Des Herrn von Voltaire Kleinere Historische Schriften.
Aus dem Französischen übersetzt.
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Rostock, verlegts Johann Christian Koppe.1752.
Vorrede des Uebersetzers.
Der Herr von Voltaire hat sich der Welt als einen allgemei nen Geist zeigen wollen. Nicht zufrieden, die ersten Lorbeern auf dem fran zösischen Parnasse mit erlanget zu haben, ist er die Bahn eines Newtons gelaufen, so stark, versteht sich, als ein Dichter von sei nem Fluge sie laufen kann; und durch die tiefsinnige Weltweisheit ermüdet, hat er sich durch die Geschichte mehr zu erholen, als zu beschäfftigen geschienen. Man kennt sein Leben Carls des XIIten. Einige haben es für einen schönen Roman an
gesehen, welcher dem Curtius den Rang strei tig mache. Alle Uebertreibung bey Seite, lasset uns gestehen, daß der Grund überall darinne wahr ist, nur daß der Herr von Vol taire überall die theatralische Verschönerung angebracht hat, die er nur zu wohl versteht, um die Zuschauer für einen Helden auf der Bühne einzunehmen. Seine übrigen historischen Aufsätze sind un ter uns weniger bekannt worden, und hätten es vielleicht mehr verdienet. Wir hoffen, daß es nicht unangenehm seyn wird, sie hier in einer Uebersetzung beysammen zu finden. Er hat überall gesuchet, sich von dem ge meinen Haufen der Geschichtschreiber zu ent fernen. Trockne Tagebücher, welche Klei nigkeiten und wichtige Vorfälle aufzeichnen, die das Gedächtniß füllen wollen, ohne den Geist zu erleuchten, und das Herz zu ord nen, die menschlichen Handlungen beschreiben, ohne die Menschen können zu lehren, sind nie mals nach seinem Geschmacke gewesen. Man
sehe seine Betrachtungen über die Geschichte davon nach, die in dieser Sammlung den er sten Platz einnehmen. Der Versuch über das Jahrhundert Lude wigs des XIVten ist ein Plan, der Bewunde rung verdiente, wenn er auch unausgeführet bliebe. Wann wir nun dem Leser sagten, daß er es nicht geblieben ist? Noch ist zwar dieses wichtige Werk nicht öffentlich erschie nen, es ist aber, wie wir gewiß wissen, fertig, und eine Frucht der ruhmvollen Ruhe, in welche der Verfasser nur durch einen Friedrich versetzet werden konnte. Er hat fast immer in der großen Welt ge lebet, und daher kommen ihm die unzähligen Anekdoten, die er überall einstreuet. Er scheint viele davon unter gewisse Titel gebracht zu haben, zum Exempel, der gedruckten Lü gen, der Thorheiten auf beyden Theilen; daß man also mit Recht diese und dergleichen Auf sätze zu den historischen hat ziehen müssen. Man hat keine Ordnung unter denselben beobachtet. Es wäre leicht gewesen, sie zu beobachten. Allein man muß nicht alles thun, was leicht ist, saget der Herr von Voltaire. Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologi sche Ordnung nichts beygetragen haben, da er die Epochen solcher wichtigen Gegenstände,
wie sie der Herr von Voltaire meistens ge wählet, ohnedem wissen wird; zum Ver gnügen auch nichts, denn das Vergnügen wächst durch das Regellose. An verschiedenen Orten hätte der Ueberse tzer Anmerkungen machen können; und wer weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie nicht gemacht zu haben? Er würde es wenig stens manchem geschwornen Anmerkungs schmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem Exempel folgete. Man wird einige Aufsätze hier antreffen, welche in der neuesten Ausgabe der Werke unsers Verfassers sich nicht befinden. Diese hat man hier und da zusammen gesucht. Der Herr von Voltaire besitzt nicht allein die Kunst, schön zu schreiben, sondern auch, wie Pope saget, The last and greatest Art, the Art to blot. Er ist unermüdet in Ausbesserung seiner Werke. Wir haben das Glück gehabt, eines der mit der Feder verbesserten Exemplare sei ner Werke zu Rathe ziehen zu können, und wir können versichern, daß nichts wichtiges in diesen historischen Aufsätzen dazu gekommen, oder darinne verändert worden ist, welches wir sollten übergangen haben. Man empfiehlt sich und diese Arbeit dem Wohlwollen der Leser. Berlin, 1751 L.
Verzeichniß der in dieser Sammlung enthaltenen Aufsätze.
- Anmerkungen über die Geschichte über haupt.
- Versuch über das Jahrhundert Lude wigs des XIV.
- Geheime Nachrichten von Ludewig dem XIV.
- Cromwell.
- Von dem Korane und dem Maho med.
- Geheime Nachrichten von dem Czaar Peter dem großen.
- Zwey Briefe über die Herren, Jo hann Law, Melon und Dutot.
- Abhandlung von dem Tode Hein richs des IV.
- Kurze Erzählung derjenigen Begeben heiten, auf welche sich die Fabel des Heldengedichts der Henriade gründet.
- Geschichte der Kreuzzüge.
- Von Titeln.
- Ueber die Widersprüche in dieser Welt.
- Gedruckte Lügen.
- Thorheiten auf beyden Seiten.
- Abhandlung von den Verschönerun gen der Stadt Paris.
I. Anmerkungen, über die Geschichte überhaupt.
Fortsetzung dieser Anmerkungen.
Vielleicht erfolgt bald in der Art die Geschichte zu schreiben eben das, was in der Naturlehre er folgt ist. Die neuen Entdeckungen haben die alten Lehrgebäude verwiesen. Man wird das menschliche Geschlecht nach der genauen Zergliederung zu kennen wünschen, welche jetzo der Grund der natürlichen Phi losophie ist. Man fängt an gegen das Abentheuer des Curtius sehr wenig Achtung zu haben, welcher einen Schlund verstopfte, indem er sich mit sammt dem Pferde hin ein stürzte. Man lacht über die vom Himmel gefal lene Schilde, über alle die schönen Talismans, wel che die Götter den Menschen so freygebig mittheilten, über die Vestalen, welche mit ihren Gürteln die Schiffe flott machten, und über alle die berühmten Kin dereyen, womit die alte Geschichte erfüllet ist. Eben so wenig ist man zufrieden, daß uns Herr Rollin in
seiner alten Historie im Ernst von dem Könige Nabis vorredet, welcher seine Frau von allen, die ihm Geld brachten, umarmen, und diejenigen, welche es ihm zu bringen verweigerten, in die Arme einer schönen Puppe legen ließ, welche der Königinn völlig gleich sahe, unter den Kleidern aber mit eisernen Stacheln bewaffnet war. Man lacht, wenn man sieht, daß so viele Geschichtschreiber, einer nach dem andern, wie derholen, der berüchtigte Erzbischof von Maynz sey im Jahre 698 von einer Armee Ratten belagert und
aufgefressen worden; Blutregen hätten im Jahre 1017 ganz Gascogne überschwemmt, und zwo Armeen von Schlangen hätten sich 1059 bey Tournay geschla gen. Die Wunderzeichen, die Vorherverkündigun gen, die Feuerproben et cetera sind jetzo mit den Mährchen des Herodotus in gleichem Range. Ich will hier von der neuern Historie reden, in welcher man weder Puppen findet, welche die Hof leute umarmen, noch Bischöfe, welche von den Rat ten aufgefressen worden. Man wendet viel Sorgfalt an, den Tag zu be stimmen, an welchem eine Schlacht vorgefallen ist, und man hat Recht. Man läßt die Tractaten dru cken, man beschreibt die Pracht bey einer Krönung, so gar den Einzug eines Gesandten, und vergißt we der seine Schweizer noch seine Bedienten dabey. Es ist gut, daß man von allen Sachen Archive habe, damit man sie im Nothfalle um Rath fragen kann, und ich betrachte jetzo alle große Bücher als Wörter bücher. Nachdem ich aber drey bis vier tausend Be schreibungen von Schlachten, und den Inhalt von etliche hundert Tractaten gelesen, so fand ich, daß ich im Grunde nichts mehr gelernt hatte. Ich erfuhr nichts als bloße Begebenheiten. Ich lernte aus der Schlacht des Carl Martels die Franzosen und Sara cenen eben so wenig kennen, als ich die Tartarn und Türken aus dem Siege kennen lernte, welchen Ta merlan über den Bajazet davon trug. Ich gestehe es, als ich die Denkwürdigkeiten des Kardinals von
Retz und der Frau von Motteville gelesen hatte, so wußte ich, von Wort zu Wort, was die Königinn
Mutter zu dem Herrn von Jersay gesagt hat: ich lerne, wie der Coadjutor das Seine zu der Wagenburg beygetragen hat; ich kann mir einen genauen Begriff von den langen Reden machen, welche er gegen die Frau von Bouillon gehalten hat. Dieses ist für mei ne Neugierigkeit sehr viel; für meine Unterweisung aber sehr wenig. Es giebt Bücher, welche mich die wahren oder fal schen Anekdoten eines Hofes lehren. Jeder, wer den Hof gesehen hat, oder Lust ihn zu sehen gehabt hat, ist eben so gierig auf diese vornehme Kleinigkeiten, als ein Frauenzimmer aus der Provinz auf die Neuigkei ten ihres kleinen Städtchens ist. Im Grunde ist es einerley Sache, und einerley Verdienst. Unter Hein richen dem IV unterhielt man sich mit den Anekdoten
von Carl dem IX. In den ersten Jahren Ludewigs des XIV redete man noch von dem Herrn von Belle garde. Alle diese kleinen Schildereyen erhalten sich ein oder zwey Menschenalter, und gehen hernach auf ewig unter. Gleichwohl versäumet man ihretwegen Kennt nisse, welche von einem weit dauerhaftern und merk lichern Nutzen sind. Ich wollte wissen, welches die Kräfte eines Landes vor einem Kriege gewesen wären, und ob dieser Krieg sie vermehrt oder verringert hätte. Ist Spanien vor der Eroberung der neuen Welt reicher gewesen als jetzo? Um wie viel war es
zu Zeiten Carls des V bevölkerter als zu den Zeiten
Philipps des IV? Warum waren in Amsterdam vor ohngefähr zweyhundert Jahren kaum zwanzig tau send Seelen? Warum hat es jetzo zwey hundert und
vierzig tausend Einwohner? Um wie viel ist Eng
land bevölkerter, als es unter Heinrichen dem VIII war? Sollte es wahr seyn, was man in den per
sianischen Briefen sagt, daß die Menschen auf der Erde weniger werden, und daß sie in Vergleichung ihres Zustandes vor zwey tausend Jahren verwüstet ist? Rom, das ist wahr, hatte damals mehr Ein wohner als jetzo. Karthago und Alexandria, ich ge stehe es, waren große Städte; aber Paris, London, Constantinopel, groß Cairo, Amsterdam, Hamburg waren damals noch nicht. Es waren drey hundert Nationen in Gallien, allein diese drey hundert Natio nen kamen der unsrigen, weder an Anzahl der Men schen, noch an der Arbeitsamkeit gleich. Deutsch land war ein Wald, jetzo ist es mit hundert volkrei chen Städten bedeckt. Es scheint, als ob der Geist des Tadels die Verfolgung bloßer Privatpersonen müde geworden sey, und sich zu seinem Gegenstande die ganze Welt gewählt habe. Man schreyt beständig, die Welt würde schlimmer, man will so gar, daß sie sich ent völkre. Wie nun? Sollen wir etwa die Zeiten be tauren, da noch keine Landstraßen von Bourdeaux nach Orleans waren, da Paris noch eine kleine Stadt war, in welcher man einander die Hälse brach? Vergebens sagt man, Europa hat jetzo mehr Menschen als damals, und die Menschen sind jetzo besser. Man kann wissen, in welchen Jahren und um wie viel Europa bevölkerter geworden ist; denn fast in allen großen Städten machet man zum Schlus se der Jahre die Anzahl der Gebohrnen bekannt;
und nach der genauen und sichern Regel, welche ein eben so geschickter als unermüdeter Holländer vor Kur zem gegeben hat, kann man die Zahl der Einwohner aus der Zahl der Gebohrnen schließen. Dieses ist schon einer von den Gegenständen der Neugierigkeit eines jeden, welcher die Geschichte als ein Bürger und als ein Philosoph lesen will. Doch auch mit die ser Kenntniß wird er sich noch nicht begnügen lassen; er wird untersuchen, welches das Hauptlaster und die herrschende Tugend eines Volks gewesen ist; war um es schwach oder mächtig auf der See gewesen, wie und wie sehr es sich seit einem Jahrhunderte be reichert habe; und dieses alles kann man aus den Registern der Ausfuhren berechnen. Er wird wissen wollen, wie die Künste und Manufacturen aufge kommen sind; er wird ihrem Fortgange aus einem Lande in das andere nachfolgen. Endlich werden die Veränderungen der Gesetze und der Sitten sein vor nehmster Gegenstand seyn. Auf diese Art wird man die Geschichte der Menschen wissen, anstatt daß man sonst nur einen Theil der Geschichte der Könige und der Höfe weis. Vergebens lese ich die Zeitbücher von Frankreich; unsre Geschichtschreiber alle gedenken mit keinem Worte an diese besondern Untersuchungen. Kein einziger hat zu seinem Wahlspruche gehabt: Homo sum, humani nil a me alienum puto. Man sollte also, scheint mir, diese nützlichen Kennt nisse mit Kunst in den Zusammenhang der Begeben heiten einzuflechten wissen. Ich glaube, dieses ist die einzige Art die Geschich te als ein wahrer Staatsmann und ein wahrer Weltweiser zu schreiben. Die alte Geschichte ab handeln, heißt, glaube ich, einige Wahrheiten mit tausend Lügen zusammen schreiben. Diese Geschichte ist vielleicht weiter zu nichts nütze, als wozu die My thologie nütze ist, daß man nämlich die großen Be gebenheiten heraus zieht, welche den Inhalt zu un sern Bildern, zu unsern Gedichten hergeben, und zu einigen moralischen Anwendungen dienen müssen. Man muß die Thaten des Alexanders wissen, so wie man die Arbeiten des Herkules weis. Kurz, diese alte Historie scheint mir in Ansehung der neuern eben das zu seyn, was die alten Medal lien in Ansehung der gangbaren Münzen sind. Die erstern bleiben in den Sammlungen der Neugierigen, die andern laufen in der Welt herum und beleben die Handlung unter den Menschen. Ein solches Werk aber zu unternehmen werden Leute erfordert, welche etwas mehr kennen als Bü cher. Die Regierung muß sie wenigstens eben so sehr dazu aufmuntern, was sie thun werden, als Boi leau, Racine, Valincourt dazu aufgemuntert wur den, was sie nicht thaten; und man muß nicht von ihnen sagen können, was ein königlicher Schatzmei ster von diesen Herren sagte: noch haben wir von ihnen nichts als ihre Un terschrift gesehen.
II. Versuch über das Jahrhundert Ludewigs des XIV.
Erstes Hauptstück.
Es ist nicht das Leben Ludewigs des XIV, welches man sich zu schreiben vornimmt, man hat sich einen weit größern Gegenstand erwählt. Man will nicht der Nachwelt die Thaten eines einzigen Mannes schildern, sondern den Geist der Menschen in dem alleraufgeklärtesten Jahrhunderte, welches je mals gewesen ist. Alle Zeiten haben Helden und Staatskundige her vorgebracht. Alle Völker haben Veränderungen er litten. Alle Geschichte sind für den fast gleich, wel cher sein Gedächtniß nur mit Thaten anfüllen will. Ein jeder aber welcher denket, oder was noch seltner ist, ein jeder welcher Geschmack hat, kennet nur vier Jahrhunderte in der Geschichte der Welt. Diese vier glücklichen Zeitalter sind diejenigen, welche die Künste zu ihrer Vollkommenheit gelangen ließen, und, als die Epochen der Größe des menschlichen Geistes, das Beyspiel der Nachwelt wurden. Das erste von diesen Jahrhunderten, welches mit einem wahrhaften Ruhme pranget, ist das Jahrhun
dert des Philippus und des Alexanders, oder das Zeitalter der Perikles, der Demosthenen, der Ari stoteles, der Platons, der Apelles, der Phidias, der Praxiteles. Und diese Ehre war nur in den Gränzen Griechenlandes eingeschlossen, der übrige Theil der Erde waren Barbaren. Das andre Jahrhundert ist das Jahrhundert des Cäsars und Augustus, welches auch nach dem Na men eines Lucretius, eines Cicero, eines Livius, eines Virgils, eines Horaz, eines Ovids, eines Varro, eines Vitruvs kann bezeichnet werden. Das dritte Jahrhundert ist dasjenige, welches auf
die Einnahme Constantinopels, durch Mahomet den
II, folgte. Damals sahe man in Italien eine Fa milie bloßer Bürger dasjenige thun, was die Könige in Europa hätten unternehmen sollen. Die Medicis riefen die Künste nach Florenz, welche die Türken aus Griechenland verjagten, und dieses war die Zeit der Ehre Italiens. Alle Wissenschaften bekamen ein neues Leben. Die Italiener beehrten sie mit dem Namen der Tugend, so wie die ersten Griechen sie mit dem Namen der Weisheit belegt hatten. Alles
strebte nach seiner Vollkommenheit; die Michael An gelos, die Raphaels, die Titiane, die Tassos, die Arioste blühten. Die Kunst zu stechen ward erfun den, die schöne Baukunst erschien noch wunderns würdiger, als in dem siegenden Rom. Die gothische Barbarey, welche Europa in allen Stücken verun staltete, ward aus Italien verjagt, dem guten Ge schmacke Platz zu machen. Die stets aus Griechenland nach Italien verpflanz ten Künste befanden sich in einem vortheilhaften Bo den, und brachten so gleich Früchte. Frankreich, England, Deutschland, Spanien wollten auch an diesen Früchten Theil nehmen, allein entweder sie ka men gar nicht in diese Gegenden, oder sie arteten doch sehr bald aus. Franciscus der Erste munterte die Gelehrten auf; allein diese Gelehrten waren nichts als Gelehrte. Er hatte Baumeister, aber es waren weder Michael Angelos noch Palladios. Umsonst wollte er Maler schulen aufrichten; die italienischen Maler, welche er herbeyrief, zogen keine französischen Schüler. Ei nige Sinnschriften, einige freye Erzählungen, das war unsre ganze Poesie. Rabelais war das einzige prosaische Buch nach der Mode, zu der Zeit Hein richs des II. Mit einem Worte, die Italiener allein hatten al les, wenn man die Musik ausnimmt, welche da mals noch ungestaltet war, und die versuchende Na turlehre, welche überall gleich unbekannt war. Das vierte Jahrhundert endlich ist dasjenige, wel ches man das Jahrhundert Ludewigs des XIV nennt, und es ist vielleicht von allen vieren dasjenige, wel ches der Vollkommenheit am nächsten kommt. Durch die Entdeckungen der drey andern bereichert, hat es in gewissen Stücken mehr als alle dreye zusammen ge than. Zwar sind in der That nicht alle Künste wei ter getrieben worden, als unter den Medicis, unter dem August und unter dem Alexander; der menschliche Verstand aber überhaupt ist vollkommner geworden. Die gesunde Philosophie ward erst zu dieser Zeit be
kannt; und man kann mit Wahrheit sagen, daß, von
den letzten Jahren des Kardinals von Richelieu anzu fangen, bis auf die Jahre welche auf den Tod Ludewigs des XIV folgten, in unsern Künsten, in unsern Gei stern, in unsern Sitten, wie in unsrer Regierung eine allgemeine Veränderung vorgegangen ist, welche zum ewigen Beweise der wahren Ehre unsers Vaterlan des dienen wird. Dieser glückliche Einfluß blieb nicht allein in Frankreich eingeschlossen; er hat sich auch so gar in England ausgebreitet; er hat die Nacheiferung erwecket, welche diesem geistigen und gründlichen Volke damals nöthig war; er hat den Geschmack nach Deutschland, die Wissenschaften nach Rußland ge bracht; er hat so gar Italien, welches matt zu wer den begonnte, wieder angefeuert, und Europa ist seine Feinheit dem XIVten Ludewig schuldig. Vor dieser Zeit belegten die Italiener alle jenseit der Gebirge mit dem Namen der Barbaren, und man muß gestehen, daß die Franzosen einigermaßen diese Beschimpfung verdienten. Unsre Väter ver banden mit der romanenhaften Artigkeit der Mohren die gothische Grobheit; sie hatte beynahe keine von den liebenswürdigen Künsten, welches ein deutlicher Beweis ist, daß die nützlichen Künste verabsäumet wurden; denn wenn man das Nöthige vollkommen gemacht hat, so findet man gar bald das Schöne und Angenehme, und es ist gar nicht zu verwundern, daß die Malerkunst, die Bildhauerkunst, die Dichtkunst, die Beredsamkeit, die Weltweisheit einem Volke bey nahe ganz unbekannt waren, welches Häfen an dem Oceane und an dem mittelländischen Meere, und gleichwohl keine Flotte, hatte; welches die Schwel
gerey bis auf das äußerste liebte, und kaum einige grobe Manufacturen besaß. Die Juden, die Genueser, die Venetianer, die Portugiesen, die Holländer, die Engländer besorgten nach einander unsern Handel, dessen Quellen wir nicht
kannten. Ludewig der XIII als er zur Krone gelangte, hatte nicht ein Schiff. Paris enthielt vier hundert tausend Menschen, und war kaum mit vier schönen Gebäuden gezieret. Die übrigen Städte des Reichs glichen den Flecken, welche man jenseit der Loire sieht. Der ganze Adel, welcher sich auf dem Lande in seinen mit Gräben verschanzten Löchern aufhielt, unter drückte die, welche das Land anbauten. Auf den Landstraßen konnte man beynahe nicht fortkommen, die Städte waren ohne Policey, der Staat ohne Geld, und die Regierung fast beständig bey andern Völkern ohne Credit. Man muß es sich nicht verheelen, daß nach dem Verfalle der Carolomannischen Familie Frankreich mehr oder weniger in dieser Ohnmacht geschmachtet hat, weil es fast nicht eine einzige gute Regierung ge nossen hatte. Wenn ein Staat mächtig seyn soll, so muß ent weder das Volk eine auf die Gesetze gegründete Frey heit haben, oder die oberste Gewalt muß ohne Wi derspruch befestiget seyn. In Frankreich waren die Völker bis zur Zeit des
Philippus Augustus Sklaven; bis auf Ludewig den XIten waren die Vornehmen Wüthriche, und die Kö nige waren nur bedacht ihr Ansehen gegen ihre Va sallen zu erhalten, und hatten also niemals Zeit an
das Glück ihrer Unterthanen zu denken, und niemals Kräfte, es zu machen. Ludewig der XI that sehr viel für die königliche Ge walt; nichts aber für die Glückseligkeit und die Ehre seines Volks. Franciscus der Erste ließ die Handlung, die Schif fahrt, die Wissenschaften und Künste hervorsprossen; er war aber viel zu unglücklich, als daß er sie in Frank reich hätte können Wurzel schlagen lassen, und alle giengen nach ihm unter. Heinrich der Große wollte Frankreich aus dem Elende und der Barbarey reißen, worein es dreyßig Jahre voll Zwist gestürzet hatten, als er in seiner Hauptstadt, mitten unter einem Volke, dessen Glück er machen wollte, ermordet wurde. Der Kardinal von Richelieu, welcher nur auf die Erniedrigung des Hauses Oesterreich, auf die Un terdrückung des Calvinismus und der Großen bedacht war, genoß keiner genugsam friedsamen Gewalt, sein Volk zu verbessern; gleichwohl aber fing er dieses glückliche Werk an. Auf diese Art war ganzer neun hundert Jahr un ser Geist unter einer gothischen Regierung im Joche, mitten unter den Uneinigkeiten des bürgerlichen Krie ges, ohne Gesetze, ohne bestimmte Gewohnheiten, und änderte alle zwey Jahrhunderte eine Sprache, welche immer gleich grob blieb. Die Adlichen waren ohne Zucht, und kannten nichts als den Krieg und die Faulheit; die Geistlichen lebten in Unordnung und Unwissenheit; die Völker waren ohne Arbeit und krochen in ihrem Elende. Daher kam es, daß die Franzosen keinen Theil an den großen Entdeckungen und wunderbaren Erfin dungen der andern Völker hatten. Die Buchdru ckerkunst, das Pulver, die Gläser, die Tubi, der Verhältnißzirkel, die Luftpumpe, das wahre Welt gebäude gehören ihnen nicht zu. Sie hielten Tur nierspiele, als die Portugiesen und Spanier, gegen Morgen und Abend der bekannten Welt, neue Wel ten entdeckten und eroberten. Carl der fünfte streute schon in Europa die Schätze von Mexico aus, ehe noch einige Unterthanen des ersten Franciscus die un bewohnte Gegend von Canada entdeckten. Durch das wenige aber, was die Franzosen zu Anfange des sechszehnten Jahrhunderts thaten, sahe man, zu wie vielen sie fähig wären, wenn sie angeführet würden. Man nimmt sich vor hier zu zeigen, was sie unter Ludewig dem XIV gewesen sind, und man wünscht, daß die Nachkommenschaft dieses Monarchen, und die Nachwelt seiner Völker, durch eine glückliche Nach eiferung gleich stark belebt, sich anstrengen möchten ihre Vorältern zu übertreffen. Man hoffe nicht, die fast unendlichen Beschreibun gen der in diesem Jahrhunderte unternommenen Krie ge zu finden. Man überläßt den Annalisten die Mü he alle diese kleinen Begebenheiten genau zu sam meln, welche zu nichts dienen würden, als das Auge von dem Hauptgegenstande abzubringen. Sie mö gen die Züge, die Gegenzüge der Heere beschreiben, die Lage bestimmen, an welchen die Laufgräben vor den Städten eröffnet, an welchen sie eingenommen und wieder eingenommen, an welchen sie durch die Friedensschlüsse überliefert und wieder zurück über
liefert wurden. Tausend Umstände, an welchen die Zeitverwandten Antheil nehmen, verlieren sich in den Augen der Nachwelt, und verschwinden, um nur die großen Begebenheiten sehen zu lassen, welche das Ge schicke der Reiche festgesetzt haben. Nicht alles was geschieht, verdient aufgeschrieben zu werden. Man wird sich in diesem Versuche besonders an dasjenige zu halten bemühen, was die Aufmerksamkeit aller Zei ten verdienet, an das nur, was den Geist und die Sitten der Menschen schildert, was zum Unterrichte dienen, und die Liebe der Tugend, der Künste und des Vaterlandes anrathen kann. Man wird sich zu zeigen bemühen, was Frankreich und die andern europäischen Reiche vor der Geburt Ludewigs des XIV waren, und hernach wird man die großen politischen und militarischen Begebenheiten sei ner Regierung beschreiben. Man wird anmerken, was zu seiner Zeit wegen der Religion vorgefallen ist, wel che, ob sie schon den Menschen nur zu einer Vorschrift der Sittlichkeit ist gegeben worden, nur allzu oft in ihren Händen einer der größten Gegenstände der Staatsklugheit wird. Hierauf wird man von dem privat Leben Ludewigs des XIV sprechen, von diesem sich beständig gleichen Leben, welches allezeit anstän dig, auch so gar in den Ergötzungen war, und zu ei nem Muster der Aufführung eines jeden Mannes am Ruder dienen kann. Die innerliche Regierung seines Reichs, ein weit wichtiger Punkt, wird auch einige besondere Abschnitte bekommen. Endlich wird man von dem Fortgange der Künste und Wissenschaften, und von der Geschichte des menschlichen Verstandes, als dem vornehmsten Gegenstande dieses Werks, handeln.
Von den christl. europäischen Staaten vor Ludewig dem XIV.
Schon lange konnte man das christliche Europa, wenn man Moscau ausnimmt, als eine große Republik betrachten, welche in verschiedene Staaten von verschiedener Regierungsform getheilet war; welche aber alle in Verbindung mit einander standen, indem alle einerley Grundsätze der Religion hatten, ob sie gleich in verschiedene Sekten zertheilet waren, alle einerley Regeln des öffentlichen Rechts und Staatsrechts, wovon man in den übrigen Theilen der Welt nichts wußte. Diese Regeln sind nämlich diese; daß alle europäische Völker ihre Gefangenen nicht zu Sklaven machen; daß sie gegen die Abge sandten ihrer Feinde Achtung haben; daß sie mitein ander wegen gewisser Vorzüge und Rechte gewisser Prinzen einig sind, wie zum Exempel des Kaisers, der Könige, und anderer kleinerer Potentaten; daß sie vor allen Dingen in der weisen Staatsregel einig sind, unter einander, so viel als möglich, das Gleich gewicht der Gewalt zu erhalten, und deßwegen ohne Unterlaß, so gar mitten im Kriege, Unterhandlungen pflegen, beyeinander Abgesandten, oder vielmehr ehr liche Spione, haben, welche allen Höfen von der Ab sicht eines einzigen Nachricht geben, und also das gan ze Reich aufbringen, und die Schwächern vor Ueber
fälle in Sicherheit setzen können, welche allezeit der Stärkste zu unternehmen bereit ist. Seit Carl dem Vten hing das Gleichgewicht all zusehr auf die Seite des Hauses Oesterreich. Dieses mächtige Haus war gegen das Jahr 1630 Herr von Spanien, von Portugall und den amerikanischen Schätzen; Flandern, Meiland, das Königreich Nea pel, Böhmen, Ungarn, Deutschland selbst, wenn man so reden darf, waren sein Erbtheil geworden; und wenn so viel Staaten unter ein einziges Haupt dieses Hauses wären vereiniget worden, so ist zu glauben, ganz Europa würde sich endlich haben unterwerfen müssen.
Von Deutschland.
