gnügungen sind einander entgegenge sezt und kön nen nicht ne beneinander bestehen.) VIII. Es ist klar, daß unsre Natur unfähig ist, die höchsten Vergnügungen aller Arten auf ein mal zu geniessen, oder nach ihnen allen zugleich zu trachten. Weder die Vergnügungen selbst, noch die Mittel, dazu zu gelangen, können alle neben ein ander bestehen. Ein hohes Wohlgefallen an eini gen, ist dem Geschmack an andern zuwider. Sinn lichkeit und Trägheit sind den höhern Vergnügun gen, welche von der Beschäftigung entstehen, ge rade entgegengesezt. Die Bestrebungen nach Wis senschaft und Geschicklichkeit in schönen Künsten vertragen sich nicht mit dem Geitz, der Sinnlich keit und einigen Arten von Stolz. Eben so ver hält es sich mit den Bestrebungen nach der Tugend. Ja die höhern Vergnügungen verschiedener Arten, als die Vergnügungen der Tugend und Ehre, wer den durch das Bewustseyn noch mehr erhöhet, daß wir andere geringere Bestrebungen und Vergnü gungen denselben aufgeopfert haben. (Wenige Vergnügun gen sind ge wis.) Es ist gleichergestalt offenbar, daß wir in unserm gegenwärtigen Zustande kein Vergnügen als gewis ansehen können, welches von äusserlichen Dingen abhängt, die alle unzählichen Zufällen un terworfen sind. Die edlen Vergnügungen der Gottesfurcht und der Tugend sind unveränderlich und von dem Glück unabhängig. So viel gewisse Vergnügungen uns auch eine tugendhafte Ge müthsart in den Stunden der Ueberlegung ver schaft; so führt dieselbe doch die Menschen aus sich selbst heraus, und macht sie gegen das allgemeine
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 193(Sechster Abschnitt.) Beste und dem Vortheil anderer empfindlich, diese aber sind unsrer Gewalt nicht unterworfen. Es ist ein grosser Schmerz, wenn ein tugendhaftes Vorhaben mislingt, ungeachtet die Gemüthsart allemal Beyfall erhalten wird. Wir sind hierin nen, wie in allen andern Dingen der Vorsehung unterworfen. Gleichwie diese uns ehemals unsre empfindenden Kräfte und ihre Gegenstände gegeben hat: also gebietet sie darüber sowohl als besonders über die Glückseligkeit oder das Elend anderer, wel che die lezten Gegenstände der tugendhaften Nei gungen sind. Dieses zeiget hinlänglich, daß die Gottheit aus dieser Ursache sowohl, als aus vielen andern, der höchste Grund unsrer vollkommensten Glückseligkeit seyn mus; weil wir, ohne die feste Ueberzeugung, daß ihre Güte, Weisheit und All macht beständig beschäftigt sind, die Glückseligkeit der Gegenstände unsrer edelsten Neigungen zu befe stigen, niemals sicher seyn, noch eine wahre Hei terkeit und Ruhe der Seele geniessen können. Wir würden die unwidersprechlichen Be(Ohne Re ligion ist kei ne Ruhe möglich.) weise des Daseyns der Gottheit und ihrer morali schen Vollkommenheiten hier nicht am unrechten Orte anführen; nicht nur, weil die feste Ueberzeu gung hiervon unsre erste und vornehmste Pflicht ist, sondern auch, weil die Gottheit und ihre Vor sehung den Grund unsrer Ruhe und höchsten Glückseligkeit ausmachen. Allein, da aus der Be schaffenheit der menschlichen Natur, aus der moralischen Regierung, von der uns unser eignes Gefühl überzeugt, und aus der ganzen Ein
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(Erstes Buch.) 194 Unsre Gewalt über Empfindungen, richtung unsrer Seele, alle die liebreichen und grosmüthigen Neigungen zu billigen, welche die moralische Vollkommenheit GOttes nachahmen, die stärksten Beweise in dieser Sache hergenom men werden: so müssen wir nachhero die Gesin nungen und Pflichten der Gottesfurcht, als den höchsten Grad der Glückseligkeit und moralischen Vortreflichkeit betrachten. (In wie fern unsere Bemühun gen von ei nerley Wir kung sind.) IX. Was die andern Vergnügungen, welche ungewis sind, anbetrift: so ist zwar keine reine un vermischte Glückseligkeit zu erreichen; allein unsre Bemühungen sind doch nicht ganz fruchtlos. Wir haben bereits bemerkt, daß eine vorhergehende gros se Erwartung, ungeachtet sie die ersten Entzückun gen über den glücklichen Erfolg und über die Ent fernung der vorhergegangenen ängstlichen Unruhe, vermehret, dennoch die darauf folgenden Vergnü gungen vermindert, einen widrigen Ausgang noch schmerzhafter macht, und veranlasst, daß ein Un glück, welches, seiner Natur nach, nur geringe ist, uns unerträglich wird. Wenn unsre Begriffe von diesen ungewissen Gegenständen klein, und unsre Begierden mässig sind: so wird dadurch unsre dauerhafte Empfindung des Vergnügens an dem erreichten Gegenstand verstärket, und die Empfin dung der Widerwärtigkeit geschwächt. So haben der Mässige, der Bescheidene, der Sittsame, der Demüthige, eben so geschärfte Em pfindungen als andre, und geniessen alles Gute in allen sinnlichen Gegenständen und in der Ehre. Enthaltsamkeit und Zurückhaltung, welche Forde
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Begierd. Leidensch. und Neigungen. 195(Sechster Abschnitt.) rungen der Tugend sind, verderben keine Empfin dungen oder Begierden. Die Mässigung im Glück, die Ehrbarkeit, die Demuth, die Bescheiden heit, kleine Begriffe von der Glückseligkeit in sinn lichen Gegenständen, hindern die Empfindung der Freude über erhaltene Vortheile nicht. Menschen dieser Art haben eine Vernunft, die ruhig ist, und sich nur beschäftigt, ihnen die erwünschten Befrie digungen zu verschaffen, und, bey einem widrigen Erfolg, andere vorzüglichere Vergnügungen zu fin den. In dieser ungewissen Welt ist ihr Glück mit eben so vielen Freuden verknüpft, als das Glück an derer. Und mitten im Unglück, Si quis, quae multa vides discrimine tali Si quis in aduersum rapiat casus ve deus ve*(Eine leb hafte Em pfindung der Unbeständig keit in menschlichen Dingen ist höchstnütz lich.) ist der Unterschied offenbar. Solche Widerwär tigkeiten stossen den entzückten Bewunderern äusserli cher Dinge eben sowohl zu, als andern. Der eine kennet noch andre Quellen, sich glücklich zu machen; er sahe solche Zufälle voraus; der Verlust ist ihm erträglich. Der andre ist seiner Güter be raubt, und ihr fragt noch, was ihm fehlt? So nöthig ist die beständige Betrachtung der Un gewisheit in den menschlichen Vorfallenheiten; der Zufälle, welchen wir unterworfen sind; der ei gentlichen Quellen der Linderung, und der andern Vergnügungen, die wir immer in unsrer Gewalt haben können. Dieses schwächt keine wahre Freude über einen glücklichen Vorfall, sondern 20
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(Erstes Buch.) 196 Vergleichung hebt die unrichtige Verknüpfung gewisser Begriffe auf, und verbessert die Einbildungskraft; stärkt die Seele, und befreyet sie von dem Jrrthum und der Bestürzung, welche unzubereitete Gemüther zerstreuen, und sie der Güter berauben, die in ih rer Gewalt sind.
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Der siebende Abschnitt, Die verschiednen Arten von Vergnügen, und die entgegengesezten Arten von Misver gnügen, werden verglichen, um ihren Ein flus auf die Glückseligkeit zu bestimmen.

I.Um zu entdecken, worinnen unsre wahre Glückseligkeit besteht, müssen wir die ver schiedenen Vergnügungen des Lebens, und die ver schiedenen Arten von Elend mit einander verglei chen, damit wir unterscheiden lernen, welche Ver gnügungen wir aufgeben, und welche unangenehme Empfindungen wir ertragen müssen, wenn wir die höchste und seligste Belustigung erlangen, und die beschwerlichsten Trübsalen vermeiden wollen. (Der Werth der Vergnü gungen be steht in ihrer Würde und Dauer.) Was die Vergnügungen einer Art anbe langt; so ist es klar, daß ihr Werth in einem aus ihrer Stärke und Dauer zusammengesezten Ver hältnis besteht. Bey Bestimmung der Dauer se hen wir nicht allein auf die Beständigkeit des Ge genstandes, oder darauf, daß er in unsrer Gewalt bleibt, oder auf die Dauer der Empfindungen, welche er uns verschaft, sondern auch auf die Be
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 197(Siebender Abschnitt.) ständigkeit unsrer Einbildung oder unsers Wohlge fallens; denn sobald diese aufhören: sobald ist das Vergnügen vorüber. Wenn wir die Vergnügungen verschiedener Arten vergleichen: so bestimmen wir ihren Werth nach der Dauer und der Würde der Art zugleich. Wir haben bey einigen Arten ein unmittelbares Ge fühl einer Würde, * einer Vollkommenheit oder be glückenden Eigenschaft, welchem keine Stärke der geringern Arten gleichkomt, wenn sie auch so lange dauerten, als wir nur wünschen können. Keine Stärke oder Dauer giebt den äusserlichen Empfin dungen eine Würde, welche sie nur dem Vergnügen über die Verbesserung der Seele, durch Künste und Wissenschaften, ähnlich machte; noch viel weniger kan sie dieselben dem Vergnügen, welches aus tu gendhaften Neigungen und Handlungen entspringt, gleich setzen. Wir werden niemals anstehen, über die Glückseligkeit oder Vollkommenheit anderer Menschen also zu urtheilen, woferne keine unge stüme Regungen der Begierden und Leidenschaften unsre Urtheile verderben, wie dieses oft in Ansehung unsrer selbst geschieht. Dieses innere Gefühl einer gewissen Würde macht, daß die Vergnügungen und Uebungen einiger Arten, wenn sie gleich nicht die höchsten in dieser Art sind, weit mehr vortrefliches haben, und uns weit glücklicher machen, als die stärksten und dauerhaftesten Vergnügen der nie dern Arten. Bey einigen höhern ist die Dauer von keiner so grossen Wichtigkeit als bey den nie 21
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(Erstes Buch.) 198 Vergleichung dern. Die Ausübung der Tugend auf eine kurze Zeit, wenn nicht Laster darauf folgen, ist von ei nem ungleich grössern Werthe, als die dauerhaften sinnlichen Vergnügungen. Nichts vernichtet die Vortreflichkeit und Vollkommenheit des Zustandes so sehr, als eine entgegengesezte Eigenschaft von eben derselben Art, welche den ersten Character verun staltet. Die besondere Glückseligkeit des tugend haften Mannes, wird, durch den Schmerz oder ei nen frühen Tod, nicht so sehr geschwächt, als das Glück eines, der sich seinen sinnlichenBegierden überlässt; obgleich dieselben auf seinen ganzen Zu stand, wenn man ihn in dem Zusammenhang aller Vergnügungen und Leiden betrachtet, einigen Ein flus haben. Die Betrachtung eigener hoher Freuden, die uns eine künftige öftere Erinnerung verschaffen wird, ist nicht dasjenige, was der Seele die Tugend empfiehlt. Wir fühlen einen Trieb, einen Eifer nach der Vollkommenheit, nach wür digen Neigungen und Handlungen, und empfin den ihre unmittelbare Vortreflichkeit ohne alle Ach sicht<Nachsicht> auf künftige Vergnügungen von langer Dauer; obgleich kein Zweifel ist, daß diese Ver gnügungen, welche eben so sicher sind, als unser Daseyn, bey der Bestimmung, wie wichtig die Tu gend in Ansehung unsrer Glückseligkeit sey, in Be trachtung gezogen werden müssen. Wenn wir durch die Stärke der Empfin dungen und Vergnügungen, in einem allgemeinern Verstande, den Grad anzeigen, in welchem sie unsre Glückseligkeit befördern: so besteht der verglichene
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 199(Siebender Abschnitt.) Werth derselben in einem zusammengesezten Ver hältnis ihrer Stärke und Dauer. Allein um die grosse Verschiedenheit der Arten beständig vor Au gen zu haben, und einigen Einbildungen, als ob die stärkern Empfindungen der geringern Arten, mit der gehörigen Dauer, unsre Glückseligkeit voll kommen machten, zuvorzukommen; wird es besser seyn, den Werth der Vergnügungen nach ihrer Würde und Dauer zu bestimmen, so, daß die Würde die Vortreflichkeit der Art, wenn die Ver gnügungen verschiedener Arten verglichen werden, und die Stärke der Empfindungen, wenn wir Vergnügungen einer Art vergleichen, bedeutet. II. Obgleich die obenerwähnten verschiedenen(Die Ver schiedenheit des Ge schmacks bey den Men schen.) ursprünglichen Kräfte allen Menschen natürlich sind: so pflegen doch viele, durch Gewohnheit, ver knüpfte Begriffe, Erziehung und durch Meinungen verleitet, nur nach den Vergnügungen einer Art zu streben; und sie achten andre nicht, welche von Leuten von entgegengesetzten Gesinnungen unge mein hochgeschätzet werden. Einige sind den sinn lichen Belustigungen mehr ergeben; andre überlas sen sich mehr den Vergnügungen des Verstandes. Einige streben nach Reichthum und Ansehen, andre nach moralischen und geselligen Freunden, und nach Ehre. Reichthum und Ansehn habe einige wenige getreue Verehrer, welche sie, um ihrer selbst willen, anbeten: eine grössere Anzahl verehret sie blos als dienstbare Geister, als Vermittler mit einigen hö hern Gottheiten, dergleichen Vergnügungen, Ehre und Gutthätigkeit sind.
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(Erstes Buch.) 200 Vergleichung (Diese mus geprüfet wer den.) Verschiedene Menschen haben also einen ver schiedenen Geschmack. Was einer als die höchsten Belustigungen bewundert, wird ein anderer ver achten. Müssen wir nicht diese Verschiedenheit des Geschmacks prüfen? Sind alle Personen, alle Ordnungen von Wesen gleich glücklich, wenn eine jede diejenigen Vergnügungen erhält, die ihr am meisten gefallen? Auf diese Art kan das geringste Thier, die kleinste Insecte eben so glücklich seyn, als der weiseste Held, Patriot, oder Freund seyn kan. Dasjenige, was ein Thier so glücklich macht, als es in der niedrigen Ordnung, darinnen es sich be findet, werden kan, mus einer andern Ordnung, welche feinere Empfindungskräfte und edlere Be gierden hat, nur verächtlich vorkommen. Wesen von diesen höhern Ordnungen sind sich bewust, was für eine hohe Würde in ihren besondern Vergnügun gen, deren niedrige Ordnungen unfähig sind, lie get, und was für einen wichtigen Einflus dieselben auf die Glückseligkeit haben. Die Natur hat also die verschiedenen Ordnungen durch verschiedene Em pfindungskräfte von einander abgesondert, so, daß nicht alle von einerley Gegenständen ihre Glückse ligkeit erreichen können; und sie sind nicht alle gleich glücklich, wenn eine jede alle Begierden und Em pfindungen, die sie hat, befriedigen kan. Die höhern Ordnungen in dieser Welt sind wahrscheinlicher Weise, aller Empfindungen der nie drigen Ordnungen, fähig, und können dieselben be urtheilen. Allein die niedrigen wissen nichts von den Vergnügungen der höhern. Ja in den ver
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 201(Siebender Abschnitt.) schiedenen Altern des Lebens gewinnt eine jede einen verschiedenen Geschmack und andere Begierden. Wir sind uns in unsern reifern Jahren bewust, daß die Glückseligkeit unsrer Freunde, unsrer Familien, und unsers Vaterlands ungleich edlere Gegenstände unsrer Bestrebungen sind, und daß sie uns ein, dem Verhältnisse nach, weit edleres Vergnügen ver schaffen, als das Spielwerk, welches ehemals eine hinlängliche Unterhaltung für uns war, da wir noch nichts bessers kanten. GOtt hat jeder Ord nung, und jedem Alter des Lebens in einer Person besondere Kräfte und einen besondern Geschmack zu getheilt. Eine jede ist glücklich, wenn ihr Ge schmack alle Befriedigungen erhält, deren er fähig ist. Allein, wir sind uns unmittelbar bewust, daß eine Befriedigung vortreflicher ist, als die andere, wenn wir beyde genossen haben. Und alsdenn macht uns unsere Vernunft und Erfahrung ge schickt, die Wirkungen und Folgen und die Dauer derselben zu beurtheilen. Eine kan vorüberfliehend seyn, und nachhero ein grosses Elend verursachen, obgleich das gegenwärtige Vergnügen stark seyn kan; eine andere kan dauerhaft und sicher seyn, und weder Sättigung noch Schaam, noch Ekel, noch eine innerliche Unruhe nach sich ziehen. Höhere Wesen können durch göttlichere Fä(Welche Menschen am besten ur theilen kön nen.) higkeiten und eine vollkommenere Erkäntnis beur theilen, welches die edelsten sind, ohne alle Arten genossen zu haben. Sie können eine anschauende Erkäntnis der Vollkommenheit, und ein gewisses Maas derselben haben, nach welchem sie die niedri
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(Erstes Buch.) 202 Vergleichung gern, ihnen unnütze, Arten empfinden können. Allein unter den Menschen sind diejenigen die besten Richter, welche durch ihre Empfindungen und Be gierden, die in einem natürlichen lebhaften Zustan de sind, die meiste Erfahrung erlangt haben. Man hat niemals behauptet, daß gesellige Neigungen, die Bewunderung der moralischen Vortreflichkeit, das Verlangen hochgeachtet zu werden, mit der Mässi gung, welche die Begleiterin und Aufseherin derselben ist, die Bestrebungen nach Wissenschaft, eine natürli che Thätigkeit; einige Empfindungen oder Begier den verminderten. Man kan dieses oft mit Rechte, der Ueppigkeit, Wollust und Trägheit schuld geben. Die höchsten sinnlichen Vergnügungen werden von denjenigen empfunden, welche alle Kräfte ihres Körpers und ihrer Seele zu geselligen tugendhaften Pflichten beständig anwenden, und die natürlichen Begierden zu der ihnen bestimmten Zeit wiederkom men lassen. Solche Leute sind unstreitig die besten Richter aller Vergnügungen, nach dem Grundsatz, welchen Aristoteles so oft einschärft: „Der Tugend hafte ist am geschicktesten, alle Dinge zu beurthei len und ihren Werth zu bestimmen. (Der Laster hafte kan sel ten richtig urtheilen.) Allein es könte billig die Frage aufgeworfen werden, ob Menschen, welche den sinnlichen Belu stigungen, oder dem Vergnügen der Einbildungs kraft, oder dem Reichthum und Ansehn zu sehr er geben sind, hinlänglich geschickt seyn können, in dieser Sache zu urtheilen. Diese Bestrebungen werden wirklich selten lange fortgesetzet, ohne daß man einen Begrif von ihrer Unschuld, oder von ei
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 203(Siebender Abschnitt.) ner Pflicht und moralischen Verbindlichkeit damit verknüpft. Eine lange Gewohnheit verunstaltet zuweilen den natürlichen Character und die natürli chen Kräfte. Menschen, welche eine Fertigkeit im Laster erlangt haben, empfinden selten grosmü thige Neigungen, gesellige Freuden und das Ver gnügen einer wahren unparteyischen gleichförmigen Güte. Böse Fertigkeiten schwächen die geselligen Empfindungen und den Wohlgefallen an der Tu gend. Und dem ungeachtet geben diese Menschen bey gewissen Gelegenheiten ihre Achtung gegen die Tugend zu erkennen. III. Nachdem wir dieses voraus geschickt ha ben, müssen wir nunmehro zuförderst die verschie denen Arten von Vergnügungen, in Absicht auf die Würde und Dauer; und auf gleiche Art die ihnen entgegengesezte Leiden miteinander verglei chen; und alsdenn die verschiedenen Gemüthsarten oder Character, in Absicht auf die innere Befrie digung, gegeneinander halten. Die Vergnügungen der äusserlichen Sinne(Die sinnli chen Vergnü gungen sind die geringsten) können in zwo Classen eingetheilet werden; nämlich in die Vergnügungen der Zunge und in diejenigen, welche die Vereinigung beyder Geschlechter gewährt. Diese zwo Arten werden sinnliche genennet. So angenehm auch die Vergnügungen der(Vergnügun gen der Zun ge.) Zunge für die Kinder seyn mögen; so müssen doch dieselben von Leuten, welche nachdenken, und einige andere Belustigungen genossen haben, für die nie drigsten und verächtlichsten Freuden gehalten wer
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(Erstes Buch.) 204 Vergleichung den. Die angenehme Empfindung, welche wir fühlen, wenn der Körper Unterhalt nöthig hat, kan sehr stark seyn; sie komt von einer weisen Ein richtung her, und soll uns antreiben, für unsern Körper die gehörige Sorge zu tragen. Die Lin derung dieser unangenehmen Empfindung kan an fangs mit einer starken Lust verknüpft seyn. Al lein das eigentliche Vergnügen des Geschmacks, die wirkliche Belustignng<Belustigung>, mus von allen denjenigen, welche über die Thiere erhaben sind, als verächtlich angesehen werden. Die Verschiedenheit des Ver gnügens, in Absicht auf die verschiedenen Arten von Speisen, ist so gering, daß dasjenige, welches die Heftigkeit des Hungers und Durstes verschaft, weit grösser ist. Die ausgesuchtesten und lecker haftesten Speisen werden einem, der sich gesättigt, obgleich nicht überladen hat, kaum soviel Vergnü gen gewähren, als die geringste Kost einem andern, der starke Lust zum Essen empfindet, nachdem er eine Zeitlang nichts zu sich genommen, und viel Bewegung gehabt hat, verschaffen wird; wenn auch gleich kein solcher Schmerz vorhanden war, welcher neben Freude und Munterkeit nicht hätte bestehen können. Wenn also die Linderung einer so angenehmen Unruhe mehr Vergnügen verschaft, als der Genus der ausgesuchtesten Speisen, vor welchem sie nicht vorhergegangen ist: so mus das wirkliche Vergnügen sehr unbeträchtlich seyn. Es ist vergebens, wenn man dadurch, daß man diesem Trieb zuvorkomt, oder ihn durch allerhand Anrei zungen verstärkt und verlängert, das Vergnügen zu befördern denkt; eben dieses gilt auch von allen
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 205(Siebender Abschnitt.) gekünstelten Bemühungen, Uebung und Enthalt samkeit ausgenommen, so lange nicht der natür liche Trieb selbst zurückkehrt. Die grösten Epi kurer haben dieses erkant, wenn Geschäfte oder Be lustigungen ihnen zufälliger Weise Gelegenheit ga ben, die Erfahrung davon zu machen. Es würden alle Menschen hierinnen über(Die Ursa chen des Jrr thums, eine Vermischung moralischer Vergnügun gen.) einkommen, wenn diese Vergnügungen nicht mit andern von einer sehr verschiedenen Natur vermengt würden. Nicht nur eine wohleingerichtete Haus haltung, Kunst, Schönheit und Ordnung, und Pracht in den Zimmern, sondern auch moralische Eigenschaften, Freygebigkeit, die Mittheilung des Vergnügens, Freundschaft, und die Absicht, sich um andre wohl verdient zu machen, werden in unsrer Einbildung mit den erwähnten Vergnügungen verknüpft. Nehmt die Sinnlichkeit aller dieser entlehnten Reizungen hinweg, und betrachtet ei nen, welcher die Lust, die im Essen und Trinken liegt, einsam und vor sich geniesset: so wird sie euch insgesamt niedrig und verächtlich vorkommen. Man stelle sich vor, daß jemand sein ganzes Leben in einem ununterbrochenem Genus dieses Vergnügens zubringe; daß bey ihm die Lust zu essen und zu trinken, der gegenwärtigen Ordnung der Natur zuwider, immer gleich stark bleibe; allein daß an ihm keine geselligen Freuden oder Neigungen, keine feinere Empfindungen, keine Uebung der Kräf te des Verstandes sich äusserten: so wäre dieses ein Leben, welches noch unter dem Zustande mancher unvernünftigen Thiere seyn würde. Jhr Trieb
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(Erstes Buch.) 206 Vergleichung zur Nahrung erlaubt ihnen eine Zwischenzeit zu Vergnügungen von einer geselligen Natur und zur Bewegung; und wenn sie dieselbe auf diese Art zubringen: so verrathen sie alsdenn bey dem Ge nus des Futters eine grössere Lust. (Die Dauer ist gering.) Auch die Dauer dieser Empfindungen ist un beträchtlich. Die Güte Gottes ist zwar so gros, daß die Mittel, den Trieb zur Nahrung zu befrie digen, leicht erhalten werden können: und wir sind solchergestalt im Stande, durch eine gute Einrich tung, uns oft die höchsten Vergnügungen dieser Art zu verschaffen. Allein der Trieb wird bald be friediget, und äussert sich nur nach einem langen Zwischenraume wieder. Gekünstelte Reizungen desselben können zwar eine unnatürliche Begierde erregen; aber die Befriedigung derselben ist mit ei nem geringen Vergnügen verknüpft. Dieses ist eine wirkliche Verderbnis und Krankheit; und, wenn fie<sie> lange anhält, so verursacht sie eine Schwach heit im Körper, und hindert alle Vergnügungen. Wenn man Pracht und Verschiedenheit verlangt: so wird die Einbildungskraft eigensinnig und unbe ständig, und die Gegenstände werden ungewis. Dieses Verlangen kan uns zu einem grössern Auf wand verleiten, als es unser Vermögen zulässt, und es kan stärker werden, indem die Mittel zur Be friedigung desselben abnehmen. (Eben dieses ist von den Freuden der Liebe wahr.) Einige von diesen Betrachtungen vermin dern auch den Werth der andern Art von sinnlichen Vergnügungen, welche von der Befriedigung eines unruhigen Triebes, der uns mit den unvernünfti
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 207(Siebender Abschnitt.) gen Thieren gemein ist, eben so sehr abhängen, als das wirkliche Gute an sich selbst gering und unbe trächtlich ist. Wenn man sich die Empfindung al lein, ohne Liebe oder Hochachtung moralischer Ei genschaften, ohne Absicht auf die Mittheilung des Vergnügens, ohne die Gedanke, geliebt zu seyn, vorstellt: so wird dieselbe dem Vergnügen nicht gleichkommen, dessen einige unvernünftige Thiere von einer feinern Art, sich bewust zu seyn scheinen. Und alsdenn ist dieses Vergnügen flüchtiger als al le andere. Gewohnheit, Verschiedenheit und An reizungen bringen die Seele in einen beklagens würdigen Zustand, in eine ungedultige Hitze; sie machen dieselbe unfähig, sich selbst zu beherrschen, und zu verbessern; sie stürzen dieselbe in eine Scla verey, welche ihr alle Aufrichtigkeit, Rechtschaffen heit und alles Gefühl der Ehre entzieht. Zu die sem allen komt noch eine seltsame Einbildungskraft, das Misvergnügen über widrige Zufälle, welchem solche ausschweifende Begierden ausgesezt seyn müs sen; und daß nach der vorüberfliehenden Empfin dung kaum etwas übrig seyn kan, das einem, wel cher nicht alles männliche Gefühl der Tugend ver lohren hat, angenehm seyn könte. Die Erinne rung an vergangene sinnliche Vergnügungen ver hilft uns zu keiner Empfindung eines Verdienstes oder einer Würde, zu keiner Ursache der Selbst zufriedenheit, und kaum verschaft sie uns eine Art von Freude, ausser der niedrigen Hofnung, dieses sinnliche Vergnügen zu wiederholen, welche die Be gierde, nach Verlauf einiger Zeit, wiederum ein wenig lebhaft machen kan. Die Erinnerung dar
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(Erstes Buch.) 208 Vergleichung an kan uns bey keinem Ungemach, Verdrus, Schmerz oder Kummer, bey keiner innerlichen Un ruhe der Seele oder äusserlichem Unglück aufrich ten. Wir nennen die Natur dieser Vergnügun gen sinnlich, und die innern Empfindungen unsrer Herzen überzeugen uns sattsam, daß die höchste Glückseligkeit der menschlichen Natur in ganz an dern Vergnügungen von einer edlern und dauerhaf tern Art bestehen mus. (Widerle gung der Ein würfe, wel che von dem jenigen, was man an aus schweifenden Menschen bemerkt, her genommen werden.) IV. Es geschiehet oft, daß viele Menschen dergleichen Vergnügungen allen andern vorziehen, und die Bemühung um sinnliche Belustigungen das einzige Geschäft ihres Lebens seyn lassen; daß also ihre ganze Seele von einer natürlichen Nei gung zu denselben eingenommen ist, und daß die Macht derselben stärker zu seyn scheint, als das moralische Gefühl und die grosmüthigen Nei gungen. Diesen Argwohn aus dem Wege zu räumen, wollen wir uns erinnern, daß die beständige Be mühung um sinnliche Belustigungen meistentheils von der Meinung, als ob dieselben unschuldig wä ren, begleitet werden. Unser moralisches Gefühl, unsre sympathetischen Empfindungen, und unsre liebreichen Neigungen werden denselben selten ent gegengesezt werden, oder mit ihnen in Streit ge rathen; auch nicht in den Seelen der Menschen, die der Sinnlichkeit am meisten ergeben sind. Wenn die Menschen, ohne diesen Begrif der Unschuld, von ihren Begierden, zu sinnlichen Belustigungen hin gerissen werden: so sind sie, nach der Befriedigung,
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 209(Siebender Abschnitt.) in einem beklagenswürdigen Zustande, und fühlen die bittersten Verweise ihres Gewissens. Auch diejenigen, welche vorsätzlich Ausschweifungen be gehen, haben einige scheinbare Gründe in Bereit schaft, auf welche sie eine betrügerische Vorstellung von der Unschuld ihrer Belustigungen bauen. Ja einige moralische Begriffe, dergleichen die Mittheilung des Vergnügens, Liebe, Freundschaft, die Absicht, sich um andre verdient zu machen, und von ihnen geliebt zu seyn, sind, machen den vor nehmsten Reitz der sinnlichen Belustigungen aus. Dieses äussert sich in dem üppigen und unmässigen Leben solcher Leute, die nicht bis unter die unver nünftigen Thiere hinabgesunken, und keiner allge meinen Verachtung unterworfen sind. Man be merkt es auch in den unkeuschen Leidenschaften, und daher komt es, daß ihre Gegenstände sich durch eini ge Begriffe von moralischen Vollkommenheiten, von Gutartigkeit, Freundlichkeit, Gefälligkeit, Witz und Verbindlichkeit empfehlen. Diejenigen hin gegen, welche von grosmüthigen Neigungen und von der Liebe der Ehre und moralischen Vortref lichkeit zu einem tugendhaften Wandel angeführet werden, verachten die sinnlichen Belustigungen, öf fentlich; und weder einige dunkle Einbildungen noch die Hofnung, von Verdrus und Misvergnügen be freyt zu seyn, empfehlen sie ihrer Wahl. Die äusserli chen Uebel, Beschwerlichkeit, Aufwand und Ermat tung, werden eben so sehr verachtet, als die Anlockun gen zu Ruhe und Vergnügen: die moralischen Eigen schaften sind, vermöge ihrer eigenthümlichen Macht,
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(Erstes Buch.) 210 Vergleichung über sie erhaben. In dem Wollüstigen wird das moralische Gefühl selten überwunden; die Be lustigungen scheinen ihm unschuldig, oder die So phisterey der Leidenschaften vermindert die Schuld so sehr, daß er nur ein geringes moralisches Uebel zu begehen glaubet, wenn er das höchste sinnliche Gut erlangen kan; und die schwächsten moralischen Neigungen werden durch die stärksten sinnlichen Triebe überwunden; oft durch Beyhülfe einiger falschen moralischen Vorstellungen. (Die sinnli chen Belusti gungen be stehen neben der Tugend.) Wir müssen hier auch anmerken, daß nicht alle sinnliche Belustigungen dem moralischen Ver gnügen entgegengesezt sind. Es giebt eine gewisse gemässigte Nachsicht gegen die sinnlichen Begier den, die vollkommen unschuldig, und hinlänglich ist, den unruhigen Trieb zu befriedigen. Diese Nachsicht kan durch eine weise Einrichtung eben so stark seyn, als irgend eine Art sinnlicher Belusti gungen, und sie kan so gar die moralischen beför dern. Der Mässige, und derjenige, welcher, nach einer Beherrschung seiner selbst, in seinem ledigen Stande, bey seiner Verehlichung, eine weise Wahl getroffen hat, können eben so hohe sinnliche Be lustigungen geniessen, als andre. Wenn wir die Tugend empfehlen wollen: so dürfen wir nicht voraussetzen, daß sie allen Befriedigungen der Sin ne entgegen sey; ob gleich die Kraft derselben in unsern Herzen so unaufhörlich wirksam erhalten werden sollte, daß sie alle Begierden, die ihr zufäl liger Weise entgegen seyn möchten, unterdrücken könte. Die angenehme Herrschaft der Tugend ge
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 211(Siebender Abschnitt.) währt uns solche Vergnügungen, welche die höch sten in ihrer Art sind; oder wenn dieses nicht ge schieht: so ersezt sie den Verlust durch den innern Beyfall, wegen einer solchen Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung. Wie reichlich wird nicht durch den Beyfall, den Freundschaft, Treue und die Be mühung, sich um andre verdient zu machen, er hält, und durch die Erwiederung der unveränder lichen Neigungen eines würdigen Herzens; der Mangel der unregelmässigen, schandbaren, verwir renden und unangenehmen Leidenschaften und Aus schweifungen ersezt, welchen sich Personen überlas sen, die weder eine moralische Würde, noch bestimm te und unwandelbare Neigungen besitzen. V. Wir kommen nunmehro auf die Vergnü(Das Ver gnügen der schönen Kün ste und Wis senschaften übertrift die sinnlichen Vergnügun gen an Wür de.) gungen der Einbildungskraft in der Pracht, in äusserlichen anständigen und ordentlichen Einrich tungen und in der Wahrnehmung der Schönheit und Harmonie, zu welchen wir noch die Belusti gungen, welche schöne Künste und Wissenschaften gewähren, rechnen können. Hier geht keine unru hige thierische Begierde vorher, deren Befriedigung das Vergnügen erhöhen könte; und doch wird man unmittelbar finden, daß diese Vergnügungen höher sind, als die sinnlichen, und daß sie uns von unsrer Natur mehr empfohlen werden. Wenn der Antrieb der Begierde unangenehme Empfindungen verursacht: so wird sich dieses Vergnügen so lange verzögern, bis diese unangenehme Empfindung aus dem Wege geräumt worden; besonders wenn man nicht befürchten darf, daß sie bald wiederkommen
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(Erstes Buch.) 212 Vergleichung werde. Allein das Anschauen schöner Gestalten, die sinnreichen Werke der Kunst, und die vollkom menern Werke der Natur, die Belustigung an der Harmonie und an der Nachahmung der schönen Künste, die Entdeckung der unveränderlichen Be ziehungen und Verhältnisse der Gegenstände des Verstandes, verschaffen uns würdigere Vergnügun gen, welche über alle sinnlichen weit erhaben sind, wenn die sinnlichen allein, ohne entlehnte Reizun gen einer höhern Natur, betrachtet werden. Die se männlichern Vergnügungen sind unsrer Natur gemässer, und sie werden allemal hochgeachtet und gebilligt, wenn wir über die Bestrebungen anderer urtheilen. (Sie sind auch dauer hafter.) Diese Vergnügungen übertreffen die sinnli chen auch in der Dauer. Sie können einen gros sen Theil unsers Lebens einnehmen, ohne uns zu sättigen, oder Ekel zu verursachen, da der Genus derselben etwas selbstständiges ist, und von der Be friedigung einer vorhergegangenen unruhigen Em pfindung nicht abhängt. Sie sind die anständigen Uebungen der Seele, so lange keine höhere Pflich ten, der Gesellschaft oder der vernünftigen Fröm migkeit, eine andre Beschäftigung von ihr verlan gen. Sie haben etwas von der dauernden Natur der Seele, und sind nicht so vorüberfliehend, als alle Belustigungen, welche blos den sterblichen Kör per angehen. So oft uns also wichtigere Pflich ten der Tugend einige Zeit erlauben; so oft können wir dieselbe auf die angenehmste und anständigste Art mit der natürlichen oder bürgerlichen Geschichte,
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 213(Siebender Abschnitt.) mit der Geometrie, Astronomie, Dichtkunst, Male rey, und Musik oder andern Beschäftigungen in den schönen Künsten zubringen. Einige von den angenehmsten unter diesen Vergnügungen erfor dern nichts Eigenthümliches, und es können uns niemals Gegenstände fehlen. Wenn die Gewohn heit das Vergnügen an den bekanteren Schönhei ten der Natur schwächt: so kan uns der innere Bau derselben neue Belustigungen verschaffen, und die Schätze der Natur sind unerschöpflich. Die Gegenstände von dieser Art, welche et was Eigenthümliches erfordern, sind ungewisser, die Bestrebung nach ihnen ist beschwerlicher und ängstlicher, und die Einbildung unbeständiger, weil ein langer Besitz den Gefallen daran vermin dert. Die Einbildungskraft hat hier eine Ein schränkung nöthig, damit sie nicht, vermittelst der verknüpften Begriffe, von einer moralischen Wür de und Freygebigkeit, in eine ausschweifende Be wunderung gerathe, und uns zu unzählichen Bestre bungen nach solchen Dingen verleite, die zu unserer Glückseligkeit nicht wesentlich sind. VI. Die sympathetischen Vergnügungen, wel(Die sympa thetischen Vergnügun gen sind stark.) che wir über das Glück anderer empfinden, stehen mit den liebreichen Neigungen, die wir für diesel ben unterhalten, in Verhältnis. Unsere Natur ist dieser Neigungen ungemein fähig; besonders der stärkern Arten derselben, gegen Abkömlinge, Aeltern, Anverwandten, Wohlthäter, oder Leute von ausser ordentlichen Verdiensten; gegen Secten, Parteyen, und das Vaterland. Sie verschaffen uns mehr Be
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(Erstes Buch.) 214 Vergleichung schäftigung, und haben auf das Glück oder Elend unsers Lebens einen grössern Einflus. Vergleicht diese mit andern: betrachtet die Freude des Herzens über ein ansehnliches Glück, oder über die erhabene Tugend eines, den wir herzlich lieben, eines Kindes, Bruders oder Freundes; über einen Ruhm oder Vortheil, den unsre Par tey oder unser Vaterland, oder eine würdige Sache, welcher wir uns annehmen, oder ein bewunderter Character, erlangt hat; oder darüber, daß sie einer befürchteten Gefahr entgangen sind. Wenn eine herzliche Zuneigung vorhanden ist: so sind diese Freuden ungleich grösser, als irgend einige von den vorhergehenden. Welches Vergnügen der Sinne oder der Einbildungskraft würden wir nicht verges sen, um diese Freuden zu erhalten? Oft haben Menschen darüber, daß sie einer befürchteten gros sen Gefahr entgangen sind, eine so grosse entzücken de Freude empfunden, daß sie für die Natur zu hef tig gewesen ist, und traurige Folgen gehabt hat: wir haben mehr Beyspiele, daß auch die sympatheti schen Freuden solche Wirkungen gehabt haben. Und wenn einigen Gemüthsarten, nach der Erfah rung eines Unglücks, das Leben unerträglich wird: so findet man noch mehrere, welche es über das Un glück anderer eingebüsset haben. Die Vergnügun gen müssen von einer solchen höhern Art seyn, welche alle Mühe und Arbeit, die für Abkömlinge und Freunde unternommen wird, auch in den ge ringsten Charactern angenehm machen können. Der Ueberflus an allen Dingen, die man selbst
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 215(Siebender Abschnitt.) nicht nöthig hat, schwächt den Fleis der Menschen nur wenig. Diese Vergnügungen dauern so lange, als die Person geliebt und glücklich ist. Ein neuer glücklicher Zufall, den wir selbst, oder unsre Freun de erfahren, rühret uns stärker, als Vortheile, die wir lange besessen haben. Allein, so lange die Nei gung vorhanden ist, so lange bleibt auch das Ge fühl, und die sympathetischen Freuden werden uns niemals ekelhaft. Wenn die Neigungen sich auf falsche Meinungen von den Verdiensten der Per sonen, oder von dem Werth der Sachen gründen; so können dieselben von keiner Dauer seyn, und die sympathetischen Freuden werden verloren, und zie hen Ekel und Unwillen nach sich. Allein, die vor nehmste Ursache des Unbestands in dieser Art von Glückseligkeit, ist die Ungewisheit des Schicksals derjenigen, die wir lieben; denn ihr Elend mus uns die stärkste Bekümmernis verursachen. Hierin nen hängen wir ganz von der Vorsicht ab. Alles was wir thun können, uns einen Vor(Die Ueber zeugung von der Vorse hung ist der einzige Grund der Sicherheit.) rath von Freuden dieser Art zu verschaffen, bestehet dar innen, daß wir die Verdienste der Personen und den Werth der Sachen genau untersuchen, und dadurch unsern stärkern Neigungen auf die höheren Ver dienste der Menschen von einer wahren Rechtschaf fenheit und gebesserten Einbildungskraft richten, deren Glückseligkeit weniger unbeständig ist, als an derer. Wir müssen eine feste Ueberzeugung von der Weisheit und Güte der Vorsehung haben, und die allgemeinsten Neigungen ausüben. Je stärker
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(Erstes Buch.) 216 Vergleichung unsre allgemeine Wohlgewogenheit seyn mus, wenn das Glück aller Menschen uns die höchste Freude verschaffen soll; desto grösser mus auch unsre Be trübnis über ein allgemeines Elend seyn. Allein, eine feste Ueberzeugung, daß eine gütige Vorsicht das Ganze, auch mitten unter scheinbaren Uebeln und Unordnungen, auf das beste regiere, kan diese Neigungen sicher machen, und uns einen Ueberflus an höhern Freuden verschaffen. Hiervon werden wir im Verfolg reden. (Moralische Vergnügun gen gehören unter die höchsten, de ren unsre Natur fähig ist.) VII. Die vierte Classe der Vergnügungen sind die moralischen, welche aus dem Bewust seyn guter Neigungen und Handlungen entsprin gen. Diese Freuden sind von den sympathetischen unterschieden, die von der Glückseligkeit anderer ent stehen, zu welcher unsre Neigungen und Handlun gen nichts beygetragen haben. Allein, unsre Nei gungen und Handlungen selbst können uns auch ohne alle Absicht auf den Zustand anderer nicht gleich gültig seyn, wenn wir auf sie aufmerksam sind. Wenn wir unsre ganze Seele liebreich und gütig finden: so müssen wir dadurch den angenehmsten innern Beyfall erlangen; und eine höhere Freude entstehet alsdenn, wenn wir diese Neigungen in der Ausübung wohlthätiger Pflichten zu erkennen ge ben. Diese Freuden sind die wichtigsten und höch sten in Absicht auf die Würde und Dauer. (In Anse hung ihrer Würde.) Wie weit sind nicht die höchsten Belustigun gen der Sinne oder auch der Einbildungskraft und einer tiefsinnigen Erkäntnis, unter der unwandel baren Freude, welche aus dem Bewustseyn eines
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 217(Siebender Abschnitt.) guten Herzens entspringt; unter dem hohen Bey fall, welchen man in sich selbst fühlt, wenn man seinem Vaterland oder seinen Freunden einige wich tige und nützliche Dienste geleistet hat; und unter der ergötzenden Gedanke, sich um das menschliche Geschlecht wohl verdient, und seines Beyfalls wür dig gemacht zu haben? Die liebreichen Neigungen lassen das Herz ruhig; wir empfinden einen in nern Wohlgefallen an ihnen, und wir unterhalten dieselbe unsre ganze Lebenszeit mit der grössten Freu de. Allein unsre Natur ist zu mehrern geschickt, als zu unthätigen Neigungen. Es ist mit der Uebung unsrer Kräfte eine hohe Glückseligkeit ver knüpft; und je edler die Kraft ist, desto glücklicher sind wir, wenn wir sie üben. Wenn die tugend haften Unternehmungen gelingen: so entsteht von dem Bewusstseyn eines guten Herzens, von dem geselligen Gefühl bey dem Schicksal anderer, von der erwarteten Liebe und dem Beyfall aller Menschen, besonders von dem Wohlgefallen unsers Schöpfers, ein Zusammenflus von so reinen Freuden, die alle andre Vergnügungen übertreffen. Wenn unsre Bemühungen mislingen: so fehlen uns die sym pathetischen Freuden, und wir werden von Mitlei dengerührt; allein die andern Quellen von Ver gnügungen bleiben. Die moralischen Belustigun gen können die Betrübnis über das Elend einer geliebten Person, oder über den unglücklichen Aus gang einer Sache, welcher wir uns angenommen hatten, mildern. Wären wir uns nicht bewust, daß wir, so viel uns betrift, wohl gehandelt haben: so würde uns diese Betrübnis unerträglich seyn.
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(Erstes Buch.) 218 Vergleichung Die Einbildungskraft kan damit wohl beste (Diese Ver gnügungen sind die dau erhaftesten.) hen. Unser Geschmack an der Tugend nimmt durch die Uebung zu, und die Gewohnheit macht ihn im mer angenehmer. Die Erinnerung ist allemal er götzend, und macht das Vergnügen dauerhaft, wenn richtige Begriffe von der Tugend, von dem Verdienste der Personen, und von dem Werth der Sachen vorhanden gewesen. Die Schöpfung ver schiedener Ordnungen von Wesen, der Unterschied des Zustands, welcher bey einer Art derselben an getroffen wird, und daß einige mehr, andere weniger vollkommen sind, hat wahrscheinlicher Weise auch diesen Endzweck, daß es den edlern Seelen niemals an Gelegenheiten fehlen soll, ihre tugendhaften Gesinnungen gegen andre, die entwe der weniger vollkommen, oder weniger glücklich sind, als sie, auf eine angenehme Art in Uebung zu bringen. Diese Freuden übertreffen die Macht, welche das Glück über uns hat, so lange die Men schen gesunde Seelen haben. Ein niedriger Stand, eine beschwerliche Lebensart oder äusserliches Unge mach können uns unfähig machen, andern die wichtig sten Dienste in äusserlichen Dingen zu leisten; al lein sie können uns weder die innern guten Regun gen des Herzens rauben, noch uns verhindern, die jenigen Handlungen, zu welchen unsere Fähigkei ten uns geschickt machen, zu unternehmen; und die ses ist die höchste Tugend. (Richtige Begriffe von der Tugend sind noth wendig.) Unüberlegte Bewunderungen einiger par teyischer moralischer Eigenschaften, und einige ge ringere Neigungen, ohne richtige Begriffe von
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 219(Siebender Abschnitt.) dem Verdienst der Personen und dem Werth der Sachen, können uns zu einem Verhalten verleiten, welches uns, bey einer bessern Erkäntnis, beschämet und den Vorwürfen unsers Gewissens aussetzet. Allein, wenn wir durch Nachsinnen und Ueberle gung richtige Begriffe von der Tugend und dem Ver dienst, und von den sichersten Mitteln Gutes zu thun, erlangt haben: so sind die tugendhaften Handlungen, welche die natürlichen Bestrebungen vernünftiger und geselliger Wesen sind, und ihre höchste Glückseligkeit befördern, allemal in unserer Gewalt. Unter diesen moralischen Vergnügungen, ver dienen die Freuden der Religion und Ehrfurcht ge gen GOtt besonders bemerkt zu werden, welche in der Classe der moralischen Belustigungen die höch sten von allen sind. Allein, da dieselben von ganz anderer Natur sind, als die übrigen moralischen Vergnügungen: so sollen sie aus Ursachen, die wir schon oben angeführt haben, im Verfolg besonders betrachtet werden, und wir werden zeigen, daß sie, vor allen andern, den wichtigsten Einflus auf eine unveränderliche und erhabene Glückseligkeit haben. IX. Da die Vergnügungen der Ehre, welche(Die Ver gnügungen der Ehre sind sehr stark.) von dem Beyfall der Achtung und der Dankbar keit anderer entstehen, natürliche Folgen der Tu gend sind; so müssen sie, wenn sie sich auf die selbe gründen, unter die angenehmsten Empfin dungen der Seele, gerechnet werden. Die se Freuden der Ehre und Tugend, und die sympa
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(Erstes Buch.) 220 Vergleichung thetischen Freuden stehen in einer natürlichen Verknü pfung, und wir haben nicht nöthig, eine zu genaue Ver gleichung zwischen ihnen anzustellen. Sie werden durch einerley Verhalten erreichet, und wenn sie zusammenkommen: so sind keine Worte stark ge nug, die Glückseligkeit, welche man alsdenn genies set, auszudrücken. Die sympathetischen Freuden können, in einigen Herzen voll zärtlicher Neigun gen, stärker seyn; und Menschen, die in öffentlichen Bedienungen geschäftig sind, können von dem Be wustseyn der Tugend und einer verdienten Ehre mehr gerührt werden. Sind sie aber alle drey vereiniget, werden sie von der festen Ueberzeugung begleitet, daß ein gütiger GOrt sey, welcher unsre Gemüthsart billiget, und die allgemeine Ordnung und Glückseligkeit in Sicherheit erhält: so mus unser Zustand der unaussprechlichen ruhmvol len Freude am nähesten kommen, auf welche wir, als auf die höchste Vollkommenheit vernünftiger Wesen, hoffen. (Und grosser Dauer.) Die wahre Ehre ist auch dauerhaft, und gleichet nicht den sinnlichen Ergötzungen, welche, wie der Schatten einer Wolke, vergehen, und keine Spur hinter sich zurücklassen. Der Beyfall und die Hochachtung anderer, wenn sie sich auf die Tu gend gründen, können, wahrscheinlicher Weise, so lange, als das Leben, währen, und uns überleben: und der Beyfall Gottes wird von ewiger Dauer seyn. Die Bestrebungen nach einem allgemeinen Ruhme, wegen ausserordentlicher Fähigkeiten und Tugenden, können wirklich mislingen, mit Be
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 221(Siebender Abschnitt.) schwerlichkeit verknüpft seyn, und übertrieben wer den. Gemeine Tugenden, oder auch die höchsten Tugenden in niedrigen Ständen, werden nicht den allgemeinen Beyfall der Nationen erhalten. Aber ein weiser und tugendhafter Mann, kan sowohl in einer eingeschränktern als in einer weitern Sphäre allemal eine solche Ehre erlangen, die ihm grosse Freude verschaft. Und ein gutgeartetes Herz, wel ches von einer Vorsehung, die alle Dinge bemerkt, überzeuget ist, versichert sich des ewigen Beyfalls des besten Richters. X. Gegen diese erhabenen Freuden verdienen(Die Vergnü gungen wel che Scherz und Frölich keit gewäh ren, sind mit der Tu gend ver wandt.) die Vergnügungen, welche uns Scherz und Frö lichkeit gewähren, nur eine geringe Betrachtung. Und dennoch verachten auch Kinder gegen sie die sinnlichen Belustigungen, welche von ihnen man che Reizungen entlehnen, ohne die dieselben verächt lich und schandbar seyn würden. Sie machen die andern Ergötzungen angenehmer, und durch sie erholen wir uns von den ernsthaften Geschäften. Die edlern Freuden haben etwas geseztes, strenges, und feyerliches. Aber das menschliche Leben mus seine Erquickungen haben. Wenn Scherz und Frölichkeit einen Werth haben sollen: so müssen sie ihn allemal von der Tugend erhalten. Denn nur zu einer Seele, die ganz liebreich und ruhig, und von Zorn, Has, Neid und Gewissensangst be freyet ist, finden Scherz und Frölichkeit einen freyen und offenen Weg. Diese Vergnügungen sind alle mal gesellig, und fliehen die Einsamkeit. Sie sind die schätzbarsten, wenn sie mit Liebe, Wohlwollen
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(Erstes Buch.) 222 Vergleichung gegen andere, und einer erwiederten Hochachtung verbunden sind. (Reichthum und Ansehn machen tu gendhafte Menschen glücklicher als andre.) Da Reichthum und Ansehn kein unmittelba res Vergnügen verschaffen, sondern nur Mittel sind, Vergnügungen zu erlangen: so können sie nur in so weit einen mehr oder weniger wichtigen Einflus auf unsre Glückseligkeit haben, in so weit der Be sitzer sie zu solchen Vergnügungen anwendet, wo durch dieselbe mehr oder weniger befördert wird. Ein Tugendhafter also, welcher sie zu edelmüthigen und tugendhaften Unternehmungen anwendet, hat von ihnen edlere Vergnügungen zu gewarten, als diejenigen, welche sie zu den Belustigungen der Ein bildungskraft oder zu einer prächtigen Lebensart an wenden; und doch ist dieses allemal anständiger, als wenn sie blos zu sinnlichen Ergötzungen ange wendet werden. Wenn sie, aus gewissen verwor renen Vorstellungen, nicht auf ihren natürlichen Endzweck gerichtet, sondern blos, um ihrer selbst willen, begehrt werden: so entstehen daraus der Geiz und die Ehrsucht, mitleidenswürdige und un ersättliche Begierden, die allen Menschen verhasst sind; und Leute solcher Art haben von allem, was sie erlangen und besitzen, nicht das mindeste Ver gnügen. (Die Befrie digung bös artiger Lei denschaften verschaft nur Vergnü gungen, die weder Wür de noch Dauer haben) XI. Was die andern vermeinten Vergnügun gen anbetrift, welche die Befriedigung der Leiden schaften des Zorns, der Bosheit, des Neids, und der Rache begleiten sollen: so ist gewis, daß keine geringe Freude mit dieser Befriedigung verknüpft ist, wenn die Leidenschaften stark sind. Allein
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 223(Siebender Abschnitt.) gleichwie Wohlwollen, Hochachtung, Liebe, Dank barkeit, und eine jede liebreiche Neigung natürliche und ursprüngliche Vergnügungen sind, welche die Seele ruhig lassen: also ist die wahrgenommene Glückseligkeit einer unschuldigen Person, eine Ver anlassung zu einer reinen unvermischten Freude, welche, von keiner Linderung eines vorhergegangenen Schmerzes, entstehet. Wenn die Person unglück lich gewesen ist, und unser Mitleiden erregt hat: so empfinden wir über ihren glücklichern Zustand noch eine andre Freude, welche von der Entfernung unsers sympathetischen Schmerzes ihren Ursprung hat. Allein das Elend eines andern ist natürli cher Weise demjenigen, der es wahrnimmt, un angenehm; es mus ihm also nur durch einen Zu fall angenehm werden; durch einen vorhergegange nen Zorn oder Neid; durch eine befürchtete Belei digung, oder eine Hinderung der Vortheile einiger von ihm geliebten Personen. Diese Leidenschaften einer unfreundlichen Art(Diese Leiden schaften sind nicht ohne allen Nutzen.) sind keine unnützen Theile in unsrer Natur. Wenn wir eine Beleidigung oder einen Verlust befürchten, der entweder uns, oder andere, die wir lieben, be treffen soll: so entsteht der Zorn natürlicher Weise und ermuntert uns zur Vertheidigung. Wenn Personen, welche wir nicht hochachten, andern, die höhere Verdienste besitzen, vorgezogen werden: so entsteht in uns ein anständiger Widerwillen. Ein gleicher Widerwillen nimmt uns gegen alle diejeni gen ein, welche auch nicht die geringsten morali schen Eigenschaften besitzen. Eine gewisse Nach
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(Erstes Buch.) 224 Vergleichung sicht kan diese Leidenschaften verstärken und zu Fer tigkeiten machen. Die Empfindungen, welche sie begleiten, sind eine ursprüngliche Unruhe und Quaal; und das allgemeine Beste erfoderte, daß wir bey ge wissen Gelegenheiten denselben eben sowohl, als dem körperlichen Schmerz ausgesezt werden musten. Die liebreichsten Gemüthsarten haben einige kurze Anfälle davon gehabt, und sie haben empfunden, wie unruhig diese Augenblicke vorübergehen. Wenn solche Leidenschaften stark und dauerhaft sind, und in Has, vorsätzliche Bosheit und Neid ausarten: so mus das Elend sehr gros seyn. Es ist also kein Wunder, wenn die Entfernung desselben ein be trächtliches Vergnügen verschaft; und dieses ge schieht dadurch, wenn die gehasste oder beneidete Person unglücklich ist. Aber diese unruhige Freu de ist, auch so lange sie dauert, mit den ange nehmen sympathetischen Freuden, mit der Empfin dung einer verdienten Liebe und Hochachtung, oder mit der innern Zufriedenheit über die Verzeihung, wenn kein allgemeiner Vortheil Bestrafung erfor dert, nicht in Vergleichung zu bringen. Und als denn hört diese bösartige Freude sobald auf, als die Leidenschaft befriedigt ist, da uns das Elend eines noch so sehr gehassten Gegenstandes nicht lange vergnügen kan. Wenn wir nachdenken: so ist die se Freude auch niemals ein Gegenstand unsers Bey falls, wir mögen sie nun selbst empfunden, oder an andern wahrgenommen haben; ja sie zieht ge meiniglich innere Unruhe, Reue und Bekümmer nis nach sich. Die unruhige Seele kan an dem Elend anderer kein Vergnügen haben; ob sie sich
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 225(Siebender Abschnitt.) gleich, sobald es ein öffentlicher Vortheil erfordert, darüber zufrieden giebt. Wir können nur alsdenn wünschen, die Rache zu verlängern, wenn wir wahr nehmen, daß lasterhafte Thaten ohne Unterlas wie derholet werden, oder, wenn von der Furcht, welche uns beunruhiget hatte, noch etwas zurück geblieben ist. Und dieses ist eine Ursache, warum der Tapfere nicht grausam ist. Diese bösartigen Vergnügun gen verhalten sich also gegen ruhige und liebreiche Freuden eben so, wie sich die Löschung des bren nenden Durstes in einem Fieber, oder die Sätti gung eines kranken hungrigen Magens, gegen das Vergnügen verhält, welches uns angenehme Spei sen und Getränke gewähren, wenn wir gesund sind, und den Trieb zu essen und zu trinken, in seiner na türlichen Stärke fühlen. XII. Wir können, in Ansehung dieser verschie(Unser mo ralisches Ge fühl bestimmt den Werth der Neigun gen und Ver gnügungen, nachdem sie das allgemei ne Beste be fördern.) denen Vergnügungen, bemerken, daß unsre Seelen, in der gütigsten Absicht, dergestalt eingerichtet sind, daß wir, nach einer ruhigen Ueberlegung, den Werth derselben nach dem Einflus bestimmen, welchen sie auf die Glückseligkeit des ganzen Systems haben. Diejenigen, welche blos die Sicherheit und die thie rische Befriedigung eines einzelnen Wesens angehen, werden für die niedrigsten gehalten; und solche, welche von einem allgemeinen Nutzen sind, und die Menschen antreiben, andern zu dienen, werden höher geachtet, und zwar in verschiedenen Graden, nachdem sie mehr oder weniger allgemein sind. So schätzen wir die Vergnügungen der schö nen Künste, und solche Uebungen des Körpers oder der
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(Erstes Buch.) 226 Vergleichung Seele hoch, welche für einige einen natürlichen Nu tzen haben können. Die partheyischen eingeschränk tern Neigungen sind angenehm; allein gleichwie die unveränderlichen, ruhigen und allgemeinen Nei gungen von grösserm Nutzen sind: also gewähren sie uns auch mehr Vergnügen, sowohl in der Ue bung selbst, als bey der Erinnerung, wenn nur ei nige Aufmerksamkeit und Ueberlegung vorhanden ist. Wir sehen also, daß das moralische Gefühl solche Eigenschaften am meisten billiget und em pfiehlt, welche am meisten auf das allgemeine Be ste abzielen, und zu gleicher Zeit der handelnden Person, wenn sie nachdenkt, die edelsten Vergnü gungen verschaffen. Und so erkennen wir durch eine genaue Betrachtung unsrer Beschaffenheit, daß die zwo grossen Bestimmungen unsrer Natur vollkommen wohl neben einander bestehen, und durch ähnliche Mittel befriediget werden können. Wir werden diese Folgerung durch eine Verglei chung der verschiedenen Arten von Schmerz oder Misvergnügen noch gewisser machen. (Verglei chung der verschiedenen Arten von Misvergnü gen.) XIII. Wir kommen nunmehro auf die Ver gleichung der verschiedenen Arten von Unruhe und Schmerz oder Misvergnügen. Es ist unmittel bar einzusehen, daß die verschiedenen Arten von Misvergnügen mit dem Vergnügen in keinem ge nauen Verhältnis stehen. Blos körperliche Ver gnügungen sind die niedrigsten und schwächsten, und dennoch kan der körperliche Schmerz sehr hef tig seyn. Allein wir können hieraus nicht folgern, daß derselbe das grösste mögliche Elend sey, wie
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 227(Siebender Abschnitt.) einige behauptet haben. Bey dem Schmerz mus, wie bey dem Vergnügen, sowohl die Art, als die Stärke, in Betrachtung gezogen werden. Die Er haltung des Körpers erforderte diese feste Verknüp fung mit der Seele, und die Empfindungen, wel che Folgen seiner Schmerzen sind, musten sehr stark seyn, so, daß sie zuweilen schwächere Seelen ganz einnehmen, und dieselben ungeschickt machen, auf andre Dinge aufmerksam zu seyn. Allein die Seele nimmt in sich wahr, daß sie kein Opfer einer Pflicht billigen kan, welches der Entfernung eines körperlichen Schmerzens gemacht wird; und daß das moralische Uebel immer etwas schlimmers ist. Einige Arten von Schmerz haben eine Eigenschaft, welche der Würde, wovon wir geredet haben, ganz entgegen ist, und welche sie zu Ursachen eines grös sern Elends macht, als irgend ein körperlicher Schmerz seyn kan, er sey auch noch so stark, als er wolle. Dieses vermindert nicht den Werth ei ner Person, und bringt auch keinen solchen verwor fenen elenden Zustand hervor, als das Bewustseyn moralischer Uebel, die hassenswürdiger sind, und Gewissensangst und einen Abscheu vor uns selbst veranlassen. Wir schliessen anders, wenn wir Per sonen von gemeiner Tugend, in der Absicht, einer Marter zu entgehen, alle Bande der Zuneigung, Pflicht und Ehre zerreissen, und sie, bey einer sol chen Versuchung, ihre Freunde und ihr Vaterland verrathen sehen. Allein in solchen Fällen wird der höchste kör(Die Ursa chen des Jrr thums in die ser Sache.) perliche Schmerz mit einigen niedrigern sympathe tischen Schmerzen bey einer schwächern Zuneigung,
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(Erstes Buch.) 228 Vergleichung oder mit geringern moralischen Eigenschaften ver glichen, da doch die höchsten von beyden Arten mit einander verglichen werden sollten, um ihre Wich tigkeit zu finden. Einer, der keine hohe Tugend besizt, verräth seinen Freund oder sein Vaterland, in Angelegenheiten, die er zu ihrer Sicherheit nicht für schlechterdings nothwendig hält, und deren Ent deckung ihr Unglück nicht gewis nach sich zieht; wenn dagegen seine Martern gegenwärtig sind, und durch keinen andern Weg vermieden werden können. Der Fall sollte von Leuten von hoher Tugend angenommen werden, deren Marter ein ge wisses unvermeidliches Unglück für ihre Freunde oder für ihr Vaterland seyn würde. Herzhafte Männer haben in dergleichen Fällen alle Martern ausgestanden; und solche, die es nicht können, füh len doch, daß sie unrecht gehandelt haben, und sie misbilligen ihre eigne Wahl, nach welcher sie lieber ein moralisches Uebel haben begehen, als den höch sten Schmerz ertragen wollen. Es äussert sich darinnen eine sehr feine Einrichtung in unsrer Na tur; daß Menschen von einigem Nachsinnen, wel che sich die Martern als die grössten Uebel vorstel len, dennoch erwarten, daß man dasjenige, was man für seinen eigenen höchsten Vortheil hält, durch die Erdultung des grössten Elends dem ge meinen Besten aufopfere; und daß solche Men schen dieses für ein natürliches Verhalten ansehen, und demselben einen hohen Beyfall zugestehen. Dieses bestätiget dasjenige, was wir oben von einer ruhigen Bestimmung gegen das gemeine Beste ge sagt haben, welche sich auf keinen eigenen Vortheil
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 229(Siebender Abschnitt.) der handelnden Person, er sey so gros, als er wolle, bezieht; und daß dieser Bestimmung alle andere in in unsrer Natur unterworfen seyn müssen. Wir wollen gemeinere Fälle anführen. Wie oft pflegen nicht Anverwandte, Freunde, Patrioten die grössten Leiden auszustehen, um dadurch andere von ähnlichen Leiden zu befreyen? Die eigene Em pfindung des Hungers, des Ungemachs, der Wun den und des körperlichen Schmerzens ist erträgli cher, als das sympathetische Gefühl, vermöge dessen wir dieses alles mit andern zugleich leiden. Und bey den verwandschaftlichen Neigungen wird sich selten eine Absicht auf Pflicht, Ehre und Vergel tung finden. Einige Verbrechen sind so abscheu lich, daß auch Leute von gemeinen Charactern lieber Martern erdulden, als sie begehen, und willig ihr Leben in Gefahr setzen würden, um sich derselben nicht schuldig zu machen. In den Fällen, da die Pflicht der Marter nachgiebt, ist das eigene Uebel gegenwärtig, gewis und fühlbar; der öffentliche Nachtheil hingegen ist abwesend, ungewis und vielleicht vermeidlich. Die moralische Schändlichkeit wird durch die Grösse der Versuchung vermindert, und die Kraft des mora lischen Gefühls wird auf diese Art schwächer. Wenn die Tugend den Schmerz besiegt: so zeigt er sich in seiner vollen Stärke, allein er wird durch liebreiche Neigungen, und durch den Abscheu vor allem, was niederträchtig ist, überwältigt. Nehmt an, daß beyde Empfindungen, ohne alle Linderung, in ihrer vollen Stärke sind. Wird man lieber die
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(Erstes Buch.) 230 Vergleichung ärgsten Verbrechen, ohne eine solche Nothwendig keit, welche die Schuld vermindert, begehen; oder lieber den Zustand eines Menschen erwählen, der von dem Podagra oder dem Stein so grausam ge martert wird, als ihn irgend ein Tyrann martern würde? Man setze Fälle, wie man sie in den alten Fa beln antrift. Es habe jemand, auf eine falsche Nachricht, welche nur eine verdorbene, erhizte, un gestüme und grausame Gemüthsart für wahr an nehmen können, eine unbekante Person durch Mar tern umgebracht, und er erfahre hernachmals, daß diese Person sein zärtlicher Vater, oder sein gehor samer Sohn, oder sein edelmüthiger Freund, oder sein redlichgesinnter Bruder gewesen: welcher kör perliche Schmerz könte der Gewissensangst und dem sympathetischen Schmerz, der hieraus entstehen würde, gleich gesezt werden? und doch wird hier das Verbrechen durch die Unwissenheit vermindert. Wenn einige Menschen aus einem innern Gram sich selbst umgebracht haben: so hatten sie ihre Verbrechen gemeiniglich aus Unwissenheit, Unvor sichtigkeit oder einigen wüthenden Leidenschaften be gangen; welche alle Verminderungen der Schuld sind. Was für eine Marter müsste es seyn, wenn Menschen, wissentlich und ohne alle Veranlassung, sich gleicher Verbrechen schuldig gemacht hätten, und hernach wiederum ein gewisses Gefühl der Tugend erlangten? Allein es ist schwer, Menschen zu fin den, die so schuldig sind. Unsre Natur ist solcher Verbrechen nicht fähig, und wenn sie es ist: so
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 231(Siebender Abschnitt.) ist das moralischeGefühl unwiederbringlich verloren. Nehmt die sympathetischen Empfindungen allein. Wo ist der grosse Unterschied, in dem Un glück, wenn wir selbst Martern ausstehen, und wenn wir Augenzeugen von den Quaalen eines ge liebten oder einzigen Kindes, oder eines zärtlichen Vaters sind, oder wenn wir sie noch einem schmäh lichern Schicksal ausgesezt sehen? Wollte Gott, ich hätte für dich sterben können, ist bey sol chen Gelegenheiten kein verstellter Wunsch. In Betrachtung des Zustandes derjenigen, die wir lieben, kömt uns das moralische Uebel alle mal grösser vor, als der körperliche Schmerz. Wird jemand lieber wünschen, daß sein Sohn oder sein Freund sich, ohne alle Rettung, allen Lastern und allen Niederträchtigkeiten ergeben, aber dage gen von Schmerz befreyt seyn, und an sinnlichen Vergnügungen Ueberflus haben möge: oder wird er lieber wollen, daß er den grössten Quaalen bey einer heldenmüthigen That ausgesezt sey, und ein lebhaftes Gefühl der Rechtschaffenheit und Selbst hochachtung und die sympathetischen Freuden bey dem Glück alles desjenigen, was ihm lieb ist, bey behalte? Die natürliche Kraft der menschlichen Seele, dem Schmerz zu widerstehen, würde sich weit mehr äussern, wenn nicht die heftigern Arten desselben gemeiniglich von dem Schrecken des Todes begleitet würden. Entfernet diese Furcht; so wird ihn die Seele weit leichter ertragen können. Bey einigen
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(Erstes Buch.) 232 Vergleichung unangenehmen Begebenheiten, und den damit ver knüpften Zufällen, welche das Leben nicht in Ge fahr setzen, können die Menschen, ohne alle Beküm mernis des Geistes, ja zuweilen mit einer Art von Frölichkeit, einen sehr heftigen Schmerz ertragen und verachten. (Der kör perliche Schmerz kan von langer Dauer seyn.) Der Schmerz in den äussersten Theilen des Körpers kan von langer Dauer seyn. Aber alle körperliche Schmerzen sind von dem moralischen Misvergnügen darinnen unterschieden, daß sie kein Gefühl eines Uebels zurück lassen, wenn die unange nehme Empfindung aufhört. Das Andenken an dieselben hat mehr Angenehmes als Widriges, wenn man ihre Wiederkunft nicht befürchten darf. Die Seele wird dadurch oft gebessert, weil die Er fahrung ihr mehr Stärke und Muth giebt. Wenn man in einer rühmlichen Sache Schmerzen aus gestanden hat: so bleibt dieses allemal ein Anlas zu Freude und Ruhm. (Durch die Einbil dungskraft erhalten wir mehr Ver gnügen als Schmerz.) XIV. Unsre höhern Empsindungen<Empfindungen>, durch wel che wir die Vergnügungen der Einbildungskraft erhalten, lassen weit weniger Schmerz, als Ver gnügen zu, wenn die Seele in einer guten Verfas sung ist. Die Häslichkeit und Gebrechlichkeit des Körpers kan der Person, die so unglücklich ist, sehr unangenehm seyn; und auf gleiche Art kan die Nie derträchtigkeit und der Mangel der Anständigkeit und einer ordentlichen Lebensart denjenigen, welche ein hohes Verlangen darnach tragen, und Begrif fe von Glückseligkeit damit verbinden, Misvergnü gen verursachen. Allein es gehet vor dieser Ein
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 233(Siebender Abschnitt.) bildung eines grossen Gutes in den Gegenständen kein unruhiger Antrieb vorher, wie vor den Be gierden, und die Verbesserung dieser Einbildungen kan allen Schmerz aus dem Wege räumen, be sonders, wenn edlere Freuden den Mangel dieser Vergnügungeu<Vergnügungen> ersetzen. So bringen Schönheit, Harmonie, sinnreiche Werke der Kunst, und ge schickte Nachahmungen aller Arten, wirklich hohe Vergnügnngen<Vergnügungen> hervor; dahingegen die Häslich lichkeit der äusserlichen Gegenstände, Mishelligkeit, schlechte Nachahmungen oder ungeschickte Werke der Kunst kein anderes Misvergnügen verursachen, als die geringe Art desselben, welche von einer fehlge schlagenen Erwartung in einer Sache, die im menschlichen Leben keinen Nutzen hat, entstehet. Die Wissenschaft wird von dem angenehmsten Ver gnügen begleitet; allein, der Mangel derselben bringt eher kein Misvergnügen hervor, als bis ein hohes Verlangen darnach und eine Bewunderung derselben, oder die Furcht, daß dieser Mangel uns zur Schande gereichen werde, vorhanden ist. Die unangenehme Empfindung, welche von dem Man gel eines prächtigen und wohleingerichteten Lebens entstehet, ist auch bey einer erhitzten Einbildungs kraft erträglicher, als der körperliche Schmerz, oder das sympathetische Misvergnügen, oder das Gefühl einer moralischen Schändlichkeit und Unehre; und dieses rührt von einer weisen und gerechten Ein richtung her, da diese andern Empfindungen die Ab sicht haben, die Menschen für Uebeln, welche dem ganzen System schädlicher sind, zu bewahren. Wenn zuweilen einige Menschen, durch einen
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(Erstes Buch.) 234 Vergleichung unmässigen Aufwand auf äusserliche Pracht und Schönheit, ihre Freunde, Familien, oder ihr Va terland, manchen Uebeln aussetzen: so werden die entfernten Widerwärtigkeiten anderer nicht vermu thet, oder nicht erwogen; man hoft auf neue Freun de, auf eine Unterstützung; auf eine vortheilhafte Beförderung, welche man durch die Freundschaft der Grossen zu erhalten denkt; die nahen Uebel werden nicht befürchtet, und die Schuld wird nicht bemerkt. (Die sym pathetischen und mo ralischen Schmerzen sind die höch sten.) XV. Die sympathetischen, und die moralischen Schmerzen, welche von der Gewissensangst und der Unehre entstehen, sind die höchsten, welche unsre Natur zulässt, so wie die ihnen entgegengesetzten Freuden die höchsten sind: und sie können das Le ben ganz unerträglich machen. Das Elend einer geliebten Person ist, so lange es dauert und be merkt wird, ein unablässiger Schmerz für den Zu schauer. Wenn es durch den Tod aufhört: so währet die schmerzhafte Erinnerung in einem em pfindlichen Herzen noch lange fort, bis etwa Ge schäfte die Gedanken davon abwenden, oder ein tie fes Nachsinnen Trost gewährt. Die sicherste Zuflucht in solchen Fällen kan man zu der gütigen Vorsehung und zu der Ueberzeugung nehmen, daß für alle würdige Gegenstände unsrer liebrei chen Neigungen eine künftige Glückseligkeit be stimmt ist. (Warum wir begierig sind, tragi sche Be gebenheiten anzusehen.) Es ist vergebens, wenn man behaupten will, daß alle Sympathie ein Vergnügen mit sich führe, welches über den Schmerz erhaben sey. Alsdenn
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 235(Siebender Abschnitt.) würden wir nicht geneigt seyn, den Zustand des Ge genstandes zu verändern. Es ist wahr, wir sind begierig, unglückliche Begebenheiten anzusehen, und wir sind für die Trauerspiele eingenommen; und doch ist das wahrgenommene Elend die einzige Ursache des empfundenen Elends. Allein, es ist in uns ein natürlicher Antrieb vorhanden, welcher uns nöthiget, ein solches Unglück anzusehen, welches dem Leidenden Erleichterung verschaft. Und wir können diesen Antrieb zurückhalten, wenn wir vor aus sehen, daß es keine guten Folgen haben wird. Wir wollen uns nicht darüber verwundern, daß wir einen Antrieb zu etwas fühlen, wovon wir we der Vergnügen noch die Entfernung unsers eigenen Schmerzens hoffen können. Bemerken wir nicht nach dem Tode eines geliebten Freundes, wenn wir ihm nicht mehr dienen, noch sympathetische Freuden mit ihm empfinden können, daß die quälenden Ge danken von seiner Todesangst, von seinen letzten Seufzern, ganze Wochen, Monate und Jahre lang in unsre Seelen zurückkehren. Unsre Bemü hungen, die schmerzhaften unnützen Gedanken zu vertreiben, sind lange fruchtlos. Wenn diese Be mühungen oft und mit Lebhaftigkeit wiederholet werden: so können sie endlich dieselben vertreiben; allein, wenn wir nicht auf unsrer Hut sind: so kommen sie wieder, und quälen uns. Kan diese Empfindung mit einem Vergnügen verknüpft seyn, da wir, wenn wir darüber nachdenken, uns ihrer zu erwehren suchen, und uns wider sie, als wider eine Qvaal, bewafnen; und da sie in zärtli
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(Erstes Buch.) 236 Vergleichung chern Leibesbeschaffenheiten, körperliche Schwach heiten hervorbringt? (Das Ver gnügen an Trauerspie len.) In Trauerspielen ist eine lebhafte Nachahmung der Sitten, und der heroischen Tugenden, welche wider das Schicksal streiten, anzutreffen; es wer den edle Gesinnungen und Neigungen darinnen ausgedrückt. Unsre sympathetischen Empfindun gen von jeder Art werden in Uebung gesetzt; und Mitleiden und Schrecken entstehen bey Widerwär tigkeiten, von welchen wir wissen, daß sie erdichtet sind. Kan man sagen, daß das Schrecken ein hö heres Vergnügen mit sich führe? und doch tragen wir zuweilen nach Geschichten Verlangen, die uns erschrecken. Allein wenn die Nachahmungen in der Bilderhauerkunst, Mahlerey und Musik uns so sehr gefallen, daß wir Ungemach und Hunger erdulten, um uns länger damit beschäftigen zu kön nen: so ist es kein Wunder, wenn solche edle Nach ahmungen der Sitten uns ergötzen, ungeachtet wir eine unangenehme Unruhe der Sympathie, mit eingebildeten Leiden, empfinden? Was für ein Ver gnügen haben wir, wenn wir in einem Kranken hause sind, oder ein wirkliches Aechzen vernehmen; und also zwar genugsamen Anlas zu Mitleiden bekommen, aber keine solche Tugenden entdecken? Wenn man vergessen sollte, daß das Unglück in dem Trauerspiel erdichtet ist: so wird der Schmerz zu nehmen; allein die liebenswürdigen Tugenden und die edlen Gesinnungen erfüllen die Seele mit einem höhern Vergnügen.
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unsrer verschiedenen Vergnügungen. 237(Siebender Abschnitt.) Die Gewissensangst ist die höchste Quaal(Die Gewis sensangst ist die grösste und dauer hafteste Qvaal<Quaal>.) und sie macht das Leben und alle seine Vergnügun gen verhasst. Dieses bezieht sich nicht, gleich den äusserlichen Empfindungen, auf einen Körper, auf ein materialisches System, welche seine Unordnun gen anzeigt, die innere Würde hingegen, welcher je mand sich selbst, oder seinen Freund hochachtet, niemals schwächt. Wir scheinen uns bewust zu seyn, daß der Körper nicht die Person; nicht das Selbst ist, das wir hochschätzen; und das seine Unordnungen und sein Verfall die Vortreflichkeit oder Würde eines vernünftigen Wesens nicht ver mindern kan. Wir fühlen, daß das moralische Uebel die unmittelbare Erniedrigung dieses Selbst ist. Es macht unsre innerste Natur uns und an dern, die sie kennen, ekelhaft und verhasst. Diese Empfindungen sind nicht vorüberei lend; die Erinnerung ist allemal schmerzhaft. Sie sind * weniger unangenehm, so lange die ungesättig te Leidenschaft in ihrem Ungestüm fortfährt; ihre Heftigkeit äussert sich alsdenn erst, wenn das Ver brechen begangen ist. Sie nagen die Seele lange Zeit, und hören nicht auf, wenn nicht etwa die Gewohnheit diese Kraft unwirksam macht, und die Menschen sich allem, was niederträchtig ist, preis geben. Und auch hier kan eine beträchtliche Widerwärtigkeit oder Gefahr, welche eine Zeitlang deuden lasterhaften Leidenschaften Einhalt thut, das 22
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(Erstes Buch.) 238 Vergleichung moralische Gefühl wieder erwecken, und die Quaal erneuern. (Unehre ist ein grosses Un glück.) XVI. Unehre und Vorwürfe, die wir ver dient haben, sind ein grosses Unglück. Allein wenn wir sie ungerechter Weise ertragen müssen, und wenn unsre eigenen Herzen unser Verhalten bil ligen: so ist der Schmerz nicht so heftig, und wir können ihn uns auf verschiedene Art erträglich ma chen. In dem letztern Falle ist das Uebel weniger dauerhaft, da die Wahrheit oft, wenn wir es am wenigsten erwarten, an den Tag komt. Der all wissende GOtt weis, daß man uns unrecht thut, und der weisere Theil der Menschen, mit welchen wir zu thun haben, wird unsre Unschuld endlich ein sehen, und wir können versichert seyn, daß sie mit uns Mitleiden haben werden. Die Vorwürfe sind gemeiniglich grössere nnd<und> empfindlichere Uebel, als die meisten körperlichen Schmerzen, und sie können von langer Dauer seyn. Sie überwiegen die sinn lichen Vergnügungen bey solchen Leuten, die sich denselben nicht ganz ergeben haben. Sie zu entfernen, würden viele Menschen alle Ergötzungen der Sinne dahin geben; und viele haben das Leben selbst gewagt. Nach dieser unparteyischen Untersuchung un serer verschiedenen Arten von Vergnügen und Mis vergnügen, wird uns nunmehro die Erklärung von dem höchsten Guten und Uebel, welche die alten Cyrenaiker und Epikuräer und auch einige neuere Weltweisen gemacht haben, sehr unnatürlich vorkom men, wenn sie die körperlichen Empfindungen für den Ursprung und die lezten Beziehungen von bey den ausgeben.
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der Gemüthsarten und Character. 239(Achter Abschnitt.)
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Der achte Abschnitt. Eine Vergleichung der verschiedenen Ge müthsarten und Character, in Absicht auf Glückseligkeit oder Elend.