Das deutsche Reich ist der mächtigste Nachbar, welchen Frankreich hat. Es ist ohngefähr von eben der Größe, vielleicht weniger reich an Geld, aber weit fruchtbarer an starken und der Arbeit geduldigen Männern. Es wird wenig fehlen, so wird die deutsche Nation auf eben die Art regiert, auf welche Frankreich unter den ersten Capetingischen Königen regieret wur de, welche die Häupter von verschiedenen großen Va sallen, und von einer großen Menge kleinerer waren, oft aber sehr schlechten Gehorsam erhielten. Jetzo machen sechszig freye Reichsstädte, beynahe eben so viel weltliche Oberherren, bis vierzig geistliche Fürsten, welches entweder Aebte oder Bischöfe sind, neun
Churfürsten, unter welche drey Könige gehören, und endlich der Kaiser, als das Haupt aller dieser Poten taten, den großen deutschen Körper aus, welchen das deutsche Phlegma mit eben so vieler Ordnung fortdau ren läßt, als vor diesem in der französischen Regie rung Verwirrung war. Jedes Glied des Reiches hat seine Rechte, seine Freyheiten, seine Verbindlichkeiten; und die schwere Kenntniß von so viel Gesetzen, die oft widereinander laufen, macht dasjenige aus, was man in Deutsch land die Wissenschaft des Staatsrechts nennet, wel ches die deutsche Nation so bekannt gemacht hat. Der Kaiser an und vor sich selbst würde in Wahr heit nicht viel mächtiger und reicher als ein Doge in Venedig seyn. Das in freye Reichsstädte und be sondere Oberherrschaften zertheilte Deutschland, läßt dem Haupte so vieler Staaten nichts als den Vor zug mit ungemeinen Ehrenbezeugungen, aber ohne Einnahme, ohne Geld, und also auch ohne Ge walt. Als Kaiser besitzt er nicht einen einzigen Fle cken; die einzige Stadt Bamberg ist ihm als sein Sitz ausgemacht worden, wenn er keinen andern hat. Unterdessen war diese so eitle als erhabne Würde in den Händen der Oesterreicher so mächtig geworden, daß man oft befürchtet hat, sie würden diese Repu blik von Prinzen in eine unumschränkte Monarchie verwandeln. Zwo Parteyen theilten damals, und trennen auch noch, das christliche Europa, und besonders Deutschland. Die eine ist die Partey der Katholi ken, welche mehr oder weniger dem Pabste unter worfen sind. Die andre ist die Partey der Feinde
der geistlichen und weltlichen Gewalt des Pabsts und der katholischen Prälaten. Wir nennen alle von die ser Partey mit dem allgemeinen Namen Prote stanten, ob sie gleich in Lutheraner und Calvinisten und andere getheilt sind, die sich alle untereinander eben so sehr hassen, als sie Rom hassen. In Deutschland folgen Sachsen, Brandenburg, die Pfalz, ein Theil von Böhmen, von Ungarn, die Staaten des Hauses Braunschweig, Würtenberg der lutherischen Religion, welche man die evangelische heißt. Alle freye Reichsstädte haben diese Sekte er griffen, welche ihnen, als Leuten die auf ihre Freyheit eifersüchtig sind, anständiger als die katholische Reli gion geschienen hat. Die Calvinisten, welche unter den Lutheranern, als den stärksten, zerstreuet sind, machen einen sehr mittel mäßigen Haufen aus. Der übrige Theil des Reichs besteht aus Katholiken, und da sie das Haus Oester reich an ihrer Spitze hatten, waren sie ohne Zweifel die mächtigsten. Nicht allein Deutschland, sondern alle christliche Staaten bluteten noch von den Wunden, welche sie in so vielen Religionskriegen bekommen hatten; eine Wuth, welche den Christen besonders eigen ist, und den Götzendienern unbekannt war; eine unglückliche Folge übrigens von dem seit so langer Zeit in alle Stände eingeführten dogmatischen Geiste. Es sind wenig streitige Punkte, welche nicht bürgerliche Krie ge verursacht hätten, und fremde Völker (vielleicht auch unsre Nachkommenschaft) werden es einmal schwerlich begreifen können, daß unsre Väter, so lan
ge Jahre hindurch, einander die Hälse gebrochen, und gleichwohl immer von Geduld geprediget haben. Der Kaiser Matthias war im Jahre 1619 ohne Kinder gestorben, und die protestantische Partey gab sich Mühe das Reich von dem Hause Oesterreich und von der römischen Gemeinschaft zu bringen. Nichts destoweniger ward Ferdinand der Fette, ein Vetter des Matthias, zum Kaiser erwählt. Er war schon König von Böhmen und Ungarn durch die Niederle
gung des Matthias, und durch die gezwungene Wahl dieser zwey Reiche. Dieser Ferdinand der II fuhr fort die protestanti sche Partey zu unterdrücken, und sahe sich einige Zeit lang als den mächtigsten und glücklichsten Monarchen der Christenheit, nicht so wohl durch sich selbst als durch den glücklichen Fortgang seiner zween großen Generale des Wallensteins und Tilly, nach Art nicht weniger Regenten aus dem Hause Oesterreich, welche Sieger wurden ohne Krieger zu seyn, und bloß durch die Verdienste derjenigen, welche sie zu wählen ge wußt hatten, glücklich waren. Schon drohte diese Macht sowohl den Protestanten als Katholiken das Joch; die Bestürzung breitete sich so gar bis nach Rom aus, über welches der Titel eines Kaisers und römischen Königs eingebildete Rechte ertheilen, wel che aber die geringste Gelegenheit nur allzu wirklich machen kann. Rom, welches, seiner Seits, ehedem ein noch weit eingebildeter Recht über das Reich ver langte, vereinigte sich damals mit Frankreich wider das Haus Oesterreich. Das Geld der Franzosen, die Mengereyen Roms und das Geschrey aller Prote stanten, riefen endlich aus dem Innern Schwedens
den Gustav Adolph herbey, den einzigen König der damaligen Zeit, welcher sich den Titel eines Helden anmaßen, und die österreichische Macht über den Hau fen werfen konnte. Die Ankunft Gustav Adolphs in Deutschland ver änderte die ganze Scene. Er gewann 1631 wider den General Tilly die Schlacht bey Leipzig, welche durch die neuern Kriegsübungen so bekannt ist, die dieser König darinn in Ausübung brachte, und wel che noch jetzt das Meisterstück der Kriegskunst ist. Der Kaiser Ferdinand sahe sich im Jahre 1632 auf dem Punkte, Böhmen, Ungarn und das Reich
zu verlieren; sein Glück aber rettete ihn. Gustav Adolph blieb in der Schlacht bey Lützen, mitten in dem Laufe seiner Siege, und der Tod eines einzigen Mannes stellte dasjenige wieder her, was er nur al lein vernichten konnte. Die Staatsklugheit des Hauses Oesterreich, wel
che unter den Waffen des Adolphs vorher erlag, be fand sich nunmehr gegen alle die übrigen stark genung. Sie brachte die mächtigsten Fürsten des Reichs von dem schwedischen Bündnisse ab. Diese siegrischen Truppen, nachdem sie von ihren Bundesgenossen ver lassen und ihres Königs beraubt waren, wurden bey Nördlingen geschlagen; und ob sie gleich hernach glücklicher waren, so waren sie doch immer weniger
zu fürchten, als unter Gustaven. So standen die Sachen als Ferdinand der II starb, und seinem Sohne Ferdinanden dem III alle seine Staaten hinterließ, welcher auch seine Staatsklug heit erbte, und die Kriege, wie er, aus seinem Ca
binete fortsetzte. Er regierte während der Minder jährigkeit Ludewigs des XIV. Deutschland war damals noch nicht so blühend, als es hernach geworden ist. Die Schwelgerey war daselbst unbekannt, und die Bequemlichkeiten des Le bens waren auch bey den größten Herren noch sehr sel ten. Sie sind nicht eher dazu gebracht worden, als gegen das Jahr 1686 durch die französischen Flücht linge, welche daselbst ihre Manufacturen aufzurichten kamen. Diesem fruchtbaren und bewohnten Lande fehlte es an Handlung und Gelde, die Ernsthaftig keit der Sitten und die den Deutschen eigene Lang samkeit, beraubten sie der Vergnügungen und der an genehmen Künste, welche die italienische Empfindlich keit schon seit so vielen Jahren ausübte, und welche der französische Fleiß damals vollkommen zu machen anfing. Die Deutschen, welche bey sich reich waren, waren auswärts arm; und diese Armuth, nebst der Schwierigkeit so viel verschiedne Völker lange Zeit unter einer Fahne zu erhalten, setzte sie, fast wie jetzo, in die Unmöglichkeit den Krieg in das Land ihrer Nach barn zu bringen und ihn lange auszuhalten. Und fast allezeit haben die Franzosen ihren Krieg wider das Reich in dem Reiche selbst geführet. Der Un terschied der Regierung und des Genies macht die Franzosen geschickter zum Anfalle und die Deutschen geschickter zur Ver theidigung.
Von Spanien.
Spanien ward von der ältesten Linie des Hauses Oesterreich regiert, und hatte nach dem Tode Carls des V, mehr Schrecken verursacht als die deut sche Nation. Die Könige von Spanien waren un gleich uneingeschränkter und reicher. Die Bergwer ke in Mexico und Potosi schienen ihnen so viel herzu geben, als sie die Freyheit von ganz Europa zu erkau fen brauchten. Der Entwurf einer allgemeinen Mo narchie, welchen Carl der V zuerst gemacht hatte,
ward anfangs von dem zweyten Philipp fortgesetzt. Er wollte aus dem Innersten des Escurials die Chri stenheit durch Unterhandlungen und durch Krieg un ter das Joch bringen. Er nahm Portugall weg. Er verwüstete Frankreich, er drohete England, er war aber vielleicht geschickter in der Ferne mit Sklaven zu handeln, als seinen Feind in der Nähe zu bestreiten. Die Eroberung Portugalls war die einzige. Er wen dete nach seinem eigenen Geständnisse funfzehn hun dert Millionen, welche zu jetziger Zeit, im Jahre 1745, mehr als drey tausend Millionen nach unsrer Münze ausmachen, daran, sich Frankreich unterwürfig zu ma chen, und Holland wieder zu bekommen. Doch seine Schätze dienten zu nichts als die Länder zu bereichern, welche er sich unterthan machen wollte. Philipp der III, sein Sohn, war noch weniger kriegerisch, und noch weniger weise, und hatte wenig Tugenden eines Königs. Der Aberglaube, die
ses Laster schwacher Seelen, beschimpfte seine Regie rung, und schwächte die spanische Monarchie. Sein Reich fing sich an durch die häufigen Colonisten zu er schöpfen, welche der Geiz in die neue Welt schickte, und bey diesen Umständen jagte der König noch dazu mehr als acht hundert tausend Mohren aus seinen Staaten, da er vielmehr noch mehrere hätte sollen herüber kommen lassen, wenn es anders wahr ist, daß die Menge der Unterthanen der wahre Schatz der Kö nige sey. Seit der Zeit war Spanien beynahe eine Wüste. Der müßige Stolz der Einwohner ließ die Reichthümer der neuen Welt in andre Hände kom men; und das Gold aus Peru ward allen Kaufleuten in Europa zu Theil. Umsonst verschließt ein strenges und allezeit befolgtes Gesetz die Hafen in dem spani schen Amerika allen andern Völkern; die französischen, englischen und italienischen Handelsleute beladen ihre Schiffe mit ihren Waaren, und für sie sind Peru und Mexico erobert worden. Die spanische Größe war also unter dem dritten Philipp nichts mehr als ein großer Körper ohne Le ben, welcher mehr Ansehen als Kräfte hatte. Philipp der IV, der Erbe der väterlichen Ohn macht, verlohr Portugall durch seine Nachläßigkeit, Russillon durch die Schwäche seiner Waffen, und Catalonien durch den Misbrauch der unumschränkten Gewalt. Dieses war der König, welchen der Graf Ducas Olivarez, sein Minister und Liebling, den Na men des Großen bey seiner Gelangung zur Krone annehmen ließ, vielleicht um ihn zu ermuntern diesen Titel zu verdienen, dessen er so wenig werth war, daß sich kein einziger unterstand ihm denselben, ob er gleich
König war, beyzulegen. Solche Könige konnten in ihren Kriegen gegen Frankreich nicht lange glücklich seyn. Wenn ihnen unsre Uneinigkeiten und Fehler einige Vortheile verschafften, so verlohren sie die Frucht davon durch ihr eignes Unvermögen. Was noch mehr ist; sie beherrschten Völker, welchen ihre Frey heiten das Recht gaben, schlecht zu dienen. Die Castilianer hatten den Vorzug nirgends anders, als in ihrem Vaterlande, streiten zu dürfen. Die Arra gonier stritten ohne Unterlaß wegen ihrer Freyheit mit dem königlichen Rathe, und die Catalonier, wel che ihre Könige als ihre Feinde ansahen, erlaubten ihnen nicht einmal in ihren Provinzen zu werben. Also war dieses schöne Königreich damals von außen sehr ohnmächtig und von innen sehr elend; kein Fleiß kam in diesen glücklichen Gegenden den Geschenken der Natur zu Statten; weder die Seide aus Valencia, noch die schöne Wolle aus Andalusien und Castilien wurden von spanischen Händen zu rechte gemacht. Die feinen Tücher waren ein damals sehr unbekannter Putz. Die niederländischen Manufacturen, die Re ste der Denkmäler des burgundischen Hauses, schaff ten in Madrid damals alles herbey, was man von Pracht wußte. Die goldnen und silbernen Stoffe waren in dieser Monarchie verbothen, wie sie es ohn gefähr in einer armen Republik seyn würden, welche sich dadurch arm zu machen fürchten müßte. In der That war Spanien ungeachtet der Bergwerke der neuen Welt so arm, daß das Ministerium Philipps
des IV sich genöthiget sahe Münze von Kupfer zu schlagen, welcher man beynahe einen eben so hohen Werth gab als der silbernen Münze. Der Besitzer
von Mexico und Peru mußte falsches Geld schlagen, die Schulden des Staats bezahlen zu können. Man wagte es nicht, wenn man dem weisen Gourville glau ben darf, persönliche Auflagen zu machen; weil we der die Bürger noch die Landleute Hausgeräthe hat ten, und also nimmermehr zur Bezahlung hätten kön nen gezwungen werden. Dieses war der Zustand Spaniens und gleichwohl legte es, als es mit dem deutschen Reiche vereiniget war, ein sehr fürch terliches Gewicht in die Wagschale von Europa.
Von Portugall.
Portugall ward damals wieder zum Königreiche.
Johann, Herzog von Braganza, ein Prinz, der für schwach gehalten wurde, hatte dieses Reich einem Könige entrissen, der noch schwächer war als er. Die Portugiesen trieben den Handel aus Noth wendigkeit, welchen die Spanier aus Stolz unterlies sen. Sie verbanden sich im Jahre 1641 mit Frank reich und Holland wider Spanien. Diese Verän derung mit Portugall war Frankreich zuträglicher, als ihm die größten Siege hätten seyn können. Das französische Ministerium, welches zu dieser Begeben heit nichts beygetragen hatte, zog ohne Mühe den größten Vortheil davon, den man über seinen Feind erlangen kann, diesen nämlich, ihn von einer unver söhnlichen Macht angefallen zu sehen. Portugall, welches das spanische Joch abschüt telte, seine Handlung erweiterte und seine Gewalt ver mehrte, bringt uns Holland in die Gedanken, wel ches eben diese Vortheile, auf eine ganz andere Art, genoß.
Von Holland.
Dieser kleine Staat der sieben vereinigten Pro vinzen, ein unfruchtbares und ungesundes Land, welches das Meer fast überschwemmte, war beynahe seit einem halben Jahrhunderte vielleicht das einzige Beyspiel auf der Welt, wieviel die Liebe zur Freyheit und eine unermüdete Arbeit auszurichten fähig sind. Dieses arme und wenig zahlreiche Volk, welches weit weniger als die schlechtesten spanischen Truppen zum Kriege abgerichtet war, und fast für nichts in Europa gerechnet wurde, widerstand aller Gewalt ihres Her
ren und ihres Wüthrichs Philipps des II, machte die Unternehmungen verschiedner Fürsten zunichte, wel che ihnen beystehen wollten, um sie zu unterdrücken, und gründete eine Macht, welche, wie man gesehen hat, der ganzen spanischen Gewalt das Gleichgewicht gehalten hat. Die Verzweifelung, zu welcher sie die Tyranney brachte, hatte sie zuerst bewaffnet: die Freyheit hatte ihren Muth erhoben, und die Prinzen des Hauses Oranien hatten vortreffliche Soldaten aus ihnen gemacht. Kaum hatten sie über ihre Herren gesiegt, als sie eine Art einer Regierung aufrichteten,
welche, so viel als möglich, die Gleichheit, das natürlichste Recht der Menschen, erhält. Die Annehmlichkeit dieser Regierung und die Dul dung aller Arten des Gottesdienstes, welche vielleicht anderwärts gefährlich seyn würde, hier aber noth wendig war, bevölkerte Holland mit einer Menge von Fremden, besonders von Wallonen, welche die Inquisition in ihrem Vaterlande verfolgte, und die aus Sklaven Bürger wurden. Die herrschende calvinische Religion in Holland trug auch zu seiner Macht nicht wenig bey. Dieses damals so arme Land würde weder die Pracht der Prälaten haben aushalten, noch die geistlichen Orden versorgen können. Diese Gegend, welche Men schen brauchte, konnte unmöglich diejenigen aufneh men, welche sich durch einen Eid verpflichten, das menschliche Geschlecht, so viel an ihnen ist, unterge hen zu lassen. England diente zum Beyspiele, wel ches um ein Dritttheil bevölkerter war, seitdem die Diener des Altars die Annehmlichkeiten des Ehestan des genossen, und die Hoffnungen der Familien nicht mehr in die Ehelosigkeit der Klöster vergraben wurden. Unterdessen da die Holländer diese neue Regierung, mit gewaffneter Hand, aufrichteten, unterstützten sie es durch die Handlung. Sie giengen in das Innerste Asiens, eben diese Herren anzufallen, welche sich da mals die Entdeckungen der Portugiesen zu Nutze machten. Sie nahmen ihnen die Inseln weg, wo die kostbaren Spezereyen wachsen, welches eben so wirkliche Schätze, als die Schätze aus Peru, sind, und deren Anbauung der Gesundheit eben so zuträg
lich, als die Arbeit in den Bergwerken den Men schen tödtlich ist. Die ostindische Gesellschaft, welche 1602 errich tet wurde, gewann schon im Jahre 1620 drey hundert Procent. Dieser Gewinst vermehrte sich jährlich. Im Kurzen ward diese Gesellschaft von Kaufleuten eine fürchterliche Macht, und baute in der Insel Ja va, die Stadt Batavia, die schönste Stadt in Asien, und der Mittelpunkt der Handlung, in welcher mehr als fünf tausend Chineser wohnen, und alle Natio nen der Welt zusammenkommen. Die Gesellschaft kann daselbst dreyßig Kriegsschiffe, jedes von vierzig Canonen, ausrüsten, und wenigstens zwanzig tausend Mann ins Feld stellen. Ein bloßer Kaufmann, wenn er Statthalter in dieser Colonie ist, erscheint in der Pracht der größten Könige, ohne daß dieser asia tische Stolz die haushältrische Einfalt in Europa verdirbt. Diese Handlung und diese Haushaltung machten die sieben Provinzen groß. Antwerpen, welches so lange Zeit geblühet, und die Handlung von Venedig verschlungen hatte, war nichts mehr, als eine Wüsten. Amsterdam dargegen, der Beschwerlichkeiten seines Hafens ungeachtet, ward das Magazin der Welt. Ganz Holland berei cherte und verschönerte sich durch unermeßliche Arbei ten. Das Wasser des Meers ward durch die ge doppelten Dämme zurück gehalten. Die in allen Städten gegrabenen Canäle wurden mit Steinen aus gesetzt, die Gassen wurden breite steinerne Brücken, die mit großen Bäumen gezieret waren. Die mit Waaren beladenen Barken landeten an den Thüren der Privatpersonen an, und nie werden die Fremden
ermüden, die besondere Vermischung zu bewundern, welche durch die Gipfel der Bäume, durch die Dä cher der Häuser, und die Fahnen der Schiffe entste het, und auf einmal an einem Orte den Anblick des Meers, der Stadt und des Landes schenket. Dieser Staat, von einer ganz neuen Beschaffenheit, war seit seiner Stiftung sehr genau an Frankreich verbunden; sie hatten gleiches Interesse und gleiche
Feinde. Heinrich der Große und Ludewig der XIII waren seine Bundsgenossen und Beschützer gewesen.
Von England.
England, welches weit mächtiger war, verlangte die Oberherrschaft auf dem Meere, und maßte es sich an, unter den europäischen Mächten ein Gleich
gewicht zu erhalten. Doch Carl der I, welcher seit 1625 regierte, konnte nichts weniger als die Wucht dieses Gleichgewichts erhalten, der Zepter entfiel viel mehr unvermerkt seinen Händen. Er hatte seine Ge walt in England unabhängig von den Gesetzen ma chen, und in Schottland die Religion verändern wol len. Er war zu halsstarrig, seinen Vorsatz fahren zu lassen, und zu schwach, ihn auszuführen. Er war ein guter Ehemann, ein guter Herr, ein guter Vater, ein ehrlicher Mann; aber ein übelberathener Mo narche. Er vermengte sich in einen bürgerlichen Krieg, der ihn um die Krone und um das Leben
brachte, welches er auf einem Schafot, durch eine fast unerhörte Empörung, verlieren mußte. Dieser bürgerliche Krieg, welcher sich während der Minderjährigkeit Ludewigs des XIV anfing, ver hinderte England eine Zeit lang, an den Angelegen heiten seiner Nachbarn Theil zu nehmen. Es ver lohr sein Ansehen mit seinem Glücke. Sein Handel ward unterbrochen, und die andern Völker glaubten es unter seinen Ruinen begraben zu seyn, als es auf
einmal unter der Herrschaft des Cromwells fürchter licher, als jemals, wurde. Dieser machte es sich un terwürfig, indem er das Evangelium in der einen, den Degen in der andern Hand, und die Larve der Religion auf dem Gesichte trug; er welcher mit den Eigenschaften eines großen Königs, alle Laster eines unrechtmäßigen Besitzers bedeckte.
Von Rom.
Dieses Gleichgewicht, welches England unter den Königen, durch seine Gewalt, zu erhalten sich lange geschmeichelt hatte, suchte Rom durch seine Staatsklugheit zu behaupten. Italien war da mals, wie jetzo, in verschiedene Oberherrschaften ver theilet. Die Oberherrschaft, welche der Pabst besitzt, ist groß genug, ihn als einen Fürsten ansehnlich zu machen, viel zu klein aber, ihn fürchterlich zu machen. Die Art der Regierung taugt nicht sein Land volkreich zu machen, welches übrigens wenig Geld und Hand
lung hat. Sein geistliches Ansehen, allezeit mit ein wenig weltlichem vermischt, ist in der Hälfte der Chri stenheit vernichtet und verabscheuet; und wann er in der andern Hälfte als ein Vater angesehen wird, so hat er Kinder, welche ihm manchmal mit Rechte und gutem Fortgange widerstehen. Der Grundsatz Frank reichs ist, ihn als eine geheiligte Person zu betrach ten, die aber oft zu viel unternimmt; der man die Füße küssen, und die Hände manchmal binden muß. Man sieht noch in allen katholischen Ländern die Spu ren der Schritte, welche der römische Hof ehemals zur allgemeinen Monarchie gethan hat. Alle katholi sche Prinzen schicken dem Pabste, bey ihrer Huldi gung, Gesandtschaften, welche man Obedientias nennt. Jede Krone hat in Rom einen Kardinal, welcher den Namen eines Protectors annimmt. Der Pabst giebt allen Bischöfen ihre Bullen, und drückt sich dar innen so aus, als ob er ihnen diese Würde aus eigner Gewalt ertheilte. Alle wälsche, spanische, niederlän dische, und auch so gar einige französische Bischöfe, nennen sich Bischöfe durch Gottes und des heiligen Stuhls Zulassung. Es ist kein Reich, in welchem nicht verschiedne Beneficia von seiner Ernennung ab hingen. Er bekommt, als einen Tribut, die Ein künfte des ersten Jahres der consistorial Beneficien. Die Ordensleute, deren Häupter in Rom ihren Sitz haben, sind eben so viel unmittelbare Untertha nen des Pabsts, die in allen Staaten zerstreuet sind. Die Gewohnheit, welche alles vermag und die Ur sache ist, daß die Welt eben sowohl durch Misbräu che als durch Gesetze regiert wird, hat den Fürsten nicht allezeit erlaubt, einer Gefahr gänzlich abzuhel
fen, welche dazu mit nützlichen und heiligen Sachen verknüpft ist. Einem andern als seinem Oberherren den Eid ablegen, ist bey einem Layen ein Verbrechen der beleidigten Majestät; in dem Kloster ist es eine gottesdienstliche Handlung. Die Schwierigkeit zu wissen, wie weit man diesem fremden Oberherren ge horchen müsse, die Leichtigkeit sich verführen zu las sen, das Vergnügen ein natürlich Joch abzuschütteln, um sich unter eines zu begeben, das man sich selbst erwählet hat, der Geist des Aufruhrs, das Unglück der Zeiten, haben nur allzu oft ganze geistliche Or den verleitet, dem römischen Hofe wider ihr Vater land zu dienen. Der aufgeklärte Geist, welcher seit einem Jahr hunderte in Frankreich herrschet, und sich fast in allen Ständen ausgebreitet hat, ist das sicherste Mittel wi der diesen Misbrauch gewesen. Die guten Bücher, welche man über diese Materie geschrieben hat, sind wahre den Völkern und den Königen erwiesene Dien ste, und eine von den großen Veränderungen, welche sich, unter dem vierzehnten Ludewig, in unsern Sitten dadurch ereignet hat, ist die Ueberzeugung, in welcher alle Geistliche zu seyn anfangen, daß sie fürs erste Unterthanen des Königs, und alsdann Diener des Pabsts sind. Die Gerechtsamkeit, dieses wesentliche Zeichen der Oberherrschaft, ist noch bey dem päbstli chen Stuhle geblieben. Frankreich selbst, aller Frey heiten der gallischen Kirche ungeachtet, leidet es noch, daß man sich in geistlichen Fällen, als die letzte Zu flucht, auf den Pabst beruft. Wenn man eine Ehe aufheben, wenn man eine nahe Anverwandtinn heirathen, wenn man sich von sei
nen Gelübden lösen lassen will, so wendet man sich nach Rom, und nicht an seinen Bischof. In Rom werden die Gnadenbezeugungen geschätzt, und in Rom kaufen Privatpersonen aus allen Staaten Erlassungen, sie mögen kosten, was sie kosten. Diese Vorzüge, welche von vielen als eine Folge der größten Misbräuche, und von andern als die Ueberbleibsel der heiligsten Rechte, angesehen werden, werden mit einer bewundernswürdigen Kunst erhalten. Rom wendet eben so viel Staatsklugheit an, sein An sehen zu erhalten, als die römische Republik anwen dete, die Hälfte der bekannten Welt zu erobern. Nie hat ein Hof sich besser nach den Menschen und nach den Zeiten zu richten gewußt. Die Päbste sind meistens Italiener, welche in den Geschäfften grau geworden, und ohne Leidenschaften, welche sie ver blenden könnten. Ihr Rath besteht aus Kardinälen, die ihnen gleichen, und alle von ebendemselben Gei ste belebt werden. Aus diesem Rathe kommen Be fehle, welche bis nach China und Amerika gehen; in diesem Verstande erstreckt er sich über die ganze Welt, und man kann das davon sagen, was ehemals ein Ausländer von dem römischen Senate sagte: ich habe eine Versammlung von Königen gesehen. Die mei sten unsrer Schriftsteller haben sich mit Rechte wider den Stolz dieses Hofes aufgelegt; ich finde aber kei nen unter ihnen, der ihm wegen seiner Klugheit habe Recht wiederfahren lassen. Ich weis nicht, ob eine andere Nation so lange Zeit so viel stets bestrittene Vorzüge, in Europa, würde erhalten haben. Jeder andre Hof würde sie vielleicht entweder aus Unbieg samkeit, oder aus Weichlichkeit, entweder aus Lang
samkeit oder aus Heftigkeit verlohren haben. Rom aber, welches fast stets Standhaftigkeit und Bieg samkeit zur rechten Zeit anzuwenden weis, hat alles erhalten, was es menschlicher Weise hat erhalten kön nen. Kriechend sahe man es unter Carl dem V,
schrecklich unserm Könige Heinrich dem III, bald Feind, bald Freund gegen Heinrichen den IV, schlau gegen Ludewigen den XIII, und dem XIVten Ludewig zeigte es sich offenbar entgegen, zu der Zeit, da er am meisten zu fürchten war. Oft ist es ein heimli cher Feind selbst der Kaiser gewesen, welchen es we niger als den türkischen Sultanen getrauet hat. Einige Rechte, viele Ansprüche, und noch mehr Staatsklugheit: Dieses ist es alles, was jetzo noch in Rom von der alten Macht übrig ist, welche sechs Jahrhunderte vorher das römische Reich und ganz Europa der päbstlichen Krone unterwerfen wollte. Neapel ist ein noch fortdaurender Beweis von dem Rechte, welches sich die Päbste vormals mit so vieler Kunst und Größe anzumaßen wußten, Königreiche zu machen und zu verschenken. Allein der König in Spanien, Besitzer dieses Staats, ließ dem römischen Hofe nichts, als die Ehre und die Gefahr, ei nen allzu mächtigen Vasall zu haben.
Von den übrigen Theilen Italiens.
Uebrigens war der päbstliche Staat in einer glück lichen Ruhe, welche durch nichts war unter brochen worden, als durch einen kleinen Krieg zwi schen den Kardinälen Barberini, den Nepoten des Pabsts Urbanus des VIII, und dem Herzoge von Parma; ein Krieg von kurzer Dauer, und wobey wenig Blut vergossen wurde, so wie man ihn von den neuen Römern erwarten konnte, deren Sitten nothwendig dem Geiste ihrer Regierung gemäß seyn
müssen. Der Kardinal Barberini, der Urheber die ser Unruhen, zog an der Spitze seiner kleinen Armee mit Ablaßbriefen vorher. Die größte Schlacht, wel che vorfiel, war zwischen vier bis fünf hundert Mann auf beyden Seiten. Die Festung Pirgaia ergab sich auf Gnade und Ungnade, als sie die Artillerie her beykommen sahe. Diese Artillerie bestund aus zwo Feldschlangen. Gleichwohl waren zu Beylegung die ser Unruhen, welche nicht einmal einen Platz in der Geschichte verdienen, mehr Unterhandlungen nöthig, als wenn es einen Streit zwischen Rom und Kartha go betroffen hätte. Man führt diese Begebenheit nur deßwegen an, daß man das Genie des heiligen Roms kennen lerne, welches alles mit Unterhandlungen be schließt, so wie das alte Rom alles mit Siegen be schloß. Die übrigen Provinzen Italiens waren in ein ver schiedenes Interesse verwickelt. Venedig fürchtete sich vor den Türken und vor dem Kaiser; kaum konn te es die Staaten in dem festen Lande wider die An sprüche Deutschlands, und wider die Einfälle des Großsultans vertheidigen. Es war nicht mehr das Venedig, welches ehemals das Haupt der Handlung durch die ganze Welt war, und hundert und funfzig Jahre vorher die Eifersucht so vieler Könige erweckt hatte. Seine weise Regierung war immer noch eben dieselbe, seine große Handlung aber war zu nichte ge worden, und hatte ihr also allen Nachdruck entzogen. Venedig war durch seine Lage nicht im Stande über wunden zu werden, und durch seine Schwäche nicht im Stande Eroberungen zu machen. Der Staat von Florenz genoß der Ruhe und des Ueberflusses unter der Regierung der Medices. Die Wissenschaften, die Künste, die Artigkeit, welche die Medices hatten wachsen lassen, blühten noch. Flo renz war damals in Italien, was Athen in Griechen land gewesen war. Savoyen, welches der bürgerlicheKrieg und die französischen und die spanischen Truppen verwüstet hat ten, hatte sich nunmehr gänzlich mit Frankreich verbunden, und trug in Italien das Seine zur Schwä chung des österreichischen Hauses bey. Die Schweizer erhielten damals, wie jetzt, ihre Freyheit, ohne daß sie jemanden zu unterdrücken such ten. Sie verkauften ihre Truppen an ihre reichern Nachbarn; sie waren arm; sie wußten von den Wis senschaften und den Künsten nichts, welche Gemäch lichkeit und Pracht erfanden; aber sie waren weise und glücklich.
Von den nordischen Staaten.
Die nordischen Völker Europens, Pohlen, Schwe den, Dännemark, Moscau, waren, wie die übrigen Mächte, beständig im Mistrauen oder Krieg mit einander. Man sahe, wie noch jetzo, in Pohlen die Sitten und die Regierung der Gothen und Fran ken; einen erwählten König; Edelleute, welche an sei ner Gewalt Theil nahmen; ein sklavisches Volk; eine schwache Infanterie; eine aus lauter Edelleuten be stehende Reiterey; keine befestigten Städte und fast gar keine Handlung. Dieses Volk wurde bald von den Schweden, bald von den Russen, bald von den Türken angefallen. Schweden, welches seiner Einrich tung nach noch freyerer ist, indem es sogar die Bauren mit unter die Reichsstände aufnimmt, damals aber seinen Königen folgsamer war als Pohlen, war bey nahe überall Sieger. Dännemark, welches ehedem Schweden fürchterlich war, war es jetzo nieman den mehr. Moscau aber lag noch in seiner Barbarey.
Von den Türken.
Die Türken waren das nicht, was sie unter den Selims, den Mahomets und den Solimanns gewesen waren. Die Weichlichkeit verderbte das Se rail, ohne die Grausamkeit daraus zu vertreiben. Die
Sultane waren zu gleicher Zeit die unumschränktesten, und die wegen ihres Throns und ihres Lebens am we
nigsten gesicherten Beherrscher. Osman und Jbra him waren durch den Strick gestorben. Mustapha war zweymal abgesetzt worden. Das durch die Er schütterungen schwankende türkische Reich, ward noch dazu von den Persern angefallen; so bald es aber die Perser zu Athem kommen ließen und die Unruhen in dem Serail zu Ende waren, ward dieses Reich der Christenheit sehr schrecklich; denn von dem Ausflusse des Dniepers an bis an die Staaten von Venedig sahe man, daß bald Moscau, bald Ungarn, bald Griechenland, bald die Inseln, eines nach dem an dern, die Beute der türkischen Waffen wurden. Seit dem Jahre 1635 setzte es unabläßlich den der Christen heit so verderblichen Krieg wegen Candia fort. Die ses waren die Lage, die Stärke und das Interesse der vornehmsten europäischen Nationen, zur Zeit des Todes Ludewigs des XIII, Königs von Frankreich.
Die Stellung, worinne sich Frankreich befand.
Frankreich, welches mit Schweden, Holland, Sa voyen, Portugall verbunden war, und auch die Wünsche anderer Völker, welche in der Unthätlichkeit geblieben waren, vor sich hatte, führte gegen das Reich und Spanien einen Krieg, welcher beyde Thei le schwächte und dem Hause Oesterreich verderblich
war. Dieser Krieg war allen denen gleich, welche seit so vielen Jahrhunderten zwischen den christlichen Potentaten geführt werden: es werden einige Millio nen Menschen aufgeopfert, ganze Provinzen werden verwüstet, um einige kleine Gränzörter zu erhalten, deren Besitz niemals so viel werth ist, als was sie zu erobern gekostet haben. Die Generale Ludewigs des XIII hatten Rußil lon weggenommen. Die Catalonier hatten sich an die Kron Frankreich übergeben, als an die Beschütze rinn ihrer Freyheit, die sie wider ihre Könige ver theidigten. Doch hatte aller dieser glückliche Fort gang die Feinde nicht verhindert, im Jahre 1637 Cor bie einzunehmen, und bis nach Pontoise zu kommen. Die Furcht hatte die Hälfte der Einwohner aus Pa
ris vertrieben, und der Kardinal von Richelieu ward, mitten unter seinen weitläuftigen Unternehmungen, die österreichische Macht zu demüthigen, genöthiget, die Thorwege in Paris zu schätzen, daß jeder einen Bedienten zum Kriege hergeben mußte, um die Fein de von den Thoren der Hauptstadt zurück zu treiben. Die Franzosen hatten also den Spaniern und Deutschen nicht wenig Uebel erwiesen, und mußten eben so viel wieder ausstehen.
Die Sitten damaliger Zeit.
Die Kriege hatten berühmte Generale hervorge bracht, einen Gustav Adolph, einen Wallen
stein, einen Herzog von Weimar, einen Picolomini,
einen Johann von Vert, einen Marschall von Gue briant, die Prinzen von Oranien, den Grafen von Harcourt. Die Staatsminister hatten sich nicht we niger hervorgethan. Der Kanzler Ochsenstiern, der
Graf Ducas Olivarez, vor allen aber der Kardinal von Richelieu hatten die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich gezogen. Es ist kein Jahrhundert, welches nicht Staatsleute und bekannte Krieger ge habt habe. Die Staatsklugheit und die Waffen scheinen unglücklicher Weise die zwey Handwerke zu seyn, welche den Menschen am natürlichsten sind; ent weder sie unterhandeln sich, oder sie schlagen sich. Der Glücklichste wird für den Größten gehalten, und die Welt schreibt oft das den Verdiensten zu, woran niemand als das Glück Ursache ist. Der Krieg ward nicht so geführet, wie wir gesehen haben, daß er zu Zeiten Ludewigs des XIV geführet wurde. Die Armeen waren nicht so zahlreich, und seit der Belagerung von Metz durch Carl den V hat te sich kein General an der Spitze von funfzig tau send Mann gesehen. Man belagerte und vertheidigte die Oerter mit weit weniger Canonen, als jetzo. Die Kunst zu befestigen war noch in ihrer Kindheit; die Picken und Doppelhaken waren noch im Gebrauch; man hatte die Vertheidigungswaffen noch nicht ganz abgelegt; es waren noch alte Völkergesetze übrig, wie zum Exempel das Gesetze, den Krieg durch einen He rold ankündigen zu lassen. Ludewig der XIII war der letzte, welcher diese Gewohnheit beobachtete. Er schickte einen Herold nach Brüssel den Krieg wider Spanien im Jahre 1635 anzukündigen. Nichts war damals gewöhnlicher, als daß Priester Kriegsheere anführten. Der Kardinal Infant, der Kardinal von Savoyen, Richelieu, la Valette, der Erzbischof von BourdeaurBourdeaux, hatten den Harnisch an gelegt und den Krieg in eigner Person geführt. Die Päbste drohten dann und wann diesen kriegerischen Priestern mit dem Banne. Pabst Urbanus der VIII, als er gegen Frankreich unwillig war, ließ dem Kardi nal de la Valette sagen, er würde ihn der Kardinals würde entkleiden, wenn er die Waffen nicht ablegte; doch kaum hatte er sich wieder mit Frankreich vereinet, als er ihn mit Segen überschüttete. Die Abgesandten, welche eben so wenig Diener des Friedens als die Geistlichen waren, machten keine Schwierigkeit unter den Armeen der Bundsgenossen, bey welchen sie gebraucht wurden, Dienste zu thun. Der französische Abgesandte in Holland, Charnace, führte im Jahre 1637 daselbst ein Regiment an, und nach der Zeit war so gar der Gesandte von Estrade Oberster in ihren Diensten. Frankreich hatte in allen nicht mehr als ungefähr achtzig tausend Mann wirklich auf den Beinen. Das Seewesen, welches seit Jahrhunderten ganz entkräf tet lag, von dem Kardinal von Richelieu aber in et
was wieder hergestellt war, ward unter dem Maza rin zu Grunde gerichtet. Ludewig der XIII hatte nicht mehr als ungefähr dreyßig Millionen wirklicher Ein künfte; das Silber aber war die Mark zu sechs und zwanzig Livers, so daß diese dreyßig Millionen auf die sieben und funfzig Millionen jetziger Zeit ausma chen, da man den willkürlichen Werth einer Mark
Silbers bis auf neun und vierzig eingebildeter Livers gesteigert hat, ein so ausschweifender angenommener Werth, daß er unmöglich, wenn man der Gerechtig keit und dem gemeinen Besten gemäß verfahren will, mehr erhöht werden kann. Die heut zu Tage überall ausgebreitete Handlung war damals in sehr weniger Händen. Die Policey des Reichs ward gänzlich verabsäumet; ein sicherer Beweis einer unglücklichen Verwaltung. Der Kar dinal Richelieu, welcher mit seiner eignen Größe, die er mit der Größe des Staats verknüpfte, beschäfftiget war, hatte angefangen Frankreich von außen fürchter lich zu machen, ohne daß er es von innen blühender hatte machen können. Die Landstraßen wurden we der ausgebessert noch beobachtet, die Räuber machten sie unsicher; selbst die Gassen in Paris waren enge, übel gepflastert, voller ekeln Unbequemlichkeiten und mit Spitzbuben angefüllt. Aus den Registern des Parlements sieht man, daß die ganze Wache in der Stadt ungefähr aus fünf und vierzig Leuten bestand, welche übel bezahlt wurden, und nicht einmal dienten. Seit dem Tode des zweyten Franciscus, war Frankreich beständig entweder durch bürgerliche Krie ge verheert oder durch Rotten beunruhiget. Niemals hatte man das Joch ruhig und willig getragen. Die Vornehmen waren in Verschwörungen erzogen wor den, und diese machten die Kunst des Hofes aus, so wie sie sich hernach in die Kunst dem Könige zu ge fallen, verwandelte. Dieser Geist der Uneinigkeiten und Rotten war von dem Hofe bis in die kleinsten Städte gedrungen, und hatte alle Stände des Reichs eingenommen.
Man stritt sich über alles, weil nichts festgesetzt war; so gar die Kirchspiele in Paris wurden handgemenge. Die Proceßionen schlugen sich mit einander zu Ehren ihrer Baniere. Man sahe nicht selten die Canonici U. L. Fr. mit den Canonicis der heiligen Kapelle im Streit. Das Parlement und die Rechnungskammer prügelten sich in der Kirche wegen der Oberstelle, an dem Tage, den Ludewig der XIII dem Schutze der hei ligen Jungfer übergab. Beynahe alle Stände des Reichs waren bewaffnet, beynahe alle Privatpersonen wurden von der Wuth des Zweykampfes getrieben. Diese gothische Bar barey, welche vorher von den Königen selbst war ge billiget worden, und nun der Charakter der Nation geworden war, trugen eben so viel zu der Entvölkerung des Landes bey, als die innerlichen und auswärtigen Kriege. Man übertreibt nichts, wenn man saget, daß in zwanzig Jahren, wovon zehne der Krieg be unruhigte, mehr Franzosen von der Hand der Fran zosen, als von der Hand der Feinde umkamen. Man wird hier nichts von der Art gedenken, wie die Künste und Wissenschaften getrieben wurden; dem diesen Theil der Geschichte unsrer Sitten wird man an seinem Orte finden. Nur dieses muß man hier anmerken, daß die französische Nation in die Unwissenheit versunken war, ohne so gar diejenigen auszunehmen, welche nicht von dem Pöbel entsprossen zu seyn glaubten. Man befragte die Sterndeuter, und glaubte ihnen.
Alle Geschichtbücher dieser Zeiten, von der Historie des Thuanus anzufangen, sind mit Vorherverkün
digungen angefüllt. Der ernsthafte Herzog von Sully
erzählt diejenigen in allem Ernste, welche dem vierten Heinrich geschahen. Diese Leichtgläubigkeit, der un trüglichste Beweis der Unwissenheit, war so durch gängig angenommen, daß man einen Sterndeuter
neben dem Zimmer der Königinn Anna von Oester reich, in dem Augenblicke der Geburt Ludewigs des XIV, verborgen hielt. Was man kaum glauben wird, und was gleich wohl ein zeitverwandter Schriftsteller, welcher sehr wohl davon unterrichtet seyn konnte, erzählet, ist, daß Ludewig der XIII, von seiner Kindheit an, den Beynamen des Gerechten führte, weil er unter dem Zeichen der Waage gebohren war. Eben die Schwachheit, welche den närrischen Aberglauben der Sterndeuterey in Schwang brachte, verursachte auch, daß man die Besitzungen und Zaubereyen glaubte. Man machte ein Stück der Religion daraus, und man sahe überall Priester, welche die Geister beschworen. Die Gerichte, wel che mit Personen besetzt waren, die erleuchteter hätten seyn sollen, waren mit nichts als mit Hexenprocessen beschäfftigt. Man wird nie aufhören dem Anden ken des Kardinals von Richelieu den Tod des berüch
tigten Predigers zu Loudun, Urbans Grandier, wel cher als ein Zauberer durch eine Commission des Staatsraths zum Feuer verdammt wurde, vorzu werfen. Man muß sich ärgern, daß das Ministe rium und die Richter die Schwachheit, an die Teu fel zu Loudun zu glauben, und die Grausamkeit ge habt haben, einen Unschuldigen der Flamme aufzu opfern. Die letzte Nachwelt wird noch mit Erstaunen daran gedenken, daß die Marschallin von Ancre auf
dem öffentlichen Gerichtsplatze, als eine Hexe verbrannt worden; daß der Rath Courtin, dieses unglückliche Frauenzimmer bey dem Verhöre gefragt, welcher Zauberey sie sich bedient habe, den Geist der Me dicis nach ihrem Willen zu lenken; daß ihm die Mar schallin geantwortet: Ich habe mich der Ge walt bedient, welche starke Geister über schwache Geister haben; und daß endlich diese Antwort ihr Todesurtheil beschleuniget. In einer Abschrift einiger Register des Chatelets findet man noch einen Proceß von 1601, wegen eines Pferdes, welches sein unermüdeter Herr, ungefähr so abgerichtet hatte, wie man jetzt dergleichen auf den Jahrmärkten sieht. Man wollte den Herrn mit samt dem Pferde, als Hexenmeister, verbrennen. Dieses mag genug seyn, die Sitten und den Geist des Jahrhunderts, welches vor dem Jahrhunderte Ludewigs des XIV vorhergieng, überhaupt zu erkennen zu geben. Dieser Mangel der Einsichten, welcher allen Ständen gemein war, unterhielt bey den ehrlichsten Leuten abergläubische Gebräuche, welche die Religion schändeten. Die Calvinisten verwechselten mit dem vernünftigen Gottesdienste der Katholiken, die Misbräuche dieses Gottesdienstes, und wurden da durch in dem Hasse gegen unsere Kirche immer mehr und mehr befestigt. Sie setzten den Aberglauben des Pöbels, welcher oft voller Ausschweifungen der Un mäßigkeit war, ein bittre Härte und wilde Sitten entgegen, welches der Charakter fast von allen Kir chenverbeßrern ist. Frankreich ward also durch den Geist der Parteylichkeit auf das schändlichste zer
rissen; und der gesellschaftliche Geist, welcher dieses Volk jetzo so berühmt und liebenswürdig macht, war gänzlich unbekannt. Da sahe man keine Häuser, wo sich Leute von Verdiensten versammelten, ihre Einsichten einander mitzutheilen; keine Akademien; keine Schauplätze. Kurz, Sitten, Gesetze, Künste, Wissenschaften, Religion, Friede und Krieg hatten nichts von dem, was man in dem Jahrhunderte sahe, welche wir das Jahrhundert Ludewigs des XIV nennen.
Zweytes Hauptstück.
Ludewigs des XIV Minderjährigkeit. Siege der Franzosen unter dem großen Conde, damaligen Herzog von Enguien.
Der Kardinal von Richelieu und Ludewig der XIII waren gestorben; der eine wurde be wundert und gehaßt, der andere war schon vergessen. Sie hatten den Franzosen, welche da mals sehr unruhig waren, Abscheu gegen das Mi nisterium, und wenig Ehrfurcht für den Thron hin
terlassen. Ludewig der XIII richtete in seinem Testa mente einen Rath auf, welcher die Regierung ver walten sollte. Dieser Monarche, welchem man bey seinem Leben wenig gefolget hatte, schmeichelte sich,
daß es nach seinem Tode eher geschehen würde; das erste aber, was seine Wittwe Anna von Oesterreich that, war dieses, daß sie durch einen Schluß des Parlements zu Paris den letzten Willen ihres Man nes für nichtig erklären ließ. Das Parlement war schon seit langer Zeit dem Hofe entgegen, und hatte unter Ludewigen kaum die Freyheit behalten Gegen vorstellungen thun zu dürfen; es hob also das Testa ment seines Königs mit eben der Leichtigkeit auf, mit welcher es etwa eine Streitsache zwischen gemeinen Bürgern würde entschieden haben. Anna von Oesterreich wendete sich an diese Versammlung, um eine uneingeschränkte Regierung zu erhalten; weil
sich Maria von Medicis nach dem Tode Heinrichs des IV gleichfalls dieses Tribunals bedient hatte, und ihr also hierinne vorgegangen war; und weil jeder andere Weg ungewiß und langweilig würde gewesen seyn, das von den Wachen umringte Parlement aber ihrem Willen nicht widerstehen konnte, und ein Schluß, welchen das Parlement und die Pairs er gehen ließen, das unwidersprechlichste Recht festzuse tzen schien *.
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Die Gewohnheit, welche den Müttern der Köni ge die Verwaltung der Regierung zugesteht, schien den Franzosen damals eben sowohl ein Grundgesetz, als dasjenige, welches die Weibespersonen von der Krone ausschließt. Das Parlement von Paris, welches nunmehr schon zweymal diesen Punkt ent schieden hatte, und einzig und allein dieses Recht der Mütter durch seine Schlüsse festgestellet hatte, schien die Verwaltung der Regierung eigenmächtig ertheilt zu haben. Es sahe sich, nicht ohne Wahr scheinlichkeit, als den Vormund der Könige an, und jeder Parlementsrath glaubte ein Theil der Oberherr schaft zu seyn. Anna von Oesterreich war anfangs genöthigt den
Krieg wider den König von Spanien, den IVten Philipp, ihren Bruder, welchen sie liebte, fortzu setzen. Es ist schwer eigentlich zu sagen, warum man diesen Krieg führte. Man verlangte nichts von Spanien, auch nicht einmal Navarra, welches doch das väterliche Erbtheil der Könige von Frankreich hätte seyn sollen. Man schlug sich seit 1635 herum, weil es der Kardinal von Richelieu so haben wollte. Frankreich und Schweden griffen auch den Kaiser an; die Stärke des Krieges aber war um diese Zeit auf der Seite von Flandern. Die spanischen Truppen rückten aus dem Hennegauischen, an die 26000 Mann stark, unter der Anführung eines alten ver suchten Generals, mit Namen Don Francisco de Me los. Sie verwüsteten die Gränzen von Cham pagne; sie fielen Rocroy an, und hofften gar bald bis vor die Thore von Paris zu dringen, wie sie es acht Jahr vorher gethan hatten. Der Tod Lude
wigs des XIII, die Ohnmacht einer Minderjährig keit machten ihre Hoffnung noch stärker, und als sie sahen, daß man ihnen nichts als eine Armee entge genstellte, welche an Anzahl viel geringer war, und von einem Jünglinge von 21 Jahren angeführet wurde, so verwandelte sich ihre Hoffnung in Si cherheit. Dieser unerfahrne Jüngling, welchen sie so ver
achteten, war Ludewig von Bourbon, damaliger Herzog von Enghien, welcher hernach unter dem Namen des großen Conde bekannt ward. Die mei sten großen Feldherren sind es stufenweise geworden. Dieser Prinz war als General gebohren; die Kriegs kunst schien bey ihm ein natürlicher Trieb zu seyn; und in ganz Europa war nur er, und der schwedische Torstenson, welche im zwanzigsten Jahre den Geist hatten, der alle Erfahrung entbehren kann. Der Herzog von Enghien hatte mit der Nachricht von dem Tode Ludewigs des XIII den Befehl erhal ten, keine Schlacht zu wagen. Der Marschall von Hopital, welcher ihm zum Rathgeber und Führer beygegeben war, unterstützte diese furchtsamen Befehle durch seine Vorsichtigkeit. Der Prinz glaubte weder dem Hofe noch dem Marschalle; er vertraute sein Vorhaben niemanden als dem Feldmarschall Gassion, ein Mann, welcher es werth war, von ihm zu Rathe gezogen zu werden, und beyde zwungen den Mar schall, daß er die Schlacht selbst für nöthig erken nen mußte. Man hat angemerkt, daß der Prinz die Nacht vor dem Treffen, nachdem er den Abend zuvor alles in Ordnung gebracht hatte, so fest geschlafen, daß
man ihn, als es Zeit zum Angriffe war, aufwecken mußte. Man erzählet eben dieses von dem Alexan der. Es ist natürlich, daß ein junger Mensch, von den Anordnungen, welche ein so wichtiger Tag erfor dert, entkräftet, in einen tiefen Schlaf verfällt; und eben so natürlich ist es, daß ein zum Kriege ge bohrner Geist alles, ohne sich zu beunruhigen, ver richtet, und also gesetzt genug bleibt, ungestört zu schlafen. Der Prinz gewann die Schlacht durch sich selbst, durch seinen Blick, welcher die Gefahr und die Mittel dagegen zugleich sahe, durch seine Thätigkeit, welche von aller Verwirrung frey war, und ihn an alle Orte zu rechter Zeit brachte. Er war es, wel cher mit der Reiterey das bisher unüberwindliche spanische Fußvolk angriff, welches so stark und ge drungen war, als nur immer der berühmte alte Phalanx gewesen ist, und sich mit einer Geschwindig keit, welche der Phalanx nicht hatte, eröffnete, das Feuer von 18 Canonen durchzulassen, welche es mit ten in sich schloß. Der Prinz umringte sie, und griff sie dreymal an. Kaum war er Sieger, als er das Niedermetzeln aufhören ließ. Die spanischen Officiere warfen sich zu seinen Füßen, um bey ihm eine Zuflucht gegen die Wuth des siegenden Solda
tens zu finden. Der Herzog von Enghien wandte eben so viel Sorgfalt an sie zu schonen, als er sie zu überwinden angewendet hatte. Der alte Graf Fuentes, welcher das spanische Fußvolk anführte, starb, von unzähligen Hieben
verwundet. Conde, als er es erfuhr, sagte: er wünschte wie er gestorben zu seyn, wenn er nicht ge siegt hätte. Die Hochachtung, welche man noch in Europa für die spanischen Waffen hatte, fiel nunmehr gänz lich, und man fing an die französischen Waffen zu schätzen, welche, seit hundert Jahren, keine so merk würdige Schlacht gewonnen hatten; denn der blutige
Sieg bey Marignano, welchen Franciscus der erste mehr streitig machte als gewann, war eben sowohl ein Werk der deutschen schwarzen Banden, als der französischen Truppen. Die Schlachten bey Pavia und S. Quentin wa ren noch dem Ruhme Frankreichs sehr nachtheilige Zeitpunkte. Heinrich der IV hatte das Unglück ge habt, nur über sein eigen Volk ansehnliche Vortheile davon zu tragen. Unter dem XIIIten Ludewig hatte der Marschall von Guebriant einigen glücklichen Fort gang gehabt, welchem aber immer anderweitige Ver luste das Gleichgewicht hielten. Große Schlachten, welche die Staaten erschüttern, und auf ewig in dem Gedächtnisse der Menschen bleiben, hatte zu dieser Zeit niemand als Gustav Adolph geliefert. Diese Schlacht bey Rocroy ward der Zeitpunkt, bey welchem sich der Ruhm Frankreichs wie der
Ruhm des Prinzen von Conde anfing. Er wußte zu siegen, und sich des Sieges zu bedienen. Seine Briefe, die er an den Hof schrieb, machten, daß man die Belagerung von Diedenhofen beschloß, wel che der Kardinal von Richelieu noch nicht hatte wa gen wollen, und als seine Curiers wieder zurückka men, so fanden sie schon alles zu diesem Unternehmen in Bereitschaft. Der Prinz von Conde gieng mitten durch das feindliche Land, betrog die Wachsamkeit des General
Beck, und nahm endlich Diedenhofen ein *. Von hier eilte er zu der Belagerung von Sirke, und mach te sich davon Meister. Er zwang die Deutschen wie der über den Rhein zurück zu gehen, gieng hernach selbst darüber, und ersetzte den Verlust und die Nie derlage, welche die Franzosen in dieser Gegend nach dem Tode des Marschalls von Guebriant erlitten hat ten. Er fand Freyburg schon eingenommen, und den General Mercy mit einer Armee vor ihren Mau
ren, welche der seinigen weit überlegen war. Conde hatte zweene Marschalle von Frankreich unter sich, den
Marschall von Gramont nämlich, und den Vicomte von Turenne, welcher damals schon für einer der ge schicktesten Feldherren seiner Zeit gehalten, und so gar mit dem Marschall von Guebriant verglichen wurde. Mit diesen griff er das Lager des Generals Mercy an, welches an zwo Anhöhen verschanzt lag **. Das Treffen fing sich dreymal an drey verschiedenen Tagen
an. Man sagt, der Herzog von Enghien habe sei nen Commandostab in die feindlichen Verschanzungen geworfen, ihn mit dem Degen in der Faust an der Spitze des Regiments von Conty wieder zu holen. Solche kühne Handlungen waren vielleicht nothwen dig, um die Truppen zu so gefährlichen Angriffen zu führen. Diese Schlacht bey Freyburg, welche blu tiger als entscheidend war, ward für den zweyten Sieg dieses Prinzen gerechnet. Mercy brach den vierten Tag hernach mit seinem Lager auf. Die Uebergabe von Philippsburg und Maynz war der Beweis und die Frucht des Sieges.
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Das folgende Jahr lieferte er die Schlacht bey Allernheim in der Ebene von Nördlingen *. Gra mont und Turenne commandirten damals noch unter ihm. Mercy und Glene waren an der Spitze der feindlichen Armee. Der Sieg der Franzosen war vollständiger und nicht weniger blutig, als bey Frey burg. Der Marschall von Gramont ward zum Kriegsgefangenen gemacht; Mercy aber blieb, und Glene ward auch gefangen. Jener, welcher unter die größten Feldherren gerechnet zu werden verdienet, ward auf dem Schlachtfelde begraben, und man setzte auf sein Grabmaal die lateinische Ueberschrift: Sta, Viator, Heroem calcas. Stehe stille, Wanderer! du trittst einen Helden mit Füßen. Der Prinz belagerte ** hierauf, im Angesichte der spanischen Armee, Dünkirchen, und er war der erste, welcher diesen Platz an Frankreich brachte. So viel Fortgang und so viel Verdienste, welche ihm mehr Verdacht als Belohnung bey Hofe zuwege brachten, machten ihn dem Ministerio eben so fürch terlich, als den Feinden. Man nahm ihn von dem Schauplatze seiner Siege und seines Ruhmes, und schickte ihn nach Catalonien mit übel bezahlten Trup pen; wo er Lerida belagerte, und genöthiget ward, die Belagerung aufzuheben. Man giebt ihm in ver schiedenen Büchern eine Großthuerey schuld, weil er die Laufgraben unter dem Klange der Geigen eröffnen ließ ***; und man weiß nicht, daß dieses der Ge brauch damals in Spanien war.
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Das umschlagende Glück nöthigte den Hof gar bald, ihn wieder nach Flandern zurück zu rufen. Der Erzherzog Leopold, der Bruder des Kaisers, belagerte Lens in der Grafschaft Artois. Als Conde seinen Truppen wieder gegeben war, welche beständig unter ihm gesieget hatten, so führte er sie gerade auf den Erzherzog los. Dieses war das dritte mal, daß er, mit weniger Mannschaft als der Feind, schlug. Er sagte zu seinen Soldaten nichts als diese Worte: Freunde, gedenkt an Rocroy, an Freyburg und an Nördlingen. Diese Schlacht bey Lens machte seinen Ruhm vollkommen. Er löste selbst den Marschall von Gramont aus, indem er den General Beck gefangen nahm. Kaum daß der Erzherzog mit dem Grafen von Fuensaldagne davon kam *. Die Kaiserlichen und die Spanier, aus welchen diese Armee bestand, wurden zerstreuet; sie verloren mehr als hundert Fahnen, und dreyhun dert und acht Kanonen; welches damals was sehr ansehnliches war. Man machte fünf tausend von ih nen zu Gefangenen, drey tausend tödtete man, und der Rest gieng durch, so, daß der Erzherzog gänzlich ohne Armee blieb. Indessen, daß Prinz von Conde** die Jahre seiner Jugend nach Siegen zählte, und der Bruder Ludwigs des XIII, der Herzog von Orleans, die Ehre eines Sohnes Heinrichs des IVten, und die EhreFrankreichs, durch die Einnahmen der Festun gen Grevelingen, Courtray und Mardyck, verthei
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digte *; hatte der Vicomte von Turenne Landau ein genommen, die Spanier aus Trier verjagt, und den Churfürsten wieder eingesetzet **. Er gewann mit den Schweden die Schlachten bey Lauingen, und Sommershausen, und zwang den Churfürst von Bayern, beynahe im 80ten Jahre sei nes Alters, aus seinen Staaten zu weichen ***. Der Graf von Harcourt nahm Bologne ein †, und schlug die Spanier. In Italien verloren sie Portolongone. Zwanzig französische Schiffe und zwanzig Galee ren, in welchen beynahe die ganze Seemacht bestand, wie sie Richelieu dem Reiche wieder hergestellet hatte, schlugen die spanische Flotte an den Küsten Italiens ††. Dieses war noch nicht alles. Die französischen
Waffen hatten dem Herzoge, Carl dem IVten, Loth ringen weggenommen. Dieser Herzog war ein tapferer Soldat, aber unbeständig, unvorsichtig und unglücklich, welcher sich mit einmal von Frankreich seiner Länder beraubet, und von den Spaniern als ein Gefangener zurück behalten sahe. Die französischen Bundsgenossen bestürmten die österreichische Macht gegen Mittag und gegen Mit ternacht.
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Der portugiesische General, der Herzog von Al buquerque, gewann gegen die Spanier die Schlacht bey Badajox *. Torstenson schlug die Kaiserlichen bey Tabor, und trug einen völligen Sieg davon **. Der Prinz von Oranien, welcher an der Spitze der Holländer war, drang bis in das Brabantische. Der König von Spanien, welcher auf allen Sei ten geschlagen wurde, sah Roußillon und Catalonien in den Händen der Franzosen ***. Neapel hatte wider ihn einen Aufstand erreget, und sich an den
Herzog von Guise ergeben, dem letzten Prinzen von diesem Aste des an berühmten und gefährlichen Män nern so fruchtbaren Hauses. Dieser, welchen man für nichts als für einen Tollkühnen, welcher auf Abentheure ausgieng, ansah, weil er nicht glücklich war, hatte wenigstens die Ehre gehabt, ganz allein in einer Barke, mitten unter der spanischen Flotte, anzulanden, und Neapel einzig durch seine Tapferkeit ohne andern Beystand zu vertheidigen. Bey so vielem Unglücke, welches auf das österrei chische Haus stürmte, bey so gehäuften Siegen der Franzosen, welche von dem glücklichen Fortgange ih rer Bundesgenossen unterstützet wurden, hätte man glauben sollen, daß Wien und Madrid alle Augen blicke ihre Thore eröffnen würden, weil der Kaiser und der König von Spanien beynahe ohne Länder waren. Gleichwohl brachten fünf Jahre voller
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Ruhm, welcher mit sehr wenig Widerwärtigkeiten untermengt gewesen war, sehr wenig wesentliche Vor theile zuwege. Viel Blut war vergossen worden, Veränderungen aber erfolgten nicht. Wenn ja eine zu befürchten war, so war es auf Seiten Frankreichs, welches mitten unter seinem anscheinenden Glücke dem Untergange nahe war.