Der Argwohn, als ob die Ausübung aller geselligen Neigungen und edelmüthigen Pflichten der Tugend unserm eigenen Vortheil zuwider sey, wird durch dasjenige, was wir, von den hohen Vergnü gungen der sympathetischen und moralischen Nei gungen, bereits gesagt haben, sattsam zu widerlegen seyn. Allein das Unvernünftige in diesem Arg wohn wird noch deutlicher werden, wenn wir be trachten, was für Neigungen, unter den verschie denen Arten derselben, welche die Mannichfaltigkeit der Character ausmachen, an sich selbst die ange nehmsten Vergnügungen sind, und die Seele in den ruhigsten und heitersten Zustand versetzen. Gleichwie alle Empfindungen und Neigun(Alle unsre Neigungen haben in dem ganzen Sy stem ihren Nutzen.) gen, wovon wir oben geredet haben, Theile unsers inwendigen Baues sind: also hat jede ihren natür lichen Nutzen, entweder für uns selbst, oder für das System, wovon wir ein Theil sind. Die mo ralische Güte besteht zwar vornemlich in den geselli gen und liebreichen Neigungen, die uns aus uns selbst herausführen. Allein die eigennützigen oder auf uns selbst gerichteten Neigungen, haben, wenn sie in gewissen Schranken gehalten werden, eine na türliche Bestimmung, nicht nur das Beste der ein zelnen Person, sondern auch das allgemeine Beste befördern zu helfen; und ohne dieselben ist keines
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(Erstes Buch) 240 Vergleichung in seiner Art vollkommen. Und da die Glückselig keit eines ganzen Systems sich auf das Glück der einzelnen Wesen gründet: so ist es nothwendig, daß jedes die eigennützigen Neigungen in demjenigen Grade besitze, welche der beste Zustand erfordert, und wodurch die Beförderung des gemeinen Be stens nicht gehindert wird. (Die beste Einrichtung eines We sens.) Die vollkommenste und weiseste Einrichtung eines vernünftigen Systems ist diejenige, wenn der Grad der eigennützigen Neigungen, welche dem ein zelnen Wesen den grössten Vortheil verschaffen, ne ben dem Vortheil des ganzen Systems bestehen kan; und wenn der Grad der grosmüthigen Neigungen, welcher dem System den grössten Vortheil ver schaft, neben der grössten Glückseligkeit des einzel nen Wesens bestehet, oder dieselbe befördert. Ein geringeres Wesen kan zwar den Vortheilen eines höhern Wesens ganz unterworfen seyn, und Nei gungen besitzen, welche einzig und allein auf diese Vortheile abzielen. Allein in den edlern Systemeu<Systemen> würde es ein Fehler seyn, wenn wirklich die beyden grossen Endzwecke eines jeden vernünftigen We sens, das persönliche Vergnügen, und die allge meine Glückseligkeit, neben einander nicht bestehen könten, und wenn zwischen den Neigungen, wel che auf dieselben gerichtet sind, ein unversöhnlicher Zwist vorhanden wäre. (Keine natür lichen Nei gungen sind schlechter dings böse.) Keine von unsern Neigungen kan in jedem Grade schlechterdings böse genennet werden. Und doch kan ein gewisser hoher Grad, welcher über das Verhältnis gegen die übrigen hinaus ist, auch so
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der Gemüthsarten und Character. 241(Achter Abschnitt.) gar in unsern grosmüthigen Neigungen, laster haft seyn, oder doch wenigstens eine grosse Un vollkommenheit ausmachen, die sowohl dem einzel nen Wesen, als dem ganzen System nachtheilig ist. Zu gleicher Zeit ist die grösste Stärke einer Art nicht an sich selbst nothwendig böse; ja sie kan un schuldig seyn, wenn die andern Neigungen eine Stärke erreicht haben, die mit dieser Art, und mit der Würde ihrer verschiedenen Naturen und der Bestrebungen auf welche sie gerichtet sind, in Ver hältnis steht. Allein, wenn die Seele nicht fähig genug ist, diesen hohen Grad andrer Neigungen zu er reichen: so können einige von den eigennützigen, und viele von den grosmüthigen übertrieben seyn. Das ruhige allgemeine Wohlwollen, das Verlangen nach der moralischen Vortreflichkeit, die LiebeGOttes und die Ergebung in seinen Willen, können nie mals übertrieben werden: da sie keine einzige par teyische gute Neigung, in sofern sie nützlich ist, noch eine billige Absicht auf den eigenen Vortheil ausschliessen. Allein, die eingeschränktern Neigun gen, auch die von der grosmüthigen Art, können ihr gehöriges Ziel überschreiten, und andere Nei gungen einer bessern Art ausschliessen und überwäl tigen; wie wir dieses an der verwandschaftlichen Liebe, dem Mitleiden und dem Eifer für eine Par tey wahrnehmen. Die moralische Schändlichkeit bestehet nicht in der Stärke dieser Neigungen, son dern in der Schwachheit anderer, die von einem grössern Umfange sind, in Absicht auf ihre Würde und ihren höhern Nutzen.
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(Erstes Buch.) 242 Vergleichung Es ist noch deutlicher, daß die eigennützigen (Das Uebel besteht in dem Mangel des Verhält nisses.) Neigungen übertrieben und lasterhaft seyn können. Allein, wir müssen auch anmerken, daß es, in Be trachtung des Endzwecks der Natur, einen zu nie drigen und mangelhaften Grad derselben geben kan. Wenn ein Geschöpf, welches Gefahren ausgesetzt, und doch weder von der Natur noch durch Kunst bewafnet ist, ohne Furcht wäre, und, indem es an dern Dienste leistet, für seine eigene Sicherheit kei ne Sorge trüge: so würden wir zwar diese Ge müthsart nicht für lasterhaft halten können; allein, sie ist doch offenbar unvollkommen, dem einzelnen Wesen selbst schädlich, und dem System unnütz. In den niedrigen Ordnungen bemerken wir die wei se Einrichtung der Natur, welche den männlichen Geschöpfen, nebst ihrer Stärke und ihren Waffen, auch Muth gegeben, und ihn hingegen den weibli chen versagt hat, wenn ihn nicht die Vertheidigung ihrer Jungen erfordert. Starke gesellige Leiden schaften, eine geringe Aufmerksamkeit auf sich selbst, nebst einem heftigen Verlangen nach Ehre, bey Menschen von geringen Fähigkeiten, wird eine Ausschweifung auf der einen, und ein Mangel auf der andern Seite seyn. Aehnliche grosmüthige Neigungen, bey Menschen von grossen Fähigkeiten, nebst einer gehörigen Vorsicht, werden von grossem Nutzen seyn, und in einem richtigen Verhältnis stehen. Gesellige Neigungen und ein Wohlgefal len an einigen feinern Vergnügungen der Einbil dungskraft, welche einige Character ruhig lassen, und keine Pflichten des Lebens ausschliessen, kön nen andere ohne Nutzen elend, und alle
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der Gemüthsarten und Charactea. 243(Achter Abschnitt.) ihre andern Theile oder Fähigkeiten unbrauchbar machen. II. Nachdem wir gezeigt haben, daß die gesel(Neigungen zu geselligen und morali schen Ver gnügungen, sind die vor theilhafte sten.) ligen und moralischen Vergnügungen, nebst den Vergnügungen der Ehre, die höchsten sind: so müs sen wir noch kürzlich zeigen, daß die Neigungen, welche auf solche Gegenstände, die mit diesen Ver gnügungen in Verbindung stehen, gerichtet sind, wenn sie in dem gehörigen Verhältnis, gegen ihre Würde und ihren Nutzen in dem System erhalten werden, einem jeden einzelnen Wesen am vortheil haftesten sind; und daß die eigennützigen Leiden schaften, wenn sie stark sind, und neben den gros müthigen nicht bestehen können, einem jeden einzel nen Wesen nachtheilig und schädlich sind. Unsre Natur ist einer solchen Bestrebung nach moralischen und geselligen Freuden fähig, wel che überhaupt geschickt ist, alle andere Begierden zu überwinden, und die Menschen zur Verachtung alles körperlichen Vergnügens und Misvergnü gens anzuführen. Wir sehen hiervon Beyspiele nicht nur unter gesitteten Menschen, und unter sol chen, deren Begriffe von der Tugend, durch eine gute Erziehung, befestiget worden, sondern auch so gar unter Barbaren und Räubern. Aus einem Trieb der Ehre, aus Dankbarkeit, aus dem Eifer für eine Partey, aus einer Ahndung erfahrner Be leidigungen, können sie sich mit Freuden allem Un gemach unterwerfen, und Tod und Quaalen verachten.
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(Erstes Buch.) 244 Vergleichung Setzet einen in den grössten Ueberflus an sinnlichen Vergnügungen; allein lasst ihn über ein Unglück seines Freundes, über eine Gefahr, welche seiner Partey bevorsteht, über die Beschuldigung einer Niederträchtigkeit und Verrätherey, einige ge sellige oder moralische Unruhe fühlen: so wird ihm für den sinnlichen Vergnügen ekeln, und er wird Wunden und Tod gering schätzen. Er verachtet einen, der ihm sagt, „er solle seine sinnlichen Ver gnügungen immer fort geniessen, es möge seiner Partey, seinem Freunde, seinem Character zustos sen, was da wolle.“ Er findet in sich selbst hö here Quellen der Handlungen, welche zugleich hö here Quellen von Glückseligkeit oder Elend sind. Weil also die geselligen und moralischen Ver gnügungen die höchsten sind: so mus derjenige Ge schmack, so müssen diejenigen Neigungen und Hand lungen, welche uns eine unterbrochene Reihe sol cher Vergnügungen verschaffen, und uns wider ihr Gegentheil in Sicherheit setzen können, die natür lichsten Mittel zur höchsten Glückseligkeit seyn, und das tiefste Elend von uns entfernen. Diese höch sten Vergnügungen sind entweder mit diesen Nei gungen und den daraus fliessenden Handlungen ver knüpft, oder sie sind natürliche Begleiterinnen und Folgen derselben. (Gesellige Neigungen verschaffen das meiste Vergnügen.) Haben wir den Zustand der Seele empfun den, wenn sie mit den liebreichen Neigungen der Liebe, des Wohlwollens, der Dankbarkeit, und der geselligen Freude erfüllet ist? Was fühlen wir, wenn wir diesen Neigungen, mit Eifer und einem
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der Gemüthsarten und Character. 245(Achter Abschnitt.) glücklichen Erfolg, gemäs gehandelt haben; wenn wir einem Freunde gedienet, einen Elenden getrö stet, Traurigkeit in Freude und Dankbarkeit ver wandelt, unser Vaterland beschützet, und viele Menschen sicher und glücklich gemacht haben? Ei nem jeden wird seine Empfindung sagen, daß die ser Zustand allen andern vorzuziehen ist. Die La sterhaften selbst, welche der Sinnlichkeit ganz erge ben zu seyn scheinen, sind von solchen Gesinnun gen und Neigungen nicht leer. Sie haben ihre Freundschaften, ihren Trieb zur Ehre, ihre Par teyen; sie mögen nun so seltsam seyn, als sie wol len. Einige Vergnüguugen<Vergnügungen> dieser Art, einige gesellige Neigungen und unvollkommene Tu genden, sind ihre höchsten Belustigungen. Es ist die allgemeine Stimme der Natur, daß da, wo die se Freuden mangeln, keine Glückseligkeit vorhanden sey. Und da die Sinnlichkeit die menschliche Na tur nicht hinlänglich beschäftigen und befriedigen kan: so müssen, wenn die geselligen Neigungen un terliegen, die Neigungen einer entgegengesetzten Art, Menschenfeindschaft, Eigensinn, Argwohn und Neid entstehen, welche das unmittelbare Elend und fruchtbare Quellen desselben sind. Obgleich die geselligen Neigungen darauf ge(Sie erfor dern aber Glauben an die Vorse hung und Vertrauen auf dieselbe.) richtet sind, das Elend anderer, und die sympathe tische Traurigkeit abzuwenden: so müssen wir doch, wenn es nicht gelingt, einen Grad einer gewissen grosmüthigen Unruhe empfinden. Hier müssen wir zu den höhern Betrachtungen unsre Zuflucht nehmen, daß es eine weise und gütige Vorsicht gebe,
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(Erstes Buch.) 246 Vergleichung daß es, unsrer Pflicht und der moralischen Vor treflichkeit, gemäs sey, uns der höchsten Weisheit und Güte gänzlich zu überlassen, und uns in der Hofnung gewis zu machen, daß solche Uebel, wel che durch unsre besten Bemühungen nicht abgewen det werden können, von unserm allgemeinen Va ter, zu den besten Endzwecken bestimmt sind. Un sre sympathetischen Schmerzen werden oft durch ge ringere Vermuthungen, als diese sind, gelindert, wenn wir wahrscheinliche Hofnung haben, daß dasjenige, was unser Mitleiden erregt, künftig zu einem höhern Vortheil derjenigen, die wir lieben, ausschlagen wird. Dieses Vertrauen, diese Zuver sicht, diese Hofnung, welche sich, auf eine feste Ue berzeugung von der göttlichen Güte, gründet, müs sen durch ein beständiges Nachsinnen, in einer sol chen Stärke und Lebhaftigkeit erhalten werden, daß [daß] sie alle eingeschränkte Neigungen unterdrü cken, und die Seele, in ihren geselligen Leiden, aufrichten können. Wir wollen hiervon im Ver folg reden. Wenn die geselligen Neigungen in der Absicht, unsre geselligen Schmerzen zu verhindern, oder zu mildern, ausgerottet, oder geschwächt wer den sollten: so würden auch alle geselligen, und die meisten von unsern moralischen Freuden vertilgt oder geschwächt werden müssen. Auch die Unter drückung der eingeschränkten Neigungen, ist einem menschlichen Character nachtheilig. Der natür lichste und vollkommenste Zustand, dessen unsre Seelen gegenwärtig fähig zu seyn scheinen, ist der
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der Gemüthsarten und Character. 247(Achter Abschnitt.) jenige, wenn alle natürliche Neigungen, Begier den und Empfindungen, in einem gehörigen Ver hältnis gegen die Würde des Gegenstands, darauf sie gerichtet sind, lebhaft erhalten werden, so, die niedrigern immer unter der Gewalt der höhern bleiben, und niemals die Erlaubnis erhalten, den Endzweck, für welchen Gott sie bestimmt hat, zu vernichten, noch einer der zwo grossen Bestim mungen unsrer Seelen, nämlich der Beförderung der Glückseligkeit und Vollkommenheit unsrer eige nen Person und des ganzen Systems, sich entge gen zu setzen. III. Es ist klar, daß die unfreundlichen Nei(Alle un freundliche Neigungen sind unange nehm.) gungen und Leidenschaften, ursprünglich unange nehm sind. Die Natur zeigt sattsam, daß sie nicht der ordentliche Zustand der Seele seyn können. Die Grade derselben, welche unschuldig, ja dem System nothwendig sind, werden von unangeneh men Empfindungen begleitet, und können, auf eine gewisse Zeit, nur einen geringen Beyfall erhalten. Dergleichen ist der Zorn, selbst derjenige, welcher zur Vertheidigung unsrer selbst und unsrer Freunde, und zur Abwendung einer Verunehrung nothwen dig ist: dergleichen ist die vorsätzliche Züchtigung des Unbescheidenen und des Schmähsüchtigen, die auf keine andre Bestrafung, sondern blos auf die Sicherheit, welche die Gesellschaft erfordert, abzie let: dergleichen ist der gerechte Unwillen gegen Menschen, welche glücklicher sind, als sie verdie nen. Dieses alles sind unangenehme Neigungen, und sie haben wenig liebenswürdiges in sich. Von
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(Erstes Buch.) 248 Vergleichung dem eigeunützigen<eigennützigen> Verlangen, über andre erhaben zu seyn, und von der Eifersucht oder dem heftigen Verlangen, einige schätzbare Eigenschaften im höch sten Grade, zu besitzen, ist eben dieses wahr. Die se Neigung kan unschuldig seyn, und sie ist für ei nige Gemüthsarten eine sehr nützliche Ermunterung: allein sie ist gemeiniglich unangenehm; und es ist in dieser heftigen Begierde, in Vergleichung mit andern vortreflich zu seyn, keine moralische Schön heit vorhanden, welcher das ruhige Herz Beyfall ertheilen könte. (Sie sind nur vorüberei lende Re gungen.) Ausser den unangenehmen Empfindungen, welche diese Leidenschaften begleiten, ist es auch klar, daß sie in ihren Gegenständen solche Veränderun gen hervorbringen, welche die Leidenschaft selbst en digen, und entgegengesezte Regungen von Reue und Mitleid hervorbringen, wenn die Gegenstände so weit heruntergesezt sind, daß wir aufhören, Ue bels von ihnen zu befürchten, oder wenn sie zu einer aufrichtigen Bereuung alles desjenigen, was in ihnen lasterhaft und beleidigend war, gebracht wor den sind; dahingegen die liebreichen Neigungen, welche wir allezeit billigen, auf solche Endzwecke abzielen, die uns Vergnügen gewähren, und die Neigungen verlängern und stärken. Wohlwollen und Mitleiden zielen auf die Glückseligkeit ihrer Ge genstände ab, und diese, wenn sie erlangt worden ist, verursacht der handelnden Person ein dauerhaftes Vergnügen: und Gefälligkeiten, welche würdigen Gegenständen erwiesen werden, vermehren unsre Liebe zu ihnen. Dieses beweist, daß die erste Art
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der Gemüthsarten und Character. 249(Achter Abschnitt.) von Neigungen nur für vorübereilende zufällige Bewegungen; die leztern hingegen für dauerhafte wesentliche Eigenschaften der Seele angesehen wer den müssen. Wir haben, für die unfreundlichen Neigun gen, bestimmte Namen, wenn sie entweder aus schweifen, oder ohne gerechte und hinlängliche Ur sachen entstehen und zur Gewohnheit werden; näm lich, Bosheit, Rache, Neid, Ehrgeiz oder Stolz. Allein wir haben für die unschuldigen Grade keine solche besondern Namen. Daher ha ben sich einige fälschlich eingebildet, daß einige un srer natürlichen Leidenschaften in allen Graden schlech terdings böse wären. Allein diese unfreundlichen Neigungen, wel che auch alsdenn, wenn sie für unschuldig gehalten werden müssen, unangenehm sind, wurden uns, theils zum Vortheil eines jeden einzelnen Wesens, theils aber zum Besten des Systems, eingepflanzt. Gleichwie die äusserlichen Sinne, durch die ange nehmen Empfindungen ein einzelnes Wesen von dem glücklichen Zustand des Körpers und den ordentli chen Vergnügungen unterrichten; und hingegen dasselbe durch unangenehme Empfindungen vor dem jenigen, was seinen Untergang nach sich ziehen kön te, warnen: also empfiehlt das moralische Ge fühl, in Absicht auf das gemeine Beste, der han delnden Person, und auch jedem Zuschauer, ver mittelst eines angenehmen Beyfalls, alle liebreiche Neigungen und Handlungen; und schreckt hingegen durch einen unangenehmen Widerwillen und durch in
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(Erstes Buch) 250 Vergleichung nere Verweise die handelnde Person von solchen Nei gungen ab, die dem System schädlich sind; den Zuschauer aber ermuntert es, durch einen unange nehmen Trieb des Zorns und Unwillens, sich ih rem Vorhaben zu widersetzen. Diese Leidenschaften des Zorns, der Ahndung und des Unwillens bringen, auch wenn sie unschul dig und nützlich sind, unangenehme Empfindungen hervor; und dieses beweist eben sowohl, als die vorhergehende Anmerkung, daß sie nicht bestimmt sind, die beständigen Eigenschaften der Seele zu seyn; sie sollen nur bey gewissen Vorfällen entste hen, wenn etwas, das dem einzelnen Wesen oder dem System schädlich ist, abgewendet werden soll. Sie sind eine Art unangenehmer Arzeneymittel wi der Unordnungen, und keine natürliche Speise: sie wurden uns eingepflanzt, um uns gegen Beleidi gungen zu sichern, und, in so fern sie blos hierzu angewendet werden, sind sie für unschuldig anzuse hen. Gleichwie nun der Trieb zur Nahrung ver dorben seyn mus, wenn uns für natürlichen Spei sen ekelt, und wenn wir hingegen nach etwas, das nicht nahrhaft ist, lüstern sind; gleichwie unser Cörper nicht in seinem gehörigen Zustande, sondern krank seyn mus, wenn ihm die gesunde Luft, oder die nothwendige Kleidung beschwerlich wird: also mus auch unsre Gemüthsart sehr verdorben seyn, wenn wir zornig werden, ohne einen Schaden oder Beleidigung erlitten zu haben; wenn wir gegen ei nen Gegenstand, der nichts moralisches böses in sich hat, von Abscheu und Feindseligkeit eingenommen
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der Gemüthsarten und Character. 251(Achter Abschnitt.) sind; oder wenn wir eine verdienstvolle Person um ihr Glück beneiden; oder wenn wir gegen einen unschuldigen Theil des Systems, welcher zu einem geselligen Leben und einer Reihe guter Dienstleistun gen bestimmt ist, und dadurch erhalten wird, übel gesinnt sind. Es ist dahero unser Vortheil, wenn wir das Verdienst der Personen und den Werth der Sachen wohl untersuchen, und die unfreundlichen Neigun gen in Schranken halten, da sie auch alsdenn, wenn sie für unschuldig gehalten werden, unange nehm, und zu Ausschweifungen so geschickt sind, daß sie, auch in ihren mässigen Graden, etwas Bösem sehr ähnlich sehen, und daher wenig gebilliget werden. Die ruhigern Neigungen der Seele, welche entweder auf den Vortheil eines einzelnen Wesens, oder auf das Beste des Systems abzielen, richten allemal mehr aus, als die unruhigen Leidenschaften, so nütz lich auch diese leztern in Seelen seyn können, wel che nicht gewohnt sind, nachzudenken. Es ist also zu wünschen, daß wir unser Leben diesen sichern Anführern anvertrauen, und uns vor allen un freundlichen heftigen Bewegungen hüten mögen, welche meistentheils gefährlich sind. IV. Wenn die geselligen Neigungen, an sich(Die Unvoll kommenhei ten unsrer liebreichen Neigung sind von zweyerley Art.) selbst, und ihren Folgen nach, die edelsten Ver gnügungen sind: so ist klar, daß die ruhigen und allgemeinen die besten dieser Art seyn müssen, wenn sie in ihrer vollen Lebhaftigkeit sind, und ihre na türliche Kraft anwenden, die eingeschränktern Nei gungen zu regieren und in Ordnung zu erhalten.
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(Erstes Buch.) 252 Vergleichung Unsre liebreichen Neigungen sind zweyerley Unvollkommenheiten unterworfen. Die eine äus sert sich alsdenn, wenn sie sich blos auf einen Theil beziehen, ohne daß wir gegen die übrigen Theile üble Gesinnungen haben; die andre aber, wenn zu der Zeit, da starke liebreiche parteyische Neigun gungen, gegen einige wirksam sind, gegen an dre, unfreundliche und feindselige Neigungen entstehen. (Sie sind nicht von dem weite sten Umfan ge.) In dem ersten Falle werden Menschen von geringer Ueberlegung niemals das allgemeinste ru hige Verlangen nach dem Vortheil anderer fühlen, welche die höchste moralischeVollkommenheit ist; und doch werden sie, so weit es ihre Absicht unb<und> die Sphäre ihrer Handlungen zulässt, liebreiche Ge sinnungen haben, ohne gegen jemanden übelgesinnt zu seyn. Diese Gemüthsart ist wirklich vortref lich, und von den meisten Menschen kan nicht mehr erwartet werden: es ist auch nicht mehr nöthig, da sehr wenige im Stande seyn können, den allgemein sten Vortheil zu befördern. Es ist keine unge rechte Partheylichkeit, wenn die Menschen gemeini glich den stärkern Banden der Natur, der Dank barkeit und den Regungen einer innigen Hochach tung ihrer würdigen Freunde folgen; woferne sie nur keine Pflichten gegen andre verabsäumen, und diesen eingeschränktern Neigungen Einhalt thun, so bald sie gewahr werden, daß dieselben einem allge meinern Vortheil entgegen sind. (oder sind auf eine unge rechte Art parteyisch.) Eine gefährliche Parteylichkeit ist es, wenn die Menschen starke Neigungen gegen einen kleinen
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der Gemüthsarten und Character. 253(Achter Abschnitt.) Theil haben, und hingegen andre eben so schätzbare Theile des Systems, welche ihnen bekant, und in nerhalb der Sphäre ihrer Handlungen sind, gar nicht in Betrachtung ziehen; oder wenn sie entwe der ohne gar keine, oder doch ohne gnugsame natür liche Veranlassungen, und ohne alle Absicht auf das gemeine Beste, gegen die andern Theile boshafte Gesinnungen hegen. Diese geselligen, obgleich par teyischen Neigungen geben oft Anlas zum Vergnü gen; allein die Verabscheuung derselben kan viel unangenehme Empfindungen verursachen. Wenn die liebreichen Neigungen auf eine so sonderbare Art angewendet werden: so sind sie von geringem Werth: sie müssen unbeständig seyn, und der inne re Beyfall mus verschwinden, wenn darüber nach gedacht wird. Der Gegenstand, welcher vorher bewundert wurde, kan nachhero gemisbilliget und verabscheuet werden, vermöge eben des Eigensinns, der ihn erst angenehm machte. Mit diesen parteyi schen Neigungen ist wenig Vergnügen verknüpft; und was für einen Werth hat die Liebe, wenn keine genugsame Ursache dazu vorhanden ist? Was für Genugthuung verschaft uns die Gegenliebe solcher Lieblinge, bey deren Wahl wir die Vernunft nicht zu Rathe gezogen haben? Die allgemeine Wohlge wogenheit hingegen, und die eingeschränkten auf natürliche Ursachen gegründete Neigungen, welche die billige Zuneigung gegen andre nicht ausschliessen, müssen ein volles Vergnügen und das Bewustseyn gewähren, uns um alle wohl verdient gemacht zu haben; da solche Neigungen das allgemeine Beste befördern.
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(Erstes Buch.) 254 Vergleichung Der ungerechte Abscheu, welcher aus einem (Die Gefahr eines unge gründeten Abschenes<Abscheues>.) irrenden Gewissen und falschen Begriffen von Re ligion und Tugend, die uns Aberglaube und ei ne üble Erziehung beygebracht haben, herrühret, mus uns in unzähliche Widerwärtigkeiten verwi ckeln. Wenn die Menschen nicht allem Nachsin nen entsagt haben: so müssen sie eine schmerzhafte Gewissensangst und ein inneres Misvergnügen fühlen. Ein Scheinheiliger, ein Verfolger, ein Räuber, welcher aus einer Art von Pflicht, die er in seinem Gewissen seiner Partey oder seinem Sy stem schuldig zu seyn glaubt, dem natürlichen Mit leiden und den deutlichsten Vorschriften der Gerech tigkeit widerstrebt, kan nur niedrige und eingeschränk te Vergnügungen haben. Was sind die Dienste, die wir einer Partey oder einer Sache leisten, wenn wir keine gewisse Ueberzeugung von dem Werth derselben haben, und dem Vortheil vieler andern entgegen handeln? Was ist es, wenn wir einem Geiste gefallen, von dessen moralischen Vollkom menheiten wir keinen richtigen und zusammenhan genden Begrif haben? Der Streit zwischen allen ursprünglichen Trieben der Menschlichkeit und die sem falschen Gewissenstriebe, mus erschrecklich seyn. Die Ueberlegung mus in uns den quälenden Arg wohn erregen, daß alles böse sey. Alles dauerhaf te Vergnügen mus verloren seyn, oder die Men schen müssen Vernunft und Nachdenken verbannt haben. Man bringt einen Freund um, aus einem fal schen Triebe zur Ehre. Mitleiden und Gewissens
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der Gemüthsarten und Character. 255(Siebender Abschnitt.) angst folgen unmittelbar darauf. Können nicht bey Verfolgungen, bey der Grausamkeit, welche von dem Eifer für eine Partey herrühret, die Ver antwortungen der Leidenden, das Urtheil der Welt oder der verfolgten Partey, ein inneres Schrecken, eine innere Angst hervorbringen, wenn man auch alle Mühe angewendet hat, sich derselben zu ent schlagen? Was ist es, Tausende zu beleidigen, um von Tausenden verabscheuet zu werden? Wie schwer ist es, ein Vorhaben zu rechtfertigen, das mit der Menschlichkeit streitet? In was für einem Zustan de werden wir in einer gelassenern Zukunft seyn, wenn unser gegenwärtiger Ehrgeitz, unser hitziger Eifer für eine Partey abnehmen wird, und wenn wir sehen werden, daß unser Verhalten in Verbre chen und in Grausamkeit gegen Unschuldige bestan den, und Gott und alle tugendhafte Menschen be leidiget hat? Eine gutgeartete Seele wird glau ben, daß sie sich vor solchen ungegründeten Mei nungen und Vorurtheilen, die fähig sind, sie wider ihre Nebenmenschen aufzubringen, nie zu sehr in Acht nehmen könne. V. Wir wollen nunmehro die Gemüthsarten,(Die eigen nützigen Lei denschaften wenn sie zu stark sind, machen uns unglücklich.) bey welchen einige oder alle eigennützige Leidenschaf ten zu heftig sind, betrachten. Dergleichen sind besonders die Liebe zum Leben und zum sinnli chen Vergnügen, das Verlangen nach Eigen nutz, oder nach den Mitteln, sich Vergnügen und die Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, das Verlangen nach Ansehn, Ruhm und Ruhe.
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(Erstes Buch.) 256 Vergleichung In einem gewissen mässigen Grade können alle diese Leidenschaften neben den geselligen Nei gungen, in ihrer ganzen Stärke, bestehn. Allein da wir oben bewiesen haben, daß das Gute oder die Glückseligkeit, auf welche sie abzielen, niedriger als diejenige ist, welche von den geselligen Neigungen entstehet: so müssen sie denselben und den Bestre bungen nach der Tugend, weichen. Wenn sie ihr bestimmtes Ziel überschreiten: so werden sie Zag haftigkeit, oder Kleinmüthigkeit, Schwelgerey oder Wollust, Geitz, Ehrsucht, Eitelkeit und Faulheit genennet. (Die Liebe zum Leben.) Die Liebe zum Leben, welche ihr geseztes Ziel überschritten hat, ist ein grosses Elend. Das Le ben ist in manchen Fällen nicht werth, erhalten zu werden; und die Verlängerung desselben auf eine gewisse Zeit, kan uns theuer zu stehen kommen. Ohne Zweifel kan, unter gewissen Umständen, der Tod von einer Person, um ihrer selbst willen, sehn lich gewünscht werden; andern kan er willkommen seyn, wenn er ihren theuersten Freunden die Frey heit verschaft, und sie können dasjenige ernstlich ausschlagen, was andre an ihrer Stelle erwählt ha ben würden. Die Liebe zum Leben veranlasst, daß einige wider ihren eigenen Vortheil handeln, und Feinde ihrer selbst werden. Die Furcht des To des verfehlt oft ihren eigenen Endzweck; sie über liefert uns der Gefahr, an statt sie abzuwenden, und sie beraubt uns der Gegenwart des Geistes, durch welche standhafte Menschen die Mittel zur Sicher heit ausfindig machen.
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der Gemüthsarten und Character. 257(Achter Abschnitt.) Die Leidenschaft selbst ist Elend. Zaghaftigkeit in sich zu fühlen, und mit unaufhörlichen Schrecken umgeben zu seyn, ist ein wahres Unglück. Es ist niemand frey von Gefahr. Die stärkste Leibesbe schaffenheit ist vor harten Krankheiten nicht sicher. Die Furcht des Todes wird das ganze Leben und alle Vergnügungen, auch bey den glücklichsten Um ständen, vergiften. Sie wird die Menschen bey ge wissen Gelegenheiten zu dem niedrigsten Verhalten zwingen, und dem Herzen eine so elende Gestalt ge ben, daß wir den Anblick desselben nicht aushalten werden; wenn wir vor das Leben, welches ein unge wisser Genus ist, und am Ende doch aufgegeben werden mus, alle edelmüthige und liebenswürdige Gesinnungen, welche uns dasselbe allein werth hät ten machen sollen, dahingegeben haben. VI. Die sinnlichenLeidenschaften sind, wie(Die sinnli chen Belusti gungen ma chen uns un glücklich.) wir oben gezeigt haben, auf die niedrigsten Ver gnügungen gerichtet, und wenn sie überhand neh men: so machen sie den verworfensten Character aus. Es ist nichts in diesen Vergnügungen, das wir billigen können, wenn wir nachdenken. Ja, es wird eine lange Gewohnheit erfordert, der na türlichen Empfindung der Schaam Einhalt zu thun, wenn wir uns diesen Belustigungen ohne Zurückhaltung überlassen. Unsre Einbildungskraft mus moralische Begriffe mit ihnen verknüpfen, da mit uns die Bestrebungen nach denselben anständig vorkommen, und damit wir den unangenehmen
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(Erstes Buch.) 258 Vergleichung Verweisen der *natürlichen Schamhaftigkeit welche bestimmt ist, diese niedrigen Begierden in Schranken zu erhalten, entgehen mögen. Wenn Leidenschaften dieser Art unmässig sind, so haben sie die gefährlichsten Folgen. Sie schwä chen die Gesundheit des Körpers und der Seele, und hindern alle männliche Verbesserungen: die Ver schwendung der Zeit, die Weichlichkeit, die Faulheit, und tausend unordentliche Leidenschaften vermin dern die natürliche Stärke der Tugend, und ma chen uns unfähig, uns selbst zu beherrschen. Der schädliche Einflus, welchen die Ausschweifungen in der Liebe auf die Gesellschaft haben; das bittere Elend, welches sie unsern theuresten Anverwand ten verursachen; das Unglück und die Unehre, wel chem diese verrätherische Liebe ihren Gegenstand aussezt, müssen bey der geringsten Aufmerksamkeit in die Augen fallen, und sie müssen die grausamste Gewissensangst verursachen, wenn noch einiges Gefühl von Tugend und Menschlichkeit zurück ge blieben ist. Wir übergehen die Verwüstung, wel che diese Leidenschaft in der Ehrbarkeit, Rechtschaf fenheit und Sittsamkeit unsrer Natur anrichtet, mit Stillschweigen. Mus es also nicht unserm Vortheil entgegen seyn, solche heftige Leidenschaften zu haben? 23
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der Gemüthsarten und Character. 259(Achter Abschnitt.) VII. Da der Reichthum zu Befriedigung(Der Geitz ist eine elende Leidenschaft.) unsrer Begierden von grossen Nutzen seyn, das Beste einer einzelnen Person befördern, und uns zu Leistung mancher Gefälligkeiten geschickt machen kan: so ist es kein Wnnder<Wunder>, daß alle diejenigen reich zu seyn wünschen, welche ihre Betrachtungen nicht auf den gegenwärtigen Augenblick einschrän ken. Ein mässiges Verlangen darnach ist un schuldig, und weise, und kan zu den besten Absich ten dienen; und der Besitz mus denjenigen, welche ihn zu gefälligen und tugendhaften Absichten an wenden, viel Vergnügen gewähren. Allein wenn das Verlangen heftig, und nur auf eigennützige Endzwecke gerichtet ist, oder, vermöge einiger dun keln Begriffe von Würde und Ansehn, blos auf die Vermehrung der Glücksgüter abzielet: so ist die Gemüthsart eben so unglücklich, als unvernünftig, und der Person selbst, welche sie besizt, weit be schwerlicher, als sie es ihrem Nächsten seyn kan. Die natürlichen Begierden sind leicht zu befriedi gen. Ein mässiges und sparsames Leben kan an Vergnügen der grösten Schwelgerey gleich kom men. Die Begierde reich zu seyn, ohne Absicht auf Vergnügen oder Freygebigkeit, ist eine unange nehme, unersättliche, unruhige und misvergnügte Leidenschaft. Diejenigen, die sich mit der Vorstel lung einer hohen Würde und Glückseligkeit schmei cheln, welche ihre Nachkommen vermittelst desjeni gen, was sie ihnen sammlen, erlangen werden, pfle gen gemeiniglich, durch ihr Beyspiel und ihren Un terricht, so viel möglich, aus den Seelen derselben alle angenehme und anständige Eigenschaften aus
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(Erstes Buch.) 260 Vergleichung zurotten; und wenn die Unterweisung ihre Wir kung nicht thut: so gerathen ihre Nachkommen durch das häsliche Beyspiel, welches fie<sie> ihnen ge ben, in die Versuchung, die entgegengesezten Aus schweifungen zu begehen; und die Hofnung eines gemächlichen Ueberflusses und Wohllebens unter drückt nicht nur allen Eifer, sich in anständigen Künsten und Wissenschaften vollkommen zu ma chen, sondern sie erweckt auch die Lust, alle Aus schweifungen zu begehen. (Ehrsucht macht un glücklich.) Eben dieses kan von den Begierden nach An sehen und Ehre gesaget werden. Ein mässiger Grad ist unschuldig und nützlich; allein wenn sie zu heftig werden: so sind sie unruhig, dem einzel nen Wesen unangenehm, der Gesellschaft oft schäd lich, und verletzen gemeiniglich die heiligsten Bande der Pflicht und Menschlichkeit, und machen das Herz zu allen guten Regungen unfähig. Das Ver langen, wegen Rechtschaffenheit und moralischer Würde hochgeachtet zu werden, ist einer jeden tu gendhaften Gemüthsart natürlich; und es ermun tert die Menschen, das zu seyn, was man an ihnen hochachten soll; welches der kürzeste Weg zum wahren Ruhm ist. Ja das Verlangen, schätzba re Fähigkeiten in einem hohen Grade zu besitzen, ist, so lange es mässig bleibt, unschuldig, und unsrer Beschaffenheit sehr zuträglich. Allein es kan so heftig werden, daß es sich in eine immerwährende Quaal verwandelt, und die Quelle der verworfen sten und elendesten Leidenschaften wird. Alle aus serordentliche Verdienste werden alsdenn Neid, Has
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der Gemüthsarten und Character. 261(Achter Abschnitt.) und Schmähsucht rege machen. Die Seele wird unruhig, heftig, eifersüchtig, verläumderisch wer den, sie wird leicht aufzubringen seyn, und nicht die mindeste Geringschätzung ertragen können, sie wird allen unangenehm, und von allen verachtet werden. Keine Leidenschaft kan ihren Endzweck mehr verfehlen, als die Eitelkeit; und nichts ist verhasster und verächtlicher, als der Stolz, nichts ist hingegen liebenswürdiger, als Bescheidenheit und Demuth. VIII. Nichts ist der Ehrsucht so sehr entge(Faulheit und Trägheit macht un glücklich.) gen, als die Liebe zur Ruhe. Dieselbe ist, so lange sie mässig bleibt, ebenfalls unschuldig, und nütz lich, wie das Verlangen zu schlafen, wenn man sich ermüdet hat. Allein wenn sie in eine beständige Faulheit ausartet, den geselligen Neigungen nicht statt giebt, und alle mühsame Unternehmungen flie het: so mus sie der Seele alle wahre Würde, alles gesellige Vergnügen, alles Gefühl des Verdiensts, alle Hofnung hochgeachtet zu werden, rauben. Der hinfällige sieche Zustand eines Körpers, der aller Bewegungen unfähig ist, äussert sich in der Ge sichtsfarbe, und in der geschwächten Lust zum Essen und Trinken. Eine schlimmere Unordnung befällt eine See le, welcher die natürliche Uebung in den geselligen Pflichten des Lebens fehlt. Sie mus ekelhafte Stunden haben, sie mus die Verachtung befürchten, sie mus eifersüchtig seyn, und sie kan keine Leiden schaft in ihrer Gewalt haben. Die Folgen, in Absicht auf den eigenen Vortheil, sind klar. Den
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(Erstes Buch.) 262 Vergleichung Trägen können keine Geschäfte von statten gehen; sie sind keiner Verrichtung selbst gewachsen, und sie dürfen entweder auf den Beystand andrer nicht hoffen, weil sie denselben nicht verdient haben, oder durch ihre eigene Unthätigkeit machen sie, daß alle Beyhülfe vergebens ist. Die Ausschweifungen der eigennützigen Lei denschaften sind also ein gewisses Elend. Sie vol lenden den Character, den man eigennützig nennt, und der alle Verachtung verdient, und keine von den edelsten Freuden des Lebens kennt. Da die Ge müthsart Schande bringt: so verleitet sie zu einem heuchlerischen und verstellten Verhalten; die na türliche Redlichkeit und Ausrichtigkeit geht verloren, und Mistrauen, Argwohn und Neid treten an ihre Stelle. Mit jedem Tage werden wir begieriger auf Vortheile, die uns von unsern Nebenmenschen trennen, und die geselligen Neigungen werden un terdrückt. Zuletzt wird die Gemüthsart völlig elend und hassenswürdig. (Woher die ungeheuren Leidenschaf ten entste hen.) IX. Einige ausserordentliche und seltene Bey spiele von den unmässigsten Ausschweifungen dieser eigennützigen Leidenschaften sind diejenigen, welche in der gemeinen Sprache, mit einem ziemlich richtigen Ausdruck, ungeheuer und unnatürlich genennet wer den; allein es scheint, als wenn einige Schriftsteller denselben diese Beywörter in der Meinung beygelegt hätten, als ob sie eine ganz besondere Art ausmachten. Dergleichen sind, wenn die Menschen an Martern an drer Vergnügen zu haben, oder andere, ohne alle Ver anlassung, beleidigen zu wollen, oder von Frechheit, un
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der Gemüthsarten und Character. 263(Achter Abschnitt.) natürlichen Lüsten, von einem ausgelafsenen<ausgelassenen>Stolz' einer zügellosen Tyranney und Menschenfeindschaft eingenommen zu seyn scheinen. Dieses sind blos die Ausschweifungen solcher Leidenschaften, welche uns die Natur eingepflanzt hat, die aber ohne genug samen Anlas, vermittelst falscher Meinungen, oder dunkler Einbildungen, und durch eine lange Nach sicht und öftere Anreizung zu einer unmässigen Hö he gestiegen sind. Jedermann sieht, daß dieser Fall, bey einem unmenschlichen Triebe der Wollust, vorkomt, wenn die natürliche Leidenschaft unbän dig worden ist. Eigensinn und Neugier macht, daß die Menschen oft alle Ausschweifungen versuchen. Wenn die Gemüthsart, ihrer natürlichen Be(Tyranney) schaffenheit nach, oder aus andern Ursachen, wild und mürrisch ist, wenn die Seele lange Zeit, durch Widerstand oder einige befürchtete Beleidigungen, aufgebracht und gereizet worden, und wenn keine hinlängliche Ueberlegung dazwischen komt, das Wachsthum der Leidenschafteu<Leidenschaften> zu hindern: so ent steht eine erstaunliche Feindseligkeit und Grausam keit. Man wird sich leicht einbilden können, wie es zugeht, daß eine langwierige Selbstzufrieden heit und Ehrsucht, welcher keine Ueberlegung Ein halt gethan hat; ein öfterer Zorn, welcher von den Hindernissen, die gemeiniglich stolzen Geistern im Wege sind, entstehet; und die beständigen Ur sachen eines Mistrauens, welches ihr eigenes Ver halten begleitet; diese abscheuliche Mischung von Eifersucht, Wuth, Grausamkeit und Unterdrückung aller freyen und tugendhaften Menschen, die man in Tyrannen wahrnimmt, hervorbringen kan.
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(Erstes Buch.) 264 Vergleichung Betrachtet das angenommene freye Wesen, (Frechheit.) den Unwillen über den Einhalt, welcher ausschwei fenden Menschen von den Gesetzen gesitteter Gesell schaften gethan wird, den Abscheu, welchen sie von ihren eingezogenen Nebenmenschen zu gewarten ha ben, das pralerische Verlangen, für herzhaft ange sehen zu seyn; und sie werden euch die erschreckliche Freyheit erklären, die man in vielen Charactern antrift. (Grausam keit.) Gesittete und an die stärksten menschlichen Empfindungen gewöhnte Völker haben, durch eine falsche Meinung von der Gemüthsart der übrigen Menschen, und durch abgeschmackte Begriffe, von ihrer eigenen Würde und Vortreflichkeit, verleitet, von diesen Menschen geglaubt, daß sie geschaffen wären, Sklaven zu seyn. Andere haben in den er staunlichen Unternehmungen der Kunst und des Muths so viel Unterhaltung gefunden, daß sie, ungerührt von dem Unglück, welches ihnen vor Au gen schwebte, einem Schauspiel voll hoher Ergö tzung beyzuwohnen dachten, wenn sie Fechtern zusa hen, die darauf umgiengen, einander zu töden. Wir wissen alle, was für Begriffe, bey dem ge meinen Haufen, in Ansehung der Ketzer, gewöhn lich sind. Wir kennen den Hochmuth vieler Got tesgelehrten und Geistlichen. Wir wissen, wie sehr ihre stolze Eitelkeit aufgebracht wird, wenn sich jemand untersteht, in Grundsätzen der Religion von ihnen abzugehen, und weiser seyn zu wollen, als sie. Wenn dieser Uebermuth durch den Genus eines gewissen Ansehns und einer Verehrung, die
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der Gemüthsarten und Character. 265(Achter Abschnitt.) ihnen der Pöbel ertheilt, lange Zeit Nahrung be komt: so nimmt er ausserordentlich zu; und man kan dadurch erklären, wie solche Leute, und ihre blinden Verehrer die grausamsten Martern wirklich unschuldiger MeuschenMenschen, welchen die Gestalt der Ruchlosigkeit und Bosheitaugedichtetangedichtet worden, mit Freuden ansehen. Es ist unnöthig, den Ursprung anderer unmenschlicher Eigenschaften zu erklären. Da wir bereits das Elend gezeigt haben, welches die geringern Ausschweifungen dieser eigen nützigen und bösartigen Leidenschaften begleitet: so ist es klar, daß die ungeheurern Ausschweifungen uns noch elender machen müssen. Wir haben bisher betrachtet, welche Neigun gen der Seele und was für eine Gemüthsart, in Absicht auf die Vergnügungen dieser Welt und auf unsre Nebengeschöpfe, die Quellen der höchsten Freude sind. Es ist noch übrig, daß wir einen andern Gegenstand der Zuneigung in einer jeden vernünftigen Seele, ausführlich betrachten, wel cher vermöge desjenigen, was wir bey unsrer vor herigen Untersuchung bereits bemerkt haben, den wichtigsten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben mus, nämlich die Gottheit, den Geist, welcher dieses Ganze beherrscht: und hier müssen wir alle Quellen der Vergnügungen, deren unsre Natur fähig ist, in Erwägung ziehen. Unser morali sches Gefühl wird hier auch seinen höchsten Ge genstand finden, da dasselbe, seiner Natur nach, nicht nur die Seele geneigt macht, alle moralische
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(Erstes Buch.) 266 Die Pflichten gegen Gott Vortreflichkeit hochzuachten und zu verehren, son dern auch in dieser Verehrung und den daher entste henden Neigungen eine Schuldigkeit und moralische Vortreflichkeit empfindet.
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Der neunte Abschnitt, Die Pflichten gegen Gott, und die richti gen Begriffe von seiner Natur.

Unsere Betrachtungen über die Pflichten gegen Gott lassen sich auf zween Puncte zurückbrin gen, nämlich: welches sind die richtigsten Begrif fe von der göttlichen Natur? und welche Nei gungen und welche Ehrfurcht sind diesen Begriffen gemäs, und was für Vergnügen oder Glückselig keit verschaffen sie der menschlichen Seele? (Richtige Begriffe, und daß eine Gottheit sey.) Wenn wir von der Gottheit richtige Begrif fe erlangen wollen: so müssen wir vorher von ihrem Daseyn überzeugt seyn. Die Welt ist allemal dar innen einig gewesen, daß entweder ein höherer Geist sey, welcher grosse Erkäntnis und Macht besitze, und den Angelegenheiten der Menschen vor stehe, oder daß mehrere Geister von diesen Voll kommenheiten seyn müssen. Es ist kein Zweifel, daß nicht eine von Geschlechtern zu Geschlechtern fortgepflanzte Erzählung vieles dazu beygetragen habe, diese Ueberzeugung auszubreiten. Die Er fahrung einiger Uebel von unbekanten Ursachen, die Furcht vor denselben, und das Verlangen einer weitern Beschützung gegen sie, wenn alle sichtbare Kräfte dazu nicht hinlänglich gewesen, mögen ei nige Menschen auf diese Untersuchung gebracht ha
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und Begriffe von seiner Natur. 267(Neunter Abschnitt.) ben. Die natürliche Begeisterung und Bewunde rung, welche aus der Betrachtung der grossen und schönen Werke der Natur entstehet, können die Neugier andrer gereizt haben, ihren Ursprung zu untersuchen: und dieses ist wahrscheinlicher Weise der allgemeinste Bewegungsgrund gewesen. Al lein die Gewisheit einer Lehre hängt nicht von dem Bewegungsgrund, zur Untersuchung derselben, ab, sondern von der Gültigkeit der Beweise; und der Werth derselben wird nach der Wichtigkeit des Ein flusses, den sie auf unsre Glückseligkeit haben, be stimmt. Eitelkeit oder Geitz können einige bewo gen haben, die Geometrie zu erlernen; allein nie mand wird, aus dieser Ursache, die Wissenschaft selbst verachten, oder sie für weniger gewis oder nützlich halten. Wir werden die vornehmsten Be weisthümer des Daseyns der Gottheit kürzlich an führen. Die ganze natürliche Erkäntnis oder na türliche Geschichte ist eine Sammlnng<Sammlung> der unwider sprechlichsten Beweise derselben. II. Ueberall, wo wir unsre Augen oder Gedan(Beweise von dem Bau der Welt.) ken hinrichten, kommen uns mehr Beweise von Absicht, Ordnung, Kunst und Macht, entgegen, als unsre Einbildungskraft sich vorstellen kan. Die erstaunlichsten Kreise, die grössten Weltkörper, wel che sich, in einer ununterbrochenen Ordnung, mit grosser Geschwindigkeit, bewegen: Kräfte, die sich allenthalben, in Welten, die so gros sind, als diese Wohnung der Menschen äussern: ein Ganzes, dessen Weite und Grösse unsre Einbildungskraft und un sre Nachforschung übersteigt. Allein so weit als
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(Erstes Buch.) 268 Die Pflichten gegen Gott uns unsre Bemerkungen führen, finden wir in der zweckmäsigsten Einrichtung aller Theile zu ihren ver schiedenen Bestimmungen und in dem Zusammen hang und der Abhängigkeit der, dem Raume nach, unterschiedenen Dinge unter und von einander, die deutlichsten Spuren von Uebereinstimmung und ei ner regelmäsigen Absicht. Die Erde für sich al lein, würde eine tode unthätige und unnütze Mas se seyn; aber sie wird durch die Sonne belebt: sie wird mit unzähligen Saamen befruchtet, welcher durch Wärme und Nässe und durch die andern fruchtbaren Ursachen in der Erde und Luft, sich in Theile von bewnndernswürdiger<bewundernswürdiger>Schönheit ausbrei tet und entfaltet, und in unzählige regelmäsige Gestalten von verschiedenen Ordnungen vom niedri gen Moos an, bis zur erhabenen Eiche, hervor bricht. Und alles dieses ist zur Nahrung oder zu anderm Gebrauch für Wesen von höhern Ordnun gen, welche mit der Kraft sich zu bewegen und zu empfinden, und mit Vernunft, begabt sind, also eingerichtet worden. (Von dem Bau thieri scher Körper) In den thierischen Körpern von unzählichen Arten, in dem regelmäsigen Bau ihrer vielen Thei le, Gebeine, Muskeln, Häute, Nerven, Adern, entdeckt sich eine neue bewundernswürdige Kunst. Dieser wundervolle Bau äussert sich nicht blos in wenigen Beyspielen, sondern in einem jeden der unzählichen einzelnen Geschöpfe einer jedweden Gat tung, welche einander alle in ihrem Bau gleich sind, und die verschiedenen Kräfte nnd<und> angebohr nen Triebe ihrer Art besitzen, die zur Erhaltung und
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und Begriffe von seiner Natur. 269(Neunter Abschnitt.) Fortpflanzung der Gattung nöthig sind. Was für feine und regelmäsige Gliedmassen haben sie nicht, ihre Speise zu unterscheiden, zu sich zu nehmen, zu zermalmen, hinunter zuschlucken, zu verdauen; und die Nahrung durch alle ihre Theile zu verbreiten! Welche Verschiedenheit, welche kunstvolle Einrich tung findet sich in den Gliedern, die zur freywilli gen Bewegung, und zu ihrem Vergnügen, zu ihrer Beschützung und Vertheidigung dienen! Gleichwie die Pflanzen ihren wundervollen Saamen hervorbringen, der dazu besonders einge(Und ihre Fortpflan zung.) richtet ist, daß er von den Winden an die gehöri gen Oerter verweht werden kan: also sind die Thiere mit angebohrnen Trieben zu gleichem Endzweck ver sehen. Es entstehen neue Gestalten, welche mit den Geschöpfen, die sie zeugen, von einer Art sind; und wenn es nöthig ist: so ist in den Brüsten der Mütter ein heilsamer Saft zubereitet, wodurch sie genährt werden. Die Jungen haben einen ange bornen Trieb, die Quellen ihrer Unterhaltung zu suchen, und die Alten sind durch einen ähnlichen Trieb geneigt, sie ihnen darzubieten. Eine zärtliche Vorsorge dauert in den Alten so lange, als die Jun gen Beschützung nöthig haben, und so lange die Al ten denselben beystehen können; und diese Vorsor ge hört auf, wenn sie nicht weiter nöthig ist. Und damit nichts Ueberflüssiges, nichts ohne Absichten, vorhanden sey; so findet man, daß, wenn die Jungen gewisser Arten keine solche Nahrung, und keine sol che Beschützung nöthig haben, in den Alten we der solche Säfte zubereitet, noch ihnen solche Trie
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(Erstes Buch.) 270 Die Pflichten gegen Gott be eingepflanzt worden sind; wie man dieses bey vielen Arten von Fischen und Insecten antrift. (Verknü pfung der Sonne und der Atmo sphäre mit der Erde und den thieri schen Kör pern.) III. Die Erde und alle ihre Schönheiten hän gen von der Sonne ab. Sie liegt von ihr in der bequemsten Entfernung: eine nähere oder entfern tere Lage würde sie zu einer weniger bequemen Wohnung machen. Die Augen der Thiere sind, mit der bewundernswürdigsten Kunst, zu dem Gra de des Lichts, und zu den ihnen eigenen Beschäfti gungen eingerichtet: ein stärkeres Licht würde schmerzhaft und schädlich, und ein schwächers ohne Nutzen seyn. Jhre Lungen, ihre Ohren, ihr Blut, sind der umgebenden Luft, ihrer Schwere und or dentlichen Bewegungen gemäs. Dieses nachge bende, pressende heilsame Flüssige, ist das Mittel des Lebens, des Athemholens, des Umlaufs des Bluts, der Stimme, welche Begierden und Em pfindungen zu erkennen giebt, und der Befriedigung ihres Geschmacks an der Harmonie. Die Thiere auf dem Lande haben ohne Un terlas frisches Wasser nöthig. Der Umfang des Oceans, welcher selbst mit Einwohnern, die, für die dieses Element, eingerichtet sind, angefüllet ist, ist so gros, die Hitze der Sonne ist so heftig, daß täg lich unendlich viel Dünste, ihrer Salztheile entla den, emporsteigen, und in der Luft schweben, bis sie zu dick werden, und in fruchtbaren Regen her abfliessen, oder, wenn sie in ihrer Bewegung an Hügel oder Berge stossen, Quellen und Bäche ver schaffen, welche wieder in den Ocean zurückgehn, wenn sie vorher grosse Striche Landes gewässert ha
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und Begriffe von seiner Natur. 271(Neunter Abschnitt.) ben. So ist alles voll Kraft, Thätigkeit und re gelmäsiger Bewegung, alles ist zu dem Nutzen des lebenden und empfindenden Theils der Schöpfung mit der grössten Weisheit und Kunst eingerichtet. IV. Die verschiedenen Classen der Pflanzen(Diese Din ge hängen weder von der Kunst der Menschen, noch von an dern sichtba ren Ursachen ab.) und Thiere sind diesen wundervollen Bau weder ihrer eigenen Weisheit, noch der Weisheit derjeni gen, von welchen sie abstammen, schuldig. Keine ihnen bekante Kunst hat den materialischen Bau, noch die innere Einrichtung ihrer Kräfte und Trie be, noch die Bequemlichkeiten ihrer Wohnungen hervorgebracht. Diese unermesliche Weisheit und Macht, mus sonst wo anzutreffen seyn; in einem andern Wesen. Wollte man die Welt für ewig halten: so könte man eben auf keine andere Art schliessen. Die Wirkungen, die augenscheinlichen Beweise von Weisheit, würden, auch bey dieser Voraussetzung, zu allen Zeiten vorhanden seyn. Zu allen Zeiten würde also eine Weisheit und Macht, die über die menschliche erhaben ist, in einem an dern Wesen wohnen. Wenn dieses bewunderns würdige Ganze einen Anfang hat: so liegt diese Wahrheit noch deutlicher vor Augen. Die Menschen haben viele Kräfte, und brin(Zwo Arten von Hand lungen, mit, oder ohne, Absicht.) gen viele Veränderungen hervor. Wir können unsre Fähigkeit, dieselben hervorzubringen, auf zwoerley Art, anwenden. Bey der einen haben wir keine besondere Wirkung zum Endzweck; als wenn wir etwas unachtsam aus der Hand fallen las sen. Bey der andern haben wir gewisse überdach te Wirkungen zur Absicht, und wir richten unsre
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(Erstes Buch.) 272 Die Pflichten gegen Gott Bewegungen nach diesem Vorhaben ein. Durch die erste Art von Handlungen, wird kaum jemals etwas regelmäsiges, gleichförmiges, etwas, das zu einem Endzweck eingerichtet ist, hervorgebracht werden. Duech<Durch> die andere bringen wir regelmä (Die ganze Natur be weist Ab sicht.) sige und wohleingerichtete Dinge hervor. Nun ist aber die ganze Natur, eine jede Veränderung und alles andre, was man in den Thieren von Zeit zu Zeit wahrnimmt, von dieser letztern Art, regelmä sig, gleichförmig und künstlich, und so, daß es sich allemal ähnlich bleibt, eingerichtet: und daher schliessen wir mit Recht auf eine ursprüngliche ord nende Weisheit und Kraft. Hätten wir einige Merkmale, daß die Kraft oder die Kunst, welche die Dinge ordnet, in den Dingen selbst wohnte: so würden wir vielleicht zu einer ersten Ursache nicht zurückgehen. Aber wo her komt dieser Zusammenhang, diese Uebereinstim mung, und Gleichheit? Woher komt es, daß die verschiedenen Gattungen, und die einzelnen Wesen derselben, von einander, und daß alle diese wiederum von der Erde, der Atmosphäre und der Sonne ab hängen? Woher ist diese wohleingerichtete Woh nung? Es mus entweder unter den verschiedenen Einsichten der Theile ein Verständnis vorhergegan gen seyn, oder es mus alles von einem regierenden Wesen herkommen. Wir haben keinen Grund, in den Theilen selbst eine solche Weisheit anzuneh men, die ihre Einrichtung hätte hervorbringen können; also müssen wir schliessen, daß ein höherer alles-ordnender Geist vorhanden sey.
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und Begriffe von seiner Natur. 273(Neunter Abschnitt.) Dieser Geist mus seiner Natur nach selbst erst und ursprünglich seyn; und hier kan die Frage nicht statt finden: woher ist er entstanden? Die Ordnung der Natur beweist, daß Weisheit und Allmacht allemal da gewesen sind; wenn man nicht etwa annehmen will, daß, in einem gewissen Zeitpuncte, das Daseyn, ohne eine schon vorhandene Ursache, seinen Anfang nehmen können; oder, daß ein von allen Kräften, Gedanken, und von aller Weisheit leeres Wesen, in einem gewissen Zeitpunct, ohne Beyhülfe eines mächtigen und weisen Wesens, sich auf einmal zu Macht und Weisheit erheben kön nen; oder, daß ein von Macht und Weisheit lee res Wesen diese Vollkommenheiten andern mitthei len können; alle diese Voraussetzungen sind unver nünftig. Wenn es also für gewis und unwidersprech lich gehalten werden mus, daß eine ursprüngliche Weisheit und Macht, die so hoch ist, als wir uns nur vorzustellen fähig sind, vorhanden sey: wo sol len wir glauben, daß sie wohne? Ist in diesem grossen materialischen System ein weiser Geist vorhanden, welcher das Ganze belebt und bewegt, einige Theile von sich, um gewisser Endzwecke wil len, zu besondern Geistern macht, und dieselben, durch einige Neigungen gegen sie und gegen das Ganze, immer regiert; wie die Stoiker annahmen, welche viele Pflichten der Frömmigkeit und der Menschheit so eifrig lehrten? Oder ist ein Geist vorhanden, welcher ein einfaches und unzusammen gesetztes, ein, von allen theilbaren, veränderlichen und beweglichen Wesen, unterschiedenes Wesen ist; wie die Platoniker annahmen? Die grossen Pflich
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(Erstes Buch.) 274 Die Pflichten gegen Gott ten der Frömmigkeit, der Grund unsrer Hofnun gen, und die Bewegungsgründe zur Tugend beste hen bey jedem dieser beyden Systemen; allein, das erstere hat unbeantwortliche Einwürfe aus der Me thapysik wider sich. (Die mora lischen Ei genschaften des höchsten Geistes.) V. Wenn das Daseyn der höchsten uneinge schränkten Kunst und Macht ausser Zweifel gesetzet worden: so ist alsdenn der moralische Character dieses höchsten Geistes, oder die Bestimmungen sei nes Willens gegen andre Wesen, welche fähig sind, glücklich oder elend zu seyn, in Erwägung zu zie hen. Und hierauf mus sich alle Frömmigkeit und alle Freude in der Religion gründen. Woferne wir nach demjenigen, was wir in uns fühlen, oder, nach unsern Begriffen von der Vortreflichkeit und Vollkommenheit, von dem höchsten Wesen, urtheilen können: so müssen wir uns in einer Gottheit eine empfindende Kraft, die unserm moralischen Gefühl ähnlich ist, vor stellen, wodurch sie, an gewissen Neigungen und Handlungen, in sich einen gewissen Beyfall empfin det, welche sie den entgegengesetzten nicht zugesteht. Eine solche Kraft, mus die Glückseligkeit, auf die edelste Art, erhöhen, und sie kan in einem allmäch tigen Geiste, neben einer jeden Vollkommenheit oder Quelle des Vergnügens, wohl bestehen. Die letzten Bestimmungen oder Neigungen des göttli chen Wesens, welche von ihm selbst gebilliget werden können, müssen entweder ein Verlangen nach seiner eignen Glückseligkeit; oder ein Ver langen nach der grössten allgemeinen Glückseligkeit
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und Begriffe von seiner Natur. 275(Neunter Abschnitt.) oder ein Verlangen nach dem allgemeinen Elend, seyn. Das Verlangen nach seiner eigenen Glück seligkeit kan nicht die einzige letzte Neigung oder Bestimmung seyn; weil das Verlangen, nach der Glückseligkeit andrer von ihm selbst unterschiedener Wesen, eine andre Quelle einer reinen erhabenen Glückseligkeit seyn mus, welche von der erstern zwar unterschieden ist, aber doch neben ihr in einer Seele vollkommen bestehen kan, welche es in der Gewalt hat, dieses Verlangen, auf das vollkom menste, zu befriedigen, ohne dabey eine andre Quel le von Glückseligkeit zu verstopfen. Der Beyfall und das Wohlgefallen an diesen liebreichen Bestim mungen mus von der Gottheit ganz ausgeschlos sen seyn, wenn nicht eine solche ursprüngliche Be stimmung in ihr vorhanden ist. Und man kan sich nicht vorstellen, daß dem höchsten Geist eine Quelle reiner Vergnügungen, die mit jeder andrer Art von Vortreflichkeit bestehen, fehlen könne, weil wir doch in andern Wesen, welche die Weis heit des urspünglichen Wesens hervorgebracht hat, solche Quellen von Glückseligkeit bemerken. Das letzte Verlangen nach dem allgemeinen Elend, kan nicht für die gebilligte Bestimmung der Gottheit angenommen werden, und man kan sich eine solche Neigung nicht als ursprünglich und wesentlich vorstellen; weil in dem höchsten Geiste kein ursprüngliches Gefühl, keine empfindende Kraft seyn kan, welche diesem Verlangen gemäs wäre. Die Gottheit mus Kräfte haben, wodurch sie die Glückseligkeit umittelbar empfindet. Aber der
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(Erstes Buch.) 276 Die Pflichten gegen Gott ursprüngliche und allmächtige Geist, kan kei ne Empfindung von Elend, ja keinen Begrif davon haben, ausser was ihm seine Käntnis der empfin denden Kräfte, die er seinen eingeschränkten Ge schöpfen verliehen hat, und die Gesetze der Empfin dungen, welchen dieselben von ihm unterworfen worden sind, entdecken. Man kan dasjenige nicht für den Gegenstand eines ursprünglichen Verlan gens annehmen, dessen Begrif man nicht durch ei ne ursprüngliche Empfindungskraft erhält, welche denselben unmittelbar darbietet. Gleichwie überdieses alle unfreundliche Be stimmungen des Willens, dem Geiste, darinnen sie wohnen, Unruhe und Elend verursachen: also ist die Vernichtung ihrer Gegenstände, und folglich auch die Vernichtung ihrer selbst, eine natürliche Folge derselben. Eine vorsätzliche Bosheit mus auch alsdenn, wenn ihr Gegenstand noch vorhan den ist, unruhig seyn, und sie kan blos, durch eine gänzliche Hinwegschaffung desselben, beruhiget wer den, auf welche die Neigung aufhört. Der Zorn geht darauf um, seinen Gegenstand so elend zu ma chen, daß er zulezt eine vollkommene Reue hervor bringen, und also das moralische Uebel oder die mo ralische Schändlichkeit entfernen mus, welche den zornigen Unwillen erregt hatte; oder der Zorn bringt seinen Gegenstand so weit herunter, daß aller Wi derstand des Vortheils, und, mit ihm zugleich, die von ihm erregte Leiden schaft<Leidenschaft> aufhört. Mit dem Neid ist es eben so beschaffen, und wenn sein Vor satz erfüllt ist: so mus er ebenfalls aufhören.
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und Begriffe von seiner Natur. 277(Neunter Abschnitt.) Alle edelmüthige liebreiche Neigungen hingegen, sind ihrer Natur nach, dauerhaft, bringen Glückseligkeit hervor, und vergnügen in ihrer Dauer. Das Mit leiden will das Elend seines Gegenstands entfernt haben, und dadurch wird sein eigener begleitender Schmerz entfernt; allein die Liebe und das Wohl wollen bleiben bey dieser Veränderung, unge schwächt. Es ist daher klar, daß die unfreundli chen Neigungen in einem Geiste, der allmächtig, die Quelle von allem, und der oberste Regent von allem ist, nicht für ursprünglich gehalten wer den können; sondern daß ein ursprüngliches Wohlwollen und eine Neigung zur Mittheilung der Glückseligkeit, seine wesentliche, beständige und unveränderliche Eigenschaft seyn mus. Man kan auch eine ursprüngliche Bestim mung gegen das allgemeine Elend in der Gottheit um deswillen nicht voraussetzen, weil dieses weder mit der Beschaffenheit aller vernünftigen Ge schöpfe, die sie hervorgebracht hat, und in welchem keine solche Bestimmung gefunden wird; noch mit dem grossen Grad von Glückseligkeit, den man im menschlichen Leben antrift, bestehen kan. Die Allmacht würde gewis, durch das höchste allge meine Elend, ihre Neigungen völlig befrie digt haben. Wir nehmen in uns selbst wahr, daß alle unfreundliche Gesinnungen, deren wir fähig sind, von unsrer Schwäche herrühren, wenn wir einen erlittenen Verlust oder Schimpf gewahr werden, oder wenn wir befürchten, daß uns dergleichen be
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(Erstes Buch.) 278 Die Pflichten gegen Gott vorsteht; oder wenn wir Hindernisse finden, die un serm eigenen Vortheil, oder dem Vortheil derjeni gen, welchen wir gutes wünschen, zuwider sind. In dem Geiste, der ursprünglich allmächtig und die Ursache des Daseyns aller Dinge ist, kan weder Schwachheit noch Bedürfnis, noch ein Streit, zwischen seinem eigenen Vortheil, und dem Vortheil seiner Geschöpfe, gefunden werden. Wenn diese tiefsinnigern Betrachtungen keine Genüge leisten: so lasst uns zu andern fortgehn, die leichter, und von den Wirkungen der göttlichen Weisheit und Macht hergenommen sind. (Verweise von den Wiekun gen<Wirkungen> der gött lichen Macht) VI. Wenn wir von der Absicht eines Werks, welche wir nur einigermassen verstehen, urtheilen: so können wir allemal den natürlichen und ei gentlichen Endzweck oder die Wirkungen der Uebereinstimmung und des Zusammenhangs entdecken. Wir unterscheiden dieselben von zufäl ligen Wirkungen, welche dasselbe hervorbringen kan, oder welche nothwendige Folgen von ihm seyn können, ob sie gleich unter dem Endzweck, den sich der Verfertiger vorgesetzt hatte, nicht begriffen sind. Die vortreflichste Bildsäule kan jemanden verletzen, wenn sie auf ihn fällt; das regelmässigste und be quemste Haus mus dem Einwohner die Aussicht nach dem Himmel und auf die Erde mehr einschränken, als das freye Feld; und die Erhaltung desselben mus ihm einige Unruhe und einigen Aufwand verursa chen. Durch den gütigsten und weislich einge richteten Lauf der Sonne, mus an einigen Orten manches Ungewitter entstehen. Einige Uebel kön
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und Begriffe von seiner Natur. 279(Neunter Abschnitt.) nen mit den Mitteln, das höchste Gut zu erlangen, so wesentlich verknüpft seyn, daß die Allmacht einigen Wesen das letztere ohne die erstern nicht ge währen kan. Dergleichen Uebel müssen also, in einer, von der vollkommensten Güte, hervorgebrach ten Welt, vorhanden seyn. Die Güte des Urhe bers eines Systems, in welchem sich einige Uebel finden, kan dahero zulänglich bewiesen werden, wenn die natürliche Absicht des Baues gut und wei se ist, und wenn die Uebel blos, vermöge der Ge setze, nach welchen das höchste Gut erlangt wird, er folgen müssen. Diese Betrachtung wird unge mein bestätiget, wenn wir finden, daß ein grosses und erhabenes Vergnügen oder Glück, vermittelst der Beschaffenheit und der Ordnung in der Natur, genossen wird. Geschöpfe, welche das unmittel bare Anschauen des Schöpfers nicht geniessen, und von dem ganzen Plan und allen seinen Theilen kei ne vollständige Eekäntnis<Erkäntnis> haben, können keine meh rere Gewisheit erwarten; und sie sollten sie auch nicht verlangen. Der ganze wundervolle Bau, den wir be(Die Ein richtung des Ganzen ist gut.) merken, hat die Erhaltung des Lebens, das Vergnü gen, die Glückseligkeit, dieser oder jener Wesen, zur Absicht. Die äusserlichen Sinne der Thiere em pfehlen Dinge, welche heilsam sind, und verwerfen die schädlichen: und auf gleiche Art empfehlen die feinern Empfindungskräfte einem jeden dasjenige, was sowohl dem System, als dem einzelnen Wesen Nutzen bringt; und gegen alles, was ihm schädlich ist, entsteht ein natürlicher Widerwillen. Die
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(Erstes Buch.) 280 Die Pflichten gegen Gott ganze innere Beschaffenheit der Neigungen, und das moralische Gefühl, wovon wir oben gehan delt haben, ist offenbar auf das gemeine Beste ein gerichtet, und wir beziehen uns hier dahin. Ei nige Arten von Thieren sind einigen andern gänz lich unterworfen, und die Kräfte und angebohrnen Triebe der höhern können den untern zum Schaden gereichen; allein sie sind für diejenigen, in welchen sie sich befinden, Mittel zu Erhaltung des Guten. Die Wirkungen derselben, in Ansehung der untern bestehen wirklich darinnen, daß sie dieselben des Da seyns geschwinder berauben; allein sie verlieren ihr Leben auf keine schlimmere Art, als sie es durch ei nen natürlichen Tod verloren haben würden: ja die Geschwindigkeit des gewaltsamen Todes ist für ein Geschöpf, welches keine Gedanke von der Zu kunft hat, dem beschwerlichen Tode, welchen wir natürlich nennen, weit vorzuziehen. Und viele von dieser niedern Art würden eben so bald, aus Mangel des Unterhalts, umkommen, wenn nicht die Natur für eine Todesart, die ihnen erträglicher ist, als der Hunger, gesorgt hätte. Ein ursprüngliches bö ses Wesen würde seine Kunst in Werkzeugen der Marter; in Theilen, die keinen andern Endzweck hätten; in Begierden und Empfindungen, welche, auch in einem mässigen Grade, ordentlicher Weise unnütze und schädliche Wirkungen gehabt haben würden; in einem ungedultigen Verlangen nach dem, was weder Vergnügen noch Vortheil ge währen könte; in überflüssigen Theilen, die weder zum Leben noch zu Handlungen nöthig, und nur beschwerlich und quälend seyn würden; in Nei
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und Begriffe von seiner Natur. 281(Neunter Abschnitt.) gungen, die, durch einen verdorbenen Geschmack ge billigt, der Gesellschaft schädlich wären, angewen det haben. Wenn wir die ganze Natur, so weit als sich(Die Ein würfe dawi der sind Früchte der Unwissenheit.) unsre Erkäntnis erstreckt, betrachten: so finden wir, daß die ganze Einrichtung gut ist. Die Einwürfe der Epikuräer, und einiger neuern, kommen von ihrer Unwissenheit her. Wir finden, daß die ver meinten Unregelmässigkeiten, die sie anführen, ent weder unvermeidliche Folgen eines Baues, oder solcher Gesetze sind, wodurch Vortheile erreicht wer den, welche diese Unregelmässigkeiten weit überwiegen; oder sie sind zuweilen die eigentlichen und natürlichen Mittel, diese Vortheile zu erhalten. Wir finden, daß der weite Ocean, der so oft für unfruchtbar gehal ten wird, ein nothwendiges Behältnis des Was sers ist, welches alle Thiere auf dem Lande nöthig haben; und daß er selbst mit seinen Geschöpfen bevölkert ist, zu deren Unterhaltung er überflüssi ge Mittel in sich hält, von welchen auch die Men schen eine grosse Beyhülfe erhalten. Die Berge dienen theils zur Weide, zu Früchten und Getrai de; theils verschaffen sie Regen, Brunnen und Bäche. Die Stürme entstehen von Ursachen, welche die nothwendigsten zum Leben sind, nämlich von der Aufsteigung der Dünste, vermittelst der Sonne, und von der Bewegung derselben in der Luft. Die Sorgfalt, die Aufmerksamkeit, die Arbeit, welche den Menschen zu ihrer Unterhal tung obliegt, stärken sowohl die Seele, als den Kör per. Ohne dieselben würde die Erde eine dürre Wüsten seyn; aber durch dieselben wird sie zu einer
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(Erstes Buch.) 282 Die Pflichteu gegen Gott angenehmen fruchtbaren Wohnung: und sie sind die natürlichen Ursachen der Gesundheit und des vernünftigen Verhaltens. Es ist allemal unser Vortheil, daß wir kein solches Paradies voll Träg heit haben, als, nach der Erdichtung der Poeten, im goldenen Weltalter gewesen seyn soll. * 24
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und Begriffe von seiner Natur. 283(Neunter Abschnitt.) VI. Allein, sagen einige Schriftsteller, wenn wir auch zugeben, daß die Einrichtung des Ganzen(Warum ein allmäch tiger Gvtt<Gott> das Uebel zulässt.) gut ist; so sage man uns doch, wenn Gott allmäch tig ist; warum sind wir so arme Geschöpfe, daß wir in unserm Leben so oft vom Schmerz niederge schlagen, und sowohl von unsern eigenen Leiden schaften, als von den Beleidigungen anderer, so
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(Erstes Buch.) 284 Die Pflichten gegen Gott, oft gequälet werden? Endlich verfällt unser gan zes Gebäu, und wir überlassen mit grossen Schmer zen unsre Plätze unsern Nachfolgern von gleicher Art. Warum sind wir so schwache Geschöpfe? Warum ist diese Folge von Geschlechtern? Warum sind unsre Seelen sowohl in der Erkäntnis, als in der Tugend so unvollkommen? Sollten wir nicht
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und Begriffe von seiner Natur. 285(Neunter Abschnitt.) eine grössere Fähigkeit des Verstandes besitzen, und sollte unter unsern Neigungen nicht ein besser Ver hältnis vorhanden seyn? Diese Schwierigkeiten zu beantworten, lasst(Verschiede ne Ordnun gen sind in dem besten System nothwendig.) uns in Erwägung ziehen, daß die beste mögliche Verfassung eines unermeslichen Systems empfin dender Wesen, eine Verschiedenheit von Ordnun gen, deren einige vollkommener und glückseliger sind als andere, nothwendig erfordert. Einige Ordnungen von Wesen können, auch ohne gesellige Handlungen, überflüssige Freuden empfinden. Allein wir wissen aus der Erfahrung, daß es Wesen von hohen Ordnungen giebt, deren grösste Vergnügun gen in liebreichen Neigungen und in der Anwen dung ihrer Kräfte zu Gutthätigkeiten, die aus die sen Neigungen herfliessen, bestehen. Ja es ist uns unmöglich, uns eine höhere Art von Freuden vor zustellen. Das Bewustseyn des Wohlwollens ge gen andere, wenn es gleich unthätig bleibt, ist mit vielem Vergnügen verknüpft; aber eine höhere Freude begleitet die Ausübung dieser Neigung in wohlthätigen Handlungen. Warum wollen wir anstehen, diese Gemüthsart für das höchste Ver gnügen in unsrer Natur anzunehmen, da unsre Seelen zu empfinden scheinen, daß sie es ist? Sie würde aber von unsrer Natur fast gänzlich ausge schlossen seyn, wenn keine Unvollkommenheit, kein Bedürfnis, kein Schmerz und kein moralisches Uebel in der Natur vorhanden wäre. In einem Zustan de einer unthätigen Freude, die von keiner Unlust unterbrochen wird, kan unter gutgesinnten glückli
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(Erstes Buch.) 286 Die Pflichten gegen Gott chen Wesen, eine gesellige Freude und Hochachtung statt finden. Allein, wo kein Uebel vorhanden ist, da können keine liebreichen Handlungen ausgeü bet werden. (Die Er fahrung des Uebels er höht die Em pfindung des Guten.) Wir wollen die sehr gemeine Bemerkung mit Stillschweigen übergehen, daß unsre Empfindun gen vieler hoher natürlicher und moralischer Freu den, durch die Wahrnehmung oder Erfahrung der entgegengesetzten Uebel, ungemein erhöhet wird. Unter den Menschen ist das ganze tugendhafte Le ben, welches, wie wir bewiesen haben, das höchste Vergnügen gewährt, ein Streit mit natürlichen oder moralischen Uebeln. Die Freygebigkeit kan da nicht ausgeübt werden, wo kein Bedürfnis vor handen ist; keine Tapferkeit findet da statt, wo man keine Gefahr fürchten darf; Dankbarkeit und Ver zeihung, oder freundschaftliche Vermahnungen und Erinnerungen, Erdultung und Vergeltung des Bösen mit Guten müssen unbekant seyn, sobald ein Geschöpf des moralischen Uebels unfähig ist. Solche liebenswürdige Handlungen, deren Anden ken ewig angenehm seyn mus, können entweder nicht statt finden, oder das Daseyn moralischer Uebel ist nothwendig. Ja, weder Gedult, noch Ergebung in den Willen Gottes, noch Vertrauen auf denselben, kan in einem System ausgeübet wer den, wo kein Elend vorhanden ist. Wenn also die höchsten Vergnügungen, die wir uns vorstellen können, in dem allgemeinen Ganzen vorhanden seyn sollen: so müssen, mit ihnen zugleich, einige Ue bel vorhanden seyn. Ja, wie sollen wir uns das
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und Begriffe von seiner Natur. 287(Neunter Abschnitt.) Leben der höchsten Ordnungen vorstellen, wenn keine niedrigen vorhanden sind; wenn kein Gutes, keine liebreichen Handlungen, ausgeübet, keine Uebel ab gewendet, keine ermangelnden Güter mitgetheilet werden? Können wir uns etwas glückseligers, etwas, das der Gottheit angenehmer ist, vorstel len, als wenn sie das Gute dürftigen Geschöpfen verschiedener Ordnungen, mittheilen kan? Und musste sie nicht, durch die höchste Gütigkeit, bewo gen werden, den verschiedenen höhern Ordnungen zu solchen göttlichen Uebungen und Freuden Gele genheiten darzubieten, und sowohl niedrige Ordnun gen zu erschaffen, als auch den verschiedenen einzel nen Wesen einer Gattung verschiedene Fähigkeiten und Vollkommenheiten zu geben, daß sie auf diese Art ihre guten Neigungen in wohlthätigen Handlungen ausüben können. Wenn also die vollkommenste Gütigkeit den(Die voll kommenste Gütigkeit mus alle Ordnungen so einrich ten, daß das Gute die Ue bel über wiegt.) Urheber der Natur veranlasset hat, verschiedene Ordnungen von Wesen zu erschaffen, und einige von ihnen manchen Uebeln und Unvollkommenhei ten zu unterwerfen: so mus eben diese Gütigkeit erfordern, daß dieser Plan der Schöpfung sich auch bis auf die niedrigsten Wesen erstrecke, in welchen das Gute die ihnen zugetheilten Uebel überwieget, weil die Erschaffung solcher niedriger Wesen das Daseyn höherer Wesen, die nur das vollkommenste Ganze zulassen kan, nicht aufhebt. Das Loos ei ner grossen Unvollkommenheit musste also wohin fallen. Die Menschen können sich darüber, daß sie in keiner höhern Ordnung sind, mit eben so wenigen
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(Erstes Buch.) 288 Die Pflichten gegen Gott Rechte beklagen, als die Thiere, daß sie nicht Men schen wurden. (Dieses wird durch die Erfah rung bestä tigt.) Sehen wir dieses nicht durch die Erfahrung bestätigt? Wir haben keinen Grund, zu glauben, daß diese Erde Wesen von höherer Ordnung, als die Menschen, ernähren könte. Eine Kugel dieser Art kan in dem System nothwendig seyn; und sie muste solche Einwohner haben, oder öde bleiben. Ausser allen den Menschen, die sie unterhält, hat sie auch noch für niedrige Wesen Raum und Nah rung. Wir finden, daß alle Oerter mit solchen lebendigen und empfindenden Wesen angefüllet sind, als sie unterhalten können. Die untern nehmen das ein, was für die obern sich nicht schicket, oder was von ihnen nicht geachtet wird. Lasst uns auf gleiche Art zu den höhern Ordnungen hinaufsteigen: es können ihrer so viel seyn, als das beste System des Ganzen zulässt; und doch sind in diesem gros sen Hause unsers Vaters viele Wohnungen, welche für höhere Wesen sich nicht schicken, und doch zu gut sind, öde zu bleiben; und sie werden von Menschen und niedrigern beseelten Geschöpfen bewohnt. Dieses war ihr Platz, oder sie hätten in dem System nicht daseyn dürfen. Diese Erde kon te keine Körper unterhalten, die vor dem Verfall sicher gewesen wären; und wenn dieser Verfall komt: so verlieren wir unsre heftigen Begierden und den Genus der Güter des Lebens. Der Schau platz ekelt uns; wir verlassen ihn, und treten un sern Platz neuen Zuschauern ab, deren lebhaftere Empfindungen und Begierden und Kräfte ihnen denselben angenehmer machen.
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und Begriffe von seiner Natur. 289(Neunter Abschnitt.) VII. Allein die Menschen werden sich noch weiter beklagen: warum giebt es so strenge Gesetze der Empfindung, die uns solchen heftigen Schmer zen, so manchem sympathetischen Kummer und ei ner solchen innern Unruhe unterwerfen? warum haben wir solche wütende Leidenschaften? Kan nicht eine allgegenwärtige unendliche Macht, den allgemeinen Lauf der Natur, zum Besten des Un schuldigen und Tugendhaften, unterbrechen? Es kan ja keine Verschiedenheit der Geschäfte die Gott heit ermüden oder zerstreuen. Wir antworten auf alles dieses: Es ist zu(Die stren gen Gesetze der Empfin dung sind nothwendig.) Erhaltung des Lebens nothwendig, daß gewisse Ein drücke von aussen, und gewisse unangenehme Em pfindungen von innen den beseelten Geschöpfen Schmerz verursachen müssen. Wäre es nicht auf diese Art eingerichtet: wie wenige würden sich, in der Hitze ihrer Leidenschaften, vor Abgründen, Wunden, Verbrennungen, Beschädigungen, und einer gefährlichen Enthaltung von der Speise, hü ten. Wie könten wir die Unordnungen gewahr werden, und uns vor demjenigen, was sie vergrös sern würde, in Acht nehmen? Dieses Gesetz ist er wachsenen und verständigen Menschen schlechter dings nothwendig; wie vielmehr mus es also jun gen und unvorsichtigen Leuten unentbehrlich seyn? Wir können uns auch über dieses Gesetz um des wil len, weil es zu heftige Empfindungen wirkte, nicht beklagen, da sie dem ungeachtet nicht allemal ihren Endzweck erreichen. Die Empfindung des Poda gra, des Steins, des Fiebers und qvälender<quälender>
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(Erstes Buch.) 290 Die Pflichten gegen Gott Schmerzen nicht alle Menschen von den Lastern zu rück, welche diese Martern* veranlasst haben. (Die gesel ligen und moralischen Empfindun gen sind es auch.) Können wir uns mit grösserm Rechte wider andre Gesetze auflehnen, die uns dem Mitleiden und einer innern Unruhe unterwerfen? Sind sie nicht die wohlgemeinten Erinnerungen und Ermah nungen des allgemeinen Vaters, die er uns mit einem gewissen Ernste giebt, um uns von allem, was uns oder unserm Nebengeschöpfen schädlich seyn könte, abzuhalten, nnd<und> uns dagegen zu er muntern, daß wir ihnen beystehen sollen? Oder sind sie nicht zuweilen natürliche Züchtigungen, wenn wir den Pflichten, die uns gegen diese weit läuftige Verwandschaft obliegen, in einigen Stü cken zuwider gehandelt haben? (Die Gese tze können nicht ge hemmt wer den.) VIII. Was die Hemmung dieser Gesetze zum Besten der Unschuldigen anbelangt, welche vermöge 25
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und Begriffe von seiner Natur. 291(Neunter Abschnitt.) derselben manchen Widerwärtigkeiten, als Unge wittern, Feuersbrünsten, Schiffbrüchen, und Be schädigungen der Gebäude, bey welchen allen kein Unterschied statt findet, ausgesetzt sind: so lasst uns in Erwägung ziehen, daß die beständige Hemmung oder Hinderung der allgemeinen Gesetze, wenn sie Uebel verursachen, welche kein gegenwärtiges höhe res Gutes unmittelbar befördern; die Regierung der Welt nach verschiedenen sich unähnlichen Vor schriften, und nicht nach unveränderlichen Regeln oder Gesetzen; unmittelbar alle Ueberlegung und Achtsamkeit der Menschen, und alle vorsichtige Handlungen unnütz machen würden. Es könten weder einige Entwürfe, andern Wohlthaten zu er zeigen, noch eine gewisse überdachte Einrichtung, unsern eigenen Vortheil zu befördern, statt finden, weil wir keine beständigen und natürlichen Mittel finden würden, dieses auszuführen.* Ja, alle dergleichen Bemühungen würden vergeblich und fruchtlos seyn, weil weder geschickte Mittel vor handen, noch einige Handlungen nöthig seyn wür den, wenn wir fänden, daß, ohne unser Zuthun, alles Uebel abgewendet, und das Gute erreicht wer 26
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(Erstes Buch.) 292 Die Pflichten gegen Gott den könte. Auf diese Art würde also alle thätige Tugend ausgeschlossen werden. Oder soll sich die Kraft dieser Gesetze nur alsdenn, wenn die Wirkung unschädlich, oder nütz lich ist, äussern, und sollen sie hingegen allemal, wenn dieselbe schädlich ist, ruhen? Hierdurch wür den alle Handlungen der Menschen vergeblich wer werden. Fasten und Arbeiten würden alsdenn keinen Tugendhaften schwächen und ermüden; und keiner würde einige Kälte empfinden, ungeachtet er unbekleidet wäre. Ja, unsre wahren Freuden würden einen grossen Theil ihrer Anmuth, welcher von Erfahrung des Schmerzens herkomt, verlie ren. Die Ruhe ist nur nach einer Abmattung an genehm; und die Speise hat alsdenn den besten GeschackGeschmack, wenn man hungrig ist. Und alle thäti ge Tugenden müsten für gänzlich überflüssig gehal ten werden. Oder sollen die Gesetze nur alsdenn ruhen, wenn Gott vorher sieht, daß von den Uebeln, wel che dieselben nach sich ziehen, kein Gutes entstehet; und sollen sie hingegen, wenn etwas Gutes aus ihnen erfolgt, ihre Wirkung behalten? Dieses kan in
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und Begriffe von seiner Natur. 293(Neunter Abschnitt.) der That seyn, ob wir gleich das Gute nicht einse hen, welches von solchen Uebeln entsteht. Allein, ist es nöthig, daß die Gesetze gehemmt werden, wenn von den Uebeln, die sie nach sich ziehen, kein gegenwärtiges sichtbares höheres Gutes entstehet? Müssen Schwachheiten und Schmerzen, welche Kinder, oder andere Unschuldige befallen, verhütet werden, sobald GOtt vorhersieht, daß niemand, aus einem tugendhaften Triebe, sich ihrer annehmen wird noch kan? „Viele Uebel, sagt man, veran lassen weder denjenigen, der sie erfährt, noch an dre, zu Ausübung der Tugend. Viele Beleidi gungen wirken die Tugenden der Gedult, der Selbstverläugnung und der Verzeihung nicht, son dern sie ziehen bittere Ahndungen und ein langes Gefolge von Widerwärtigkeiten nach sich. Die Gesetze der Natur sollten in solchen Fällen ruhen, und nur in andern ihre Wirkung äussern.“ Allein, wenn wir wahrnähmen, daß der Lauf der Natur immer zum Besten derjenigen, welchen niemand beystehet, geändert würde: so würde alle Beyhülfe überflüssig seyn. Die Menschen würden in diesen Unterlassungssünden fortfahren, damit diese Gna de noch mächtiger werde. Der Tugendhafte würde beständigen Beleidigungen und Uebeln aus gesetzt seyn; denn sie würden ihm Gelegenheit ge ben, Gedult, Selbstverläugnung nnd<und> Verzeihung auszuüben; hingegen würde der Verstockte, der Uebermüthige und Stolze immer in Sicherheit bleiben. Und warum sollten die Menschen sich be mühen, ihre Leidenschaften zu beherrschen, wenn sie
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(Erstes Buch.) 294 Die Pflichten gegen Gott nähmen, daß die schlimmsten ihnen keinen Nach theil brächten? Oder soll der Lauf der Natur zum Schaden der Lasterhaften seine völlige Wirkung behalten, und sich allemal, den Tugendhaften zum Besten, ändern? Auch alsdenn würde die Sorgfalt für den Tugendhaften thöricht seyn, und die ange nehmsten Tugenden würden entbehrt werden kön nen. Oft ist auch die Glückseligkeit der Tugend haften mit dem Glück andrer zu sehr verknüpft. Müssen alle ihre Familien und Freunde, und ihr Vaterland beschützt werden? Wenn dieses ist: was sollen wir alsdenn die Ordnung der Natur nennen, deren Erkäntnis unsre Handlungen ein richten soll? Die Abweichung müsste eben so ge mein seyn, als der ordentliche Lauf. Und alsdenn würden die Tugendhaften weder Geduld, Selbst verläugnung und Standhaftigkeit ausüben, noch ihre Vortheile GOtt und dem gemeinen Wesen aufopfern können, wenn sie auf diese Art von den Streichen des Schicksals nicht getroffen würden. Endlich, wenn es einem gütigen GOtt anständig war, eine Ordnung von Wesen zu er schaffen, deren vornehmste Vergnügungen, in der Lebhaftigkeit und Uebung ihrer liebreichen Neigun gen, und in moralischen Vergnügungen, bestehen sollten: so musten verschiedene Ordnungen von Wesen seyn, die Welt muste durch allgemeine, und zu keiner Zeit veränderliche Gesetze regieret, und
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und Begriffe von seiner Natur. 295(Neunter Abschnitt.) viele besondere natürliche und moralische Uebel mu sten zugelassen werden. IX. Da nun der einzige scheinbare Grund des(Das Sy stem der Ma nichäer ist ohne Grund.) Systems von zwey unabhängigen Wesen, einem guten und einem bösen, die Vermischung ist, wel che wir in der Welt vom Guten und Bösen wahr nehmen: so mus diese Voraussetzung ohne allen vernünftigen Grund seyn, nachdem wir sattsam be wiesen haben, daß eine solche Vermischung noth wendig die Absicht der höchsten Gütigkeit seyn müsse. Fänden wir einige vollkommen gute Wesen, und andre, die vollkommen böse wären; so möchte eini ge Vermuthung vorhanden seyn, daß zwey höchste einander entgegengesetzte Wesen daseyn müssten. Oder entdeckten wir einige Gesetze, die einzig und allein zum Bösen, und andre, die zum Guten, be stimmt wären; so würde dieses eine zweyte Vermu thung abgeben können. Allein, daß zwey Gei ster, die entgegengesetzte Absichten haben, in einem vermischten System allemal mit einander überein stimmen sollten, lässt sich nicht denken. Nun zeigt uns aber die ganze natürliche Geschichte das Gegen theil dieser Vermuthungen; kein Wesen ist schlech terdings böse; kein Gesetz ist vorhanden, welches nicht für ein höheres Gute bestimmt wäre. Hier bey müssen wir uns auf alle alte und neue Bemer kungen über die Beschaffenheit unsrer Natur beziehen. Entgegengesetzte Absichten in zwo Ursachen(Zwey ent gegengesetzte höchste We sen, können keine Wir kungen her vorbringen.) von gleicher Kunst und Macht, können keinen Bewe gungsgrund zulassen, sie zur Hervorbringung einer
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(Erstes Buch.) 296 Die Pflichten gegen Gott Welt zu vereinigen; weil jede wissen müste, daß die Kunst und Macht der andern ihr eben soviel Schaden bringen würde, als sie durch ihre eigene Kunst und Macht, sich Vortheile verschaffen könte. Nach dieser Voraussetzung müsten wir an den Werken der Natur eben so böse Absichten wahr nehmen, als wir gutes und nutzliches finden. Allein, dieses wird durch die Erfahrung widerlegt. In den Werken der Natur ist keine ursprüngliche, vorsätzliche und unaufgeforderte Bosheit anzutref fen; sondern wir bemerken bey vielen Gelegenhei ten eine freywillige unbelohnte und unverdiente Zu neigung, in zärtlichen Verwandschaften, in der Hochachtung tugendhafter Character, welche uns keinen Vortheil verschaft haben; oder in dem Mit leiden gegen Unbekante. Wir finden kein ur sprüngliches oder natürliches Vergnügen an dem Elend anderer; dasselbe vergnügt niemals, wenn wir nicht einige grosse moralische Uebel in der lei denden Person, oder einige Hindernisse unsers eige nen Vortheils wahrgenommen haben. Man fin det kein moralisches Gefühl, welches dasjenige, was dem gemeinen Besten nachtheilig ist, billigt; sondern in allen vernünftigen handelnden Wesen, treffen wir das Gegentheil an, ein moralisches Gefühl, welches alle Wohlgewogenheit, Men schenliebe und Gutthätigkeit billigt. Gewis, die Kunst einer bösen Gottheit müste sich in einigen Werken, welche eine ursprüngliche Bestimmung zu Schaden und Unglück hätten, entdeckt haben.
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und Begriffe von seiner Natur. 297(Neunter Abschnitt.) X. Allein wenn man zugiebt, daß die Ein richtung der Natur, ohne Ausnahme, gut ist, da(Das Gnte<Gute> ist im menschli chen Leben überwiegen der.) bey aber ein Uebergewicht des Uebels in dieser Welt wahrzunehmen glaubt, wie einige gute Leute, bey ihren melancholischen Beschwerden, über das mensch liche Leben, behauptet haben; so wird dieses immer einen unruhigen Argwohn in der Seele zurücklas sen. Dieser gegenwärtige Zustand ist, ausserhalb einer Offenbarung, der einzige Grund unsrer Ver muthungen, die wir in Ansehung andrer Welten und einer Zukunft haben. Wenn das Elend hier die Oberhand behält: so ist es zwar wahr, daß auch in diesem Falle die Gottheit vollkommen gut seyn könte, in sofern dieses Elend eines Theiles, zu einem höhern Guten in dem Ganzen, nothwendig wäre; allein alsdenn würden wir ihre Gütigkeit, aus ihren Wirkungen, nicht vollkommen einsehen können. Der Fall ist unterdessen ganz anders. Die Glückseligkeit überwiegt das Elend, auch in dieser gegenwärtigen Welt; und dieses macht alle Beweise, die wir nur erwarten oder verlangen kön nen, vollständig. Was erstlich das natürliche Gute anbelangt:(Das natür liche Gute behält in dem Ganzen die Ober hand.) so sind die Vergnügungen der Sinne und die Be friedigungen der Begierden ungemein häufig, hin gegen sind die heftigen Empfindungen des Schmer zens selten. Sie werden nicht leicht einige Mona te, in einem Leben von siebenzig oder achtzig Jah(Die Ver gnügungen der Sinne.) ren, dauren. Die schwächern Körper, welche den selben am meisten unterworfen sind, machen nicht den hundertsten Theil des menschlichen Geschlechtes aus.
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(Erstes Buch.) 298 Die Pflichten gegen Gott Wenn das körperliche Vergnügen, seiner Natur nach, gering und vorübereilend ist: so ist es auch der körperliche Schmerz. Ist die Empfindung vorüber, und wir befürchten nicht die Zurückkunft derselben: so ist alles Uebel verschwunden, und das Andenken an dasselbe fängt an, uns zu vergnügen. Betvachtet<Betrachtet> die öftere Zurückkunft unserer Vergnü gungen; und ihre Dauer wird euch ungleich grös ser vorkommen. Sie sind, in ihrer Art, fast eben so stark, als einige Schmerzen, welchen wir ausge sezt sind. Diejenigen, welche beyde erfahren ha ben, werden sich von hohen sinnlichen Vergnügun gen, durch keine Furcht, vor den darauf folgenden Schmerzen, abschrecken lassen. Die heftigern Schmerzen, welche selten sind, können nicht in Be trachtung kommen, wenn wir die öftere Wieder kehr wirklich hoher Vergnügungen dagegen halten. Wenn einige Menschen in ihren frühen Jahren umkommen: so ist wahrscheinlicher Weise der Schmerz, den sie fühlen, weder so stark, noch so langwierig, als derjenige, welchen Leute von reiferm Alter empfinden: und er wird auch nicht durch Furcht und Angst vermehret. (Vergnü gungen der Einbil dungskraft und Sym pathie.) In den Vergnügungen der Einbildungs kraft und der Erkäntnis liegt ein sehr grosser Vor rath vom Guten, welcher nur einen geringen Ab gang leidet, da kaum ein Schmerz ihnen eigentlich zuwider seyn kan: und die dauerhaftern Freuden über eine den Unglücklichen erzeigte Hülfe, und über das Glück geliebter Personen, überwiegen die Schmerzen der Sympathie. Wir übergehen das
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und Begriffe von seiner Natur. 299(Neunter Abschnitt.) Vergnügen, welches mit dem Beyfall, den diese Gemüthsart selbst erhält, verknüpft ist; und die freudenvolle Hofnung, daß über alle würdige Ge genstände unsrer Zuneigung eine gütige Vorsicht wache. Es ist offenbar, daß der sympathetische Schmerz eine nothwendige und weise Einrichtung der Vorsehung ist, damit wir geneigt seyn möch ten, die Glückseligkeit anderer zu befördern, und sie gegen das Uebel zu beschützen. In Absicht auf das moralische Uebel scheint(Die Schwierig keit in Anse hung des mo ralischen Gu ten und Bö sen.) die Schwierigkeit grösser zu seyn. Allein eine Per son, die ganz und gar keine Tugend besizt, ist eben so selten, als eine, die von allen Lastern frey ist. Gott hat wirklich aus den liebreichsten Absichten, einen hohen Begriff von der Tugend in unsre Her zen gepflanzt, nach welchem wir unsre Urtheile über dieselbe einzurichten pflegen. Wir verlangen eine Unschuld ohne Ausnahme, und eine lange Ausü bung wohlthätiger Handlungen, um einen Character für gut zu halten. Zwo oder drey lasterhafte Hand lungen machen ihn sogleich verhasst. Nur wenige Beyspiele von Betrug, Diebstahl, Gewaltsamkeit, Undankbarkeit, Ueppigkeit stürzen einen Character in einen fast unersetzlichen Verlust; ob gleich das übrige Leben unschuldig ist, und obgleich diese Hand lungen, unter grossen Versuchungen, oder aus keiner übeln Absicht, begangen, sondern durch eine eigennü tzige Leidenschaft oder eine heftige Begierde oder auch durch eine rühmliche parteyische Zärtlichkeit, der gleichen man für eine Familie empfindet, veranlas set worden sind. Es werden wenige Menschen
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(Erstes Buch.) 300 Die Pflichten gegen Gott, seyn, in deren Leben wir nicht hundert Handlungen, die nicht nur unschuldig sind, sondern auch aus ei ner rühmlichen Zuneiguug<Zuneigung> herfliessen, gegen eine, die von einer boshaften Absicht herkomt, finden soll ten. Verwandschaftliche Liebe, Freundschaft, Dankbarkeit, der Eifer für Parteyen und das Va terland, nebst den natürlichen Begierden und Be strebungen nach den Mitteln der Selbsterhaltung, sind die gemeinsten Quellen der menschlichen Hand lungen. Und selten werden die Laster der Men schen aus etwas anders herrühren, als aus diesen Bewegungsgründen, wenn sie vielleicht zu stark geworden stnd<sind>, als daß sie durch edlere und allge meinere Neigungen, oder durch die Beobachtung der Regeln, welche das Beste der Gesellschaft er fordert, in Schranken gehalten werden könten. Wir finden in unsern Herzen ein Maas der Tu gend, das wir nicht erreichen können; dahero müs sen wir uns alle, vor den Augen Gottes, für schul dig erkennen. Und doch sind die geringern Tugen den so gemein, daß das menschliche Leben nicht nur ein sicherer, sondern auch ein angenehmer Zu stand ist. Obgleich dieser Umstand in unsrer Natur, daß das Maas des moralischen Guten so gros ist, der Seele einen nachtheiligen Begrif von der Ver derbnis unsers Geschlechts beybringen kan: so ist er doch sehr nothwendig und nützlich, da er uns von allem, was schimpflich und lasterhaft ist, zu rückhält, und uns zu einer mächtigen Ermunte rung dient, auf dem Wege nach der Vollkommen
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und Begriffe von seiner Natur. 301(Neunter Abschnitt.) heit beständig fortzuwandeln. Wir würden ohne dieses Maas keinen Begrif von der Vollkommen heit haben, und es könte in der menschlichen Seele der Vorsatz gar nicht statt finden, in der Tugend zuzunehmen. Allein da wir in so wenigen die vollen Wirkungen hiervon wahrnehmen: so scheint dieses kein geringes Merkmal zu seyn, daß wir ent weder ehemals in einem höhern Stande der Voll kommenheit gewesen sind, oder daß uns ein solcher Stand noch bevorsteht. Wären wir nicht zu ei nem solchen Stande bestimmt: so würde von dem uns eingepflanzten Maas der Tugend eben so we nig eine Ursache angegeben werden können, als von der Anlegung grosser Magazine, und von der An schaffung vieler Artillerie, wenn keine Kriegszu rüstungen nöthig sind. XI. Dieses Uebergewicht des Guten im(Eine Beru fung auf die menschlichen Herzen.) menschlichen Leben zu bestätigen, lasst uns in Er wägung ziehen, daß die Menschen, bey einer mögli chen Voraussetzung, eben so gewis angeben kön nen, was sie verlangen würden, als bey wirklichen Begebenheiten. Man stelle sich vor, daß ein Arz neymittel erfunden würde, welches, ohne alle Schmerzen, die Seele und den Körper in einen fort daurenden Schlaf bringen, oder alle Gedanken und das ganze Daseyn auf ewig aufheben könte. In einem hohen Alter, oder bey grossen Widerwärtig keiten möchten vielleicht einige wenige den Gebrauch dieses Arzneymittels wählen, um, durch den Ver lust aller Güter, allem Uebel zu entgehen; aber unter Tausenden würde es nicht einer thun: und
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(Erstes Buch.) 302 Die Pflichten gegen Gott, die wenigen, welche es thun möchten, haben vor den Monaten, in welchen sie die Vernichtung wählen würden, ganze Jahre zugebracht, in welchen sie das Leben erwählt hätten. Viele von ihnen haben ihren Antheil des Lebens genossen; sie würden be reit seyn, es zu verlassen, wie ein gesättigter Gast eine volle Tafel verlässt. Was ist es also, wenn auch einer, nach einem angenehmen Leben von vielen Jahren, endlich auf die wenigen ihm noch übrigen Monate den Tod vorziehen sollte? Wofern das Ur theil der Jugend, wenn alle Empfindungen, Be gierden und Leidenschaften lebhaft sind, und freu denvolle Hofnungen die Einbildungskraft erhitzen, den Werth des Guten im menschlichen Leben zu hoch bestimmen kan: so kan auf der andern Seite das Urtheil bejahrter Personen, wenn alle Kräfte schwach sind, und das genossene Vergnügen aus dem Gedächtnisse fast vertilgt ist, ebenfalls sehr parteyisch seyn. Menschen von einem mittlern Al ter, welche die Beschaffenheit des Lebens wahrneh men, welche sich an die Freuden der Jugend erin nern, und an andern den Zustand des hohen Alters bemerken, sind unstreitig die besten Richter. Nicht einer unter Tausenden würde alle Freuden aufge ben, um alles zu vermeiden, was er fürchtet. Es ist eine sehr grosse Undankbarkeit der Menschen, daß sie sich bestreben, den Werth aller Gaben Gottes her abzusetzen, und hingegen alle Uebel, die uns befallen, zu vergrössern. Sollte Mercur, wie in der alten Fabel, auf ihr Verlangen, zu ihnen kommen, wenn sie voll Unwillen ihre Last abgenommen hätten: so würden sie ihn geschwind ersuchen, nicht ihre Seelen an
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und Begriffe von seiner Natur. 303(Neunter Abschnitt.) den Lethe zu führen, sondern ihnen zu helfen, daß sie ihre Bürde wieder auf den Rücken nehmen könten. Bey dieser Streitigkeit führen einige alle Ruch(Die Ursa chen des Jrr thums hier innen.) losigkeiten und alle Widerwärtigkeiten an, die sie gese hen, und wovon sie gehört oder gelesen haben. Krie ge, Mordthaten, Seeräubereyen, Zerstörungen der Städte, Verheerungen ganzer Länder, grausame Hin richtungen, Kreuzzüge, die heilige Inquisition; alle Betrügereyen und Bosheiten, die vor Gerichte vor gehen; alle Verderbnis, Falschheit, Verstellung, Undankbarkeit, verrätherische Verkleinerungen, Lästerungen und Ausschweifungen an Höfen; als ob diese die gemeinsten Beschäftigungen des mensch lichen Geschlechts wären, oder als ob ein grosser Theil der Menschen vermöge ihres Berufs zu diesen Dingen versehen wären. Die Gefängnisse und Hospitäler, die Wohnungen der Verbrecher und Kranken, waren niemals so volkreich, als die Städte, worinnen sie stehen: sie enthalten kaum den tausenden Theil eines Staats. Miltons Be schreibung eines Krankenhauses mus das härteste Herz rühren: allein wer wird die Gesundheit eines Volks nach einem Krankenhause beurtheilen? Pflan zen oder beseelte Geschöpfe, die unnatürlich gebildet sind, werden lange Zeit zur Unterhaltung der neugieri gen aufbehalten; die Seltenheit macht, daß wir uns mit der Betrachtung derselben beschäftigen und gerne davon reden. Allein Millionen regelmässige Gestalten sind, gegen eine unregelmässige, vorhan den; sie sind so gemein, daß sie weder Aufmerk
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(Erstes Buch.) 304 Die Pflichten gegen Gott, samkeit noch Bewunderung rege machen. Wir be halten eine lebhafte Erinnerung an eine harte Krankheit oder Gefahr, welcher wir entgangen sind, an ein schreckliches Unglück, oder an einen Betrug: unsre Seelen werden von Kriegen, Blutvergiessen, Ermordungen, Seuchen, durchdrungen: sie ver gessen die ungleich grössere Anzahl derjenigen, wel che diesen Uebeln entgangen sind, und die gewöhn liche Ruhe des Lebens geniessen. Diejenigen, wel che diese Uebel erfahren, haben selten grössere Schmerzen, als diejenigen sind, welche einen na türlichen Tod begleiten, und sie machen nicht den vierzigsten Theil des menschlichen Geschlechts aus. Kaum fünf mal hundert tausend Menschen sind in einem Jahrhunderte der Brittischen Geschichte, durch diese Uebel umgekommen; und vierzigmal so viel sind denselben, auch in den schlimmsten Zeiten, entgangen. (Das Mit leiden ist die Ursache un srer unrich tigen Ur theile.) Das natürliche Mitleiden macht, daß wir diese grosse Widerwärtigkeiten so sehr fühlen und uns daran erinnern. Wir wünschen allen Gutes; wir verlangen, aus einem noch feinern Triebe, den glücklichen Zustand des allgemeinen Ganzen; und wir fühlen, bey jeder Erfahrung des Gegentheils, ein tiefes Misvergnügen, wenn wir auch in An sehung unserer selbst nichts zu fürchten haben. Diese schätzbaren Triebe in unsrer Natur solten in unsern Herzen für die Gütigkeit des höchsten We sens mehr reden, als diese Erfahrung des Uebels für das Gegentheil reden kan, wenn es auch so gros wäre, als sie oft von einer melancholischen Bered samkeit geschildert werden.
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und Begriffe von seiner Natur. 305(Neunter Abschnitt.) Die Geschichten, welche von Kriegen, Em pörungen, Mordthaten, Hinrichtungen, den ver(Die Ge schichte öfnet uns nur eine Aussicht in einen sehr kleinen Theil des Lebens.) dorbenen Sitten und der Falschheit der Höfe erzäh len, schweigen von der ungleich grösseren Anzahl von Menschen, welche, in einer sichern Verbor genheit, ihr Leben mit den natürlichen Geschäften und Vergnügungen der Menschen, tugendhaft und unschuldig zubringen. Wir lesen von den Hand lungen der Grossen, der Menschen, welche allen Versuchungen des Geizes und der Ehrsucht ausge sezt gewesen, welche über das gemeine Loos einer anständigen Arbeit und Emsigkeit, mit Seelen, die, von ihrer Kindheit an, durch ihre vortheilhaften Glücksumstände, und ihre, von Schmeicheley und Ueppigkeit, erregte Leidenschaften, verdorben worden, emporgestiegen sind. Die angenehmen geselligen und unschuldigen Beschäftigungen des grössten Theils der Menschen sind keine Gegenstände der Geschichte; nicht einmal die ordentliche regelmäsige Verwaltung eines Staates in Beschützung des Volks und der Ausübung der Gerechtigkeit. Die Geschichte bleibt bey critischen Zeiten, bey den Krankheiten des Staats, bey Partheyen und Ver schwörungen, und den darüber entstandenen Unei nigkeiten, bey Empörungen, auswärtigen Krie gen und ihren Ursachen, stehen. Diese Gefahren, ihre Ursachen und die dawider angewendeten Mittel müs sen, zum Gebrauch der künftigen Zeitalter, unverges sen bleiben; und ihre Seltenheit, in Vergleichung mit den natürlichen Beschäftigungen des geselligen Lebens, macht sie unterhaltender. So erzählen die medicinischen Schriftsteller nicht die angenehmen
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(Erstes Buch.) 306 Die Pflichten gegen Gott, Vergnügungen und Beschäftigungen in der Gesund heit. Die Ursachen, die Zufälle und die Vorbe deutungen der Krankheiten, ihre critischen Abwechs lungen, die Wirkungen der verschiedenen Arzeney mittel, sind die eigentlichen Gegenstände ihrer Ab handlungen. (In niedri gern Stän den sind die Menschen eben so glück lich als in höhern.) Menschen von hohem Stande, die zur Ru he und Weichlichkeit gewöhnt sind, können sich den arbeitsamen Stand niedriger Menschen, als eine elende Sklaverey vorstellen, weil er ihnen so vorkommen würde, wenn sie, bey der gegen wärtigen Beschaffenheit ihrer Seele und ihres Kör pers, zu demselben heruntergesetzt werden solten. Allein in den niedrigern Ständen ersezt die Stärke des Körpers, die lebhafte Neigung zu essen, eine sanfte Ruhe nach der Arbeit, mäsige Begierden, und eine geringe Kost allen Mangel an sinnlichen Vergnügungen. Und die liebreichen Neigungen, erwiederte Liebe, gesellige Freuden, Freundschaft, verwandschaftliche und kindliche Pflichten, morali sche Vergnügungen, und einiges Gefühl der Ehre von einem kleinen Umfange, finden in niedrigern Ständen eben sowohl statt, als in höhern; und al le diese Neigungen sind gemeiniglich in denselben aufrichtiger. (Wie Men schen von un vollkomme nen Einsich ten, das Ganze beur theilen kön nen.) XII. Wie kan ein Wesen, welches zu unvoll kommen ist, die ganze Verwaltung dieses Ganzen in allen seinen Theilen und seiner ganzen Dauer, mit allen Verknüpfungen der verschiedenen Theile, einzusehen, von dem höchsten Geist und seinen Absichten urtheilen? Wir sehen, daß besondere Ue
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und Begriffe von seiner Natur. 307(Neunter Abschnitt.) bel zuweilen zu Erlangung eines höhern Gutes nothwendig sind, und daß sie also, von einer gü tigen Einrichtung, herrühren. Wir sehen auch, daß manche Vergnügungen und Vortheile höhere Uebel verursachen. Es können dahero, auf bey den Seiten, noch Verknüpfungen und Absichten vorhanden seyn, die uns unbekant sind. Wir kön nen deswegen von keiner Begebenheit das Urtheil fällen, daß sie in dem Ganzen, entweder schlechter dings gut, oder schlechterdings böse sey. Wie ur theilet ein weises und gehorsames Kind von den Neigungen seiner Aeltern? Oder wie urtheilet man, in reifern Jahren, von den Absichten seines Arztes, wenn man in der Arzeneykunst selbst ein Fremdling ist? Das Kind wird zuweilen in seinen Vergnü gungen eingeschränket, es wird gezüchtiget, und zu mühsamen Uebungen und zum Fleis angehalten; der Kranke empfängt ekelhafte Arzeneyen, und mus schmerzhafte Operationen ausstehen. Allein das Kind findet überall liebreiche Absichten; viele Vergnügungen und Bequemlichkeiten werden ihm verschaffet; es erhält einen beständigen Schutz und Unterhalt; es hat die Vortheile eingesehen, die bey vielen Gelegenheiten aus der Einschränkung und Zucht entstehen; es findet, daß seine Kräfte und seine Erkäntnis zunehmen, und daß seine Ge müthsart verbessert wird. Der Kranke hat gefun den, daß die Wiederherstellung der Gesundheit zu weilen eine Wirkung ekelhafter Arzeneyen gewesen ist. Eben so ist es in der Natur. Ordnung, Ru he, Gesundheit, Freude, Vergnügungen, über wiegen in dieser grossen Familie alle Uebel, die wir
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(Erstes Buch.) 308 Die Pflichten gegen Gott wahrnehmen. Die Menschen sind alle für die Er haltung ihres Lebens besorgt, ob es gleich bey kei nem ein unvermischter Zustand seyn kan. Wir kön nen keine Vermuthungen haben, daß ein Vortheil des höchsten Geistes dem Vortheil seiner Geschöpfe ent gegengesezt sey, da nicht einmal dergleichen Vermu thungen, wider die Absichten der tugendhaftesten Menschen, in uns streiten. Solten wir denn ge gen die Gottheit, in unsern Schlüssen, nicht eben so billig seyn, als wir gegen unsere Nebengeschöpfe zu seyn verbunden sind, wenn sich auch gleich ein kleiner scheinbarer Streit äussern solte. (Wenn Gott gut ist; so ist er voll kommen gut.) XIII. Weil denn die ganze Einrichtung der Natur, welche auf das Gute unmittelbar abzielet, und das daraus entstehende Uebergewicht der Glück seligkeit, beweiset, daß der höchste Geist ein güti ges und liebreiches Wesen sey: so mus da, wo eine wirkliche Gütigkeit anzutreffen ist, das Verlangen nach einer grössern Glückseligkeit stärker seyn, als nach einer kleinern; und da, wo hinlängliche Kraft vorhanden ist, mus dieses Verlangen zu seiner Erfüllung kommen. Wenn Gott allmächtig und weise ist: so ist alles gut: die beste Ordnung herrscht in dem Ganzen: kein Uebel wird zugelassen, wenn es nicht zu Erreichung eines höhern Gutes erfor dert wird, oder wenn es nicht ein unzertrennlicher Gefährte oder eine unvermeidliche Folge derjenigen Einrichtung ist, welche von der gütigsten Absicht herrühret, und auf die grösste Glückseligkeit und Vollkommenheit des Ganzen abzielet.
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und Begriffe von seiner Natur. 309(Neunter Abschnitt.) Es ist eine Vermessenheit, wenn man eine umständliche Nachricht verlangt, wie jedes Uebel(Es ist un vernünftig gen beson dern End zweck eines jeden Uebels wissen zu wollen.) zur Beförderung eines höhern Gutes nothwendig seyn kan. In dem besten möglichsten System, müssen einer unvollkommen Erkäntnis, viele Dinge unauflöslich seyn. Die Endzwecke und Ver knüpfungen müssen ihr verborgen seyn, so wie man ches Verfahren eines Vaters in dem Hauswesen, oder eines Arztes in gewissen Krankheiten, dem Kinde und dem Kranken ein Geheimnis seyn kan. Es ist genug, daß wir erkennen, die natürliche Ab sicht in der ganzen Einrichtung der Natur, in soweit wir sie, einsehen, sey gut; daß die Glückseligkeit das Elend überwiege, und unser Zustand wün schenswerth sey. Alle neue Entdeckungen vermeh ren hierinnen unsere Ueberzeugung, indem sie uns in demjenigen, was wir vorhero für eine Unvoll kommenheit ansahen, weise Absichten entdecken. Ein billiges Gemüth mus den Schlus machen, daß dieses eben der Fall bey gewissen Theilen sey, deren Bestimmung uns unbekant ist. Die ängst lichen Bemühungen der Menschen in dieser wich tigen Sache helfen dieses bestätigen, da sie die na türliche Verfassung der Seele beweisen, vermöge welcher sie wünscht, daß alles in dem Ganzen gut seyn möge. Dieses ist eine von den deutlichsten Spuren unsers liebreichen Schöpfers, die in unsre Herzen eingedrückt sind. Diese Wahrheit mus von allen angenommen werden, wenn nicht Eitel keit, eine Begierde, besonders zu seyn, und eine tiefe Einsicht zu verrathen, oder die Neigung zu wider sprechen, das Herz eingenommen haben.
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(Erstes Buch.) 310 Die Pflichten gegen Gott, XIV. Man füge allem diesen noch bey, daß die (Die Hof nung eines künftigen Zustandes ist allgemein.) überwiegende Güte, welche wir in der Verwaltung der Natur wahrnehmen, uns zu einer Hofnung führt, welche auf einmal alle Einwürfe aus dem Wege räumt, daß nämlich alle Seelen, die morali scherEmpfindungen, einer Untersuchung der Ord nung im Ganzen, einer eifrigen Bestrebung, die selbe und ihren Urheber zu kennen, und einer weis sagenden Empfindung des Daseyns nach dem Tode, fähig sind, in einem künftigen Zustande ewig le ben werden. Die Kraft zu denken und zu überle gen, welche auf vergangene und künftige Zeiten, und auf den Zustand andrer eben sowohl, als auf unsern eigenen, sich erstreckt, und allgemeine Nei gungen und moralische Empfindungen zu Begleite rinnen hat, machen alle Ordnungen von Wesen, die damit begabt sind, eines ungleich grössern Glücks oder Elends fähig, als die unvernünftigen Thiere seyn können. Wenn die Dauer der Menschen ewig ist, und durch die Mittel, die uns in diesem Leben am meisten beglücken, eine glückliche Unsterb lichkeit erlangt werden kan: so sind die Uebel, wel che uns in den wenigen Jahren unsers sterblichen Zustands begegnen, keiner Betrachtnng<Betrachtung> werth; sie verdienen nicht einmal mit der Glückseligkeit, die auf sie folgt, verglichen zu werdeu<werden>. (Die Seele scheint von der Materie unterschie den zu seyn.) Die verwegensten Epikuräer haben niemals versucht, Beweise zu geben, daß ein künftiger Zu stand unmöglich sey. Viele, die sich die Seele als materialisch vorstellen, haben einen solchen Zustand geglaubt. Menschen aller Alter und Nationen
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und Begriffe von seiner Natur. 311(Neunter Abschnitt.) haben auf diesen Zustand gehoft, ohne von dem mindesten Vorurtheil für ihn eingenommen zu seyn. Diese Meinung ist den Menschen natür lich, und das, was ihr Schöpfer verordnet hat, mus sie unterhalten. Dieses wird durch die Be weise nicht wenig bestätiget, wodurch gezeigt wird, daß dasjenige, was in uns denkt, schliesst und Neigungen hat, kein theilbares System verschiede ner Wesen seyn könne, wie jeder Theil der Mate rie ist. Die Einfachheit und Einheit des Be wustseyns kan nicht von den verschiedenen Beschaf fenheiten herkommen, die in einer Zusammenfügung verschiedener Körper, die, dem Raume nach, un terschieden sind, angetroffen werden.* Die Thä tigkeit der Seele verträgt sich auch nicht mit der leidenden Natur der Materie. Wir fühlen, daß unsre Glückseligkeit oder unser Elend, Verdienste und Vollkommenheiten, oder ihr Gegentheil, um welcherwillen wir uns selbst, oder andre, hochach ten oder geringschätzen, Eigenschaften sind, die nicht in die Sinne fallen, und weder mit dem Körper und seinen Theilen einige Verwandschaft haben, noch an den Veränderungen, die den Körper befallen, Theil nehmen. 27
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(Erstes Bnch.) 312 Die Pflichten gegen Gott Die Natur und die Ordnung unsrer Empfin dungen beweist diesen Unterschied. Erstlich stellen uns die äusserlichen Empfindungen Gegen stände vor, welche von diesem Selbst ganz und gar unterschieden sind, und mit ihm keine weitere Verwandschaft haben, als daß sie wahrgenommen werden. Die Veränderungen ihres Zustandes in einen bessern oder schlimmern, ändern in dem Zu stande der wahrnehmenden Person nichts. Die zwote Art von Empfindungen, nämlich die Em pfindungen des körperlichen Schmerzens und Vergnügens, gehen dasselbe ein wenig näher an. Der Zustand des empfindenden Selbst wird durch diese Empfindungen entweder ruhig oder unruhig gemacht. Allein, die Natur hat es auf eine Art, die sich nicht erklären lässt, geordnet, daß diese Em pfindungen an die Theile des Körpers oder an den Ort, den sie ehemals einnahmen, verknüpft sind; und man stellt sich den Zufall als etwas vor, das den Körper angeht, und die Würde der Seele nicht verändert. Lasst die Anatomisten von Bewe gungen reden, die sich durch die Nerven bis zu dem Gehirn, oder zu einer Drüse, dem Sitz der Seele, fortpflanzen: wenn der Finger abgelöset wird: so wird der Schmerz eben so gewis, als er überhaupt empfunden wird, in dem Finger, oder an dem Or te, da der Finger war, empfunden. Die Natur hat es so eingerichtet, daß ein Zufall, der den Kör per betrift, die moralische Vortreflichkeit der em pfindenden Person weder vernichten, noch schwä chen kan; wenn auch gleich die Empfindungen sol che Zufälle anzeigen, welche die Vernichtung des
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und Begriffe von seiner Natur. 313(Neunter Abschnitt.) ganzen Körpers nach sich ziehen. Ja, einige Em pfindungen dieser Art erhöhen vielmehr die persön liche Würde; und hingegen wird dieselbe durch ei nige Empfindungen des Vergnügens geschwächt. Allein, es giebt eine dritte Art von Empfindungen, wenn wir uns bewust sind, daß wir Wissenschaft, ein gutes Herz, Treue, Rechtschaffenheit, eine Nei gung, andern Gefälligkeiten zu erzeigen, einen Ab scheu gegen sinnliche Vergnügungen, eine Aufmerk samkeit auf das allgemeine Wohl besitzen. Wir fühlen, daß dieses unmittelbare Eigenschaften dieses Selbst, und die persönlichen Vollkommenheiten sind, in welchen die ganze wahre Würde desselben besteht; gleichwie die Schande desselben in den ent gegengesetzten Eigenschaften liegt. Wir kennen diese Eigenschaften, und ihre Nahmen eben sowohl, als Dinge, die in die Sinne fallen: wir fühlen, daß sie mit dem Körper in keiner Verknüpfung ste hen, und weder Theile, noch Ausdehnung, noch Fi gur haben, noch einen Raum einnehmen. Die Natur hat uns also von einem Geiste, der von dem Körper unterschieden ist, und denselben beherrscht, indem er ihm Bewegungen vorschreibt, einen eben so deutlichen Unterricht gegeben, als sie uns unter richtet hat, daß unsre Körper von den äusserlichen Gegenständen unterschieden sind. Ja, sie unter richtet uns von einem grössern Unterschiede, von der Unähnlichkeit des Wesens; da alle Eigenschaften der Seele von einer ganz andern Art sind, als die Eigenschaften der Materie; und da alle Wesen blos durch ihre Eigenschaften erkant werden.
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(Erstes Buch.) 314 Die Pflichten gegen Gott XV.GOtt hat durch die Einrichtung unsrer (Beweife<Beweise> eines künfti gen Znstan des<Zustandes>.) Natur, und durch das uns mitgetheilte morali sche Gefühl sattsam zu erkennen geben, daß er sich der Sache der Tugend, und der allgemeinen Glückseligkeit annimmt. Die Tugend wird, bey vielen Gelegenheiten, in dieser Welt unterdrückt und niedergeschlagen. In solchen Fällen machen uns unsre besten Eigenschaften um andre bekümmert, und die Tugend sezt uns zuweilen den grössten äus serlichen Uebeln aus. Wir müssen von der Güte Gottes hoffen, daß der Rechtschaffene und Un glückliche eine Vergeltung erhalten, und daß der Beleidigende und Unterdrückende Ursache haben wer de, seine Widerstrebungen wider den Willen einer gütigen Gottheit zu bereuen. Gott hat kei nen Mangel an Macht; keinen Neid, keine übeln Gesinnungen. Sollen Wesen von solchen edlen Kräften, die es in den Vollkommenheiten, welche Gott billigt, so weit gebracht haben, und die Un sterblichkeit verlangen und hoffen, ihre anständig sten Hofnungen fehl schlagen fehen<sehen>? Jhre Hof nungen, welche, zu einem vollkommenen Vergnügen an der Tugend, in dieser Welt nothwendig sind, weil sie ohne dieselben, bey dieser Ungewisheit der menschlichen Begebenheiten, sowohl von ihrem eige nen Zustande, als von dem Zustande der theuersten und würdigsten Gegenstände ihrer besten Neigun gen, wenig Freude erwarten können. Soll der Plan dieses Ganzen, der in allen andern Betrach tungen so vortreflich ist, in einem Theile, wodurch er erst ganz vollkommen wird, mangelhaft seyn? Beschuldiget nicht diese Voraussetzung Gott einer
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und Begriffe von seiner Natur. 315(Neunter Abschnitt.) Grausamkeit und Ungerechtigkeit, da er gewollt hat, daß die Tugend die höchste Glückseligkeit, und das Laster das grösste Elend seyn soll? Sollen wir von der ursprünglichen allmächtigen Güte nichts weiter erwarten, als was wir, selbst bey ei nem Menschen, für einen geringen Grad der Tugend halten, nämlich blos die Ausübung des Guten, welche nöthig ist, um der Beschuldigung einer Un gerechtigkeit zu entgehn? Wie weit wird dieselbe von der überfliessenden Gütigkeit vieler edelmüthi gen Menschen übertroffen? Und wie wenig stimmt dieses mit dem Verhalten der milden Hand überein, die alles, was da lebt, mit Wohlge fallen sättiget? Wenn es in dem Ganzen vernünftige han delnde Wesen giebt, welche des Abfalls von ihrer Rechtschaffenheit fähig sind, welche den menschli chen Begebenheiten zusehen, welche, von der Ver ordnung der Gesetze, Bewegungsgründe zu der Be ständigkeit nöthig haben: wenn solche Wesen das äusserliche Glück der Gottlosen wahrnehmen, wenn das verhärtete Gewissen derselben keine innern Vorwürfe empfindet, wenn sie in dem Ueberflus aller Vergnügungen, die sie nur wünschen, leben, und, frey von aller künftigen Bestrafung, in ei nem Augenblick in das Grab hinabgehn: wie sehr mus dieses unvollkommene Zuschauer zu Ausübung des Lasters ermuntern? Mus nicht eine solche Freyheit von der Strafe der Uebertreter das Ansehn und die Macht der göttlichen Gesetze vernichten? Gemüther von edlern Empfindungen sehen wirklich,
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(Erstes Buch.) 316 Die Pflichten gegen Gott daß die Lasterhaften die höchsten Vergnügungen des Lebens verloren haben; allein die Lasterhaften haben keinen Geschmack daran, sie bedauern den Verlust derselben nicht, und taumeln in ihren Lü sten fort. Kan eine solche Freyheit von der Be strafung mit den weisen Endzwecken der Regierung, mit der Verbesserung und Sinnesänderung derjeni gen, welche in einem hohen Grade lasterhaft waren, wohl übereinstimmen? Was für Wirkungen kön nen sie haben, wenn die Menschen sich für keiner Zukunft zu fürchten brauchen? Wenn man ein noch unvollendetes Gebäude sieht, dessen verschiedene Theile eine ungemeine Kunst verrathen, an welchem aber noch ein anderer Theil fehlt, um es vollkommen und bequem zu machen; wenn für diesen Theil Raum gelassen worden, und auch einige Anzeigen vorhanden sind, daß man die Vollendung des Baues zur Absicht gehabt hat: wird nicht alsdenn ein billiger Zuschauer den Schlus machen, daß dieser ermangelnde Theil auch in dem Plan des Baumeisters enthalten war, ob gleich einige Ursachen die Vollführung gehindert haben? Dieses ist der Fall in der moralischen Welt. Der Bau ist vortreflich, aber noch nicht vollendet. Wir bemerken, daß Raum für einen weitern Bau vorhanden ist, und wir finden von der Absicht, ihn zu vollenden, hinlängliche Merkma le in dem Verlangen und den Hofnungen aller Al ter und Nationen, in unserm natürlichen Gefühl der Gerechtigkeit, und in unsern edelsten und allge meinsten Neigungen gegen andre, und gegen das
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und Begriffe von seiner Natur. 317(Neunter Abschnitt.) Ganze; und sollen wir auch nicht zu der Kunst, der Güte, und dem unerschöpflichen Reichthum des grossen Baumeisters, Vertrauen und Hofnung haben? Da die Ueberzeugung von der Güte Gottes der grosse Grund unsrer Glückseligkeit und die vor nehmste Stütze der Tugend ist: so haben wir uns bey dieser Materie lange aufgehalten, ob wir gleich mehr die Qvellen<Quellen> der Ueberzeugung angezeigt, als sie in ihr völliges Licht gesetzet haben. Wir müs sen die andern Eigenschaften des höchsten Geistes noch kürzlich berühren, damit nicht einige irrige Meinungen von denselben die tiefe Verehrung und Bewunderung, die wir seiner Vortreflichkeit schul dig sind, schwächen möge. XVI. Alle diejenigen Gründe, welche bewei(Die andere Eigenschaft Gottes. Ein Geist.) sen, daß ein denkendes Wesen eine, von der Mate terie unterschiedene Substanz sey, beweisen auch, daß Gott ein Geist, und nicht die grosse materiali sche Masse dieses Ganzen ist; da alle Beweise sei nes Daseyns, Beweise von einer ursprünglichen Kraft zu denken, von Weisheit, Bewustseyn, Thä tigkeit, und von Neigungen, und folglich von solchen Kräften sind, die mit der Natur der Materie sich nicht vertragen. Indem wir ihn einen Geist nen nen, müssen wir nicht in den Gedanken stehen, als ob er mit der menschlichen Seele, von gleicher Art, und nur grösser sey. Obgleich alle denkende We sen, der Art nach, von der Materie unterschieden sind: so können doch unzählbare Ordnungen oder Arten von Geistern seyn, welche alle wesentlich von
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(Erstes Buch.) 318 Die Pflichten gegen Gott, einander unterschieden sind, von dem niedrigsten Geiste des Lebens in dem geringsten Thiere an, bis zur unendlichen Gottheit. (Unendlich.) Ferner, was ursprünglich und selbstständig ist, kan seiner Natur nach, weder durch seine eige ne Wahl, noch durch den Willen einer vorhergehenden Ursache, auf einen besondern endlichen Grad der Vollkommenheit, oder auf die Vollkommenheiten einer Art, mit Ausschliessung der übrigen, einge schränket seyn. Kein möglicher Grund, keine mög liche Ursache kan angegeben werden, warum es die se Arten und diese Grade, und nicht vielmehr andre, besitzen solle. Wir sehen aus den Wirkungen, daß die ursprünglichen Vollkommenheiten weit über unsre Einbildungskraft erhaben sind, und es war kein vorgängiger Wille, keine vorhergehende Wahl eines Wesens vorhanden, durch welche es, auf eine Art oder einen Grad, hätte können eingeschränket werden können. Dieses führt uns zu der Vorstel lung eines ursprünglichen gränzenlosen Oceans aller Vortreflichkeit und Vollkommenheit, woraus alle eingeschränkte Vollkommenheiten hergeleitet wor den sind. (Einzig.) Eben diese Betrachtungen führen uns an, uns das ursprüngliche Wesen als einzig, und als un zusammengesezt von verschiedenen Wesen oder Thei len, vorzustellen. Kein möglicher Grund, keine Ursache kan angegeben werden, warum eben diese Anzahl ursprünglicher Geister, und nicht viel mehr eine andre vorhanden seyn müsse. Keine Wirkungen sind anzutreffen, welche mehrere voraus
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und Begriffe von seiner Natur. 319(Neunter Abschnitt.) sezten, und nicht durch eine ursprüngliche Ursache erklärt werden könten. Ja alle Verknüpfungen, die Abhängigkeit der Theile von einander, die Gleich heit des Baues, in Dingen, die weit von einander entfernt sind, führen uns zu der Einheit der Absicht und Macht. Dieses beweist genugsam, wie un gegründet die Vielgötterey ist, woferne jemals einige die Mehrheit ursprünglicher Geister ge glaubt haben. Die weisern Heyden hatten eine andere Vielgötterey; und unter dem gemei nen Volke entstand sie von der Meinung, als ob die Gottheiten schwach und unvollkommen, und der Zerstreuung und Verwirrung durch eine Men ge von Sorgen unterworfen wären, und, gleich den Menschen, beunruhiget würden, wenn sie zu viel un ternähmen. Ein allmächtiges und allwissen des Wesen kan, ohne Mühe und Verwirrung, al les regieren. Die ununterbrochene Macht, welche sich, in al(Allgegen wärtig.) len Theilen des Ganzen, äussert, und die uneinge schränkte Natur des ursprünglichen Wesens führt uns auf die Vorstellung, daß er eine solche Allgegenwart und Unermeslichkeit besitzen müs se, wie sie zu einer allgemeinen Erkäntnis und Hand lung erfordert wird. Und derjenige, welcher ur sprünglich ist, mus auch ewig seyn. XVI. Aus der Macht, Weisheit und Güte(Gott ord net alles durch seine Vorsehung.) schliessen wir, daß Gott eine allgemeine Vorsorge ausübet. Einem Wesen, welches diese Vollkom menheiten besizt, kan der Zustand eines Ganzen, voll so vieler Geschöpfe, die fähig sind, glücklich
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(Erstes Buch.) 320 Die Pflichten gegen Gott, oder elend zu werden, nicht gleichgültig seyn. Die Güte mus dasselbe bewegen, seine Macht und Weis heit in der Regierung des Ganzen, welche auf den besten Endzweck, die allgemeine Glückseligkeit, ab zielet, zu erkennen zu geben. Wir können uns kei ne Uebung seiner Kräfte vorstellen, die Gott anstän diger und würdiger wäre, oder ihm mehr Vergnü gen brächte. (Die Güte ist die Ursa che der Schöpfung.) Was für ein andrer Bewegungsgrund zur Schöpfung kan vorhanden seyn, als ein Verlan gen, Vollkommenheit und Glückseligkeit mitzuthei len? Man kan sich nicht vorstellen, daß Gott die Ehre, welche ihm Geschöpfe erzeigen, die unendlich weit unter ihm sind, zu seinem lezten Endzweck ma chen könne. Alles Verlangen nach Ehre sezt vor aus, daß vorhero etwas vortrefliches wahrgenom men worden, oder daß eine Bestimmung seiner Natur, oder eine Neigung, der wesentliche Gegen stand seines Beyfalls sey: und was für eine andre Bestimmung können wir für den Gegenstand sei nes höchsten Beyfalls annehmen, als eine voll kommene Güte, die ihn immer veranlasst, die Glück seligkeit mitzutheilen. Diese Bestimmung mus ihn bewegen, seine eigenen Vortreflichkeiten seinen vernünftigen Geschöpfen, durch seine Werke zu ent decken, damit er auf diese Art für sie die Quelle der höchsten Glückseligkeit, der edelste Gegenstand ih rer Betrachtung und Verehrung, ihrer Liebe, Ach tung, Hofnung und festen Zuversicht und das beste Vorbild zu ihrer Nachahmung seyn möge. Gott entdeckt seine Vollkommenheiten, um seine Geschöpfe, durch die Erkäntnis und Liebe derselben, glück
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und Begriffe von seiner Natur. 321(Neunter Abschnitt.) lich zu machen; und nieht<nicht> in der Absicht, durch ihr Lob und ihre Bewunderung sich eine neue Glückse ligkeit zu verschaffen. Die Weisheit und Güte Gottes beweist(Die Heilig keit der Gott heit.) uns seine moralische Reinigkeit und Heiligkeit. Da er unabhängig, allmächtig und weise ist: so kan ihm nichts fehlen. Er kan keine Privatab sichten haben, die dem allgemeinen Guten zuwider wären; er kan auch keine niedrigen Begierden und Leidenschaften haben. Dieses sind die Anreizun gen zum moralischen Uebel alle, die wir uns vor stellen können. In Gott kan keine davon, und überhaupt nichts statt finden, das der allgemeinen Güte, an welcher er den höchsten Wohlgefallen ha ben mus, entgegen seyn könne. Sein Verhalten gegen seine Geschöpfe mus(Die Ge rech-tigkeit<Gerechtigkeit> Gottes.) seiner Güte und Weisheit gemäs seyn. Seine Gesetze müssen gut und gerecht seyn, und mit dem Vortheil und der Vollkommenheit des Ganzen übereinkommen. In ihm kan keine parteyische Zärtlichkeit gegen unwürdige Lieblinge angetroffen werden, welche neben dem allgemeinen Guten, oder dem heiligen Ansehn seiner Gesetze, nicht bestehen kan. Keine Privatabsichten können die Vollzie hung ihrer Verordnungen hemmen, so lange sie der allgemeine Vortheil und die Unterstützung der Ma jestät dieser Gesetze erfordert. Es ist keine unge rechte Parteylichkeit, daß einige Menschen viele Vor theile vor andern empfangen haben. Wir haben oben gezeigt, daß dieses die beste Ordnung und Har monie des Ganzen erfordern kan. Dieses sind die
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(Erstes Buch.) 322 Die Verehrung der Gottheit. natürlichen Begriffe von der Gerechtigkeit in einem moralischen Beherrscher. Eine mit Weisheit verknüpfte Güte mus den Beherrscher zu einem solchen Verhalten bestimmen, welches das Ansehn und den Einflus seiner Gesetze auf das allgemeine Beste unterstützen kan.
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Der zehnte Abschnitt. Die Neigungen und Pflichten und die Ehrfurcht gegen Gott.