Drittes Hauptstück.
Bürgerliche Kriege.
Die Königinn Anna von Oesterreich, als unum
schränkte Regentinn, hatte den Kardinal Ma zarin zum Herrn von Frankreich und zu dem ihrigen gemacht. Er hatte diejenige Herrschaft über sie, welche ein geschickter Mann über eine Frau haben mußte, welche mit genugsamer Schwachheit, sich re gieren zu lassen, und mit hinlänglicher Standhaftig keit, auf ihrer Wahl zu bestehen, gebohren war. Ob diese Königinn durch ihr Herz oder durch ihre Staatsklugheit zu dieser Wahl gebracht worden, die ses hat man niemals erfahren können, und auch die Scharfsichtigsten werden sich umsonst bemühen, es zu ergründen. Mazarin bediente sich Anfangs seiner Gewalt sehr mäßig. Man müßte lange Zeit mit ei nem Minister gelebet haben, wenn man bestimmen wollte, welchen Grad der Schwachheit oder Stärke sein Geist gehabt habe, und wie weit seine Klugheit
oder seine Betrügerey gegangen sey. Ohne also erra then zu wollen, was Mazarin war, wollen wir bloß sagen, was er gethan hat. Er bestrebte sich im An fange seiner Größe eben so viel Einfalt sehen zu las sen, als Richelieu Hoheit gezeiget hatte. Er nahm keine Wachen an, er zog mit keiner königl. Pracht einher, und hatte zuerst ein sehr mäßiges Gefolge. Er brachte aller Orten Redseligkeit, ja sogar Weich lichkeit an, wo sein Vorfahrer nichts als unbewegli chen Stolz an Tag geleget hatte. Die Königinn wollte ihre Regentschaft und ihre Person dem Hofe und dem Volke beliebt machen, und es gelang ihr. Gaston, Herzog von Orleans, und Bruder Ludwigs
des XIII, nebst dem Prinzen von Conde unterstützten ihre Gewalt, und ihre Eifersucht, gieng auf nichts, als dem Staate zu dienen. Es waren Auflagen nöthig, den Krieg wider Spanien und das Reich fortzusetzen. Man ordnete einige an, welche in der That, wenn man sie mit dem vergleicht, was wir hernach haben bezahlen müs sen, sehr mäßig waren, für die Bedürfnisse der Mo narchie aber auch nirgends zureichen wollten. Das Parlement *, welches im Besitze war, die Ausschreibungen dieser Auflagen zu bekräftigen, setzte sich dem Edicte des Tarifs heftig entgegen, und er langte durch die Widersprüche, womit es das Ministe rium ermüdete, das Vertrauen des Volkes. Endlich brachten zwölf neugemachte Requetenmei sterstellen, und ungefähr 80000 Thaler, welche den Obercollegiis zurück behalten wurden, alle Gerichts personen, und mit den Gerichtspersonen ganz Paris
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auf. Was heut zu Tage kaum den Stoff zu einer Zeitung geben würde, erregte damals einen bürgerli chen Krieg. Broussel, einer von den Räthen der Oberkammer, ein Mensch ohne die geringste Fähigkeit, und welcher keine andern Verdienste hatte, als beständig der erste zu seyn, seine Meynung wider den Hof zu sagen, wurde in Verhaft genommen, und seine in Verhaft nehmung fiel dem Volke schmerzlicher, als ihm der Tod eines guten Königs jemals gefallen war. Man sah die Barricaden der Ligue erneuern, und das Feuer des Aufruhrs brach in einem Augenblicke aus, und schien schwer zu löschen. Die Hand des Coadjutors,
des nachmaligen Kardinals von Retz war es, welcher es vermehrte. Dieses ist der erste Bischof, welcher einen bürgerlichen Krieg angesponnen, ohne die Reli gion zum Vorwande zu brauchen. Dieser besondere Mann hat sich in seinen Denkwürdigkeiten selbst ge schildert, welche mit einer Art von Prahlerey, mit einem ungestümen Geiste, und mit einer Ungleichheit geschrieben sind, welche das wahre Bild seiner Auf führung ausmachen. Er war ein Mann, welcher in dem Schooße der Unmäßigkeit, und ganz ohnmächtig noch von den Folgen, welche sie nach sich zieht, dem Volke predigte, und von ihm fast angebethet wurde. Er athmete nichts als Meuterey und Aufruhr: schon in seinem zwanzigsten Jahre war er die Seele einer Verschwörung wider das Leben des Richelieu gewe sen: er war der Urheber der Barricaden, er verwi ckelte das Parlement in Parteyen, und das Volk in Aufruhre. Was das Wunderbarste dabey scheint, ist dieses, daß das von ihm dahin gerissene Parle
ment sich wider den Hof erhub, noch ehe es von ei nem Prinzen unterstützet wurde. Diese Versammlung war schon seit langer Zeit von dem Hofe und dem Volke mit sehr verschiedenen Augen angesehen worden. Wenn man der Stimme der sämtlichen Ministers bey Hofe glaubte, so war das Parlement zu Paris nichts als ein Gerichte, wel ches die Streitigkeiten der Bürger schlichten solle, und welches diese Macht einzig durch den Willen der Könige habe; es habe über die übrigen Parlemente des Reichs keinen andern Vorzug, als den Vorzug des Alters, und der sich am weitesten erstreckenden Gerichtsbarkeit; es sey die Versammlung der Pairs aus keiner andern Ursache, als weil der Hof in Pa ris seinen Sitz habe; es habe kein größer Recht Vor stellungen zu machen, als andere Parlementer, und dieses Recht sey noch dazu eine bloße Gnade; es sey zwar auf die Parlemente gefolget, welche ehedem die französische Nation vorgestellet, es habe aber von diesen alten Versammlungen nichts als den Namen: Der unwidersprechlichste Beweis davon sey, daß die Landstände an die Stelle dieser Nationalversammlun gen gekommen wären, und daß also das Parlement von Paris den von unsern ersten Königen gehaltenen Parlementern nicht mehr gleiche, als etwa ein Consul von Smyrna oder Aleppo einem römischen Consul. Diese einzige Irrung im Namen war der Vor wand der hochmüthigen Erkühnungen einer Ver sammlung von Rechtsgelehrten, welche alle, weil sie ihre Stellen bezahlt hatten, an der Stelle der Ueber winder von Gallien und der Lehnsherren der Krone zu seyn glaubten. Das Parlement hatte zu allen
Zeiten die Macht gemisbrauchet, welche sich ein Ober gerichte, das beständig in der Hauptstadt bleibt, nothwendiger Weise anmaßet. Es hatte sich erkühnt, einen Schluß wider Carln den VII abzufassen, und ihn aus dem Reiche zu verbannen: es hatte einen Criminalproceß wider Heinrichen den III angefangen: es hatte beständig den Monarchen, so viel wie mög lich, Widerstand gethan; und während dieser Min derjährigkeit Ludewigs des XIV, unter der sanftesten Regierung und unter der allerhuldreichsten Königinn, wollte es einen bürgerlichenKrieg wider sein Haupt, nach dem Exempel des englischen Parlements, führen,
welches damals seinen König gefangen hielt, und ihm den Kopf abschlagen ließ. Dieses waren die Reden und die Gedanken des Cabinets. Die Bürger in Paris aber, und alle, welche von den Gerichtspersonen abhingen, sahen in dem Parle mente eine erhabene Versammlung, welche mit einer verehrungswürdigen Lauterkeit das Recht sprach, wel che nichts als das Wohl des Staats, und zwar mit Hintansetzung seines Glückes, liebte, welche ihren Ehrgeiz darauf einschränkte, daß sie den Ehrgeiz der Lieblinge unterdrückte, und welche das Mittel zwi schen dem Volke und den Königen sey. Ohne den Ursprung seine Rechte und seine Gewalt zu untersu chen, schrieb man ihm die allerheiligsten Rechte und die ungezweifeltste Gewalt zu, wenn man sahe, daß es die Sache des Volks gegen Minister führte, die man verabscheute. Man nannte es den Vater des Staats, und man machte wenig Unterschied unter dem Rechte, welches die Krone den Königen giebt,
und dem, welches dem Parlemente die Gewalt gab, den Willen der Könige zu mäßigen. Zwischen diesen zwey Ausschweifungen war es fast unmöglich, den gehörigen Mittelweg zu treffen, weil man in der That keine bestätigte Gesetze dabey anfüh ren konnte, und alles von der Gelegenheit und Zeit abgehangen hatte. Unter einer strengen Regierung war das Parlement nichts: unter einem schwachen Könige war es alles, und man konnte auf dasselbe dasjenige deuten, was der Herr von Guimenee sagte, als diese Versammlung sich unter Ludwig dem XIII beklagte, daß die Abgeordneten des Adels den Vor zug vor ihr gehabt hätten: Meine Herren, wäh rend der Minderjährigkeit werden sie sich schon Genugthuung zu verschaffen wissen. Man will hier nicht alles wiederholen, was man von diesen Unruhen geschrieben hat, und ganze Bü cher abschreiben, um Kleinigkeiten aus einander zu setzen, welche damals sehr wichtig waren, und itzo beynahe vergessen sind. Man will nur dasjenige anführen, was den Geist der Nation schildert, und worinne der bürgerliche Krieg von der Schleuder von allen andern bürgerlichen Kriegen unterschieden ist. Da eine doppelte Gewalt, welche beyde nur zur Erhaltung des Friedens eingesetzt waren, das Erz bisthum und das Parlement nämlich, die Unruhen angefangen hatten, so hielt das Volk alle seine Aus schweifungen für gerecht. Die Königinn konnte nie öffentlich erscheinen, ohne beschimpft zu werden, man nannte sie nicht anders als Frau Anne; und wenn man ja noch einen Titel hinzufügte, so war es ein Schimpfname. Das Volk warf ihr wüthend
vor, daß sie den Staat der Freundschaft für den Mazarin aufopferte; und was das unerträglichste war, so hörte sie von allen Seiten die Gassenhauer und Liederchen, welche, als Denkmäler der giftigen Spötterey, den Zweifel an ihrer Tugend verewigen zu wollen schienen. Sie flohe mit ihren Kindern aus Paris: ihr Mi nister, der Herzog von Orleans, der Bruder Lude wigs des XIII, der große Conde selbst thaten ein glei ches, und begaben sich nach St. Germain. Man ward genöthiget, die Edelsteine und die Krone bey Wuche rern zu versetzen. Dem Könige fehlte oft das Noth wendige. Seine Kammerpagen bekamen den Ab schied, weil man sie nicht länger unterhalten konnte. Zu eben dieser Zeit war sogar die Muhme
Ludewigs des XIV, die Tochter Heinrichs des Großen, und
Gemahlinn des Königs von England, welche ihre Zuflucht nach Paris genommen hatte, in die äußerste Armuth gerathen, und ihre Tochter, welche hernach
an den Bruder
Ludewigs des XIV verheirathet wurde, mußte im Bette liegen bleiben, weil sie sich sonst nicht wärmen konnte. Auf alle die Trübsalen so vie ler königlichen Personen gab das Volk zu Paris, welches in seiner Wuth ertrunken war, nicht die ge ringste Acht. Die Königinn bath, mit thränenden Augen, den
Prinzen von Conde, des Königs Beschützer zu seyn. Der Sieger bey Rocroy, bey Freyburg, bey Lens und bey Nördlingen konnte sich so vielen geleisteten Diensten nicht unähnlich erzeigen. Die Ehre einen Hof, welchen er für undankbar hielt, zu vertheidi gen, und ihn wider die Schleuder zu vertheidigen,
welche ihn an sich zu ziehen suchte, schmeichelte ihm. Das Parlement hatte also den großen Conde zu be streiten, und es war kühn genug den Krieg fort zusetzen. Der Prinz von Conty, der Bruder des großen Conde, welcher auf seinen ältesten Bruder eben so eifersüchtig als unfähig war, ihm zu gleichen, der
Herzog von Longueville, der Herzog von Beaufort,
der Herzog von Bouillon, welche der unruhige Geist des Coadjutors erreget hatte, und welche sich nach nichts, als nach Veränderungen, sehneten, schmeichelten sich, ihre Größe auf den Untergang des Staats grün den zu können, und die blinden Bewegungen des Parlements nach ihren besondern Absichten zu brau chen. Sie kamen also und trugen ihm ihre Dienste an. Man ernennte in der Oberkammer die Generale einer Armee, die man nicht hatte. Jeder nahm es auf sich, eine gewisse Anzahl Truppen zu stellen. Es waren zwanzig Räthe darunter, welche neue von
dem Kardinal von Richelieu gemachte Stellen be kleideten. Ihre Mitbrüder schienen, aus einer Nie derträchtigkeit des Geistes, deren jede Gesellschaft fähig ist, das Andenken des Richelieu bis in ihren Tod zu verfolgen. Sie überhäuften sie mit Verachtung, und wollten sie nicht einmal als Glieder des Parle ments ansehen. Jeder von ihnen mußte 15000 Livers zu den Unkosten des Krieges hergeben, die Duldung ihrer Mitbrüder dadurch zu erkaufen. Die Oberkammer, der Inquisitionsrath, die Re quetenkammer, die Rechnungskammer, die Rent kammer, welche so heftig wider eine geringe und nö thige Auflage, die sich kaum auf 100000 Thlr. be
lief, geschrien hatten, brachten bey nahe nach heuti gem Gelde eine Summe von zehn Millionen zusam men, ihr Vaterland umzustürzen. Durch einen Parlementsschluß warb man zwölftausend Mann, und jeder Thorweg mußte einen Mann und ein Pferd geben. Diese Reuterey hieß die Reuterey der Thorwege. Der Coadjutor hatte ein eignes Regi ment, welches man das corinthische Regiment nannte, weil der Coadjutor den Titel eines Bischofs von Co rinth hatte. Ohne die Namen eines Königs von Frankreich, eines großen Conde, einer Hauptstadt des Reichs, würde dieser Schleuderkrieg eben so lächerlich gewesen seyn, als der Krieg der Kardinäle Barbarini. Man wußte nicht, warum man in Waffen war. Der
Prinz von Conde belagerte fünf hundert tausend Bür ger mit acht tausend Soldaten. Die Pariser zogen zu Felde mit Federn und Bändern geschmückt; ihre Kriegsübungen wurden der Stoff zu den Spöttereyen der Handwerksleute. Sie flohen, wann ihnen nur zweyhundert Mann von der königl. Armee aufstießen. Alles ward in Scherz verwandelt: als das corinthi sche Regiment von einer kleinen Partey war geschla gen worden, so nannte man diesen Verlust, die erste an die Corinthier. Die zwanzig Räthe, der jeder funfzehn tausend Livres hatte hergeben müssen, hatten keine andere Ehre, als die Funfzehnzwanziger genannt zu werden. Der Herzog von Beaufort, das Götzenbild des Pöbels, und das Werkzeug, dessen man sich ihn auf zubringen bediente, ein Prinz von gemeinem Umgange,
von einem sehr eingeschränkten Geiste aber, war öf fentlich der Gegenstand der Spötterey des Hofes und der Schleuder selbst. Man redete niemals anders von ihm, als unter dem Namen des Jahrmarktsköni ges. Die parisischen Truppen, welche aus Paris giengen, und allezeit geschlagen wieder kamen, wur den mit dem schmählichsten Hohngelächter empfan gen. Man machte diese kleinen Verluste durch nichts als durch Gassenhauer und Sinnschriften wieder gut. Die Wirthshäuser, und andere lüderliche Oerter waren die Zelter, wo man, mitten unter Schäcke reyen, Liedern und den ungezogensten Ergötzungen, Kriegsrath hielt. Die Frechheit war so ausgelassen, daß die vornehmsten Officier von der Schleuder, als sie einmal des Nachts das heil. Sacrament antraf fen, welches man durch die Straßen zu einem Man ne tragen wollte, den man in Verdacht hatte von des Mazarins Partey zu seyn, die Priester mit Schlä gen wieder zurück jagten. Man sahe den Coadjutor, den Erzbischof von Pa ris, mit einem Dolche in der Tasche Sitz im Parle mente nehmen. Als man den Heft davon gewahr ward, so schrie man: seht da, das Breviarium unsers Erzbischofs. Mitten unter diesen Unruhen versammlete sich der gesammte Adel bey den Augustinern, und hielt öffent lich ordentliche Sitzungen. Man hätte glauben sol len, es geschähe dieses zur Besserung des Staats, und in der Absicht, die Generalstaaten zusammen zu bringen. Allein nichts als ein Tabouret war die Ur sache davon, welchen die Königinn der Frau von Pons zugestanden hatte. Vielleicht hat man nie
einen deutlichern Beweis von der Leichtsinnigkeit, welche man damals den Franzosen vorwarf, aufzu weisen gehabt. Die bürgerlichen Uneinigkeiten, welche zu gleicher Zeit England durchwütheten, dienen sehr wohl, den Character beyder Völker zu entwerfen. Die Eng länder verknüpften mit ihren Unruhen eine melancho lische Blutgier und eine überligende Wuth; sie hiel ten blutige Schlachten, und das Schwerdt mußte al les entscheiden; die Henkersbühnen waren für die Ueberwundenen aufgerichtet; ihr in der Schlacht ge fangener König ward vor eine Gerichtsversammlung geführet, über den MisbranchMisbrauch, den er von seiner Gewalt sollte gemacht haben, verhöret; verdammt den Kopf zu verlieren, und vor dem Angesichte seines ganzen Volkes mit eben so viel Ordnung und rechtli chen Gebräuchen hingerichtet, als wenn es ein straf barer Bürger gewesen wäre. Alle diese erschreckli chen Unruhen giengen vor, ohne daß man in London das geringste von dem Elende, welches mit den bür gerlichen Kriegen verbunden ist, empfand. Die Franzosen gegentheils verwickelten sich in den Aufruhr bloß und allein aus Eigensinn, und mit La chen. Die Weiber waren an der Spitze der Par teyen; die Liebe machte und trennte Verbindungen.
Die Herzoginn von Longueville reizte den Turenne, welcher kaum Marschall von Frankreich geworden war, die Armee, welche er für den König anführte, zu einem Aufstande zu bewegen *. Es gelung Tu rennen nicht; er verließ als ein Flüchtling die Armee, deren General er war, einer Frau zu gefallen, welche
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seine Leidenschaft verhöhnte. Er ward aus einem Generale des Königs von Frankreich, ein Lieutenant des Don Estevan von Gamarre, mit welchem er von den königl. Truppen bey Retel geschlagen wurde. Das Handschreiben des Marschalls von Hoquincourt an den Herzog von Montbazon ist bekannt: Per- ronne est à la Belle des Belles. Peronne ist der Schönen unter den Schönen. Man weiß die
Verse des Herzogs von Rochefoucault an die Herzo ginn von Longueville, als er in der Schlacht bey S. Antoine von einer Musketenkugel getroffen ward, und eine Zeitlang das Gesichte darüber verlor. Pour meriter son coeur, pour plaire à ses beaux yeux J'ai fais la guerre aux Rois, je l'aurois faite aux Dieux. „Ihr Herz zu verdienen, ihren schönen Au gen zu gefallen, habe ich mit Königen Krieg geführt, und würde ihn mit Göttern ge führt haben„. Der Krieg endigte sich, und fing sich verschiedene mal wieder von neuem an. Es war kein einziger, welcher nicht mehr als einmal die Partey hätte ver
ändert gehabt. Der Prinz von Conde, nachdem er den Hof im Triumphe wieder nach Paris zurück ge führet hatte, überließ sich dem Vergnügen ihn zu verachten, nachdem er ihn vertheidiget hatte; und weil er fand, daß man ihn nicht seinem Ruhme und seinen Verdiensten gemäß belohnte, so war er der erste, welcher den Mazarin lächerlich machte, der Königinn Hohn sprach, und sich gegen eine Regie rung auflehnte, welche er verschmähte. Er schrieb,
wie man erzählt, an den Kardinal à l' illustrissimo Signor Taquino*. Er sagte einmals zu ihm: lebt wohl, Mars. Er munterte einen gewissen Mar quis von Jarsay auf, der Königinn eine Liebeserklä rung zu thun, und nahm es übel, daß sie sich dadurch beleidigt finden wollte. Er verband sich mit dem
Prinz von Conty, seinem Bruder, und mit dem
Herzoge von Longueville, welche die Partey der Schleuder verließen. Der Coadjutor, welcher sich als den unversöhnlich sten Feind des Ministerii erkläret hatte, vertrug sich heimlich wieder mit dem Hofe, um den Kardi
nalshut zu erhalten, und opferte den Prinz von Conde der Rache des Ministers auf. Endlich sahe sich dieser Prinz, welcher den Staat gegen die Fein de, und den Hof gegen die Rebellen vertheidiget hatte; Conde, auf der höchsten Stufe der Ehre, welcher sich allezeit als ein Held und niemals als ein geschickter Mann aufgeführet hatte, sahe sich nebst
dem Prinzen von Conty und dem Herzoge von Lon gueville in Verhaft genommen **. Er hätte den Staat regieren können, wenn er nur zu gefallen ge sucht hätte: allein er begnügte sich, bewundert zu werden. Der Pöbel in Paris, welcher einem elen den Rathe zu gefallen, Barricaden gemacht hatte, stellte Freudenfeuer an, als man den Vertheidiger und den Helden Frankreichs in das Gefängniß nach Vincennes brachte.
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Ein Jahr darauf nöthigten eben diese Schleuderer,
welche den großen Conde und die Prinzen der furcht samen Rache des Mazarins verkauft hatten, die Kö niginn, ihnen das Gefängniß öffnen zu lassen, und ihren ersten Minister aus dem Reiche zu verjagen. Conde kam unter den Zurufungen des Volks wieder, welches ihn vorher so gehaßt hatte. Seine Gegen wart erneuerte die Meutereyen und Uneinigkeiten. In dieser Verzehrung blieb das Reich noch einige Jahre. Die Regierung nahm niemals andere als schwache und ungewisse Rathschlüsse: sie schien endlich unterliegen zu müssen: die Rebellen aber waren be ständig uneins, und dieses errettete den Hof. Der
Coadjutor, welcher bald des Prinzen von Conde Freund bald Feind war, brachte einen Theil des Parlements und des Volks wider ihn auf. Er unterstand sich zu gleicher Zeit der Königinn zu dienen, indem er diesem Prinzen die Spitze hielt, und sie zu beleidigen, indem er sie nöthigte, den Kardinal Mazarin zu entfernen, welcher seine Zuflucht nach Cöln nahm. Die Kö niginn war, vermöge des Widerspruchs, welcher bey schwachen Regierungen nur allzu gewöhnlich ist, genöthiget, sowohl seine Dienste als seine Beleidi gungen anzunehmen, und eben den Coadjutor zum Kardinal zu ernennen, welcher der Urheber der Bar ricaden war, und die ganze königliche Familie ge nöthiget hatte, aus der Hauptstadt zu entweichen und sie zu belagern.
Viertes Hauptstück.
Verfolg des bürgerlichen Krieges bis zum Ende des Aufstandes im Jahre 1554.
Endlich entschloß sich Conde zu einem Kriege, welchen er gleich zur Zeit der Schleuder hätte anfangen sollen, wenn er hätte Herr des Staats seyn wollen, oder den er niemals hätte führen müssen, wenn er ein Bürger gewesen wäre. Er gieng aus Paris, er brachte Guienne, Poitou und Anjou auf, und bettelte Hülfe bey den Spaniern, deren schrecklichste Geißel er gewesen war. Nichts zeiget die Tollheit der damaligen Zeit, und die Unordnung, mit welcher alle Unternehmun gen geführet wurden, deutlicher, als das, was die sem Prinzen damals widerfuhr. Man schickte ihm einen Curier von Paris mit Vorschlägen, welche ihn zur Rückkunft und zum Frieden bewegen sollten. Der Curier betrog sich, und anstatt nach Angerville zu gehen, wo der Prinz damals war, gieng er nach Augerville. Der Brief kam zu späte. Conde sagte, wenn er ihn eher erhalten hätte, so würde er die Friedensvorschläge angenommen haben; weil er aber schon zu weit von Paris sey, so verlohne es sich nicht der Mühe, wieder zurück zu kehren. Das Misver ständniß eines Curiers also, und der bloße Eigen
sinn dieses Prinzen stürzte Frankreich vom neuen in den bürgerlichen Krieg. Nunmehr kehrte der Kardinal Mazarin, welcher aus dem Innersten seiner Verbannung von Cöln aus, den Hof regieret hatte, in das Königreich zurück, nicht so wohl als Minister, welcher seine Stelle wie der einnähme, sondern als Oberhaupt, welches sich wieder in den Besitz seiner Staaten setzte. Er wurde von einer kleinen Armee begleitet, welche aus sieben tausend Mann bestand, die er auf seine Unkosten, das ist, mit dem Gelde des Königreichs, welches er sich anmaßte, hatte werben lassen. Man läßt den König in einer Declaration dama liger Zeit sagen; daß der Kardinal diese Truppen wirklich von seinem Gelde angeworben habe. Dieses mag die Meynung derjenigen widerlegen, welche vorgeben, Mazarin habe sich bey seiner ersten Flucht aus dem Königreiche in Bedürfniß befunden. Die Anführung seiner kleinen Armee übergab er dem
Marschalle von Hoquincourt. Alle Officiere trugen grüne Binden, dieses war die Livreyfarbe des Kar dinals. Damals hatte jede Partey ihre besondere Binde. Die Partey des Königs trug weiße Bin
den, die Partey des Prinzen von Conde isabellfär
bige. Es war zum Erstaunen, daß der Kardinal Mazarin, welcher sich bisher so bescheiden gestellet hatte, die Verwegenheit besaß, eine Armee seine Livrey tragen zu lassen, als ob er eine andere Partey als die Partey seines Herrn gehabt hätte. Doch er konnte dieser Eitelkeit nicht widerstehen. Die Kö niginn billigte sie. Der König, welcher schon mün
dig war, und sein Bruder kamen ihm entgegen. Auf die erste Nachricht seiner Zurückkunft warb Gaston von Orleans, der Bruder Ludewigs des XIII, welcher die Entfernung des Kardinals zuwege gebracht hatte, in Paris Truppen, ohne eigentlich zu wissen, wozu sie sollten gebraucht werden. Das Parlement erneuerte seine Schlüsse, es erklärte den Mazarin in die Acht, und setzte einen Preis auf sei nen Kopf. Man mußte in den Registern nachsehen, welches der Preis auf den Kopf eines Feindes des Vaterlandes sey. Man fand, daß man unter dem
neunten Carl demjenigen öffentlich funzig tausend Thaler versprochen hatte, welcher den Admiral Co ligny lebendig oder todt liefern würde. Man glaubte in allem Ernste sehr regelmäßig zu verfahren, wenn man eben den Preis auf die Ermordung des Kardi nals und ersten Ministers setzte. Doch diese in die Achterklärung setzte niemanden in Versuchung, die funfzig tausend Thaler zu verdienen, welche am Ende gewiß nicht würden seyn bezahlet worden. Bey ei nem andern Volke, und zu einer andern Zeit, würde dieser Rechtsschluß seine Ausführer gefunden haben; damals aber diente er zu nichts, als zu neuen Spöt tereyen. Die Blots und die Marignys, witzige Köpfe, welche mitten unter diesen Unruhen zu lachen machten, ließen in Paris eine Eintheilung von hun dert und funfzig tausend Livres anschlagen; so wohl für den, welcher dem Kardinale die Nase oder ein Ohr abschneiden würde, als für den, welcher ihm ein Auge ausstechen oder ihn zum Verschnittenen ma chen würde. Dieses Lächerliche war die ganze Wir kung der in die Achterklärung. Der Kardinal seiner Seits gebrauchte gegen seine Feinde weder Gift noch
Mord; und, ungeachtet der Bitterkeit und Raserey so vieler Parteyen, wurden doch nicht viele große Verbrechen begangen. Die Anführer der Parteyen waren nicht sehr grausam, und das Volk nicht sehr wüthend; denn es war kein Religionskrieg. Der Geist des Schwindels, welcher zu dieser Zeit herrschte, besaß das ganze Parlement von Paris so sehr *, daß es, nachdem es einen Mord befohlen hatte, worüber man lachte, einen Schluß faßte, vermöge dessen verschiedene Räthe sich an die Grän
zen begeben mußten, um von der Armee des Kardi nals Mazarin, das ist, von der königlichen Armee, Nachricht einzuziehen. Zween Räthe waren so unvorsichtig, daß sie mit einigen Bauern herumgiengen, und die Brücken ab brachen, über welche der Kardinal ziehen mußte. Sie wurden von den Truppen des Königs gefangen genommen, mit Nachsicht losgelassen, und von allen Parteyen verspottet. Gleich zu eben der Zeit, als sich diese Versamm lung wider den Minister des Königs zu solchen Aus
schweifungen bringen ließ, erklärte sie den Prinzen von Conde, welcher doch wider niemanden, als wider eben diesen Minister, zu den Waffen gegriffen hatte, des Verbrechens der beleidigten Majestät schuldig; und befahl aus einer Verwirrung des Geistes, welche alle die vorhergehenden Unternehmungen glaublich ma chen, daß die Truppen des Gastons, Herzogs von Orleans, wider den Mazarin aufbrechen sollten, verboth aber zugleich, nicht einen Heller aus den
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öffentlichen Einnahmen, zu ihrer Besoldung, zu nehmen. Was konnte man anders von einer Rathsversamm lung erwarten, welche, außer ihre Sphäre versetzt, weder ihre Rechte, noch ihre wirkliche Gewalt, noch die politischen Angelegenheiten, noch den Krieg kannte, welche sich in der größten Unordnung versammelte und entschied, und sich zu Sachen entschloß, woran sie den Tag zuvor nicht gedacht hatte, und worüber sie hernach selbst erstaunete. Das Parlement zu Bourdeaux war damals dem
Prinzen von Conde zugethan. Es war aber in seiner Aufführung viel einförmiger, weil es von dem Hofe entfernter und also durch die gegenseitige Partey we niger beunruhiget war. Doch weit wichtigere Gegenstände machten ganz Frankreich aufmerksam. Conde, welcher sich mit den Spaniern verbunden hatte, war wider den König zu Felde; und Turenne, nachdem er eben die Spanier verlassen hatte, mit welchen er bey Retel war geschlagen worden, söhnte sich wieder mit dem Hofe aus, und führte die kö nigliche Armee an. Die erschöpften Finanzen er laubten weder der einen noch der andern Partey große Heere zu haben; doch die kleinen entschieden das Schicksal des Staats eben so wohl. Es giebt Zeiten, wo hundert tausend Mann im Felde kaum zwey Städt einnehmen können; es giebt andere, wo eine Schlacht zwischen sieben oder acht tausend Mann einen Thron umstürzt, oder befestiget. Ludewig der XIV, welcher in lauter Widerwärtig keiten erzogen ward, zog mit seiner Mutter, seinem
Bruder und dem Kardinal Mazarin aus einer Pro vinz in die andere, und hatte kaum so viel Truppen um sich, als er nach der Zeit im Frieden bloß zu sei ner Leibwache hatte. Fünf bis sechs tausend Mann, wovon ein Theil aus Spanien gekommen, der andere
von den Freunden des Prinzen von Conde geworben worden, verfolgten ihn in dem Innersten seines Kö nigreichs. Der Prinz von Conde unterdessen streifte von Bourdeaux nach Montauban, nahm Städte ein, und vermehrte überall seine Partey. Die ganze Hoffnung des Hofes war auf den Mar schall von Turenne gegründet. Die königliche Armee befand sich bey Gien an der Loire. Die Armee des
Prinzen von Conde stand einige Meilen davon, un
ter der Anführung des Herzogs von Nemours und
des Herzogs von Beaufort. Die Uneinigkeit dieser zwey Generale wäre der Partey des Prinzen beynahe
verderblich gewesen. Der Herzog von Beaufort war zu dem allergeringsten Commando unfähig. Der
Herzog von Nemours ward für tapferer und liebens würdiger als geschickt gehalten. Beyde zugleich ruinirten ihre Armee. Die Soldaten wußten, daß der große Conde hundert Meilen entfernt sey, und hielten sich schon für verloren, als sich mitten in der Nacht ein Curier in dem Walde von Orleans vor der Hauptwache sehen ließ. Die ausgestellten Wa
chen sahen gleich, daß dieser Curier der Prinz von Conde selbst sey, welcher von Agen verkleidet an kam, und nach hundert Abentheuern, sich an die Spitze seiner Armee stellte. Seine Gegenwart that viel, und diese unvermu thete Ankunft noch mehr. Er wußte, daß alles, was plötzlich und unerwartet kömmt, die Menschen außer sich setzt. Er machte sich den Augenblick das Vertrauen und die Kühnheit, welche er einflößte, zu Nutze. Die große Eigenschaft dieses Prinzen im Kriege war, daß er auf einmal die allerverwegensten Entschlüsse fassen, und sie mit eben so viel Klugheit als Geschwindigkeit ausführen konnte. Die königliche Armee war in zwey Heere vertheilt. Conde stürzte sich auf dasjenige, welches bey Blenau
stand, und von dem Marschall von Hoquincourt an geführet wurde. Dieses Heer ward zu gleicher Zeit zerstreuet und angegriffen. Man konnte es Turennen nicht wissen lassen. Der Kardinal Mazarin war voller Erschrecken, begab sich eilend mitten in der Nacht nach Gien, und weckte den König aus dem Schlafe, ihm Nachricht davon zu geben. Sein kleiner Hof ward bestürzt, man schlug dem Könige vor, sich durch die Flucht zu retten, und sich in aller Stille nach Bourges bringen zu lassen. Der siegende
Prinz von Conde nahete sich der Stadt Gien, und die allgemeine Furcht ward immer stärker und stärker. Turenne brachte durch seine Standhaftigkeit vielen neuen Muth bey, und errettete den Hof durch seine Geschicklichkeit. Er machte mit den wenigen Trup pen, welche ihm übrig waren, so glückliche Bewe gungen, und nutzte Zeit und Ort so wohl, daß er den Conde verhinderte, seinen Vortheil zu verfolgen. Nunmehr war es schwer zu entscheiden, welcher die meiste Ehre erlangt habe, ob der siegende Conde, oder Turenne, welcher ihm die Frucht des Sieges
entrissen hatte. Es ist wahr, daß in dieser Schlacht bey Blenau, welche seit so langer Zeit in Frankreich berühmt ist, kaum vierhundert Mann blieben; nichts
destoweniger aber war der Prinz von Conde auf dem Puncte, die ganze königliche Familie in seine Gewalt zu bekommen, und sich seines Feindes, des Kar dinals Mazarin, zu bemächtigen. Man konnte keine kleinere Schlacht, keinen größern Antheil dabey, und keine dringendere Gefahr sehen. Conde, welcher sich nicht schmeichelte, Turennen zu
überraschen, wie er den Hoquincourt überrascht hatte, ließ seine Armee gegen Paris anrücken. Er eilte, in dieser Stadt seines Ruhms zu genießen, und sich die vortheilhaften Gesinnungen des blinden Volks zu Nutze zu machen. Die Verwunderung, welche man über die letzte Schlacht bezeugte, und wovon man die Umstände vergrößerte, der Haß, welchen man gegen den Mazarin hegte, der Name und die Gegen wart des großen Conde schienen ihn anfangs zum un umschränkten Herrn der Hauptstadt zu machen. In der That aber waren alle Gemüther getheilet; jede Partey bestund aus kleinen Parteyen, so wie es bey allen Trubeln zu geschehen pflegt. Der Coadjutor, welcher Kardinal von Retz geworden war, und sich, dem Ansehen nach, mit dem Hofe, welcher ihn fürch tete, und dem er nicht trauete, ausgesöhnet hatte, war nicht mehr Herr des Volkes, und spielte nicht mehr die vornehmste Person. Er beherrschte den
Herzog von Orleans, und war dem Prinz von Conde entgegen. Das Parlement schwebte zwischen dem
Hofe, dem Herzoge von Orleans und dem Prinzen; alle aber kamen darinne überein, auf den Mazarin
zu schimpfen. Jeder hatte insgeheim seine besondern Absichten; das Volk war ein stürmisches Meer, dessen Wellen von entgegenstehenden Winden auf Ge rathewohl getrieben wurden. Man sahe nichts als Unterhandlungen unter den Häuptern der Partey, Abordnungen des Parlements, Versammlungen der Kammern, Aufruhr unter dem Pöbel, und Kriegsleute auf dem Felde. Der Prinz
hatte die Spanier zu Hülfe gerufen. Carl der IV, der aus seinen Staaten vertriebene Herzog von Lothringen, dessen ganzes Vermögen in einer Armee von acht tausend Mann bestand, welche er alle Jahre an den König von Spanien verkaufte, näherte sich
mit dieser Armee der Stadt Paris. Der Kardinal Mazarin both ihm mehr Geld an, wenn er wieder zurück kehren wollte, als ihm die Partey des Conde gegeben hatte, herbey zu kommen. Der Herzog von Lothringen verließ Frankreich gar bald, nachdem er es überall, wodurch sein Zug gieng, verwüstet hatte, und nahm von beyden Parteyen das Geld mit weg. Conde blieb also in Paris mit einer Gewalt, wel che alle Tage geringer ward, und mit einer noch schwächern Armee. Turenne führte den König und seinen Hof nach Paris zu. Der König sah im 15ten Jahre seines Alters von der Höhe des Berges Cha ronne die Schlacht bey St. Antoine, wo die beyden Generals mit so wenig Truppen so große Dinge tha ten, daß der Ruhm sowohl des einen als des andern, von welchem es schien als ob er nicht höher wachsen könnte, dadurch vermehret wurde. Mit einer kleinen Anzahl von Vornehmen, die sei ner Partey zugethan waren, und mit sehr wenig Sol
daten ward die ganze Macht der königl. Armee von
dem Prinzen von Conde aufgehalten und zurück ge trieben. Der König sah nebst dem Kardinal Maza rin dieses Treffen von der Höhe eines Berges mit an. Der Herzog von Orleans war ungewiß, zu welcher Partey er treten sollte, er blieb also in seinem Pallaste von Luxenburg ruhig. Der Kardinal von Retz hatte sich in sein Erzbisthum gezogen. Das Parlement wartete auf den Ausgang der Schlacht, seinen Schluß darnach einzurichten. Das Volk, welches damals sowohl die Truppen des Königs als die Truppen des Prinzen fürchtete, hatte die Thore der Stadt verschlossen, und ließ niemanden weder aus noch ein, da unterdessen die größten Männer Frankreichs im Treffen wütheten und ihr Blut in der Vorstadt vergossen *. Hier war es, wo der Herzog von Rauchefoucoult, welchen Muth und Witz so be rühmt gemacht haben, unter den Augen verwundet wurde, daß er auf einige Zeit das Gesichte darüber verlor. Man sah nichts als verwundete oder getöd tete junge Herren, die man an das Thor des heil. Anto nius brachte, welches nicht aufgemacht ward. Endlich erwählte die Tochter des Gaston die Par
tey des Prinzen von Conde, welchem ihr Vater bey zustehen sich nicht getrauet hatte. Sie ließ den Ver wundeten die Thore aufmachen, und hatte die Kühn heit, die Canone auf der Bastille auf die Truppen des Königs losfeuren zu lassen. Die königl. Armee zog sich zurück, und Conde erhielt nichts als Ruhm.
Die Tochter des Gaston aber machte sich in dem Ge müthe des Königs durch diese gewaltsame Handlung,
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auf ewig verhaßt; und der Kardinal Mazarin, wel cher ihre außerordentliche Begierde kannte, mit einem gekrönten Haupte vermählt zu seyn, sagte damals: Diese Canone hat ihren Gemahl getödtet. Die meisten von unsern Geschichtschreibern prahlen gegen ihre Leser mit nichts als diesen Schlachten und Wundern der Herzhaftigkeit und der Staatskunst. Wer aber weiß, was für schimpflicher Hülfsmittel man sich damals bediente, in welches Elend man das Volk zu stürzen verbunden war, und zu welchen Nie derträchtigkeiten man gebracht ward, der muß den Ruhm der Helden dieser Zeit mehr mit Erbarmung als mit Verwunderung ansehen. Man mag aus den einzigen Zügen davon urtheilen, welche Gourville, ein Mann, der dem Prinzen zugethan war, anbringt. Er gesteht, daß er selbst, um ihm Geld zu verschaf fen, eine Casse bestehlen und einen Postdirector aus seinem Hause fortgeschleppet habe, welcher sich her nach hätte müssen auslösen; und diese Gewaltsamkei ten erzählt er als damals ganz gewöhnliche Sachen. Nach dem blutigen und unnützen Treffen bey St. Antoine, konnte der König weder nach Paris kom men, noch der Prinz lange daselbst verbleiben. Ein Aufstand des Pöbels und die Einwendung einiger Bürger, wovon man ihn zum Urheber machte, zogen ihm den Haß des ganzen Volkes zu. Unterdessen hatte er doch noch seine Partey im Parlemente. Diese Versammlung, welche damals von einem flüch tigen und aus der Hauptstadt vertriebenen Hofe we nig zu fürchten hatte, erklärte durch einen Parlements schluß, auf Anliegen der Parteyen des Herzogs von Orleans und des Prinzen, den Herzog von Orleans
zum Generallieutenant des Königreichs, und den
Prinz von Conde zum Generalißimus seiner Armeen. Der erbitterte Hof befahl dem Parlemente, sich nach Pontoise zu begeben; und einige Räthe gehorchten auch. Man sah also zwey Parlemente, deren jedes dem andern sein Ansehen absprach, und welche beyde sich widersprechende Schlüsse faßten, und sich dadurch die Verachtung des Volkes gewiß würden zugezogen haben, wenn sie nicht noch darinnen einig gewesen wären, daß sie beyde die Vertreibung des Mazarins verlangten; denn der Haß gegen diesen Minister schien damals die wesentlichste Schuldigkeit eines Franzosen zu seyn. Zu dieser Zeit waren alle Parteyen schwach, und die Partey des Hofes war es eben sowol wie die an dern. Geld und Nachdruck fehlten überall. Die Rotten vermehrten sich; und die Schlachten hatten auf beyden Seiten nichts als Verlust und Reue ver ursachet. Der Hof sah sich genöthiget, abermals den Mazarin aufzuopfern, welchen jedermann für die Ursache der Unruhen hielt, und welcher doch nur der Vorwand davon war. Er verließ das Reich zum zweytenmale; und zur Vermehrung der Schan de, mußte der König eine öffentliche Declaration er gehen lassen, worinnen er seinen Minister verweisen mußte, ob er gleich seine Dienste rühmte und sich über seine Verbannung beklagte *. Carl der erste, König in England, hatte seinen Kopf auf der Henkerbühne hergegeben, weil er zu Anfange der Unruhen das Blut seines ersten Mini sters des Strafords seinem Parlemente Preis gege
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ben hatte. Ludewig der XIV gegentheils, kam in den ruhigen Besitz seines Königreichs, indem er die Verweisung des Mazarins duldete. Eben dieselben Schwachheiten, hatten also ganz verschiedene Folgen. Der König in England, indem er seinen Liebling auf gab, machte ein Volk kühne, welches sich nach dem Kriege sehnte, und die Könige haßte; und Ludewig der XIV, (oder vielmehr die Königinn Mutter) in dem sie den Kardinal fortschickte, benahm allen Vor wand des Aufstandes einem Volke, welches des Krie ges müde war, und die Beherrschung von Königen liebte. Kaum war der Kardinal fort, sich an den Ort seiner Zuflucht nach Bouillon zu begeben, als die Bürger von Paris aus eigner Bewegung Abgeord nete an den König schickten, und ihn, in die Haupt stadt zurück zu kommen, bitten ließen. Er kam wie der, und alles war daselbst so stille, daß man sich unmöglich einbilden konnte, daß einige Tage vorher alles in Verwirrung gewesen sey. Gaston von Or leans, welcher allezeit in seinen Unternehmungen, die er nicht ausführen konnte, unglücklich war, ward nach Blois verwiesen, wo er den Rest seines Lebens in Reue zubrachte, und der zweyte Sohn Heinrichs des Großen war, welcher ohne vielen Ruhm starb.
Der Kardinal von Retz, der vielleicht eben so unver schämt als erhaben und kühn war, ward im Louvre gefangen gehalten, und führte, nachdem er aus einem Gefängnisse in das andere geschleppt worden, lange Zeit ein irrendes Leben, welches er endlich in der Ein samkeit beschloß, wo er Tugenden erlangte, die sein
großer Muth in den Unruhen seines Glückes nicht hatte fassen können. Einige Räthe, welche ihr Ansehen am meisten ge misbrauchet hatten, mußten ihre Unternehmungen mit dem Elende bezahlen; andere schränkten sich in die Gränzen ihres gerichtlichen Amts ein, und noch andere wurden durch ein jährliches Geschenke von
fünfhundert Thalern, welches ihnen Fouquet, der Generaldirector der Finanzen, unter der Hand aus zahlen ließ, zu ihrer Schuldigkeit gebracht *. Der Prinz von Conde unterdessen, welcher in Frankreich fast von allen seinen Freunden verlassen war, und von den Spaniern wenig Beystand erhielt, setzte an den Gränzen von Champagne einen unglück lichen Krieg fort. In Bourdeaux waren noch einige Rotten übrig, doch auch diese wurden gar bald getilget. Die Ruhe des Königreichs war die Frucht der
Verbannung des Kardinals Mazarin. Kaum aber war er durch das allgemeine Geschrey der Franzosen, und durch eine Declaration des Königs verjagt wor den, als ihn der König wiederkommen ließ. Er er staunte, daß er so ruhig und gewaltig wieder nach Paris kommen konnte. Ludewig der XIV empfing ihn als einen Vater, und das Volk als einen Herrn. Man stellte ihm zu Ehren in dem Rathhause ein Fest an, mitten unter den freudigen Zurufungen der Bür ger. Er warf Geld unter den Pöbel aus; man sa get aber, daß er, bey der Freude einer so glücklichen Veränderung, nicht wenig Verachtung gegen unsere
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Unbeständigkeit habe blicken lassen. Das Parlement, welches einen Preis auf seinen Kopf, als auf den Kopf eines Straßenräubers, gesetzet hatte, ließ ihn durch Abgeordnete bewillkommen; und eben dieses
Parlement verdammte kurze Zeit darauf den Prinz von Condeper contumaciam, das Leben zu verlieren; eine Veränderung, welche in dergleichen Zeiten sehr gemein und desto erniedrigender war, da man denje nigen verdammte, an dessen Fehlern man so lange Zeit Antheil genommen hatte *. Man sahe den Kardinal, welcher am meisten auf diese Verdammung drang, eine von seinen Nichten
mit dessen Bruder dem Prinz von Conty verheirathen, zum Beweise, daß die Gewalt dieses Ministers ohne Gränzen seyn solle.
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Fünftes Hauptstück.
Frankreichs Zustand bis zuCrom welsTode, und der Reise der Kö niginn Christina.
Indessen, daß der Staat von innen so zerrissen wurde, ward er von außen nicht weniger ange griffen und geschwächt. Alle Früchte der Schlachten bey Rocroy, bey Lens und Nördlingen, giengen ver loren. Der wichtige Ort Dünkirchen ward von den
Spaniern wieder eingenommen; sie jagten die Fran zosen aus Barcellona *, und nahmen Casal in Ita lien weg. Ungeachtet der Unruhen eines bürgerlichen Krieges, und der Last eines auswärtigen, war Ma zarin doch glücklich genug gewesen, den berühmten westphälischen Frieden zu schließen **, durch welchen der Kaiser und das Reich die Präfectur und nicht die Oberbothmäßigkeit von Elsaß für drey Millionen Livres, nach itziger Münze für sechs Millionen, wel che an den Erzherzog bezahlt werden sollten, verkauf te. Durch diesen Friedensschluß, welcher in der Fol ge der Grund von allen Friedensschlüssen ward, wur de ein neues Churfürstenthum für die Pfalz gemacht. Die Rechte aller Prinzen, aller Reichsstädte, die Freyheiten der geringsten deutschen Edelleute wurden bestätiget. Die Gewalt des Kaisers wurde in enge Gränzen eingeschlossen, und die Franzosen nebst den Schweden waren die Gesetzgeber geworden. Diese Ehre Frankreichs hatte man wenigstens eines Theils den schwedischen Waffen zu danken; denn Gustav Adolph war der erste, welcher das Reich erschütterte. Seine Generale hatten ihre Eroberungen unter der
Regierung seiner Tochter Christina weit genug getrie ben. Der General Wrangel war im Begriff in
Oesterreich einzurücken. Der Graf von Königsmark war Herr von der Hälfte der Stadt Prag, und be lagerte die andere Hälfte, gleich als der Friede ge schlossen ward. Dem Kaiser so zuzusetzen kostete es dem französischen Hofe nichts, als eine Million, die er jährlich den Schweden geben mußte.
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Schweden erhielt durch diesen Friedensschluß auch weit größere Vortheile als Frankreich: es bekam Pommern, verschiedene Plätze und Geld. Es zwang den Kaiser gewisse Beneficia den Lutheranern zu überlassen, welche den Römischkatholischen gehör ten. Rom schrie über Gottlosigkeit, und behauptete, der Himmel selbst sey verrathen. Die Protestanten rühmten sich, daß sie das Friedenswerk durch Be raubung der Papisten geheiliget hätten. Der Eigen nutz sprach aus allen. Spanien trat nicht mit zu diesem Friedensschlusse, und zwar mit gutem Grunde. Denn da es sah, daß Frankreich in den bürgerlichen Kriegen verwickelt war, so glaubten die spanischen Minister, sie wür den sich unsere Uneinigkeit zu Nutze machen können. Die abgedankten deutschen Truppen wurden den Spa niern eine neue Hülfe. Der Kaiser schickte nach dem münsterschen Frieden in vier Jahren mehr als dreyßig tausend Mann nach Flandern. Dieses war eine of fenbare Brechung des Friedensschlusses; doch wenn sind Friedensschlüsse jemals schärfer beobachtet worden? Die Minister von Madrid hatten bey diesem west phälischen Friedensschlusse die Geschicklichkeit, einen besondern Frieden mit Holland zu machen. Die spa nische Monarchie war endlich glücklich genug, daß sie diejenigen nicht mehr zu Feinden hatte, und sie sie für ihre eigene Herren erklärte, welchen sie so lan ge als Rebellen mit gefahren war, die keine Gnade verdienten. Diese Republikaner vermehreten ihre Reichthümer, und befestigten ihre Größe und ihre
Ruhe, indem sie mit Spanien Frieden schlossen ohne mit Frankreich zu brechen. Sie waren so mächtig, daß sie in * einem Kriege, welchen sie einige Zeit darauf mit England hatten, hundert Schiffe in die See stellen konnten, so daß
der Sieg zwischen dem englischen Admiral Black, und dem holländischen Admiral Tromp, welche das auf dem Meere waren, was ein Conde und Turenne auf dem festen Lande war, lange unentschieden blieb. Frankreich hatte damals kaum zehn Schiffe von 50 Canonen, die es hätte können auslaufen las sen: seine Kriegsmacht ward von Tage zu Tage geringer. Ludewig der XIV sah sich also im Jahre 1653 als unumschränkten Beherrscher eines Reichs, welches von den Anfällen, die es ausgehalten hatte, noch ganz erschüttert war. Alle Arten der Verwaltung, waren voller Verwirrung. Doch fehlte es auch nicht an Mitteln, ihm wieder aufzuhelfen, da es, außer Savoyen, keine Bundsgenossen hatte, einen angrei fenden Krieg zu führen, und außer Spanien, wel ches damals in einem noch schlechtern Zustande als Frankreich war, keinen auswärtigen Feind hatte. Alle Franzosen, welche den bürgerlichen Krieg ge führt hatten, hatten sich unterwerfen müssen, außer Conde und einige von seinen Anhängern, wovon ihm einige aus Freundschaft und Großmuth treu geblieben waren, als der Graf von Coligny und Bouteville, andere aber deswegen, weil sie der Hof nicht theuer genug erkaufen wollte.
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Conde, welcher General der spanischen Armeen geworden war, konnte einer Partey nicht wieder auf helfen, die er selbst, durch die Zernichtung ihres Fuß volkes, in den Schlachten bey Lens und Rocroy ge schwächt hatte. Er stritt mit neuen Truppen, wovon er nicht Herr war, wider alte französische Regimen ter, welche unter ihm gelernet hatten zu siegen, und von Turennen angeführet wurden. Das Schicksal des Turenne und des Conde schien zu seyn, allezeit zu siegen, wenn sie mit einander an der Spitze der Franzosen fochten, und allezeit geschla gen zu werden, wenn sie die Spanier anführeten. Turenne hatte kaum die Ueberbleibsel der spanischen Armee von der Schlacht bey Retel gerettet, als er aus einem General das Königs von Frankreich, ein Lieutenant des Don Estevan de Gamare wurde. Der Prinz von Conde hatte eben dieses Schicksal vor Arras. Der Erzherzog und er belagerten diesen Ort. Turenne belagerte sie in ihrem Lager, und drang durch ihre Verschanzungen. Die Truppen des Erzherzoges wurden in die Flucht geschlagen. Conde allein hielt mit zwey französischen und lothrin gischen Regimentern die ganze Gewalt der Armee des Turenne auf, und indem der Erzherzog floh, schlug
er den Marschall von Hoquincourt, trieb den Mar schall von Ferte zurück, und machte die Flucht der überwundenen Spanier durch seine siegende Entfer nung wieder gut. Der König von Spanien schrieb ihm auch mit ausdrücklichen Worten: ich weiß, daß alles ver loren war, und daß ihr alles erhalten habt. Es ist schwer zu sagen, wodurch die Schlachten gewonnen oder verloren worden; es ist aber gewiß, daß Conde einer von den größten Kriegsleuten war, die jemals gewesen sind, und daß der Erzherzog und sein Kriegsrath bey diesem Treffen nichts von alle dem thun wollten, was Conde vorschlug. Das entsetzte Arras und der in die Flucht geschla gene Erzherzog überhäuften Turennen mit Ruhm, und man bemerkt in dem Briefe, welchen der König an das Parlement wegen dieses Sieges schreiben ließ *, daß man allen Fortgang dieses Feldzuges
dem Kardinal Mazarin zuschrieb, und nicht einmal den Turenne mit Namen erwähnte. Der Kardinal war in der That nebst dem Könige einige Meilen von Arras gewesen. Er war sogar in dem Lager bey der Belagerung von Stenay gewesen, welches Turenne eingenommen hatte, ehe er Arras entsetzte. Man hatte in Gegenwart des Kardinals Kriegsrath gehal ten. Aus diesem Grunde eignete er sich die Ehre des Ausganges zu, welche Eitelkeit ihm eine so lächerliche Seite gab, daß das ganze Ansehen des Ministers nicht hinlänglich war, sie zu bedecken. Der König befand sich nicht bey der Schlacht vor Arras, er hätte aber dabey seyn können. Er war bey der Belagerung von Stenay in die Laufgräben ge
gangen; der Kardinal Mazarin aber wollte nicht, daß er seine Person der Gefahr ferner aussetzen sollte, weil die Ruhe des Staats und die Gewalt des Mi nisters damit verbunden zu seyn schienen. Auf der einen Seite führte Mazarin, der unum schränkte Herr Frankreichs und des jungen Königs,
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und auf der andern Don Ludewig von Haro, welcher
Spanien und den vierten Philipp regierte, unter dem Namen ihrer Herren, diesen Krieg fort, obgleich mit wenig Lebhaftigkeit. Noch bekümmerte man sich nicht um den Namen Ludewigs des XIV, und noch niemals hatte man von dem Könige in Spanien gesprochen. Es war kein einziges gekröntes Haupt damals in Eu ropa, welches ein persönliches Verdienst gehabt hätte.
Die einzige Königinn in Schweden, Christina, re gierte durch sich selbst und unterstützte die Ehre des in andern Staaten entweder verlassenen oder entlehnten oder unbekannten Thrones. Carl der zweyte, König von England, welcher
mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Frank reich geflohen war, schleppte überall daselbst sein Un glück und seine Hoffnung mit sich herum. Ein bloßer Bürger hatte sich England, Irrland und Schott land, mit der Bibel in einer, und dem Degen in der andern Hand, und der Larve der Schwärmerey auf dem Gesichte, unterwürfig gemacht. Cromwel, die ser des Regiments würdige Usurpator, hatte den Namen eines Protectors und nicht eines Königs an genommen; weil die Engländer zwar wußten, wie weit sich die Rechte ihrer Könige erstreckten, aber nicht, welches die Gränzen des Ansehens eines Pro tectors wären. Er bestätigte seine Gewalt dadurch, daß er sie zu rechter Zeit zu unterdrücken wußte: er unternahm nichts wider die Freyheiten, worauf das Volk eifer süchtig war; er legte keine Soldaten in die Stadt London; er machte keine Auflagen, worüber man hätte murren können; er beleidigte die Augen nicht
durch allzuviel Pracht; er erlaubte sich kein Vergnü gen; er häufte keine Schätze auf; er wandte alle Sorgfalt an, daß die Gerechtigkeit mit derjenigen unerbittlichen Unparteylichkeit ausgeübt würde, wel che unter den kleinen und großen keinen Unterschied macht. Der Bruder des portugiesischen Gesandten in England, des Pantaleonsa, glaubte, daß seine Frechheit ungestraft bleiben würde, weil die Person seines Bruders unverletzlich war; er beleidigte also verschiedene Bürger in London auf eine empfindliche Art, und ließ einen davon so gar umbringen, weil er sich an ihm, wegen des Widerstandes, den ihm die andern gethan hatten, rächen wollte. Er ward zum Strange verdammt. Cromwel, welcher ihm hätte können Gnade wiederfahren lassen, ließ ihn hinrichten, und unterzeichnete den Morgen darauf mit dem Abgesandten einen Tractat. Niemals war die Handlung so frey und so blühend, niemals war England so reich gewesen. Seine sie genden Flotten verschafften seinem Namen in allen Meeren Hochachtung, da indessen Mazarin, wel chen allein seine Herrschsucht und Gierde sich zu berei chern, beschäfftigte, in Frankreich die Gerechtigkeit, die Handlung, die Seemacht und sogar die Finanzen in Ohnmacht erliegen ließ. Da er nach einem bür gerlichenKriege Herr von Frankreich war, so wie es Cromwel von England war, so hätte er für das Land, welches er regierte, eben das thun können, was Cromwell für das seinige gethan hatte. Allein er war ein Ausländer, und die Seele des Mazarin
hatte zwar nicht die Grausamkeit des Cromwels, sie hatte aber auch nicht seine Größe. Alle europäische Völker, welche sich nicht viel um
das Bündniß mit England unter Jacob dem I und
unter Carln bekümmert haben, bestrebten sich unter dem Protector mit allem Eifer darnach. Die Kö niginn Christina selbst, ob sie gleich die Ermordung
Carls des I verabscheuet hatte, gieng mit einem Tyrannen, welchen sie hoch schätzte, ein Bünd niß ein. Mazarin und Don Ludewig von Haro verschwen deten ihre Staatsklugheit um die Wette, sich mit dem Protector zu vereinigen. Er genoß eine Zeit lang das Vergnügen, sich von den zwey mächtig sten christlichen Königreichen geschmeichelt zu sehen. Der spanische Minister both ihm Hülfe an, Ca lais einzunehmen; Mazarin schlug ihm vor, Dün kirchen zu belagern, und ihm diese Stadt in die Hände zu bringen. CronwelCromwel konnte unter den Schlüs seln von Frankreich oder von Flandern wählen. Auch Conde lag ihm sehr an; er wollte aber nichts mit einem Prinzen zu thun haben, welcher nichts für sich hatte, als seinen Namen, welcher ohne Anhang in Frankreich, und ohne Gewalt bey den Spaniern war. Der Protector entschloß sich für Frankreich; doch ohne ein besonder Bündniß zu schließen, und ohne die Ueberwindungen im Voraus zu theilen. Er wollte seine unrechtmäßige Regierung durch die aller größten Unternehmungen berühmt machen. Seine Absicht war, den Spaniern America aus den Hän den zu reißen; doch sie wurden in Zeiten davon be nachrichtiget, und die Admirale des Cromwels nahmen
ihnen nichts als Jamaica weg *, eine Provinz, welche die Engländer noch besitzen, und welche der Grund ihres Handels in der neuen Welt ist. Erst nach der Eroberung von Jamaica geschahe es, daß Cromwel seinen Tractat mit dem Könige von Frankreich unter zeichnete; doch ohne die geringste Erwähnung von Dün kirchen zu thun. Der Protector verfuhr wie mit seines Gleichen, und zwang den König, ihm den Titel Bru der zu geben. Sein Sekretair unterzeichnete sich in dem Originale des Tractats, welches in England blieb, vor den gevollmächtigten französischen Minister. Er schloß aber diesen Tractat in der That als der überlegene Theil, indem er den König von Frankreich nöthigte,
Carln den II und den Herzog von York, einen Enkel
Heinrichs des IV, welche ihre Zuflucht in Frankreich genommen hatten, aus seinen Staaten zu weisen **. Indessen da Mazarin dieses Bündniß schloß, hielt
Carl der II bey ihm um eine von seinen Nichten an. Der üble Zustand seiner Angelegenheiten, welche den Prinzen zu diesem Vorsatze brachten, war eben das, was ihm eine abschlägige Antwort zuzog. Man hat so gar den Kardinal in Verdacht, daß er eben die, welche er dem Könige von England versagte, mit dem
Sohne des Cromwels habe verheirathen wollen. Die ses ist wenigstens gewiß, daß er, als er hernachmals
sahe, daß der Weg zum Throne dem zweyten Carl we niger verschlossen sey, diese Heirath von neuem hervor suchte; doch alsdann bekam er abschlägliche Antwort. Die Mutter dieser zwey Prinzen, Henriette von
Frankreich, eine Tochter Heinrichs des Großen, welche
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in Frankreich ohne Hülfe geblieben war, ward genö
thiget den Kardinal zu beschwören, von Cromwellen wenigstens zu erhalten, daß ihr das Leibgedinge be zahlt würde. Konnte eine schmerzhaftere Erniedri gung für sie seyn, als daß sie denjenigen um Lebens unterhalt ansprechen mußte, welcher das Blut ihres Mannes auf der Henkerbühne vergossen hatte. Ma zarin that im Namen dieser Königinn ganz schwache Vorstellungen in England, und kündigte ihr endlich an, daß er nichts habe erhalten können. Sie blieb in Paris in der größten Armuth und voller Scham, die BarmherzigkeitCromwels angesprochen zu haben; da
indessen ihre Söhne zu der Armee des Prinzen von Conde und des Don Juan von Oesterreich giengen, das Kriegshandwerk wider Frankreich, welches sie verließ, zu erlernen. Die aus Frankreich vertriebenen Kinder Carls des I flüchteten nach Spanien. Die spanischen Minister schrien an allen Höfen, und besonders in Rom, aus vollem Halse wider einen Kardinal, welcher, wie sie sagten, alle göttliche und menschliche Gesetze und die Ehre der Religion einem Königsmörder aufopferte;
und die Vettern Ludewigs des XIV, den zweyten Carl und den Herzog von York aus Frankreich verjagte, dem Henker ihres Vaters zu gefallen. In Flandern wurde der Krieg immer mit ver schiedlichem Fortgange fortgesetzt. Turenne hatte Valenciennes mit dem Marschall von Ferte belagert, und mußte eben den Unstern erfahren, welchen Conde vor Arras erfahren hatte. Der Prinz, welcher da mals von dem Don Juan von Oesterreich, welcher es eher verdiente, an seiner Seite zu streiten, als der
Erzherzog, unterstützt wurde, drang durch die Linien des Marschalls von Ferte, nahm ihn gefangen, und entsetzte Valenciennes *. Turenne that, was Conde bey einer gleichen Widerwärtigkeit gethan hatte. Er rettete die geschlagene Armee, und both überall dem Feinde die Spitze; er belagerte so gar einen Monat darauf Chapelle, und nahm es ein. Das war viel leicht das erstemal, daß eine geschlagene Armee eine Belagerung zu unternehmen gewagt hatte. Dieses so gepriesene Unternehmen des Turenne, nachdem er Chapelle eingenommen hatte, ward durch
ein schöneres Unternehmen des Prinzen von Conde verdunkelt. Kaum belagerte Turenne Cambray, als Conde mit zwey tausend Mann zu Pferde durch die Armee der Belagerer drang, alles, was sich ihm entgegen stellte, niederstürzte, und sich in die Stadt warf **. Die Bürger empfingen ihren Befreyer auf den Knien. Auf diese Art entwickelten diese zwey entgegen gesetzten Helden die Stärke ihrer kriege rischen Geister immer mehr und mehr. Man be wunderte sie, wenn sie sich zurück zogen, eben so sehr, als wenn sie siegeten, so gar in ihren Fehlern selbst, welche sie allezeit wieder gut zu machen suchten. Ihre Geschicklichkeiten hielten wechselsweise den Anwachs der einen oder der andern Monarchie auf; die Un ordnung aber, welche sowol in Frankreich, als in Spanien, in dem Finanzwesen herrschete, war noch ein weit größer Hinderniß ihres glücklichen Fortganges.