(Welche Neigungen der göttli chen Voll kommenheit gemäs sind.) I.Bey der Betrachtung der verschiedenen Ver gnügungen unsrer Natur haben wir die öftere Gelegenheit gezeigt, welche den Menschen vor komt, zu der göttlichen Vorsehung ihre Zuflucht zu nehmen, um ihre Vergnügungen sicher zu stellen, und, mitten unter den Wiederwärtigkeiten dieses Lebens, welche entweder uns selbst, oder die Gegen stände unserer zärtlichsten Neigungen befallen, die Ruhe der Seele zu befestigen. Wir haben in dem vorhergehenden Abschnitt den grossen Grund unsrer Glückseligkeit, das Daseyn und die moralischen VollkommenheitenGottes und seine Vorsicht fest gesezt. Es ist noch übrig zu betrachten, was uns gegen die Gottheit, von der eine jede aufmerksame Seele so überflüssig überzeugt seyn mus, für Neigun gen und Pflichten obliegen. (Dieses wird durch das morali sche Ge fühl erkant.) Hierbey ist unser moralisches Gefühl von grösserm Nutzen, als bey irgend einer andern Gele genheit. Es bestimmt nicht nur die Neigungen, welche diesen Vollkommenheiten gemäs sind, son
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Die Verehrung der Gottheit. 323(Zehnter Abschnitt.) dern es empfiehlt und gebietet sie auch als solche, die zu einem guten Character schlechterdings erfordert werden; und es verdammt den Mangel derselben eben so wohl, als die Abwesenheit der Neigungen gegen unsre Nebengeschöpfe. Ja es zeigt, daß die Neigungen gegen Gott, aus einer heiligern Ver bindlichkeit, herrühren müssen. Das moralische Gefühl selbst scheint der besondre Theil unsrer Na tur zu seyn, welcher am meisten geschickt ist, diese Uebereinstimmung einer jeden vernünftigen Seele mit der grossen Quelle unsers Wesens und aller Vollkommenheiten, zu befördern, da es alle mora lische Vortreflichkeit unmittelbar billigt, die Seele mit der Liebe derselben erfüllt, und dieser Liebe, als der höchsten Vortreflichkeit der Seele, Beyfall giebt. Diese Liebe ist in dem System von unge meinem Nutzen, weil die Bewunderung und Liebe der moralischen Vollkommenheit ein natürlicher Bewegungsgrund zu der Ausübung aller Tu genden ist. Die Verehrung, welche wir den göttlichen(Die Ver ehrung ist entweder in nerlich oder äusserlich.) Eigenschaften schuldig sind, ist entweder innerlich oder äusserlich. Die erstere besteht in den Empfin dungen und Neigungen der Seele; die leztere aber in dem natürlichen Ausdruck derselben. Unsre Pflicht, in Absicht auf die natürlichen(Was wir den natürli chen Voll kommenhei ten schuldig sind.) Eigenschaften Gottes, ist, durch öftere Betrach tungen die höchste Bewunderung dieses unermes lich grossen ursprünglichen Wesens, von wel chem alle andre abstammen, in uns rege zu machen und zu unterhalten; und alle niedrige Vorstellun
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(Erstes Buch.) 324 Die Verehrung der Gottheit. gen, welche unsre Ehrfurcht vermindern könten, alle Begriffe von der Gottheit, als ob sie einge schränkt, körperlich, einer thierischen oder menschli chen Gestalt ähnlich sey, und nur einen gewissen Ort einnehme, alle Meinungen von ihr, welche ih rer unendlichen Macht und Vollkommenheit und ihrem ursprünglichen unabhängigen Daseyn wider sprechen, von uns zu entfernen. (Die Nei gungen, wel che wir den moralischen Vollkomen heiten<Vollkommenheiten> schul dig sind. Liebe, Ach tung und Ehrfurcht.) II. Eine gebührende Aufmerksamkeit auf die moralischen Eigeschaften<Eigenschaften> mus die höchste mögliche Achtung und Liebe und Dankbarkeit in uns rege machen. Eine unwandelbare Güte von dem wei testen Umfange ist der unmittelbare Gegenstand des Beyfalls, der Liebe und Achtung. Wenn Weis heit und Macht mit ihr verbunden sind: so errei chen Liebe und Achtung und Bewunderung die höch ste Stufe. Sie müssen die eifrigste Bemühung zu gefallen, die grösste Sorgfalt, alle Beleidigungen zu vermeiden, hervorbringen, und in dem Bewust seyn einer Uebereinstimmung mit dem Willen eines Wesens, welches solche Vollkommenheiten besizt, die höchsten Vergnügungen gewähren. Wenn wir uns bewust sind, daß wir ihn beleidigt haben: so müssen sie unsre Seelen nicht nur mit der Furcht der Strafe, sondern auch mit innerer Unruhe, mit aufrichtiger Schaam und Betrübnis, und mit ei nem Verlangen nach der Besserung, erfüllen. (Vertrauen und Erge bung in den Willen Got tes.) Eine feste Ueberzeugung von diesen göttlichen Vollkomenheiten<Vollkommenheiten> erzeugt Vertrauen, die Uebergebung in seinen Willen, und eine Geneigtheit, sich allem, was die Vorsehung geordnet hat, gänzlich zu unterwerfen,
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Die Verehrung der Gottheit. 325(Zehnter Abschnitt.) in der gewissen Ueberredung, daß alles auf das Beste geordnet sey, und auf die grösste Glückseligkeit des Ganzen sowohl, als eines jeden tugendhaften Men schens, abziele. Die uneingeschränkteste Güte mus den besten Zustand des Ganzen verlangen; die All wissenheit mus die Mittel entdecken; und die All macht mus sie anwenden. Ein jedes Ding wird in dem Orte, den Gott ihm angewiesen, oder ein zunehmen erlaubt hat, schätzbar; wo nicht allemal an sich selbst, doch durch den Glauben, und die Ue berzeugung, daß es zu den Absichten der unendlichen Güte und Weisheit nöthig sey. Wir wissen, daß die Absichten der Gottheit zum Theil durch die thä tigen Tugenden edelmüthiger Menschen ausgefüh ret werden, und daß in diesen Tugenden ein grosser Theil ihrer höchsten Vollkommenheit und Glückse ligkeit besteht. Unsre Abhängigkeit von der gött lichen Macht und Güte wird dahero keine von un sern liebreichen und tugendhaften Unternehmungen hindern, sondern uns vielmehr durch die angeneh me Hofnung eines glücklichen Erfolgs, aufmun tern und unterstützen. Eben diejenige Zuversicht, eben dasjenige Vertrauen, welches wir in Abficht<Absicht> auf uns selbst und unsern eignen Vortheil, ausü ben, müssen wir auch in Ansehung derjenigen, wel che uns, durch tugendhafte Verbindungen, lieb sind, oder in Absicht auf eine würdige Sache, die uns oder andre betrift, ausüben; daß sie nämlich in diesem Leben glücklich von statten gehen, oder zu der künftigen Ehre und Glückseligkeit derjenigen, die sich ihrer angenommen haben, gereichen werde.
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(Erstes Buch.) 326 Die Verehrung der Gottheit. III. Richtige Begriffe von der Schöpfung (Dankbar keit und De muth gegen Gott, und Mitleiden gegen unsern Nächsten.) und VorsehungGottes müssen die höchsten Em pfindungen der Dankbarkeit hervorbringen, müssen alle Eitelkeit, vor seinem Angesicht, und alle Ver achtung anderer unterdrücken, und wahre Demuth erzeugen. Alles Gute, das wir geniessen, alle Belustigungen der Sinne, alles Vergnügen an der Harmonie und Schönheit, sind alles Wohlthaten, die uns Gott erwiesen hat. Seiner Macht sind wir unser Wesen, diese Gegenstände, und die Em pfindungskräfte, wodurch wir sie geniessen, schul dig. Wenn wir unsre Thätigkeit zu der Verbesse rung dieser Gegenstände, oder zu Ausbildung un sers eigenen Geschmacks anwenden: so war es Gott, der uns alle unsre Kräfte, alle unsre Geschicklichkeit verliehen, und uns zur Uebung derselben Gelegen heiten dargeboten hat, und der uns dafür so ange nehm belohnet. Alle Freuden, die wir in einer erwiederten Liebe empfinden, alle Vortheile, welche wir von dem Beystand unsrer Nebengeschöpfe er halten, sind wir Gott schuldig, welcher die Seele des Menschen erschaffen, ihr solche Neigungen mit getheilet, und sie alles desjenigen, was nur in ihr der Gegenstand der Liebe seyn kan, fähig gemacht hat. Er gab allen beseelten Geschöpfen, Thieren und Menschen, ihre Kräfte, Sinnen, Triebe und Nei gungen. Er knüpfte die Seelen der Menschen mit den zärtlichen und geselligen Banden zusammen, welche die Triebfedern aller liebreichen Handlungen sind. Die äusserlichen Vortheile, welche wir ein ander, durch unsre thätigen Tugenden, verschaffen, hätte uns Gott, durch seine Macht, unmittelbar
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Die Verehrung der Gottheit. 327(Erster Abschnitt.) mittheilen können, ohne daß unsre Handlungen da bey nöthig gewesen wären; allein seine Gütigkeit war so gros, daß er uns einen Theil des göttlichen und würdigen Vergnügens, andern Gutes zu thun, geniessen lassen wollte; und durch die Ausübung unsrer liebreichen Neigungen, und durch das mora lische Gefühl, theilen wir dasselbe mit ihm. Die Freuden, welche wir fühlen, wenn wir von unsern Nebengeschöpfen geehrt werden, sind auch seine Ga ben, weil er uns dieses Gefühl der moralischen Vor treflichkeit, und dieses natürliche Vergnügen, wel ches wir über den von andern erhaltenen Beyfall empfinden, eingepflanzet hat. Alle Vergnügungen der Erkäntnis, alle Wir kungen der Kunst, sind wir demjenigen schuldig, der uns mehr gelehrt hat, als die Thiere auf dem Felde, und uns weiser gemacht hat, als die Vögel unter dem Himmel. Jhm sind wir schuldig, daß wir die Schönheiten, die liebreichen Absichten und die Weisheit in seinen Werken ent decken, und auf diese Art die Spuren seiner Weis heit und Güte verehren können. Jhm sind wir schuldig, daß wir die moralischen Schönheiten, die Neigungen und das Verhalten, welches ihm gefäl lig ist, und der göttlichen Schönheit am nächsten komt, einsehen; daß wir seine Vollkommenheiten entdecken und sie wahrnehmen; und daß unsre Seelen, durch ein gänzliches Vertrauen auf ihn und auf seine Vorsorge, einer sichern Ruhe geniessen können. Durch die Vernunft, mit welcher er uns begabt hat, unterhält er sich mit uns, versichert
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(Erstes Buch.) 328 Die Verehrung der Gottheit. uns seines Wohlwollens, und giebt uns die lieb reichsten Vermahnungen. Vermittelst der uns eingepflanzten Neigungen der Achtung, Liebe und Dankbarkeit, macht er uns fähig, Freundschaft mit ihm zu pflegen. Also ist unsre ganze Glückselig keit und Vortreflichkeit ein Werk seiner Güte. Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Nahmen sey Ehre. (Die Uebung dieser Nei gungen ist uns, nicht Gott, nöthig.) IV. Es wird umsonst behauptet, „daß diese ehrfurchtsvollen Neigungen, vergeblich und unnütz wären, weil Gott ihrer nicht bedürfe, und weil sie seine Glückseligkeit nicht vermehren.“ Sie sind die vornehmsten Vergnügungen vernünftiger See len, im Glück ihre höchste Freude, und im Unglück ihre angenehmste Zuflucht. Das vernünftige Herz giebt sich selbst keinen Beyfall, wenn sie ihm feh len; oder, wenn es sie nicht seinen vornehmsten Freuden vorzieht. Ohne Liebe, Freundschaft, Dankbarkeit ist das Leben ein trauriger ekelhafter Zustand. Diese Neigungen, wenn sie erwiedert werden, sind desto angenehmer, je vortreflicher ihre Gegenstände sind. Was für eine unwandelbare und entzückende Freude mus ein Leben begleiten, wel ches in einer beständigen Empfindung der göttlichen Gegenwart, in der höchsten Liebe, Bewunderung nnd<und> Dankbarkeit, in der festen Ueberzeugung, daß man von demjenigen, der unendlich vollkommen und allmächtig ist, geliebet und geschützet werde, zugebracht wird.
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Die Verehrung der Gottheit. 329(Zehnter Abschnitt.) Was kan, ohne dieses Vertrauen auf Gott, sicher genennt werden? Unsre Körper, und alle äusserliche Dinge, sind offenbar ungewis, und der Wohlstand unsrer Freunde und aller Gegenstände unsrer liebreichen Neigungen ist es ebenfalls. Auch ihre Tugenden, ob sie gleich unter die dauerhaf testen Dinge des Lebens gehören, sind vor der Veränderung nicht sicher. Einige Zufälle können ihrer Vernunft und ihren Tugenden nachtheilig seyn. Nur eine Seele, die sich auf Gott, mit ei nem festen Vertrauen auf seine Vollkommenheiten, überlässt, kan sich endlich alles Glück ver sprechen. In einer jeden guten Gemüthsart müssen ge wisse Neigungen, wenn ihre natürlichen Veranlas sungen vorhanden sind, entstehen, sie mögen nun entweder auf den Zustand des Gegenstandes einen Einflus haben, oder nicht. Ob wir gleich unser eigenes Unvermögen gewahr werden, oder keine Gelegenheit haben, andern Gutes zu erzeigen, oder erkäntlich zu seyn: so mus uns doch eine Gemüths art verhasst seyn, in welcher keine Liebe und Hoch achtung grosser Vollkommenheiten, und keine Dank barkeit für erhaltene Wohlthaten anzutreffen ist. So mus in einem gutgearteten Herzen über den Wohlstand einer geliebten Person, Freude entste hen, ob es gleich dazu nichts beytragen kan, und das Unglück dieser Person mus in ihm Traurigkeit hervorbringen, ob es sich gleich ausser Stande sieht, dasselbe zu entfernen oder zu mildern. Der Man gel dieser Neigungen, wenn so starke natürliche Ur
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(Erstes Buch.) 330 Die Verehrung der Gottheit. sachen vorhanden sind, mus eine Verderbnis der Seele verrathen, welche wir, sobald wir darüber nachdenken, verabscheuen müssen. Diese Neigun gen scheinen unsre Seelen der Gottheit nahe zu bringen, und uns die Vortreflichkeit mitzutheilen, wodurch ihre Werke ihr ähnlich werden; und eine jede reine Seele fühlt ihre Gewalt. (Es ist ohne dieselbe keine gewisse Ruhe oder Glück seligkeit, vor hand) Ja, ohne einen lebhaften Begrif von der Vorsehung Gottes, ohne eine beständige Ergebung in seinen Willen, und einem freudigen Vertrauen auf seine Güte, worinnen die Gottesfurcht vornehm lich besteht, müssen unsre edelsten Neigungen, uns in dieser ungewissen Welt, unangenehmen sympa thetischen Bekümmernissen aussetzen. Allein, eine feste Ueberzeugung von einem allmächtigen, allwis senden und allgütigen Vater, der in diesem Sy stem alles auf das beste ordnet; der geneigt ist, dem Tugendhaften zulezt eine unveränderliche Glückse ligkeit zu gewähren, so viel Uebels ihm auch in in diesem Leben begegnen mag; der weiter kein Ue bel zulässt, als was die vollkommenste Einrichtung erfordert, oder nothwendig mit sich bringt; eine Ueberzeugung von allen diesem, mit ähnlichen unein geschränkten Neigungen in unsern Seelen, mus uns, in allen unsern zärtlichen Besorgnissen, den stärksten Trost gewähren, und unsre Herzen dahin bringen, alles dasjenige, was die höchste Weisheit und Güte verordnet oder zulässt, entweder mit Freuden anzunehmen, oder uns doch wenigstens in aller Gelassenheit dabey zu beruhigen. Wenn unsre Freunde oder Lieblinge gegenwärtig unglück
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Die Verehrung der Gottheit. 331(Zehnter Abschnitt.) lich sind: so erfordert dieses die beste Regierung dieses Staats; weit mehrere von unsern Brüdern und Mitbürgern, die eben so grosse Tugenden besi tzen, sind immer glücklich. Sie haben ihre theuren Freunde, die sich mit ihnen erfreuen; ihre Neigun gen sind eben so zärtlich und liebenswürdig, ihre Tugenden sind eben so schätzbar, als die Neigun gen und Tugenden unsrer Freunde. Wenn die unsrigen in Kummer und Traurigkeit leben: so sind andre, die gleiche Zärtlichkeit und Tugend be sitzen, vergnügt. Ein Geschlecht vergehet, und das andre stehet auf. Das Ganze bleibt immer; und immer so fruchtbar an Tugend Freude und Glückse ligkeit. Von dem kurzen uns bekanten Zeitraum können wir auf das künftige Elend derer, welche izt unglücklich sind, keinen Schlus machen. Wir wis sen nicht, was der immerwährende Lauf der Zeiten denjenigen Personen bringen wird, deren Widerwär tigkeiten und Laster wir beklagen. Die Gedanken von einer ewigen Zukunft, unter einem gütigen Gott, machen, daß uns alles heiter, frölich und herrlich vorkomt. Eine beständige Absicht auf Gott in allen(Fromme Neigungen erhöhen alle Tugend und Freude.) unsern Unternehmungen und Vergnügungen, wird jeder Tugend eine neue Schönheit geben, indem sie dieselbe zu einer Handlung der Erkäntlichkeit und Liebe gegen ihn macht; sie wird unsre Freude, bey allen angenehmen Begebenheiten, erhöhen, wenn wir daraus seine Güte deutlich erkennen werden; sie wird uns eine göttlichere Reinigkeit und Einfalt des Herzens verschaffen, uns alle unsre tugendhaf
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(Erstes Buch.) 332 Die Verehrung der Gottheit. ten Gesinnungen, als von Gott in unsre Herzen gepflanzt, vorzustellen, und alle unsre wohlthätigen Handlungen, für unsre eigentlichen Beschäftigun gen, und für die natürlichen Pflichten, wozu der in seinem Ganzen uns angewiesene Stand uns ver bindet, und für Gefälligkeiten, die wir diesem grossen Vaterlande schuldig sind, anzusehen. Unsre Seelen werden von der eitlen Absicht, von Men schen Ehre und Belohnungen zu erlangen, und von aller stolzen Verachtung unsrer Nebengeschöpfe, die nicht gleichen Antheil an seiner Güte haben, zurück gebracht, und unsre niedrigen Leidenschaften des Zorns und Unwillens werden, in seiner Gegenwart, unterdrückt werden. Unsre Herzen werden vornehm lich nach seinem Beyfall trachten, und wir werden unsern Endzweck erreichen, wenn wir die uns ob liegenden Handlungen, mit Treue und voll Dank barkeit gegen unsern grossen Schöpfer, verrichten; es mögen andre sich gegen uns bezeigen, wie sie nur wollen. Die Jrrthümer, die Unvollkommenhei ten, die Beleidigungen und Verunglimpfungen, oder die Undankbarkeit anderer, werden wir für Veranlassungen der Vorsehung halten, die Tugen den auszuüben, mit welchen uns Gott begabt hat. Wir werden glauben, daß wir uns dadurch, vor sei nem allsehenden Ange<Auge> und vor dem innern Gefühl unsrer eigenen Herzen, mehr Beyfall zuwegebringen, als durch die leichtere Ausübung der Tugend, wel cher keine Hindernisse im Wege stehen. Gleichwie also die ruhige und uneingeschränk teste Bestimmung der Seele gegen die allgemeine
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Die Verehrung der Gottheit. 333(Zehnter Abschnitt.) Glückseligkeit, keinen andern Mittelpunct der Ruhe und Freude haben kan, als die ursprüngliche unab hängige allmächtige Güte: also kan die Seele, oh ne die Erkäntnis und ohne die innigste Liebe und Verehrung derselben, ihre eigene unveränder lichste und höchste Vollkommenheit und Vortref lichkeit nicht erreichen: und unser moralisches Gefühl, welches ein natürliches Vergnügen an der moralischen Vortreflichkeit empfindet, kan sich mit keinem vollkommenern Gegenstande beschäfti gen, als mit dem Wesen, welches die höchste Voll kommenheit und alle ursprüngliche Vortreflichkeit besizt, und die Quelle aller Vollkommenheiten an derer Wesen ist. IV. Die äusserliche Verehrung ist der natür(Die Grün de der äusser lichen Ver ehrung.) liche Ausdruck dieser frommen Empfindungen und Neigungen. Die bekantesten Gründe dazu sind die se: die Uebung und der Ausdruck aller Empfin dungen und Neigungen macht einen tiefen Eindruck, und befestigt dieselben in der Seele. Ferner, Dankbarkeit, Liebe und Achtung sind Neigungen, die nicht verborgen bleiben wollen, wenn sie lebhaft sind; wir sind von Natur geneigt, sie auszudrü cken, wenn sie auch ihrem Gegenstand keine neue Glückseligkeit verschaffen. Es ist offenbar unsre Pflicht, die Tugend und Glückseligkeit unter andern auszubreiten: unsre Verehrung Gottes in der Gesellschaft, unsre dankbare Erzählung seiner Wohl thaten, unsre Erklärung seiner Natur und Voll kommenheiten, der Ausdruck unsrer Bewunderung, Achtung, Dankbarkeit, und Liebe stellt den Gemü
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(Erstes Buch.) 334 Die Verehrung der Gottheit. thern anderer die eigentlichen Bewegungsgründe zu ähnlichen Neigungen vor, und ist, vermöge einer Mittheilung, die in allen unsern Leidenschaften wahrgenommen wird, auf die Erregung dieser Nei gungen in andern, gerichtet. Die auf diese Art in einer Gesellschaft ausgebreitete Gottesfurcht, ist die mächtigste Abhaltung vom Bösen, und sie giebt jeder geselligen Neigung, jeder Verbind lichkeit zu liebreichen Handlungen, eine neue Stärke. (Der na türliche Aus druck der Gottesfurcht) Der natürliche Ausdruck besteht in einer Un terrichtung andrer von den VollkommenheitenGot tes und von der Natur der Gottesfurcht und Tu gend, der grossen Endzwecke seiner Gesetze; in Lob und Dank, in Gebet, in Zuversicht und einer Er gebung in seinen Willen, wodurch wir zu erkennen geben, daß wir seine Vorsicht, für die Quelle al les Guten ansehen; in einem Bekäntnis unsrer Sünden und Unvollkommenheiten; in der Erbit tung seiner verzeihenden Gnade, und seines Bey stands zu der künftigen Besserung unsers Lebens. Wir können noch die feyerliche Anrufung desselben, als des Zeugens und Rächers aller Falschheit, in un sern Betheurungen und Versprechungen, hinzufügen, so oft dieselbe nöthig ist, entweder einige wichtige Rechte unsrer Mitbürger zu befestigen, oder densel ben ein Vertrauen auf unsre Rechtschaffenheit bey zubringen. (Alles die ses wird zu unserm Wachsthum in der Tu gend und) V. Die GlückseligkeitGottes kan durch un ser Lob, unsre Bewunderung, unsern Dank, nicht vermehret werden; unser Bekäntnis kan ihn von nichts unterrichten, das er nicht schon wissen solte;
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Die Verehrung der Gottheit. 335(Zehnter Abschnitt.) und unsre ungestümen Bitten ändern nichts in dem, was er zum Besten des Ganzen beschlossen hatte.(Vollkom menheit er fordert.) Unsre Schwüre machen ihn nicht aufmerksamer, oder mehr geneigt, die Gerechtigkeit auszuüben, und sie geben ihm kein neues Recht zur Bestrafung. Die Anbetung, das Lob, der Dank, das Gebet, vermehren unsre eigene Gottseligkeit, Liebe, Dank barkeit, unsern Abscheu vor dem moralischen Uebel, unser Verlangen nach dem, was wahrhaftig gut ist, und unsre Ergebung in seinen Willen. Wenn diese Gefinnungen<Gesinnungen> und Neigungen in uns lebhaft sind: so sind wir auf das vollkommenste zubereitet, alles zeitliche Glück zu vermehren, und wir können vermöge der Güte und Gnade der göttlichen Vor sicht, darauf hoffen. Die Anrufung Gottes bey Eidschwüren, welche auf eine gewissenhafte Art und in wichtigen Gelegenheiten geschieht, mus uns das tiefste Gefühl von unsrer Verbindlichkeit, redlich zu seyn, und von dem Verbrechen der Falschheit einprägen; und dieses giebt unsern Mitbürgern die grösste Sicherheit, die wir durch Worte geben kön nen. Alle diese Neigungen und Gesinnungen wir ken auf uns selbst, und keinesweges auf die Gott heit, oder ihre Absichten, welche, von Ewigkeit her, alle Veränderungen in unsern moralischen Ei genschaften, die selbst auch unter die Gegenstände ihrer ewigen Weisheit und Macht gehören, vor hergesehn hat. Es ist eine unnöthige Untersuchung, ob eine(Der Ein flus der Re ligion auf die menschliche Gesellschaft.) Gesellschaft von Atheisten bestehen könne? und ob ihr Zustand schlimmer oder besser sey, als der Zu
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(Erstes Buch.) 336 Die Verehrung der Gottheit. stand der Menschen, die einem schändlichen Aber glauben zugethan sind? Die wahre Religion erhö het sowohl die Glückseligkeit einzelner Personen als ganzer Gesellschaften. Wenn ihr die Religion hin wegnehmt: so nehmt ihr die stärksten Bande, die edelsten Bewegungsgründe zur Redlichkeit und zu einer fertigen Ausübung aller geselligen Pflichten, hinweg. Es ist offenbar, daß einige Systemen von Lehrsätzen der Religion, worinnen viel elender Aberglauben anzutreffen ist, doch dem ungeachtet viel nützliche Gebote, Vorschriften und Bewegungs gründe enthalten können, die in den Seelen derje nigen, welche mit den abergläubischen Gebräuchen nichts zu schaffen haben, gute Wirkungen hervor bringen. So werden im Pabstthum viele, von den besten moralischen Grundregeln, und die Lehre, von den künftigen Belohnungen der Tugend, bey behalten, und sie ermuntern viele zu den tugend haftesten Handlungen; dahingegen andre, durch die abergläubischen politischen Grundsätze, welche auf die Erhebung der Geistlichen und auf die Skla verey der übrigen Menschen, der Seele und dem Körper nach, abzielen, zu den schrecklichsten Grau samkeiten verleitet werden. Es ist der Mühe nicht werth, zu bestimmen, ob dergleichen Aberglauben von schlimmern Wir kungen ist, als die Atheisterey. Er kan für Menschen in gewissen Ständen solche Wirkungen haben; allein er kan den übrigen keinen beträchtli chen Schaden zuziehen. Eine Gesellschaft von Atheisten hat man niemals gesehn. Man gebe
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Die Verehrung der Gottheit. 337(Zehnter Abschnitt.) zu, daß der Aberglauben von schlimmern Folgen sey, als die Gottesläugnung; dieses gereicht der Religion zur Ehre. Der beste Zustand der Reli gion ist ungleich glückseliger, als irgend eine Be schaffenheit der Atheisterey; und das Verderben der besten Dinge hat die gefährlichsten Folgen. Die Uebernehmung in nahrhaften Speisen ist schädli cher, als wenn die Speisen weniger nahrhaft sind: verdorbene Weine sind schädlicher, als schlechtes Wasser. Es liegt vernünftigen Seelen ob, nach allen Glückseligkeiten einer wahren Religion zu stre ben, und sich vor aller Verderbnis derselben zu hü ten, ohne zu untersuchen, was für Bewegungs gründe zu gewissen Tugenden übrig bleiben möch ten, wenn der traurige elende Gedanke statt finden könte, daß die Welt unter keiner Vorsicht stehe, sondern dem Ungefähr, und einer blinden absichtlo sen Nothwendigkeit überlassen sey. Eine verderbte Religion ist höchstschädlich; aber eine reine und wahre Religion ist der sicherste Grund aller Glück seligkeit.
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Der eilfte Abschnitt, Der Beschlus dieses Buchs, welcher den Weg zu der höchsten Glückseligkeit un srer Natur zeigt.

Nachdem wir die verschiedenen Quellen der Glück(Die Sum me der menschlichen Glückselig keit.) seligkeit, deren unsre Natur fähig ist, be trachtet, und gefunden haben, daß diejenigen Ver gnügungen, welche aus unsern eigenen Neigungen und Handlungen entstehen, die edelsten und dauer
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(Erstes Buch.) 338 Die höchste Glückseligkeit haftesten sind, nicht aber die Empfindungen, welche wir von äusserlichen Dingen empfangen, die den Körper betreffen, und wobey wir uns nur leidend verhalten müssen; nachdem wir auch die verschie denen Neigungen und Handlungen verglichen ha ben, welche entweder gegen unsre Nebenmenschen, in kleinern oder grössern Systemen, oder aber ge gen die Gottheit ausgeübet werden, deren Natur und grosse Absichten in der Verwaltung des Gan zen, wir uns zu entdecken bemüht haben: nachdem wir gefunden haben, daß, da unser moralisches Gefühl allen allgemeineren Neigungen gegen un sre Nebenmenschen einen höhern Beyfall ertheilt, als den eingeschränktern Neigungen und Leiden schaften, diese allgemeinern Neigungen auch edlere Quellen von Vergnügungen sind, und daß unsre Liebe der moralischen Vortreflichkeit, unsre Erkänt nis, Verehrung und Liebe der Gottheit, welche wir uns als vollkommen gut, weise und mächtig, und als die Quelle aller Güter, vorstellen müssen; eine gänzliche Ergebung in ihren Willen und ihre Vor sorge, die Quelle unsrer erhabensten Glückseligkeit, der grosse Grund aller unsrer Ruhe und Sicher heit seyn mus: so ist es nunmehro klar, daß unsre höchste und vollkommenste Glückseligkeit, vermöge der Lehre der weisesten Männer in allen Altern*, in der vollständigen Ausübung dieser edlern Tugenden, besonders der Liebe gegen Gott, der gänzlichen Ergebung in seinen Willen, und aller untern Tu 28
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unsrer Natur. 339(Eilfter Abschnitt.) genden, welche den höhern nicht entgegen sind; und in dem Genus desjenigen äusserlichen Wohl standes, welchen wir, ohne die Tugeud<Tugend> aufzugeben, erreichen können, bestehen müsse. II. Die Art zu leben also, welche uns das(Das morali sche Ge fühl und die zwo ruhigen Be stimmungen kommen überein in Empfehlung) moralische Gefühl empfiehlt, und die, durch alle billige Betrachtungen unsers wahren Vortheils, be stätiget wird, mus eben diejenige seyn, welche die grosmüthige und ruhige Bestimmung empfehlen würde, eine beständige Bemühung, die allgemeinste Glückseligkeit, welche nur in unsrer Gewalt ist, zu befördern, und so viel gute Pflich(Der Gerech tigkeit.) ten auszuüben, als wir Gelegenheit haben, wenn dieselben keinem allgemeinern Vortheil des Sy stems zuwider sind; eine Geneigtheit, allgemeinere und wichtigere Pflichten denjenigen vorzuziehen, welche eingeschränkter, und nicht so wichtig sind; und eine sorgfältige Enthaltung von allem, was ein unnöthiges Elend in diesem System veranlas sen würde. Dieses ist die Tugend der Gerech tigkeit, welche die Alten zu der höchsten Tugend machen, auf welche die übrigen alle sich gründen. Sie kan auch unsre Pflichten gegen Gott ein schliessen. Da die sinnlichen Vergnügungen die niedrig(Der Mässig keit.) sten sind, und am geschwindesten vorübereilen, und da das Verlangen nach ihnen, vermittelst der un gestümen Gewalt einiger unser thierischen Leiden schaften, die Menschen gemeiniglich von der Bahn der Tugend ableitet: so mus es von der höchsten
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(Erstes Buch.) 340 Die höchste >Glückseligkeit Wichtigkeit seyn, uns von ihrer Niederträchtigkeit zu überzeugen, uns in der Herrschaft über uns selbst und über diese niedrigern Begierden, auf diejenige Art, festzusetzen, welche wir oben, bey der Betrach tung der Natur dieser Vergnügungen, erklärt ha ben. Es ist gleichergestalt nothwendig, durch eine anhaltende Ueberlegung, den wahren Werth der feinern Vergnügungen der Einbildungskraft, zu bestimmen, damit sie, weil sie weit geringer sind, als die moralischen und geselligen Vergnügungen, denselben weichen, so oft sie mit ihnen in unsrer Wahl zusammenkommen. Dieses ist die Tugend der Mässigkeit. (Der Stand haftigkeit.) Es mus ebenfalls nöthig seyn, den Werth dieses Lebens und die verschiedenen Arten von Uebeln, welchen wir ausgesetzt sind, richtig zu beurtheilen. Wenn moralische Uebel, und einige sympathetische Leiden schlimmer sind, als äusserliche, und uns, wie wir oben gezeigt haben, mitten im Ueberflus ande rer Dinge, verunehren und unglücklich machen können; wenn das Leben, von der besten Seite be trachtet, nur ein ungewisser Besitz ist, den wir verlieren können: so werden wir etwas gewahr werden, das furchtbarer ist, als der Tod, und wir werden Gründe finden, aus welchen es bey gewis sen Gelegenheiten unser Vortheil seyn kan, unser Leben zu wagen. Wenn der Tod alle Gedanken völlig endigte: so würde zwar alles Gute aufhö ren; allein, es könten auch keine Uebel weiter erfolgen.
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unsrer Natur. 341(Eilfter Abschnitt.) -- -- num triste videtur Quicquam? nonne omni somno securior extat? Da wir aber auch nach dem Tode, unter einer güti gen Vorsehung, daseyn werden; so ist dieses ein herr licher Bewegungsgrund zur Standhaftigkeit in ei ner jeden würdigen Sache. Was für eine Stärke der Seele mus nicht diese Hofnung jedem Tugendhaften bey der Furcht vor dem Tode, oder vor einigen Uebeln, die ihn befördern, verleihen? Dieses ist die drit te Tugend. Die Klugheit ist die Fertigkeit, auf die Natur der verschiedenen Gegenstände, welche un sre Begierden erregen können, aufmerksam zu seyn. Sie führt uns zu einer genauen Untersuchung an, wie wichtig sie an sich selbst sind, und was für Fol gen sie entweder in Ansehung der grössern besondern Glückseligkeit des einzelnen Wesens, oder in Ab sicht auf die Glückseligkeit des Systems, haben können. Diese Tugend wird einigermassen von der Uebung der andern drey vorausgesetzet, und sie wird gemeiniglich in der Ordnung zuerst genennet: ob gleich die Gerechtigkeit die höchste ist, aus wel cher die andern alle herfliessen. Wir wollen uns aber hierbey nicht aufhalten. Die eigentlichen Betrachtungen, und die Mittel, diese vier Tugen den zu erlangen, müssen aus demjenigen zu erken nen seyn, was oben von der Vergleichung der ver schiedenen Arten von Guten und Uebel, und von den höchsten Vergnügungen unsrer Natur gesagt worden ist.
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(Erstes Buch.) 342 Die höchste Glückseligkeit III. Viele werden durch unbedachtsame Vor (Jrrthümer.) urtheile abgehalten, ihre Seelen zu bilden, und sie zu allen Tugenden geschickt zu machen. Wir wer den von der schimmernden Ehre verblendet, welche gewisse grosse glückliche Unternehmungen in höhern Ständen begleitet. Wir können zugeben, daß diese Tugenden das edelste Vergnügen gewähren, allein sie sind zu hoch, als daß viele sich zu ihnen emporheben könten. Ja, so gar Personen von ho hem Stande verzagen, wenn sie keine unumschränk te Gewalt besitzen. Die Gemüthsbeschaffenhei ten und die Thorheiten, oder die verderbten Ein bildungen anderer, verhindern alle ihre guten Ab sichten. Sie werden unwillig, wenn ihnen diesel ben fehlschlagen, und hören auf, sich nach der Tu gend zu bestreben, weil sie an dem schätzbaren Ver gnügen, das sie begleitet, verzweifeln. Die Seele wider dieses Vorurtheil zu be wafnen, müssen wir uns erinnern, daß die Wirk lichkeit und Vollkommenheit der Tugend, und die in einer ruhigen Seele darüber entstehende Zufrieden heit, nicht von dem äusserlichen Fortgang, sondern von der innern Verfassung der Seele abhängt. Auch mitten in der Ungewisheit, ob unsre Unter nehmungen gelingen, und ob wir Ehre dadurch er langen werden, oder nicht, in der Ausübung der Tugenden, die das allgemeine Beste, oder, wenn wir diese nicht in unsrer Gewalt haben, derjenigen, die eingeschränktere Vortheile befördern, beständig fort zufahren; ein gütiges Verhalten zu beobachten, un
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unsrer Natur. 343(Eilfter Abschnitt.) geachtet man weis, daß es verborgen bleiben wird; sich dem Willen des höchsten Geistes ohne Ausnahme zu überlassen; mit dem uns zugetheil ten Loos vergnügt zu seyn; alle neidische Regungen, und alle Gedanken, die sich wider die Vorsehung empören, zu unterdrücken; den festen Entschlus zu fassen, so lange, bis dieser sterbliche Theil von uns in die Erde hinabsinken wird, von der er genom men ist, auf der Bahn, die uns Gott und die Natur vorgezeichnet hat, standhaft fortzuwandeln; alles dieses mus, in den Augen des allsehenden Geistes, und nach dem Urtheil eines jeden weisen Mannes, edler und erhabner seyn, als die glänzendern Tugenden eines guten Glücks. In diesen entdeckt man weniger Reinigkeit und Ein falt, weil die reitzende Vorstellung der Ehre und gewisser Vortheile in dieser Welt, einen grossen An theil an den Neigungen haben, oder für die han delnde Person die vornehmsten Bewegungsgründe gewesen seyn können. Wenn wir zweifeln, ob wir Ehre erlan gen, und ob wir alles Gute, das wir zur Absicht haben, auszuüben fähig seyn werden: so ist es eine erhabene Beschäftigung für die Seele, stets so viele vernünftige und gesellige Handlnngen<Handlungen> auszuüben, als in ihrem Vermögen steht; alle ihre Pflich ten sorgfältig zu beobachten, und das übrige Gott zu überlassen. Wer sagt uns, was für ein grössers Gut zu erreichen ist, wenn alle tu gendhafte Menschen ihre Kräfte auf diese Art
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(Erstes Buch.) 344 Die höchste Glückseligkeit unsrer {et cetera}. anwenden, ungeachtet sie ungewis sind, ob ihnen ihre Unternehmungen gelingen werden, und unge achtet sie vielleicht voraussehen, daß sie sich der Gefahr einer Misdeutung und Verläumdung aussetzen? Oder, wie viel schlimmer würde es um alles stehen, wenn alle Tugendhafte sich von diesen Besorgnissen zurückhalten liessen, und nachlässig würden? Wenn die Tugend, durch die Ueber windung äusserlicher Gefahren und Hindernisse, rühmlicher wird; so mus auch die Ueberwindung dieser innerlichen Abhaltungen, und die auf keine Ehre, auf keinen öffentlichen Beyfall, gegründete Beständigkeit, die Verschmerzung der Undank barkeit derjenigen, welchen wir gedient haben, und die Zufriedenheit mit dem stillen Zeugnis un srer Herzen, und mit der Hofnung des göttlichen Beyfalls, den Werth der Tugend ungemein erhö hen. Auf diese Art kan die erhabenste Vortref lichkeit, und die daraus entstehende Glückseligkeit und innere Freude, auch bey den widrigsten Schick salen, erreicht werden; und kein Stand des Le bens ist von dem Genus des höchsten Gutes aus geschlossen. Ende des ersten Buchs.
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345(Erster Abschnitt.)

Das zweyte Buch. Von den besondern Gesetzen der Na tur und den Pflichten des Lebens, ohne Absicht auf eine bürgerliche Regie rung und andre willkührliche Stände. ------------------------------

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Der erste Abschnitt. Die Umstände, welche das moralische Gute oder Böse der Handlungen vergrössern oder vermindern.

Nachdem wir im vorhergehenden Buche ge zeigt haben, daß die Einrichtung des Le bens, welche Gott und die Natur uns als die rühmlichste und vortheilhafteste für die han delnde Person empfiehlt, diejenige sey, welche den allgemeinen Vortheil des menschlichen Geschlechts, auf die weiseste Art, die uns unsre Vernunft und Ueberlegung nur vorschreiben kan, befördert: so wollen wir nunmehro in diesem Buche zu einer nähern Untersuchung der eigentlichen Mittel, die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts, durch unsre Handlungen, zu befördern, oder, welches ei nerley ist, zu der Untersuchung der besondern Ge setze der Natur, fortgehen. Und hierbey werden wir zuförderst alle diejenigen willkührlichen Stän de und Verknüpfungen, welche durch menschliche Einrichtungen und Handlungen eingeführet wor den, bey Seite setzen, und blos die Verknüpfun
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(Zweytes Buch.) 346 Die Sittlichkeit der Handlungen. gen, welche die Natur zwischen allen gestiftet hat, in Erwägung ziehen. Allein hier wird es nöthig seyn, eine Erklärung der mannichfaltigen Begriffe von den moralischen Eigenschaften vorauszuschi cken, deren Verstand, zu der Lehre von den beson dern Gesetzen der Natur, vor allen Dingen nöthig zu seyn scheint. Dieses soll der Inhalt des ge genwärtigen und der zween folgenden Abschnitte seyn. (Der Grund aller Zurech nung ist, daß die Hand lungen aus Neigungen herfliessen und Beweise der selben sind.) I. Der Grund aller Zurechnung der Handlun gen, als tugendhaft oder als lasterhaft, beruhet da rauf, „daß sie aus einer Neigung in der handeln den Person herfliessen, und also überzeugende Be weise von ihrer Gemüthsart und ihren Neigungen sind.“ Die Tugend, wie wir im vorhergehenden Buche gezeiget haben, besteht vornemlich in den Neigungen. Die höchste Art derselben ist die ru hige und beständige Wohlgewogenheit gegen das gröste System; und die Liebe, Achtung und Dank barkeit gegen Gott, und die Ergebung in seinen Willen, aus einer völligen Ueberzeugung von seinen Vollkommenheiten, und einem beständigen vorzüg lichen Verlangen, der moralischen Vollkommenheit, deren wir uns fähig zu seyn fühlen, immer nä her zu kommen. Die niedrigern Arten sind die be sondern liebreichen Neigungen und Leidenschaften, welche, auf das Beste gewisser Gesellschaften, oder einzelner Personen, abzielen, und neben dem allge meinen Vortheil, bestehen können. Man sollte meinen, dieses könne unter Christen kaum einigem Zweifel unterworfen seyn, nachdem uns die Sum
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Die Sittlichkeit der Handlungen. 347(Erster Abschnitt.) me des Gesetzes bekant gemacht worden, nämlich die Liebe Gottes und unsers Nächstens. Wenn die Tugend nicht in den Neigungen, sondern in einer andern, von dem Willen unterschiedenen Kraft, als in der Vernunft, oder dem Erkänt nisvermögen zu suchen wäre: so würde die Liebe, allem Sprachgebrauch zuwider, eine Wirkung des Verstandes genennet werden müssen. II. Aus dieser Beschreibung ist leicht abzu(Eigenschaf ten und Be schaffenhei ten, welche zu der Sitt lichkeit der Handlungen nothwendig erfordert werden.) nehmen, was für Beschaffenheiten in die Sittlich keit der Handlungen oder Unterlassungen einen Einflus haben, wenn sie entweder das moralische Gute oder Böse in denselben vermehren oder ver mindern; oder Handlungen, die ausserdem böse ge wesen seyn würden, gut; hingegen andre, die ausser dem gut gewesen seyn würden, böse machen. Es ist offenbar, daß keine Handlung, oder Begebenheit, wenn sie nicht für die Folge des gegenwärtigen oder ehemaligen Willens einer Person, anzusehen ist, weder als gut, noch als böse, zugerechnet werden kan. Eben so wenig kan jemanden die Unterlassung einer Hand lung als gut oder böse zugerechnet werden, der sie durch alle seine Bemühungen nicht hätte ver richten können, und der diese Unmöglichkeit wuste. Solche Begebenheiten oder Unterlassungen können weder gute noch böse Neigungen beweisen. Nur diejenigen Begebenheiten werden, in Absicht auf ei ne handelnde Person, nothwendig genennet, wel che diese Person nicht verhindern konte, ungeachtet sie es ernstlich wünschte; nicht aber solche, welche
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(Zweytes Buch.) 348 Die Sittlichkeit der Handlungen. sie, wegen ihrer starken Abneigung oder Fertigkeit, nicht vermeiden kan. Nur diejenigen werden unmöglich genennet, welche sie durch keine Be mühungen hervorzubringen im Stande ist. Wir nennen etwas möglich, das einer, der es ernstlich wünscht, entweder durch seine eigene Kraft, oder vermittelst der Beyhülfe anderer, bewerkstelli gen kan.* (Nothwen dige Bege benheiten sind nicht moralisch.) Nur diejenigen sind nothwendige und aller Zurechnung unfähige Begebenheiten**, welche wir weder durch eine gegenwärtige Bestrebung oder Handlung verhindern können, noch sie durch eine vorhergehende Sorgfalt und Bemühung, die wir in dergleichen Fällen hätten anwenden sollen, ver hindert haben würden. Solche Begebenheiten, welche durch eine vorhergegangene Ueberlegung und Sorgfalt hätten verhindert werden können, unge achtet sie nunmehro unvermeidlich sind, werden für einigermassen willkührlich*** angesehen und uns zugerechnet; sie mögen nun eine freywillige That, oder gewisse natürliche unbeseelte Ursachen voraus setzen. So kan einer, der aus Nachlässigkeit in seinem Amte, Dämme und Ufer eingehen lässt, bey grossen Wassern die Ueberschwemmung nicht ver hindern; und doch wird sie, mit allem Rechte, für willkührlich gehalten, und ihm zugerechnet. Eben so werden die izt unmöglichen Unter lassungen gewisser Handlungen uns mit allem 29 30 31
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Die Sittlichkeit der Handlungen. 349(Erster Abschnitt.) Recht zugerechnet, in so fern sie möglich gewesen wären, wenn wir vorhero den gebührenden Fleis angewendet hätten. Ein unsorgsamer verschwen derischer Mensch kan gegenwärtig seine Schulden nicht bezahlen; weil er aber durch eine vorherge dende ordentliche Lebensart und gute Wirthschaft, den Verlust seiner Gläubiger hätte verhindern kön nen: so wird ihm das Unvermögen zu bezahlen zu gerechnet. In diesen Fällen ist zwar die unvermeid liche Begebenheit oder Unterlassung, wenn sie einem gegenwärtigen starken Verlangen zuwider ist, kein Beweis einer gegenwärtigen bösen Neigung. Al lein die vorhergegangene Nachlässigkeit, welche ei nen verhindert, gerecht zu handeln, setzet einen ehema ligen Mangel an guten Eigenschaften voraus. Und hierinnen liegt eigentlich die Verschuldung. Zwo Per sonen können, in den Augen Gottes und nach dem Ur theil ihres eigenen Gewissens, gleich strafbar seyn, ungeachtet der Ausgang ihres Verhaltens sehr ver schieden ist. Man nehme in beyden eine gleiche Nach lässigkeit an, und daß beyde ausser Stand gesetzt sind, zu bezahlen, allein, daß der eine, durch den unvermutheten Anfall einer Erbschaft, sich vermö gend sieht, seine Gläubiger zu befriedigen; der an dere hingegen unfähig bleibt, seine Schulden abzu tragen, ungeachtet er eben so bereit dazu seyn wür de, als jener. Jhre Vergehungen bleiben immer einander gleich, ungeachtet der eine, durch einen Zufall, seinen Gläubigern keinen Verlust zuzieht. III. Keine entfernten Wirkungen oder Folgen(Welche Wirkungen und Folgen) der Handlungen oder Unterlassungen haben auf ih
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(Zweytes Buch) 350 Die Sittlichkeit der Handlungen. re Sittlichkeit einigen Einflus, wenn sie nicht, durch (zugerechnet werden kön nen.) den Fleis und die Vorsicht, die wir von tugend haften Menschen erwarten, haben vorhergesehen werden können; denn alsdenn kan man von ihnen auf die Gemüthsart der handelnden Person keinen Schlus machen. Aus eben dieser Ursache können einige glückliche Wirkungen, die man nicht zur Ab sicht gehabt hat, die moralische Güte einer Hand lung nicht vermehren; aber eine böse Handlung wird durch alle übele Folgen, welche eine Person von der Behutsamkeit, die aus guten Neigungen natürlicher Weise entstehet, wahrgenommen haben würde, noch schlimmer, obgleich die handelnde Person dieselben nicht vorhergesehn hat. Sie beweisen zwar keine unmittelbare böse Absicht; allein das morali sche Böse zeigt sich hier unter einer andern Gestalt. Der Mangel des eigentlichen Grades guter Neigungen ist moralisch böse. Ein Mensch, wel cher sich das allgemeine Beste angelegen seyn lässt, wird vorsichtig seyn, und die Wirkungen seiner Handlungen untersuchen; und durch diese Untersu chung wird er alle diejenigen Wirkungen entdecken, die durch seine Klugheit nur entdeckt werden können. Derjenige also, welcher von diesen Wirkungen kei ne Wissenschaft hat, verräth allemal eine strafbare Schwäche der guten Neigungen, ungeachtet er kei ne unmittelbar böse Absicht gehabt hat. Bey der Beurtheilung des moralischen Cha racters solcher Leute, welche ihre Neigungen nicht in die gebührende Ordnung gebracht haben, ist es gleichgültig, ob die Verschuldung aus einer gegen
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Die Sittlichkeit der Hundlungen<Handlungen>. 351(Erster Abschnitt.) wärtigen Handlung oder Unterlassung, oder aus einer vorhergehenden, herrühret. Der Satz ist also richtig, daß „eine Handlung nur durch solche gute Folgen, die man dabey wirklich, um ihrer selbst willen, zur Absicht gehabt hat, tugendhaft werden kan; und daß sie hingegen durch üble Fol gen lasterhaft wird, die ein redliches Gemüth, als wahrscheinliche Wirkungen derselben, vorher gesehen haben würde.“ Allein gute Folgen, die man zur Absicht ge habt hat, beweisen nur alsdenn erst, daß eine Handlung gut sey, wenn die Summe derselben al le üble Folgen, welche hätten vorhergesehen wer den können, überwiegen, und wenn die guten Fol gen, ohne diese übeln, nicht zu erreichen gewesen wären. Wenn der Fall anders ist: so können sie zwar die Schuld vermindern, aber sie rechtfertigen die Handlung nicht. Ueble Folgen, welche man vorhergesehn, aber nicht zur Absicht gehabt hat, machen nicht allemal eine Handlung böse: sondern nur in dem Falle, wenn sie alle gute Wirkungen überwiegen, welche diese Handlung hervorbriugthervorbringt, und um welcher willen sie unternommen wurde; und wenn dieses Uebergewicht hätte vorhergesehn, oder wenn die guten Wirkungen, ohne diese übeln, hät ten erreicht werden können. Durch die Folgen einer Handlung verstehen wir nicht nur die unmittelbaren und natürlichen Wirkungen derselben, oder dasjenige, wovon die handelnde Person die eigentliche Ursache ist: son dern alle diejenigen Begebenheiten, welche auf die
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(Zweytes Buch.) 352 Die Sittlichkeit der Handlungen. Handlung folgen, und welche sich nicht zugetragen haben würden, wenn die Handlung unterblieben wäre. Ein rechtschaffner Mann erwäget alles, wovon er vorhersicht<vorhersieht>, daß es, durch die Jrrthü mer, Thorheiten und Laster anderer, erfolgen kan; und vermeidet dasjenige, wovon er vorhersieht, daß es bey andern* lasterhafte Handlungen oder unvernünftige Beleidigungen veranlassen wird, un geachtet es ausserdem unschuldig gewesen wäre: woferne nicht die guten Wirkungen, die auf keine andre Art erreicht werden können, diese besondern Uebel überwiegen.** (Unwissen heit und Jrr thum, sie mögen über windlich oder unüber windlich seyn, haben auf die Handlungen einen gewis sen Einflus.) IV. Die Unwissenheit der Folgen einer Hand lung, haben auf ihre Sittlichkeit einen verschiede nen Einflus, nach den verschiedenen Ursachen der Unwissenheit oder des Jrrthums, und nach der grössern oder kleinern Schwierigkeit, zu der Erkänt nis der Wahrheit zu gelangen. Wenn die Unwis senheit oder der Jrrthum, durch eine gegenwärtige oder vorhergehende Bemühung, schlechterdings un überwindlich ist: so können die unbekanten übeln Folgen nicht zugerechnet werden, da sie keine übeln Neigungen, und auch keinen Mangel an guten Neigungen, verrathen. Wenn der Grad der Vor sicht, welche wir in ähnlichen Fällen von den tu gendhaftesten Menschen erwarten, die Unwissenheit nicht überwinden kan, ob sie gleich von der höchsten möglichen Behutsamkeit überwunden werden wür 32 33
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Die Sittlichkeit der Handlungen. 353(Erster Abschnitt.) de; so halten wir sie doch dem ungeachtet für mo ralisch unüberwindlich, und unschuldig, ausser in den Fällen, da alle Menschen wissen, daß ihnen die höchste mögliche Behutsamkeit obliegt. Allein wenn die ordentliche Behutsamkeit einer tugendhaf ten Seele solche Folgen vorhergesehen haben würde; alsdenn ist die Unwissenheit, welche einen Mangel an guten Neigungen verräth, überwindlich, und ob sie gleich die Schuld vermindert: so nimmt sie doch dieselbe nicht ganz hinweg. Unwissenheit und Jrrthum können gegenwär tig unüberwindlich seyn, und doch hätte sie ein vorhergehender Fleis verhindern können; oder sie können, in allen Betrachtungen, unüberwindlich und ausser unsrer Willkühr seyn.* Die leztern al lein schliessen alle Zurechnung aus; die erstern be weisen, daß zwar gegenwärtig keine unmittelbar böse Absicht vorhanden ist, allein sie verrathen einen vorhergegangenen Mangel an guten Neigungen, und sind dahero billig strafbar. Gleichwie aber eine unmittelbar böse Absicht, oder die Geringschätzung des Uebels, das wir an dern wissentlich zufügen, eine verhasstere Gemüths art verräth, als eine blose Unachtsamkeit, oder der Mangel solcher innigen Neigungen, die eine genaue Aufmerksamkeit erregt: also ist, alle Unwis senheit, die weder angenommen, ist noch vorsätzlich unterhalten wird, eine Verminderung der Schuld 34
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(Zweytes Buch) 354 Die Sittlichkeit der Handlungen. und zwar in verschiedenen Graden, nachdem die Wirkungen mehr oder weniger offenbar sind. Die Unwissenheit betrift entweder die Wir kungen der Handlung, oder den Verstand und die Meinung der Gesetze. Beyde müssen nach einer ley Grundsätzen angesehen werden, ausgenommen, daß die Unwissenheit der Gesetze nicht für schlechter dings unüberwindlich gehalten werden kan, weil weise Gesetzgeber für die Bekantmachung ihrer Ge setze sorgen, und also die Unterthanen dieselben alle mal kennen müssen, so bald sie den gehörigen Fleis anwenden. Wenn die Unterthanen von einigen Gesetzen schlechterdings keine Wissenschaft erreichen können: so sind ihnen die Gesetze nicht gegeben; und sie können nicht strafbar seyn, wenn sie densel ben nicht gehorchen.* (Was das Gewissen ist.) V. Die Schwierigkeiten in Ansehung der überwindlichen Unwissenheit und des irrenden oder zweifelnden Gewissens, rühren blos von dem un bestimmten Gebrauch der Worte her. Durch das Gewissen wird zuweilen das moralischeGefühl selbst verstanden, zuweilen aber bedeutet es „das Urtheil des Verstandes über die Quellen und Wir kungen der Handlungen, in deren Ansehung das mo ralische Gefühl dieselben billigt, oder verwirft.“ Und wenn wir das Tugendhafte und Lasterhafte des Verhaltens, nach gewissen Regeln und Grundsä tzen, beurtheilen, wenn wir dieselbe für die Gesetze erkennen, welche Gott, der Urheber der Natur und aller unsrer Kräfte, uns gegeben hat; oder 35
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Die Sittlichkeit der Handlungen. 355(Erster Abschnitt.) wenn wir überzeugt sind, daß andere göttliche Ge setze, auf eine andre Art, uns geoffenbaret worden: alsdenn kan das Gewissen beschrieben werden als „unser Urtheil über die mit dem Gesetze vergliche nen Handlungen.“ 1. „Eine Person, welche den Vorsatz hat,(Wie ein ir rendes Ge wissen ent schuldiget.) tugendhaft zu handeln, und in der irrigen Ein bildung stehet, als ob eine Handlung gute Folgen haben werde und mit den Gesetzen übereinkomme, da unterdessen diese Handlung von einer ganz ent gegengesezten Natur ist, wird gewis, so lange der Jrrthum dauert, ihrem Gewissen folgen: weil niemand, der in einem Jrrthum ist, weis, daß er irret.“ Der Zuschauer nur kan die Frage auf werfen, ob es besser für diese Person wäre, wenn sie ihrem Gewissen, an statt ihm zu folgen, entge gen handelte? Und dieses kan nicht in allen Fällen, auf einerley Art, beantwortet werden. 2. „Derjenige, welcher seinem irrenden Ge wissen folgt, und dasjenige thut, was er für gut hält, giebt gegenwärtig eine gute Gemüthsart zu erkennen: und er würde, wenn er, so lange sein Jrrthum währet, seinem Urtheil entgegen handel te, eine lasterhafte Gesinnung verrathen, derglei chen die Hindansetzung eines allgemeinern Guten, und des Gesetzgebers ist.“ Dieses ist von allen Menschen wahr, welche von der Güte Gottes und seiner Gesetze vollkommen überzeugt sind. Da wir alle eine Person tadeln, welche, aus einer guten eingeschränkten Neigung, andern Neigungen von
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(Zweytes Buch.) 356 Die Sittlichkeit der Handlungen. einem grössern Umfange, entgegen handelt: so können wir es auch nicht billigen, wenn solchen Geboten Gottes, die, auf die Glückseligkeit im weitesten Umfange, abzielen, zuwider gehandelt wird, obgleich die handelnde Person hierzu durch menschenfreundliche und liebreiche Neigungen einer eingeschränkten Art angetrieben worden seyn kan, welches, in allen Fällen, die Schuld mindert. Wenn aber keine solche Ueberzeugung, von der vollkommenen Gütigkeit Gottes und seiner Gesetze, vorhanden ist; sondern wenn man sich blos einen grossen Privatvortheil in dem Gehorsam, und eine Gefahr gleicher Art in dem Ungehorsam, vorstellt, und von der Pflicht und Verbindlichkeit zu gehorchen, nur verworrene Begriffe hat; wenn eine Person durch eine zärtliche menschenfreundli che Verfassung des Herzens veranlasset wird, ge wissen strengen und grausamen Befehlen, von wel chen sie glaubt, daß sie von der Gottheit herkom men, keinen Gehorsam zu leisten: so wird es ein richtig urtheilender Zuschauer kaum misbilligen, daß diese Person, aus dem Triebe der Menschen liebe, ihrem Gewissen entgegen handelt, so viel unangenehme Empfindungen sie auch, über den Streit dieses Triebes mit dem entgegengesezten, in ihrem Herzen fühlen mag. Zum Exempel, wenn jemand, der es für seine Pflicht hält, die Ketzer bis auf den Tod zu verfolgen, aus Mit leiden gegen seine Nebengeschöpfe, davon zurück gehalten wird.
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Die Sittlichkeit der Handlungen. 357(Erster Abschnitt.) 3. „Solche überwindliche Jrrthümer, wel che den menschlichen Empfindungen der Seele„(Nicht alle Jrrthümer sind unschul dig.) so entgegen sind, und die Vortheile unsrer Ne bengeschöpfe so nahe angehen, als das ange führte Exempel von der Verfolgung der Ketzer, und andre mehr, müssen eine grosse vorherge hende Verschuldung und einen Mangel an gu ten Neigungen verrathen.“ Und deswegen se tzen wir in einer Person, welche in diesem Jrr thum ist, sie mag nun ihrem Gewissen ge mäs handeln oder nicht, eine üble Gemüths verfassung voraus. Wenn sie ihm gemäs han delt: so ist ihre vorhergegangene Nachlässigkeit strafbar. Handelt sie ihm aber nicht gemäs, und glaubt doch, daß ein gütiger Gott, zur Beförderung des allgemeinen Besten, ein sol ches Gebot gegeben habe: so ist ihre vorherge gangene Nachlässigkeit eben so strafbar, als im vorigen Falle, und die Schuld wird, durch die Hindansetzung ihrer Pflicht gegen Gott und das allgemeine Beste, vermehret. Wenn aber je mand keine Begriffe, von der Güte Gottes und den liebreichen Absichten seiner Gesetze, hat: so können die, wider die eingebildeten Gesetze, unter nommenen Handlungen weniger verhasst seyn, wenn sie aus liebreichen menschenfreundlichen Ge sinnungen herrühren. 4. Wenn das Gewissen zweifelhaft ist; so ist der sicherste Weg, die Handlung so lange auszusetzen, bis man eine weitere Untersuchung
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(Erstes Buch.) 358 Die Sittlichkeit der Handlungen. angestellt hat, wenn nicht eine allgemeine wich tige Ursache eine geschwinde Entschliessung erfor dert. Es eräugen sich Fälle, da es offenbar besser ist, eine von den zwo Handlungen, über deren Vorzug wir zweifelhaft sind, zu ver richten, als beyde zu unterlassen; und es kan keine Zeit zum Ausschub<Aufschub> vorhanden seyn. In solchen Fällen müssen wir uns zu der Unterneh mung derjenigen Handlung entschliessen, von deren Wichtigkeit wir die meisten wahrscheinli chen Gründe für uns haben. Sind diese Grün de auf beyden Seiten gleich: so müssen wir die jenige Handlung wählen, zu deren Verrichtung uns die erste Gelegenheit vorkomt. (Die Pflicht desjenigen, welcher irret.) Was ist die Pflicht desjenigen, welcher ir ret? Oder welches Verhalten wird vollkomme nen Beyfall verdienen? Es ist offenbar, daß der Jrrthum schon ein Beweis einer vorherge gangenen strafbaren Nachlässigkeit ist. Das ein zige Verhalten, welches sich vollkommenen Bey fall zu versprechen hat, ist die Verbesserung des Jrrthums, durch eine neue unpartheyische Un tersuchung. Die Jrrenden sehen, so lange ihr Jrrthum währt, nicht ein, daß dieses ihre Pflicht ist; allein es ist der einzige Weg, alles wieder gut zu machen. Und dieses beweist nicht nur den grossen Vortheil der Bescheidenheit und des Mis trauens gegen unsere eigenen Absichten, sondern auch die Gefahr des Zutrauens zu sich selbst, und der Heucheley.
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Die Sittenlehre der Handlungen. 359(Erster Abschnitt.) Der Grad der Vorsicht und Behutsamkeit, welcher, bey einem tugendhaften Manne, erfordert wird, ist nicht so genau zu bestimmen. Wir er warten, von verschiedenen Fähigkeiten, Ständen, und Veranlassungen natürlicher Weise verschiede ne Grade. Aristoteles* hat recht, wenn er an merkt, „daß vieles in der Sittenlehre, wenn es auf einzelne Fälle angewendet wird, nicht genau bestimmt werden kan; daß tugendhafte Männer durch eine Art von Empfindung davon unterrich tet werden; und daß also ein tugendhafter Mann, der eine lange Erfahrung hat, eine Richtschnur in allen Dingen seyn müsse.“ Ueberhaupt aber bleibt es wahr: „je grössere Vorsicht und Behutsamkeit wir bey unsern Pflichten anwenden, desto besser mus der Character seyn; und je geringer die Vor sicht und Behutsamkeit ist, desto schlimmer mus der Character seyn, wenn die übrigen Umstände einander gleich sind.“ 36
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(Zweytes Buch.) 360 Regeln, die Sittlichkeit
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Der zweyte Abschnitt, Allgemeine Regeln, nach welchen die Sittlich keit der Handlungen, in Absicht auf die Nei gungen, welche sie veranlassen oder hin dern, zu beurtheilen ist.