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Schreiben des Hn. von Voltaire,
über seinen Versuch des Jahrhunderts Ludewigs des
XIV. an Mylord Harvey, geheimen Siegelbewahrer von England.
Ich bitte sie, Mylord, urtheilen sie von meinem Versuche über das Jahrhundert Ludewigs des XIV, nicht nach den zwey Hauptstücken, die man in Holland mit so viel Fehlern gedruckt hat, welche mein Werk ganz unkenntlich und unverständ lich machen. Wenn die englische Uebersetzung nach dieser unförmlichen Abschrift ist gemacht worden, so verdient der Uebersetzer eine Verdolmetschung der Offenbarung zu machen. Vor allen aber bitte ich, seyn sie etwas weniger verdrüßlich, daß ich das letzte Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs des XIV. nenne. Ich weiß wohl, Ludewig der XIV. hatte die Ehre nicht, der Herr oder Wohlthäter eines Boyle,
eines Newtons, eines Halley, eines Addisons, eines
Drydens zu seyn. Allein in dem Jahrhunderte,
welches man das Jahrhundert des zehnten Leo nennt, hatte denn dieser zehnte Leo alles gethan? Waren
damals keine andere Fürsten, welche das Ihrige bey trugen, das menschliche Geschlecht zu erleuchten und gesitteter zu machen? Gleichwol hat der Name des
zehnten Leo den Vorzug erhalten, weil er mehr als jeder andere die Künste aufmunterte. Und nun, wer hat denn in diesem Stücke der Menschlichkeit mehr Dienste gethan als Ludewig der XIV? Welcher König hat mehr Wohlthaten ausgestreuet, mehr Ge schmack bewiesen, und sich durch schönere Stiftungen hervorgethan? Er hat, ohne Zweifel, nicht alles gethan, was er hätte thun können, weil er ein Mensch war; er hat aber mehr gethan, als jeder andere, weil er ein großer Mann war. Mein stärk ster Grund, ihn sehr hoch zu schätzen, ist, daß er, ungeachtet seiner bekannten Fehler, mehr Ruhm hat, als keiner von seinen Zeitverwandten. Trotz einer Million Menschen, deren er Frankreich beraubet hat, und welchen allen daran gelegen war, ihn zu ver schreyen, schätzt ihn doch ganz Europa hoch, und setzt ihn in die Zahl der größten und besten Mo narchen. Nennen sie mir doch denjenigen Fürsten, welcher mehr geschickte Ausländer an sich gezogen habe, und welcher die Verdienste seiner Unterthanen, mehr auf gemuntert habe? Sechzig Gelehrte in Europa er hielten Belohnungen von ihm, welche darüber er staunten, daß sie ihm bekannt wären. Colbert schrieb ihnen: Ob der König gleich nicht ihr Herr ist, so will er doch ihr Wohl
thäter seyn. Er hat mir befohlen, ihnen beyliegenden Wechsel, als ein Zeichen seiner Hochachtung, zu schicken. Ein Böhme, ein Däne, erhielten dergleichen aus Versailles gegebene Briefe. Guillemini baute von den Wohlthaten Ludewigs des XIV in Florenz ein Haus; er ließ den Namen dieses Königs über den Eingang desselben setzen, und sie wollen nicht, daß ich ihn an die Spitze des Jahrhunderts, von welchem ich rede, setze? Was er in seinem Reiche gethan hat, kann zu ei nem ewigen Beyspiele dienen. Er trug die Erzie hung seines Sohnes und seines Enkels den beredtesten und gelehrtesten Männern in Europa auf. Er hatte die Aufmerksamkeit, daß er drey Söhne des Peter CerneillePeter Corneille unterbrachte; zwey unter den Soldaten, und einen im geistlichen Stande. Er ermunterte die hervorkommende Geschicklichkeit des Racine durch ein Geschenk, welches für einen unbekannten jungen Menschen ohne Vermögen sehr beträchtlich war; und als sich dieses Genie vollkommen gemacht hatte, so machten seine Geschicklichkeiten, welche oft zu nichts, als zur Ausschließung des Glückes dienen, das seini ge: er genoß mehr als Glück; die Gunst, und manch mal die Vertraulichkeit seines Herrn; dessen bloßer Blick eine Belohnung war. Er war in den Jahren 1688 und 89 bey den Reisen von Morly, um wel che sich die Hofleute so viel Mühe gaben; er schlief, während seiner Krankheit, in dem königl. Zimmer, und las dem Könige die Meisterstücke der Beredsam keit und Dichtkunst vor, welche die Zierde dieser vor trefflichen Regierung sind. Diese mit Entscheidung ertheilten Gunstbezeugun gen sind es, welche die Nacheiferung erwecken, und große Geister erhitzen. Es ist viel, Stiftungen zu machen, es ist nichts weniges, sie zu unterstützen; es aber bloß bey diesen Stiftungen bewenden lassen, heißt oft einen unnützen Menschen zu einem großen Manne einerley Zuflucht verschaffen, und in einem Stocke die Biene und die Hummel aufnehmen. Ludewig der XIV. dachte an alles. Er beschützte die Akademien, er zog diejenigen vor, welche sich hervorthaten. Er verschwendete seine Gunst nicht bey einer Art von Verdiensten, mit Ausschließung der andern, so wie viele Prinzen nur demjenigen wohl wollen, was ihnen gefällt, nicht aber dem, was gut ist. Die Naturlehre und die Untersuchung des Al terthums zogen seine Aufmerksamkeit an sich. Sie erkaltete nicht einmal in den Kriegen, welche er ge gen Europa fortzusetzen hatte. Indessen, da er auf dreyhundert Citadellen erbaute, und mehr als vier mal hundert tausend Soldaten marschiren ließ, ließ er das Observatorium aufrichten, und eine Mittags linie von einem Ende des Königreichs bis zu dem an dern ziehen; ein Werk welches in seiner Art das ein zige in der Welt ist. Er ließ in seinem Pallaste Uebersetzungen der guten griechischen und lateinischen Schriftsteller drucken; er schickte Meßkünstler und Naturforscher in das Innerste von Africa und Ame rica, Wahrheiten zu suchen. Bedenken sie, Mylord, daß ohne die Reise und ohne die Erfahrungen, derje nigen, welche im Jahre 1672 nach Cayenne giengen,
Newton seine Entdeckungen, die Gravitation betref fend, nicht würde gemacht haben. Betrachten sie,
ich bitte, einen Caßini, einen Hugenius, welche beyde ihr Vaterland, welches sie ehret, verlassen, und nach Frankreich kommen, die Hochachtung und die Wohlthaten Ludewigs des XIV. zu genießen. Und glauben sie, daß ihnen die Engländer nichts schuldig sind? Sagen sie mir doch, ich bitte sie,
an welchem Hofe machte sich der zweyte Carl so viel Höflichkeit und so viel Geschmack eigen? Sind die guten Schriftsteller Ludewigs des XIV. nicht ihre Muster gewesen? Hat nicht aus ihnen der weise Addisson, welcher in England an der Spitze der schönen Wissenschaften war, oft seine vortrefflichen Beurtheilungen gezogen? Der Bischof Burnet selbst gesteht es, daß der Geschmack, welchen die
Hofleute Carls des II. in Frankreich erlanget, in England so gar die Kanzel verbessert habe, der Ver schiedenheit unserer Religionen ungeachtet, zum Be weise, daß sich die Herrschaft der Vernunft über alles erstrecket. Sagen sie mir, ob die guten Bücher der damali gen Zeit nicht vieles zur Erziehung aller deutschen Prinzen beygetragen haben? In welchem nordi schen Hofe hat man keine französischen Schaubühnen gesehen? Welcher Fürst bemühte sich nicht, Ludewi gen dem XIV. nachzuahmen? Welches Volk folgte damals nicht den französischen Moden? Sie führen mir, Mylord, das Exempel Peters des Großen an, welcher die Künste in seinem Lande hervorsprossen ließ, und der Schöpfer eines neuen Volkes ward. Sie sagen mir, weil man in Europa
sein Jahrhundert niemals das Jahrhundert Peters des großen nennen würde, so dürfe auch ich nicht das vergangene Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs des XIV. nennen. Es scheint mir, als ob der Unterschied sehr hand
greiflich sey. Peter wurde bey andern Völkern un terrichtet, und brachte ihre Künste in sein Land. Ludewig der XIV. aber hat die Völker unterrichtet, und alles, sogar seine Fehler, sind Europa nützlich gewesen. Die Protestanten, welche seine Staaten verließen, haben auch bis nach England die Emsig keit gebracht, welche den Reichthum von Frankreich ausmachten. Rechnen sie so viel Seidenmanufacturen, und die Crystallenmanufacturen, für nichts? Die letzten be sonders wurden durch unsere Ausgetriebenen vollkom men gemacht, und wir verloren das, was ihr Land erhielt. Und wenn die französische Sprache beynahe die allgemeine Sprache geworden ist, wem hat man es denn zu danken? War sie zu den Zeiten Hein richs des IV. von solchem Umfange? Nein, wahr haftig nicht, man wußte nichts, als das Italienische und Spanische. Unsere vortrefflichen Schriftsteller sind es, welche diese Veränderung gemacht haben. Allein, wer hat denn diese vortrefflichen Schriftsteller
beschützet, gebraucht und ermuntert? Es war Col bert, werden sie sagen. Ich gesteh es, und behaupte so gar, daß der Minister hierinne den Ruhm mit
seinem Herrn theilen müsse. Allein was hätte Col bert unter einem andern Fürsten gethan? Unter eu rem Könige, Wilhelm, welcher nichts liebte, und
dem Könige von Spanien, dem zweyten Carl, unter so vielen andern Regenten? Glauben sie wol, Mylord, daß Ludewig der XIV. den Hof mehr als in einem Stücke verbessert hat? Er wählte den Lully zu seinem Musicus, und nahm dem Lambert das Privilegium, weil Lambert ein mittelmäßiger Künstler, und Lully ein vortrefflicher
Mann war. Er gab dem Quinaut den Stoff zu seinen Opern. Ludewig der XIV. war es, welcher die Armide angab. Er regierte die Mahlereyen des le Brun, er beschützte Boileau, Racinen, Molieren wider ihre Feinde; er munterte die nützlichen sowol als die schönen Künste auf, und allezeit mit Einsicht in die Sache: er lieh dem Vanrobes Geld, Manu facturen anzulegen; er schoß der indischen Handlungs gesellschaft, welche er gebildet hatte, ganze Millio nen vor. Unter seiner Regierung sind nicht nur große Dinge geschehen, sondern er hat sie guten Theils selber gethan. Erlauben sie also, Mylord, daß ich mich bemühe, ein Denkmaal zu seinem Ruh me aufzurichten, welches ich noch weit mehr dem Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts weihe; ich schreibe als Mensch, nicht als Unterthan; ich will das letzte Jahrhundert schildern, und nicht bloß
einen Fürsten. Ich bin der Geschichte überdrüßig, wo von nichts, als von den Abentheuern eines Kö nigs die Rede ist, als ob er allein, oder, als ob al les für ihn da wäre. Kurz, ich schreibe vielmehr die Geschichte eines großen Jahrhunderts, als eines großen Königes. Pelisson würde beredter geschrieben haben als ich; allein er war ein Hofmann und wurde bezahlt. Ich bin weder das eine, noch das andere; mir kömmt es also zu, die Wahrheit zu sagen. Ich hoffe, daß sie in diesem Werke einige von ihren Gesinnungen finden werden. Je mehr ich wie Sie denken werde, je mehr werde ich Grund haben, den Beyfall der Welt zu hoffen. Ich bin et cetera
III. Geheime Nachrichten von Ludewig demXIV.
Je doute qu'on le prenne avec nous sur le ton
De Daphné ni de Phaeton;
Lui trop ambitieux, elle trop inhumaine.
Il n'est point là de piêge ou vous puissiez donnet.
Le moyen de s'imaginer
Qu'une femme vous fuge, ou qu'un homme vous
aucun. Ich zweifele, daß man mit euch, wie Daphne oder Phaeton verfahren wird. Er war zu hochmüthig; sie war zu grausam. Hier sind keine Fallstricke für euch. Wie wäre es mög lich, daß ein Frauenzimmer euch fliehen, und eine Mannsperson euch zum besten haben könnte? Als er seinen Neffen den Herzog von Bourgogne mit der Prinzeßinn Adelaide von Savoyen verhei rathete, ließ er in einem von den Zimmern von Ver sailles für sie Comödien spielen. Duche, einer von seinen Domestiquen, und Verfasser des schönen Singespiels Iphigenie, machte zu diesen besondern Lustbarkeiten das Trauerspiel, Absalom. Die Her zoginn von Bourgogne stellte die Tochter des Absa lom vor, der Herzog von Orleans, der Herzog de la Valiere spieleten auch mit, wie auch der berühmte Schauspieler Baron, welcher der Anordner des gan zen Werkes war. Es war damals alle Wochen dreymal in Ver sailles Appartement. Die Gallerie und alle Zimmer waren voll. In dem einen Saale wurde gespielet, in dem andern war Musik, in einem dritten schmau sete man. Der König belebte alle diese Lustbarkei ten durch seine Gegenwart. Manchmal ließ er in die Gallerie Buden voller kostbaren Edelsteine setzen. Er machte Lotterien daraus, und die Herzoginn von Bourgogne vertheilte meistentheils die großen Loose. Mitten unter diesen kostbaren Lustbarkeiten und angenehmen Ergötzungen war es, als er die weit läuftigen Entwürfe machte, worüber ganz Europa erzitterte. Er führete die Königinn und alle Hofda men an die Gränzen. Bey dem Kriege von 1667 theilte er mehr als für hundert tausend Thaler, theils an vornehme Flamländer, die ihm ihre Aufwartung zu machen kamen, theils an Abgeordnete der Städte oder Gesandte der Prinzen aus, welche ihn bewillkomme ten; und allezeit folgte er hierinne seinem Geschmacke in der Pracht eben so wohl als seine Staatsklugheit. Man kann sich also nicht genug verwundern, daß man ihn fast in allen erbärmlichen Geschichten, die man von seinem Reiche zusammen gestoppelt hat, des Geizes beschuldiget. Niemals hat ein König größere Geschenke, und diese zu einer bequemern Zeit und mit mehr Amnuth ausgetheilet, als er. Die edlen Ergötzungen, womit er beständig den prächtigsten Hof von der Welt unterhielt, verhin derten ihn nicht, sich ordentlicher Weise bey allen Berathschlagungen einzufinden. Selbst in seiner Krankheit setzte er sie nicht aus. Nur ein einzigmal zog er die Jagd vor. Es war gleich an dem Tage, nicht viel zu thun. Er trat herein, und sagte, daß die Berathschlagung diesesmal sollte ausgesetzt seyn, und sagte es, indem er aus dem Stegreife eine Oper arie des Quinaut und Lully parodirte.
Le Conseil à ses yeux a beau se presenter
Si tot qu'il voit sa chienne il quitte tout pour elle;
Rien ne peut l'arreter
Quand la chasse l'appelle. Umsonst zeigt sich ihm sein Rath; so bald er seine Hindinn erblickt, verläßt er alles. Nichts hält ihn auf, wenn ihn die Jagd ruft. Er hatte verschiedene kleine Liederchen in diesem leichten und natürlichen Geschmacke gemacht, und auf seinen Reisen in die Franche Comte, ließ er seine Hofleute, besonders den Pelisson und den Marquis d'Angeau Impromtüs machen. Er spielte nicht übel auf der Zitter, die damals Mode war, und verstand sich auf die Musik nicht weniger sehr wohl, als auf die Malerey. In dieser letzten Kunst liebte er nichts, als die edlen Gegenstände. Die Trinieres und andere kleine flammländische Maler fanden vor seinen Augen keine Gnade. Weg mit diesen Affen, sagte er einsmals, als man ihm eines von dergleichen Werken in ein Zimmer gestellet hatte. Seines Geschmacks an der großen und edlen Bau kunst ungeachtet, ließ er das alte Schloß von Versailles mit seinen sieben kreuzweisen Flügeln und dem kleinen Hofe von Marmor auf der Seite von Paris, stehen. Er hatte dieses Schloß anfangs zu nichts, als zu einem Aufenthalte bey der Jagd bestimmt, welches es zu den Zeiten Ludewigs des XIII war, der es dem Staatssecretaire Lomenie ab kaufte. Nach und nach machte er den unermeßli chen Pallast daraus, dessen eine Seite nach dem Gar ten zu, das schönste ist, was man in der Welt sehen kann, da die andere Seite von dem allerkleinsten und schlechtesten Geschmacke zeiget. Er wendete auf die sen Pallast und auf den Garten mehr als fünf hun dert Millionen, welche nach unserer Münze mehr als neun hundert betragen. Der Herzog von Crequi sagte zu ihm: Sire, alles ist umsonst; sie wer den doch nichts als einen Liebling ohne Ver dienst daraus machen. Die Meisterstücke der Bildhauerkunst wurden in seinen Gärten verschwendet. Er ergötzte sich daran, und besah sie sehr oft. Ich habe den Herzog von Antin sagen hören, daß, als er Oberaufseher über die königlichen Gebäude gewesen, er die Statuen oft mit Fleiß durch unterlegte Stücke habe schief setzen lassen, damit der König das Vergnügen haben möge, sein gutes Augenmaaß daran zu zeigen. Der König ward auch allezeit den Fehler gewahr. Der Herzog von Antin widerstritt ihm Anfangs, endlich gab er sich, und ließ die Säule gleich setzen, in dem er sich ganz erstaunt stellte, daß sich der König auf alles so wohl verstehe. Hieraus mag man schließen, wie leicht man einem Könige was einbil den könne. Man weiß den Streich eines Hofmannes, wel chen eben dieser Herzog ausführete. Als der König einsmals in Petitbourg schlief, und gefunden hatte, daß eine gewisse große Allee von alten Bäumen eine sehr schlechte Aussicht mache; so ließ sie der Herzog in einer Nacht umhauen, und alles bey Seite schaf fen. Als der König bey dem Aufstehen die Allee nicht mehr fand, so sagte der Herzog zu ihm: Sie hat ihnen misfallen, Sire; durfte sie sich un terstehen, länger vor ihren Augen zu bleiben? Eben dieser Herzog von Antin war es, welcher zu Fontaineblau dem Könige und der Herzoginn von Bourgogne ein ganz besonderes Schauspiel gab, und dadurch ein Beyspiel der zärtlichsten und feinsten Schmeicheley ablegte. Ludewig der XIV hatte sich einmal erklaret, er wünsche, daß man einen gewissen ganzen Wald niederhauen möge, welcher ihm ein wenig die Aussicht benahm. Der Herzog von Antin ließ alle Bäume nahe an der Wurzel durch sagen, so daß sie noch kaum stehen konnten. An jedem von diesen Bäumen wurden Stricke gebunden, und mehr als 1200 Menschen stunden in dem Walde auf den geringsten Wink gefaßt. Der Herzog wußte an welchem Tage der König mit seinem ganzen Hofe in dieser Gegend spatzieren würde. Se. Majestät unterließ nicht, noch einmal zu wiederholen, wie sehr ihm dieser Wald misfiele. Sire, antwortete ihm der Herr von Antin; der Wald soll nieder gehauen seyn, so bald es Ew. Majestät befehlen. Wahrhaftig, antwortete der König, wenn es nur auf das Befehlen ankömmt, so wäre ich ihn längst gerne los gewesen. Nun wohl, er soll den Augen blick niedergerissen seyn. Der Herzog gab hierauf ein Zeichen, und man sahe den Wald fallen. Ach! schrie die Herzoginn von Bourgogne, wahrhaftig, wenn der König unsere Köpfe verlangt hätte, ich glaube der Herr von Antin würde sie auf eben die Art haben fallen lassen. Ein Einfall, der ein we nig zu lebhaft war, dennoch aber keine Folgen hatte. So suchten ihm alle seine Hofleute, jeder nach seinem Vermögen und seinen Einsichten, zu gefallen. Er verdiente es, denn er war selbst besorgt, sich allen, die um ihn waren, angenehm zu machen. Es war eine beständige Vertauschung, von allem, was die Ma jestät, ohne sich zu erniedrigen, anmuthiges haben, und von allem, was die Bereitwilligkeit zu dienen und zu gefallen, ohne Niederträchtigkeit Feines zeigen konnte. Besonders war er mit dem Frauenzimmer von einer außerordentlichen Aufmerksamkeit und Höf lichkeit, welche die Höflichkeit seiner Hofleute ver mehrte. Er ließ niemals eine Gelegenheit aus den Händen, den Mannspersonen etwas zu sagen, was ihrer Eigenliebe schmeichelte, die Nacheiferung unter ihnen erweckte, und ein langes Andenken zurücke ließ. Als die Madame Dauphine einmal an ihrer Tafel einen sehr häßlichen Officier gewahr ward, und sehr laut über seine Häßlichkeit spottete; sagte der König noch lauter, ich halte ihn für einen von den schönsten Männern in meinem Königreiche, denn er ist einer von den tapfersten. Der Generallieutenant, Graf von Marieaux, ein etwas wilder Mensch, dessen Gemüthsart nicht ein mal an dem Hofe Ludewigs des XIV sanfter gewor den war, hatte in einem Treffen einen Arm verlo ren, und beklagte sich einmal gegen den König dar über, welcher ihn gleichwol belohnet hatte, so viel als man einen wegen eines verlornen Armes belohnen kann. Ich wollte, sagte er, daß ich den andern Arm auch verloren hätte, damit ich Ew. Majestät nicht mehr dienen könnte. Das würde mir eurent wegen und meinetwegen leid seyn, antwortete Lude wig der XIV, und auf diese Rede folgte die Bewilli gung einer Gnade, um die er ihn gebethen hatte. Weit gefehlet, daß er jemanden unangenehme Sachen hätte sagen sollen, welche in dem Munde eines Mo narchen tödtliche Pfeile sind; er erlaubte sich nicht einmal die unschuldigsten und feinsten Spöttereyen, da doch Privatpersonen alle Tage die grausamsten und nachtheiligsten vorbringen. Er wollte einmal seinen Hofleuten etwas erzählen, und hatte so gar versprochen, daß die Erzählung ar tig seyn sollte, gleichwol war sie es so wenig, daß man nicht einmal darüber lachte, ob es gleich die Er zählung eines Königes war. Sobald aber der Prinz von Armagnac, den man Monsieur le Grand nennte, aus dem Zimmer gegangen war, so sagte der König zu denen, die noch bey ihm geblieben waren: Meine Herren, meine Erzählung ist euch sehr abgeschmackt vorgekommen, und das mit Recht. Ich besann mich aber, daß etwas darinne vorkam, was den Herrn le Grand von weiten angeht, und worüber er hätte em pfindlich werden können. Ich habe es also lieber unterdrücken, als ihm misstellen wollen. Itzo da er nicht zugegen ist, will ich die Erzählung vollständig machen. Er that es, und man lachte. Aus diesen kleinen Zügen kann man deutlich genug sehen, daß es falsch ist, wenn man ihm harte und widerwärtige Reden beyleget, wie er zum Exempel, dem Hrn. de la Rochefoucault weh zu thun soll gesaget haben: Was frage ich darnach, welcher von meinen Knechten mir dienet? Einer solchen Unanstän digkeit war Ludewig der XIV. unfähig. Ich habe mich bey allen, die sehr nahe um ihn gewesen, erkun diget, und alle haben mich versichert, daß es eine grobe Erdichtung sey; gleichwol wiederholt und glau bet man sie von einem Ende Frankreichs bis zum an dern. Die kleinen Verleumdungen finden eben so wol ihr Glück als die großen. Wie kann man solche verhaßte Worte mit dem zusammen reimen, was er eben diesem Herzoge de la Rochefoucault einsmals sagte, als er in Schulden verwickelt war: Warum redet ihr aber nicht mit euren Freunden des wegen? Diese Rede begleitete er mit einem Ge schenke von 50000 Thalern. Wenn er einen Lega ten empfing, der sich im Namen des Pabstes ent schuldigen sollte, oder einen Dogen von Genua, wel cher ihn um Verzeihung zu bitten kam, so dachte er auf nichts, als ihnen zu gefallen. Seine Minister waren hierinne ein wenig anders gesinnet. Daher sagte auch der Doge Leriaco, ein Mann von großem Witze: Der König nimmt uns unsere Frey heit, indem er unsere Herzen fesselt, seine Mi nister aber geben sie uns wieder. Als er im Jahre 1686 seinen Sohn dem großen Dauphin das Commando seiner Armee anvertraute, so sagte er zu ihm: indem ich euch meine Armee zu commandiren schicke, so gebe ich euch Ge legenheit, eure Verdienste sehen zu lassen. Auf diese Art muß man regieren lernen. Wann ich einmal sterbe, so muß man es nicht merken, daß der König todt ist. Mit diesem edeln Wesen druckte er sich fast allezeit aus. Nichts macht auf die Gemüther einen größern Ein druck, und man darf sich nicht wundern, daß dieje nigen, welche um ihn waren, eine Art von Abgötte rey mit ihm trieben. Daß er für die Ehre sehr eingenommen war, ist unstreitig, und noch mehr für die Ehre als für die Wirklichkeit seiner Eroberungen. Was er bey der Erhaltung von Elsaß, der Hälfte von Flandern, und der Franche Comte am meisten liebte, war der Na me, welchen er sich dadurch machte. In der That war auch seit funfzig Jahren in ganz Europa kein gekröntes Haupt gewesen, welches seine Feinde selbst mit ihm zu vergleichen gewagt hätten. Der Kaiser Leopold, dem er oft half, und den er al lezeit erniedrigte, war kein Monarch, der dem Kö nige in Frankreich etwas streitig machen konnte. Zu seiner Zeit waren alle türkische Kaiser mittelmäßige und grausame Leute. Philipp der IV, und Carl der II, waren eben so schwach, als es die spanische Monarchie geworden war. Der zweyte Carl in England suchte den XIVten Ludewig in weiter nichts als in seinen Lustbarkeiten nachzuahmen. Der zweyte Jacob ahmte ihm in nichts als in seiner Gottesfurcht nach, und machte sich die Mühe sehr schlecht zu Nutze, die sich sein Beschützer seinetwegen gab. Wilhelm der III. brachte Europa wider Ludewigen auf, er konnte ihm aber weder an Großmuth, noch an Pracht, noch an Denkmälern, noch in sonst einem Stücke gleich kommen, was diese vortreffliche Regie rung verewigt hat. Die Königinn Christina wurde durch nichts als durch die