Obgleich die Menschen, von dem Grad der Tu gend und des Lasters, in den Handlungen anderer, nicht genau urtheilen können, weil die innern Quellen unbekant sind: so können doch ge wisse allgemeine Regeln, bey unsrer Beurtheilung unserer selbst, sattsam gewis und nützlich seyn. Und wir haben wenig Gelegenheit, dieselben auf andre anzuwenden, und diese Anwendung mus ausseror dentlich ungewis seyn. (Allgemei ne Regeln in Ansehung der Wichtig keit der Handlungen) 1. Wenn liebreiche Neigungen allein die Quellen der Handlungen sind: so ist das durch die handelnde Person hervorgebrachte Gute, der Stär ke dieser Neigungen, und den Fähigkeiten dieser Person, zusammengenommen, gleich. Die Stärke der Neigung ist, in der Sprache der Mathemati ker zu reden, in einem directen Verhältnis gegen das hervorgebrachte Gute, und in einem umge kehrten Verhältnis gegen die Fähigkeiten; oder, in einer deutlichern Sprache reden, wenn das Gute, welches zwo Personen gethan haben, gleich ist, un geachtet ihre Kräfte ungleich sind: so zeigt dieje nige das beste Herz, deren Fähigkeiten geringer sind. (Was die Absicht auf den Eigen nutz, auf die) 2. Wenn die Menschen, zugleich in Absicht auf ihren eignen Vortheil, Handlungen unterneh men: so wird die Wirkung dieser eigennützigen Be
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der Handlungen zu beurtheilen. 361(Zweyter Abschnitt.) strebungen abgezogen, und der Ueberrest ist die Wir kung der tugendhaften Neigung. Wenn die Be(Sittlichkeit der Hand lungen hat.) wegungsgründe des eigenen Vortheils eine verrichtete gute Handlung widerriethen: so wird die Tugend durch die Ueberwindung dieser Bewegungsgründe erhöhet. 3. Auf gleiche Art berechnen wir die mora lische Schändlichkeit der lieblosen und nieder trächtig eigennützigen Neigungen, welche uns zu Beleidigungen verführen. Die Stärke derselben ist in einem directen Verhältnis gegen das her vorgebrachte Böse, und in einem umgekehrten Verhältnis gegen die Fähigkeiten. Das heist, wenn gleiche Ungerechtigkeiten von zwo Personen begangen worden, welche es in ihrer Gewalt ha ben, zu Befriedigung ihrer üblen Neigungen noch mehr zu begehen: so verräth diejenige die schlimm ste Gemüthsart, welche geringere Kräfte hat, aber sie noch weiter anwendet. 4. Wenn eigene Vortheile zu schädlichen(Eben diese Umstände gehen die bö sen Neigun gen an.) Handlungen verleiten: so kan die Wirkung der ei gennützigen Begierde nicht auf eben diese Art abge zogen werden, um die blosse Wirkung einiger ganz lasterhafter Neigungen ausfindig zu machen. Wir können selten solche Neigungen haben. Das mo ralische Böse der Menschen rührt gemeiniglich aus dem unmässigen Grade eigennütziger Neigungen her, welche in einem mässigen Grade unschuldig gewesen seyn würden; und der Mangel der höhern Grade einiger guter Neigungen ist lasterstaft. Die ser Abzug kan nur alsdenn gemacht werden, wenn
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(Zweytes Buch.) 362 Regeln, die Sittlichkeit der antreibende eigennützige Bewegungsgrund die Vermeidung grosser Leiden war, die auch selbst gut gearteten Seelen schrecklich seyn müssen; und solche Versuchungen müssen die Schuld vermindern. Wenn wichtige, der handelnden Person bekante Vortheile, die böse Handlung widerrathen: so wird wirklich die Schuld ausserordentlich vermehret, da das Verderbnis der Gemüthsart, über diese Vor theile eben so wohl, als über das Gefühl der Pflicht und liebreicher Neigungen, die Oberhand behält. (Die Art der Neigungen mus in Be trachtung kommen.) II. Allein bey Vergleichung der Handlungen und Gemüthsarten sehen wir nicht nur auf die Stärke der antreibenden Neigung, sondern auch auf die Art derselben, weil, wie wir oben bemerkt haben, unser moralisches Gefühl, durch die wei se Einrichtung Gottes, diejenigen Neigungen mehr billigt, welche, in Absicht auf das allgemeine Beste, die nutzlichsten und wirksamsten sind. Es ertheilt dem ruhigen Wohlwollen gegen besondere Gesell schaften oder einzelne Personen, einen unmittelba ren höhern Beyfall, als den unruhigen Leiden schaften von der grosmüthigen Art; und von den ruhigen Neigungen, billigt es diejenigen am mei sten, welche von dem weitesten Umfange sind. Und daher komt es, daß, obgleich die Wirkungen zwoer Handlungen gleich sind, diejenige doch mehr gebilliget wird, welche von einer ruhigen liebrei chen Neigung herrühret, als andre, welche von un ruhigen Leidenschaften herkommen. Die höhere Vortreflichkeit dieser ruhigen Neigungen, wird von
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der Handlungen zu beurtheilen. 363(Zweyter Abschnit.) jedermann zugegeben; und sie zeigt den Menschen, vermittelst der über ihre Neigungen erhaltenen Ge walt, was für eine Gemüthsart ihnen von der Na tur empfohlen wird, und wie wir uns bemühen sol len, den eingeschränktern ruhigen und unruhigen Neigungen Einhalt zu thum, damit sie niemals die Wirkungen der allgemeinsten und vortreflichsten Bestimmungen der Seele hindern mögen. Hier sehen wir auch die Ursachen, warum die liebreichen Gesinnungen gegen unsre Abkömlinge, Anverwand ten, und selbst gegen unsre Wohlthäter, für keine grossen Tugenden gehalten werden. Gegen Per sonen, mit welchen wir in einer solchen Verbindung stehen, empfinden wir von Natur starke besondere Leidenschaften, es mögen nun einige von den allge meinern Neigungen in unsrer Brust lebhaft seyn oder nicht; und wenige Character sind, bis zu dem Mangel dieser natürlichen Neigungen, ausgeartet. Die Abwesenheit derselben würde, aus Ursachen, die gegenwärtig anzuführen sind, die niedrigste und ver hassteste Gemüthsart verrathen. III. Wenn die Beförderung der allgemeinen(Es ist schwer den eigentli chen Grad der Verbind lichkeit ge nau zu be stimmen.) Wohlfahrt, dem Vortheil der handelnden Person ent gegen ist: so ist es schwer, den eigentlichen Grad guter Neigungen genau zu bestimmen, der erfordert wird, keine üble Gemüthsart zu verrathen, und ei nen blos unschuldigen Character zu erlangen. Man kan, in gewissem Verstande, denjenigen unschuldig nennen, welcher, bey der Bemühung um seinen ei genen Vortheil, andre niemals beleidiget. Allein, dem ungeachtet kan er eine üble Gemüthsart haben,
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(Zweytes Buch.) 364 Regeln, die Sittlichkeit wenn er zu dem allgemeinen Vortheil wenig bey trägt. Wenn wir auf uns selbst aufmerksam sind; so werden wir finden, daß Gott in unsre Herzen einen sehr hohen Begrif von der nothwen digen Güte der Seele gelegt hat, und wir müssen mit uns selbst unzufrieden seyn, so oft wir eine Pflicht, so schwer und nachtheilig sie uns auch immer seyn mag, verabsäumen, wenn sie nur, in Absicht auf alle ihre Folgen, die öffentliche Glückseligkeit be fördert haben würde Gemeiniglich sind wir, bey unsrer Beurtheilung der Gemüthsarten und Hand lungen, so strenge nicht, und man kan es auch so ge nau nicht bestimmen, in wie weit man seinen eige nen Vortheil dem allgemeinen Besten aufopfern mus, um dem Vorwurf einer üblen Gemüthsart zu entgehen. Wir kennen die äussersten Grade der Tugend und des Lasters sehr wohl; allein die mitt lern Grade sind weniger von einander zu unter scheiden, weil sie sehr nahe an einander gränzen, gleich Farben, deren Schattirungen sich in einander verlieren. Folgende Regeln scheinen ziemlich ge wis zu seyn: (Verschiedne allgemeine Regeln.) 1. Von Personen, die sich in ungleichen Ständen und Verfassungen befinden, ungeachtet ihre Gemüthsarten sich gleich sind, werden keine Neigungen von gleichem Umfange und von glei cher Stärke erwartet. Von solchen, die Unter richt, Zeit zum Nachdenken, und den Zutritt zu bes sern Ständen gehabt haben, wird mehr ge fordert.
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der Handlungen zu beurtheilen. 365(Zweyter Abschnitt.) 2. Pflichten, die andern nützlich sind, und der handelnden Person weder Mühe noch Aufwand verursachen, werden von jedermann gegen alle die jenigen, die sie bedürfen, mit allem Rechte, erwar tet. Sie sind nur geringe Beweise der Tugend; aber die Verabsäumung derselben ist hassenswürdig, und verräth eine Gemüthsart, die von aller Men schenliebe leer ist. 3. Wir misbilligen überhaupt die Verwei gerung eines geringen Aufwandes oder einer gerin gen Mühe, welche der Glückseligkeit des Lebens kaum entgegen seyn könte; wenn dieser geringe Aufwand und diese geringe Mühe, einem andern, wenn es auch ein Fremder wäre, wichtige Vortheile verschaffen würde. 4. Je grösser der Aufwand oder die Mühe ist, welcher sich einer, zum Besten des andern, aus sezt; desto stärker ist der daraus herfliessende Be weis der Tugend. 5. Je geringer die Vortheile sind, um wel cher willen jemand etwas zum allgemeinen Nach theil unternimmt, oder einige nützliche Dienstlei stungen verweigert; eine desto schlimmere Mei nung müssen wir von seinem Character bekommen. Eben diese Schwierigkeiten eräugen sich in(Wie die eingeschränk tern Neigun gen den all gemeinern nachgeben müssen.) Ansehung einer genauen Bestimmung, wie weit die eingeschränktern Neigungen in besondern Fällen den allgemeinern nachgeben sollen; oder in wie weit die Vortheile der Familien, Anverwandten, Wohlthä ter, Freunde, unsrer Parteyen und unsers Vater
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(Zweytes Buch.) 366 Regeln, die Sittlichkeit landes den allgemeinsten Vortheil aufgeopfert wer den müssen, um keine üble Gemüthsart zu erkennen zu geben, und keine Schuld auf sich zu laden. Ei ne ruhige Seele, welche die Einrichtung ihres eige genen Verhaltens überdenkt, wird jeden Mangel an der vollkommensten moralischenOrdnung misbilli gen, welche erfordert, daß wir alle eingeschränktere Neigungen den allgemeinern aufopfern sollen. Allein es ist, in vielen eingeschränkten Neigungen der Seele, etwas so schönes und so einnehmendes, daß wir, über das Verhalten der Menschen, welche, um dieser Neigungen willen, die höchste Vollkom menheit verabsäumen, weniger strenge urtheilen. Und da von Leuten von geringen Ständen und Fä higkeiten, welche zu thun genug haben, um sich und ihren Angehörigen nothdürftigen Unterhalt zu ver schaffen, der Billigkeit nach, nur ein geringer Grad von Aufmerksamkeit und Urtheilskraft erfordert werden kan: so will die Natur nicht, daß wir die jenige Gemüthsart misbilligen sollen, welche nicht in allen Fällen die Regeln der Vollkommenheit, auf das genaueste, erfüllen kan. Aber bey dem allen mus eine aufmerksame nachdenkende Seele den deutlichen Begriff von Vollkommenheit, welchen Gott in unsre Herzen geprägt hat, wahrnehmen. Je näher eine Seele diesem Begriffe kommen kan, desto besser und vortreflicher ist sie. Es war nicht die Absicht Gottes, daß wir blos bey der Vermei dung desjenigen Verhaltens, das uns Unehre zuzie hen könte, stehen bleiben sollen. In diesen Fällen sind zwo allgemeine Regeln überflüssig hinlänglich:
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der Handlungen zu beurtheilen. 367(Zweyter Abschnitt.) 1. Wenn wir die ruhige und uneingeschränk teste Neigung gegen die allgemeine Glückseligkeit den stärksten Grundtrieb der Seele seyn lassen, da mit er bey vorfallendem Streite, allen eingeschränk tern Neigungen Einhalt zu thun fähig seyn möge: wenn wir alle eingeschränktere Vortheile den allge meinern aufopfern, und wenn jede zärtliche Neigung, gegen unsre verschiedenen Verwandte und Freunde, eine so grosse Stärke erlangt hat, als die höhern Neigungen, denen sie unterworfen ist, zulassen wol len: so haben wir die höchste Vollkommenheit der menschlichen Tugend erreicht. 2. Wenn einige von diesen eingeschränktern liebreichen Neigungen ihr eigentliches Ziel über schreiten, und über die allgemeinern die Oberhand behalten: so wird die moralische Misgestalt weni ger oder mehr vermindert, nachdem die Schönheit der eingeschränktern Neigungen, von welchen die all gemeinern überwältiget worden, grösser oder gerin ger ist. So ist es weit verzeihlicher, wenn wir et was, das dem allgemeinsten Vortheile entgegen ist, aus einem Eifer für unser Vaterland, für ein ganzes Volk, unternehmen, als wenn wir eben die ses in der Absicht unternommen hätten, den Vor theil einer Familie oder einer Partey zu befördern. Und einige von diesen zärtlichen Neigungen ver mindern die Schuld mehr, als ein blos eigennützi ger Trieb gethan haben würde, dergleichen Geitz, Ehrsucht, und Sinnlichkeit sind. IV. Der grösste Theil der Menschen wird(Die ordent lichen Tu genden.) durch die nothwendigen Hindernisse des Lebens un
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(Zweytes Buch.) 368 Regeln, die Sittlichkeit fähig gemacht, Absichten von weitem Umfange zu haben, und es mangelt ihnen an Gelegenheit und Kräften, den allgemeinsten Vortheil zu befördern. Allein wir stehen in der billigen Vermuthung, daß wir, wenn wir uns einigen schätzbaren Theilen eines Systems gefällig machen, dadurch dem Ganzen Gu tes erzeigen. Viele von den Tugendhaftesten ver wenden dahero, mit allem Rechte, ihre Lebenszeit auf die Sorgfalt für das Beste besonderer Perso nen, oder kleiner Gesellschaften, welche ihnen, durch die Ordnung der Natur, besonders empfohlen werden. In der Natur sind viele besondere Ver knüpfungen und Ursachen gegründet, die uns ver anlassen, einige mehr, als andere, zu lieben. Ei nige von diesen Ursachen sind von einer grosmü thigen Art, aber in verschiedenen Graden. Der gleichen sind die Verknüpfungen der Ehe und der Verwandschaft und die Bande des Bluts; erhaltene Wohlthaten, welche in uns eine edle Dankbarkeit erregen, ungeachtet wir keine mehrere erwarten; wahrgenommene ausserordentliche Tugenden; und die Verknüpfungen mit Lands leuten. Von der eigennützigen Art sind eine Bemühung, sich andern gefällig zu machen, damit sie uns Gegengefälligkeiten erzeigen sollen; eine Demüthigung vor andern, in der Absicht, von ihnen eine Beförderung, oder andere Gunstbezeugungen zu erhalten. Alle diese sind die natürlichen Ursachen nicht nur heftiger Leidenschaften, sondern auch eines ruhigen Wohlwollens, in den meisten Menschen. Obgleich
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der Handlungen zu beurtheilen. 369(Zweyter Abschnitt.) ein Mann, der richtig denkt, niemals natürliche Ursachen zu ruhigen übeln Gesinnungen finden kan: so hat doch der grösste Theil der Menschen natür liche Ursachen zu unfreundlichen Leidenschaften, dergleichen Zorn, Unwillen, Neid und Abscheu sind. Einige von diesen Ursachen sind eigennützig, als: Beleidigungen, die unsre Person allein betreffen; Hinderungen unsers Vortheils: andere sind von einer gemeinnützigen Art, als wahrge nommene moralische Uebel; dem gemeinen Wesen, oder unsern Freunden erwiesene Be leidigungen; unvernünftige Beförderungen, bey welchen würdigere Personen übergangen werden. Eine Gemüthsart ist um so viel besser, je(Allgemeine Regeln der Verechnung.) mehr gute und vornehmlich edelmüthige Neigun gen dieselbe, bey geringern Veranlassungen äussert, woferne nur diese Neigungen in eben dem Grade zunehmen, in welchem die Veranlassungen grösser werden; und je weniger unfreundliche und vor nehmlich eigennützige Leidenschaften dieselbe, bey irgend einer Gelegenheit äussert. Die Gemüths art mus sehr gut seyn, die auch alsdenn noch lieb reiche Gesinnungen behält, wenn sich Begebenhei ten eräugen, welche dieselben aus dem Herzen ver bannen könten; und die Gemüthsart mus sehr böse seyn, in welcher, auch durch die natürlichen Veranlassungen, keine Liebe erregt werden kan. Ueberhaupt, je grösser die Verdienste oder die natürlichen Ursachen der Liebe, in einer Person
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(Zweytes Buch.) 370 Regeln, die Sittlichkeit sind, desto grösser mus unser Verderbnis seyn, wenn wir gar keine Liebe zu ihr empfinden; und eine Liebe, die nicht so stark ist, als die Verdienste erfordern, beweist nur eine geringe Tugend. Ei ne Gemüthsart, welche nur einigermassen tugend haft ist, mus, durch ausserordentliche Tugenden und durch grosse erhaltene Wohlthaten, in nig gerühret werden. Und weil in Gott die höchsten Veranlassungen der Liebe wahrzuneh men seyn müssen, wenn man ihn, nur mit einiger Aufmerksamkeit, als den Urheber alles moralischen und natürlichen Guten, als die höchste moralische Vortreflichkeit, und als den grössten Wohlthäter aller Wesen betrachtet: so mus der Mangel der höchsten Liebe zu ihm die grösste moralische Häslich keit in einer vernünftigen Seele, welcher seine Vollkommenheiten bekant gemacht worden sind, entdecken. (Besondre Folgerun gen.) V. Diese allgemeinen Grundsätze bahnen uns den Weg zu besondern Folgerungen. 1. Ein Mangel an Kräften, an Gelegen heit, an den Mitteln, äusserliche gute Thaten zu thun, wird uns nicht von der höchsten Tugend ausschliessen, woferne wir an diesem Mangel nicht schuld sind. Diese Wahrheit mus einem gutgear teten Herzen ungemein erfreulich seyn. 2. Wenn uns weise und gute Unterneh mungen, durch eine äusserliche Gewalt oder durch Zufälle, die wir nicht vorhersehn konten, mislin gen: so kan dadurch die Tugend nicht vermindert
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der Handlungen zu beurtheilen. 371(Zweyter Abschnitt.) werden. Eben so wenig können gute Folgen, die man weder erwartet, noch zur Absicht gehabt hat, die Tugend vermehren, oder die Schuld einer la sterhaften Handlung vermindern. In menschli chen Angelegenheiten müssen die Menschen sich nach Wahrscheinlichkeiten richten. Wenn die guten Wirkungen, die man zur Absicht gehabt hat, und welche durch keinen sicherern Weg hätten erreicht werden können, alle üble Wirkungen, die wir vor aussehen konten, überwiegen: so ist die Handlung gut, obgleich höhere üble Folgen, die nicht wahr scheinlich waren, sich eräugen. 3. Die Absicht auf eigene Vortheile schwächt nur alsdenn die moralische Schönheit einer Hand lung, wenn die handelnde Person weis, oder wenn andere vermuthen, daß, ohne diesen eigennützigen Bewegungsgrund, dieselbe nicht so viel Gutes wür de haben stiften können. 4. Die Bewegungsgründe des Eigennutzes vermindern die Schuld einer bösen Handlung, zu welcher sie uns verleiten, nur in so fern, als sie, in solchen Fällen, über eine tugendhafte Seele Gewalt haben können. Die Leidenschaften, welche durch die grössten natürlichen Uebel, die uns bevorstehen, oder die man uns droht, erreget werden, beschäfti gen und erfüllen die Seele mehr, als die Begierde, ein wirkliches Gut zu erlangen. Und daher komt es, daß, wenn eine Person, aus Furcht vor dem To de, vor Martern, vor Sclaverey, welche ihr selbst, oder andern, die ihr werth sind, gedrohet werden, oder aus einer wichtigen Veranlassung zum Zorn,
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(Zweytes Buch.) 372 Regeln, die Sittlichkeit etwas unternimmt, wodurch der Gesellschaft ein grösserer Schaden zugezogen wird; daß alsdenn die Schuld mehr vermindert wird, als wenn sie, durch die ansehnlichsten Geschenke, zu eben diesem Verhalten verleitet worden wäre. Und die Ueber windung der erstern Versuchung würde eine edlere Stärke der Tugend beweisen, als die Ueberwin dung der leztern, oder des Antriebs sinnlicher Be gierden.* Ueberhaupt, je grösser das Laster in ei ner Handlung ist, zu welcher uns die Absicht auf unsern Eigennutz verleitet hat, desto geringer ist die Tugend, die wir durch die Unterlassung dieser Handlung zu erkennen geben. Je kleiner das La ster ist, zu welchem wir so starke Versuchungen ge 37
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der Handlungen zu beurtheilen. 373(Zweyter Abschnitt.) habt haben, desto grösser* ist die Tugend des Wi derstands, woferne wir gegen die grössern Laster, in einem richtigen Verhältnisse, festere Entschlies sungen gefasst haben. Einige Verbrechen sind so hassenswürdig, daß wenige, auch unter der ver worfensten Art von Menschen, bewogen werden können, sie zu begehen. 5. Die Gemüthsart ist desto lasterhafter, je grösser die Bewegungsgründe zur Tugend sind, welchen sie entgegen handelt. Derjenige, welcher wider ein bekantes Gesetz sündiget, verräth dadurch, daß er die starken Bewegungsgründe zu dem Ge horsam, und andere Umstände, von welchen wir hernach reden werden, überwältigt, eine schlimme re Seele, als ein andrer, welcher eben dieselbe Handlung, ohne Wissenschaft von dem Gesetz zu haben, begeht. 6. Wenn eine Person sich weigert, andern Gefälligkeiten zu erzeigen, die ihr weder Mühe noch Aufwand verursachen: so ist dieses ein Be weis einer grossen Verderbnis, da hierwider kein Bewegungsgrund des Eigennutzes streitet. 7. Gemeine Gefälligkeiten, welche man Per sonen von grossen Verdiensten und den liebens würdigsten Eigenschaften, erzeiget, sind keine Be weise einer grossen Tugend der handelnden Person. Derjenige besizt wenig Tugend, welcher für ei 38
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(Zweytes Buch.) 374 Regeln, die Sittlichkeit nen Freund oder Wohlthäter, oder für einen Mann von ausserordentlichen Tugenden, keine stärkere Neigung fühlt, als ein andrer für Per sonen, mit welchen ihn schwächere Bande der Zu neigung verknüpfen, zu erkennen giebt. Und doch ist die Verabsäumung der Gefälligkeiten, die man so hohen Tugenden und Verdiensten schuldig ist, lasterhafter, als die Hindansetzung der Pflichten der allgemeinen Menschenliebe, wenn uns keine so grossen Verbindlichkeiten auffordern. 8. Wenn wir Pflichten von zweyerley Art nicht auf einmal erfüllen können, und die Umstände sonst gleich sind: so müssen wir den stärkern Ban den der Natur und den höhern Veranlassungen zur Liebe folgen. Wir müssen dahero einem Va ter, einem Wohlthäter, einem Anverwandten, ei nem Mann von ausserordentlichen Tugenden, lie ber dienen, als einem Fremden. Da Gott, aus den weisesten Absichten diese besondern Verknüpf fungen gestiftet hat: so erfordert das allgemeine Beste, daß, wenn die andern Umstände ein ander gleich sind, wir bey Ausübung unsrer Pflichten diese stärkern Verknüpfungen den schwä chern vorziehen müssen. Die Unterlassung an drer Pflichten, welche jezt, neben den heiligern, nicht bestehen können, ist vollkommen unschuldig. 9. Wenn einerley Gutes von zwo Personen von gleichen Fähigkeiten, gethan worden, von wel chen wir mehr erwartet hätten, und deren eine aus bloser Menschenliebe, die andre aber zugleich aus den Bewegungsgründen der göttlichen Gesetze, und
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der Handlungen zu beurtheilen. 375(Zweyter Abschnitt.) wegen der in der Offenbarung enthaltenen Ver sprechungen, dieses Gute unternommen hat: so werden wir von der guten Gemüthsart der erstern mehr überzeugt. Unsre guten Handlungen müs sen, in dem Verhältnis gegen die stärkern Bewe gungsgründe,* zunehmen, wenn sie eine gleiche gute Gemüthsart beweisen sollen. 10. Doch, da der wahre Endzweck der Tu gend ist, das allgemeine Beste zu befördern, nicht aber, daß jemand sich selbst mit hohen Begriffen von seiner eigenen Tugend vergnügen soll: so mus jeder tugendhafter Mann ein Verlangen tragen, seiner Seele alle Bewegungsgründe vorzustellen, welche ihn zu Ausübung guter Handlungen antrei ben, und ihn gegen alle Schwierigkeiten mit Muth und Entschlossenheit bewafnen können. Er mus sich nach der festen Ueberzeugung bestreben, daß die Tugend der höchste wahre Vortheil sey, daß Gott sich seiner annehmen, und ihn, entweder in dem gegenwärtigen, oder in dem zukünftigen Le ben, glücklich machen werde. Wenn wir diese 39
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(Zweytes Buch.) 376 Regeln der Sittlichkeit Wahrheiten unsern Seelen einprägen, und über die selben oft nachdenken, um uns, in dem Wandel ei ner, über alle eigennützige Vortheile dieser Welt, er habenen Tugend, beständig zu machen: so beweisen wir dadurch, die besten gemeinnützigen Gesinnun gen. Hingegen verräth die Abneigung gegen sol che Betrachtungen eine üble Gemüthsart, da sie die natürlichen Mittel hindansetzet, alle liebreiche Nei gungen zu stärken, und alle Hindernisse derselben aus dem Wege zu räumen. Diejenigen werden in Ausübung guter und liebreicher Handlungen am beständigsten fortfahren, welche die stärksten Be wegungsgründe zu denselben in sich fühlen, und alle Gedanken von entgegengesetzten Vortheilen von sich entfernt haben. Nun sind aber keine andern Menschen so beschaffen, als diejenigen, welche glau ben, und sich ohne Unterlas daran erinnern, daß die göttliche Vorsehung, die Beschützerin der Tu gendhaften, und die Bürgin ihrer Glückseligkeit sey; welche sich an eine innige Liebe, Achtung und Dankbarkeit gegen Gott gewöhnt haben, und die selben, mit allen edelmüthigen Neigungen, gegen ihre Nebenmenschen, zugleich wirken lassen. Von einer ähnlichen Wirkung, nur in einem niedrigern Grade, ist die Bemerkung in menschlichen Angele genheiten, daß ein tugendhafter Wandel der sicherste Weg ist, sich einen äusserlichen Frieden und Wohl stand zu verschaffen, so wie er uns allezeit innere Ruhe und Freude zuwege bringt. Allein, alles dieses ist kein Beweis, daß ein Tugendhafter, bey der Ausübung der Tugend, blos seine eigne Glück seligkeit zum letzten Endzweck mache.
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der Handlungen zu beurtheilen. 377(Zweyter Abschnitt.) VI. Da aber die Neigungen der Menschen zuweilen durch die Handlungen andrer, wozu sie(Wie die Handlungen anderer zuge rechnet wer den.) beygetragen haben, entdeckt werden: so ist offenbar, daß eine tugendhafte Handlung eines an dern, zu welcher wir, aus einer guten Neigung, mit Vorsatz, etwas beygetragen haben, in einem gewis sen Grade uns zur Ehre gereichen kan. Und wenn wir, zu der lasterhaften Handlung eines andern, da durch, daß wir, unsrer Pflicht zuwider, etwas bege hen oder unterlassen, etwas beytragen: so wird diese Handlung uns ebenfalls, als unser eigenes Ver gehen, zugerechnet. Dieses geschieht aber, in ver schiedenen Graden, da die Verschiedenheit der Um stände sehr gros seyn kan. 1. Gleichwie diejenigen, welche andre zur Tugend ermahnen, ermuntern und anführen, eine gute Gemüthsart zu erkennen geben, und an den veranlassten guten Handlungen keinen geringen Antheil haben: also werden die Verführer zu la sterhaften Handlungen für schuldig gehalten; ihre Rathschläge mögen ins Werk gerichtet worden seyn oder nicht. Allein böse Rathschläge vermindern zuweilen die Schuld derjenigen Person, welche die lasterhaften Handlungen ausübet. Vor dem menschlichen Richterstuhl wird zwar ein blosser Rath selten bestraft, wenn der Rathgeber keine Ge walt über den andern besitzt; und wenn er, an dem, aus einer Beleidigung, gezogenen Nutzen, nichts zu seinem Antheil erhält: so ist er zum Er satz des Schadens nicht verbunden. Es ist schwer, ausfindig zu machen, was für Wirkungen solche
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(Zweytes Buch.) 378 Regeln der Sittlichkeit allgemeine Ueberredungen bey der handelnden Per son hervorgebracht haben, welche vielleicht, auch ohne von denselben veranlasst zu werden, auf eben diese Art gehandelt haben würde. 2. In manchen Fällen kan die Aufmunte rung eines andern zu bösen Unternehmungen, oder der denselben ertheilte Beyfall keine so lasterhafte Gemüthsart verrathen, als die Ausführung selbst, da bey der Ausführung viele Dinge vorkommen, welche dem Rathgeber, oder demjenigen, welcher sei nen Beyfall giebt, sich nicht entgegen stellen, welche aber die handelnde Person abhalten, und ihr die Handlung widerrathen können; dergleichen ist ein starkes Gefühl des Mitleidens, und der Gewissens unruhe, die Vorstellung künftiger Strafen oder ge genwärtiger Gefahren. Die Ueberwindung dieser widerrathenden Bewegungsgründe, welche, bey der Ausführung, auf die Menschen stärker wirken, ver rathen eine lasterhaftere Gemüthsart in der ausfüh renden Person. Wenn hingegen der Rathgeber, oder derjenige, welcher seinen Beyfall ertheilt, von keinem Eigennutz, noch von der Absicht, einer Ge fahr zu entgehn, noch von heftigen Leidenschaften angetrieben wird, und gleichwohl einen andern zu lasterhaften Handlnngen<Handlungen> überredet, und dieselben billigt: so kan derjenige, welcher solche Handlun gen, von dergleichen Bewegungsgründen angetrie ben, vollbringt, nicht so ganz verachtungswürdig, von allen moralischenEmpfindungen nicht so ganz leer seyn, als der Rathgeber oder die Person, welche ihm ihren Beyfall zugesteht.
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der Handlungen zu beurtheilen. 379(Zweyter Abschnitt.) 3. Derjenige, welcher, aus eigener Bewe gung, ein Verbrechen begeht, verräth eine schlim mere Gemüthsart, als einer, der auf den Befehl ei nes Obern, und aus Furcht vor der ihm gedroheten Bestrafung, wenn er sich weigern würde, Gehor sam zu leisten, eine ähnliche Handlung, mit einem innern Widerwillen, unternimmt. Wenn der Schaden, welchen er andern durch seinen Gehorsam zuzieht, viel geringer ist, als das Uebel, dem er sich ausgesetzt haben würde, wenn er dem erhaltenen Befehl nicht gehorcht hätte: so kan sein Gehorsam vollkommen unschuldig seyn, besonders, wenn er be reit ist, den Schaden, welchen er andern, um seiner eigenen Sicherheit willen, zugefüget hat, wieder gut zu thun; und die ganze Schuld wird auf denjeni gen, welcher den Befehl ertheilet hat, zurückfallen. Ueberhaupt, die Personen, welche Macht und An sehn besitzen, sind die vornehmsten Ursachen alles desjenigen, was auf ihren Befehl vollbracht wird. Der Unterthan ist oft unschuldig; und wenn er nicht ganz zu rechtfertigen ist: so wird doch die Verschuldung, durch die Versuchung, vermindert. Ja auch das heftige und ungestüme Anhalten eines Freundes, vermindert einigermassen die Schuld. 4. Allein, alle Handlungen, die wir, vermö ge unsers Willens und unserer Wahl, unterneh men, und die auf die Glückseligkeit oder das Elend anderer einen Einflus haben, unsre Bewegungs gründe dazu mögen gewesen seyn, was für welche es wollen, sind allemal moralische, und der Zurech nung fähige Handlungen, da sie Beweise unsrer
|| [0380]
(Zweytes Buch.) 380 Allgemeine Begriffe Neigungen sind. Die Furcht vor einem grossen gedroheten Uebel kan, gleich andern Arten des Zwangs, in vielen Fällen, dasjenige unschuldig machen, was, ohne diesen Zwang, ein Verbrechen gewesen seyn würde; als wenn man Strassenräu bern Geld oder Waffen überlässt, um sein Leben zu erhalten, oder, wenn wir, bey einem Sturme, unsre oder andrer Leute Güter über Bord werfen. Die ses sind unschuldige Handlungen, ja sogar einiger massen Pflichten. Und auch alsdenn, wenn der aus einer Handlung entstehende öffentliche Nach theil grösser ist, als derjenige, dem wir durch diese Handlungen entgehen, wird die Schuld, ob gleich nicht ganz entfernet, doch sehr vermindert. Sol che Handlungen sind allemal moralisch, und können uns, als moralisch gut oder böse, zugerechnet werden.
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Der dritte Abschnitt, Die allgemeinen Begriffe von den Rechten und Gesetzen, nebst ihren Ein. theilungen.

I.Vermöge der oben erklärten Beschaffenheit (Recht und Unrecht in den Hand lungen.) unsers moralischen Gefühls erlangen wir unsre Begriffe von *Recht und Unrecht, den beyden Eigenschaften der Neigungen und Handlungen. Die Neigungen, welche als recht gebilliget werden, sind entweder eine all gemeine Wohlgewogenheit, und Liebe der morali schen Vortreflichkeit oder besondere liebreiche Nei 40
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von den Rechten und Gesetzen. 381(Dritter Abschnitt.) gungen, welche neben diesen, bestehen. Die Hand lungen, welche als recht gebilliget werden, sind die jenigen, welche zum allgemeinen Vortheil, oder zum Vortheil einer besondern Gesellschaft oder einer ein zelnen Person, in soferne dieser neben jenem beste hen kan, unternommen werden. Die entgegenge setzten Neigungen und Handlungen sind unrecht. Einer Handlung wird eine materiale Güte(Die mate riale und formale Güte.) zugeschrieben, wenn sie, an sich selbst, das Beste des Systems befördert, in soweit wir davon zu urtheilen im Stande sind; oder, wenn sie zu dem Vortheil eines Theiles, welcher neben dem Vortheil des Systems bestehen kan, gereicht; die Neigun gen der handelnden Person mögen seyn, wie sie wol len. Wenn die Handlung aus guten Neigungen, in einem richtigen Verhältnis, herfliesset; so wird ihr eine formale Güte zugeschrieben. Ein tu gendhafter Mann, welcher* überlegt, welche von verschiedenen vorhabenden Handlungen er wählen soll, betrachtet und vergleicht die materialische Güte derselben, und alsdenn wird sein Entschlus durch sein moralisches Gefühl festgesetzt, welches ohne Ausnahme dasjenige vorzieht und empfiehlt, was zu der Glückseligkeit und Tugend des mensch lichen Geschlechts gereichen kan. Allein, bey der Beurtheilung seiner** ehemaligen Handlungen, be trachtet er vornehmlich die Neigungen, aus wel chen sie herkamen, ohne Absicht auf ihre Wirkun gen. Handlungen, welchen eine materiale Güte 41 42
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(Zweytes Buch.) 382 Allgemeine Begriffe beygelegt wird, können von Bewegungsgründen, die gar nichts Tugendhaftes in sich haben, herkom men. Und Handlungen, welche wirklich tugend haft sind, oder denen eine formale Güte zu geschrieben wird, können durch einen Zufall am En de einen allgemeinen Vortheil nach sich ziehn. Unser Begrif von Recht, wenn dasselbe eine moralische Eigenschaft ist, die einer Person zukomt, als wenn wir sagen, dieser hat ein Recht zu einer Sache, ist ein sehr weitläuftiger Begrif. Von ei ner jeden Handlung, welche wir für tugendhaft oder unschuldig halten, wenn eine Person, in gewissen Umstäaden<Umständen>, sie unternommen hat, sagen wir, diese Person habe ein Recht, sie zu unternehmen. Wenn jemand, in gewissen Umständen, etwas besizt oder gebraucht, und wenn wir es für unrecht hal ten, ihn in diesem Besitz zu stören, oder zu beunru higen: so sagen wir, es ist sein Recht, oder er hat ein Recht, dieses zu besitzen und zu gebrauchen. Wenn jemand an einem andern Forderungen zu machen hat, und die Umstände sind so beschaffen, daß wir es für ein unrechtes Verhalten ansehen würden, wenn dieser andere die Befriedigung ver weigern wollte: so sagen wir, er hat ein Recht dieses zu fordern. Oder kürzer zu sagen, es hat je mand ein Recht, etwas zu thun, zu besitzen, oder zu fordern,* „wenn seine Verrichtung, sein Be 43
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von den Rechten und Gesetzen. 383(Dritter Abschnitt.) sitz, oder seine Befriedigung, unter diesen Umstän den, zu dem Besten der Gesellschaft, oder zum Vor theil des einzelnen Wesens gereicht, ohne, daß da durch die Rechte anderer, und die allgemeinen Vor theile der Gesellschaft, den mindesten Abbruch lei den;“ und wenn das Gegentheil von allen diesen erfolgen würde, woferne dieser Person, in ihrem Besitze, und ihren Forderungen, Eintrag gesche hen sollte. II. Die Gerechtigkeit oder Güte der Hand lungen, ist mit ihrer Richtung auf die allge meine Glückseligkeit, oder ihrem Ursprung aus dem Verlangen nach derselben, nicht einerley. Die ses letztere ist die höchste Art der ersten. Unser moralischesGefühl hat auch andre unmittelba re Gegenstände des Beyfalls, viel eingeschränktere Neigungen, welche wir unmittelbar billigen müs sen, ohne an ihre Richtung auf den Vortheil eines Systems, zu denken. Auf gleiche Art misbilligen wir unmittelbar die unfreundlichen Leidenschaften und Handlungen, ohne auf ihre entfernte Wirkun gen in der Gesellschaft, Acht zu haben. Wenn je mand durch unschuldige Bemühungen und einige liebreiche Neigungen, sich selbst und denjenigen, die er liebet, die Mittel zu Ruhe und Vergnügen ver schaft: so mus jeder gutgesinnter Zuschauer sich freuen, daß er sie geniesst, und hingegen die Bemü hung seines Besitzes und Genusses unmittelbar misbilligen, ohne an die Wirkungen dieser Ungerech tigkeit, in einer Gesellschaft zu denken. Wenn aber ein wichtiger Vortheil einer Gesellschaft erfor
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(Zweytes Buch.) 384 Allgemeine Begriffe dert, daß ihm ein Theil von demjenigen, das er in Besitz hat, entzogen werde: so ist ein höherer Bewegungsgrund, ein öffentlicher Vortheil, vorhan den, auf welchen eine tugendhafte Seele mehr Acht haben mus: und eine allgemeinere Neigung, welche liebenswürdiger ist, als die eingeschränktere, recht fertiget die Seele, wenn sie diese leztere unterdrückt. Der erste Beyfall war zwar gleichergestalt unmit telbar; allein dieser leztere ist von einer höhern Art, und der erstere ist ihm von Natur unterworfen. (Eine jede natürliche Begierde scheint von einem Recht begleitet zu werden.) Da es zum Besten des Systems gereicht, daß alle unsre natürlichen Begierden und Empfindungen, selbst die von der niedrigsten Art, befriedigt werden, in so weit ihre Befriedigung, neben den edlern Ver gnügungen, bestehen kan, und ihnen nicht vorgezo gen wird: so scheint sie alle ein natürlicher Begrif von Recht zu begleiten. Wir glauben, so bald als wir zu moralischen Begriffen gelangen, daß wir ein Recht haben, sie zu befriedigen, bis wir einen Streit zwischen dergleichen niedrigern Begierden und andern Neigungen, die wir vermöge einer na türlichen Empfindung für höher erkennen, wahr nehmen. Dieses Gefühl des Rechts scheint der Grund von der Empfindung der Freyheit, und des Befugnisses zu seyn, auf welches wir uns alle be rufen, unsern eigenen Neigungen, durch die Befriedi gung irgend einer Begierde, gemäs zu handeln, bis wir sehen, daß diese Befriedigung neben einer höhern Neigung nicht bestehen kan. Die verschiednen na türlichen Triebe wirken ohne Zweifel in uns, ehe wir noch einige moralische Begriffe haben, und sind
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von den Rechten und Gesetzen. 385(Dritter Abschnitt.) auf ihre verschiedene Befriedigung gerichtet. Allein, wenn wir zu moralischen Begriffen gelangt sind: so halten wir uns für berechtigt, und wenn unsre Lei denschaften sich nicht empören: so gestehn wir auch andern ein Recht zu, jede Begierde zu befriedigen, welche keiner höhern natürlichern Neigung zuwider ist; und wir sehen es nicht nur für einen Schaden oder Nachtheil an, wenn wir, ohne diese Ursache, an der Befriedigung gehindert werden; sondern wir halten es auch für unmoralisch, und für den Beweis einer üblen Gemüthsart, wenn sich jemand untersteht, uns daran zu hindern. Wir misbilligen das Ver fahren eines Mannes, der mit Gewalt, und ohne gerechte Ursache, die Vergnügungen einer dritten Person hindert, mit der wir in keiner Verbindung stehen.* Allein, obgleich die Gerechtigkeit, Wahr haftigkeit, Offenherzigkeit und das Mitlei den, ohne Beziehung auf ein System, gebilliget werden: so müssen wir uns doch nicht einbilden, 44
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(Zweytes Buch.) 386 Allgemeine Begriffe daß irgend eine von diesen Neigungen bestimmt sey, die Absicht auf das allgemeine Beste, welches, wie wir gezeigt haben, die edelste Neigung unsrer Natur ist, aufzuheben oder einzuschränken. In der allgemeinsten Neigung liegt eine hinlängliche Würde, um sich zu rechtfertigen, wenn man, um derselben willen, irgend einer andern zuwiderhan delt: hingegen aber kan keine handelnde Person, bey einer ruhigen Ueberlegung, sich selbst Beyfall geben, wenn sie sich nach einer besondern Vor schrift richtet, oder irgend einer andern Neigung ih rer Natur folgt, ungeachtet sie, ihrer besten Ein sicht nach, wahrnimmt, daß sie, auf diese Art, dem öffentlichen Vortheil oder der allgemeinsten Glück seligkeit des Systems entgegen handelt. (Die Ursa chen des Jrr thums.) Wenn einige scharfsinnige und gutgeartete Männer einen unabhängigen Begrif* von der Ge rechtigkeit der Strafen in sich fühlen; so scheinen sie denselben von den Empfindungen und dem An trieb einer natürlichen Leidenschaft, von einem edel 45
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von den Rechten und Gesetzen. 387(Dritter Abschnitt.) müthigen Unwillen, oder von dem Zorn über grosse Verbrechen, empfangen zu haben. Allein diese Leidenschaft, ungeachtet sie uns weislich eingepflanzt worden, mus einer höhern Neigung nachgeben. Jhr Antrieb zielet auf die Züchtigung derjenigen ab, deren Laster sie erregt haben. Diese Leiden schaft und auch das Mitleiden, ob sie gleich beyde rühmlich sind, müssen oft, durch weise Obrigkeiten, Aeltern, und Aufseher in Schranken gehalten wer den. Ja, wenn es möglich wäre, alle diese Leiden schaften auszurotten, und an ihre Stelle eine ruhi ge Sorgfalt, für das allgemeine Beste, zu bringen, die der Seele beständig gegenwärtig wäre, und sie auf alle Pflichten des Lebens, welche diesen allge meinen Endzweck befördern können, ohne Unterlas aufmerksam machte: so würden alle diese Pflich ten genauer erfüllet werden. Höhere Ordnungen von Wesen können, dieser Leidenschaften insgesamt, entbehren. III. Die Rechte, in so fern die Beschützung(Vollkom mene und unvollkom mene Rechte) und Beobachtung derselben in der Gesellschaft mehr
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(Zweytes Buch) 388 Allgemeine Begriffe oder weniger nöthig ist, werden in vollkommne und unvollkommne eingetheilet. Jedes eigentliches Recht trägt zu dem öffentlichen Vortheil etwas bey, und ist auf die Absicht, denselben zu befördern, ge gründet. Unser Gewissen überzeugt uns von der Nothwendigkeit, die Rechte anderer zu beobachten und zu erfüllen, wenn wir den Beyfall Gottes und unsrer eignen Herzen erlangen wollen. Einige von diesen Rechten sind so beschaffen, daß der Vor theil der Gesellschaft erfordert, daß alle diejenigen, welche sie haben, dabey ungekränkt gelassen werden müssen, und es können andre, wenn ein gelinderes Verfahren nicht helfen will, mit Gewalt angehal ten werden, diese Rechte zu beobachten und zu er füllen. Diese werden vollkommene Rechte ge nennet; dergleichen sind das Recht eines jeden un schuldigen Mannes zu seinem Leben; zu einem gu ten Nahmen; zu der Gesundheit und dem Wohl stand seines Körpers; zu demjenigen, was er sich, durch erlaubte Mühe und Arbeit, erworben; seiner eigenen Wahl, in den Schranken des Gesetzes der Natur, gemäs zu handeln; dieses Recht nennen wir die natürliche Freyheit, von welchem die Frey heit des Gewissens ein wesentlicher und unzertrenn licher Theil ist. Bey diesen Rechten müssen alle Menschen gelassen werden, wenn kein allgemeinerer Vortheil des menschlichen Geschlechts eine Schmä lerung derselben erfordert. Keine Gesellschaft kan bestehen, wenn diese Rechte nicht heilig und unver letzlich sind. Keine einzelne Person kan glücklich seyn, wenn diese ihre Rechte, ohne Unterschied, ge kränkt werden.
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von den Rechten und Gesetzen. 389(Dritter Abschnitt.) Andere Rechte, die vor Gott und unserm eigenen Gewissen wirklich heilig sind, sind so be schaffen, daß sie, aus entfernten Ursachen eines öf fentlichen Vortheils, nicht durch Gewalt und Zwang behauptet, sondern den guten Herzen ande rer Menschen überlassen werden müssen. Diese werden unvollkommene Rechte genennet. Es ist ein grosser Vortheil, und ein dem menschlichen Geschlechte anständiges Verhalten, wenn diese Rechte einem jeden, dem sie zustehen, willig einge räumt werden, und die Verletzung derselben kan in manchen Fällen vor Gott eben so wohl ein Ver brechen seyn, als die Verletzung der vollkommenen Rechte. Allein da sie zu Erhaltung der menschli chen Gesellschaft nicht so schlechterdings nothwen dig sind, und hinlängliche Ursachen vor Augen lie gen, warum sie der Ehre und dem Gewissen der Menschen überlassen werden müssen: so bringen sie keinen Zwang hervor. Dergleichen sind die Rechte der Armen, von dem Ueberflus der Reichen unterstützet zu werden; die Rechte aller Menschen, von andern Gefälligkeiten zu erwarten, die densel ben weder Mühe noch Aufwand verursachen: die Rechte der Freunde und Wohlthäter zu freund schaftlichen und dankbaren Gegendiensten; das Recht eines jeden tugendhaften Mannes zu solchen Gefälligkeiten, welche ihm grössere Vortheile ver schaffen, als die Mühe oder der Verlust ist, den sie Männern, in ansehnlichen Bedienungen oder Glücksumständen, verursachen können. Es würde eine Veranlassung zu unendlichem(Mit un vollkomme nen Rechten dürfen keine) Streit und Krieg seyn, wenn mit allen diesen
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(Zweytes Buch.) 390 Allgemeine Begriffe Rechten, von einer so feinen Natur, Zwangsmit (Zwangsmit tel verbun den seyn.) tel verbunden wären, besonders da es so schwer ist, die verschiedenen Forderungen der Menschen und die Grade derselben, in deren Ansehung eine grosse Verschiedenheit der Meinungen vorhanden seyn mus, zu bestimmen. Wenn mit diesen Rechten Zwangsmittel verbunden wären: so würde für tu gendhafte Menschen keine Gelegenheit übrig seyn, die Güte ihres Herzens andern zu erkennen zu ge ben, und sich ihre Achtung und Dankbarkeit zu wege zu bringen. Diejenigen, welche auf ihren ei genen Vortheil am meisten sehen, würden aus Furcht des Zwangs, die bereitwilligsten seyn, diese Rechte zu erfüllen, wenn hierzu einmal ein gewisses Ebenmaas festgesezt worden wäre. Der Wahl oder der natürlichen Freyheit würde auch gar nichts mehr überlassen seyn. (Aeusserli che Rechte.) Es ist noch eine dritte Art übrig, welche aber mehr für das Zeichen eines Rechts, als für etwas, das diesen Namen verdiente, anzusehen ist. Wir nennen sie ein äusserliches Recht. Durch den Gebrauch desselben können wir uns weder den Bey fall Gottes, noch, wenn wir darüber nachdenken, den Beyfall unsrer eignen Herzen, zuwege bringen. „Wenn eine That, ein Genus, eine Forderung von andern, dem allgemeinen Besten wirklich nachthei lig, und den heiligen Verbindlichkeiten der Men schenliebe, Dankbarkeit, Freundschaft und derglei chen, zuwider ist; und wenn gleichwohl der Vor theil der Gesellschaft, aus gewissen entfernten Grün den, haben will, dieses Befugnis den Menschen
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von den Rechten und Gesetzen. 391(Dritter Abschnitt.) „nicht zu versagen, sondern es im Gegentheil, bey gewissen Vorfällen, zu bestätigen.“ So hat der lieblose Geizige dieses Zeichen des Rechts, auch den jenigen Theil von seinem Vermögen, welchen er zu Ausübung der Pflichten der Menschenliebe, Barm herzigkeit oder Dankbarteit, hätte anwenden sollen, für sich zu behalten; ein Darlehn von einem sichern Gläubiger, zur Unzeit oder mit einer unerbittlichen Strenge, wiederzufordern, und die Erfüllung har ter und ungleicher Verträge, welche kein Ge setz verbietet, zu verlangen. Viele dergleichen Forderungen sind, durch die bürgerlichen Gesetze, in Testamenten, Erbfolgen, und Contracten, einge führet worden, und die Billigkeit und Menschen liebe kan von gesetzmässigen Ansprüchen sehr weit unterschieden seyn. Dieser äusserliche Schein des Rechts ist alles, was übrig bleibt, wenn irgend eine Pflicht der Dankbarkeit, Freundschaft oder Men schenliebe erfordert, daß wir von demjenigen, was ausserdem ein vollkommenes Recht gewesen seyn würde, abgehen. Gleichwie keine Handlung, kein Genus, keine(Welche Rechte ein ander entge gen seyn können.) Forderung, und das, was ihnen entgegengesezt ist, der Gesellschaft gleich nützlich seyn kan: also hat die Natur nirgends eigentliche Rechte eingeführet, deren eines dem andern engegen wäre. Unvoll kommene Rechte der Menschenliebe können äusser lichen Rechten entgegen seyn. Allein da weder die erstern noch die leztern jemanden erlauben, mit gu tem Gewissen Gewalt zu brauchen: so kan niemals eine auf beyden Seiten gerechte Streitigkeit entste
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(Zweytes Buch.) 392 Allgemeine Begriffe hen. Eine Verbindlichkeit im Gewissen, äusserli chen Rechten, die andre haben können, gemäs zu handeln, kan von der Klugheit und einer Absicht auf unsern eignen Vortheil, oder von der Betrach tung des Nachtheils entstehen, welchen die Gesell schaft zu gewarten hätte, wenn man diesen Rechten sich widersetzen wollte; aber niemals wird man dergleichen Rechte einer Person, die, der Menschen liebe zuwider, darauf besteht, aus dem Bewustseyn einer Pflicht gegen diese Person, einräumen. (Die Ge rechtigkeit der Gesetze verschiede ner Arten.) Die Gerechtigkeit der Gesetze leidet eben diese Eintheilung. Gewisse Systemen derselben wer den blos in dem Verstande gerecht genennet, „weil sie alles, was zu einem friedsamen und ruhigen Zustande unumgänglich nöthig ist, gebieten, und alles, was eine gute Ordnung und nützliche Anstal ten nothwendig aufheben und hindern müsste, ver bieten, ungeachtet sie weder für die Ausübung edlerer Tugenden sorgen, noch den lasterhaften Handlungen, wenn sie nicht schlechterdings schäd lich sind, Einhalt gethan wissen wollen.“ In Staaten, wo sich dergleichen Gesetze finden, sind alle Handlungen, welche keines von diesen noth wendigen Gesetzen beleidigen, gesetzmässig gerecht, und die Menschen haben ein gesetzmässiges Recht, alles zu thun, was die Gesetze verstatten, ob es gleich nicht nur oft der Menschenliebe, sondern auch demjenigen, was bey einer feinern Einrichtung nothwendig seyn würde, entgegen ist. Zuweilen ist ein redlicher Gesetzgeber zu der Einführung sol cher Gesetze gezwungen, wenn die schlimmen Eigen
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von den Rechten und Gesetzen. 393(Dritter Abschnitt.) schaften seiner Unterthanen keine bessern zulassen.* In einer andern Bedeutung würde blos dasjenige System von Gesetzen gerecht genennet werden, „in welchem alles auf die weiseste Art, in der Absicht geordnet worden, um in der Gesellschaft die beste Ordnung einzuführen, und die grösste Tugend und Glückseligkeit unter einzelnen Personen auszubrei ten.“ Im erstern Verstande kan das jüdische System gerecht genennet werden, weil es die Viel weiberey, und die Ehescheidung nach Gefallen zu lies; die Hinrichtung der Mörderer und Todschlä ger Privatpersonen, den nächsten Anverwandten des Umgebrachten, verstattete; und beschwerliche Gebräuche bey dem Gottesdienste enthielt. IV. Unsere Rechte sind entweder veräusser(Die Rechte sind entwe der veräusser lich oder un veräusserlich.) liche oder unveräusserliche. Die erstern sind an diesen beyden Kennzeichen zusammen genommen, zu erkennen, nämlich, wenn nicht nur die Uebertra gung derselben auf andre, wirklich geschehen kan, sondern wenn auch ein Vortheil der Gesellschaft, oder das Beste einzelner Personen, welches neben jenem bestehen kan, dergleichen Uebertragung er fordert. So ist unser Recht an unsern Gütern 46
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(Zweytes Buch.) 394 Allgemeine Begriffe und Arbeiten, seiner Natur nach, veräusserlich. Allein wenn weder diese Uebertragung wirklich ge schehen kan, noch ein Vortheil des menschlichen Le bens dieselbe erfordert: so ist das Recht unveräus serlich, und kein anderer, als die Person, welche es ursprünglich besizt, kan darauf gerechte Ansprüche machen. So kan niemand seine Meinungen, Ur theile und innern Neigungen, nach eines andern Gefallen, ändern; und es kan keinen Nutzen brin gen, wenn er dahin gebracht wird, etwas, den Em pfindungen seines Herzens zuwider, vorzugeben. Das Recht unsers eigenen Urtheils ist also unver äusserlich. (Die Grade von unvoll kommenen Rechten an, bis zu den vollkomme nen, sind un zählbar.) V. Wenn wir die Rechte, in die zwo Classen, der vollkommenen und unvollkommenen, eintheilen: so wollen wir dadurch nicht anzeigen, daß alle Rech te einer jeden Classe von gleicher Wichtigkeit und Nothwendigkeit sind; daß die Verschuldung, bey der Verletzung aller vollkommenen Rechte, gleich ist; oder daß die Verletzung aller unvollkommenen Rechte gleich strafbar sey. Von der geringsten Forderung der Menschenliebe an, bis zu dem höch sten vollkommenen Rechte, giebt es unzähliche Grade. Ein jeder würdiger Mann, ob er gleich nicht elend ist, hat, zu Verbesserung seines Zustandes, auf die Gefälligkeiten der Grossen und Reichen einen An spruch, wenn keiner, der grössere Verdienste besizt, oder dürftiger ist, Anspruch darauf macht. Dieses ist mit den niedrigsten unvollkommenen Rechten oder Ansprüchen so beschaffen. Ein tugendhafter aber unglücklicher Mann hat ein höheres Recht.
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von den Rechten und Gesetzen. 395(Dritter Abschnitt.) Einer, der das gemeine Beste vorzüglich befördert, hat noch ein höheres; einer, der Männern, die nunmehro in grossen Ansehn stehen, besondere Dien ste geleistet hat, hat stärkere Ansprüche an ihnen zu machen, besonders, wenn er in Elend gerathen ist. Alles dieses nennen wir unvollkommene Rechte. Je grösser die Verdienste und die natürlichen Ur sachen der Liebe in einer Person sind, welche diese Ansprüche zu machen hat, desto näher kommen sie auch den vollkommenen Rechten. Ein ver dienstvoller unglücklicher Mann hat, wegen der Be dürfnisse des Lebens, an alle, die ihm beystehen kön nen, unvollkommene Ansprüche; allein er hat fast ein vollkommenes Recht, von seinen Kindern, wel che ihn helfen können, nicht nur den nothdürftig sten Unterhalt, sondern auch solche Bequemlichkei ten des Lebens zu fordern, welche seinem Stande ge mäs sind, in so ferne die Kinder ihm dieselben, ohne sich selbst unglücklich zu machen, verschaffen kön nen. Das Gefühl eines rechtschaffenen Mannes, der mit den Angelegenheiten des menschlichen Le bens bekant ist, mus dieses, in besondern Fällen, ge nauer bestimmen. Ueberhaupt sind die Rechte desto heiliger, je(Wovon ih re Stärke abhängt.) wichtiger ihr Einflus auf das allgemeine Beste ist, je grösser die Uebel sind, welche die Verletzung der selben nach sich zieht, je geringer der Aufwand oder die Mühe ist, die zur Beobachtung derselben erfo dert wird, je grösser die Verdienste oder die Ursa chen zur Liebe in den Personen sind, welchen diese Rechte zustehen. Und je stärker das Recht ist,
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(Zweytes Buch.) 396 Allgemeine Begriffe desto grösser ist das Verbrechen, wenn man sich ihm widersetzet; und desto geringer ist der Grad der Tugend, wenn man es dem andern willig einräumet. Je geringer hingegen der Nachtheil ist, wel chen die Verletzung eines Rechts nach sich zieht, je grösser die Mühe und der Aufwand bey Erfüllung desselben ist, je weniger Verdienste die Person hat, desto schwächer ist das Recht. Allein alsdenn be weisen wir mehr Tugend, wenn wir auf dasselbe aufmerksam sind, woferne wir nur den höhern An forderungen anderer, in einem richtigen Verhält nisse, eine höhere Aufmerksamkeit widmen; und die moralische Schändlichkeit ist desto geringer, wenn wir darauf nicht Acht haben. Man bewei set eine geringe Tugend, wenn man eine richtige Schuld bezahlet, sich aller Beleidigungen und Grausamkeiten enthält, Gefälligkeiten, wodurch sich andere uns ausserordentlich verpflichtet haben, nur auf eine gewöhnliche Art erwiedert, einem würdi gen Vater in seinem Unglück nur den nothdürftig sten Beystand erweiset: allein ein Verhalten, wel ches solchen heiligen Befugnissen entgegen läuft, ist das verabscheuungswürdigste. Wenn man einem würdigen Manne, der keine besondere Anforderun gen an uns hat, edelmüthige Dienste erzeiget: so beweisen wir dadurch eine bessere Gemüthsart, als wenn wir einem Anverwandten oder grossen Wohl thäter gleiche Gefälligkeiten erzeigen, woferne wir nur im ersten Falle, bey gleichen Verdiensten, und besondern Anforderungen an uns, in einem richti
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von den Rechten und Gesetzen. 397(Dritter Abschnitt.) gen Verhältnisse, höhere liebreiche Neigungen zu erkennen geben. VI. Auf ein jedes Recht bezieht sich eine Ver(Recht und Verbind lichkeit be ziehen sich auf einan der.) bindlichkeit, welche vollkommen oder unvollkom men ist, wie das Recht. Der Ausdruck Verbind lichkeit ist unbestimmt und zweydeutig. Wir sa gen, es sey jemand zu einer Handlung verbunden, „wenn er aus der Einrichtung der menschlichen Natur, erkennen mus, daß er und jeder aufmerk samer Zuschauer die Unterlassung dieser Handlung als moralisch böse misbilligen müsste.“ Dieses Wort bedeutet auch zuweilen „einen starken Be wegungsgrund eines Vortheils, der von dem Wil len eines mächtigen Obern herkomt, um uns zu bewegen, daß wir so, wie er verlangt, handeln sol len.“ Im ersten Verstande gründet sich die Ver bindlichkeit auf unser moralisches Gefühl; in dem leztern scheint sie sich von ihm abzusondern. Allein die Beschreibung eines Obern, der eine Verbind lichkeit hervorbringen kan, schliesst nicht nur eine hinlängliche Macht oder Gewalt in sich, sondern auch ein gegründetes Recht, zu regieren; und die ses Recht wird uns zu unserm moralischen Ge fühl zurückleiten. Von dieser Zweydeutigkeit rühret es her, daß viele scharfsinnige Männer ein ander so heftig widersprochen haben, weil einige ei ne Verbindlichkeit, welche eher da ist, als alle Be trachtungen des Vortheils, und als alle Gesetze, be hauptet, andere aber die ursprüngliche Quelle aller Verbindlichkeit, von dem Willen oder dem Gesetze eines allmächtigen Wesens, abgeleitet haben. Die
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(Zweytes Buch.) 398 Allgemeine Begriffe ses führt uns, zu der allgemeinen Lehre von den Ge setzen, und von den Gründen des Rechts, vernünf tig handelnde Wesen zu regieren, auf welches sich ihre Verbindlichkeit zu gehorsamen, bezieht. (Die Merk male des göttlichen Willens.) VII. Da wir in dem ersten Buche gezeigt ha ben, daß uns allen hinlängliche Merkmale von dem Daseyn und der VorsehungGottes gegeben wor den, und daß er der Urheber aller unsrer natürlichen Kräfte und Fähigkeiten, unsrer Vernunft, unsers moralischen Gefühls, und unsrer Neigungen ist: so können wir auch, durch ein gebührendes Nach sinnen, deutlich erkennen, welche Handlung diese Beschaffenheit unsrer Natur, unserm Beyfall, als moralisch vortreflich, und unsrer Wahl, als uns vortheilhaft, empfiehlt. Wir müssen dahero die Absicht des Urhebers der Natur, bey allem diesen erkennen, und unsre, bey einem reifen Nachdenken, gemachten Folgerungen, als so viele Anzeigen von dem göttlichen Willen, in Ansehung unsers Ver haltens, betrachten. Wenn wir zu dieser Ueber zeugung gelangt sind: so werden diese practischen Folgerungen von unserm moralischen Gefühl und von unserm Vortheil, in unsren Herzen, eine neue Stärke erhalten. (Das Recht der Gottheit, alles zu re gieren.) Da wir uns Gott mit Recht als ein Wesen von vollkommener Güte und Weisheit, und als den grössten Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, vorstellen: so müssen unsre Herzen, durch die stärk sten Empfindungen der Dankbarkeit, angetrieben werden, alles dasjenige, was wir für seinen Willen erkennen, ins Werk zu richten; und sie müssen an
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von den Rechten und Gesetzen. 399(Dritter Abschnitt.) allem Ungehorsam das stärkste Misfallen empfin den. Seine moralische Vortreflichkeit mus diese Empfindungen der Dankbarkeit stärker machen, und die uns obliegende Pflicht, ihm zu gehorchen, tiefer in uns prägen, da sie beweiset, daß dasjenige, was er befiehlt, auf das allgemeine Beste abzielen müsse. Diese, aus der Einrichtung unsrer Natur, hergeleitete practische Folgerungen preisen uns nicht blos unsern eigenen Vortheil, oder einen feinern Geschmack an, dem wir, als einem Mittel eines ausgesuchtern Vergnügens, zu folgen, oder aber zu wider zu handeln die Freyheit haben, wenn es uns gefällt, uns mit einer andern Art von Belustigun gen zu unterhalten. Sie werden uns, durch die Empfindungen unsrer Herzen, als die Veranlassun gen einer heiligen Verbindlichkeit, eingepräget, und die Hindansetzung derselben mus im höchsten Grad gemisbilligt werden, und, unter der hassenswürdigen Gestalt einer Undankbarkeit und Hinderung des all gemeinen Besten, eine tiefe Gewissensunruhe her vorbringen. Auf diese Art empfinden wir unsre moralische Verbindlichkeit, dem Willen Gottes zu gehorchen. Die göttlichen Vollkommenheiten, welche uns diese Empfindungen beybringen, sind seine moralischen Eigenschaften, und seine Wohl thaten, welche er dem menschlichen Geschlechte mit getheilet hat. Denn gleichwie es zu dem allgemeinen Be sten gereichen mus, daß ein Wesen von vollkomme ner Weisheit und Güte über die menschlichen Ange legenheiten die Aufsicht hat, welches ihre Handlun
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(Zweytes Buch.) 400 Allgemeine Begriffe gen regiert, und seine Freude über dieselben zu er kennen giebt: also mus es auch, sonder allen Zwei fel, zum allgemeinen Besten gereichen, wenn alle vernünftige Geschöpfe seinem Willen gehorchen. Dieses beweist sein Recht zur moralischen Regie rung. Denn der höchste Begrif vom Recht ist dasjenige, welches auf das allgemeine Be ste abzielet; und wenn jemand eine Handlung unternimmt, welche darauf gerichtet ist: so hat er ein Recht, sie zu unternehmen.* Der eigentliche Grund des Rechts ist hier unendliche Güte und Weisheit. Die Wohlthaten, welche Gott uns erzeigt, geben unsrer Verbindlichkeit durch die Em pfindung der Dankbarkeit und unserm natürlichen Abscheu vor der Undankbarkeit, eine neue Stärke. Doch Wohlthaten allein sind nicht der eigentliche Grund des Rechts, da sie nicht beweisen, daß die übernommene Gewalt auf das allgemeine Beste ab zielet, oder neben ihm bestehen kan, so sehr sie auch einen angenehmen Bewegungsgrund zum Gehorsam abgeben können. (Und wird durch die All macht bestä tiget.) Da die Gottheit auch allmächtig ist, und uns nach Gefallen glücklich oder unglücklich machen kan: so ist zwar diese Eigenschaft kein eigentlicher Grund des Rechts, allein sie ist ein starker eigennütziger Be wegungsgrund, seinem Willen zu gehorchen, und eine sehr nothwendige Beschaffenheit, das Recht der übernommenen Regierung zur Vollstreckung zu bringen. Das Recht selbst ist auf seine Weisheit 47
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von den Rechten und Gesetzen. 401(Dritter Abschnitt.) und Güte gegründet, welche beweiset, daß seine Ge walt, Gesetze zu geben, und denselben Verheissun gen und Drohungen beyzufügen, auf das grösste Gut abziele. Und da dieses Gut nicht erreicht werden kan, wenn die Gesetze auf die Unterthanen keinen Einflus haben, und da dieser Einflus auf verderbte Gemüther nicht möglich ist, woferne die verheisse nen Belohnungen oder gedroheten Strafen nicht zur Wirklichkeit gebracht werden: so ist es aus ebendiesen Vollkommenheiten klar, daß es recht ist, oder, daß die Gottheit ein Recht hat, die aufdiese<auf diese> Art nothwen digen Verheissungen und Drohungen zu erfüllen, welches er, vermöge seiner Macht, zu thun fähig ist. Allein, da kein Mensch seine Nebengeschöpfe(Die mensch liche Macht ist nicht auf diese Art ge gründet.) von seiner höhern Weisheit und Güte genugsam überzeugen, und allen Verdacht einer Schwachheit oder eigennütziger Absichten von sich entfernen kan; da kein bestimmtes Kennzeichen einer höhern Weis heit und Güte, welche zur Regierung geschickt macht, vorhanden ist; da unzähliche Menschen auf einmal darauf Ansprüche machen würden; da wir keine Gewisheit von guten Gesinnungen haben, weil auch die bösartigsten Menschen, durch heuchle rische Gefälligkeiten, sich den Schein eines gu ten Herzens geben können; da ein Volk nicht glück lich seyn kan, wenn seine Vortheile von dem Gut dünken solcher Personen, deren Weisheit und Güte verdächtig ist, abhängen: so können diese Eigen schaften, unter den Menschen, der natürliche Grund der Gewalt nicht seyn; und es kan auch nicht zum
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(Zweytes Buch.) 402 Allgemeine Begriffe allgemeinen Besten gereichen, wenn sie, zu dem Grund eines solchen Rechts zu regieren, und andere zum Gehorsam anzuhalten, für hinlänglich gehalten werden sollten. Einige ausserordentliche Fälle können eine Ausnahme zulassen. (Was Ge setze sind.) VIII. Ein Gesetz ist „die Erklärung desjeni gen, der ein Recht zu regieren hat, was für Handlungen er, zu Beförderung des öffentlichen Vortheils, unternommen, oder unterlassen wissen will; und was für Bewegungsgründe er festgese tzet hat, zu den gebotenen Handlungen aufzumun tern, und von den verbotenen abzuschrecken.“ Ein Gesetz enthält also diese zween Theile; den Be fehl, welcher die verbotenen und gebotenen Hand lungen bestimmt; und die Befestigung, * wel che denjenigen, die den Gesetzen gehorchen, Beloh nungen verheist, und den Uebertretern derselben die Bestrafung ihres Ungehorsams drohet. Der Befehl mus allemal ausgedrückt, die Befestigung hingegen kan darunter verstanden, und der Will kühr des Gesetzgebers vorbehalten werden. Dieser Begrif von einem Gesetze beweist, mit wie vielem Rechte, die practischen Folgerungen, welche eine gesunde Vernunft, aus der von Gott gemachten und unsrer Einsicht dargestellten Ord nung der Natur, herleitet, Gesetze der Natur, und Gesetze Gottes genennet werden. Und alle innerliche oder äusserliche Privatvortheile, von wel chen wir wahrscheinlicher Weise vorhersehen, daß sie 48
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von den Rechten und Gesetzen. 403(Dritter Abschnitt.) ein diesen Folgerungen gemässes Verhalten, vermö ge der Einrichtung unsrer eignen Natur, oder der Natur andrer Leute, oder der uns umgebenden Welt, begleiten werden, sind so viele Verheissun gen; und alle Uebel, welche unsre Hindansetzung dieser Folgerungen nach sich ziehen kan, sind Dro hungen, welche auf eben die Art, wie die Befehle, erklärt und bekant gemacht worden sind. Der einzige Nutzen der Worte und der Schrift besteht bey Gesetzen in der Entdeckung des Willens des Gesetzgebers. Allein, durch einen an dern und näheren Weg entdeckt Gott seinen Willen in Ansehung unseres Verhaltens, und legt uns durch die Einrichtung der Natur, und durch die den Menschen mitgetheilten Kräfte der Vernunft und des moralischenGefühls, die wichtigsten Bewe gungsgründe vor, und macht uns also, auf eine eben so kräftige, und auf eine edlere und göttlichere Art, als durch Worte und Schrift, ein Gesetz, mit seinen Verheissungen und Drohungen, bekant. IX. Die Gesetze werden in natürliche und(Natürliche und positive Gesetze.) positive eingetheilet. Allein diese beyden Ausdrü cke werden in verschiedenen Verstande gebraucht. Zuweilen gründet sich diese Eintheilung auf die verschiedenen Arten der Bekantmachung; und alsdenn werden durch die natürlichen Gesetze die moralischen Bestimmungen des Herzens, und die, vermittelst der gesunden Vernunft, aus diesen Bestimmungen und andern Wahrnehmungen in der Natur, gezogenen Folgerungen; durch die positi ven Gesetze aber, solche verstanden, welche in Wor
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(Zweytes Buch.) 404 Allgemeine Begriffe ten oder Schriften bekant gemacht worden, der Inhalt derselben mag seyn, was es für einer will. Andre nehmen die durch diese Worte ausge drückte Eintheilung, von der Verschiedenheit des Inhalts der Gesetze, an. Einige Gesetze erklä ren die natürlichen, eigentlichen und nothwendigen Mittel zu Erhaltung der Würde der menschli chen Natur und zu Beförderung der allgemeinen Wohlfart, so, daß entweder entgegengesetzte oder anders beschaffene Gesetze nicht gleich nützlich, ja der Gesellschaft schädlich seyn würden; diese werden natürliche genennet; dergleichen sind alle Gesetze der Gerechtigkeit und Menschenliebe. Andere Ge setze sind wirklich auf einen guten Endzweck gerich tet, und verlangen, in Absicht auf denselben, gewisse Mittel; allein dieses sind nicht allemal die einzigen, nothwendigen oder vorzüglichen Mittel. Eben derselbe gute Endzweck kan durch verschiedene Mit tel, die alle gleich geschickt und dienlich sind, erhal ten werden; und doch kan es zu dem Besten einer Gesellschaft nothwendig seyn, daß man sich über ei ne gewisse Art von Mitteln vergleicht, damit sie von allen angewendet werden. Ja, gewisse Einrichtun gen können gewisse Gewohnheiten nützlich machen, welche, ihrer eigenen Natur nach, von keinem Nu tzen sind. So können gewisse Gebräuche bey dem Gottesdienste, die, an sich selbst, von keiner Wich tigkeit sind, den Menschen sehr nützlich werden, wenn sie etwa, zum Gedächtnis denkwürdiger Be gebenheiten, eingeführet worden, deren öftere Er
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von den Rechten und Gesetzen. 405(Drittes Buch.) innerung die Seele an dankbare, gottseelige und menschenfreundliche Regungen gewöhnen kann. Die meisten Veranlassungen zu positiven Ge(Die weisen Endzwecke positiver Ge setze.) setzen kommen vor, wenn eben dieselben guten End zwecke durch verschiedene Wege erlangt werden kön nen, und es gleichwohl nöthig ist, daß alle, die zu einem gewissen Gebiete gehören, angehalten wer den, insgesamt einen von diesen Wegen zu gehen. So kan weder ein gemeinschaftlicher Gottesdienst zu Stande gebracht, noch ein Gericht gehalten werden, wenn nicht Zeit und Ort bestimmet wird: und doch wird sich selten finden, daß eine Zeit, aus na türlichen Ursachen, bequemer dazu seyn sollte, als die andre. Auf gleiche Art giebt es, bey Hand habung der Gerechtigkeit, verschiedene Arten von Processen, verschiedene Bestrafungen der Verbre cher, und verschiedene Zeiten zur Vollstreckung der selben. Es ist nöthig, daß alle diese Puncte, in ei ner ganzen Gesellschaft, nach einer gewissen allge meinen Richtschnur, festgesetzet werden, und doch kan man nicht sagen, daß eine, unter den möglich sten Bestimmungen, schlechterdings die beste sey, so daß sie, durch die kleinste Veränderung, in eine schlimmere ausarten würde. Zu der Verbindlichkeit eines Gesetzes ist die Bekantmachung nothwendig. Es wird aber ein Gesetz nicht alsdenn erst für bekant gehalten, wenn jeder Unterthan davon wirklich weis; sondern es ist genug, wenn ein jeder es in seiner Gewalt hat, durch Anwendung eines solchen Fleisses, dessen er fähig ist, Wissenschaft davon zu erlangen. Die in
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(Zweytes Buch.) 406 Allgemeine Begriffe den Gesetzen gedroheten Bestrafungen werden da hero mit allem Rechte an einem Uebertreter voll streckt, welcher zwar von den Gesetzen nichts weis, dessen Unwissenheit aber seine eigene Schuld ist, und der von den Gesetzen Wissenschaft hätte erlangen können, wenn er den Fleis angewendet hätte, wel chen in seinen Umständen, ein jeder redlicher Mann angewendet haben würde. Doch kan die Unwissenheit einiger Gesetze, von welchen nicht so leicht Wissenschaft zu erlangen ist, bey einigen Menschen wegen vieler Abhaltungen, wegen geringer Einsichten, oder wegen Mangel der Gelegenheit, entschuldiget werden, ungeachte diese Unwissenheit bey andern, die sich in vortheilt haftern Umständen befinden, eine grosse Verschul dung ausmachen würde. (In wie weit das Gesetz der Natur vollkommen ist.) X. Da die Gesetze der Natur nicht blos die ursprünglichen moralischen Bestimmungen der See le, sondern auch die, aus der Einrichtung der menschlichen Natur, vermittelst der darüber ange stellten Betrachtungen, hergeleitete practische Fol gerungen, wodurch wir erkennen, welches Verhal ten anständig sey, und auf das allgemeine Beste abziele, in sich fassen: so darf über ihre Vollkom menheit nicht gestritten werden, da jedermann gestehen mus, daß selbst die Vernunft der scharfsinnigsten und geübtesten Menschen immer noch unvollkom men ist. Es ist möglich, daß ein höheres Wesen den wichtigen Einflus einer gewissen Richtschnur des Verhaltens auf die allgemeine Wohlfahrt einse hen kan, welchen niemals ein Mensch hat entdecken
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von den Rechten und Gesetzen. 407(Dritter Abschnitt.) können; und Menschen von der gemeinen Gattung können zwar leicht die allgemeinen und nothwen digsten Regeln entdecken, allein sie können selten die Gründe ausfindig machen, oder nur fassen, auf welchen einige besondere Gesetze beruhen, die ihren wesentlichen Grund in der Natur haben. Wenn man unter dem System der Gesetze der Na tur, die Einrichtung der Natur selbst, oder die Ge wisheit, welche jedem vernünftigen Wesen in dem Ganzen vor Augen liegt, verstehen: so ist es ohne Zweifel vollkommen. Allein seine Vollkommen heit kan weder die nützliche Bekantmachung der Ge setze durch Worte und Schriften, noch die Entde ckungen weiser Gesetzgeber und Sittenlehrer unter den Menschen, noch die, ihrem Inhalte nach, will kührlichen Vorschriften entbehren; weil so wenige Menschen zu einer richtigen Erkäntnis dieser Ein richtung gelangen können; und niemand im Stande ist, dieselbe vollständig einzusehen. Wir dürfen aus Ursachen, die wir oben an geführt haben, die Vorsicht, wegen dieser Unvoll kommenheit, eben so wenig anklagen, als wir uns, wegen der geringen Stärke unsers Körpers oder der kurzen Dauers unsers Lebens, über sie beschweren dürfen. Wenn wir von unsern Kräften, und von den vorkommenden Gelegenheiten einen guten Ge brauch machen: so wird das menschliche Leben in dieser Welt, in den vornehmsten Stücken, ein an genehmer und glücklicher Zustand seyn; und doch kan durch die göttliche Offenbarung, oder auch durch richtige Schlüsse weisen Menschen, zur Ver
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(Zweytes Buch.) 408 Allgemeine Begriffe besserung dieses Lebens, vieles entdeckt, und manche nützliche Einrichtung getroffen werden, deren Ursa chen weder ungesittete Völker, noch der Pöbel unter den gesitteten, jemals zu begreifen im Stande sind. (Alle Gesetze müssen auf etwas Gutes abzielen.) Ueberhaupt sind alle weise und gerechte Ge setze auf die Beförderung der allgemeinen Glückse ligkeit, oder auf das Beste eines Theils des Sy stems, welches das allgemeine Beste befördert und neben ihm bestehen kan, gerichtet. Das morali sche Gute im Gehorsam besteht entweder in der un mittelbaren Absicht, den guten Endzweck des Ge setzes zu befördern, wir mögen ihn nun selbst voll kommen einsehen, oder uns auf die Gütigkeit des Gesetzgebers verlassen; oder in dankbaren Neigun gen gegen den Gesetzgeber. Wenn der Gehorsam sich blos auf die Furcht vor der Strafe, oder auf die Hofnung der Belohnung, gründet: so ist in ihm keine moralische Vortreflichkeit vorhanden, ob er gleich in einigen Fällen unschuldig seyn kan. (In wie weit das Gesetz der Natur un veränderlich ist.) XI. Die Befehle des Gesetzes der Natur, oder diese practischen Wahrnehmungen werden für unveränderlich und ewig gehalten, weil in einem solchen System von Geschöpfen, wie wir sind, eini ge Regeln, oder vielmehr die Verfassungen, aus welchen sie entsprangen, und auf die sie sich grün den, auf das allgemeine Beste gerichtet seyn müs sen, so wie ihr Gegentheil einen allgemeinen Nach theil veranlasset. Allein wir dürfen uns nicht ein bilden, daß alle besondere Vorschriften des Gesetzes der Natur so unveränderlich sind, als man insge mein anzunehmen gewohnt ist. Wenn wir die
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von den Rechten und Gesetzen. 409(Dritter Abschnitt.) Vorschriften unveränderlich machen wollen: so müs sen wir viele Ausnahmen, als Theile der Vorschrift, zugeben, oder wir müssen dieser Vorschrift nur über haupt in ordentlichen Fällen, gemäs handeln. Da die Vorschrift nichts weiter ist, als eine Folgerung, die aus der Wahrnehmung, was für ein Verhalten der Gesellschaft ordentlicher Weise vortheilhaft sey, herfliesset: so können sich viele besondere Fälle er äugen, in welchen die Abweichung von der ordent lichen Regel das allgemeine Beste mehr befördert, als die Beobachtung derselben. Und weise mensch liche Einrichtungen können einige Rechte, welche ehemals jeder einzelnen Person, durch das Gesetz der Natur, eingeräumet worden, entweder gar auf heben, oder doch einschränken. Im Stande der Natur hatte jeder ein Recht, sich für ein erlittenes Unrecht, von dem Urheber desselben, durch Privat gewalt Genugthuung zu verschaffen, wenn gelinde re Mittel nichts helfen wollten. Allein durch die bürgerlichen Gesetze ist den einzelnen Personen das Recht entzogen worden, auf diese Art zu verfahren. Auf gleiche Art schränken auch die bürgerlichen Ge setzGesetze mit allem Rechte unsern Gebrauch unsers Ei genthums ein, und befehlen, einen Theil davon zu öffentlichen Bedürfnissen herzugeben, dahingegen das allgemeine Gesetz der Natur einem jeden den vollen Gebrauch desjenigen, was er sich erworben hat, und das Recht, dasselbe nach seinem eigenen Gefallen anzuwenden, eingeräumet hatte. Son derbare Fälle der Nothwendigkeit werden auch für Ausnahmen von den ordentlichen Gesetzen angese hen. Ordentlicher Weise ist es eine Beleidigung,
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(Zweytes Buch.) 410 Allgemeine Begriffe wenn man sich des Eigenthums eines andern, ohne seine Einwilligung, bedient; aber ein unschuldiger Mann, der sein Leben, auf der Flucht vor einem ungerechten Feinde, nicht anders retten kan, begeht nichts unrechtes, weil er, auf die Einwilligung des Eigenthümers nicht warten konte. Die beyden Grundgesetze, „Gott zu lieben und die allgemeine Glückseligkeit zu befördern,“ leiden keine Ausnahme; ja in dem leztern sind alle Ausnahmen von den besondern Gesetzen der Natur, alle Rechte, in sonderbaren Fällen der Nothwendig keit, von den ordentlichen Regeln abzuweichen, und alle Einschränkungen unsrer Rechte, durch weise Einrichtungen gegründet; weil durch alles dieses, in gewissen Fällen, und unter gewissen Vorausse tzungen, ein höheres Gut des Systems erlangt wer den kan, als durch die Beobachtung der ordentli chen Regel zu erreichen gewesen wäre. XII. Es entstehen, unter den Moralisten und Theologen, um deswillen grosse Streitigkeiten, weil sie den Unterschied, zwischen diesen practischen Be obachtungen, die wir Gesetze der Natur nennen, und zwischen den Gesetzen, welche Gott, oder menschliche Gesetzgeber, in Worten und Schriften, bekant gemacht haben, nicht genugsam in Betrach tung ziehen. Diesen Streitigkeiten kan man durch folgende Anmerkungen zuvor kommen: (Was die Billigkeit ist.) 1. Da sie durch die Billigkeit „eine Ver besserung eines Mangels in dem Gesetz, welcher sich in dem zu weiten oder zu kleinen Umfan“
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von den Rechten und Gesetzen. 411(Dritter Abschnitt.) „ge der darinnen gebrauchten Ausdrücke äussert,“ verstehen, wenn nämlich dieses Gesetz, nach der wahren Meinung des Gesetzgebers, richtig erkläret, und so weit, als die Ursachen desselben es zulassen, ausgedehnet, hingegen auf Fälle, welche die Ursa chen des Gesetzes nicht unter sich begreifen, nicht angewendet wird: so findet diese Art von Billig keit, in dem Gesetz der Natur, nicht statt, da uns die Gesetze nicht durch Worte gegeben worden sind, in welchen allein eine zu grosse oder zu geringe All gemeinheit liegen kan. Alles, wovon uns die ge sunde Vernunft sagt, daß es ein menschenfreundli ches und billiges Verhalten sey, ist ein Theil des Gefetzes<Gesetzes> der Natur. 2. Die ganze Lehre von den Dispensatio(Die Lehre von der Di spensation komt aus den canonischen Gesetzen her) nen wurde von den Canonisten eingeführet, nach dem der christlichen Welt viele seltsame unvernünf tige und unnöthige Gesetze aus den niedrigsten Ab sichten aufgebürdet worden, und es gleichwohl oft nothwendig war, die Menschen von der Verbind lichkeit derselben zu befreyen. Durch die Dispen sation wird verstanden „eine Handlung des Gesetz gebers, wodurch er gewisse Personen von der Ver bindlichkeit der Gesetze, welche sich auf diese Per sonen eben so wohl, als auf andere, erstrecken, be freyet:“ und sie schliesset allemal eine Verminde rung oder Aenderung des Gesetzes ein. 3. Das Wort Dispensation ist unbestimmt: und es giebt verschiedene Arten derselben. Es kan entweder, einem der wider ein Gesetz gehandelt hat, die Dispensation von der in dem Gesetz enthaltenen
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(Zweytes Buch.) 412 Allgemeine Begriffe Strafe ertheilt werden: oder es kan einer, von dem Befehl des Gesetzes, noch ehe er dawider han delt, befreyet werden. Im ersten Falle ist die Dispensation „die Befreyung einer Person von der gesetzmässigen Bestrafung, die sie, durch die Uebertretung des Gesetzes, verdient hätte; oder sie ist die Verminderung oder Aenderung der Strafe. Es sind, wie wir hernachmals sehen werden, wich tige Ursachen vorhanden, warum die Gewalt sol cher Dispensationen in jedem Staate irgendwo vorhanden seyn mus, wenn der öffentliche Vortheil dergleichen erfordert; und, in Ansehung der Be strafungen, welche natürliche Folgen der Beleidi gung des Gesetzes der Natur sind, und ordentli cher Weise zu Beförderung des allgemeinen Besten nothwendig seyn können, würde es gleichergestalt mit der vollkommensten Weisheit und Güte beste hen, wenn Gott, der grosse Beherrscher der Welt, diese Leiden zuweilen aus Gnaden abwenden wollte, weil vielleicht der wahre Endzweck derselben, auf andere Art, erreicht werden könte. Allein da wir uns keine Gesetze vorstellen können, die Gott eben so einschränkten, wie selbst die höchste Obrigkeit weltlicher Staaten eingeschränkt wird, und da durch die Gesetze der Natur keine solchen besondern Stra fen, als durch die menschlichen Gesetze, bestimmt worden sind: so kan über das göttliche Recht, die mit der Uebertretung der natürlichen Gesetze ver knüpften Strafen, aufzuheben, oder zu ändern, kaum einiger Zweifel entstehen. 4. Was aber die, vor der Uebertretung eines Gesetzes, vorhergehende Dispensation von demsel
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von den Rechten und Gesetzen. 413(Dritter Abschnitt.) ben anbetrift: so mus, wenn das Gesetz selbst, in seinem ganzen Umfange, weise ist, diese vorherge hende Difpensation<Dispensation> bey einem jeden Regenten für einen Mangel der Ungerechtigkeit und Klugheit an gesehen werden. Es ist offenbar, daß keine Er laubnis und kein Befehl einer Person die morali sche Natur unsrer Neigungen ändern und machen kan, daß die Liebe Gottes und unsers Nächstens für lasterhaft, und die entgegengesezten Neigungen für tugendhaft gehalten werden müssten; es kan auch keine Erlaubnis und kein Befehl die morali scheNatur der aus diesen Neigungen herfliessenden äusserlichen Handlungen ändern. Kein Mensch würde eine solche Erlaubnis und einen solchen Be fehl billigen können, und von einem guten GOtt kan dergleichen nimmermehr erwartet werden. Ei nige verworrene Begriffe von dem göttlichen Rech te der Oberherrschaft haben einige Schriftsteller auf die Meinung gebracht, als ob ein göttlicher Befehl lieblose und menschenfeindliche Neigungen, und die daraus entstehenden Handlungen, welche auf den allgemeinen Schaden des Systems abzielen, recht fertigen könte. Allein, wenn wir die Empfindun gen unsrer Herzen fragen, und den ursprünglichen Begrif von dem Recht in den Handlungen, und von dem Recht in der Regierung, in so fern es et was anders ist, als eine blose höhere Gewalt, unter suchen wollen: so werden wir finden, daß solche Lehren sich selbst widersprechen. 5. Was die äusserlichen gebotenen Hand lungen anlangt, wenn in Ansehung der Neigun
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(Zweytes Buch.) 414 Allgemeine Begriffe gen keine wörtlichen Vorschriften vorhanden sind: so mus ein gewisser Befehl eines Wesens, von des sen vollkommener Weisheit und Güte wir überzeugt sind, uns den Schlus machen lassen, daß die befohl nen Handlungen, dem gegenwärtigen äusserlichen Schein zuwider, wirklich die allgemeine Wohlfart am Ende befördern, und kein überwiegendes Uebel veranlassen werden; wenn die Ueberzeugung von der Güte desjenigen, der die Handlung geboten hat, und die Gewisheit des Umstands, daß dieses Gebot ihn wirklich zum Urheber hat, so gros ist, daß sie die entgegengesezten Vermuthungen hinlänglich über trift, welche von dem äusserlichen Schein, als ob die gebotene Handlung üble Folgen haben werde, entstehen können. Dieser Fall kan kaum für eine Dispensation von dem Gesetz der Natur gehalten werden, weil die handelnde Person dem Gesetz, welches, ihrer Ueberzeugung nach, auf einen guten Endzweck abzielet, gemäs handelt, obgleich diese ihre Ueberzeugung sich auf das Zeugnis eines andern, und nicht auf ihre eigene Erkäntnis, gründet. 6. Wenn durch die Dispensation von einem Gesetz blos„ eine Erlassung der äusserlichen Strafe solcher Handlungen, die wirklich böse, oder den Vorschriften der gesunden Vernunft, welche uns die vollkommensten und tugendhaftesten Handlun gen bezeichnen, entgegen sind,“ verstanden wird: so müssen die menschlichen Gesetzgeber, wie wir her nachmals sehen werden, die äusserlichen Strafen sehr oft erlassen. Es wird angeführet, daß viele
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von den Rechten und Gesetzen. 415(Dritter Abschnitt.) solche Fälle in dem mosaischen Gesetz vorkom men, welche durch die Umstände dieses Volks und der benachbarten Nationen gerechtfertigt werden könten, weil eine strengere Einrichtung sie, von der Verehrung des wahren Gottes, abgeleitet haben würde. Allein alsdenn kan eine solche Befreyung von den äusserlichen Strafen die moralische Schändlichkeit der Handlungen bey solchen Men schen weder entfernen noch vermindern, welche die schädlichen Folgen dieser Handlungen und ihren Streit mit den vollkommensten und tugendhaftesten Einrichtungen kennen. Dergleichen Befreyungen können das gemeine Volk gewöhnt haben, auf das Lasterhafte der Handlungen weniger aufmerksam und deswegen ganz sicher zu seyn, so, daß die Schuld durch eine gewaltige Unwissenheit, welche bey Menschen von der untersten Ordnung unüber windlich geworden seyn kan, sehr vermindert wird. Allein weil diese Schuld, durch dergleichen Befrey ungen, nicht ganz entfernt werden kan: so sind sie das nicht, was die Theologen und Canonisten ge meiniglich durch die Befreyungen von dem Gesetz der Natur verstehen, welche, wie sie voraussetzen, die darauf erfolgten Handlungen vollkommen un schuldig machen. 7. Unter den gewöhnlichen Begrif von der Dispensation können auch diejenigen Fälle nicht ge bracht werden, wenn eine obere handelnde Person, vermöge der, durch die Gesetze, ihr ertheilten Ge walt, mit Dingen, die ihrem Gebrauch überlassen sind, auf eine ungewöhnliche Art verfährt; oder
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(Zweytes Buch.) 416 Allgemeine Begriffe wenn die Güter der UnterrhanenUnterthanen, welche ein, zwar wider ihre Mitbürger, aber nicht wider ihren Ober herrn, gültiges Recht darauf haben, von dem Oberherrn, vermöge der durch die Gesetze ihm er theilten Gewalt, nach Gefallen angewendet und von einem auf den andern übergetragen werden. Oder wenn der Fürst andre bevollmächtiget, dasje nige in seinem Nahmen zu thun, was er durch Be dienten, die er nach Gefallen erwählen kan, thun zu lassen berechtiget ist, ungeachtet es ein Verbre chen gewesen seyn würde, wenn ein Unterthan, ohne den Auftrag des Fürsten erhalten zu haben, solche Handlungen unternommen hätte. Was von einer Person, zu Folge der durch die Gesetze ihr ertheilten Gewalt, geboten und vollstreckt wird, kan kaum für eine, vermöge der Befreyung vom Gesetze, unternommene Verrichtung ausgegeben werden. Ein Schuldner ist, den Gesetzen nach, verbunden, seine Schulden zu bezahlen; allein der Erlas des Gläubigers befreyt ihn von dieser Ver bindlichkeit. Wir können aber deswegen nicht sa gen, daß ein jeder Gläubiger die Macht hätte, von den Gesetzen der Natur zu befreyen. Aus dieser Betrachtung geben scharfsichtigere Theologen nicht zu, daß die ausserordentlichen Befehle, welche Mo ses und Josua erhalten haben, für Befreyungen von den Gesetzen der Natur anzusehen wären. Doch es ist unnöthig, über Worte zu streiten. Wenn das Gesetz selbst, in dem ganzen Umfange seiner Ausdrücke, weise und gerecht ist: so kan keine Handlung eines Obern die Uebertretung desselben unschuldig und rühmlich machen. Allein die mei
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von den Rechten und Gesetzen. 417(Dritter Abschnitt.) sten besondern Gesetze der Natur können nicht in gnugsam allgemeinen Worten ausgedrückt werden, ohne in vielen Fällen Ausnahmen zu machen; be sonders diejenigen, welche Gottes Ausübung seiner rechtmäsigen Obergewalt betreffen. Nach der eigentlichen Meinung der Canoni sten, findet also die Dispensation blos bey seltsa men unvernünftigen, oder bey solchen Gesetzen statt, welche zu allgemein abgefasst worden, und worinnen von den vernünftigen und billigen Ausnahmen nichts enthalten ist, die gleichwohl den Gesetzen selbst hätten einverleibt werden sollen. In den Gesetzen der Natur findet sie nicht statt, weil eben dieselbe Vernunft und Beobachtung, welche die ordentliche allgemeine Regel entdeckt, auch die Ausnahmen ausfindig macht, die deswegen Theile des Gesetzes sind. Nachdem wir diese allgemeine Lehre, von der Sittlichkeit der Handlungen, den Rechten und Gesetzen, vorangeschicket haben, wollen wir nun mehro zu den besondern Betrachtungen der Rechte und Pflichten der Menschen und zu den besondern Gesetzen der Natur fortgehen; und zwar zuför derst, in wie fern sie, von der Natur selbst, vor al len willkührlichen Ständen und Verknüpfungen, welche von der Einrichtung und Vereinigung der Menschen herrühren, gemacht und geordnet wor den; so dann aber, in wie fern sie, durch willkühr liche Einrichtungen und Verknüpfungen entstehen, und darinnen gegründet sind.
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(Zweytes Buch.) 418 Die verschiedenen Stände
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Der vierte Abschnitt, Die verschiedenen Stände der Menschen. Der Stand der Freyheit ist kein Stand des Krieges. Wie Privatrechte erkant werden. Die Nothwendigkeit eines geselligen Lebens.

(Was ein moralischer Zustand ist.) Wenn wir von den verschiedenen Ständen der Menschen reden: so verstehen wir durch einen Stand weder den unbeständigen Zustand, darinnen ein Mensch, auf eine kurze Zeit, seyn kan, noch eine Verbindlichkeit, in welcher er ein=oder zweymal sich befinden kan, sondern„ einen dauerhaften Zustand, welcher eine lange Reihe von Rechten und Ver bindlichkeiten in sich fasst.“ Der Zustand der Menschen in Absicht auf die Gesundheit oder Krank heit, Schönheit oder Häslichkeit, oder andere Um stände, welche in andern Wissenschaften erwogen werden, gehören nicht zu unserm Vorhaben. Der moralische Zustand fasst allemal eine Reihe morali scher Pflichten und Rechte in sich. (Der Stand der natürli chen Frey heit ist kein Stand des Krieges.) I. Wir müssen, aus den, im vorhergehenden Buche, vorgetragenen Lehren, sattsam erkennen, daß, in dem ursprünglichen Stande der Natur, viele geheiligte, den Menschen zustehende Rechte und vie le Pflichten vorhanden sind, welche einem jeden, ge gen seine Nebenmenschen, obliegen. Das ganze System der Seele, besonders unser moralisches Gefühl, unterrichtet uns sowohl von den Pflich ten der Gutthätigkeit und Menschenliebe, die wir al
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der Menschen. 419(Vierter Abschnitt.) len schuldig sind, als auch von den besondern Ver bindlichkeiten, welche uns, gegen einige unter unsern Nebenmenschen, zu Dienstleistungen einer höhern Art verpflichten, als die übrigen von uns verlan gen können. Wir haben hier keine andere Bewei se nöthig, daß dieser erste von der Natur gegründete Stand, so wenig ein Stand des Kriegs und der Feindschaft ist, daß er vielmehr ein Stand ist, worinnen wir alle, durch die natürlichen Empfin dungen unsrer Herzen, und durch viele zärtliche Nei gungen, verbunden werden, allen andern nicht nur nicht zu schaden, sondern ihnen auch wohlzuthun: und daß der Krieg einer von den willkührlichen Ständen ist, welche einzig und allein von Beleidi gungen entstehen, wenn wir, oder einige unsrer Ne benmenschen, den Vorschriften der Natur entgegen gehandelt haben. Es ist wahr, daß in diesem Stande der Frey heit, wo keine bürgerlichen Gesetze und keine sicht bare Macht, ihre Verordnungen zur Erfüllung zu bringen, vorhanden sind, die Menschen oftmals be leidigende Handlungen unternehmen werden, welche den Gesetzen ihrer Natur zuwider sind; und daß die Ahndungen desjenigen, dem diese Beleidigungen zu gefügt werden, Krieg und Gewaltthätigkeiten ver anlassen müssen. Allein dieses beweist nicht, daß hierinnen die wahre Natur dieses Standes bestehe, weil alle Gesetze und Verbindlichkeiten dieses Standes Friede, Gerechtigkeit, und Gutthä tigkeit anbefehlen. In bürgerlichen Gesellschaf
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(Zweytes Buch.) 420 Die verschiedenen Stände ten übertreten viele die Gesetze, durch Diebstahl und Gewaltthätigkeiten; allein wir folgern hieraus nicht, daß ein politischer Stand ein Stand des Krieges unter Menschen, die sich auf diese Art vereiniget haben, seyn müsse. (Die öftern Beleidigun gen beweifen es nicht.) Es ist auch wahr, daß die natürlichen Leiden schaften und Begierden der Menschen sie oft dahin bringen können, einander Beleidigungen zuzufü gen. Allein die Gesetze dieses Standes werden nicht, von diesen Grundtrieben allein, abgeleitet. Es giebt höhere Kräfte, welche, ihrer Natur nach, geschickt sind, denselben Einhalt zu thun, besonders das moralische Gefühl, welches die Rechte und Verbindlichkeiten dieses Standes bezeichnet, und uns unterrichtet, wie weit eine Begierde oder Leiden schaft unterhalten werden kan, ohne uns um den Beyfall unsrer eigenen Seelen zu bringen, und was für Begierden und Leidenschaften, eine innere Unruhe, Verabscheuung unsrer selbst und Schaam veranlassen müssen. Wir sind auch mit der Ver nunft begabt, welche so gar unsre äusserlichen Vor theile hierinnen festsetzt, und zeigt, daß wir unsre eigennützigen Begierden auf keine sicherere Art befrie digen können, als wenn wir uns, gegen andre, aller Beleidigungen enthalten, und im Gegentheil uns freundlich gegen sie betragen. Diese Kräfte ma chen uns die Regeln oder Gesetze dieses Standes der Freyheit bekant, und alle Stände werden nach demjenigen benennet, was die Gesetze oder Verbind lichkeiten derselben gebieten und erfordern, nicht aber nach einem Verhalten, welches den Gesetzen
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der Menschen. 421(Vierter Abschnitt.) dieser Stände entgegen ist, und zu welchen die Menschen, durch ihre Leidenschaften, verführet werden. Die Urheber dieses unnatürlichen Systems(Es sind Wi dersprüche in diesem Sy stem.) widersprechen ihren eigenen Lehren, indem sie zuge ben und beweisen, daß die vernünftige Kraft, mit welcher wir, ihrem Geständnisse nach, zur Einrich tung unsers Lebens, von der Natur begabt sind, uns bald unterrichten wird, daß dieser allgemeine Krieg aller Menschen, mit allen Menschen, schädlicher seyn mus, als man sich vorstellen kan; daß er von jeden, so viel möglich, vermieden werden wird; und daß auch die Vernunft uns einige Regeln des Verhal tens bekant machen wird, wodurch der Frieden, mit allen seinen Seligkeiten, den Menschen bewahret, oder wiederhergestellet werden kan. Ohne Zweifel mus also das Verhalten, welches die natürlichen Grundtriebe des menschlichen Geschlechts einem je den, als das nothwendigste und vorzüglichste, an preisen, für das natürliche Verhalten in diesem Stande angesehen werden, nicht aber dasje nige, zu welchen eine unmenschliche Begierde einen Menschen verführen kan, so lange die herrschenden Grundtriebe seiner Natur entschlummert sind, oder ungeübt bleiben. Es ist auch thöricht, die Worte zu misbrau chen, und den Stand der Einsamkeit den natür lichen Stand der Menschen zu nennen, weil, in diesem Zustande, weder ein Mensch das Daseyn er halten, noch, ohne eine wundervolle Vermittelung, nur wenige Tage würde leben können.
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(Zweytes Buch.) 422 Die verschiedenen Stände II. Dieser Stand der natürlichen Freyheit ist (Der Stand der Freyheit dauert im merfort.) unter denjenigen anzutreffen, welche keinen gemein schaftlichen Oberherrn haben, und einzig und allein Gott und dem Gesetz der Natur unterworfen sind. Dieses ist kein erdichteter Stand; er ist allemal vorhanden gewesen, und mus vorhanden seyn, so lange die ganze Erde nicht ein Reich wird. Die väterliche und mütterliche Gewalt der ersten Ael tern des menschlichen Geschlechts mus entweder so bald, als ihre Kinder zu einem reifen Alter gelangt waren, wie wir hernachmals zeigen werden, oder doch wenigstens, nach dem Tode der Aeltern, aufge höret haben. Dieser Stand der Freyheit dauerte vermuthlich lange Zeit unter den verschiedenen Häuptern der Familien, ehe die bürgerlichen Re gierungen eingeführet wurden. Und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er, in einigen rauhern Thei len der Welt, auch noch izt anzutreffen ist. Ja er mus beständig, unter den verschiedenen unabhängi gen Staaten, und unter den Unterthanen verschie dener Staaten, angetroffen werden, welche entwe der auf dem Ocean, oder in Ländern, wo keine bür gerliche Gewalt vorhanden ist, zusammen kommen. Die Gesetze der Natur sind die Gesetze dieses Stan des, sie mögen durch die bürgerliche Gewalt bestäti get werden oder nicht: und es ist der vornehmste Endzweck der bürgerlichen Gesetze, die Menschen durch sichtbare Bestrafungen, von der Uebertre tung derselben, desto sichrer abzuhalten. Eben die Ursachen, welche den grössten Theil unsrer bürgerli chen Gesetze rechtfertigen, beweisen die Verbindlich keit der Menschen, sie als Gesetze der Natur, ohne
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der Menschen. 423(Vierter Abschnitt.) alle Rücksicht auf die Bewegungsgründe einer welt lichen Macht, zu beobachten. III. Da man sagt, die Menschen „haben ein(Die Rechte werden, in die Rechte einzelner Personen, ganzer Ge sellschaften, und aller Menschen eingetheilet.) Recht zu thun, zu besitzen, oder von andern zu ver langen, was die Glückseligkeit der einzelnen Person erfordert, und wovon der öffentliche Vortheil des menschlichen Geschlechts zulässt, daß sie es thun, besitzen, und von andern erlangen dürfen;“ und da alle Rechte und Verbindlichkeiten, in einer Rich tung auf die allgemeine Glückseligkeit, oder auf das Beste einzelner Personen, ihren Grund haben, in so fern es, neben der allgemeinen Wohlfahrt, besteht, welche eine Folge der Glückseligkeit einzelner Per sonen seyn mus: so können die Rechte in Ansehung derjenigen, welchen sie zustehen, und auf deren Be stes sie unmittelbar abzielen, in die Rechte einzel ner Personen, in die Rechte besonderer Gesellschaf ten, und in die Rechte des ganzen menschlichen Ge schlechts, als ein System betrachtet, eingetheilet werden. Die von der ersten Art werden, durch das Gesetz der Natur, unmittelbar zum Besten einzel ner Personen; die von der andern Art aber zum gemeinschaftlichen Vortheil einer Gesellschaft oder eines Staats eingeführet, obgleich nicht unmittel bar mehr zu dem Besten des einen Mitglieds, als des andern. Die von der dritten Art gehen weder eine einzelne Person noch eine Gesellschaft mehr, als die andere, an, und doch gereicht es zum allgemei nen Besten des menschlichen Geschlechts, daß diese Rechte behauptet, und aufrecht erhalten werden. Jede von diesen drey Classen kan entweder vollkom
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(Zweytes Buch.) 424 Die verschiedenen Stände men oder unvollkommen seyn, nachdem es mehr oder weniger nöthig ist, daß sie, zum öffentlichen Vortheil, aufrecht erhalten werden, und nachdem sie von einer solchen Natur sind, daß sie, entweder bey ihrer Vertheidigung und Verfolgung, Gewalt und Zwang zulassen, oder aber dem Gewissen und dem Gefühl der Pflicht anderer Menschen überlassen werden müssen. Diese Eintheilung haben wir oben erkläret. (Wie Pri vatrechte er kant werden.) IV. Die Privatrechte einzelner Personen wer den uns, durch die Beschaffenheit unsrer Natur, vermittelst dieser beyden Umstände, zusammenge nommen, bekant gemacht: Erstlich, durch die na türlichen Begierden und Empfindungen, welche die Befriedigungen bezeichnen, deren wir fähig sind, und welche einen Theil der Glückseligkeit ausma chen, die der Urheber der Natur für uns bestimmt hat; zweytens, durch die Kräfte der Vernunft und des Nachdenkens, welche uns unterrichten können, in wie weit die Befriedigung unsrer natürlichen Begierden, neben den feinern Grundtrieben in unsrer Natur, bestehen kan, welche, wie wir oben gezeigt haben, bestimmt sind, unsre besondern Begierden zu beherrschen, und ihnen Einhalt zu thun. Diese Grundtriebe zeigen, welche Grän zen nicht nur den eigennützigen Begierden, die auf die eigene Wohlfahrt der handelnden Person ab zielen, sondern auch den verschiedenen eingeschränk tern grosmüthigen Neigungen, und der Befriedi gung, auf welche sie gerichtet sind, gesetzet werden müssen. Sie lernen uns deutlich einsehen, daß
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der Menschen. 425(Vierter Abschnitt.) zwar der grosse Endzweck unsers Wesens die Beför derung der allgemeinsten Glückseligkeit ist, daß aber auch unsre Herzen zu gleicher Zeit unser Verhalten billigen, wenn wir nicht nur gegen Personen, die uns, durch nähere Verknüpfungen, vorzüglich werth sind, besondere liebreiche Neigungen zu erkennen ge ben, so lange dieses Verfahren nicht einem allge meinen Vortheil zuwider ist; sondern, wenn wir uns auch um die Befriedigung der auf uns selbst gerichteten Neigungen bemühen, so lange diese Befriedigung neben dem allgemeinen Vortheil beste hen kan, und die Seele nicht zu sehr auf sich selbst und auf ihren Eigennutz einschränkt. Die natürlichen Triebe und Begierden erin nern uns zuerst an die Privatrechte, allein, wir kön nen selten eine Aufmerksamkeit auf diese Erinne rung, gegen uns selbst rechtfertigen, wenn wir nicht in Erwägung gezogen haben, ob die Befriedigung, zu welcher wir geneigt sind, mit den Absichten der edlern Theile unsrer Natur, welche die grossen Ge genstände des Beyfalls der Seele sind, und auf eine allgemeinere oder auf die uneingeschränkteste Glück seligkeit abzielen, bestehen können. In vielen Ge genständen unsrer Begierden ist diese Eintracht so offenbar, oder es ist so wenig Vermuthung eines Streits vorhanden, daß wir von unsern Rechten auf einmal, und ohne lange Erwägung der allge meinern Vortheile, überzeugt werden; ja in man chen Fällen scheinen wir ein unmittelbares Gefühl des Rechts, mit der natürlichen Begierde zugleich, zu haben, und hingegen in dem uns von andern ge
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(Zweytes Buch.) 426 Die verschiedenen Stände thanen Widerstand ein moralisches Uebel wahrzu nehmen, wenn wir auf einmal einsehen, daß uns gewisse Befriedigungen zu dem Genus eines erträg lichen Lebens nothwendig sind; und wir müssen al len Widerstand, den man uns oder andern bey die sen Befriedigungen in den Weg leget, für grausam und unmenschlich halten, wenn wir nicht etwa ge wahr werden, daß dieser Widerstand, wegen eines allgemeinern Vortheils, nothwendig war. (Es ist hierin nen eine grosse Vor sicht nöthig.) Allein, die vornehmste Gefahr, in Anse hung unsers Verhaltens, von der Heftigkeit unsrer eigennützigen Begierden und Leidenschaften, entste het, welche oft die von den feinern Grundtrieben in unsrer Natur, zum allgemeinen Besten, ihnen gesetz ten Schranken überschreiten: so mus es zu unserm grossem Vortheil gereichen, die Seele auf alle Art von der Gerechtigkeit dieser Einschränkung zu überzeugen, und zu beweisen, daß es ihr eigener Vortheil erfordere, die eigennützigen Regungen den edelmüthigen und geselligen Neigungen un terwürfig zu machen. Unser moralischesGe fühl, welches wir oben erklärt haben, unterrichtet uns von der Gerechtigkeit und Schönheit dieser Unterwerfung, und von dem erhabenen innern Vortheil, welcher in dem innern Vergnügen und Beyfall unsrer Herzen liegt. Indem uns unsre Vernunft die moralische Regierung der Gottheit und ihre Vollkommenheiten entdeckt, stellt sie uns noch mehrere Bewegungsgründe vor, diese Abhän gigkeit der edelmüthigen und eigennützigen Neigun gen von einander, zu befestigen: und eine richtige
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der Menschen. 427(Vireter<Vierter> Abschnitt.) Betrachtung der Umstände des menschlichen Ge schlechts, in Absicht auf die äusserlichen Dinge, wird uns mit andern Bewegungsgründen bekant machen, eben dasselbe Verhalten, wozu uns diese hö hern Grundtriebe, anführen, auch äusserlich zu be obachten, wie wir kürzlich zu erklären uns bemü hen werden. V. Zuförderst ist es klar, daß zur Erhaltung des menschlichen Lebens, zur Befriedigung des schmerzhaften Antriebs der Begierden, und zur Er reichung einiger von den angenehmen äusserlichen Vergnügungen, deren unsre Natur fähig ist, sehr viele und mannichfaltige äusserliche Dinge erfordert werden; dergleichen sind Nahrung, Kleider, Woh nungen, allerhand Geschirre und vielerley Geräthe, welche wir, ohne viele Kunst und Mühe, und ohne den freundschaftlichen Beystand unsrer Nebenmen schen, nicht erlangen können. Ferner ist es offenbar, daß ein Mensch in ei(Das Elend des Lebens in der Einöde.) ner Einöde, ob er gleich erwachsen und stark, und und in allen zu dem menschlichen Leben nöthigen Künsten völlig unterrichtet wäre, sich dennoch kaum, auch in den besten Gegenden des Erdbodens, nur die geringsten Nothwendigkeiten des Lebens, geschweige angenehme Bequemlichkeiten, würde verschaffen können. Einer, der in den zum menschlichen Le ben erforderlichen Künsten unerfahren wäre, ob er gleich einen noch so starken Körper hätte, würde noch unfähiger seyn, in einer Einöde sein Leben zu er halten; und es würde schlechterdings unmöglich seyn, daß einer, ohne ein Wunder, von seiner Kind
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(Zweytes Buch.) 428 Die verschiedenen Stände heit an, in diesem Zustande sich beym Leben erhal ten könte. Und man setze auch voraus, daß, ver mittelst eines Wunders, er mit Nahrung, Kleidern und einer Wohnung, versehen würde: so müsste doch allemal ein Leben in der Einöde voll Furcht und Gefahr seyn. Man setze weiter voraus, daß auch alle diese Gefahren aus dem Wege geräumt würden: so könte doch in der Einöde die Uebung vieler unsrer natürlichen Kräfte und Begierden nicht statt finden; keine Liebe, keine geselligen Freuden, keine Mittheilung des Vergnügens, keine Achtung. Die entgegengesezten Regungen der Seele müssten einen Menschen, in diesem unnatürlichen Zustande, in eine tiefe Melancholie und Unzufriedenheit stür zen, die ihm das Leben unerträglich machen wür den. Dieses ist, von den meisten Schriftstellern, über das Gesetz der Natur, sattsam ausgeführet worden. Wenn wenige Personen, in einer kleinen Fa milie, einander wechselsweise hülfliche Hand leisten: so können sie sich die Nothwendigkeiten des Lebens verschaffen, die Gefahren vermindern, und sowohl gesellige Freuden, als feinere Vergnügungen ge niessen. Eben diese Vortheile müssen weit sicherer, und in weit grösserer Anzahl erreicht werden kön nen, wenn einige wenige solcher Familien, welche in einer Nachbarschaft leben, einander beystehen, da sie, auf diese Art, mühsamere Unternehmungen, die das gemeinschaftliche Beste befördern, ausführen können, und Gelegenheit haben, die geselligen Neigungen der Seele, auf eine angenehmere Art, zu üben.
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der Menschen. 429(Vierter Abschnitt.) Es ist bekant, daß eine gewisse Anzahl Men schen, zwanzig zum Exempel, durch ihre Arbeiten,(Die Vor theile der Ge sellschaft.) die Nothwendigkeiten und Beqvemlichkeiten<Bequemlichkeiten> des Lebens weit mehr befördern können, wenn einer Person eine gewisse einzelne Art von Arbeit, zu welcher sie sich bald geschickt machen kan, und einer andern Person wiederum eine andere Art angewie sen wird, als wenn jede von diesen zwanzigen ver bunden wäre, wechselsweise, mit allen verschiede nen Arten von Arbeiten, die zur Nothwendigkeit und Beqvemlichkeit<Bequemlichkeit> des Lebens erfordert werden, sich zu beschäftigen, ohne zu einer einzigen hinlängli che Geschicklichkeit zu besitzen. Im erstern Fall bringt eine jede Person eine grosse Anzahl von Werken einer Art hervor, und kan einen Theil der selben, gegen die von andern hervorgebrachte Wer ke, vertauschen, wenn er ihrer benöthigt ist. Einer erwirbt sich eine Erfahrung im Ackerbau, der andre in der Viehzucht, der dritte in der Maurerarbeit, der vierte in der Jagd, der fünfte eine Geschicklich keit, eiserne Werkzeugeuge<Werkzeuge> zu verfertigen, der sechste, Leinwand zuzubereiten, und so die übrigen alle. Auf diese Art werden alle, vermittelst des Tausches, mit Werken vollkommener Meister versehen. Bey dem entgegengesezten Verfahren würde es kaum möglich seyn, daß eine Person, in einer Art von Ar beit, einige Geschicklichkeit erlangen könte. Einige Werke, welche vielen Menschen höchst(Die Vor theile gros ser Gesell schaften.) nothwendig sind, können durch die vereinigten Arbei ten vieler Personen zu Stande gebracht werden, da sie hingegen durch die abgesonderten Arbeiten eben die
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(Zweytes Buch.) 430 Die verschiedenen Stände ser Anzahl nimmermehr hätten zu Stande gebracht werden können. Die vereinigte Stärke vieler Personen kan die Gefahren abwenden, welche von wilden Thieren, oder Räuberbanden zu befürch ten sind, und in welchen viele einzelne Personen umkommen müssen, wenn sie jeder besonders zu stossen. Die vereinigten Arbeiten von zwanzig Menschen können Wälder aushauen, Moräste ausfüllen, Meyerhöfe anlegen, wohnbare Häu ser erbauen, und Hürden für ihre Heerden zu bereiten, und dieses alles in weit kürzerer Zeit, als die abgesonderten Arbeiten eben dieser Anzahl. Durch verabredete Anstalten und eine abwechselnde Beyhülfe können sie beständige Wache halten, wel ches ihnen ausserdem unmöglich fallen würde. Grössere Gesellschaften müssen unsre Mittel, das Leben zu geniessen, vermehren, und uns zu ei ner allgemeinern und angenehmern Uebung unsrer Kräfte von allen Arten, Gelegenheit geben. Die Erfindungen, die Erfahrung und die Künste vieler Menschen werden mitgetheilet; die Wissenschaften erweitert, und gesellige Neigungen mehr und mehr ausgebreitet. Grössere Gesellschaften haben es in der Gewalt, grössere Entwürfe von dauerhaftern und allgemeinern Vortheilen auszuführen. * Die se Betrachtungen geben überflüssig zu erkennen, daß das gesellige Leben und die Beyhülfe unsrer Neben menschen, zu unsrer Unterhaltung, unumgänglich nothwendig sey, und daß die grössern Gesellschaften 49
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der Menschen. 431(Vierter Abschnitt.) der Menschen das Leben beqvemer<bequemer> machen und alle unsre Vergnügungen vermehren können. Allein es ist offenbar, daß wir die freund schaftliche Beyhülfe unsrer Nebenmenschen nicht erwarten dürfen, wenn wir nicht auch unsrer Seits bereit sind, ihnen gute Dienste zu leisten, und allen eigennützigen Leidenschaften, welche in uns durch die Vorstellung eines Vortheils, ent stehen könten, Einhalt zu thun, so daß sie uns zu keinen Beleidigungen unsrer Nebenmenschen ver führen. Es wird viele Ueberlegung und Vorsicht erfordert, solche Regeln des Verhaltens in der Ge sellschaft ausfindig zu machen, wodurch der allge meine Vortheil am sichersten befördert, und Friede und ein gutes Vernehmen unter den Mitgliedern aufrecht erhalten werden kan. So gewis edelmü thige Neigungen in unsrer Natur vorhanden sind; so gewis sind sie nicht allein vorhanden, und wir finden in uns viele unfreundliche Leidenschaften, welchen wir unterworfen sind, wenn wir sehen, daß man die Absicht gehabt hat, uns zu beleidigen, oder daß man uns wirklich beleidigt hat. Alle diese Kräfte, womit die Menschen einander Bey stand zu leisten und Gefälligkeiten zu erzeigen, im Stande sind, können sie auch, wenn sie anfgebracht werden, zum Schaden ihrer Nebenmenschen an wenden. Andere durch Beleidigungen aufzubrin gen, ist überhaupt, in Absicht auf unsern eigenen Vortheil, ein unvernünftiges Verhalten, so wie wir uns dadurch allemal innere Unruhe und Unzu friedenheit mit uns selbst, zuziehen. Niemand kan
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(Drittes Buch.) 432 Die verschiedenen Stände hinlänglich versichert seyn, daß er an Stärke oder Kunst, andern, die er wider sich aufbringt, überlegen sey. Viele gerathen über ungerechte Gewalt thätigkeiten in einen gerechten Unwillen, und sind daher geneigt, sich denselben entgegen zu stellen; und sie können aus Mitleiden gegen denjenigen, der sie erdulten mus, und aus Furcht, daß ihnen der gleichen boshafte Beleidigungen ebenfalls begegnen könten, wenn denselben kein Einhalt gethan würde, noch mehr aufgebracht werden. Wie gefährlich ist es also, durch Ausübung einiger Ungerechtigkeiten gegen unsre Nebenmenschen, einen solchen Unwillen wider uns zu erregen? Die Natur hat uns auch, in der Schwäche unsers ganzen Baues, einen starken Bewegungs grund vor Augen gelegt, andere nicht zu beleidigen, und den Ausschweifungen unsrer eigennützigen Lei denschaften Einhalt zu thun. Obgleich die Men schen keine Kräfte haben, die man eigentlich Werkzeuge der Beleidigung nennen könte, weil wir eben diejenigen, wodurch wir andern zu scha den im Stande sind, auch zur Ausübung liebrei cher geselliger Pflichten anwenden können, und ob gleich, da uns alle Grundtriebe unsrer Natur eher zu guten Dienstleistungen ermuntern, alle unsre Kräfte zur Beförderung der geselligen Glückselig keit von Natur bestimmt sind: so ist doch gewis, daß unsre Bemühungen, andern zu schaden, wenn wir mit Vorsatz darauf umgehen, uns wahrschein licher Weise eher gelingen werden, als wir die Ab sicht, die Glückseligkeit anderer zu befestigen, errei
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der Menschen. 433(Vierter Abschnitt.) chen können, nach dem bekanten Grundsatz, „daß wenige hinlängliche Talente besitzen, viel Gutes zu thun, und daß auch die geringsten zureichend sind, viele Bosheiten zu begehen,“ Wir sind von einem sehr zarten Bau. Unsre Ruhe und Glück seligkeit erfordert nicht nur eine gute Beschaffen heit vieler zarter Gliedmassen des Körpers, welche leicht in Unordnung zu bringen sind, sondern auch sehr viel äusserliche Gegenstände und Beqvemlich keiten<Bequemlichkeiten>, die uns leicht entzogen werden können; und die Ruhe unsrer Seelen erfordert den Wohlstand vieler anderer von uns geliebter Personen, deren Bau eben so zart ist, als der unsrige, und durch viele boshafte Bemühungen ihrer Nebenmen schen in Unordnung gebracht werden kan. Zu un srer vollkommenen Ruhe und Glückseligkeit wird eine glückliche Zusammenkunft sehr vieler Dinge er fordert; dahingegen wir, nur durch einen unglückli chen Zufall, ausserordentlich beunruhiget werden können; und es steht oft in der Gewalt unsrer Ne benmenschen, uns diese Unruhe zu machen, ungeach tet sie unsrer Glückseligkeit nicht sogleich, wenn sie es wünschen, befördern können. Dieser schwache ungewisse Zustand unsrer äusserlichen Glückseligkeit, mus ein mächtiger Bewe gungsgrund seyn, Friede und Wohlwollen in der Gesellschaft zu unterhalten, und alles zu vermeiden, wodurch andere beleidigt und aufgebracht werden können; weil wir allemal, wenn wir uns den Has anderer zuziehen, Gefahr laufen, mehr zu verlieren,
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(Zweytes Buch.) 434 Die verschiedenen Stände der {et cetera} als wir wahrscheinlicher Weise zu gewinnen hoffen dürfen. Obgleich die Kräfte der Menschen un gleich sind: so kan doch die Kunst den Mangel der Kraft ersetzen: und Muth und Entschlossenheit er setzen den Mangel von beyden, so, daß dadurch ein Gegner, des Lebens und aller andrer Vergnügungen, eben so wohl, als des Vortheils beraubt werden kan, den er bey uns zugefügten Beleidigungen zur Absicht hatte. Wenn also die Menschen nicht genöthiget werden, zu ihrer eigenen Vertheidigung gewaltsa mer Mittel sich zu bedienen: so werden diejenigen, welche stark und geschickt sind, eben sowohl, als an dre, den Frieden und die Gerechtigkeit vorziehen; weil sie nicht wissen, was für einen allgemeinen Un willen, eine Beleidigung, vermöge des morali schen Gefühls der Menschen, der sympathetischen Neigungen, und der Furcht vor ihrer eigenen künf tigen Gefahr, nach sich ziehen könte. Da ein men schenfreundliches und gerechtes Verhalten uns na türlicher Weise das Wohlwollen, die Achtung und die Gefälligkeiten anderer zuwegebringt: so ist es der einzige sichere Weg, uns Sicherheit und alle äusserliche Vortheile und Vergnügungen des Lebens zu verschaffen.
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435(Fünfter Abschnitt.)
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Der fünfte Abschnitt, Von den Privatrechten der Menschen, welche die angebohrnen genennet werden, und von der natürlichen Gleichheit der Menschen.

I.Privatrechte einzelner Personen sind, ihrem(Die Rechte werden in angebohrne und erlangte eingetheilt.) verschiedenen Ursprunge nach, entweder angebohrne oder erlangte. Die ange bohrnen Rechte sind diejenigen, welche einem je den, vermöge der Einrichtung der Natur selbst, zu stehen, ohne daß irgend eine Veranstaltung, Ein richtung, Verabhandlung oder Unternehmung der Menschen dazukomt. Die erlangten entstehen aus menschlichen Einrichtungen, Verträgen und Handlungen. Folgende natürliche oder angebohrne Rechte(Die natür lichen oder angebohrnen Rechte zum Leben und zur Sicher heit.) einer jeden einzelnen Person, scheinen von der voll kommenen Art zu seyn. 1. Ein Recht zum Leben, und zu der Voll kommenheit des Körpers, welche die Natur mitge theilt hat, steht einem jeden Menschen, als Men schen, zu, so lange kein wichtiger allgemeiner Vor theil erfordert, daß er dem Tode, oder Verwun dungen ausgesezt werde. Dieses Recht wird durch ungerechte Anfälle, Verstümmelungen oder Er mordungen verletzet. Der angebohrne Trieb zum Leben und zur Selbsterhaltung ist für jeden ein Kennzeichen dieses Rechts, wie auch das unmittel bare Gefühl des moralischen Uebels bey aller Grau
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(Zweytes Buch.) 436 Die angebohrnen Rechte samkeit, wodurch ein unnöthiger Schmerz verursa chet wird, oder in der Verminderung der Glückse ligkeit unsrer Nebenmenschen. Wir übergehen mit Stillschweigen, daß das Schreckliche in den Gesichts zügen leidender oder sterbender Menschen, ein jedes empfindendes Herz mit Mitleiden und Entsetzen, und mit Abscheu gegen die freywirkende Ursache sol cher unnöthigen Schmerzen, erfüllen. 2. Da die Natur einem jeden Menschen ein Verlangen nach seiner eigenen Glückseligkeit und viele zärtliche Neigungen gegen andre, welche mit ihm in naher Verbindung stehen, eingepflanzt, und jeden mit Verstand und thätigen Kräften, nebst ei nem natürlichen Antrieb, dieselben zu den Endzwe cken dieser natürlichen Neigungen anzuwenden, ver sehen hat: so ist es klar, daß jeder Mensch ein na türliches Recht hat, seine Kräfte, nach seinem eige nen Gefallen, zu diesen Endzwecken, bey solchen Ar beiten oder Belustigungen, zu gebrauchen, woraus den Personen oder Gütern anderer, kein Nachtheil erwächset; so lange kein allgemeiner Vortheil die se Arbeit nothwendig haben will, oder aber erfor dert, daß seine Handlungen, nach der Vorschrift an derer, eingerichtet werden müssen. Dieses Recht nennen wir die natürliche Freyheit. Jedermann hat eine Empfindung von diesem Recht, und eine Empfindung von dem Uebel, welches in der Grau samkeit liegt, andern diese angenehme Freyheit zu rauben, wenn kein allgemeinerer Vortheil dieses nothwendig macht. Diejenigen, welche von ihren eigenen unschuldigen Vortheilen richtig urtheilen
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 437(Fünfter Abschnitt.) werden sich ihrer Freyheit, auf eine tugendhafte und anständige Art bedienen; diejenigen, welche weniger Vortheil besitzen, werden sie zu geringen Endzwecken, und vielleicht zu solchen Unternehmun gen anwenden, welche einem gerechten Tadel unter worfen, oder gar lasterhaft sind. Dem ungeach tet aber, so lange andere dadurch nicht beleidiget werden, und so lange keine weisen menschlichen Ein richtungen dieselben zu Beförderung des allgemei nen Besten, der Einschränkung der Obrigkeiten oder Gesetze unterworfen haben, ist das Gefühl der na türlichen Freyheit so stark, und der Verlust dersel ben fällt der menschlichen Natur so empfindlich, daß es gemeiniglich für die Menschen ein grösseres Elend ist, sich derselben, wegen ihres unvorsichtigen Verhaltens, beraubt zu sehn, als sie, von einem un bedachtsamen Gebrauch derselben, zu befürchten ge habt hätten. Die geringsten Sterblichen sind nicht von aller Ueberlegung so leer, daß es ihnen nicht eine ungemeine Bekümmernis verursachen, und ihre Seelen nicht in eine tiefe Traurig keit versenken, noch alle Leidenschaften der Ahndung in ihnen erregen sollte, wenn sie ihrer natürlichen Freyheit beraubt, wenn alle ihre Handlungen, alle ihre geliebten Vortheile den Vergnügungen ande rer unterworfen werden, von deren höherer Weis heit und guten Absichten sie keine vollkommene Ue berzeugung hatten. Lasst die Menschen ihre Mit brüder, von dem eigentlichen Gebrauch ihrer natür lichen Kräfte, unterrichten und überzeugen, oder sie überreden, dieselben den weisen Entwürfen der bür
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(Zweytes Buch.) 438 Die angebohrnen Rechte gerlichen Macht, wodurch ihre wichtigen Vortheile gesichert werden können, freywillig zu unterwerfen. So lange aber dieses nicht geschehen ist, so lange müssen sie ihrer natürlichen Freyheit geniessen, in so weit sie andere nicht beleidigen, und in so fern kein grosser allgemeiner Vortheil eine Einschrän kung derselben erfordert. Von diesem Recht der natürlichen Freyheit werden wir nicht nur durch unsere eigennützigen Neigungen, sondern auch durch viele grosmüthige Neigungen, und durch unser moralisches Gefühl unterwiesen, welches uns in unsern freywilligen und nach unsrer eignen Willkühr eingerichteten Handlungen eine grosse Würde und Vollkommen heit unsrer Natur wahrnehmen lässt. (Privatur theile.) 3. Ein ähnliches natürliches Recht hat je des vernünftiges Wesen in Ansehung seiner specu lativischen und practischen Meinungen, und, seinem Gutdünken und seiner Ueberzeugung nach, zu urtheilen. Dieses Recht erhellet aus der Einrich tung der vernünftigen Seele, welche, blos nach ih rer erhaltenen Ueberzeugung, entweder beypflichten oder widriger Meinung seyn kan, und dasselbe er fordert natürlicher Weise Wissenschaft. Eben die se Betrachtungen beweisen, daß dieses Recht unver äusserlich ist; es kan dem Willen eines andern nicht unterworfen werden; obgleich bey einem vorher gehenden von der höhern Weisheit eines andern oder seiner Unfehlbarkeit gefällten Urtheil, die Mei nung dieses andern, für eine schwache Seele eine hinlängliche Ueberzeugung seyn kan. Bey den Mei
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 439(Fünfter Abschnitt.) nungen von der Gottheit, Religion und Tugend, wird dieses Recht, durch die edelsten Bestrebungen der Seele, noch mehr bestätiget: da es keine Tu gend, sondern vielmehr eine Ruchlosigkeit ist, bey den Meinungen, welche wir für die richtigen hal ten, nicht zu bleiben, und das Gegentheil zu beken nen. Diejenigen, welche, in diesen Puncten, der Wahrheit gemäs urtheilen, handeln tugendhaft; und was die schwächern Menschen anbelangt, wel che falsche Meinungen hegen: so ist es gut, sie zu unterrichten und von der Wahrheit zu überzeugen, wenn wir können: aber sie zu zwingen, das Ge gentheil ihrer Meinungen zu bekennen, oder das jenige zu thun, was sie für lasterhaft oder gottlos halten, mus allemal ungerecht seyn, da kein Vor theil der Gesellschaft dieses erfordern kan, und da ein solches Bekäntnis und eine solche Art zu han deln für diejenigen sündlich seyn mus, welche glau ben, daß sie es sey. Wenn falsche Meinungen in der Religion oder Sittenlehre, den Frieden oder die Sicherheit der Gesellschaft stören, oder die Men schen unfähig machen, die Pflichten der Untertha nen, welche zur öffentlichen Sicherheit erfordert werden, auszuüben: so kan es billig seyn, daß die jenigen, welche diesen falschen Meinungen zugethan sind, verbindlich gemacht werden, wegen ihres Ver haltens hinlängliche Sicherheit zu machen *, und die Kosten zu tragen, wenn sie sich anderer bedie nen, ihre Pflichten für sie zu erfüllen; oder aber 50
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(Zweytes Buch) 440 Die angebohrnen Rechte dieselben, mit allem, was sie besitzen, von dem Staa te zu entfernen, und bessern Unterthanen den Zu gang zu öfnen, wenn der Staat nicht auf andere Art sicher seyn kan. (Das Recht über sein ei gnes Leben.) 4. Da Gott durch die uns eingepflanzten verschiedenen Neigungen und durch das moralische Gefühl, uns den wahren Endzweck des menschli chen Lebens und aller unsrer Kräfte gezeigt hat, nämlich, die allgemeine Glückseligkeit, unsern eigenen Privatvortheil, in so weit dieser neben jener beste hen kan, und den Vortheil derjenigen, die uns lieb sind, zu befördern, so, wie seine eigenen gnädigen Absichten hierauf gerichtet sind: so müssen wir wahrnehmen, daß nicht nur ein jeder ein Recht hat, sein eigen Leben den grössten Gefahren auszusetzen, wenn es diese Endzwecke nöthig machen, sondern daß dieses auch die rühmlichste und anständigste Un ternehmung ist, zu welcher wir, in Ansehung un srer Pflichten gegen Gott und unsre Nebenmen schen, eine geheiligte Verbindlichkeit haben. Die Menschen haben oft ein Recht, dieses von uns zu verlangen, ob wir gleich keine Möglichkeit vor uns sehen, zu entkommen. Ein rechtschaffener Mann hat ein Recht, so zu handeln, und der allgemeine Vortheil hat ein Befugnis, es von ihm zu fordern, vermöge der Beschaffenheit unsrer Natur, welche, vor allen politischen Verfassungen oder Verträgen, vorhergeht. Die Obrigkeiten haben ein Recht, die Menschen zu dergleichen gefährlichen Dienstleistun gen anzuhalten, weil dieselben, vorhero, gut und recht waren; und sie sind desto rühmlicher, je frey williger sie unternommen werden.
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 441(Fünfter Abschnitt.) Die Fälle, wo der öffentliche Vortheil erfor dern kan, das Leben zu wagen, und uns einem un fehlbaren Tod auszusetzen, müssen die Menschen vermittelst einer unparteyischen Vergleichung der Wahrscheinlichkeiten beurtheilen, so, wie wir in al len menschlichen Angelegenheiten thun müssen, wo wir selten zu einer vollkommenen Gewisheit gelan gen können. Wenn wir kein Recht über unser Le ben zum allgemeinen Besten, haben: so sind wir nicht befugt, es einer Gefahr auszusetzen; denn über was jemand keine moralische Gewalt hat, das kan er keinem Zufalle unterwerfen. „Gott hat uns in diese Welt gesezt, und wir gleichen Sol daten, welche ihren Posten nicht eher verlassen dürfen, bis sie abgerufen werden.“ Dieses ist das Urtheil des Socrates, oder Pythagoras. Al lein wir müssen die Pflichten des uns angewiese nen Postens erfüllen, und keine Gefahren scheuen. Unser einziges Geschäft ist nicht, das Leben, auf ei nige Zeit, zu verlängern. Wie unsre Vernunft und das moralische Gefühl uns von unserm Po sten und seinen Pflichten unterrichtet: also müssen uns eben diese Kräfte, wenn wir wieder abgerufen werden, unterrichten, was die Pflichten des Lebens sind, wenn es selbst den grössten Gefahren auszu setzen ist. Wenn es der öffentliche Vortheil erfor dert: so ruft er, der über uns gebietet, uns mit eben der Stimme wiederum ab, welche uns unsern Posten und die Pflichten desselben bekant machte. 5. Ein jeder hat ein natürliches Recht, sich(Ein Recht, zu allem, was gemein ist.) derjenigen Dinge zu bedienen, welche von der Na
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(Zweytes Buch.) 442 Die angebohrnen Rechte tur zu dem gemeinen Gebrauch aller Menschen be stimmt. sind, wovon wir hernachmals reden wol len. Ein gleiches Recht hat jeder, durch unschäd liche Mittel sich dasjenige Eigenthum an solchen Gütern zu erwerben, welche zur Anmassung und zum Eigenthum geschickt, und noch von keinem andern in Besitz genommen worden sind. Die na türlichen Bestrebungen der Menschen, von der ei gennützigen und geselligen Art, beweisen dieses Recht. Und es ist offenbar grausam und unge recht, andere zu hindern, wenn sie sich auf eine un schuldige Art irgend etwas erwerben wollen. Wenn aber jemand, auf Unkosten der Freyheit, Unabhän gigkeit und Sicherheit seiner Nachbarn, sich etwas erwerben will: so hat jeder ein Recht, dieses Vor haben zu hindern, oder ihn anzuhalten, daß er, die Sicherheit anderer in keine Gefahr zu setzen, hin länglich versichert. (Ein Recht, zur Gesell schaft mit andern.) 6. Aus eben diesen Ursachen hat jede un schuldige Person ein natürliches Recht, mit allen denjenigen, welche mit ihr Gewerbe zu treiben ge neigt sind, in eine Gemeinschaft oder in einen Tausch gewisser Dienstleistungen zu treten. Eine dritte Person würde sich einer Beleidigung schuldig ma chen, wenn sie die Wahl dieser Person hindern oder einschränken wollte, woferne ihr nicht ein Recht zusteht, die Handlungen derselben einzurichten. (Zu dem Character der Recht schaffenheit und Ehrbar keit.) 7. Da wir alle ein starkes natürliches Ver langen haben, hochgeachtet zu werden, und hingegen vor der Verunehrung den grössten Abscheu fühlen: so hat jedermann ein natürliches Recht zu dem un
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 443(Fünfter Abschnitt.) schuldigen Character der Rechtschaffenheit und Ehr barkeit und der Neigungen, welche zu einem gesell schaftlichen Leben geschickt sind, so lange er dieses Recht, durch ein entgegengesetztes Verhalten, nicht verlohren hat. 8. Aus dem natürlichen und starken Triebe(Zum Ehe stand.) zum Ehestande und zu Abkömlingen erkennen wir das angebohrne Recht, welches jedem zusteht, mit einer andern einwilligenden Person in eine ehe liche Verbindung zu treten. Hierinnen ist nie mand dem Widerstand anderer oder einem vorher gehenden Contracte unterworfen. Nirgends ist die Vorstellung der Glückseeligkeit und ein von beyden Seiten erwiedertes Wohlwollen, zu der Glückseeligkeit der Parteyen, so nothwendig, als hier, und der Zwang mus dieselben unglücklich machen. Daß alle diese Rechte unter die vollkommenen gehören, erhellt aus dem grossen Elend, welches die Verletzung derselben der auf diese Art beleidig ten Person zuziehen würde; und eine allgemeine Verletzung derselben müsste alle Gesellschaft unter den Menschen aufheben. II.Die natürliche Gleichheit der Men(Natürliche Gleichheit der Men schen.) schen besteht vornehmlich darinnen, daß diese Rechte allen Menschen, auf gleiche Art, zustehen. Dieses ist dasjenige, was durch die natürliche Gleichheit der Menschen verstanden wird, der Aus druck mag eigentlich oder uneigentlich seyn. Ein jeder ist ein Theil dieses grossen Systems, dessen
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(Zweytes Buch.) 344 Die angebohrnen Rechte grösster Vortheil, durch die Gesetze Gottes und der Natur, befördert werden soll. Diese Gesetze verbieten den grössten und weisesten des menschli chen Geschlechts, die geringern unglücklich zu ma chen, oder sie ihrer natürlichen Rechte oder desje nigen, was sie sich auf eine unschuldige Art erwor ben haben, zu berauben, wenn es kein öffentlicher Vortheil erfordert. Diese Gesetze bestätigen auf eben diese Art einem jeden seine natürlichen und erlangten Rechte; sie schützen den schwachen und in den Künsten unerfahrnen eben so wohl bey dem wenigen, das er sich erwirbt, als sie den starken und in den Künsten erfahrnen bey dem vielen, das er sich erworben hat, schützen. Es ist einerley Zu gang zu den erlangten Rechten offen, und einerley Mittel sind allen, die sich ihrer gebrauchen können, vorgeschrieben. Wenn ansehnliche Anmassungen oder viele angewendete Arbeiten dem Starken und Fleissigen zu ansehnlichen Besitzungen berechtigen: so hat der Schwache und Träge ein gleiches Recht zu den geringen Besitzungen, die sie ergreifen. Es ist eine Gleichheit im Recht, die Gegenstän de mögen so verschieden seyn, als sie wollen; das jus aequum, in welchem die Römer die wahre Frey heit fanden. (Keine Men schen sind von Natur Sclaven.) Die Menschen sind, in Ansehung der Weis heit, Tugend, Schönheit und Stärke, voneinan der unterschieden; allein die geringste Art derselben, welche den Gebrauch der Vernunft hat, ist darin nen von den Thieren unterschieden, daß sie, ver möge der Ueberlegung und des Bewusstseyns, eines
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 445(Fünfter Abschnitt) ungleich grössern Glücks oder Unglücks fähig sind. Kaum kan ein Mensch glücklich seyn, welcher sieht, daß er alle seine Vergnügungen nur bittweise ge niesst, und daß sie alle von dem Willen anderer abhängen, auf deren liebreiche Absichten er sich nicht sicher verlassen darf. Alle Menschen haben ein starkes Verlangen nach Freyheit und Eigen thum, sie haben Begriffe von Recht, und starke natürliche Triebe zu ehelichen Verbindungen, zu Familien und Abkömlingen, und ein heftiges Verlangen zur Sicherheit. Es ist wahr, daß die gemeinen Menschen überzeugt seyn können, daß ei nige wenige ihnen in schätzbaren Geschicklichkeiten sehr überlegen sind. Dieser feinere Theil des menschlichen Geschlechts hat unvollkommene Rech te, höhere Dienstleistungen von den übrigen zu er langen. Sie werden von der Natur als die ge schicktesten empfohlen, welchen die Besorgung der allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft, nach solchen Entwürfen der Macht, anvertrauet werden könne, wodurch die Gesellschaft die Versicherung erhält, daß ihren gemeinen Vortheilen dadurch am besten gerathen sey. Wenn diese Versicherung fehlt: so mus eine, durch gewaltsame Mittel, er langte Macht über die Güter anderer, das Elend des Ganzen nach sich ziehen. Blose Versprechun gen geben keine Sicherheirt. Die boshaftesten und gefährlichsten Tyrannen können sich die schön ste Gestalt geben, bis sie sich in der Macht festge setzt haben. Wir müssen dahero den Schlus ma chen, daß weder natürliche noch erlangte Talente ein vollkommenes Recht hervorbringen können, sich
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(Zweytes Buch.) 446 Die angebohrnen Rechte einer Macht über andere, ohne ihre Einwilligung, anzumassen. (Aristoteles Lehre wird geprüft.) III. Dieses widerlegt die Lehre des Aristoteles und einiger andern alten Schrifsteller, „daß näm lich einige Menschen, welche wenig Verstand, aber einen starken und zur Arbeit geschickten Körper hätten, von Natur Sclaven, und daß hingegen die feinern und weisern Geister mit schwächern Körpern, von Natur Oberherrn wären; daß die Natur die erstern bestimmt habe, den leztern un terwürfig zu seyn, so wie die lastbaren Thiere den Menschen unterworfen sind; daß die Bewohner gewisser Länder, besonders die Griechen, insge samt feinere Geister und zur Oberherrschaft be stimmt wären, der übrige Theil der Welt aber zur Sclaverey versehen sey; daß durch diese Un terwürfigkeit, in welcher die einfältigern und un verständigern gegen die weisen und verständigen Menschen stehen, der allgemeine Vortheil des Systems am besten befördert werde, so wie der Vortheil des Systems der beseelten Geschöpfe, durch die Macht der vernünftigen über die unver nünftigen, befördert wird.“ Die Macht der Erziehung ist erstaunlich! Dieser Verfasser ist, in seinen so billig bewunderten Büchern von der Politik, ein eifriger Vertheidiger der Freyheit, und er hat die feinsten und die den Menschen vortheilhaftesten Gründe zu einer bessern Einrichtung der bürgerlichen Macht eingesehen. Er lebte in dem merkwürdigen Jahrhundert, da Griechenland mehr grosse und vortrefliche Geister
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 447(Fünfter Abschnitt.) hervorbrachte, als vielleicht jemals die Welt auf ein mal gesehn hatte. Wenn er aber bis zu unsern Zei ten gelebt hätte: so würde er erfahren haben, daß dieses so geliebte Land, vor sechszehn Jahrhunder ten, selten etwas hervorgebracht hat, das in der Tugend, der Politik, den Künsten oder Waffen ausserordentlich gewesen wäre, da unterdessen viel grosse Geister unter Nationen entstanden, die er zur Sclaverey und Barbarey verurtheilt hatte. Ist es nicht aus der Erfahrung genugsam(Weisheit giebt kein Recht zur Macht.) bekant, daß diejenigen, welche eine geringere Fähig keit zu schönen Künsten besitzen, doch oft andre, die mehr Fähigkeit dazu haben, an Fleis, Klugheit, Ge rechtigkeit und Muth, und an allen Geschicklich keiten, welche zur Regierung erfordert werden, weit übertreffen. Man findet oft, daß Menschen von geringen Talenten zu den Künsten oder der Politik, die vortreflichste Gemüthsart zu Ausübung aller liebenswürdigen Tugenden im Privatleben, und das feinste Gefühl der Freyheit haben können. Sol len solche schätzbare Character weniger geachtet, oder auf ihre Vortheile und innere Zufriedenheit weniger gesehen, und sollen dieselben dem Vergnü gen der Kunsterfahrnen und der Ehrgeizigen un terworfen werden? Das natürliche Gefühl der Gerechtigkeit und Menschenliebe, verabscheuet die sen Gedanken. Wenn es die Absichten der Vorsehung gewe sen wäre, daß einige Menschen ein vollkommenes Recht haben sollten, die übrigen, ohne ihre Einwil ligung, zu beherrschen: so würden diese Beherrscher
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(Zweytes Buch.) 448 Die angebohrnen Rechte durch eben so sichtbare und unstreitige Kennzeichen, von den andern zu unterscheiden seyn, als die Men schen, durch die menschliche Gestalt, von den Thie ren unterschieden werden. Man würde Nationen finden, die ganz von Sorgfalt, von Ueberlegung, von Liebe der Freyheit, von Begriffen des Eigen thumsrechts, und von der Vorsorge auf die Zukunft leer wären, und keine Weisheit, kein Verlangen nach der Erkäntnis besässen; sie würden willige Sclaven anderer seyn, und, so lange sie Unterhalt hätten, alle Dinge mit solchen Augen ansehen, als ob sie dieselben nur aus Gunst genössen; sie wür den niemals die Weisheit ihrer Lehrer sicher in Zweifel ziehen, noch wegen der Absichten derselben einigen Argwohn oder eine weissagende Furcht un terhalten. Aber, wo findet man dergleichen Ge schöpfe in menschlicher Gestalt? Eine höhere Weisheit, ein durchdringender Verstand, und wenn auch jedermann davon über zeugt wäre, ertheilt kein Recht zur Herrschaft, weil sie von einer eigennützigen verderbten Gemüthsart zu den boshaftesten Absichten, und selbst zu dem all gemeinen Elend der Gesellschaft, angewendet wer den können. Die Güte müsste gewis seyn, ehe die Unterthanen Zufriedenheit und Glückseligkeit unter einer Regierung geniessen könten, die sich auf den Willen gründete. Nun ist es aber unmöglich von der unwandelbaren Güte der Absichten völlige Ge wisheit zu geben. Die schlimmsten werden darauf Ansprüche machen, bis sie sich der Macht versichert haben. Ja, halten sich nicht zuweilen die Unwis
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 449(Fünfter Abschnitt.) sendesten für weiser, als ihre Nebenmenschen, und für geschickter zur Regierung? Und wie selten wer den Menschen von höhern Geschicklichkeiten, wegen der Personen, die in der Regierungskunst die vor treflichsten sind, einig seyn. Wenn also das Recht über andre zu herrschen, auf höhere Geschicklichkei ten, ohne alle Einwilligung der Unterthanen, ge gründet wäre: so würden unendliche Streitigkeiten entstehen, die allein durch Gewalt entschieden wer den könten. IV. Was die natürlichen Rechte von der un(Unvollkom mene natür liche Rechte.) vollkommenen Art anbelangt; so werden fast alle vorzügliche und liebenswürdige Tugenden des Le bens zur Belohnung und Erfüllung derselben ange wendet. Wir können den Menschen eine Aussicht in ihre Pflichten öfnen, wenn wir dieselben als Erfüllungen einiger besondern Rechte der Personen, gegen welche sie beobachtet werden, und zwar sol cher Rechte, die zu ihrer Glückseligkeit nothwendig sind, betrachten, da ein vollkommenes oder unvoll kommenes Recht sich auf eine Verbindlichkeit oder Pflicht bezieht. Allein, die meisten von diesen Pflichten werden durch eine edlere moralische Nei gung empfohlen, nemlich durch die Liebe zur Tugend selbst, und durch die Würde, welche in der Ausü bung jeder zärtlichen und menschenfreundlichen Ge sinnung gegen unsern Nebenmenschen, liegt; denn wie wir oben bemerkt haben, so beweist die Erfül lung vollkommener Rechte weiter nichts, als die Ab wesenheit der Ungerechtigkeit, dahingegen alle an
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(Zweytes Buch.) 450 Die angebohrnen Rechte ständige Tugenden und Pflichten des Lebens sich auf die Rechte, welche unvollkommen genennt werden, beziehen, und die Seele mus, in vielen Gelegenhei ten, eine geheiligte Verbindlichkeit, zu diesen Pflich ten, fühlen, und in der Unterlassung derselben eine eben so grosse moralische Schändlichkeit wahrneh men, als in den Handlungen liegt, wodurch die vollkommenen Rechte anderer verletzet werden. Diese unvollkommenen Rechte sind 1. Ein Recht, welches jedermann zu allen denjenigen nützlichen Dienstleistungen seiner Ne benmenschen hat, die denselben weder Mühe noch Aufwand verursachen.* Es ist eine ausseror dentliche Lieblosigkeit, sich ihrer zu weigern. 2. Jedermann hat ein Recht zu solchen Dienstleistungen, welche Mühe und Aufwand ver ursachen, wenn sie ihm zur Beyhülfe bey ei nem grossen Verlust, oder in einer Widerwärtig keit, die ungleich grösser ist, als eine kleine Mühe, oder ein kleiner Aufwand, welcher zu dieser Bey hülfe erfordert wird, nothwendig sind. 3. Menschen von ausserordentlichen Tugen den haben ein geheiligteres Recht zu wichtigen Dienstleistungen, und jedes tugendhaftes Herz em pfindet eine stärkere Verbindlichkeit zu denselben, wenn es auch von diesen Menschen vorher keinen Vortheil erlangt hat. Solche Menschen haben ein Recht, in eine nähere Verbindung und Freund schaft mit den Tugendhaften, aufgenommen, und 51
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 451(Fünfter Abschnitt.) durch ihre Dienstleistungen zu höhern Ständen be fördert zu werden, wo sie, durch Ausübung ihrer Tugenden, das gemeine Beste mehr befördern kön nen. Hierzu werden wir, durch die tugendhaften Neigungen von weiterm Umfange, welche auf das öffentliche Beste gerichtet sind, verpflichtet. 4. Jede Person, welche zur Gottesfurcht ge neigt, und darinnen zuzunehmen Willens ist, hat ein ähnliches Recht, zu einer gottesdienstlichen Ge sellschaft zugelassen zu werden, damit sie durch die Unterweisung und Andacht der Gesellschaft gebessert werden möge; wenn sie nicht, durch gottlose und unmoralische Lehren oder Handlungen, welche sie zu einem schädlichen Mitglied der Gesellschaft machen, dieses Recht verloren hat. 5. Unglückliche Personen, welche sich nicht durch ihre Trägheit oder Laster, der Freygebigkeit tugendhafter Menschen unwürdig gemacht haben, können davon nicht ausgeschlossen werden, und die Freygebigkeit tugendhafter Menschen, welche ge neigt sind, sie gegen dieselben auszuüben, darf kei ner Einschränkung unterworfen seyn, wenn nicht würdigere Gegenstände in einem grössern oder glei chem Elend dieselbe mehr nöthig haben. V. Bey der Freygebigkeit ist die Wichtigkeit(Die Wich tigkeit der Freygebig keit.) des Geschenks in Ansehung desjenigen, welcher es empfängt, in einem directen Verhältnis gegen den Werth des Geschenks, und seine Dürftigkeit; und, in Ansehung des Gebers, ist der wirkliche Ver lust in einem umgekehrten Verhältnis gegen den
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(Zweytes Buch.) 452 Die angebohrnen Rechte Werth und seinen Reichthum: das heisst, je grösser sein Reichthum ist, desto weniger wird ein gütiges Herz den Mangel des Gegebenen empfinden; und das Gefühl des Verlusts, welches bey einem elen den Geitzigen, wegen einer Kleinigkeit, anzutreffen ist, komt in keine Betrachtung. Die Tugend ei nes Geschenks, ist auf gleiche Art, in einem directen Verhältnis gegen den Werth des Geschenks, und in einem umgekehrten gegen den Reichthum des Ge bers, in so weit die Menschen, nach einer äusserli chen Gewisheit urtheilen können; da auf diese Art die Stärke einer edelmüthigen Neigung sich über die eigennützige offenbar erhebt. Die Vermehrung der Glückseligkeit des Dürf tigen kan ungleich grösser seyn, als die Verminde rung der Glückseligkeit des Gebers, wenn er reich ist: und dieses beweist, daß Personen in dergleichen Umständen, vornehmlich zur Freygebigkeit verpflich tet sind. Allein es kan die Summe und das Ver hältnis desjenigen, was ein tugendhafter Mann ge ben sollte, nicht so genau bestimmt werden. Die verschiedenen Verbindungen im menschlichen Leben, die Anzahl der Dürftigen, und die Grade ihres Elends, können verschiedene Summen und Ver hältnisse, zu verschiedene Zeiten erfordern. Ge setze, welche eine gewisse Summe, oder ein gewisses Verhältnis gegen den Reichthum des Gebers be stimmen wollten, würden unvernünftig seyn, und die Schönheit solcher Handlungen vermindern. Die Freygebigkeit würde alsdenn nichts anders seyn, als die Bezahlung einer Abgabe, oder einer
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 453(Fünfter Abschnitt.) gefetzmässigen<gesetzmässigen> Schuld. Die Zuschauer würden auf die edle und grosmüthige Gesinnung des Gebers keinen Schlus machen können, und die Freygebig keit würde aufhören, ein Band der Liebe, Achtung und Dankbarkeit zu seyn. In Ansehung der Freygebigkeit sind ver schiedene vernünftige allgemeine Regeln nöthig. Erstlich, daß sie dem moralischen Character der Ge genstände, gegen welche sie ausgeübet wird, unter dem falschen Schein eines Vortheils nicht zum Nachtheil gereiche, wenn dieselben dadurch zur Trägheit, Niederträchtigkeit der Gesinnungen, oder zu lasterhaften Neigungen verleitet werden. Zwey tens, daß man nicht durch eine unmässige Ausü bung derselben ihre eigene Quelle erschöpfe, und sich unfähig mache, sie künftig, wenn würdigere Ge genstände vorkommen, auszuüben, oder denjenigen, welchen man durch eine heiligere Verbindung zum Beystand verpflichtet ist, Dienste zu leisten. Wenn viele auf einmal von uns Hülfe und Beystand fordern, und wir nicht im Stande sind, ihnen allen zu helfen nnd<und> beyzustehen: so müssen wir bey unserm Entschlus hauptsächlich diese vier Umstände in Erwägung ziehen; (obgleich einige entferntere, die sich auf den öffentlichen Vortheil beziehen, in vielen Fällen, zum allgememeinen Be sten, vorgezogen werden können;) „die Würde, oder der moralische Werth der Gegenstände; die Grade der Bedürfnisse; die Bande der Neigung, die entweder die Blutverwandschaft, oder eine vorhergehende Freundschaft zum Grunde hat
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(Zweytes Buch.) 454 Die angebohrnen Rechte und vorhergegangene Gefälligkeiten, die sie uns erwiesen haben.“ Je mehr von diesen Umstän den in einer Person zusammen kommen, desto heili ger ist unsre Verbindlichkeit, ihr beyzustehen. Tu gendhafte unglückliche Aeltern werden durch alle diese Umstände, vor allen andern, unserm Beystand empfohlen. Nach ihnen empfehlen uns die Ban de des Bluts unsre Kinder und Blutsfreunde. Auf diese sollten diejenigen, welchen wir zur Dankbar keit verpflichtet sind, folgen, ja zuweilen sollten sie den vorhergehenden vorgezogen werden. Und wenn die andern Umstände gleich sind; so sind die Tugendhaftern den weniger Tugendhaften vorzu ziehen. Obgleich die Pflichten der blosen Höflichkeiten, gegen Personen, mit welchen wir in keiner besondern Verbindung stehen, andern besondern nachzusetzen sind, wenn sie auch, neben heiligern Pflichten, beste hen, und, ihnen unbeschadet, ausgeübet werden kön ten: so sind sie doch überhaupt von mehrerer Wich tigkeit, und von einer grössern moralischenSchön heit, als man sich anfangs einbildet. Pflichten die ser Art erregen die Dankbegierde, und durch die Ge walt des Beyspiels erwecken sie die Neigungen von weiterm Umfange: sie geben einer ganzen Nation, ja dem ganzen menschlichen Geschlecht, eine liebens würdige Gestalt. So werden ein gefälliges Betra 52
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und natürl. Gleichheit der Menschen. 455(Funfter Abschnitt.) gen und die Gastfreyheit gegen Fremde ein verbindli ches und höfliches Verhalten, gegen alle, auch unbe kante Personen, mit allem Rechte für unfehlbare Kennzeichen einer menschenfreundlichen und leutse ligen Gemüthsart angesehen, und sie sind desto lie benswürdiger, je weniger sie einen Argwohn eigen nütziger Absichten voraussetzen. VI. Die Pflichten der Dankbarkeit folgen na türlicher Weise auf die Pflichten der Freygebigkeit und sind auch ausserordentlich nützlich; und die Verabscheuung derselben ist sehr schädlich. Eine vorzügliche Ausübung der Dankbarkeit erregt jede edelmüthige Neigung und macht die Menschen lie benswürdig. Einer Seele, die wahrhaftig gros ist, ist die Neigung andern Gutes zu erzeigen, natürlich, und sie thut es vermöge ihrer eigenen liebreichen Gesin nungen und aus einem natürlichen Antrieb, densel ben gemäs zu handeln; ihre Gutthaten mögen er wiedert werden, oder nicht. Sie hat ihren vor nehmsten Endzweck erreicht, wenn sie andern Wohl thaten erwiesen hat. Allein die geringern Tugen den anderer werden durch die Undankbarkeit ge schwächt: und die Undankbaren sind die gemeinen Feinde der Dürftigen, da sie die Freygebigkeit ab schrecken, und, so viel an ihnen ist, die Qvellen<Quellen> ver stopfen, woher die Dürftigen Hülfe und Beystand erhalten. Von den Erwiederungen der Dankbarkeit kan eben so wenig ein genaues und bestimmtes
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(Zweytes Buch.) 456 Die angebohrnen Rechte Maas angegeben werden, als von den Erwiederun gen der Freygebigkeit. Die Gleichheit in Anse hung der erhaltenen Wohlthaten, kan, in vielen Fällen, überschritten, in andern aber nicht einmal erreicht werden. Ein menschenfreundliches dank bares Herz, ist, nebst der Klugheit, sich selbst das untrüglichste Maas, da die wohlthätige Seele die Erfinderin der Wohlthaten seyn mus. Es sind in diesem Falle eben die Gründe wider bestimmte Ge setze vorhanden, als bey der Freygebigkeit. Wir haben alle eine allgemeine Verbindlich keit zur Dankbarkeit gegen diejenigen, welche einem schätzbaren Theile des menschlichen Geschlechts edel müthige und nützliche Dienste geleistet haben. Wir müssen sie ehren und hochachten, und ihre Vorthei le befördern; wir müssen ihnen das verdiente Lob ertheilen, die angenehmste Belohnung für edle See len, und mir müssen uns ihrer Character gegen den Neid und die Verläumdung annehmen. Ein sol ches Verhalten erweckt jede grosmüthige Neigung, und ermuntert die Menschen zur Nachahmung der jenigen, die ungemeine Tugenden besitzen. Die Hofnung des Ruhms überwiegt den Nachtheil und den Verlust, welcher oft Menschen von gerin gern Tugenden von edelmüthigen Unternehmun gen abschreckt.
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457(Sechster Abschnitt.)
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Der sechste Abschnitt. Von den erlangten Rechten, sowohl den dingli chen als persönlichen, und von dem Eigenthum.