Ablegung der Krone und durch ihren Geist berühmt. Ihre Nachfolger, die Könige in Schweden, bis auf den XIIten Carl, tha ten nichts, was des großen Gustavs würdig gewesen wäre, und Carl der XII selbst war ein Held, er hatte aber die Klugheit nicht, die ihn zu einem gros sen Manne hätte machen können. Johann Sobiesky in Pohlen hatte den Ruhm eines vortrefflichen Gene rals, ohne den Ruhm eines großen Königs zu ha ben. Kurz, Ludewig der XIV war, bis auf die Schlacht bey Hochstädt, der einzige mächtige, präch tige, und fast in allen Stücken große König. Das Rathhaus in Paris legte ihm, im Jahre 1680, den Namen des Großen bey, und das, obschon eifersüch tige Europa, bestätigte ihn. Man hat ihm einen unerträglichen Hochmuth Schuld gegeben, weil seine Bildsäule auf dem Siegsplatze und auf dem Platze von Vendome Po stumente haben, die mit gefesselten Sklaven verzie ret sind. Man will aber nicht sehen, daß die Bild säule des großen, gütigen und anbethenswürdigen Heinrichs des VIten auf der neuen Brücke, gleich falls von vier Sklaven begleitet ist, daß die Bild säule Ludewigs des XIIIten, welche vor Alters für Heinrichen den IIten gemacht wurde, und die Bild säule des großen Herzogs Ferdinand von Medicis in Livorno eben diese Zierrathen hat. Es ist mehr ein Gebrauch der Bildhauer, als ein Beweis der Eitel keit. Man richtet diese Denkmäler für die Könige auf, so wie man sie ankleidet, ohne daß sie darauf Acht haben. Man hielt in Florenz und Bologna öffentliche Lobreden auf ihn. Der berühmte toscanische Astro nom, Herr Guillemini, ließ in Florenz von seiner Freygebigkeit ein Haus bauen, und die Ueberschrift über die Thür setzen: Aedes a Deo datae, das von einem Gott geschenkte Haus. Er zielte hierdurch auf den Zunamen des geschenkten Got tes, welchen Ludewig der XIV. in seiner Jugend ge habt hatte, und auf die Zeile im Virgil: Deus nobis haec otia fecit. Diese Ueberschrift war ohne Zweifel weit abgöttischer als diejenige, die man unter seine Bildsäule auf dem Siegsplatze setzte: Viro immortali; dem unsterblichen Manne. Man hat diese letztere Ueberschrift getadelt, als ob das Wort, unsterblich, von etwas mehr, als von der Unsterblichkeit seines Ruhmes zu verstehen sey. Er war in den falschen Ruhm, den man ihm vor wirft, so wenig verliebt, daß er aus der Gallerie in Versailles alle schwülstige und hochmüthige Ueber schriften wegnehmen ließ, welche Charpentier, ein Mitglied der französischen Akademie, bey allen Ver zierungen angebracht hatte: der berühmte Ueber gang über den Rhein; die weise Aufführung des Königs; die wunderbare Unterneh mung et cetera Ludewig der XIV unterdrückte alle Beywörter, und ließ nur die Thaten. Die Aufschrift, welche sich in Paris an dem Thore des heil. Dionysius be findet, und die man ihm vorgeworfen hat, ist in der That den Holländern schimpflich, sie enthält aber kein ungeziemendes Lob Ludewigs des XIVten. Er ver stand kein Latein, wie wir schon gesaget haben, er kam selten nach Paris, und vielleicht hat er eben so wenig von dieser Ueberschrift reden hören, als von den Ueberschriften des Senteuil, welche an den Fon tainen in der Stadt sind. Freylich wäre es zu wün schen, daß wir keine Denkmäler stehen ließen, welche unsere Nachbarn erniedrigen, und daß wir hierinnen den Griechennachahmten, welche nach dem pelopon nesischen Kriege alles niederrissen, was Haß und Erbitterung von neuem hätte erwecken können. Die elenden Geschichte Ludewigs des XIV, sagen fast alle, daß der Kaiser Leopold eine Pyramide auf der Wahlstatt bey Hochstädt habe aufrichten lassen. Diese Pyramide aber ist niemals anders als in den Zeitungen zu finden gewesen, und ich erinnere mich, daß mir der Marschall von Villars einmal sagte, er habe nach der Einnehmung von Freyburg funfzig Reuter auf das Feld geschickt, wo diese unglückliche Schlacht vorgefallen, mit Befehl die Pyramide, wann sie wirklich da sey, nieder zu reißen; man habe aber nirgends die geringste Spur davon gefunden. Das Mährchen mit der Pyramide ist mit dem Mähr chen von dem Schaustücke des Sta sol, stehe stille, Sonne, in eine Classe zu setzen, welche die General staaten nach dem Frieden bey Aachen sollen haben schlagen lassen, an welche Thorheit sie aber niemals gedacht haben. Die vornehmsten Thaten, auf welche Ludewig der XIV seine Ehre gründete, waren, daß er zu An fange seiner Regierung den spanischen Zweig des Hau ses Oesterreich, welcher seit hundert Jahren unsern Königen den Vorsitz streitig machte, gezwungen ha be, selbigem im Jahr 1661 auf ewig zu entsagen; daß er im Jahre 1664 die Verbindung der zwey Meere unternommen habe, daß er im Jahre 1667 die Ge setze verbessert; in eben dem Jahre das französische Flandern in sechs Wochen erobert; das Jahr dar auf, mitten im Winter, die Franche Comte in we niger als einem Monate weggenommen, und Straß burg und Dünkirchen zu Frankreich gebracht habe. Zu diesen Stücken, die ihm nothwendig schmeicheln mußten, setze man noch eine Seemacht von beynahe zweyhundert Schiffen, 60000 im Jahre 1681 ein rollirte Matrosen, außer denen, welche damals schon in Diensten waren; die Häfen zu Toulon, zu Brest und zu Rochefort, die er bauen ließ, mehr als 50 angelegte Citadellen; die Stiftung des Inva lidenhauses von St. Cire; den Orden des heil. Lude wigs; das Observatorium; die Akademie der Wis senschaften; die Abschaffung des Zweykampfes; die Aufrichtung der Polizey; die Verbesserung der Ge setze; so wird man sehen, daß sein Ruhm gegründet genug war. Er that nicht alles, was er thun konnte, er that aber doch ungleich mehr, als ein anderer. Wann ich sage, daß alle die großen Denk maale den Staat nichts gekostet haben, den sie gleich wohl verschönerten, so sage ich nichts als die lautere Wahrheit. Das Volk glaubet, daß ein König, welcher viel auf Gebäude und Auszierungen wendet, sein Reich ruinire; er bereichert es vielmehr, indem er das Geld unter eine unzähliche Menge Künstler bringt; alle Profeßionen gewinnen dabey, und die Aem sigkeit und der Umlauf des Geldes wird vermehret. Der König, welcher seine Unterthanen am meisten arbeiten läßt, der macht sein Reich am meisten blü hend. Er liebte die Lobeserhebungen, aber nicht die groben, und diejenigen Gemüthsarten, welche gegen gerechte Lobsprüche unempfindlich sind, verdienen meistentheils keine. Wenn er die Prologen in den Opern, worinne ihn Quinault erhob, zuließ, so geschah es deßwegen, weil diese Lobeserhebungen der Nation gefielen, und die Ehrfurcht, welche sie gegen ihn hatten, vermehreten. Die Lobsprüche, welche Virgil, Horaz, Ovidius gegen den August verschwendeten, waren weit stärker; und wenn man an die Verbannungen gedenket, so hatte sie August weit weniger verdienet. Ludewig der XIVte billigte nicht alle Lobeserhebun gen, womit man ihn überhäufte. Die französische Akademie legte ihm gewöhnlicher Weise Rechenschaft von den Aufgaben zu dem Preise ab. Als eine von diesen Aufgaben einmal war: welche Tugend un ter allen Tugenden des Königs den Vorzug verdiene? so wollte er diese allzuempfindliche Schmei cheley durchaus nicht annehmen, und befahl, daß man eine andere Aufgabe vorlegen sollte. Aus allen diesen folgt, daß nie ein Mensch mehr nach der wahren Ehre gestrebt habe. Die wahre Bescheidenheit, ich gestehe es, ist weit über eine so edle Selbstliebe. Wenn es geschehen sollte, daß ein Monarch eben so große Thaten thun sollte, als Lude wig der XIV gethan hat, und wäre noch dazu be scheiden, so würde dieser Monarch der größte Mann auf der Welt, und Ludewig der XIV der erste nach ihm seyn. Ein unwidersprechlicher Beweis von seiner vor trefflichen Gemüthsart ist der lange Brief, welchen er an den Herrn la Tellier, den Erzbischof von Rheims schrieb, und den ich so glücklich gewesen bin im Originale zu sehen. Er war sehr misvergnügt über den Herrn Barbezieux, einen Neffen dieses Prälaten, dem er die Stelle des berühmten Louvois seines Vaters, das Staatssecretariat nämlich, ge geben hatte. Er wollte dem Herrn von Barbezieux nichts hartes sagen; er schrieb also an seinen Oheim, welcher mit ihm reden und ihn bessern sollte. Ich weiß, sagte er, was ich dem Andenken des Herrn von Louvois schuldig bin. Wann aber euer Neffe seine Aufführung nicht än dert, so werde ich wider meinen Willen ge zwungen seyn, einen Entschluß zu fassen. Er läßt sich hierauf in eine weitläuftige Erzählung aller seiner Verbrechen ein, die er dem Minister als ein zärtlicher Vater vorwirft, welcher um alles weiß, was in seinem Hause vorgeht. Er beklaget sich, daß Herr von Barbezieux seine große Geschicklichkeit nicht allzu wohl brauche; daß er dann und wann die Lust barkeiten den Geschäfften vorzieht; daß er die Offi ciere in seinem Vorgemache allzulange warten läßt; daß er mit allzuviel Härte und Stolz spreche. Die ser Brief ist in der That der Brief eines Königs und eines Vaters. In hundert Pasquillen, die man wider ihn ge schrieben hat, wirft man ihm seine Liebeshändel mit der größten Bitterkeit vor. Welcher von allen denen aber, die ihn anklagen, hat nicht eben die Leidenschaft? Es ist besonders, daß man einem Könige eine Frey heit nicht verstatten will, die sich der geringste von seinen Unterthanen so öffentlich anmaßt. Diejenigen, welche diese Leidenschaft niemals ge kannt haben, sind gemeiniglich harte und unerbitt liche Gemüthsarten. Ein Frauenzimmer, welche geliebt zu werden verdienet, macht die Sitten zärt licher. Sie ist die einzige, die einem Prinzen nütz liche Wahrheiten sagen kann, die er aus dem Munde einer Mannsperson nicht ohne Verdruß und Scham hören würde, und die ihm nicht einmal eine Manns person zu sagen sich untersteht. Ludewig der XIV war allezeit in seiner Wahl glücklich, und war es auch in seinen natürlichen Kindern. Er hatte zehn rechtmäßige, und zwey, welche es nicht waren. Zwey von den zehn rechtmäßigen starben in ihrer Kind heit; die andern achte hatten alle Verdienste. Die Prinzeßinnen waren liebenswürdig, der Herzog von Maine, und der Graf von Toulouse waren sehr kluge Prinzen. Der Graf von Vermandois, welcher sehr jung starb, und vor dem Grafen von Toulouse Ad miral war, versprach sehr viel. In der letzten Historie Ludewigs des XV giebt man vor, daß die Madame von Montespan, die Madame von Maintenon selbst an den Hof gebracht habe. Man betrügt sich, der Herzog von Richelieu war es, welcher sie dahin brachte; der Vater des ersten Kammerjunkers, welcher in Europa durch seine anmuthige Gestalt, durch seinen Witz und durch die Dienste, die er in der Schlacht bey Fontenay geleistet, so bekannt gewesen ist. Die Wohnung des Richelieu war der Sammelplatz der besten Ge sellschaft in Paris, und erhielt den Ruhm des Ma rais, welches damals das schöne Viertheil der Stadt war. Die Frau von Maintenon, die man damals die Frau Scarron nennte, eine Witwe des Sohnes eines Oberkammerraths, aus guter Familie, und die Enkelinn des unter dem großen Heinrich so bekannten von Aubigne, kam sehr oft in das Haus des Herrn von Richelieu, wo sie ungemein wohl gelitten war. Die Frau von Montespan wollte ihren Sohn, den Herzog von Maine, der damals noch ein Kind war, und einen etwas ungestalten Fuß hatte, in das Bad nach Barege schicken; sie sucht also eine verständige und verschwiegene Person, die die Aufsicht über sich nehmen wollte. Die Geburt des Herzogs von Maine war damals noch ein Geheimniß. Der Her zog von Richelieu schlug diese Reise der Frau Scarron vor, weil sie nicht reich war, und der Herr von Louvois, welcher um die Sache wußte, schickte ihn in geheim mit dem jungen Herzoge nach dem Bade ab. Man muß gestehen, daß bey dem Glücke dieser Dame ein besonderes Schicksal waltete. Sie war zu Niord in dem Gefängnisse gebohren, wo man ihren Vater verschlossen hielt, nachdem er aus dem Castelle Trompette mit der Tochter des Untergou verneurs eines von Cardillac, die er hernach heirathete, geflohen war. Sie war also von väterlicher und mütterlicher Seite von gutem Herkommen, nur daß sie kein Vermögen hatte. Ihr Vater hatte das we nige Vermögen verthan, welches er gehabt hatte, und suchte sein Glück in Amerika. Er nahm seine Tochter in ihrem dritten Jahre mit dahin, und als man mit ihr an das Ufer ausstieg, so wäre sie bey nahe von einer Schlange aufgefressen worden. Als sie in ihrem zwölften Jahre wieder nach Frank reich zurück gekommen war, hielt sie sich bey der Herzoginn von Navailles, ihrer Anverwandtinn, von welcher sie aber nichts als die Erziehung genoß, auf. Hier änderte sie ihre Religion; denn sie war in der calvinischen gebohren. Es war ein Glück für sie, den Scarron zu heirathen, welcher fast einzig von Gnadengeldern und von seinen Werken lebte, so daß er sein Landgütgen Quinet nannte, weil sein Buch händler Quinet hieß. Nach dem Tode ihres Mannes hielten alle ihre Freunde bey dem Könige für sie um einen Theil des Gnadengehalts an, welches Scarron genossen hatte, und der König ließ sie zwey Jahr warten. Endlich gab er ihr ein Gehalt von 2000 Livres, ehe sie den Herzog du Maine ins Bad führte. Er sagte zu ihr: Madame, ich habe euch lange warten lassen, allein ich war auf eure Freun de eifersüchtig, und ich wollte, daß ihr nie manden als mir solltet verbunden seyn. Der Kardinal von Fleury, aus dessen Munde ich diesen Umstand habe, hat mir gesaget, daß ihm der König eben diese Rede gehalten habe, als er ihm das Bis thum zu Fregus gegeben. Sie war ungefähr funf zig Jahr, als sich Ludewig der XIV in sie verliebte. Man muß gestehen, daß man in diesem Alter nicht leicht das Herz eines Königes besiegt, zumal das Herz eines Königs, welcher ekel geworden, ohne außerordentliche Verdienste zu besitzen. Höflichkeit wird dazu erfordert, ohne niedrige Dienstfertigkeit, Witz ohne Begierde ihn zu zeigen, eine natürliche Biegsamkeit, ein gründlicher und angenehmer Um gang, die Kunst die Seele eines Menschen ohn Un terlaß zu ermuntern, welcher alles gewohnt und alles überdrüßig ist; genugsame Stärke guten Rath zu ertheilen, und genugsames Zurückhalten, ihn nur zu gelegener Zeit zu ertheilen; endlich wird jener unaus zudrückende Reiz dazu erfodert, welcher den Geist fesselt, und den Schlummer der Gewohnheit aufleben läßt. Alle diese Eigenschaften besaß die Frau von Mentenon. Sie machte dem XIVten Ludewig von dem Jahre 1684 an, bis an seinen Tod, das Leben voller Anmuth. Die Geschichte des Reboulet saget, daß er sie in Gegen wart des Bonstemps und Forbins geheirathet habe; allein es war Herr von Montcheuvreuil und nicht Herr von Forbin, welche als Zeugen zugegen waren. Die erste Frau Jacobs des IIten Königs in Eng land, war eine Tochter des Kanzlers Hyde. Sie war beyweiten aus keiner so guten Familie als die Frau von Maintenon, noch vielweniger aber hatte sie ihre Verdienste. Wir haben Petern dem Großen ein Frauenzimmer heirathen sehen, welches weit ge ringer als jene beyden Damen waren, und diese Ge mahlinn Peters ward nicht nur Kaiserinn, sondern sie verdiente es auch zu seyn. Die Liebe macht, daß alle Ungleichheiten verschwinden, und weiß sehr große Zwischenräume zusammen zu bringen. Der gewis seste Beweis, daß die Frau von Maintenon ihres Glückes werth gewesen, war dieser, daß sie es nie mals misbrauchte. Sie hatte niemals die Eitelkeit dasjenige zu scheinen was sie war; ihre Bescheiden heit verlor sich niemals; und niemand am Hofe konn te sich über sie beklagen. Nach dem Tode Ludewigs des XIV begab sie sich in die Abtey von St. Cir, wo sie eine Pension von vier und zwanzig tausend Livres bekam; und dieses war das einzige Glück, welches sie sich vorbehielt. Alle in Holland gedruckte Geschichten Ludewigs des XIV, werfen ihm die Wiederrufung des Edicts von Nantes vor. Ich glaube es wohl. Alle diese Bücher sind von Protestanten geschrieben worden. Sie waren eben so unerbittliche Feinde dieses Monar chen, als sie vorher, ehe sie das Reich meiden muß ten, treue Unterthanen gewesen waren. Ludewig der XIV verjagte sie nicht so, wie der König Phi lipp der III die Mohren aus Spanien verjagt hatte, welches für die spanische Monarchie eine unheilbare Wunde war. Er wollte die Hugenotten behalten, und sie bekehren. Ich habe den Kardinal von Fleury gefragt, was wol den König vornehmlich be wogen, alle sein Ansehen bey dieser Sache anzuwen den. Er antwortete mir, es sey alles durch den Herrn von Boville, den Intendanten in Languedoc, hergekommen, welcher sich geschmeichelt, die calvini sche Religion in dieser Provinz unterdrückt zu haben, wo gleichwol noch mehr als 24000 Hugenotten wa ren. Ludewig der XIV glaubte, daß, wenn ein In tendante in seinem Bezirke diese Sekte unterdrückt habe, er sie eben so leichtlich in seinem Königreiche unterdrücken würde. Der Herr von Louvois fragte über dieser Sache den Herrn von Gourville um Rath, welchen der König von England, Carl der II, den klügsten Franzosen nannte. Die Meynung des Herrn von Gourville war, auf einmal alle Prediger der protestantischen Kirche aufheben zu lassen. In nerhalb sechs Monaten, sagte er, wird die Hälfte von diesen Predigern ihren Glauben abschwören, und diese läßt man alsdenn wieder unter ihre Heerde; die andere Hälfte, welche halsstarrig bleiben sollte, be hält man im Gefängnisse, wo sie unfähig sind, uns zu schaden. Endlich wird es kommen, daß in wenig Jahren die Hugenotten, wenn sie keine andere als be kehrte Priester haben, welche bey ihrer Veränderung zu bleiben gezwungen sind, sich wieder mit der römi schen Kirche vereinigen werden. Andere waren der Meynung, man müsse den Staat nicht der Gefahr aussetzen, eine so große Anzahl Bürger zu verlieren, in deren Händen die Manufacturen und die Hand lung wäre; man solle also lutherische Familien, wie deren im Elsaß wären, in das Reich kommen lassen. Die Lutheraner, die Calvinisten, die Jansenisten, welche weit erbitterter gegen einander, als gegen die römische Kirche wären, würden endlich so verächtlich werden, daß man keine Gefahr von ihnen besorgen könne, und daß sich endlich nach und nach alle bekeh ren würden. Der Geist der Parteylichkeit sey über haupt sehr gefallen, und diese epidemische Krankheit liefe zu Ende. Die königliche Gewalt stehe auf allzu festen Gründen, als daß alle Secten in der Welt in einer Stadt nur einen Aufstand von 14 Tagen erregen könnten. Colbert widersetzte sich allezeit dem Vorsatze, die Hu genotten öffentlich zu unterdrücken, weil er sie für nützliche Unterthanen ansahe, die man zu behalten suchen müßte. Die Manufacturen des Vanrobes und viele andere, waren mit lauter Leuten von dieser Sekte besetzt. Nach seinem Tode, welcher im Jahre 1683 erfolgte, verfuhren Tellier und Louvois wider die Calvinisten. Sie sammelten sich zu Haufen, und man widerrufte das Edict von Nantes. Man riß ihre Tempel nieder, und begieng den großen Fehler, daß man ihre Predi ger verwies. Wenn die Hirten voran gehen, so folget die Heerde nach. Aller Vorsicht ungeachtet, ver ließen mehr als acht hundert tausend Menschen das Königreich, welche in fremde Länder ungefähr eine Million Geld, alle Künste und den Haß gegen ihr Vaterland mitnahmen. Holland, England und Deutschland wurden von diesen Flüchtlingen bevölkert. Wilhelm der III hatte ganze Regimenter von franzö sischen Protestanten in seinem Dienste. In Berlin allein sind zehn tausend Franzosen, welche aus diesem wilden Orte eine reiche und prächtige Stadt gemacht haben. Sie haben Städte bis in das Innerste des Vorgebirges der guten Hoffnung angelegt. Als der Staat von dieser Secte befreyet und ihrer Hülfe be raubet war, so wollten die Jansenisten ihren Platz einnehmen und eine beträchtliche Partey ausmachen. Es gelang ihnen auch eine Zeit lang, und Ludewig der XIV ward die letzten Jahre seines Lebens ziemlich damit überlästiget. Die Gewalt der Gesetze aber hat sie ausgerottet, und die Gliederverzückungen haben sie lächerlich gemacht. Seit dem Jahre 1704 bis 1712 war Ludewig der XIV sehr unglücklich. Er erduldete alles dieses Un glück als ein Mensch, der niemals das Glück gekannt hat. Er verlor seinen einzigen Sohn 1711; im Jahre 1712 sahe er in weniger als einem Monate sei nen Enkel, den Herzog von Bourgogne, die Her zoginn von Bourgogne, und den ältesten von seinen Urenkeln sterben. Der König sein Nachfolger, welchen man damals den Herzog von Anjou nannte, lag auch in den letzten Zügen. Ihre Krankheit war eine böse Art von Kinderpocken, wovon zu gleicher Zeit der Herr von Seignelai, Mademoiselle d'Arma magnac, Herr von Listeney, Madame von Gondrin, die nachherige Gräfinn von Toulouse, Herr de la Vrilliere, der Herzog de la Tremouille, und viele andere Personen in Versaille befallen wurden. Der Marquis von Gondrin starb den zweyten Tag daran. Mehr als zweyhundert Personen kamen in Paris daran um. Die Krankheit erstreckte sich beynahe durch ganz Frankreich, und in Lothringen verlor der Herzog zwey Kinder dadurch. Wenn man nur die Augen aufthun, und die geringste Ueberlegung ma chen wollte, so würde man den entsetzlichen Verleum dungen nicht überlassen seyn, welche so blindlings ausgestreuet wurden. Sie waren die Folge der un vorsichtigen Rede eines Arztes, mit Namen Boudin, eines lockern, verwegenen und unwissenden Menschen, welcher behauptete, daß die Krankheit, woran diese Prinzen gestorben wären, nicht natürlich sey. Ich bin allezeit erstaunt, daß die Franzosen, welche so we nig fähig sind, große Verbrechen zu begehen, gleich wohl so fertig sind, sie zu glauben. Der berühmte Homberg, der Chymicus des Herzogs von Orleans, ein tugendhafter Weltweiser, der aber sehr einfältig war, erstaunte ganz, als er hörte, daß man ihn im Verdacht hatte. Er lief geschwind in die Bastille, sich selbst gefangen zu stellen; allein man lachte über ihn, und dachte nicht daran, ihn zu behalten. Gleichwohl waren diese Reden unter dem Volke, wel ches allezeit mehr als zu verwegen ist, lange Zeit all gemein. Ihre offenbare Falschheit sollte die Menschen lehren, behutsam zu urtheilen, wenn es möglich wäre, daß sich die Menschen bessern ließen. Eines von den Unglücken, welches den XIV Lude wig zu Ende seiner Regierung überfiel, war die Ver wirrung der Finanzen. Sie fing sich mit dem Jahre 1689 an. Man schickte alles Silberzeug in die Münze. Der König selbst gieng mit seinem Exempel zuvor, indem er aus seiner Gallerie und aus seinem großen Zimmer alle das prächtige Geräthe von purem Sil ber nehmen ließ, worauf Balin die Zeichnungen des berühmten le Brün gestochen hatte; und gleichwohl gewonn man dabey nicht mehr als drey Millionen. Man brachte die Kopfsteuer im Jahre 1695 auf; man machte Tontinen. Der Hr. von Pontchartrain verkaufte 1696 allen Adelsbriefe, die welche haben wollten, für zwey tausend Thaler, und endlich legte man auf die Erlaubniß, ein Petschaft zu führen, eine Abgabe von zwanzig Franken. In dem Kriege von 1701 war die Erschöpfung außerordentlich. Der Herr des Marets ward ein mal genöthiget, hundert tausend Franken wegzuneh men, welche bey den Charthäusern in Deposito lagen, und an deren Statt Obligationes niederzulegen, weil der Staat gleich in der äußersten Noth war. Wenn man gleich angefangen hätte, die Auflage des Zehnten einzuführen, eine Auflage, die für alle Menschen gleich ist, (welches man aber erst im Jahre 1710 that) so würde sich der König oft weit eher haben helfen können. So aber gab man sich lieber mit Un terhändlern ab, welche sich bereicherten und das Volk ruinirten. Es war noch Geld genug im Staate, allein das Mistrauen hielt es verborgen. In dem letzten Kriege 1741 hat man es gar wohl gesehen, wie sehr sich Frankreich helfen könne. Der Credit hat nicht einen Augenblick gefehlet, und man hat nicht einmal befürchtet, daß er jemals fehlen werde. Nichts beweiset es besser, daß Frankreich das mächtigste Reich in Europa ist, wenn es gehörig verwaltet wird.
IV. Cromwell .
Cromwell
.