I.Wir müssen nunmehro die erlangten Rechte betrachten. Dieselben sind entweder(Die Rechte sind dinglich und persön lich.) dingliche, wenn das Recht an gewisse Güter ver knüpft ist; oder persönliche, wenn das Recht an eine Person verknüpft ist, ohne daß man auf den einen Theil ihrer Güter mehr Anspruch zu machen hat, als auf den andern. Vermöge der persönli chen Rechte haben wir zu fordern, daß uns etwas geleistet oder vergnügt werde, und wir überlassen es dem Gefallen der verbundenen Person, aus welchem Theil ihrer Güter sie uns befriedigen will. Unter den dinglichen Rechten ist das vornehm ste das Eigenthum an solchen Dingen, welche in dem menschlichen Leben Nutzen schaffen. Was den Ursprung desselben anbelangt; so untersuchen wir zuförderst das allgemeine Recht, welches alle Men schen haben, die unbeseelten Dinge und die beseelten Geschöpfe von der niedrigen Gattung, zu gebrauchen; und wir betrachten das Eigenthum, welches ein Mensch an gewissen Dingen haben, und vermöge dessen er andere von dem Gebrauch derselben aus schliessen kan. II. Da die Thiere, durch ihre Begierden und angebohrnen Triebe ohne alle Fähigkeit, die Begrif fe des Rechts oder Unrechts zu betrachten, angetrie ben werden, solcher Früchte des Erdbodens sich zu be
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(Zweytes Buch.) 458 Von den dinglichen dienen, welche ihnen ihre Sinne empfehlen, und zu welchen ihre Begierde sich zu erhalten, sie reizet: so haben wahrscheinlicher Weise die Menschen an fangs, aus ähnlichen Trieben, ohne Betrachtung des Rechts, auf eine ähnliche Art gehandelt. Nach dem sie zu der Erkäntnis eines weisen und gütigen Gottes, des Schöpfers aller dieser bewundernswür digen Dinge, und zu den Begriffen des Rechts ge langt waren: so entdeckten sie bald, daß es der Wille Gottes sey, daß sie sich der unbeseelten Ge schöpfe der Erde zu ihrem Unterhalt, und zu ihrem gewöhnlichen Leben gebrauchen sollten, und daß ih nen zu diesem Gebrauch aus folgenden deutlichen Gründen ein Recht zustünde. Sie nehmen wahr, daß die Menschen die vortreflichsten Geschöpfe sind, welche dadurch unterhalten werden können, und daß sie, ohne diese Unterhaltung, bald auf eine elende Art umkommen würden; daß ihre Triebe und Sinnen offenbar darauf eingerichtet sind, sie zu dem Ge brauch derselben anzuführen; daß die Triebe der niedrigern beseelten Geschöpfe, welche keine höhern Kräfte haben, denselben Einhalt zu thun, deutlich beweisen, daß die unbeseelten Dinge für die be seelten Geschöpfe zum Unterhalt bestimmt sind; daß diese Dinge, so schön und bewundernswürdig sie auch seyn mögen, von sich selbst untergehen, und zu der allgemeinen Masse der Erde, zurückkehren müss ten, wenn sie nicht die Bestimmung hätten, das Leben der beseelten Geschöpfe zu unterhalten, und ihre Glück seligkeit zu vermehren; daß den unbeseelten Dingen alle Stände gleichgültig sind, und durch keine Aen derung, die sie betrift, eine Verminderung oder
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und persönlichen Rechten. 459(Sechster Abschnitt.) Vermehrung von irgend einer Glückseligkeit veranlas set wird, ausser, wenn beseelte Geschöpfe sich ihrer bedie nen. Diese Betrachtungen werden sattsam zeigen, daß eine grosse Vermehrung von Glückseligkeit und eine Verminderung von Elend erfolgen mus, wenn die beseelten Geschöpfe zu ihrem Unterhalt, sich der unbeseelten Früchte der Erde bedienen; und es folglich recht und der Absicht des Schöp fers gemäs ist, daß sie davon Gebrauch machen sollen. Ein neuerschaffenes Paar würde kaum, auch in den den feinsten Gegenden, sich erhalten können, wenn sie keinen Platz fänden, der für sie auf eine künstliche Art eingerichtet und mit Früchten, die zu ihrem Unterhalt gebraucht werden könten, genug sam versehen wäre. Jhre ersten Tage müssten ihnen voll Angst und Gefahr verfliessen, wenn sie nicht von den zu ihrem Gebrauch dienlichen Früch ten, von den Naturen der sie umgebenden Thiere, von den Veränderungen der Jahrszeiten, und in den Künsten sich zu verwahren, und für die Zu kunft sich mit Vorrath zu versehen, unterrichtet wären. Sie würden keine Entdeckung nöthig haben, ihre Rechte zu lernen; allein sie würden nöthig haben, von der Art, sich derselben zu bedie nen, unterrichtet zu werden. III. Das Recht, die untersten Arten der be(Das Recht die unterste Art der be seelten Ge schöpfe zu gebrauchen.) seelten Geschöpfe zu gebrauchen, ist nicht so klar, und hier ist ein Unterricht nothwendiger, wenn eine frühzeitige Bedürfnis den Gebrauch erfordert; und doch wird die Vernunft hierinnen einem jeden das
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(Zweytes Buch.) 460 Von den dinglichen Recht des menschlichen Geschlechts, bald bekant machen. Ein vernünftiges Wesen, welches Be griffe von Recht und Unrecht hat, welches bey ei nem Ungemach, die Arbeiten, oder einen andern Gebrauch unedlerer Geschöpfe nöthig hat, und, vermittelst der Vernunft, sich der natürlichen Macht solcher Geschöpfe zu seinem Unterhalt und zu seiner Glückseeligkeit sich zu bedienen, bewusst ist, wird sein Recht bald muthmassen, und ein weiteres Nach denken wird seine Muthmassung bestätigen. Es ist wahr, diese Geschöpfe sind einigen Glücks und Elends fähig; ihre Leiden erregen natürlicher Weise unser Mittleiden; wir billigen den Beystand, der ihnen in allerhand Zufällen ge leistet wird, und wir misbilligen alle unnöthige Grausamkeit gegen dieselben, als den Beweis einer unmenschlichen Gemüthsart. Könten wir genug samen Unterhalt haben, ohne die Ruhe oder das Vergnügen der beseelten Geschöpfe, von der unter sten Art, zu vermindern: so würde es grausam und ungerecht seyn, denselben ein unnöthiges Lei den zu verursachen, und ihre Glückseligkeit zu ver mindern. Allein das menschliche Geschlecht ist ei nes ungleich grössern Glücks oder Elends fähig. Die äusserlichen Sinne der Thiere können eben so scharf, oder noch schärfer seyn; allein die Menschen haben höhere Sinnen oder Kräfte, Vergnügen oder Schmerz zu empfinden. Sie fühlen höhere Be lustigungen vermittelst der Einbildungskraft, der Erkäntnis, der allgemeinern und dauerhaftern ge selligen Neigungen, der Sympathie, ihres morali
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und persönlichen Rechten. 461(Sechster Abschnitt.) schen Gefühls und des Gefühls der Ehre. Jhre Vernunft und Ueberlegung sammelt Freuden und Schmerzen, Ehre und Schande, aus vergan genen und zukünftigen Begebenheiten, die sowohl andere, als sie selbst, betreffen; dahingegen die un vernünftigen Thiere, sich blos auf dasjenige, was gegenwärtig in ihre Sinne fällt, einschränken. Auf diese Art behaupten die Menschen, in dem Sy stem der beseelten Geschöpfe dieses Erdbodens, die oberste Stelle. Man setze einen unparteyischen Beherrscher(Das Recht zu den Ar beiten der Thiere.) voraus, der alle beseelte Geschöpfe, nach dem Ver hältnis ihrer Würde betrachtet, und den besten Zustand aller, zur Absicht hat; man setze voraus, daß die höchste Art derselben, die Menschen, sich so sehr vermehren, daß weder die natürlichen Früchte der Erde noch diejenigen, die sie sich durch ihre ei gene Arbeit verschaft haben, zu ihrem Unterhalt hinlänglich sind; und daß sie von übermässiger Ar beit und Ungemächlichkeit unterdrückt werden wür den, wenn sie ohne den Beystand der unvernünftigen Thiere seyn müssten. In diesem Falle könten die Menschen den zahmern Thieren, durch die Ver theidigung gegen die wilden Bestien, durch Ver schaffung reiner Weiden, und in der Vorsorge vor hinlängliches Futter im Winter, keinen Beystand leisten: die zahmern Arten müssten also alle um kommen. Einige von diesen Arten können, ver möge ihrer grössern Stärke, gewisse bestimmte Ar beiten aushalten, oder gewisse Verrichtungen mit weit weniger Mühe, als die Menschen, zu Stande
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(Sechster Abschnitt.) 462 Von den dinglichen bringen; und da sie nicht nachzudenken im Stande sind: so werden sie, bey einer jeden Arbeit, weni ger leiden. Durch ihre Beyhülfe können die Men schen ihre Glückseligkeit ungemein vermehren, und sich von Uebeln befreyen, die weit grösser sind, als die Arbeiten, welche sie den Thieren auflegen. Auf diese Art gewinnen die Menschen mehr Zeit, und es ist ihr eigener Vortheil, ihre Mitarbeiter zu vertheidigen und zu versorgen, und die Fortpflan zung derselben zu befördern. Dieses ist ein Sy stem voll der schönsten Ordnung, mit einer Ver bindung und Abhängigkeit der Theile mit und von einander, welche auf das gemeine Beste des Gan zen abzielet. Es gereicht zum Vortheil des ganzen Systems, daß, so viel nur möglich, ein grosser Theil der härtern Arbeiten, die in dem Ganzen nützlich sind, auf denjenigen Theil des Systems ge legt werden können, dem sie das geringste Uebel ver ursachen, und der zu höhern Verrichtungen, welche Kunst und Vernunft erfordern, unfähig ist; da unterdessen der höhere Theil, durch die Befreyung von diesen Arbeiten, zu edlern Verrichtungen und Vergnügungen, deren sie allein fähig sind, Zeit gewinnet, und dem untern Theil nothwendig Nah rung und Vertheidigung verschaft. So werden die zahmen Arten durch die menschliche Herrschaft über die unvernünftigen Thiere, wenn sie mit ge höriger Vorsicht und Barmherzigkeit ausgeübt wird, glücklicher, und das menschliche Leben wird ungemein erleichtert. Dieses beweist sattsam, daß diese Herrschaft gerecht ist.
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und persönlichen Rechten. 463(Zweytes Buch.) Allein das, überdieses, die Menschen und andre beseelte Geschöpfe sich so stark vermehren,(Die Thiere haben kein gültiges Recht Recht wider die Menschen.) daß zu ihrem Unterhalt keine hinlänglichr Nahrung vorhanden ist; so erfordert das Beste des ganzen Systems, daß, wenn die edlern und die unedlern Arten zusammen, sich nicht sattsam erhalten oder vermehren können, die edlern lieber vermehrt wer den müssen; und es mus, für die mit Nachdenken über das Künftige begabte Geschöpfe, ein grösseres Uebel seyn, durch Gewaltthätigkeiten, durch Man gel der Nahrung, oder durch irgend eine andre Ur sache, die vorher gesehen werden kan, umzukommen, als es für solche seyn kan, welche nur den gegen wärtigen Schmerz fühlen. Die unvernünftigen Thiere können dahero kein gültiges Recht oder Ei genthum an irgend einem Dinge, das zur Erhaltung des menschlichen Lebens nothwendig ist, gegen die Menschen haben. Hätte GOtt die Absicht gehabt, daß die unvernünftigen Thiere ein solches Recht zu einem Theil des Erdbodens oder zu einigen Gütern haben sollten, die sie einmal besessen haben, so, daß sie die Menschen in ihrer grössern Bedürfnis solcher Dinge, davon ausschliessen könten: so würde die ses ein Recht gewesen seyn, welches dem grössten Vortheil des ganzen Systems entgegen gewesen wäre; und dieses lässt sich nicht denken. Er wür de gewis den unvernünftigen Thieren die Fähigkeit mitgetheilt haben, ihre Gränzen zu bezeichnen, ihre Befugnisse bekant zu machen, und mit den Menschen darüber zu handeln.
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(Zweytes Buch.) 464 Von den dinglichen Dem ungeachtet aber drückt man sich sehr richtig aus, wenn man sagt, die Thiere haben ein Recht, daß ihnen kein unnöthiger Schmerz, kein un nöthiges Elend verursachet werde. Die Men schen werden, durch ihr Gefühl des Mitleidens, von diesem Rechte, und von ihrer Verbindlichkeit, die sich darauf bezieht, unterrichtet. Es ist un menschlich und unmoralisch, die Thiere unnöthiger Weise zu qvälen<quälen>, oder sie eines solchen natürlichen Besitzes zu berauben, welcher den Vortheilen der Menschen nicht entgegen ist. Es ist wahr, die unvernünftigen Thiere haben keinen Begrif von Recht oder von moralischen Eigenschaften: allein die Kinder sind in eben diesem Falle, und doch ha ben sie ihre Rechte, welche ihnen die Erwachsenen zuzugestehen verbunden sind. Wir übergehen mit Stillschweigen, daß eine oft wiederholte Grausam keit, gegen die unvernünftigen Thiere, die Seele zu einem ähnlichen Verhalten gegen unsre Nebenmen schen gewöhnen könte. (Die Rechte der Men schen zu ei nem andern Gebrauch der Thiere.) IV. Allein, da die Menschen sich so stark ver mehren, daß alle ihre Arbeiten, mit der Beyhülfe der Thiere zusammengenommen, ihnen keinen hin länglichen Unterhalt verschaffen können; so ist es offenbar, daß sie, zu der Vertheidigung der zahmen Arten, welche zur Arbeit nicht geschickt sind, keine Mühe anwenden werden, wenn sie nicht dieselben auf andre Art gebrauchen könten: solche Arten müssten aus allen wohlbeschaffenen Ländern ver bannt, und den wilden Bestien und der Kälte des Winters und dem Hunger überlassen werden.
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und persönlichen Rechten. 465(Sechster Abschnitt.) Es mus dahero zum Vortheil dieser Arten gerei chen, daß die Menschen von denselben, durch ihre Milch oder Wolle, oder auf andere Art, Vortheile haben können, wodurch sie für ihre Vertheidigung und Beschützung belohnt werden. Auf diese Art werden diese Geschöpfe ein glücklichers und län gers Leben geniessen, und sich vermehren. Da aber die Menschen sich so sehr vermehren,(Das Recht sie zum [Un=] Unterhalt zu gebrauchen.) daß aller dieser Gebrauch der Thiere nicht hinläng lich ist: so müssten die Menschen alle solche Thiere, welche zu dergleichen Gebrauch nicht geschickt sind, von ihrer Sorgfalt ausschliessen; und wenn nicht ein andrer Gebrauch derselben ausfindig gemacht werden kan, die Menschen zu der Sorgfalt für sie zu ermuntern, und dafür zu belohnen, so müssten sie einem elenden Zustand in Wüsteneyen, und der Gefahr, durch wilde Bestien, oder aus Mangel des Futters, umzukommen, überlassen werden; indem viele von den zahmen Thieren sich mehr fortpflanzen und vervielfältigen, als es zu dem Gebrauch nöthig ist, welchen die Menschen von diesen Thieren, so lange dieselben leben, machen können. Die Natur bezeichnet hier einen andern Gebrauch, und wir sehen, daß viele beseelte Geschöpfe, von ihren natürlichen Trieben, angewiesen werden, sich von dem Fleische andrer beseelter Geschöpfe zu nähren. Diejenigen von der untern Gattung, welche zur Nahrung für die von der obern bestimmt sind, leben, empfinden und vergnügen sich auf einige Zeit, und zulezt kom men sie auf eine eben so leichte Art um, als wenn
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(Zweytes Buch.) 466 Von den dinglichen sie vor Alter, Kälte oder Hunger stürben. Die Erde und die Thiere hätten von einer ganz andern Beschaffenheit seyn müssen, ausserdem hätten diese anscheinenden Uebel nicht vermieden werden kön nen. Die höhern Ordnungen musten mit Speise versehen werden; und es ist besser, daß diese Spei se auf einige Zeit beseelt ist, und einige geringe Em pfindungen hat, als wenn sie ganz unempfindlich wäre, und blos zu der Nahrung beseelter Geschöpfe diente. Diese niedrigere Ordnungen können auch, so lange sie leben, in der Welt nicht geringe Dienste thun. Die Naturforscher bemerken, daß die klei nern Insecten, der ordentliche Raub der Vögel und Fische, sich von Fäulnis nähren, wodurch sie die Unreinigkeit der Luft verhindern, und auf diese Art dem ganzen System nützlich sind. Es gereicht einem System beseelter Geschöpfe, zum Vortheil, wenn die edlern Arten sich vermeh ren, obgleich diese Vermehrung die Anzahl der un edlern vermindert. Ein gewaltsamer Tod der un vernünftigen Thiere durch die Hände der Menschen, kan für sie ein geringeres Uebel seyn, als der Tod, welchen sie ausserdem würden erdultet haben, und der auch früher erfolget seyn würde, wenn sie von der Sorgfalt der Menschen ausgeschlossen worden wären. Dadurch, daß sie den Menschen zur Spei se dienen, werden die Menschen veranlasset, ihnen ein bequemeres Leben zu verschaffen, und ihre Fort pflanzung zu befördern. Sie werden durch die Kunst der Menschen vertheidiget und versorget, ih re Anzahl wird verstärkt, und ihr Tod erleichtert:
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und persönlichen Rechten. 467(Sechster Abschnitt.) und das menschliche Leben wird in solchen Gegen den, die ausserdem Einöden gewesen seyn würden, ein angenehmer Zustand. Die Absichten der Na tur, die unvernünftigen Thiere den Menschen zu ih rer Speise zu überlassen, ist also offenbar, und die Richtung derselben auf das allgemeine Beste des Systems, beweist, daß die Menschen die Macht haben, die Thiere zu diesem Gebrauche anzuwenden. Wenn alle diese Betrachtungen sich den Men schen nicht sogleich dargestellt haben: so ist es wahr scheinlich, daß sie des Fleisches der Thiere nicht so fort benöthiget gewesen sind. So bald sie dessen benöthiget waren; hat ihre eigene Ueberlegung ih nen dieses Recht entdeckt. Und doch ist dieses Recht dem natürlichen Mitleiden des menschlichen Herzens so sehr zuwider, daß man eine ausdrückliche Erlaubnis dazu, vermittelst der Offenbarung, nicht für überflüssig halten kan. * V. Wir betrachten nunmehro das Recht des Eigenthums, welches einem Menschen, mit Aus schliessung seiner Nebenmenschen, zustehet. 53
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(Zweytes Buch.) 468 Von den dinglichen Ein jeder wird durch seine natürlichen Triebe (Das Recht des Eigen thums.) und Begierden angewiesen, sich solcher Dinge anzu massen, welche zum gegenwärtigen Gebrauch ge schickt, und gleichwohl allen gemein sind, mit einer völligen Ueberzeugung von seinem Rechte, wenn er zu moralischen Begriffen gelangt ist; indem er sieht, daß solche Dinge zu dem Gebrauch der Men schen bestimmt sind, und daß keiner von seinen Ne benmenschen ein älteres Recht darauf hat, ihn von dem Gebrauch derselben auszuschliessen. Er mus auch leicht einsehen, daß, wenn ein andrer ihm das jenige, dessen er sich angemasset hat, wieder entzie hen wollte, nicht nur seine natürliche und unschul dige Absicht, sich zu erhalten, dadurch gehindert wer den würde, welches ein hassenswürdiges und übel gesinntes Verhalten ist; sondern, daß auch eine sol che Gewohnheit unter den Menschen, sie dem gröss ten Elend unterwerfen würde. Was ein Mensch izt in Besitz nimmt, würde ihm ein anderer, ohne ein vorzüglicheres Befugnis, wiederum entziehen; eine dritte Person würde ihm, auf gleiche Art, das jenige, was er nach hero in Besitz nähme, entziehen; eine vierte Person könte auf gleiche Art mit ihm verfahren; und so könte die ganze Erlaubnis, wel che Gott und die Natur ihm ertheilt hat, die uned lern Geschöpfe zu seinem Unterhalt zu gebrauchen, durch die Ungerechtigkeit und die üblen Gesinnun gen seiner Nachbarn, ohne Noth vernichtet werden, weil diese Nachbarn, durch ihren eigenen Fleis für sich sorgen können, ohne dasjenige, was er erlangt hat, an sich zu ziehen. So entdeckt uns der erste Antrieb der Natur zur Erhaltung unsrer selbst, oder
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und persönlichen Rechten. 469(Sechster Abschnitt.) derjenigen, die uns werth sind, das Recht des ersten Besitzers auf solche Dinge, welche zum gegenwärti gen Gebrauch dienlich sind. In der Verhinde rung an diesem unschuldigen Vorsatz, liegt etwas moralisches Böses, und es verräth üble Gesinnun gen, wenn man einem verwehrt, sich solcher Din ge zu seinem Unterhalt zu bedienen, die Gott und die Natur zu diesem Endzwecke bestimmt hat, so lange andere sich auf andere Art unterhalten kön nen. Eine Betrachtung über die allgemeinen Folgen dieses Verfahrens bestätigen dieses Recht noch mehr. Aus diesem allen ist also die erste Re gel, in Ansehung des Eigenthums, festzusetzen, daß der Genus solcher Dinge, welche zum gegenwärti gen Gebrauch dienlich sind, dem ersten Besitzer un gehindert überlassen werden mus. Der Zufall, wo durch der erste Besitz erlangt worden, kan ein ge ringer Umstand seyn; allein auch eine Kleinigkeit kan das Recht auf eine Seite lenken, wenn auf der andern keine überwiegende Betrachtung vorhan den ist. * Die Schwierigkeiten in dieser Sache rühren von der falschen Einbildung her, als ob das Eigen 54
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(Zweytes Buch.) 470 Von den dinglichen thum eine physikalische Eigenschaft sey, die eine Handlung der Menschen voraussetze. Bey der Untersuchung, die wir über den Ursprung des Ei genthums anstellen, suchen wir nur ausfindig zu machen, welche Betrachtungen oder Umstände be weisen, daß es moralisch gut und unschuldig sey, daß eine Person den vollen Gebrauch gewisser Din ge habe; und daß hingegen ein andrer eine unmo ralische Neigung zu erkennen gebe, wenn er diese Person an diesem Gebrauche zu hindern sucht. Vermöge der natürlichen Besrrebungen<Bestrebungen>, deren sich alle Menschen bewusst sind, und vermöge der offen baren Absicht der Natur müssen wir erkennen, daß es unmoralisch, grausam und lieblos eigennützig sey, wenn ein Mensch an dem Gebrauch gewisser Güter gehindert wird, die vorhero gemein waren, deren er sich aber zuerst angemasset hat, so lange eine Menge anderer Güter übrig bleibt, welche andre zu ihrem eigenen Unterhalt in Besitz nehmen kön nen. Eine solche Beunruhigung der ersten Be sitzer, mus eine unaufhörliche Gelegenheit zu den verderblichsten Leidenschaften und Streitigkei ten seyn.
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und persönlichen Rechten. 471(Sechster Abschnitt.) Ehe das menschliche Geschlecht sich so sehr vermehrte, und die Gegenden, welche sie in Besitz(Natürliche Gründe des Privateigen thums.) hatten, so fruchtbar und ergiebig waren, daß sie an allen Beqvemlichkeiten<Bequemlichkeiten>, ohne schwere Arbeit, Ueberflus hatten: so war wenig Gelegenheit vor handen, gewisse Regeln in Ansehung des Eigen thums festzusetzen. Allein bey der jetzigen Be schaffenheit der Welt, und bey der Vermehrung des menschlichen Geschlechts, kan kaum der hunderte Theil desselben mit demjenigen, was die Erde her vorbringt, unterhalten werden, wenn nicht viele Mühe und Arbeit angewendet wird. Die Weiden für die zahmen Thiere erfordern eben sowohl, als das Getraide, menschliche Arbeit, weil fast alles Land mit Holz verwachsen, und zu Weiden unbe qvem<unbequem> seyn würde, wenn die Menschen dieses nicht zu hindern sich bemüheten. Dasjenige also, was blos zum Unterhalt des menschlichen Geschlechts nöthig ist, erfordert eben sowohl einen allgemeinen Fleis und eine beständige Arbeit, als unsre Beqvemlich keiten<Bequemlichkeiten>. Die Natur hat allen Menschen thätige Kräfte und eine Neigung, sie anzuwenden, verlie hen: und jeder Mensch hat nicht nur ein eigennü tziges Verlangen nach seiner eigenen Glückseligkeit, und nach den Mitteln, sie zu befördern, sondern auch liebreiche und edelmüthige Neigungen gegen verschiedene Anverwandten und Freunde. Wir sind uns alle solcher Neigungen bewust, und schlies sen dahero mit Recht, daß andre sie ebenfalls be sitzen. Wir wissen, daß dieselben die ordentlichen Qvellen<Quellen> der Bemühungen des menschlichen Ge schlechts sind, die Erde zu bauen, und Dinge zu
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(Zweytes Buch.) 472 Von den dinglichen verschaffen, die im menschlichen Leben nützlich seyn können. Wir werden alle ein Gefühl der Freyheit in uns gewahr, ein starkes Gefühl, nach unsern ei genen Neigungen zu handeln, und unsre eigennützi gen und edelmüthigen Neigungen zu befriedigen. Wir empfinden einen heftigen Unwillen über alle Hindernisse, die man diesen natürlichen Bestrebun gen und Bemühungen in den Weg legt, so lange sie von einem Gefühl der Unschuld und von dem Be wustseyn begleitet werden, daß sie auf keine Belei digungen abzielen, und wir müssen dergleichen Be leidigungen, wenn kein wichtiger öffentlicher Vor theil sie haben will, als lieblos und grausam mis billigen, sie mögen nun uns selbst betreffen, oder aber andre an der Ausführung unschuldiger Absichten hindern. Durch diese starken Empfindungen un srer Herzen entdecken wir das Recht des Eigen thums, welches einem jeden von den Früchten seiner Arbeit zusteht; das ist, wir müssen es billigen, wenn er sich ihrer versichert, woferne kein öffentlicher Vortheil das Gegentheil erfordert; und wir müs sen es für ein grausames und ungeselliges Verhalten und für eine Unterdrückung ansehen, wenn die Men schen des freyen, und der unschuldigen Neigung ih rer Herzen gemässen Gebrauchs desjenigen, was sie auf diese Art besitzen und erworben haben, be raubt werden. Wenn wir in unsern Betrachtungen weiter gehen, und überdenken, was der gemeine Vortheil der Gesellschaft erfordern kan: so werden wir eine fernere Bestätigung des Eigenthumsrechts finden.
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und persönlichen Rechten. 473(Sechster Abschnitt.) Es wird zu dem Unterhalt des menschlichen Ge schlechts ein allgemeiner Fleis erfordert. Obgleich die Menschen von Natur zur Thätigkeit geneigt sind: so werden sie sich doch lieber mit den leichtern und angenehmern Uebungen, als mit der beständigen und schweren Arbeit beschäftigen, welche zur Her vorbringung der Nothwendigkeiten und Beqvem lichkeiten<Bequemlichkeiten> des Lebens erfordert wird, wenn ihnen keine starke Bewegungsgründe zur Uebernehmung dieser beschwerlichen Arbeiten vorgestellet werden. Welche Einrichtung dahero zur Beförderung des allgemeinen Fleisses nöthig ist, und den Menschen die Arbeit angenehm macht; diese Einrichtung mus auch auf das allgemeine Beste abzielen; und eine Einrichtung oder eine Gewohnheit, welche die Menschen von Fleis und Arbeit abschreckt, mus dem menschlichen Geschlecht nachtheilig seyn. Nun kan aber nichts die Menschen zu einem anhaltenden Fleisse in allen nützlichen Arbeiten so sehr ermun tern, als die Hofnung, daß sie, oder ihre Abköm linge, oder andre ihnen werthe Personen, künftig Reichthümer, Beqvemlichkeiten<Bequemlichkeiten> und Vergnügun gen geniessen, und daß sie wegen ihrer Geschicklich keit, Arbeitsamkeit und Freygebigkeit werden ge rühmt werden. Diese ganze Hofnung gründet sich auf die Sicherheit der Früchte ihrer Arbeit, und auf den freyen und ungestörten Genus und Ge brauch derselben. Wenn sie diese Versicherung nicht hätte: so würde kein anderer Bewegungs grund zur Arbeit vorhanden seyn, als die allgemei ne Zuneigung gegen alle Menschen überhaupt, wel che gemeiniglich weit schwächer ist, als die einge
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(Zweytes Buch.) 474 Von den dinglichen schränktern Neigungen gegen unsre Freunde und Verwandten, nicht zu gedenken, daß sich in diesem Falle die meisten der eigennützigen Neigungen wi dersetzen würden. Ja, die allgemeinsten Neigungen können kaum einen weisen Mann bewegen, Arbeiten zu übernehmen, wenn er an den Früchten derselben kein Eigenthum haben soll. Er mus sehen, daß ein allgemeiner Fleis nothwendig ist. Niemals aber wird der Fleis allgemein werden, wenn nicht die eigenen Bedürfnisse der Menschen und die Liebe ihrer Familien und Freunde, dieselben ermuntern. Diejenigen, welche zur Arbeit geschickt sind, und sie doch nicht übernehmen wollen, werden von den Ar beiten andrer nicht unterstützet werden. Wenn die Güter, welche durch die Arbeitsamen verschaft oder verbessert werden, dem gemeinen Gebrauch aller Menschen überlassen würden: so würden die Recht schaffenen und Arbeitsamen nur Sclaven der un würdigsten Menschen seyn. Die liebreichste Ge müthsart mus sich verweigern, die Faulen in ihrem Müssiggange zu erhalten, damit ihre eigenen Be dürfnisse sie zwingen mögen, ihren Theil zum öffent lichen Besten beyzutragen. Auf diese Art unter richtet uns sowohl das unmittelbare Gefühl unsrer Herzen, als auch die Betrachtung des allgemeinen Besten, von diesem Gesetz der Natur: „daß ein jeder den freyen Genus und Gebrauch von demjenigen, was er sich durch seine eigene Arbeit erworben hat, haben müsse,“ und dieses ist das Eigenthum, wel ches, wenn es uneingeschränkt ist, beschrieben wer
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und verschiedenen Rechten. 475(Sechster Abschnitt.) den kan, daß es sey, „ein Recht zu dem vollkom mensten Genus einiger Güter, und zu dem freyen Gebrauch derselben.“ VI. Die Gründe für das Eigenthum, welche,(Ob eine Ge meinschaft geduldet werden könte.) von dem öffentlichen Vortheil der Gesellschaft, der einen allgemeinen Fleis erfordert, hergenommen werden, würden nicht bestehen, wenn auch eine weise politische Einrichtung alle Menschen, ihren Theil Arbeit zu tragen, anhalten und alsdenn eine weise Eintheilung alles desjenigen, was erworben worden, nach einem richtigen Verhältnis gegen die Bedürfnisse und Verdienste der Bürger, machen könte. Aber die andern Gründe, welche von dem natürlichen Gefühl der Freyheit, und den zärtli chen natürlichen Neigungen hergenommen werden, würden immer bestehen. Eine so beständige Auf merksamkeit der obrigkeitlichen Personen, und eine so genaue Unterscheidung der Verdienste, welche einen allgemeinen Fleis und eine gerechte und billi ge Vertheilung sicher stellen könten, ist nicht zu er warten. Und niemals wird ein Vertrauen auf eine weise Vertheilung der Obrigkeit machen, daß eine gewisse Arbeit mit eben dem Vergnügen und mit eben dem herzlichen Wohlwollen unternommen werden wird, als wenn ein jeder Mensch dasjenige, was er erworben hat, unter Personen, die er liebt, selbst vertheilen kan. Welche Obrigkeit kan von den zärtlichen Banden der Freundschaft urtheilen, durch welche ein feinerer Geist an den andern so sehr verknüpft seyn kan, daß er alle Arbeiten vor ihn mit Freuden übernimmt? Warum sollen wir
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(Zweytes Buch.) 476 Von den dinglichen so viele von den angenehmsten Pflichten des Lebens, die Freygebigkeit, Gutthätigkeit und Dankbarkeit ausschliessen, und den Menschen zu der Ausübung derselben in Vertheilung ihrer Güter kaum einige Gelegenheit übrig lassen? Und welcher Plan der politischen Verfassung wird den Menschen jemals hinlängliche Versicherung geben, daß ihnen, und allen Personen, die ihnen besonders werth sind, aus dem allgemeinen Vorrath ein billiger Antheil ge reicht werden wird, wenn alles von dem Gefallen der obrigkeitlichen Personen abhängt, und keiner Privatperson einige Anwendung ihrer eigenen Weisheit oder Bescheidenheit, bey den angenehm sten Pflichten des Lebens, erlaubt wird. Müssten nicht alle Menschen im Privatstande, als Kinder oder Thoren, angesehen werden? Die Unbeqvemlichkeiten<Unbequemlichkeiten>, welche das Eigen thum mit sich führen soll, und welche Plato und Thomas More, durch die Entwürfe der Gemein schaft zu heben suchen, sind nicht so gros, als die jenigen, welche mit der Gemeinschaft verknüpft sind; und die meisten von den erstern können da, wo das Eigenthum mit allen seinen unschuldigen Befugnissen eingeführet ist, durch eine censo rische Gewalt und durch Gesetze, welche die Er ziehung, Testamente, und Erbfolge betreffen, ver hütet werden. Plato nimmt durch sein System der Gemeinschaft, so viel möglich, alle besondere Bande des Blutes und alle darauf gegründete zärtliche Neigungen hinweg, wenigstens unter den jenigen, welche in seinem Staate von der höchsten
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und persönlichen Rechten. 477(Sechster Abschnitt.) Ordnung sind. Er wird zwar unbilliger Weise beschuldiget, als ob er diesen Menschen ausschwei fende Neigungen erlaubte: allein es scheint ein zu stolzes Unternehmen dieses feinen Geistes zu seyn, die offenbare Einrichtung des Schöpfers umzukeh ren, und das, was in der menschlichen Seele so tiefe Wurzeln gefasst hat, auszurotten; und es ist eine eitle Vermessenheit, etwas besser machen zu wollen, als der Gott der Natur es geordnet hat. Die Neigungen von weiterm Umfange werden nie mals, wenn die besondern wegfallen, die gemeinen Menschen so eifrig machen und ihnen so viel Ver gnügen gewähren, als es, unsrer Einrichtung nach, zur Ermunterung des Fleisses und zur Glück seeligkeit nöthig ist. Wenn die besondern Bande der Natur beybehalten und den edlern Neigungen gehörig nachgesetzet werden: so wird dieses mit dem Endzweck der Politik und der Sittenlehre besser übereinstimmen; und dergleichen Entwürfe, wie Plato haben will, werden niemals unter Geschö pfen von unsrer Einrichtung ausgeführet werden können.
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Der siebente Abschnit. Die Mittel das Eigenthum zu erlangen. Wie weit es sich erstrecket, und wo es sich befindet.

I.Das Eigenthum ist entweder ursprünglich oder abgeleitet. Das ursprüngliche ist dasjenige, welches durch den ersten Besitz er
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(Zweytes Buch.) 478 Die Mittel langt wird; das abgeleitete aber dasjenige, wel ches von einem ersten Eigenthümer auf uns gebracht wird. Die allgemeinen Gründe für das Eigenthum, haben wir bereits angeführt, und die ursprüngli chen Mittel, dasselbe zu erlangen, gezeigt, nämlich, die Besitznehmung, und die zur Verbesserung an gewendete Arbeit. Allein um die natürlichen Gründe des Eigenthums besser einzusehen, müssen wir anmerken, daß die Menschen von Natur be müht sind, ihre eigene künftige Vortheile, und die künftigen Vortheile solcher Personen, die ihnen werth sind, eben so wohl, als ihre gegenwärtigen Vortheile zu befördern; und sie können in einem gegenwärtigen Ueberflus unglücklich seyn, wenn sie nicht auch in Ansehung der Zukunft, gewisse Ver sicherungen haben. Ferner, ein grosser Theil solcher Dinge, welche den grössten und dauerhaftesten Nutzen im menschlichen Leben verschaffen, wenn sie verbessert worden sind; erfordern eine lange vorher gehende Arbeit, sie nützlich zu machen. Nun wird aber niemand dergleichen Arbeit darauf verwenden, wenn er wegen des künftigen Genusses der Vor theile, welche sie verschaffen, keine Sicherheit hat. Es ist dahero nothwendig, daß ein beständiges Eigenthum, welches über alle mögliche gegenwär tige Verzehrung hinaus dauert, eine Folge der Ver besserung und der Arbeit sey, welche ein Mensch an Dinge verwendet hat, die vormals gemein waren. Von dieser Art sind Heerden, Gärten,
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das Eigenthum zu erlangen. 479(Siebenter Abschnitt.) Weinberge, Fruchtbäume, nutzbare Gründe und Weiden. II. Weil also das Eigenthum von der ersten Besitznehmung der Dinge, die zu einem gegenwär tigen Gebrauch geschickt sind, und von der Arbeit, welche auf die nöthige Verbesserung der Güter ver wendet wird, entstehet: so halten wir mit allem Rechte davor, daß das Eigenthum so bald seinen Anfang nimmt, als eine Person in der Absicht et was zu erwerben, die Verbesserung oder Bearbei tung einer vorher gemeinen Sache, oder aber vor her eine zu der Verbesserung und Besitznehmung erforderliche Arbeit unternimmt. Und das Eigen thum hat seine Vollkommenheit erlangt, wenn diese Person den Besitz ergriffen, ihre Bearbeitung an gefangen, und sich einen Entwurf gemacht hat, wie weit sie dieselbe entweder selbst, oder durch andre, die sie zu Gehülfen annimmt, fortsetzen will. Es ist nicht allemal nothwendig, daß wir selbst bey den in Besitz genommenen Gütern gegenwärtig sind, oder dieselben berühren. Jeder Schritt, welchen wir zu Erreichung dieses Endzwecks thun, und durch welchen die Güter zu dem menschlichen Ge brauch geschickter und ficherer<sicherer> gemacht werden, als sie vorhero waren, giebt uns ein Recht, von andern nicht gehindert zu werden; und es ist von einem andern ein unbilliges Verfahren, wenn er unsern Genus der Früchte unsrer unschuldigen Arbeiten, die wir angefangen haben, und fortsetzen, stören oder hindern will. Derjenige, welcher auf der Jagd ein Wild verwundet oder so sehr ermüdet
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(Zweytes Buch.) 480 Die Mittel hat, daß es leicht zu fangen ist; und die Ver folgung fortsetzet; oder aber es in ein Netz ge jagt hat, hat das Eigenthum daran angefangen, und es ist unrecht, wenn ihm ein andrer seine Beute auffangen und seine Bemühungen frucht los machen will. Einem, welcher Schiffe aus gerüstet hat, um unbewohnte Länder einzuneh men, zu deren Besitznehmung noch kein andrer ei nige Zubereitungen gemacht hat, würde unrecht ge than werden, wenn ein andrer, der sein Vorhaben erfahren, in Geschwindigkeit absegelte, ihm zuvor käme, und sich nachhero verweigerte, mit ihm zu theilen. Ja, wenn einer, welchem das Vorhaben des erstern ganz und gar unbekant gewesen, zuerst anlandete: so könte er nicht mit Recht den, wel cher zuletzt anlangt, von der Theilung des Landes, welches auf diese Art ihnen gemeinschaftlich zu ge hört, ausschliessen, wenn es zu den Absichten bey der hinlänglich wäre. III. Da aber das Eigenthum in der Absicht eingeführet worden, den Fleis zu ermuntern und zu belohnen: so kan es niemals so weit ausgedehnt werden, daß die Unternehmungen und Bemühun gen der Menschen dadurch gestört und fruchtlos ge macht werden könten. Keine Person oder Gesell schaft kan dahero, durch die blosse Besitznehmung, an einem grossen Strich Landes, welchen sie zu be bauen ausser Stande sind, ein solches Recht erlan gen, durch welches viele andre, denen es an Arbeit und Unterhalt fehlt, von einem Antheil daran aus geschlossen werden könten, der mit den Colonien,
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das Eigenthum zu erlangen. 481(Siebenter Abschnitt.) die sie dahin absenden würden, in einem Verhält nis stünde. So würde es vergebens seyn, wenn eine Privatperson mit ihrer Familie um deswillen auf das Recht des Eigenthums Anspruch machen wollte, weil sie ein Land, welches zehntausend Fa milien erhalten kan, und eben so viel zur Bebauung erfordert, zuerst entdeckt, oder weil sie zuerst dahin gekommen. Gleichergestalt würde es vergebens seyn, wenn in einer Nation von acht bis zehn Millionen Seelen, aus einem ähnlichen Grunde, das Eigenthum an einem grossen Lande, das diese Anzahl dreymal unterhalten könte, verlangt werden wollte. Da keine Nation den dritten Theil ihres Volks, zu einer Zeit, in Pflanzstädte ausschi ckeuausschi cken kan; so dürfen dergleichen eigensinnige Forde rungen, welche allen möglichen Gebrauch und Nu tzen derer, die sie machen, übersteigen, nicht ganze Länder zu Wüsteneyen machen, und andre zu volk reiche Nationen von dem Gebrauch des Erdbodens ausschliessen; welchen Gott für das menschliche Ge schlecht bestimmt hat. Auf diese Art könte der Ei gensinn oder die eitle Habsucht eines Staats den halben Erdkreis zu Wüsteneyen machen, und die übrigen Menschen unterdrücken. Wir werden hernachmals zeigen, daß der öffentliche Vortheil der Gesellschaften solche Gesetze rechtfertigen kan, wodurch Privatpersonen in der Erwerbung allzuvieler Güter, welche dem Staate gefährlich ist, ob sie gleich ohne eine besondere Be leidigung geschieht, Einhalt gethan wird; und
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(Zweytes Buch.) 482 Die Mittel eben diese Gründe gelten von demjenigen, was Pri vatpersonen in der natürlichen Freyheit, oder ganze Staaten und Nationen erwerben. Wenn die Er werbung gewisser Güter der Freyheit und Abhän gigkeit einer Nachbarschaft, oder benachbarter Staaten, nachtheilig ist: so haben diese Nachbarn ein Recht, entweder dieselbe gemeinschaftlich zu hin dern, oder den Eigenthümer anzuhalten, daß er die Ruhe aller seiner Nachbarn in Sicherheit setze. Dieser Fall würde vorkommen, wenn einer einen engen Pas mit den angränzenden Ländereyen; oder die Ländereyen, welche eine der ganzen Nachbarschaft nöthige Wasserquelle, umgeben, oder einen engen Sund in Besitz genommen hätte, so daß er allen Zugang, und allen Handel und Wandel vieler Menschen untereinander, hemmen könte. Wenn gefragt wird, wie viel Zeit eigentlich einer Familie oder einem Staate gelassen werden solle, die Ländereyen, welche sie in Besitz nehmen wollen, anzubauen: so ist es klar, daß sie mehr in Besitz nehmen können, als die erste Anzahl von Arbeitern, welche sie dahin senden, anzubauen im Stande ist. Privatpersonen können mehr Dienst boten bekommen, und ein Staat kan neue Colo nien und neue Mannschaft senden. Es lässt sich keine bestimmte Antwort geben. Einem Staat nur zwanzig bis dreysig Jahre zu dem Anbau alles desjenigen, was er rechtmäsiger Weise in Besitz neh men kan, zu verstatten, würde eine zu grosse Ein schränkung seyn; und wenn man ihm in Absicht auf die neuen Colonien erlauben wollte, Länder
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das Eigenthum zu erlangen. 483(Siebenter Abschnitt.) auf ganze Jahrhunderte unbebauet zu lassen: so würde dieses für eine zu grosse Nachsicht angesehen werden müssen. Das Maas der Zeit mus ver schieden seyn, nachdem die benachbarten Staaten es erfordern. Wenn keiner mit Einwohnern über häuft wird: so kan eine lange Zeit verstattet wer den. Sind viele überhäuft: so ist eine kurze Zeir hinlänglich. Die Menschen dürfen nicht auf gan ze Weltalter von der Erde, die sie, nach der Absicht Gottes, geniessen sollen, ausgeschlossen werden, um die Habsucht einiger wenigen zu befriedigen, die dasjenige, was sie doch nicht gebrauchen können, an sich ziehen würden, da unterdessen andre sich mit unbeqvemen<unbequemen> und engen Gegenden begnügen müssten. Benachbarte Staaten, welche zu einer billigen Vergütung der Kosten, die auf die erste Entdeckung und Besitznehmung verwendet worden, sich erbie ten, haben ein Recht auf solche Ländereyen, welche die ersten Besitzer nicht anbauen können. In die sen und allen andern Streitigkeiten, wo kein ge meinschaftlicher Richter vorhanden ist, und die Parteyen durch gütliche Unterhandlungen, nicht zu vereinigen sind, mus man, zu unparteyischen Schiedsrichtern, seine Zuflucht nehmen; und die jenigen, welche sich weigern, dieses Amt zu überneh men, können durch Gewalt dazu angehalten werden. IV. Allein es ist klar, daß dasjenige, was wir uns durch Arbeit erwerben, weit mehr ausmachen kan, als wir, oder unsre Familien, zum gegenwärti gen Gebrauch nöthig haben; und der vorhandene Vorrath kan zum künftigen Gebrauch aufgehoben
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(Zweytes Buch.) 484 Die Mittel werden. Ja, wir können uns mehr erwerben, als wir, zu allem gegenwärtigen und zukünftigen Gebrauch, nöthig haben; und wir können die Uebermasse, zu Wohlthaten, oder dazu anwenden, daß wir sie gegen andre Güter, welche wir nöthig haben, vertauschen. Ausserdem würde ein jeder verbunden seyn, alle Arten von mechanischen Kün sten, nacheinander zu treiben, welches zum allgemei nen Nachtheil gereichen würde. Die verschiedenen Regeln des Eigenthums, welche im Stande der natürlichen Freyheit, statt finden, leiden nicht nur, gleich allen andern beson dern Gesetzen der Natur, in wichtigen Fällen, viele Ausnahmen, sondern sie können auch in dem bürgerli chen Stande, mit allem Rechte, geändert und einge schränkt werden, nachdem es das Beste des Staats erfordert. (Welche Din ge immer ge mein sind.) V. Der Ursprung des Eigenthums, welchen wir oben erklärt haben, entdeckt die Ursache, warum solche Dinge, welche unerschöpflich sind, allen Men schen Nutzen schaffen, und keine Arbeit nöthig ha ben, nützlich gemacht zu werden, allgemein bleiben müssen; als die Luft, das Wasser der Flüsse, der Ocean, und auch kleinere Seen, welche schifbar sind. Wenn der Gebrauch unerschöpflich ist, und wenn zur Sicherheit desselben gewisse Kosten erfordert werden: so kan dieses eine gerechte Ursache seyn, alle diejenigen, welche Theil daran haben wollen, zu einem billigen Beytrag zu den nothwendigen Kosten verbindlich zu machen; dergleichen sind die Leucht thürme, oder die Schiffe, welche ausgerüstet wer
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das Eigenthum zu erlangen. 485(Siebenter Abschnitt) den, die Seen vor den Seeräubern sicher zu ma chen. Allein das Eigenthum an den Ufern auf beyden Seiten solcher engen Pässe kan kein Recht geben, diejenigen, welche zu einem billigen Bey trag bereit sind, von dem Durchgange durch solche enge Pässe, oder von einem unschuldigen Gewer be mit den darinnen lebenden Nationen auszu schliessen. Wenn der Gebrauch einiger angränzenden Theile der See oder des Ufers, welcher Fremden verstattet wird, unsre Besitzungen unsicher machen kan: als, wenn Kriegsschiffe in solchen Bayen, welche sich bis ins Innere eines Landes erstrecken, vor Anker ge leget werden: so können wir dieses mit Recht ver wehren, wenn nicht wegen der Gefahr hinlängliche Sicherheit gegeben wird. Wir können ebenfalls an dern den Gebrauch solcher Dinge, die von Natur gemein und unerschöpflich sind, untersagen, wenn sie unsern Ländereyen eine beschwerliche Dienstbarkeit zuziehen könten; als in den Flüssen zu fischen, oder aus denselben, durch unsern Grund und Boden, Wasser herauszuleiten, obgleich der Flus uns nicht eigenthümlich zugehört, und die Fischerey unerschö pflich wäre. Es ist kaum zu begreifen, aus was für einen andern Grund, als aus Verträgen und der Ein willigung benachbarter Staaten, jemand ein Ei genthum in der See, oder ein höheres Recht, als andere Nationen darinnen haben, verlangen kan. Jede Nation scheint, zu ihrer eigenen Vertheidi gung ein Recht zu haben, daß sie den Kriegsschiffen andrer Nationen verwehren kan, so nahe an ihren
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(Zweytes Buch.) 486 Die Mittel Küsten zu segeln, daß sie einige von ihren Unter thanen hinwegnehmen könten. Allein dieses Ei thum kan sich nur auf die Weite eines Büchsen schusses erstrecken. Ein unnöthiges Streifen an unsern Küsten, wenn es auch in einer grössern Entfernung geschieht, kan einen gerechten Argwohn einer feindlichen Absicht veranlassen, und kan eine gegründete Ursache abgeben, Beschwerden zu füh ren, und entweder Sicherheit zu verlangen, oder aber sie durch Gewalt zu zwingen, in einer grössern Entfernung zu bleiben. Aus dem Angeführten erhellt sattsam, daß diese Erde und was darauf ist, von Gott in den Stand gesetzt worden sey, welchen die Moralisten die negative Gemeinschaft, und nicht die po sitive, nennen. Die negative ist „der Zustand der Dinge, die noch niemand eigenthümlich zuge hören, sondern der Besitznehmung eines jeden überlassen sind.“ Die positive Gemeinschaft ist „der Zustand der Dinge, an welchen keine ein zelne Person, sondern eine ganze Gesellschaft ein unzertheiltes Eigenthum hat.“ Die Güter in dieser positiven Gemeinschaft kan weder dieses noch ein anders einzelnes Mitglied der Gesellschaft, ohne die Einwilligung der ganzen Ge sellschaft und derjenigen, welche sie regieren, in Besitz nehmen, noch Gebrauch davon machen. Nun ist aus den vorherangeführten Ursachen klar, daß ein Mensch das Eigenthum erlangen und sein Recht, sich dasjenige, was er zuerst in Besitz ge nommen, zuzueignen, gewahr werden kan, ohne die
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das Eigenthum zu erlangen. 487(Siebenter Abschnitt.) übrigen Menschen darum zu befragen; und es würde eine Beleidigung von einer andern Person seyn, ihn hierinnen zu hindern. Wir haben also nicht nöthig, mit Grotius und Pufendorf, bey der Erklärung des Ursprungs des Eigenthums, zu alten Vergleichen und Verträgen oder mit Filmer, zur Erlaubnis unsrer ersten Aeltern unsre Zuflucht zu nehmen. VI. Alle Dinge, welche zum Gebrauch der(Jrrthümer, in Ansehung der rerum nul- lius.) Menschen geschickt sind, verbleiben entweder in die ser negativen Gemeinschaft, oder gehören einzel nen Personen oder ganzen Gesellschaften eigenthüm lich zu. Bona uniuersitatum, oder die Güter ganzer Gemeinen sind das Eigenthum der Gesellschaften; die res nullius* der Rechtsgelehrten, nämlich die heiligen Dinge, als Tempel, und ihre Geräthschaft, die zum Unterhalt der Geistlichen bestimmten Gü ter, die Todtenäcker und die zu Leichenbegängnissen nöthigen Sachen; vermachte Plätze, die dem gemeinen Gebrauch nicht überlassen werden, der gleichen die Stadtmauren sind; stehen alle entwe der grössern Gesellschaften, oder einer Familie zu; obgleich einige abergläubische Gesetze den Eigenthü mern den freyen und vollkommenen Gebrauch der selben, oder die Anwendung derselben zu einem an dern Gebrauch, als zu welchem sie anfangs be stimmt wurden, untersagen wollen. Diese Ge setze sind oft thöricht, und auf einige verwirrte un 55
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(Zweytes Buch.) 488 Die Mittel auflösliche Begriffe gegründet. Alle solche Güter sind wirklich zu dem Gebrauch der Menschen allein bestimmt. Die alten Eigenthümer, welche sie zu diesen Absichten hergaben, wurden von der Ehrer bietung gegen Gott bewogen, zum Unterhalt der Geistlichen, zur beqvemeren<bequemeren> Verrichtung des Got tesdienstes, zum Begräbnis ihrer Todten, und zur Vertheidigung der Gesellschaften durch Befesti gung der Städte, gewisse Geschenke zu machen. Aber nichts von diesen geschenkten Ländereyen oder Gütern, kan Gott einigen Nutzen schaffen, und sei ne Rechte können durch die Unternehmungen der Menschen weder vermehrt noch vermindert werden. Dergleichen Schenkungen sind ihm angenehm, in so fern sie seinen Geschöpfen, durch die Beförde rung ihrer Gottesfurcht, Tugend und Glückselig keit, vortheilhaft seyn können. Die Ehrerbietung gegen Gott kan die Menschen eben sowohl bewegen, ihrem Vaterlande, oder ihren Freunden, zum bür gerlichen Gebrauch, Geschenke zu machen; und die se können Gott eben so angenehm seyn, als alle Ge schenke, die zu einem so genannten heiligen Gebrauch gemacht werden. Niemand kan sich dahero ein bilden, daß solche Güter eine mystische Eigeschaft haben, und bey vorfallenden Gelegenheiten nicht zu andern Absichten gebraucht werden könten. Es ist ein natürlicher Beweis von der Got tesfurcht einer Person oder Gesellschaft, für dasje nige zu sorgen, was den Menschen die Verrich tung des öffentlichen Gottesdienstes bequemer ma chen kan. Es würde Geitz und einen Mangel an[=]
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das Eigenthum zu erlangen. 489(Siebenter Abschnitt.) Gottesfurcht verrathen, wenn die Menschen von ihrem Vermögen nicht dasjenige hergeben wollten, was erfordert wird, die Oerter des öffentlichen Got tesdienstes, sicher, beqvem<bequem> und anständig zu machen. Wenn sie, in Vergleichung mit Privatgebäuden, gering und unansehnlich sind: so kan die Verrich tung des Gottesdienstes unangenehm werden. Es ist noch schlimmer, wenn diejenigen, deren Amt es ist, dem öffentlichen Gottesdienst vorzustehen, und die Menschen von den Pflichten des LebeusLebens zu un terrichten, nicht so versorgt werden, daß sie ihre Er käntnis erweitern, nnd<und> ihr nützliches Amt wohl verwalten können. Allein wenn für alle diese End zwecke hinlänglich gesorgt worden: so ist es eine Thorheit, und ein Aberglauben, wenn die Reichthü mer, welche im Handel und Wandel, oder in bür gerlichen Angelegenheiten, mit grösserm Nutzen hät ten angewendet werden können, entweder, auf über mässige Pracht und Ausschmückung der Tempel, oder auf zu ansehnliche Besoldungen der Lehrer des Volks, welche dieselben von ihren Geschäften ab ziehen, und sie zur Ueppigkeit, zum Stolz und zur Habsucht verleiten können, verwendet werden; oder wenn man ihrer mehr, als nöthig ist, unterhält. Es ist noch thörichter, Menschen, die träge und müssig sind, oder ein unnützes Leben führen, zu unterhalten. Gewisse Orden, die gemeiniglich geistliche(Die Ursa chen des Jrr thums.) genennet werden, haben eine schöne Metony mie, aus den niedrigsten eigennützigen Absich ten, gemisbraucht. Geschenke, die man ihnen
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(Zweytes Buch.) 490 Die Mittel macht, werden für Gaben, die man Gott darbringt, ausgegeben, wie alle weise Freygebigkeit und Mil digkeit genennt werden kan. Aber die Geschenke, welche ihren Orden gemacht, oder ihnen anvertrauet werden, nennen sie Verehrungen zum Dienste Got tes. Gott ist der Eigenthümer aller Dinge, und kan von den Menschen keine Geschenke erhalten. Man kan nur den Menschen Schenkungen machen. In so weit dieselben zu der allgemeinen Glückselig keit der Menschen etwas beytragen, in so weit, wei ter aber nicht, können sie Gott angenehm seyn. Wenn sie der Handlung und Freyheit eines Landes nachtheilig sind, wenn sie die Geistlichkeit, wie man sie nennet, zur Ueppigkeit, Tyranney, und zum Geitz verleiten: so wird Gott dadurch eben sowohl be leidiget, als durch die Sünden der Unwissenheit. Es ist weise und gerecht, wenn in einem Staate, wo hinlängliche Anstalten, zu Verrichtung des Got tesdienstes getroffen worden, alle weitere Schen kungen eingeschränkt, oder abgeschaft; unnöthige Bewilligungen, welche, durch List und Betrug, ent weder dem gemeinen Wesen, oder Privatpersonen abgelocket worden, wieder zurückgenommen wer den, und wenn das gemeine Wesen von der Be schwerlichkeit, unnütze Gebäude oder Müssiggän ger zu unterhalten, dadurch befreyet wird, daß die Gebäude zu andern Endzwecken gebraucht, oder gar abgetragen, die Müssiggänger aber zu nützlichen Arbeiten angehalten werden. Dieses mus Gott ein angenehmer Dienst seyn. Gewisse ungereimte Vorstellungen einer Hei ligkeit in Steinen, Holz, Metall, und liegenden
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das Eigenthum zu erlangen. 491(Siebenter Abschnitt.) Gründen, haben die Menschen veranlasst, die An wendung dieser Dinge zu einem andern Gebrauch, als zu welchem sie anfangs bestimmt waren, für gottlos zu halten. Und gleichwohl ist es doch of fenbar, daß keine Heiligkeit an dieselben verknüpft seyn kan. Wir bedienten uns ihrer anfangs, wenn wir unsre Andacht verrichteten; aber wie? wir be dienten uns ja damals auch unsrer Körper, Kleider, und unsrer Sprache; dürfen dieselben auch zu kei nem andern Endzweck angewendet werden? Dieje nigen, welche diese Schenkungen gemacht haben, sind vielleicht so abergläubisch gewesen, zu verord nen, „daß solche Häuser blos zur Verrichtung des Gottesdienstes und solche Güter blos zum Unter halt der Geistlichen angewendet werden sollen.“ Allein, ist es nicht eine Thorheit, dasjenige blos zu einem Endzweck anzuwenden, welches auch zu an dern angewendet werden, und dazu nicht weniger geschickt seyn kan, als zu dem erstern? Der Staat hat ein gegründetes Recht, dergleichen abergläubi sche Einschränkungen aufzuheben, und alle solche fromme Verordnungen, welche thöricht und der Gesellschaft nachtheilig sind, abzuschaffen. Man gebe zu, daß bey dem gemeinen Volke, durch gewisse verworrene Begriffe, die Andacht in den Tempeln vermindert werden könne, wenn die selben zu der Zeit, da kein Gottesdienst darinnen gehalten wird, zu einem andern Gebrauch ange wendet würden. Mus denn diese Schwachheit unterhalten werden? Es ist allenfalls nichts weiter nöthig, als daß solche Häuser, so lange sie zu der
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(Zweytes Buch.) 492 Die Mittel Verrichtung des Gottesdienstes bestimmt sind, in der Zwischenzeit zu keinem andern Gebrauch an gewendet werden. Wenn aber zu Verrichtung des Gottesdienstes andre Gebäude oder andre Geräth schaften vorhanden sind, oder wenn die Lehrer andre Besoldungen haben: so kan der Staat ohne Be denken die ersten Gebäude, Geräthe, oder Güter zu andern nützlichen Endzwecken anwenden. Unter den Papisten wird das Geheimnis der Heiligkeit so sehr eingeschärft, daß dieses alles für gottlos ge halten wird. In dieser ganzen Einrichtung wird Gott mit keinen andern Augen angesehen, als wenn er den heiligen Orden, auf eine listige Art, Lebens mittel zuführte, und als wenn er alles, was sie durch Betrug und Kunstgriffe von schwachen und aber gläubischen Menschen, zu den schädlichsten und thö richsten Endzwecken, erlangt haben, einsammelte, und beschützte. (Das Recht der Verjäh rung.) VII. Diejenigen Dinge, an welchen ein Ei genthum ehemals erlangt worden, können wie derum in den Stand der Gemeinschaft übergehen, wenn der Eigenthümer sein Eigenthum daran durch die Wegwerfung oder die vorsätzliche Verlassung derselben, aufgiebt; und alsdenn kan sie sich derje nige zueignen, welcher sie zuerst wieder in Besitz nimmt. Wenn der Eigenthümer, wider seinen Willen, einige Güter verliert, und weil er sich auf andre Art versehen, dasjenige, was er verloren, nicht zurückfordert, ungeachtet er weis, wer es ge funden hat: so kan eine lange Verabsäumung die ser Art eine hinlängliche Erklärung seyn, daß er
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das Eigenthum zu erlangen. 493(Sibender<Siebenter> Abschnitt.) das Eigenthum daran aufgeben wollen, und auf diese Art kan er sich des Rechts, sie künftig von dem gegenwärtigen Besitzer zurückzufordern, ver lustig machen. Dieses scheint die einzige Verjäh rung zu seyn, welche wider den vorigen Eigenthü mern galt, ehe bürgerliche Gesetze gegeben wurden. Es sind gerechte Ursachen vorhanden, warum die bürgerlichen Gesetze andre Vorschriften der Verjäh rung machen müssen, theils, um die Unterthanen zu gewöhnen, daß sie, für ihre Güter Sorge tra nen, und ihre Rechte, zu gehöriger Zeit, und so lan ge sie vergewissert werden können, verfolgen; theils, weil die Güter, welche man lange Zeit, ohne von dem Recht eines andern etwas zu wissen, ungestört besessen, aus erheblichen Betrachtungen, redlichen Käufern überlassen, oder, aus ähnlichen Betrach tungen, verpfändet, oder auf andre Art beschwert worden seyn können, so, daß die Aufhebuug<Aufhebung> aller dieser Handlungen unschuldigen Personen zum gröss ten Nachtheil gereichen würde; und theils, um arg listigen und unentdeckbaren Hintergehungen zuvor zukommen, welche nicht abgewendet werden könten, wenn Handlungen, die vor so langer Zeit getrof fen seyn sollen, daß die dabey gewesenen Zeugen nicht mehr am Leben sind, für gültig erklärt, und die Rechte eines langen und ruhigen Besitzes da durch umgeworfen werden sollten. Die bürgerlichen Gesetze haben einen muthmas lichen Titel, oder den bonam fidem, vermöge dessen der Besitzer wahrscheinlicher Weise geglaubt haben kan, daß die Güter ihm eigenthümlich zustünden,
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(Zweytes Buch.) 494 Das Mittel zu den nothwendigen Anfang der Verjährung ge macht; so, daß keine Langwierigkeit eines Besitzes, welcher, ohne einen hinlänglichen Titel, angefan gen worden, ein Recht geben kan. Allein, wenn ei ner von einem alten Besitzer eine Sache redlicher Weise, und ohne daß ihm von einem verborgenen Titel eines andern etwas bekant gemacht werden können, gekauft hat; so würde es, (wenn er das Kaufgeld von dem Verkäufer nicht wieder bekom men kan, ungeachtet dieser den Besitz, ohne diese rechtmässige Vermuthung angefangen,) sehr hart seyn, wenn der redliche Käufer alle Ansprüche ver lieren, und nicht wenigstens das bezahlte Kaufgeld wieder bekommen sollte. Einige Gründe für die Verjährung können auch alsdenn statt finden, wenn der Besitz, mit keinem muthmaslichen Tittel, ange fangen worden. VIII. In Ansehung desjenigen, was den Gü tern, die uns eigenthümlich zustehen, zuwächset, und dazu gehöret, sind folgende Regelu zu be trachten. 1. Alle Früchte, Vermehrungen und Ver besserungen der Güter, welche einem eigenthümlich zustehen, und zu welchen weder die Güter, noch die Arbeiten anderer etwas beygetragen haben, ge hören dem Eigenthümer, ausgenommen, wenn ein anderer durch einen Contract, oder durch bürger liche Gesetze ein Recht darauf erlangt hat. 2. Wenn die Güter oder die Arbeiten ande rer Personen zu der Vermehrung oder Verbesserung
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das Eigenthum zu erlangen. 495(Siebenter Abschnitt.) etwas beygetragen haben: so haben alle diejenigen, von deren Gütrrn<Gütern> oder Arbeiten dieser Beytrag her rührt, ein gemeinschaftliches Eigenthum an dem Ganzen oder an den Früchten und Verbesserungen, und zwar ein jeder in einem Verhältnis gegen den beygetragenen Werth. Wenn die Güter oder Früchte eine Theilung zulassen, ohne daß dadurch das Ganze verliert: so müssen sie unter diejenigen, welche dazu beygetragen haben, nach einem richtigen Verhältnis, vertheilt werden. Wenn keine Theilung, ohne Schaden des Ganzen, möglich ist: so mus ein abwechselnder Ge brauch auf eine gewisse Zeit, die mit dem Beytrag eines jeden in Verhältnis steht, festgesetzet, oder es kan ein gemeinschaftlicher Gebrauch, wenn derglei chen möglich ist, davon gemacht werden. Ist we der ein gemeinschaftlicher, noch ein abwechselnder Gebrauch möglich: so mus er demjenigen aus die ser Gesellschaft, welcher ihm den grössten Werth bey legt, auf folgende Art überlassen werden: nämlich, man bestimme zuförderst das Verhältnis des Rechts eines jeden, zu den Rechten der andern, und derje nige Gesellschafter, welcher das meiste bietet, erhalte den Gebrauch, und thue den übrigen ihre Antheile gut.* Auf diese Art erhält derjenige die Güter, der ihnen den meisten Werth beylegt, und die übrigen be kommen für ihre Antheile eine desto grössere Ver 56
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(Zweytes Buch.) 496 Die Mittel geltung.* Wenn über den Werth der verschiede nen Antheile des Beytrags Streit entstehet: so ist ausserhalb der bürgerlichen Verfassung kein ander Mittel übrig, als daß weise Nachbarn, welche Ken ner der Güter sind, zu Schiedsrichtern erwählt werden. Wenn durch den Betrug oder die strafbare Nachlässigkeit einer Person, ihre Arbeiten und Gü ter, unter die Güter anderer vermischt werden, so, daß das nunmehrige Ganze, oder die neue Form dem andern unschuldigen Eigenthümer keinen wei tern Nutzen schaft: so hat dieser Eigenthümer ein Recht, die Vergütung des Werths seiner Güter, welche zu seinem Gebrauch ungeschickt gemacht wor den sind, und desjenigen Nutzens, welchen er dar aus hätte ziehen können, wenn sie ihm allein gelas sen worden wären, von dem andern zu fordern. Wenn meine Güter, durch die Güter oder Arbeiten eines andern, zu meinen Gebrauch verbessert und be qvemer<bequemer> gemacht werden, ohne, daß ich diesem an dern hierzu Auftrag gethan habe: so bin ich nur gehalten, den Werth der Verbesserung, in so weit sie zu meinen Absichten dient, zu bezahlen, nicht aber den Werth, welchen derjenige, der sich unverlangt mit meinen Gütern abgegeben hat, dieser Verbesse rung beylegen könte. Es ist kein Grund vorhan den, warum ich, durch sein Verschulden, entweder 57
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das Eigenthum zu erlangen. 497(Siebenter Abschnitt.) meine Güter einbüssen, oder eine kostbarere Verbesse rung bezahlen sollte, als es meinen Umständen ge mäs ist. Die eigentliche Bestrafung einer solchen betrüglichen und unverlangten Beschäftigung mit den Gütern anderer, ist eine Untersuchung, die von dem Recht des Eigenthums ganz und gar unter schieden ist. IX. Das Recht des Eigenthums, wenn es,(Welche Rechte das Eigenthum in sich fasst.) wie bey seinem Ursprunge, vollkommen und unein geschränkt ist, enthält drey Theile. 1. Ein Recht zu dem vollständigen Gebrauch. 2. Ein Recht, andere von den eigenthümlichen Gütern auszu schliessen. 3. Ein Recht, dieselben zu veräussern, und auf andre zu übertragen, entweder vertheilt, oder im Ganzen; schlechterdings, oder unter gewis sen Bedingungen; ohne oder gegen eine gewisse Vergütung. Die bürgerlichen Gesetze können zu weilen den Gebrauch dieser Rechte einschränken, und einige wichtige Ursachen, welche auf das allge meine Beste abzielen, können, auch im Stand der natürlichen Freyheit, diese Einschränkungen erfor dern, und ein ausserordentliches Verfahren recht fertigen, welches den Vorschriften, die wir ordent licher Weise beobachten müssen, zuwider läuft. Auf dieses Recht des Eigenthums bezieht sich ei ne allgemeine uneingeschränkte Verbindlichkeit, die ses Recht nicht zu verletzen, noch andre in dem Ge nus desselben zu hindern. Dieser heiligen Ver bindlichkeit werden wir uns alle bewusst werden, wenn wir in Erwägung ziehen, was für einen hef
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(Zweytes Buch.) 498 Von dem abgeleiteten Eigenthume. tigen Unwillen wir empfinden, wenn andre unsren Rechten zu nahe treten; und was für ein grosses Misfallen wir empfinden, wenn der Geitz und Ei gennutz anderer, um eines kleinen eigenen Gewin stes willen, die Ruhe und Sicherheit der Gesell schaft, und alle Liebe ihrer Nebenmenschen aus den Augen setzet. Wir misbilligen ein gleiches Ver fahren, bey der Bestrebung nach Dingen, deren Verachtung wir für anständig, und für den Beweis einer grossen Seele halten. Dieses Misfallen müssen wir auch über solche ungerechte Handlun gen empfinden, welche das Eigenthum anderer be unruhigen, obgleich das unsrige dadurch nichts leidet.
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Der achte Abschnitt, Von dem abgeleiteten Eigenthum, und von den Mitteln, es zu veräussern und auf andre zu übertragen.

(Dingliche und persön liche Rechte.) I.Die erlangten Rechte sind entweder dingli che oder persönliche. Alle erlangte dingliche Rechte entstehen von der Uebertragung der ursprünglichen Rechte des Eigenthums von einem auf den andern. Und alle persönliche er langte Rechte, entspringen aus der auf andre gesche henen Uebertragung einiger Theile unsrer natürli chen Freyheit, oder unsers Rechts, nach unserm Ge fallen zu handeln, oder unsrer Verbindlichkeit, zum Besten andrer gewisse Verrichtungen zu überneh men. Die dinglichen Rechte sind an gewisse
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 499(Achter Abschnitt.) bestimmte Güter verknüpft; die persönlichen hin gegen nicht. Die Nothwendigkeit und der Nutzen der Con tracte und der Uebertragung des Eigenthums ver offenbaret sich bereits aus demjenigen, was vorher angeführet worden, * und wird aus folgenden noch mehr erhellen. Der Unterschied zwischen den ding lichen und persönlichen Rechten, und der Grund dieser Eintheilung, ohne Absicht auf die bürgerlichen Gesetze, mus hier erklärt werden. Es kan oft jemand einem andern, eine grosse(Der Grund dieseser Ein theilung.) Summe schuldig werden, und alle moralische Ge wisheit, und den redlichen Vorsatz haben, sie rich tig zu bezahlen; dabey aber ungeneigt seyn, einen Theil seiner Güter mehr, als den andern, der Ge walt seines Gläubigers zu übergeben, sondern sei ner eigenen Wahl vorbehalten, welchen Theil der selben er zu Bezahlung der Schuld veräussern will. Ein Gläubiger kan mit einer solchen Verpflichtung des Schuldners zufrieden seyn, wenn er von seinem Reichthum und seiner Rechtschaffenheit überzeugt ist, ohne daß er ihm seine Forderung auf gewisse Güter versichert. Ein solcher Vertrag bringt ein persönliches und kein dingliches Recht hervor. Der Gläubiger hat zwar, in diesem Falle, eine allgemei ne Sicherheit in allen Gütern des Schuldners, weil er, wenn dieser die Zahlung nicht leistet, im Stand der natürlichen Freyheit sich eines Theils derselben, zu Bezahlung der Schuld, anmassen kan, wenn 58
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(Zweytes Buch.) 500 Von dem abgeleiteten Eigenthume. kein andrer Gläubiger ein dingliches Recht daran erlangt hat. Aber den Vortheil der persönlichen Verbindlichkeit, in Ansehung des Schuldners, be steht darinnen, daß er immer Herr aller seiner Gü ter bleibt, und, binnen der gesezten Zeit, es in sei ner Macht hat, seine Gläubiger, nach seinem eigenen Gefallen, zu befriedigrn. Und der Vor theil des dinglichen Rechts, in Ansehung des Gläu bigers, bestehet darinnen, daß er wegen seiner, auf gewisse Güter besonders versicherten Forderung, völlige Gewisheit hat, bezahlt zu werden, ungeach tet der Schuldner, nachhero, noch mehrere Schul den macht, oder auch ältere persönliche Schulden hat, die er nicht bezahlen kan. Wenn einer dem andern Schaden zugefügt hat: so ist er demjenigen, welcher den Schaden er litten hat, zur völligen Vergütung desselben gehal ten. Und doch hat derjenige, welcher den Scha den erlitten, blos ein persönliches Recht, welches keiner Forderung einer dritten Person vorzuziehen ist, und welches auf keinen Theil der Güter desje nigen, der den Schaden zugefügt hat, mehr, als auf den andern, haftet. Wenn dieser den Schaden zu ersetzen, sich erbietet: so hat jener auf weiter keine Güter des Schuldners ein Recht, als auf diejeni gen, aus welchen dieser Ersatz geleistet werden soll. Wenn der Darleiher darauf besteht, mehrere Sicherheit, als die Versprechungen des Schuldners, zu haben, oder, wenn er seine Fähigkeit zu bezah len in Zweifel zieht, und ein Unterpfand bekomt; so erlangt er dadurch ein dingliches Recht, da ihm
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 501(Achter Abschnitt.) gewisse Güter angewiesen werden, auf welchen sei ne Forderung besonders haftet. Ein ehrlicher Mann wird die persönlichen(Die dingli chen sind den persönlichen vorzuziehen.) Rechte andrer sowohl, als die dinglichen, so viel in seiner Gewalt ist, in Acht nehmen, und zur Erfül lung bringen; allein es ist nicht bey beyden einer ley Sicherheit, welches die Erfahrung lehrt, wenn wegen verschiedenen Forderungen, eine Person in Anspruch genommen wird, die nicht genug in Ver mögen hat, sie zu bezahlen. Die dinglichen Rech te müssen den persönlichen vorgezogen werden. Der jenige, welcher mit einer geringern Sicherheit zu frieden ist, darf nicht erwarten, daß er eben so we nig Gefahr laufe, als ein andrer, der eine grössere verlangt und erhalten hat, und, unter keiner an dern Bedingung, etwas vorgestreckt haben würde. Dieser Vorzug der dinglichen Rechte vor(Aus was für Ursachen.) den persönlichen, ist nothwendig, um Treue und Glauben im Handel und Wandel, aufrecht zu er halten. Bey der Uebertragung des Eigenthums und bey der Verpfändung gewisser Güter, müssen der Käufer und der Darleiher, auf eine öffentliche Art, gegen alle ältere heimliche Contracte mit einan der gesichert werden, obgleich diese geheimen Con tracte ein persönliches Recht hervorbringen. Es würde niemand wagen, Güter zu kaufen, wenn ihm nicht der Besitz desjenigen, was er gekauft hat, ge gen alle vorhergehende geheime Kaufcontracte sicher gestellt werden könte. Und er könte nicht sicher ge stellt werden, wenn ältere geheime Contracte nicht den öffentlichen Contracten, welche mit allen zur
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(Zweytes Buch.) 502 Von dem abgeleiteten Eigenthume. Uebertragung dinglicher Rechte erforderlichem Fey erlichkeiten geschlossen worden, vorgezogen werden müssten. Es würde auch niemand, gegen Ver pfändung gewisser Güter, etwas darleihen, wenn nicht auf eine öffentliche Art, ein dingliches Recht, übertragen werden könte, welches einem ältern per sönlichen, aus einem geheimen Contracte herfliessen den Rechte, vorzuziehen ist. Alle Nationen haben gewisse öffentliche Ge bräuche, das volle Eigenthum oder dingliche Rechte, welchen durch keine ältern, geheimen persönlichen Rechte Abbruch geschehen kan, zu übertragen. Diese Gebräuche sollen die getroffene Verabhand lung öffentlich bekant machen, und die übertragen de Person, ausser Stand setzen, nachgehends andre zu hintergehen. Die Ueberantwortung befördert diesen Endzweck bey beweglichen Sachen; und der Besitz unbeweglicher Güter wird durch gewisse öf fentliche symbolische Handlungen erlangt, oder aber durch öffentliche Registraturen über die erfolg te Uebergabe. Wenn ein Contract auf diese Art bestätiget wird: so wird dadurch ein dingliches Recht erlangt, welchem kein persönliches Abbruch thun kan. Und doch kan die Person, welche um ihr persönliches Recht, durch das nachherige dingli che und das Eigenthum übertragende Recht, ge bracht worden, von dem Verkäufer, welcher sie auf diese Art, hintergangen, nicht nur den Ersatz alles erlittenen Schadens, sondern auch die Schadlos haltung wegen aller Vortheile, die sie erlangt haben würde, wenn sie nicht hintergangen worden wäre,
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 503(Achter Abschnit.) zu fordern. Allein, ohne diesen Vorzug der ding lichen Rechte vor den persönlichen, würde kein Ge werbe statt finden. II. Die abgeleiteten dinglichen Rechte sind(Abgeleite te dingliche Rechte.) entweder einige auf einen andern übergetragene, und von den übrigen abgesonderte Theile des Eigen thums, oder das von dem ursprünglichen Eigen thümer auf einen andern übergetragene vollständige Eigenthum. Die Theile des Eigenthums, welche oft, von den übrigen abgesondert, übergetragen werden, ma chen vornehmlich diese vier Classen aus: 1. Das Recht des Besitzes, vermöge dessen man ein Recht hat, Güter, von welchen man weis, daß sie andern zugehören, so lange zu besitzen, bis der wah re Eigenthümer seinen Titel beweiset. Dieses Recht gilt wider alle andere, und kan oft in ein völliges Eigenthum verwandelt werden. 2. Das Recht der Erbfolge, welches man in gewissen Gütern haben kan, da unterdessen der andere alle Theile des Eigenthums, das Recht zu veräussern ausgenommen, behält. 3. Das Recht an einem Unterpfande. 4. Die Rechte, von den Gütern anderer einen geringen Gebrauch zu machen, welche Dienstbarkeiten genennet werden. Was das Recht des Besitzes anbetrift; so hat einer, der durch Betrug oder ungerechte Gewalt den Besitz erlangt hat, kein Recht, und ein andrer, welcher die Absicht hat, die Güter dem Eigenthümer wieder einzuräumen, kan ihn mit allem Rechte aus
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(Achter Abschnitt.) 504 Von dem abgeleiteten Eigenthume. dem Besitz vertreiben. Derjenige, welcher weder durch Betrug noch ungerechte Gewalt den Besitz solcher Güter erlangt hat, von welchen er weis, daß sie andern zustehen, hat ein Recht, welches wider alle gültig ist, den Eigenthümer und diejenigen, welche in seinem Nahmen Ansprüche machen, aus genommen. Wenn der Eigenthümer nicht auszu findig zu machen ist, oder sich seiner Ansprüche be giebt: so erlangt der Besitzer, durch die Anmassung, das Eigenthum. Der Besitzer ist verbunden, es öffentlich bekant zu machen, daß er dergleichen Gü ter besitzt, und er mus alle dienliche Mittel anwen den, es zur Wissenschaft des Eigenthümers zu bringen. Eine vorsätzliche Verschweigung ist nicht besser, als ein Diebstahl. Wenn der Besitzer dasjenige, was er besessen, wieder abtritt: so kan er, mit allem Rech te, die nöthigen Kosten wieder forden, welche er auf die Güter selbst, oder auf die öffentliche Be kantmachung seines Besitzes, verwendet hat. III. In den Fällen, wenn jemand gewisse Gü ter besitzt, die andern zugehören, und deren Besitz, er unter scheinbaren Titeln erlangt hat, dergleichen Schenkungen, Vermächtnisse, Erbfolgen, oder Käufe sind, und glaubt, daß sie ihm * eigenthüm lich zustehen, sind folgende Regeln zu bemerken. 1. Wenn die Güter, durch einen Zufall ohne Verschuldung des Besitzers, zu Grunde gerichtet werden: so ist er zu keinem Ersatz verbunden. 59
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 505(Zweytes Buch.) 2. Wenn er sie selbst verbraucht hat: so ist er verbunden, sie in so weit wieder zu erstatten, als er dadurch gewonnen, oder im Verhältnis ge gen den Vortheil und das Vergnügen, welches er durch sie erlangt hat, und wozu er ausserdem seine eigene Güter würde haben anwenden müssen; denn er ist in so weit reicher, als er seine eigene Güter geschont hat. Was aber das genossene Vergnü gen anbetrift: so kan man nicht überhaupt sagen, daß er zur Vergütung gehalten sey, wenn der Be sitzer es blos um deswillen, weil er die Güter für sein Eigenthum gehalten, genossen, und ausserdem zu seinem Vergnügen nicht so viel aufgewendet ha ben würde. Es ist billig diese Vergütung zu lei sten, wenn der Eigenthümer arm und der Besitzer reich ist; oder wenn sie beyde in gleichen Umstän den sind; oder wenn die Vergütung dem Besitzer nicht schwer fällt. Wenn aber die Vergütung ihn unglücklich machen könte, wenn er die Güter für einen gewissen Preis erkauft, den er nicht wieder bekommen kan: so scheint es, daß er, wenigstens in den meisten Fällen, nur eine unvollkommene Verbindlichkeit habe, den Verlust zu theilen, wo ferne es dem Eigenthümer zu empfindlich fallen würde, denselben allein zu tragen. 3. Wenn die Güter noch vorhanden sind: so ist der Besitzer verbunden, sie mit allem, was ihnen zu gewachsen und dazu gehöret, nach Abzug aller dar auf verwendeten nöthigen Kosten, wieder abzutreten. Hat er sie erkauft: so kan er sich, wegen des Kauf gelds, an den Verkäufer halten.
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(Achter Abschnitt.) 506 Von dem abgeleiteten Eigenthume. 4. Ist der Verkäufer nicht ausfindig zu ma chen, oder ausser Stande, zu bezahlen; so ist der Fall schwerer. Hier mus entweder der Eigenthü mer, oder der Besitzer einen gewissen Verlust leiden: beyde sind gleich unschuldig; welcher von ihnen, soll ihn also über sich nehmen? Der Fall ist für beyde gleich vortheilhaft, und kein öffentlicher Vortheil erfordert, daß der eine eher, als der andre, den gan zen Verlust tragen müsse. Wenn der Eigenthü mer davon befreyet werden sollte: so würde dieses die Käufer vorsichtiger und in der Untersuchung der Rechte ihrer Verkäufer sorgfältiger machen, und auf diese Art könten Diebstähle mehr entdeckt wer den; und wenn der Eigenthümer den Verlust tra gen sollte: so würde dieses die Menschen zu grös serer Sorgfalt gewöhnen, Diebstähle zu verhüten, und nicht zu veranlassen, daß ihre Güter unschuldi ge Käufer in Schaden bringen. Dem strengen Rechte nach, sollte man glauben, daß der Verlust unter den Eigenthümer und alle diejenigen, durch deren Hände die Güter, ohne Betrug, gegangen sind, gleich getheilt werden müsste, bis sie von dem Urheber des Betrugs das Ganze wieder erlangen können. Durch eine ungegründete Vorstellung, als ob das Eigenthum, eine physikalische Eigenschaft, oder eine Kette sey, welche die Güter und den Ei genthümer vereinigte, wird unsre Vernunft ver führt, dasselbe für ein heiligeres Recht zu halten, als alle andre Befugnisse seyn können. Und doch kan dasselbe nicht heiliger und unverletzlicher seyn,
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 507(Achter Abschnitt.) als die Rechte, welche aus Contracten und richtig geschlossenen Käufen entstehen können, weil durch Contracte und Käufe das Eigenthum meistentheils erlangt wird; und es ist kein Grund vorhanden, warum ein unschuldiger Mann, wegen des Ver brechens eines andern, daran er keinen Theil hat, leiden sollte. Wenn wir diese Vorstellungen bey Sei te setzen: so wird das Eigenthum, durch das Ge setz der Natur, also bestimmt; in gewissen Um ständen werden wir sogleich gewahr, daß es ein grausames und unmenschliches Verfahren gegen ei ne einzelne Person seyn würde, wenn wir sie des vollen Gebrauchs gewisser Güter berauben wollten; als, wenn sie dieselben, durch ihre eigenen unschul digen Arbeiten oder durch einen richtigen Contract sich erworben hat: und wir sehen auch, daß ein solches Verfahren, wenn es überhand nehmen soll te, der Gesellschaft nachtheilig und schädlich seyn würde. Unter diesen Umständen sagen wir, daß der Mensch das Recht des Eigenthums besitze. Wenn gleiche Umstände einer besondern Billigkeit vor zwo Personen, welche einander entgegen ge sezt sind, streiten: alsdenn betrachten wir einen Umstand auf der einen Seite, dessen Betrachtung ein entfernter Vortheil der Gesellschaft nothwendig macht; und wir halten dafür, daß das Recht mit diesem Umstande verknüpft sey; oder wenn ein Ge setz oder eine Gewohnheit, in Ansehung dieses ent fernten Nutzens, vorhanden ist: so halten wir dafür, daß das Eigenthum auf dieser Seite sey, und wir ziehen das schwächere Befugnis eines andern nicht
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(Zweytes Buch.) 508 Von dem abgeleiteten Eigenthume. in Betrachtung; obgleich ein billiger Mann es nicht ganz und gar aus der Acht lassen wird. Es kommen andre Fälle vor, in welchen die Forderun gen einiger entfernter Vortheile der Gesellschaft eben falls gleich sind, und hier ist kein ander Mittel übrig, als den Verlust unter alle diejenigen, wel che er betrift, nach einem gewissen Verhältnis zu theilen. Es verkauft mir einer in dieser Stunde ein Pferd, um dadurch eine alte Schuld, die ich bey ihm zu fordern habe, abzustossen: und in der näch sten Stunde verkauft und übergiebt er es einem andern, welcher von meinem Handel nichts weis. Wenn der Verkäufer ausfindig gemacht werden kan, und im Stande ist, zu bezahlen: so ist wenig Schwierigkeit vorhanden; aber wenn er es nicht ist: auf wen soll der Verlust fallen? Der Con tract und das bezahlte Kaufgeld, die Gründe der Titel, und die Vorsprache der Billigkeit, sind auf beyden Seiten gleich. Es ist hart, daß einer von diesen beyden unschuldigen Männern leiden soll. Die Gewohnheit und die bürgerlichen Gesetze, wel che, auf den entfernten Vortheil der Sicherheit des Handels, sehen, und Hintergehungen verhindern wollen, machen die Uebergabe zu einem Umstand, der dem leztern sehr zustatten komt. Wäre dieser entfernte Vortheil nicht vorhanden: so würde der Vorzug der Zeit vor den erstern streiten. Man nehme an, daß das Pferd dem erstern auch überge ben worden, und daß dieser es nur, mit des Ver käufers Bewilligung, einige Stunden in desselben Stalle stehen lassen. Wenn die andern Umstände
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 509(Achter Abschnitt.) jezt gleich sind: so ist der Vorzug der Zeit von grosser Wichtigkeit, und mus bey allen Contracten besonders in Erwägung gezogen werden; da der erste Käufer keinen Verdacht eines Betrugs wider sich haben kan, und da die Betrachtung dieses Um stands auch sehr nothwendig ist, Handel und Wan del zu sichern. In unsrer gegenwärtigen Untersu chung über das Recht des Käufers, das bezahlte Kaufgeld von dem Eigenthümer wieder zu fordern, sind, wenn er es von dem Verkäufer nicht wieder erhalten kan, die Fälle, in Absicht auf den Privat nutzen und den öffentlichen Vortheil, auf beyden Seiten einander gleich. Eben dieselbe allgemeine Anmerkung über die ursprünglichen Begriffe des Eigenthums werden bey andern Untersuchungen, besonders bey denjenigen, welche die durch Testa mente und Erbfolgen erlangte Rechte betreffen, von keinem geringen Nutzen seyn. In diesen und ähnlichen Fällen unterrichten die Menschenliebe und das Mitleiden einen redli chen Mann, welches Verhalten billig und anstän dig sey. Wenn der Besitzer arm, und der Eigen thümer reich ist: so würde es grausam seyn, wenn der Eigenthümer den Besitzer, wegen des bezahlten Kaufgelds nicht schadlos halten wollte. Ist der Besitzer reich, und der Eigenthümer arm: so wür de es eine Unbilligkeit von dem Besitzer seyn, auf der Bezahlung des Kaufgelds zu bestehen, wenn es mit seinem Reichthum in keinen solchen Verhält nis steht, daß der Mangel desselben ihn unglück lich machen könte. Sind ihre Vermögensumstän
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(Zweytes Buch.) 510 Von dem abgeleiteten Eigenthume. de einander fast gleich: so müssen sie den Verlust thei len, was auch die bürgerlichen Gesetze verordnen mögen; oder sie müssen ihn, in einem richtigen Ver hältnis gegen ihren Reichthum tragen, wenn ihr Reichthum, ungleich ist, aber keiner in Dürftigkeit lebt. Der Mangel hinlänglicher Gründe, in die sen und andern Fällen den ganzen Verlust nur ei nem Theile aufzulegen, wird nur solchen eigennützi gen Elenden unangenehm seyn, welche auf jeden Vortheil, den sie, ohne sich einer offenbaren Unge rechtigkeit schuldig zu machen, erlangen können, be gierig sind, und keine Menschenliebe besitzen. Ueberhaupt, in so weit solche Besitzer, durch die Güter anderer, sich bereichert und Vortheile verschaft haben, in so weit sind sie zur Wiederer stattung verbunden: sie werden aber blos durch dasjenige reicher, was nach Abzug aller auf die Er haltung oder Verbesserung verwendeten Kosten übrig bleibt; und diese Kosten ist der Eigenthümer zu erstatten verbunden, wenn er seine Güter wieder erhält. Diejenigen Güter, welche durch Schen kungen, Erbfolgen, oder andre dergleichen Titel er langt worden, müssen vollkommen wiedererstattet werden, ohne daß der Eigenthümer etwas anders, als die auf die Erhaltung und Verbesserung ver wendeten Kosten vergüten darf. (Das Recht der Erbfolge in fideicom missarischen Gütern.) IV. Die nächste Classe der dinglichen von dem Eigenthum oft abgesonderten Rechte, ist das Recht, in fideicommissarischen Gütern zu succedi ren. Wenn einer, der ein uneingeschränktes Ei genthum hat, verschiedenen Personen ein Recht hin
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 511(Achter Abschnitt.) terlässt, in einer gewissen Ordnung, und auf ge wisse Fälle, einander zu succediren: so haben diese Personen ein eben so gültiges Recht auf diese Erb folge, als die Menschen durch eine Schenkung er langen; da ein uneingeschränktes Eigenthum das Recht einschliesst, über die eigenthümlichen Güter sowohl unter gewissen Bedingungen, als schlechter dings, Einrichtungen zu machen. Dergleichen Fideicommisse können oft unvorsichtig gemacht und der Billigkeit zuwider seyn; so wie auch die Schen kungen. Wenn sie es sind: so ist der gegenwärti ge Besitzer, welcher, ausser dem Rechte, zu veräus sern, alle andre Rechte des Eigenthums hat, nicht strafbar, wenn er alle Mittel, die mit der Ruhe und Ordnung der Gesellschaft bestehen können, er greift, das Fideicommiß aufzuheben: so wie ein Mensch nicht strafbar seyn würde, der dergleichen Mittel erwählte, unvernünftige oder unbillige Schenkungen zu verhindern, oder sie zu wiederru fen. Wenn aber in dem Fideicommiß weder et was unvernünftiges noch unbilliges liegt: so hat derjenige, welchem es künftig zufällt, eben sowohl ein Recht zu succediren, als der gegenwärtige Be sitzer das Recht des Niesbrauchs auf seine Lebens zeit hat; und es würde ein Verbrechen seyn, ihm dieses Recht zu entziehen. Die Ruhe der Gesell schaft erfordert so gar oft die Bestätigung unver nünftiger und unbilliger Verordnungen, wovon wir hernachmals reden wollen; obgleich die Per son, welche sie angehen, nicht mit gutem Gewissen darauf bestehen kan. Bürgerliche Gesetze können die Freyheit, Fideicommisse zu machen, so sehr ein
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(Zweytes Buch.) 512 Von dem abgeleiteten Eigenthume. schränken, als der Vortheil des Staats oder die Nothwendigkeit, den Fleis zu ermuntern, es er fordert. (Rechte an dem Unter pfande.) V. Die dritte Art dinglicher Rechte, welche sich von den übrigen Theilen des Eigenthums ab sondern lässt, ist das Recht des Unterpfands in un beweglichen Gütern, und dasjenige, welches einer Person an den ihr zur Sicherheit einer Schuld ver pfändeten und übergebenen beweglichen Gütern zustehet. Im Fall der Schuldner nicht gehörig bezahlet, hat der Gläubiger das Recht, sich die ihm verpfändeten Grundstücken, oder die als ein Pfand ihm übergebenen Güter, zuzueignen, ungeachtet ei nem andern ein älteres persönliches Recht wider den Schuldner zustehet. Die Anmassung des Ei genthums an verpfändeten Grundstücken, oder an beweglichen Pfändern, wenn die Zahlung nicht er folgt, ist mit keiner Unbilligkeit verbunden, wenn der verpfändende Schuldner die ganze Uebermasse des Werths der Grundstücken und Güter erhält, welche nach Abzug des Capitals, der Zinsen und Unkosten, übrig bleibt. (Dienstbar keiten.) VI. Die vierte Classe dinglicher Rechte, wel che von den übrigen Theilen des Eigenthums abge sondert werden können, sind die Dienstbarkeiten, wenn eine Person zu einem geringen Gebrauch der Güter eines andern ein Recht hat. Alle Dienst barkeiten sind dingliche Rechte, welche in Ansehung gewisser bestimmter Grundstücken und Güter zuge standen werden. Allein einige werden zum Vor theil einer Person, und blos zu ihrem Gebrauch;
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 513(Achter Abschnitt) andre aber werden zum Besten eines anliegenden Guthes oder Grundstücks, der Eigenthümer dessel ben mag seyn, wer er will, eingeräumet. Die er stern werden in Absicht auf die Person, welcher sie zustehn, und nicht in Absicht auf das Grundstück, in dessen Ansehung sie zugestanden werden, persön liche Dienstbarkeiten genennet, welche mit der Per son aufhören; die leztern werden, aus ähnlichen Ursachen, dingliche Dienstbarkeiten genennet, und können immerwährend seyn. So ist der Gebrauch eines einer Person eigenthümlich zustehenden Hauses oder Landguths, welchen dieselbe einem Freunde, auf seine Lebenszeit, überlässt, eine persönliche Dienstbarkeit, welche dieser auf keine andre Per son bringen kan. Wenn den Besitzern eines Landguths, der Weg durch ein anliegendes Land guth verstattet wird; oder wenn die Besitzer eines Hauses in der Stadt, das Recht haben, im Gipfel des angränzenden Hauses Balken anzubringen, um den Boden oder das Dach zu stützen: so sind die ses dingliche Dienstbarkeiten, welche zum Nutzen der Landgüther oder Häuser zugestanden werden, und immerwährend seyn können. Die Natur der Contracte und Verträge, wodurch dergleichen Dienstbarkeiten eingeräumet werden, bestimmen die Rechte und Verbindlichkeiten der Parteyen, welche auch von den Gewohnheiten des Orts, wo die Dienstbarkeiten eingeführt sind, abhängen. VII. Das vollständige Eigenthum kan entwe(Die Ueber tragung des vollständigen Eigenthums) der durch einen freywilligen Vertrag des Eigen
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(Drittes Buch.) 514 Von dem abgeleiteten Eigenthume. thümers, oder vermöge der Verordnunge des Ge setzes der Natur, ohne seine Einwilligung, zum Besten anderer, übergetragen werden. Durch Ver träge des Eigenthümers kan es entweder in seinem Leben, oder auf seinen Todesfall übergetragen werden. Und durch die Verordnung des Gesetzes der Natur kan das Eigenthum, ohne seine Ein willigung, entweder bey Lebzeiten des Eigen thümers, oder auf den Fall seines Todes, überge tragen werden. 1. Durch einen freywilligen Vertrag des Eigenthümers, bey seinen Lebzeiten, entweder durch Schenkungen, oder um einen gewissen Preis, oder einen gleichgültigen Werth; hiervon handeln wir im folgenden Capitel von den Contracten. 2. Das Eigenthum kan durch eine freywil lige Handlung des Eigenthümers, auf den Fall sei nes Todes, vermittelst eines letzten Willens oder Testaments, übergetragen werden. Dieses Recht, seine Güter durch einen lezten Willen zu vertheilen, ist unter dem Eigenthum natürlicher Weise be griffen, welches ein Recht enthält, unter gewissen Bedingungen, über das Seinige Verordnungen zu machen. Man nehme dieses Recht hinweg: so wird die Liebe zur Arbeit wegfallen, so bald die Menschen sich mit Bedürfnissen, die für sie und ih re Familie, auf Lebenszeit, hinlänglich sind, verse hen haben; oder die Menschen werden genöthigt werden, alles dasjenige, was sie über die wahrschein lichen Bedürfnisse ihrer Lebenszeit erwerben, noch
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 515(Achter Abschnitt.) in ihrem Leben wirklich wegzugeben, welches von gefährlichen Folgen seyn kan. Nicht zu gedenken, daß sie, so bald sie einen Ueberschus erworben hät ten, ihn sofort wieder weggeben müssten, weil die Geschwindigkeit des Todes, oder ein blöder Ver stand bey der Annäherung des Todes, sie unfähig machen würde, Schenkungen zu treffen. Dieses Recht, seine Güter, durch einen lezten Willen zu vertheilen, scheinet also offenbar in dem Gesetz der Natur gegründet zu seyn, obgleich die bürgerlichen Gesetze die Ausübung desselben, nebst allen andern Rechten, welche das Eigenthum betreffen, ein schränken können; als daß die Enterbung oder Uebergehung eines Kindes, nicht geschehen soll, wenn es nichts verschuldet hat; oder, daß eine Person nicht alle ihre Reichthümer einer einzigen Person unter ihrer zahlreichen Nachkommenschaft, aus dem thörichten Verlangen, eine Familie gros zu machen, hinterlassen darf. Die bürgerlichen Gesetze verpflichten auch mit Recht die Menschen zu gewissen Feyerlichkeiten, welche allen Betrug am besten verhindern können. Durch das Gesetz der Natur ist eine jede Erklärung des lezten Wil lens, wovon hinlängliche Gewisheit vorhanden ist, in Ansehung derjenigen, die sie betrift, gültig und verbindlich: allein in der Absicht, alle Menschen zu Anwendung der sichersten Feyerlichkeiten zu ver pflichten, können die bürgerlichen Gesetze, diejeni gen Testamente, bey welchen dieselben nicht beob achtet worden, für ungültig erklären.
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(Zweytes Buch.) 516 Von dem abgeleiteten Eigenthume. Daß in dem Gesetz der Natur und in dem Vortheil der Gefellschaft<Gesellschaft>, dieses Recht, seine Güter durch einen lezten Willen zu vertheilen, gegründet sey, ist eben so klar, als daß andere Rechte des Ei genthümers darinnen gegründet sind. Die natür liche Absicht der Menschen, wenn sie sich mehr, als sie selbst brauchen, erwerben, ist, die Glückseligkeit derjenigen, die sie lieben, zu befördern. Sie ver langen aber, daß diese Glückseligkeit nicht nur Zeit ihres Lebens, sondern auch nach ihrem Tode noch dauern möge. Diese liebreichen Neigungen und die daraus herfliessenden Bemühungen, andere glück lich zu machen, wir mögen mit ihnen leben oder nicht, sind, so lange wir leben, die natürlichsten, angenehmsten und anständigsten Uebungen der menschlichen Seele. Und es ist grausam und un gerecht, einen Menschen in diesen Bemühungen ent weder, so lange er lebt, zu hindern, oder ihm die angenehme Hofnung zu rauben, daß seine überle benden Freunde die Früchte seiner Arbeiten genies sen werden. Es ist grausam, diesen Freunden, die ihnen von ihrem verstorbenen Freunde bestimmten Wohlthaten zu entziehen. Es ist kein anderes und sowohl für die Gesellschaft als für einzelne Perso nen beqvemeres<bequemeres> Mittel vorhanden, die erworbenen Güter auf die Ueberlebenden zu übertragen, als ver mittelst eines Testaments, oder „einer Erkla rungErklä rung des lezten Willens eines Eigenthümers, die wiederruflich ist, und nicht eher, als nach sei
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 517(Achter Abschnitt.) „nem Tode, von einiger Wirkung seyn soll.„ * Die Güter der Verstorbenen wiederum gemein werden zu lassen, und sie einer neuen Besitzneh mung zu unterwerfen, mus viele verderbliche Streitigkeiten veranlassen. Zu allen diesen [Grün=] Gründen kan noch hinzugefügt werden, daß ei ne weislich eingerichtete Willensverordnung über haupt nichts anders ist, als die Beobachtung ei ner moralischen Verbindlichkeit, und die Erfül lung der vollkommenen Rechte, welche die Ueber lebenden auf die Güter des Verstorbenen haben. Alles dieses beweiset sattsam das Recht, Testamen re<Testamente> zu errichten, und die Verbindlichkeit, welche allen obliegt, den Willen des Testirers zu beob achten und aufrecht zu erhalten, wenn er vernünf tig eingerichtet, und den Pflichten der Menschen liebe nicht zuwider ist. Ist er diesen entgegen: so ist es keine Ungerechtigkeit, ihn umzustossen. 60
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(Zweytes Buch.) 518 Von dem abgeleiteten Eigenthume. VIII. Die dritte Art das Eigenthum zu übertragen, geschieht durch das klare Gesetz der Natur ohne Einwilligung des Eigenthümers bey seinen Lebzeiten; so oft dieses nöthig ist, gerechte Ansprüche, die ein andrer an ihm zu machen hat, und die er nicht erfüllen will, zur Erfüllung zu bringen. Dieses wird hernachmals mit den Rech ten, welche von den durch andre uns zugefügten Beleidigungen entstehen, weiter betrachtet werden. So können zur Vergütung eines Schadens, oder zu Bezahlung einer richtigen Schuld, von Perso nen, die dergleichen Ansprüche haben, die Güter eines andern mit Recht hinweggenommen und das Eigenthum daran erlangt werden. Die vierte Art der Uebertragung, geschieht durch das Gesetz der Natur, ohne Zuthun des Ei genthümers, auf den Fall seines Todes, in der Erbfolge ohne Testament. Die Gründe davon sind diese. Der Verstorbene hatte bey allem, was er sich, über seine eigenen Bedürfnisse erwarb, die Absicht, die Glückseligkeit derjenigen, die ihm lieb waren, zu befördern, wie dieses allen sattsam be kant seyn mus. Wir sehen, daß einem Menschen seine Abkömlinge, oder, wenn diese fehlen, seine na hen Anverwandten lieber sind, als andre, ob es gleich seyn kan, daß er mit andern mehr Geschäfte ausge richtet und mehr Vergnügen genossen hat. Wenn die Menschen ihren letzten Willen erklären: so se hen wir die allgemeine Neigung die Glücksumstän de ihrer Abkömlinge und nahen Anverwandten zu
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 519(Achter Abschnitt.) verbessern, und wir muthmassen mit Recht, eben dieselbe Neigung, wenn sie nicht ausdrücklich er klärt worden. Es ist grausam, ohne daß es ein öffentlicher Vortheil erfordert, diese natürliche Hofnung der Erbfolge, die sich auf die Bande des Bluts gründet, zu vernichten. Unsre Kinder, und, wenn diese fehlen, unsre Anverwandten ha ben ein offenbares Recht, nicht nur in ihren dürfti gen Umständen von uns Unterhalt zu erwarten, sondern auch ihren Zustand durch die überflüssigen Güter, die wir nicht zu unsern eigenen Bedürfnissen nöthig haben, zu verbessern. Es ist der Natur und der Menschenliebe zuwider, dieses Recht zu vernichten, wenn es keinöffentlicher Vortheil nothwendig macht. Es ist auch klar daß es eine grosse Verwirrung ver anlassen würde, wenn die Güter der ohne Testament Verstorbenen, wiederum gemein und der Besitz nehmung von neuem unterworfen werden sollten. Wenn Freunde, mit den Anverwandten zu gleich, zugelassen werden sollen: so mus dieses in einem richtigen Verhältnis gegen die Grade der Freundschaft geschehen; allein dieses kan itzt nicht bestimmt werden; und noch weniger könnte es be stimmt werden, wenn alle Schmeichler die Hof nung zu erben hätten. Wir vermuthen in Anse hung des Willens des Verstorbenen mit Recht, daß, weil die Gewohnheit, fast unter allen Völ kern, eingeführt ist, blos die Anverwandten zur Erbfolge zuzulassen, der Verstorbene seine Absicht ausdrücklich erklärt haben würde, wenn er gewollt
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(Zweytes Buch.) 520 Von dem abgeleiteten Eigenthume. hätte, daß auch andre, wider die Gewohnheit, nebst den Anverwandten zugelassen werden sollten. Die natürlichen Neigungen der Menschen beweisen, daß ihre Abkömlinge zuerst zugelassen werden müssen, nämlich Kinder und Enkel. Die Enkel können nur zu dem Antheil ihres Vaters oder ihrer Mutter zugelassen werden, wenn ein verstorbenes Kind mehr als eines hin terlassen hat; und mit den Abkömlingen sollten zugleich die Aeltern zugelassen werden, wenn sie in dürftigen Umständen sind. Wenn diese fehlen: so folgen Brüder und Schwestern, und mit ihnen die Kinder eines Bruders oder einer Schwester, wenigstens zu dem Antheil, der ihr Vater oder ihre Mutter bekommen haben würde, wenn sie noch lebten. Zuweilen könte die Menschenliebe andre Verhältnisse empfehlen, allein dieses würde nur grosse Streitigkeiten erwegen. Wenn sol che nahe Anverwandten fehlen; so bekommen alle Verwandten in gleichen Graden, die Erbschaft zu gleichen Theilen, und schliessen die entferntern aus. Der römische Erbe, welcher die verstorbene Person vorstellen, in alle ihre Rechte treten, und alle ihre Verbindlichkeiten auf sich haben soll, ist in der Natur nicht gegründet; es ist auch kein Grund vorhanden, warum ein grösserer Theil der Erb schaft auf eines von mehrern Kindern, oder auf ei nen von mehrern Anverwandten in gleichem Gra
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Von dem abgeleiteten Eigenthume. 521(Achter Abschnitt.) de, fallen sollte; oder, warum unter Kindern, oder Anverwandten in gleichem Grade, die ältern den Vorzug haben sollen; oder, warum der Unterschied des Geschlechts in dem ersten Grade der Kinder, allen andern Betrachtungen vorgezogen; in dem Grade der Enkel aber ganz ausser Acht gelassen, oder dem Unterschied des Alters der Aeltern nachge setzt werden solle, so, daß eine unerwachsene Enke lin eines ältern verstorbenen Sohnes den Vorzug vor einen erwachsenen Enkel eines jüngern Sohnes, ja gar vor dem jüngern Sohne selbst, haben müsse. Die Tochter eines ältern verstorbenen Bruders, und auch ihre Tochter, haben sogar vor einem jün gern Bruder selbst, und den männlichen Abkömlin gen des jüngern Bruders den Vorzug. Alle diese Dinge sind nur in den bürgerlichen Gesetzen gegrün det. Bey der Erbfolge in Privatgütern ist selten ein Grad vorhanden, einen Erben eher, als den an dern, der mit dem Verstorbenen in gleichem Grade verwandt ist, zuzulassen. Die Gewohnheiten mancher Völker, und ihre bürgerlichen Gesetze, in Ansehung der Erbfolge, sind sehr ungereimt, und haben in der Gesellschaft schädliche Folgen. IX. Persönliche Rechte werden wider einen(Wie persön liche Rechte erlangt wer den.) Menschen erlangt, wenn er einen Theil seiner na türlichen Freyheit, oder seiner Gewalt, seine Hand lungen, nach seinem Gefallen einzurichten, und sei ne Güter zu gebrauchen und anzuwenden, einge schränkt, oder auf einen andern übergetragen hat; welcher hieraus ein persönliches Recht erlangt.
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(Zweytes Buch.) 522 Von dem abgeleiteten Eigenthume. Und wenn dieses Recht oder Befugnis eines andern erfüllt oder aufgehoben wird: so wird die natürli che Freyheit der verpflichteten Person, in dieser Be trachtung, wiederum vollständig, oder das persönli che Recht ist mit ihr wiederum so vereinbart wor den, als es war, ehe dieses Recht von dem andern erlangt wurde. Solche Rechte entstehen entwe der aus einem Contracte, oder aus einer Handlung der verpflichteten Person, und die Betrachtung der selben führt uns auf die Materie von den Con tracten das vornehmste Mittel sind, persönliche und dingliche Rechte zu erlangen.
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1 * Es scheinen einige die Leh re unsers Verfassers so unrecht verstanden zu haben, daß sie sich einbilden, er erfordere zur Tu gend nichts weiter, als die Em pfindung oder innere Wahrneh mung der sittlichen Schönheit und Häslichkeit in Neigungen und Handlungen, welche auch selbst die lasterhaftesten Men schen noch in einem ansehnlichen Grade behalten können. Er hat vielmehr allemal behauptet,die Tugend bestehe in der Aus übung der Neigungen, und der daher fliessenden Handlungen, welche der moralische Sinn em pfiehlt und gebietet. Oder, um dieses auf eine andere Art aus zudrücken, die Tugend liegt nicht in der blossen Empfindung eines Wohlgefallens an ge wissen Reigungen<Neigungen> und Hand lungen, sondern darinnen, daß man dieser Empfindung gemäs handelt.
2 **Hutcheson ist hierinnen von einigen so übel verstanden worden, daß sie glauben; wenn er sagt, wir stünden, vermöge des moralischen Sinnes, in ei ner wirklichen innern Verbind lichkeit, tugendhaft zu handeln: so wolle er dadurch behaupten, daß alle andre Verbindlichkei ten, in Absicht auf den Willen Gottes, und auf die Wirkungen seiner Gnade oder seines Mis fallens in dieser oder in einer an dern Welt, überflüssig wären. Es kan aber von seiner Mei nung nichts so sehr entfernt seyn; und es fließt auch nicht aus seinen Grundsätzen. Er war zu sehr überzeugt, daß es eine wichtige und nothwendige Sache sey, dem menschlichen Geschlecht die Ausübung der Tugend, auf alle nur mögliche Art, einzuschärfen, und nichtsschien ihm hierzu so geschickt zu seyn, als die ehrfurchtsvolle Vorstellung künftiger Beloh nungen und Strafen. Wenn jemand sagte, es sey der mensch lichen Seele ein natürliches Ge fühl des Rechts eingepflanzt, das selbst bey denjenigen, wel che von Gott und einem künf tigen Leben nichts wissen, auf gewisse Art wirkt: so würde es unbillig seyn, hieraus zu fol gern, daß man dadurch be haupten wolle, dieses natürli che Gefühl des Rechts allein sey bey dem menschlichen Ge schlechte zu der gleichförmigen Ausübung der Gerechtigkeit hinlänglich, ungeachtet sich noch unzähliche starke Versuchun gen fänden, davon abzuweichen. Die Anwendung ist so deutlich, daß es unnöthig wäre, sich län ger dabey aufzuhalten.
3 * Nach dem System unsers Verfassers ist blos, zu Rettung der göttlichen Weisheit und Gütigkeit, die sich in der Be schaffenheit unsrer Natur äus sert, das Daseyn und die ver bindende Gewalt des morali schen Gefühls zu behaupten. Denn in was für andern Ver bindlichkeiten wir auch seyn mö gen, so wird diese innerliche mit ihnen zugleich wirken, wenn das Gemüth sie gewahr wird; und sie wird, ohne die selben, ihre Gewalt ausüben, wenn wir, durch allerhand Ursa chen gehindert werden, darauf Acht zu haben. Ist das Ge setz GOttes, wenn es gehörig bekant worden, die höchste Ver bindlichkeit aller vernünftiger Wesen: so wird in Betrach tung dieser Verbindlichkeit, das innerliche Gesetz mit dem äusserlichen zugleich wirken, wenn wir auf sein Ansehen auf merksam sind: und wennwir<wenn wir> die ses nicht sind, so wird es wenig stens, ohne dasselbe, in einem ge wissen Grade, eine Richtschnur der Handlungen seyn. Ueber dieses ist anzumerken, daß, wenn man die Verbindlichkeit des morali schen Gefühls, als etwas wirk liches zulassen will, auch die grössten Zweifler die Gewalt des selben noch erkennen müssen, wenn sie sich auch von allen an dern Verbindlichkeiten befreyet hätten. Lasst uns eine Person annehmen, die so unglücklich ist zu glauben, daß kein Gott sey, oder daß keine künftige Beloh nungen und Bestrafungen er wartet werden dürfen, oder daß ein tugendhafter Wandel keine Vortheile in diesem Leben ver schaffe: diese Person wird im mer unter der Gewalt des in nerlichen Gefühls von Recht und Unrecht bleiben. Wenn er diesem zuwider handelt: so beleidigt er eine bekante Verbind lichkeit, und er mus sich bewust seyn, daß er Strafe verdient, und daß er sie zu erwarten hat, wenn ein Richter und Bestrafer ist. Wenn wir annehmen, daß das Gefühl von Recht und Un recht gänzlich ausgerottet sey, alsdenn mus, nach dem Sy stem unsers Verfassers sowohl, als aller andern, derselbe alle mal wegen der Bemühung Re chenschaft geben, die er ange wendet hat, sich in diesen Stand einer gänzlichen Unempfindlich keit gegen alle moralische Be trachtungen zu bringen.
4 * Man sehe die tuscula nischen Fragen des Cicero im dritten und vierten Bu che nach. Virgil sagt: Hinc metuunt, cupiuntque, dolent gaudentque------ Von den Stoikern, den ge schwornen Feinden der Lei denschaften, wurde selbstder Gottheit die β^%/{ου}λησις und %)ευλάβεια und χαρὰ, im vollkommensten Grade beygelegt. Aber alle diese waren von einer höhern Gattung, als die unruhigen Leidenschaften. Von dieser Eintheilung wird hernach weiter gehandelt.
5 * Dieses hat Plato im neunten Buche von der Re publik und Aristoteles inder Sittenlehre sehr wohl beschrieben.
6 *Aristoteles nennt im vierten Abschnitt seiner Poetik den Menschen ζ%;ωον μι- μητικώτατον.
7 * Im dritten Buche von der Republik.
8 **Plutarch im Leben des Lykurgs.
9 *** Man sehe die Unter suchung im dritten Ab schnitt des ersten Buchs.
10 * Wenn man dieselben alle zu Empfindungen der äusserlichen Sinne machen und läugnen wollte, daß es eine von denselben unter schiedene Empfindungskraft gebe: so würde man ebensowohl behaupten müssen, daß das Vergnügen der Geometrie oder Perspectiv, sinnlich wären, weil wir durch die Sinne den Be grif von Figur empfan gen.
11 * Man sehe den Zu schauer im 412 Stück, unddie Untersuchung über die Schönheit.
12 * Man sehe den zwey ten Abschnitt, der Untersuchung über die Tu gend.
13 * Dente lupus, cornu taurus petit: unde, nisi intus Monstratum, -- Hor. L. H. Sat. I.
14 * im fünften Abschnitt des ersten Buchs der Sittenlehre.
15 * Wir verstehen durch die Selbstliebe blos das Verlangen nach unserer eigenen Glückseligkeit. Weil das Wort Liebe oft für Hochachtung ge braucht wird, so haben sich einige eine allgemeine Selbsthochachtung vor gestellt, oder ein Bestreben, den moralischen Cha racter und die Vollkom menheiten andrer, unsern eigenen nachzusetzen; wel ches der deständigenbeständigenErfah rung derjenigen, die beschei den und gegen sich selbst mistrauisch sind, gerade widerspricht.
16 * Das Verhältnis, ge gen unsre eigene höchste und edelste Vergnügungen, wel ches uns die besten Schrift steller des Alterthums, und Lord Schaftesbury angegeben haben, bestehet darin nen, „daß wir aus einem Bewustseyn der innern Freude und Würde der Tu gend, welche alle andre Vergnügungen übertrift, „den Entschlus fassen, uns allen edlen und grosmüthi gen Bewegungen unsrer Herzen zu überlassen, und die niedrigen Vortheile dieses Lebens zu verach ten.“ Sie bilden sich aber dabey keineswegs ein, daß wir, auf den Befehl unsers Willens, neue Neigungen in uns hervorbringen könten, welche uns die Natur nicht eingepflanzt und mit ihren eigentlichen Ursachen ver knüpft hat. Sie glauben auch nicht, daß alle grosmü thige Neigungen aus einer Betrachtung eines eigenen Vortheils herrühre. Die sem Begrif widersetzen sie sich mit dem grössten Eifer und den stärksten Gründen.
17 * Eine umständliche Un tersuchung dieser Beschaf fenheiten würde uns von unserm gegenwärtigen Vor haben zu weit entfernen.Wir müssen uns dahero auf die Erklärungen des moralischen Gefühls be ziehen.
18 * Man sehe die Untersu chung über die Schönheit.
19 ** Appetitus qui longius euagantur -- a quibus non modo animi perturbantur verum etiam corpora. Lioet ora ipsa cernere iratorum, aut eorum, qui libidine ali- qua, aut metu commoti sunt, aut voluptate nimia gestiunt. Cic. de Offic. L. I. c. XXIX.
20 * Virg. Aeneid. IX. v. 20.
21 * Man sehe oben den zehnten § des vierten Abschnitts.
22 * Quum scelus admittunt, superest constantia. Quid fas Atque nefas, tandem incipiunt sentire, peractis Criminibus. Juu. Sat. 13.
23 * Humiliorum appetitu- um moderator pudor, ist der Ausdruck des Cicero. Das Wort wird wirklich oft in einem weitläuftigern Verstande für unser morali sches Gefühl genommen; und α%)ιδὼς wird von den Griechen in eben diesem Um fange gebraucht.
24 * Man vergleiche die Einwürfe des Lucrez wider den Bau der Erde, welche er in folgender Stelle vorträgt, mit unsern gegen wärtigen Entdeckungen in der natürlichen Historie: Quodsi iam rerum ignorem primordia quae sint, Hoc tamen ex ipsis coeli rationibus ausim Confirmare, aliisque ex rebus reddere multis, Nequaquam nobis diuinitus esse paratam Naturam rerum: tantum stat praedita culpa. Principio, quantum coeli tegit impetus ingens Inde auidam partem montes, siluaeque ferarum Possedere, tenent rupes, vastaeque paludes, Et mare, quod late terrarum distinet oras. Inde duas porro prope partes feruidus ardor Assiduusque geli casus mortalibus aufert, Quod superest arui, tamen id natura sua vi Sentibus obducat, ni vis bumana resistat, Vit caussa valido consueta bidenti Ingemere, {et} terram pressis proscindere aratris. Si non foecundas vertentes vomere glebas, Terra%:ique solum subigentes cimus ad ortus: Sponte sua nequeant liquidas existere in auras: Et tamen interdum magno quaesita labore, Cum iam per terras frondent, atque omnia slorent, Aut nimiis torret feruoribus aetberius sol, Aut subiti perimunt imbres, gelidaeque pruinae; Flabraque ventorum violento turbine vexant. Praeterea genus borriferum natura ferarum, Humanae genti infaustum, terraque marique Cur alit, atque auget? cur anni tempora morbos Important? quare mors immatura vagatur? Tum porro puer, vt saeuis projectus ab vndis Nauita, nudus bumi iacet, infans, indigus omni Vitali auxilio: cum primum in luminis oras Nixibus ex aluo matris natura profudit: Vagituque locum lugubri complet, vt aequum est Cui tantum in vita restet transire malorum. At variae crescunt pecudes, armenta, feraeque: Nec crepitacula eis opu' suntnec cuiquam adbibenda est Almae nutrieis blanda atque infracta loquela: Nec varias quaerunt vestes pro tempore coeli. Denique non armis opus est, non moenibus altis Queis sua tutentur, quando omnibus omnia large Tellus ipsa parit, naturaque daedala rerum. L. V. v. 195 - 236. Virgil vertheidigt die Vorsehung, wegen des müh seligen Zustandes der Menschen, in dieser schönen Stelle: -- -- -- pater ipse colendi Haud facilem esse viam voluit, primusque per artem Movit agros, curis acuens mortalia corda, Nec torpere graui passus sua regna veterno. Ante Jouem nulli subigebant arua coloni: Nec signare quidem aut partiri limine campum Fas erat. in medium quaerebant: ipsaque tellus Omnia liberius, nullo poscente, ferebat. Ille malum virus serpentibus addidit atris Praedarique lupos iussit, pontumque moueri: Mellaque decussit foliis, ignemque removit Et passim riuis currentia vina repressit: Vt varias vsus meditando extunderet artes Paullatim, {et} sulcis frumenti quaereret berbam; Vt silicis venis abstrusum excuderet ignem: Tunc alnos primum sluuii sensere cauatas: Nauita tum stellis numeros et nomina fecit Pleiadas Hyadas, claramque Lycaonis Arcton Tum laqueis captare feras, et fallere visco, Inventum, et magnos canibns circumdare saltus. Atque alius latum funda jam verberat amnem, Alta petens: pelagoque alius trabit bumida lina. Tum ferri rigor, atque argutae lamina serrae: ( Nam primi cuneis scindebant fissile lignum) Tum variae venere artes. labor omnia vincit Improbus, et duris urguens in rebus egestas.L. I. Georg. 121 - 146.
25 * Man könte diese ge meine Betrachtung für hin länglich klar und gewis hal ten; allein Θερσίτης δ' %)ετὶ μ%;{ου}νος %)αμετροε{;;}πὴς %)εκο- λῴα. Bayle sagt uns in seiner Reponse à un Pro- vincial, ch. 77. „daß wir eine ordentliche Empfin dung des Vergnügens ha ben würden, wenn alles gut wäre: und daß uns eine fühlbare Verminde rung dieses Vergnügens unsre Gefahren sattsam angekündiget haben wür de.“ Wir finden aber, daßnoch stärkere Ankündigun gen der heftigsten Schmer zen, nicht allemal von Schwelgerey und Unmäs sigkeit abhalten, und auch selbst Leute von einem ge wissen Alter nicht vorsich tig genug machen. Was wird also unvorsichtige und junge Leute abschrecken? Diese Verminderung, wo von er redet, könte wirk lich hinlänglich seyn, wenn die Menschen so albern wa ren, und auf weiter nichts, als auf die von ihm voraus gesezte Empfindung merkten.
26 * Wir wollen dieses noch deutlicher machen. Wenn keine bestimmten Gesetze vorhanden wären: so wür de niemand versuchen, sich zu bewegen. Die Bewe gung würde nicht auf sei nen Willen folgen, oder sie würde wenigstens seiner Absicht nicht gemäs seyn;oder sie würde eben so oft mislingen, als von statten gehen. Wir könten von keinem Versprechen ande rer abhängen, und keinen Fortgang unsrer Arbeiten hoffen. Die Speise wür de oft aufhören, uns Un terhalt zu geben, und der Mangel derselben würde uns weder Schmerz ver ursachen, noch den Tod be fördern. Die Körper wür den in ihrem Stande der Ruhe oder Bewegung nicht verharren, und ihre Theile würden nicht zusammen hängen. Niemand würde bauen, pflanzen, säen, oder uns mit Kleidung versehen. Wenn auch die Welt blie be: so würden wir doch keine Ordnung in ihr wahr nehmen. Gift würde uns Nahrung geben, und Wun den würden uns zuweilen Vergnügen machen.
27 *Aristoteles im ersten Buche von der Seele, und Clarke haben diesen Beweis aus unserm Bewustseyn, daß bey der grossen Menge von Empfindungen, Urthei len, Neigungen, Begierden,das empfindende und han delnde Wesen eins ist, mit vielem Nachdruck angefuh ret, Man sehe auch Bax ters scharfsinniges Buch über diese Materie.
28 * Dieses ist die Be schrelbung des Aristoteles:Ενέργεια κα%)τ %)αρετην %)αριϛήν %)εν βίῳ τελείῳ.
29 * Dieses erklärt die gemeine Regel: impossibilium et ne- cessariorum nulla est imputatio.
30 ** Involuntaria in se, et in sua causa.
31 *** Involuntaria in se, sed non in sua cansa.
32 *Röm.XIV, 21. Es ist viel besser, du essest kein Fleisch, und trinkest keinenWein, oder das, daran sich dein Bruder stösset, oder ärgert, oder schwach wird.
33 **Matth.X, 34. 35.
34 * Involuntaria in se, sed non in sua causa, oder: In- voluntaria et in se et in sua causa.
35 * Ignorantia iuris, ignorantia facti.
36 * Man sehe den Aristo teles in seiner Sittenleh re, im vierten Abschnitt des dritten Buchs; im lezten Abschnitt des zweyten Buchs; im eilften Abschnitt des sechsten Buchs; ingleichen im zehnten Ab schnitt des zweyten Buchs %)ηθικ%;ων μεγάλων. Da her komt das arbitrium viri probi der Rechtsge lehrten.
37 * Man sehe den Aristo teles im lezten Abschnitte des dritten Buchs seiner Sit tenlehre; und den Antonin im zehnten Abschnitt des zweyten Buchs seiner Be trachtungen über sich selbst. Wir wollen den Lesern diese letztere Stelle, nach Hof mannsdeutscher Ueber setzung, mittheilen: Wenn Theophrast eine Verglei chung zwischen den Sünden anstellt, giebt er den Aus schlag als ein weiser Mann, indem er sagt: daß die Sün den, die aus der Lust entste hen, grösser sind, als die, so aus dem Zorn herkom men. Denn der Zornige scheint, seiner Vernunft, wi der Willen, und mit einem heimlichen Verdrus, entgegen zu handeln; da hinge gen der, so den Lüsten nach hängt, und von der Wollust sich überwinden lässt, weit unmässiger und weibischer in seinen Fehlern wird. Da hero gesteht er mit Recht, und der Weisheit zu Ehren, daß eine Sünde, mit Lust be gangen, grösser und straf barer sey, als die, so mit Schmerzen oder Traurig keit vergesellschaftet ist. Ge wis, ein Zorniger giebt zu verstehen, daß er beleidiget worden, und daß der erlit tene Schmerz ihm die Ge müthsbewegung abzwingt. Hingegen neigt sich der Wol lüstige, von freyen Stücken, zur Ungerechtigkeit, um seine Begierden zu vergnügen.
38 * Es ist also eine gute Regel, vollkommen zu wer den: alles dasjenige zuvermeiden, was den Schein des Bösen hat.
39 *Matth. 5, 20. Luc. 6, 32 - - 35. So ihr liebet, die euch lieben, was Danks habt ihr davon? Denn die Sünder lieben auch ihre Liebhaber. Und wenn ihr euern Wohlthätern wohl thut, was Danks habt ihr davon? Denn die Sünder thun dasselbige auch. Und wenn ihr leihet, von denen ihr hoffet zu nehmen, wasDanks habt ihr davon? Denn die Sünder leihen auch, auf daß sie gleiches wieder nehmen. Doch aber liebet eure Feinde, thut wohl und leihet, daß ihr nichts dafür hoffet, so wird euer Lohn gros seyn, und werdet Kinder des Al lerhöchsten seyn, denn er ist gütig über die Undankba reu und Boshaftigen.
40 * Dieses ist das rectum, welches vom jure unterschieden ist. Das jus folgt auf das rectum.
41 * Conscientia antecedens.
42 ** Conscientia subsequens.
43 * Dieses sagt eben das, was die gewöhnliche Be schreibung sagt: Facultas lege concessa, ad aliquid agendum, babendum, aut ab altero consequendum ; weil der Endzweck des Gesetzes der Natur das allgemeine Beste ist.
44 * Dieses scheint die Meinung des Grotius in seinem Werke de Jure Belli ac Pacis l. 1. c. 2. §. 1. zu seyn, wo er den Begrif des Rechts sowohl von den initiis naturae, oder den natürlichen Trieben, τοις πρώτοις κατὰ φύσιν, als von der conue- nientia cum natura ratio- nali {et} sociali, ableitet. Aus den erstern allein entspringt kein Recht, wenn nicht dabey auch die andere in Erwägung ge zogen wird. Grotius be dient sich der Redensarten der Stoiker, ob gleich nicht gerade in eben dem Ver stande, welchen sie damit verknüpften.
45 * In einem vortrefli chen Buche, in Bischof ButlersAnalogie, ist ein Fehler begangen worden. „Eine verdiente Strafe mus einen andern Begrif haben, als daß die damit verknüpften Leiden auf das allgemeine Beste ge richtet sind; weil auch die Leiden unschuldiger Perso nen zuweilen auf das all“gemeine Beste abzielen können, und, in solchen Fällen ist es gerecht, sie diesen Leiden zu unterwer fen; dem ungeachtet aber sind sie nicht verdient.“ Jedermann giebt zu, daß verdient einen andern Be grif in sich fässt, als die Richtung auf das all gemeine Beste, nämlich, den Begrif eines vorher gegangenen moralischen Bösen. Ist aber etwas moralisch Böses vorherge gangen: was kan alsdenn die Strafe sonst rechtfer tigen, als der Beweis, daß die Strafe zum allgemei nen Besten gereicht? Eine Richtung auf das allge meine Beste, bey einer Be strafung, welche auf ein Verbrechen erfolgt, recht fertigt die Strafe. Eine ganz andre Richtung auf das allgemeine Beste, recht fertigt die Leiden, welchen unschuldige Personen un terworfen werden. Diese beweisen mehr, daß kein an deres höchstes Maas der Gerechtigkeit vorhanden ist, als die Beförderung des allgemeinen Besten; ob gleich der Zorn uns bewe gen kan, auch ohne diese Absicht zu strafen.
46 * Dieses ist vielleicht die nützlichste Erklärung, die sich von der Eintheilung des Rechts der Natur in prima- rium und secundarium ge ben lässt; welche man bey den Rechtsgelehrten an trift. Das erste ist unver änderlich, das andre aberkan, der Klugheit gesitteter Völker gemäs, geändert werden. Es ist albern, das eine an sich selbst gewis zu nennen, und das andre nicht. Ein richtiger Schlus satz mus eben so gewis seyn, als seine Vördersätze. Grot, l. c. 1. 2.
47 * Dieses sind die funda menta potestatis sive impe- rii. Die Gewalt ist die conditio sine qua non.
48 * Sanction.
49 * Diese Materie hat Cicero im zweyten Buche de officiis sehr schön abgehandelt.
50 * Dieses kömt mit der actione de damno infecto überein, welche keine Verminderung des Rechts des Eigenthums ist.
51 * Officia innoxiae utilitatis.
52 * Man sehe den Cicero im vierzehnten, funfzehn ten, sechszehnten, siebenzehnten und achtzehnten Abschnitt des ersten Buchs de officiis.
53 * Diese Sache ist unter den nördlichen Völkern so wenig streitig, daß diese Betrachtungen unnöthig zu seyn scheinen können. Allein es ist auch bekant, daß vie le grosse Secten und Na tionen, bis auf diesen Tag, den Menschen dieses Recht streitig machen. Und eini ge grosse Männer unteruns haben behauptet, daß, ohne eine Offenbarung, oder eine ausdrückliche Er laubnis Gottes, wir dieses Recht nicht haben würden. Wenn ihre Gründe triftig wären: so würden sie un glaublich machen, daß wir eine Erlaubnis dazu, durch die Offenbarung, hätten er langen können.
54 * Durch die Besitzneh mung wird zuweilen die erste Entdeckung durch die Augen, zuweilen die Berüh rung mit der Hand, zuwei len die Anmassung vermit telst eines Werkzeugs, sol cher Güter, die vorhero gemein waren, verstanden. Es ist allemal unmoralisch, ein unschuldiges Vorhaben eines andern zu vernich ten, wenn wir uns auf andre Art erhalten können. Wenn verschiedene Perso nen, ohne Absicht einander in ihren Unternehmungen zu hindern, einerley Sache auf einmal in Besitz neh men, die eine durch die er ste Entdeckung, die andre durch Berührung mit der Hand, die dritte auf eine andre Art: so müssen sie für gemeinschaftliche Ei genthümer angesehn wer den. Wenn die Absicht der einen Person vorher be kant war: so ist es unmo ralisch und ungerecht, wenn eine andre, ohne Noth, den Vortheil derselben hindert.
55 * Nullius sunt res sa- orae<sacrae>, religiosae et sanctae. Quod enim diuini iuris est, id nullius in bonis est.§. 7. Inst. de rerum diuisione, et adquirendo ipsarum do- minio.
56 * Man sehe Fälle von dieser Art beym Cicero im drey und zwanzigsten Abschnitt des zweytenBuchs de officiis und das Urtheil des Aratus über dieselben.
57 * Dieser Abschnitt kan, auf eine sehr natürliche Art die meisten Zweifel der Rechtsgelehrten in Ansehung desjenigen, was un sern Gütern znwächset, heben.
58 * Im sechsten und siebenten Abschnitt.
59 * Dieses ist der bonae fidei possessor der Rechts gelehrten, welcher aber keinesweges alle andre Be sitzer zu Betrügern macht.
60 * Ein unzeitiger Ge brauch der Metaphysik hat in dieser Sache grosse Streitigkeiten. erregt Man will, die Gültigkeit eines lezten Willens schliesse eine physikalische Handlung ein, welche die handelnde Per son verrichtete, wenn sie schon tod wäre. Es sind auch, von der Natur an drer Verträge, unerhebli che Einwürfe hergenom men worden. Die ganze Sache komt darauf an:ob es nicht zu dem un schuldigen Vergnügen der Menschen nothwendig ist, daß ihre lezte Willen nach ihrem Tode beobachtet wer den; und ob dieses nicht der Vortheil der Gesell schaft erfordert? Dieses ist unläugbar. Man sehe BarbeyracsAnmerkun gen über Pufend.de iure nat. et gent. lib. IV. c. 10. und die daselbst angeführ ten Schriftsteller.

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