Man mahlet den Cromwell als einen Mann ab, der Zeit seines Lebens ein Betrüger gewesen seyn soll. Ich kann mir es kaum einbilden. Ich glaube, daß er Anfangs ein Enthusiast war, und sich dieser Enthusiasterey nach her zu seiner Erhöhung bediente. Ein angehender Mönch, der im zwanzigsten Jahre schon eifrig ist, wird insgemein ein geschickter Betrüger im vierzig sten. In dem großen Spiele des menschlichen Le bens, läßt man sich Anfangs betrügen, bis man end lich selbst ein Betrüger wird. Ein Staatsmann erwählt sich zu seinem Almosenier einen Mönch, der von dem Abgeschmackten seines Klosters ganz zusammengesetzt ist. Andächtig, leicht gläubig, ungeschickt, für die Welt ganz neu. Der Mönch unterrichtet sich, bildet sich, mischt sich in Händel, und sticht seinen Herrn aus. Cromwell war Anfangs unschlüßig, ob er ein Geistlicher, oder ein Soldat werden wollte. Er war weder eins noch das andere. Er that im Jahre 1622 unter der Armee des Prinzen von Oranien,
Friedrich Heinrichs, des großen Mannes, und Bru ders zweener großen Männer, einen Feldzug. Da er nach England zurück kam, trat er bey dem Bi schof Williams in Dienste, und wurde der Geistliche dieses Herrn, während daß der Bischof für den Lieb haber seiner Frau gehalten wurde. Seine Grund sätze waren der Puritaner ihre, folglich mußte er ei nen Bischof von ganzem Herzen hassen, und die Könige nicht lieben. Man jagte ihn aus dem Hause des Bischofs Wil liams, weil er ein Puritaner war; und dieses legte den Grund zu seinem Glücke. Das Parlement von England erklärte sich wider die königliche Würde und wider die bischöfliche Kirche, und einige Freunde, die er in diesem Parlemente hatte, verschafften ihm die Ernennung eines Dorfes. Um diese Zeit fing er erst an bekannt zu werden, und er war schon über vierzig Jahr alt, ohne daß er jemals von sich hatte reden gemacht. Er mochte die Schrift noch so wohl inne haben, über die Rechte der Priester und Diaconen streiten, einige schlechte Reden halten, und etliche Schmähschriften ausgehen lassen, so war er doch unbekannt. Ich habe von ihm eine sehr abge schmackte Rede gesehen, die denen Predigten der Quacker ziemlich gleich kam, und worinnen man nicht die geringste Spur derjenigen beweglichen und rüh renden Beredsamkeit entdecket, mit der er nachher die Parlemente nach sich riß. Die Ursache davon
war: er schickte sich mehr zu Staatsgeschäfften, als zu Kirchensachen. Seine Beredsamkeit kam haupt sächlich auf seinen Ton und auf seine Minen an. Ei ne Bewegung mit derjenigen Hand, die so viele Schlachten gewonnen, und so viele von der königli chen Partey ermordet hatte, überzeugte mehr, als die Perioden des Cicero. Man muß bekennen, daß seine unvergleichliche Tapferkeit ihn bekannt machte, und ihn stufenweise zum Gipfel der Hoheit führte. Das erste, was er that, war, daß er sich als ein Freywilliger, der sein Glück machen wollte, in die vom Könige belagerte Stadt Hull warf. Er that sich daselbst durch schöne und glückliche Thaten hervor, wofür er von dem Parlemente eine Belohnung von ungefähr sechstausend Franken erhielt. Dieses Ge schenk, welches das Parlement einem Menschen ohne Namen und Bedienung machte, zeigte sattsam, daß die aufrührische Partey die Oberhand behalten sollte. Der König war nicht im Stande, seinen Generalsper sonen dasjenige zu geben, was das Parlement denen Freywilligen gab. Mit Geld und etwas Enthusiaste rey muß man endlich in der Länge Meister von allem werden. Man machte den Cromwell zum Obristen. Nun entwickelten sich erst seine große Gaben zum Kriege recht, dergestalt, daß das Parlement, da es
den Grafen von Manchester zum General seiner Ar meen ernannte, den Cromwell zu dessen Generallieu tenant machte, ohne daß er die übrigen Stufen durch gegangen hätte. Niemals hatte jemand würdiger ge schienen, ein Commando zu führen; niemals hatte man in jemanden mehr Hurtigkeit und Klugheit, mehr Verwegenheit, und mehr Hülfsmittel vereinigt
gefunden, als im Cromwell. Er wird in der Schlacht bey York verwundet; und während, daß man seine Wunde zum erstenmal verbindet, erfährt er, daß sein
General Manchester sich zurück zieht, und die Schlacht verloren ist. Er suchet in aller Eil den Manchester auf, trifft ihn mit einigen Officiers auf der Flucht an, nimmt ihn bey dem Arm, und saget mit einer Mine voller Zutrauen und Hoheit zu ihm: Sie irren sich, Mylord, dieses ist nicht die Seite, wo die Feinde sind. Er führet ihn bis nahe an das Schlachtfeld zurück, bringt zeit während der Nacht mehr als zwölf tausend Mann zusammen, redet ihnen im Namen Gottes zu, führet Mosen, Josua, und Gideon an, fängt bey Anbruch des Tages das Treffen wider die siegreiche königliche Armee von neuen an, und wirft sie gänzlich über den Haufen. Ein solcher Mensch mußte entweder umkommen, oder die Oberhand be halten. Fast alle Officiers seiner Armee waren En thusiasten, die das neue Testament hinter sich auf dem Sattel hatten; man redete bey der Armee, eben wie im Parlement, von nichts anders, als Babel zu vernichten, den wahren Gottesdienst in Jerusalem wieder herzustellen, und den Coloß zu zerbrechen. Cromwell hörte unter so viel Narren auf, es zu seyn, und dachte, es wäre besser, sie zu beherrschen, als sich von ihnen beherrschen zu lassen. Die Fertigkeit als einer, der göttliche Eingebungen hätte zu reden, blieb ihm noch übrig. Man stelle sich einen Faqvir vor, der, um Buße zu thun, einen eisernen Gürtel umgethan hat, und denselben hernach los gürtet, um denen übrigen Faqvirs eins damit hinter die Ohren zu geben. So war Cromwell! er wurde eben so ver
schlagen, als er beherzt war; er vereinigte sich mit allen Obristen der Armee, und machte also unter den Truppen eine Republik, die den Generalißimus zwingt, das Commando nieder zu legen. Man er nennet einen andern Generalißimus, dem er das Commando verdrüßlich machet. Er regieret die Ar mee, und durch sie regieret er das Parlement; er se tzet dieses Parlement in solche Umstände, daß es ihn endlich zum General erklären muß. Alles dieses ist viel; das wesentlichste aber ist, er gewinnt alle Schlachten, die er in England, Schottland und Irrland liefert, und er gewinnt sie, nicht indem er dem Streite zusieht, und sich selbst schonet, sondern indem er in die Feinde immer eindringt, seine Truppen wieder zusammen bringt, sich auf allen Seiten befin det, öfters verwundet wird, und wie ein grimmiger und erbitterter Grenadier mit eigener Hand viele kö nigliche Officiers ermordet. Mitten in diesem schrecklichen Kriege machte sich Cromwell mit Liebeshändeln etwas zu thun; und scheuete sich nicht, mit der Bibel unter dem Arme,
bey der Frau seines Generalmajors Lambert zu schla fen. Sie liebte den Grafen von Holland, der unter der Armee des Königs diente. Cromwell nimmt ihn in einer Schlacht gefangen, und macht sich das Ver gnügen, seinem Mitbuhler den Kopf vor die Füße legen zu lassen. Sein Grundsatz war, das Blut eines jeden Feindes von Wichtigkeit, entweder auf dem Schlachtfelde, oder durch die Hand des Scharf richters zu vergießen. Er vergrößerte seine Macht beständig, ob er sich gleich beständig derselben mis brauchte; die Unergründlichkeit seiner Absichten be
nahmen seiner wilden Ungestümheit nichts. Er be giebt sich in die Parlementskammer; und indem er seine Taschenuhr heraus zieht, die er an die Erde wirft, und in Stücken zerschmeißt, spricht er: ich will euch, wie diese Uhr, zerschmeißen. Kurz dar auf kömmt er wieder dahin, verjagt alle Glieder, einen nach dem andern, und alle müssen vor ihm vor bey gehen. Jeder von ihnen muß ihm bey dem Vor übergehen eine tiefe Verbeugung machen. Einer be hält den Huth auf dem Kopfe, Cromwell reißt ihm denselben ab, wirft ihn zur Erde, und spricht, lernet ehrerbiethig gegen mich zu seyn. Als er seinem rechtmäßigen Könige auf einem Schafot den Kopf hatte abschlagen lassen, unterstund er sich, sein Bildniß einem gekrönten Haupte, nämlich
der Königinn Christina von Schweden, zu überschi cken. Marvel, ein berühmter englischer Poet, der sehr gute lateinische Verse macht, begleitete dieses Bildniß mit sechs Versen, darinnen er den Cromwel selbst reden läßt. Cromwel verbesserte die beyden letztern also: At tibi submittit frontem reuerentior vmbra, Non sunt hi vultus regibus vsque truces. Der kühne Verstand dieser sechs Zeilen ist: Ich habe, die Waffen in der Hand, Gesetze und Freyheit vertheidiget. Betrachte mein Bild niß ohne Schauern! Mein Blick ist nicht immer Königen schrecklich. Diese Königinn war die erste, die ihn, so bald er Protector der drey Königreiche war, dafür erkannte. Fast alle gekrönte Häupter von Europa schickten Ge
sandten an ihren Bruder Cromwell, an diesen Bedien ten eines Bischofs, der nur erst kürzlich durch die Hände des Scharfrichters einen Monarchen, ihren Anverwandten, umgebracht hatte. Sie bemüheten sich, fast um die Wette, nach einem Bündnisse mit
ihm. Der Kardinal Mazarin verjagte ihm zu Ge
fallen die beyden Söhne Carls des ersten, die beyden Enkel von Heinrich dem vierten, und beyden Vettern Ludewigs des vierzehnten aus Frankreich. Frank reich eroberte Dünkirchen für ihn, und überlieferte ihm die Schlüssel davon. Nach seinem Tode trug
Ludewig der vierzehnte und sein ganzer Hof die Trauer, ausgenommen Mademoiselle, welche das Herz hatte, mit einem farbigen Kleide öffentlich zu erscheinen, und die Ehre ihres Hauses allein behauptete. Kein König ist jemals uneingeschränkter, als er, gewesen. Er sagte, er habe lieber unter dem Na men eines Protectors, als eines Königs, regieren wollen, weil die Engländer wohl wüßten, wie weit sich die Vorrechte eines Königs von England erstre cken, aber nicht wüßten, wie weit die eines Protectors gehen könnten. Das hieß recht, die Menschen kennen, welche die Meynungen regieren, und deren Meynun gen von einem Namen abhangen. Er hegte eine sehr große Verachtung gegen die Religion, die sein Glück gemacht hatte. Man hat eine sichere Nachricht, die in dem Schlosse St. Ja mes auf behalten worden ist, welche sattsam von der wenigen Achtung zeuget, die Cromwell gegen dieses Werkzeug, das so große Wirkungen in seinen Händen hervor gebracht hatte, trug. Er trank einsmals mit
Ireton
Fleetwood und St. James, Aeltervater des
berühmten Mylords Bollingbrooke. Man wollte ei ne Flasche aufmachen, der Korkzieher aber fiel unter den Tisch, worunter sie ihn alle suchten und nicht fun den. Während der Zeit wartete eine Gesandtschaft der presbyterianischen Kirche in dem Vorsaale, und ein Gerichtsdiener kam herein, sie anzumelden. Man sage ihnen, sprach Cromwell, daß ich nicht mehr hier sey, und daß ich den Herrn suche. Es war dieses der Ausdruck, dessen sich die Fanatici bedienten, wenn sie ihre Gebethe verrichteten. Nachdem er auf diese Art den Trupp von Geistlichen fortgeschickt hatte, sagte er zu seinen Vertrauten diese eigenen Worte: Die Lumpenhunde glauben, daß wir den Herrn su chen, und wir suchen nichts, als den Korkzieher. Man hat kein Exempel in Europa von einem Men schen, der von so schlechter Herkunft sich so hoch empor geschwungen hat. Was mußte aber nothwendig noch bey allen diesen seinen großen Gaben seyn? Das Glück. Er hatte dieses Glück, aber war er glücklich? Er lebte bis ins drey und vierzigste Jahr arm und unruhig; er badete sich nachher im Blute, brachte sein Leben in Un ruhe hin, und starb vor der Zeit im fünf und funfzigsten Jahre. Man vergleiche einmal dieses Leben mit eines Neutons seinem, welcher vier und achtzig Jahr bestän dig ruhig und beständig geehrt gelebet hat, der bestän dig das Licht aller denkenden Wesen war, der täglich seinen Ruhm, sein Ansehen, sein Glück zunehmen sah, ohne daß er jemals Sorge oder Gewissensunruhe gehabt hätte; und urtheile darnach, wer von beyden am glücklichsten gewesen ist. O! curas hominum, o! quantum est in rebus inane!
V. Von dem Korane und dem Mahomed .
VI. Geheime Nachrichten von dem Czaar Peter, dem großen.
VII. Zwey Briefe über die Herren, Johann Law, Melon und Dutot.
Brief
Man versteht seit zwanzig Jahren die Handlung in Frankreich besser, als man sie von Pharamund an bis auf Ludewig den vierzehnten verstanden hat. Vordem war es eine verborge ne Kunst, und eine Art der Chymie in den Händen von drey bis vier Menschen, die in der That Gold mach ten, und ihr Geheimniß nicht sagten. Der größte Theil der Nation war so erstaunend unwissend in diesem wichtigen Geheimnisse, daß kaum unter den Staatsbedienten und Richtern einer war, der wußte, was Actien, Primen, Wechsel und Dividende wa ren. Es mußte deswegen ein Schottländer, Na mens Johann Law, nach Frankreich kommen, und die ganze Verfassung unserer Regierung über den Haufen werfen, um uns zu unterrichten. Er unter stund sich in der allerjämmerlichsten Verwirrung un serer Finanzen, und bey dem allgemeinsten Mangel eine Bank und eine indianische Handelsgesellschaft zu errichten. Es war dieses ein Brechmittel für Kranke; wir nahmen aber etwas zu viel davon, und bekamen Convulsionen. Jedoch blieb endlich von den Trüm mern seines aufgeführten Gebäudes eine indianische Handlungsgesellschaft mit einer liegenden Summe von funfzig Millionen für uns übrig. Was würde es erst gewesen seyn, wenn wir von der Arztney nur so viel, als sich gebührte, genommen hätten? Der Staatskörper würde meines Erachtens itzo der stärkste und wichtigste des ganzen Erdbodens seyn. Es herrschte noch ein so grobes Vorurtheil unter uns, als die gegenwärtige indianische Handlungsge sellschaft errichtet wurde, daß die Sorbonne den Di vidend der Actien für einen unerlaubten Wucher erklärete. Es geschah auf eben eine solche Art, wie man die deutschen Buchdrucker, die im Jahre 1570 nach Frankreich kamen, ihre Kunst zu treiben, als Zauberer anklagte. Man muß es gestehen, wir Franzosen seyn in allen Arten von Künsten sehr spät gekommen; unsre ersten Schritte in den Künsten ha ben darinnen bestanden, uns der Einführungen der Wahrheiten, die von andern Orten zu uns kamen, zu widersetzen. Wir haben Sätze wider den in Eng land erwiesenen Umlauf des Geblüts, und wider die in Deutschland gründlich gezeigte Bewegung der Erde behauptet. Man hat so gar heilsame Arztneymittel durch obrigkeitliche Verordnungen verbannet. Wahr heiten anzeigen, einige den Menschen nützliche Dinge vorschlagen, ist ein sicheres Mittel verfolget zu wer den. Johann Law, derjenige Schottländer, dem wir unsere indianische Handlungsgesellschaft und die Wissenschaft des Handlungswesens zu danken haben, wurde aus Frankreich verjaget, und starb zu Vene dig im größten Elende, und dem ungeachtet haben wir itzo auf achtzehn hundert Kauffartheyschiffe, da wir damals, als er seinen Entwurf aufs Tapet brachte, kaum drey hundert hatten. Das haben wir ihm zu danken, und wir sind weit von der Dankbar keit entfernet. Die Grundsätze des Handels sind heut zu Tage jedermann bekannt. Seit einiger Zeit haben wir gute Bücher dieses Inhalts bekommen. Der Versuch über die Handlung von dem Herrn Melon , ist ein Werk eines witzigen Kopfes, eines guten Bür gers und eines Weltweisen: es schmecket nach dem Geiste des Jahrhunderts, und ich glaube nicht, daß selbst zu der Zeit des Herrn Colberts zween Menschen im Stande gewesen wären, ein solches Buch zu lie fern. Nichts desto weniger sind Fehler genug in die sem guten Werke; so schwer ist der Weg zur Wahr heit. Es ist ungemein nützlich, die Versehen in ei nem guten Buche anzumerken. Und eben da muß man sie aufsuchen; denn das heißt ein gutes Werk verehren, wenn man demselben widerspricht: die übrigen verdienen solche Ehre nicht. Folgende Sätze haben mir ungegründet zu seyn geschienen. 1. Er saget: In den Ländern, wo die meisten Bettler wären, herrschte die größte Barbarey. Ich glaube, daß keine Stadt weniger barbarisch sey als Paris, und wo mehrere Bettler anzutreffen wären. Es ist ein Geschmeiß, das dem Reichthume nachgeht; die Faulenzer laufen von dem Ende des Königreichs nach Paris, um daselbst von den Vermögenden und Wohlthätigen eine Schatzung einzutreiben. Es ist ein Misbrauch, der schwerlich auszurotten ist; der aber nur beweist, daß es solche leichtsinnige Leute giebt, die lieber um Allmosen bet teln, als ihr Brodt verdienen wollen. Es ist ein Beweis des Reichthums und der Nachläßigkeit, kei nesweges aber der Barbarey. 2. Er wiederholet an unterschiedenen Orten, daß Spanien ohne America mächtiger seyn wür de. Er gründet sich auf die Entvölkerung Spaniens, und auf die Ohnmacht, worinn dieses Königreich seit langer Zeit geschmachtet hat. Diese Meynung, daß America Spanien entkräftet, findet sich fast in hundert Schriftstellern; wenn sie aber hätten in Erwägung zie hen wollen, daß die Schätze der neuen Welt die Befe stigung der Macht Carls des fünften gewesen, und daß Philipp der zweyte Meister von ganz Europa geworden seyn würde, wenn Heinrich der Große, Elisabeth und die Prinzen von Oranien nicht Helden gewesen wären; würden sie ihre Meynungen ohne Zweifel geändert haben. Man hat geglaubt, daß die spa nische Monarchie zu Grunde gerichtet wäre, weil die Könige, Philipp der Dritte, Philipp der Vierte, und Carl der Zweyte unglücklich oder schwach gewe sen sind. Man sehe aber nur, wie diese Monarchie unter dem Kardinal Alberoni auf einmal ein neues Leben bekommen hat, man werfe seine Augen auf Africa und Asien, den Kriegsschauplatz der gegen wärtigen spanischen Regierung; so wird man bald einräumen müssen, daß die Völker dasjenige sind, wozu sie die Könige oder die Staatsbedienten machen. Der Muth, die Tapferkeit, der Fleiß und alle Ga ben bleiben vergraben, so lange bis ein Geist er scheint, der sie erwecket. Das Capitolium wird itzo von Barfüßermönchen bewohnt, und man theilet itzo an eben dem Orte Rosenkränze aus, wo die über wundenen Könige dem Wagen eines Pauls Aemils nachfolgten. Es darf nur ein Kaiser seine Residenz zu Rom nehmen, der ein Julius Cäsar ist, so wer den alle Römer selbst wieder Cäsars werden. Was die Entvölkerung Spaniens betrifft, ist solche gerin ger, als man vorgiebt; und überhaupt von der Sa che zu reden, sind nicht dieses Königreich und die Länder in America, die davon abhangen, heut zu Tage Provinzen eines einzigen Reiches, die durch einen Zwischenraum, den man in zween Monaten zurück legen kann, getrennet sind? Endlich werden ihre Schätze durch einen nothwendigen Umlauf auch uns zu Theile; die Coschenille, der Indig, die Chi nachinä, die Bergwerke von Mexico und Peru sind unser, und unsere Manufacturen sind folglich spanisch. Wenn America ihnen zur Last gereichte, würden sie wohl so lange Zeit darauf bestehen, denen Fremden den Eingang in dieses Land zu versperren? Verwah ret man denn die Wälle seines Verderbens so sorgfäl tig, wenn man zwey hundert Jahre Zeit gehabt, seine Ueberlegungen darüber zu machen? 3. Er saget: Der Verlust der Soldaten wäre nicht das betrübteste in den Kriegen; hundert tausend erschlagene Soldaten wären ein gar geringer Theil gegen zwanzig Millionen; die Vermehrungen der Auflagen hingegen machten zwanzig Millionen Menschen unglücklich. Ich will es ihm überhin gehen lassen, daß zwanzig Millionen Menschen in Frankreich seyn sollen; allein das kann ich ihm nicht vergeben, daß es besser sey, hundert tausend Menschen auf die Schlachtbank zu liefern, als von dem Reste der Nation einige Auf lagen bezahlen zu lassen. Das ist noch nicht alles; es ist hier ein befremdlicher und betrübter Irrthum im Rechnen begangen worden. Ludewig der Vierzehnte hat das ganze Corps zur See mitgerechnet, zur Zeit des Krieges im Jahre 1701 vier hundert und vierzig tausend Mann in seinem Solde gehabt. Niemals ist das römische Reich an Truppen so stark gewesen. Man hat bemerket, daß der fünfte Theil einer Armee während eines Feldzuges entweder durch Krankheiten, oder durch andere Zu fälle, oder durch Feuer und Schwerdt umkamen. Das sind acht und achtzig tausend starker Leute, die der Krieg jedes Jahr aufrieb; folglich verlor der Staat binnen zehn Jahren acht hundert und achtzig tausend Menschen, und mit ihnen die Kinder, die sie hätten, zeugen können. Wenn nun Frankreich ungefähr achtzehn Millionen Menschen begreift, und man da von fast die Hälfte für die Weiber abzieht, hier nächst die alten Leute, die Kinder, die Geistlichkeit, die Mönche, Obrigkeiten und Ackerleute abrechnet, was bleibt zur Vertheidigung der Nation übrig? Unter achtzehn Millionen wird man kaum achtzehn hundert tausend Mann finden, und der Krieg reibt binnen zehn Jahren deren auf neun hundert tausend auf; er reißt unter einer Nation die Hälfte derjeni gen, die für sie streiten können, hin; und man kann doch noch behaupten, daß eine Auflage betrübter sey, als ihr Tod? Nachdem ich diese Unachtsamkeiten, die der Ver fasser selbst würde getadelt haben, angemerket, will ich mir nun den Verdruß anthun, alles das, was er von der Freyheit der Handlung, von den Waaren, von dem Wechsel, und vornehmlich von der Pracht saget, zu rühmen. Diese kluge Schutzrede der Pracht ist bey diesem Schriftsteller um so viel schätz barer, und hat in seinem Munde ein so viel größeres Gewicht, weil er als ein Weltweiser lebte. Und was ist denn die Pracht? Es ist ein Wort ohne bestimmte Bedeutung, ungefähr so, wie wir die Himmelsgegenden Morgen und Abend nennen. In der That ist weder Morgen noch Abend; es ist kein Punct, wo die Erde auf- oder untergehe, oder vielmehr ein jeder Punct ist Morgen und Abend. Eben so verhält es sich mit der Pracht; entweder es ist dergleichen gar nicht, oder sie ist überall. Man gedenke einmal an die Zeiten zurück, da unsere Vä ter keine Hemden trugen. Wenn jemand zu ihnen gesaget hätte, ihr müßt einen noch feinern und leich tern Zeug, als das feinste Tuch ist, auf eurer Haut tragen; derselbe muß weiß, wie der Schnee, seyn, und ihr müßt ihn täglich verändern; und wenn er etwas schmutzig worden, muß eine durch die Kunst verfertigte Zusammensetzung demselben seine erste Weiße wieder geben: würde jedermann ausgerufen haben: Ach welche Verschwendung! welche Verzär telung! ein solcher Aufwand ist kaum für die Kö nige; ihr wollt unsere Sitten und den Staat ver derben. Versteht man etwan durch die Pracht den Auf wand eines reichen Menschen? Allein muß denn ein solcher als ein Armer leben, er, dessen Pracht und Aufwand allein macht, daß die Armen leben können; der Aufwand muß das Wetterglas von dem Glücke einer Privatperson seyn, und die allgemeine Pracht ist ein untrügliches Zeichen eines mächtigen und an sehnlichen Reichs. Unter Carln dem Großen, un ter Franz dem ersten, unter dem großen Colbert, und unter der itzigen Regierung ist der Aufwand am größten gewesen, oder welches einerley ist, sind die Künste am besten getrieben worden. Was wollte der bittere, der satyrische Labruyere? Was wollte dieser gezwungene Menschenfeind sagen, wenn er ausruft: Unsre Vorfahren hüteten sich gar sehr, ein eitles Gepränge nützlichen Dingen vorzuziehen; man sahe bey ihnen keine Wachslichter, um ihre Zimmer damit zu er leuchten; das Wachs war für den Altar und das Louvre; sie sagten nicht, leget die Pferde vor meine Kutsche; das Zinn glänzte auf den Tafeln und Schenktischen; das Silber war in den Kasten et cetera Ein artiger Lobspruch für un sere Väter, daß sie weder Ueberfluß, noch Fleiß, noch Geschmack, noch Reinlichkeit gehabt haben! Das Geld war in den Kasten! Wenn das war, so war es eine große Thorheit; das Geld ist zum Umlaufe gemacht, alle Künste dadurch zum Ausbruche zu brin gen, und die Geschicklichkeit der Menschen damit zu erkaufen. Wer es zurück hält, ist ein übler Bürger, ja gar ein schlechter Wirth. Dadurch, daß man es nicht in seinen Kasten eingeschlossen hält, macht man sich dem Vaterlande und sich selbst nützlich. Wird man denn niemals aufhören, die Fehler der vergan genen Zeiten zu loben, um die Vortheile der unsri gen zu verspotten? Dies Buch des Herrn Melon hat uns ein anderes von dem Herrn Dutot verschaffet, welches wegen seiner Gründlichkeit und tiefen Einsicht einen großen Vorzug hat; und das Werk des Herrn Dutot wird uns in kurzem noch ein anderes von dem berühmten Herrn Düvernay verschaffen, welches ohne Zweifel noch weit besser seyn wird, als die an dern beyden, weil es einen Staatsmann zum Ver fasser haben wird. Niemals sind die schönen Wissen schaften mit dem Finanzwesen so genau verbunden gewesen, und das ist abermals ein Vorzug unsers Jahrhunderts.
Zweyter Brief,
von eben dem Inhalte, worinnen von den Veränderungen der Münzen, von der Pracht der Völker und den Einkünften der Könige gehan delt wird.
Herr Dutot zeiget, daß unter der vorigen Re gierung alle Veränderung der Münze sowol dem Volke, als dem Könige nachtheilig ge wesen sey. Allein sollte kein Fall seyn, da eine Er höhung der Münze nothwendig werden könnte? In einem Staate, zum Exempel, der wenig Geld hat, und schlechte Handlung treibt (in welchen Umständen Frankreich lange Zeit gewesen ist) hat ein Edelmann hundert Mark jährlicher EiukünfteEinkünfte. Um nun entweder seine Töchter auszustatten, oder in den Krieg zu gehen, nimmt er tausend Mark auf, die er jährlich mit funfzig Mark verzinset. Sodann sieht sich sein Haus zu einem jährlichen Aufwande von funf zig Mark herunter gesetzt, um damit alles nöthige zu bestreiten. Indessen macht sich die Nation immer geschickter, sie treibt Handel, und das Geld wird häufiger. Dabey wird, wie es gemeiniglich zu ge schehen pflegt, die Handarbeit theurer, der Auf wand und Staat, den die Würde dieses Hauses er
fodert, verdoppelt sich, ja wird wohl drey bis vier mal größer, ohne daß das Getreide, worinnen die Haupteinkünfte seines Landgutes bestehen, nach dieser Verhältniß steigt, weil man nicht mehr Brodt ißt, als vormals. Man läßt aber mehr an Pracht auf gehen; was man vor dem um funfzig Mark kaufte, wird zwey hundert kosten, und der Eigenthümer des Landgutes, der sich genöthiget sieht, funfzig Mark jährlicher Zinsen abzutragen, wird so weit gebracht, sein Landgut zu verkaufen. Was ich von dem Edel manne sage, das sage ich von der Obrigkeit, von dem Gelehrten et cetera wie von dem Ackersmanne, der sein Zinngeräthe, seine silberne Schale, sein Bette, seine Leinwand theuer bezahlen muß. Selbst das Haupt einer Nation befindet sich mit in diesem Falle, wenn er weiter nichts, als eine gewisse festgesetzte Summe und gewisse Gerechtigkeiten hat, die er, aus Furcht ein Murren zu erregen, nicht zu sehr erhöhen darf. In diesen dringenden Umständen ist nur eine ein zige Partey, die man ergreifen kann, nämlich dem Schuldner seine Last zu erleichtern. Man kann ihm aber durch Aufhebung der Schulden helfen. So pflegte man es ehemals bey den Aegyptiern und bey den meisten morgenländischen Völkern nach Verlauf von funfzig oder dreyßig Jahren zu machen. Diese Gewohnheit war so hart nicht, als man sich einbil det; denn die Gläubiger hatten, zu Folge dieses Ge setzes, schon ihre Maaßregeln genommen, und ein weit voraus gesehener Verlust ist kein Verlust mehr. Ob schon dieses Gesetz bey uns nicht im Schwange ist, so hat man doch wirklich seine Zuflucht dazu nehmen müssen, ungeachtet der Umschweife, die man
dabey gemacht hat: denn ein Mittel finden, nicht mehr, als den vierten Theil von dem, was man schuldig ist, zu bezahlen, ist das nicht eine Art eines Jubeljahres. Dieses Mittel hat man nun gar leicht gefunden, indem man den Geldsorten einen bloß in der Einbildung bestehenden Werth beygeleget, und gesaget hat, daß dieses Goldstücke, welches sechs Franken galt, itzo vier und zwanzig gelten sollte, und daß der, welcher vier solcher Goldstücken, da jeder sechs Franken betrug, schuldig war, itzo durch Erlegung eines einzigen von der Art, das man vier und zwanzig Franken nennen will, von seiner Schuld los kommen könne. Da diese Veränderungen nur nach und nach sind gemacht worden, haben sie kein so großes Schrecken verursachet. Der, welcher zu gleicher Zeit Schuldner und Gläubiger war, ge wann auf der einen Seite das, was er auf der an dern verlor; ein anderer trieb Handel und Wandel, und ein dritter endlich litt darunter wirklich, und fand sich genöthiget, sparsamer hauszuhalten. So haben es alle europäische Nationen gemacht, ehe sie eine ordentliche und mächtige Handlung er richtet haben. Gehen wir zu den Römern zurück, so werden wir finden, daß das Aß, das Pfund Kupfer zu zwölf Unzen, auf neun Pfennige nach unsrer heu tigen Münze herunter gesetzet worden ist; bey den Engländern ist ein Pfund Sterling von sechzehn Unzen Silber auf fünf und einen halben Thaler ge fallen. Das Pfund Groschen bey den Holländern beträgt nicht mehr als ungefähr drey Thaler; aber unsere französischen Pfunde haben die allergrößten Veränderungen erlitten. Zur Zeit Carls des Großen bemerken wir eine gewisse gangbare Münze, die den zwanzigsten Theil eines Pfundes betrug, von der römischen Benennung Solidum einen Soliden, und aus diesem Worte ist Sou entstanden, eben so, wie aus dem Monate August das verdorbene Aout, den wir gar, aus zu großer Höflichkeit, Ou nennen; so daß in unserer so gereinigten und zierlichen Sprachehodieque manent vestigia ruris. Kurz, dieser Solide, dieser Sou, welcher den zwanzigsten Theil eines Pfundes, und den zehnten einer Mark Silbers ausmacht, ist itzt eine geringe Kupfermünze, die den tausend neun hundert und zwanzigsten Theil eines Pfundes beträgt, die Mark Silber zu neun und vierzig Franken ge rechnet. Diese Rechnung ist fast unglaublich, und man findet durch diese Ausrechnung, daß eine Fa milie, die vor Zeiten hundert Soliden jährlicher Ein künfte gehabt, und davon sehr wohl hätte leben kön nen, itzo nicht mehr als fünf Sechstheile eines Tha lers zu sechs Franken jährlich zu verzehren haben würde. Was beweiset dieses? Daß wir seit langer Zeit unter allen Nationen die veränderlichste und die glück lichste gewesen seyn; daß wir den Misbrauch eines natürlichen Gesetzes, welches in der Länge die Ret tung unterdrückter Schuldner will, auf einen über
mäßigen Grad getrieben haben. Da nun der Herr Dutot die Gefahr dieser schleunigen Erschütterun gen, welche die Veränderungen des angenommenen Werthes der Münzsorten in den Staaten verursachen, so wohl gezeiget hat, so kann man wohl glauben,
daß in einer so erleuchteten Zeit, als unsere ist, wir dergleichen Ungewitter nicht mehr erfahren werden.
Was mich in dem Buche des Herrn Dutot am mei sten in Verwunderung gesetzet hat, ist daselbst zu
sehen, daß Ludewig der Zwölfte, Franz der Erste,
Heinrich der Zweyte und Heinrich der Dritte reicher
gewesen seyn sollen, als Ludewig der Funfzehnte.
Wer sollte geglaubt haben, daß Heinrich der Dritte, nach heutigem Fuße gerechnet, hundert und drey und sechzig Millionen mehr Einkünfte gehabt hat, als der itzige König? Ich gestehe es, ich erhole mich noch nicht von meinem Erstaunen; denn wie kam es, daß
Heinrich der Dritte mit allen diesen erstaunenden Schätzen doch nur mit genauer Noth den Spaniern gewachsen war? Wie wurde er von den Guisen ge mishandelt? Wie war Frankreich von allen Künsten und Manufacturen entblößet? Warum war kein schönes Haus, kein kostbarer von den Königen er bauter Palast, keine Pracht und kein Geschmack, der dem Reichthume auf dem Fuße nachfolget, zu Paris? Heut zu Tage hingegen umgeben drey hun dert Festungen, die beständig wohl unterhalten wer den, unsere Gränzen, und wenigstens zwey hundert tausend Mann vertheidigen sie. Die Truppen, welche das Haus des Königs ausmachen, können mit Recht mit jenen zehn tausend mit goldenen Schilden versehenen Soldaten in Vergleichung ge
stellet werden, die den Wagen eines Xerxes und ei
nes Darius begleiteten. Paris ist zweymal volkrei cher und hundertmal reicher, als zu den Zeiten
Heinrichs des Dritten. Der Handel, der damals
schmachtete, und nichts war, blühet heut zu Tage zu unserm großen Vortheile. Seit der letztern Umschmelzung der Münzsorten findet sich, daß mehr als 1200 Millionen an Gold und Silber in die Münze gekommen sind. Man sieht aus dem Pacht vom Mark, daß in Frankreich fast für eben so viel von diesem verarbeiteten Metalle sey. Es ist wahr, daß, ungeachtet dieser erstau nenden Reichthümer, das Volk in den Misjahren zuweilen für Hunger sterben möchte: allein davon ist die Rede hier nicht. Die Frage ist, wie es kömmt, daß, da die Nation ungleich reicher ist, als in den vorigen Jahrhunderten, des Königs Einkünfte weit geringer seyn sollten? Wir wollen einmal das Vermögen Ludewigs des Funfzehnten mit den Schätzen Franz des ersten ver gleichen. Die Einkünfte des Staats betrugen da mals sechzehn Millionen Pfunde, und das Pfund damaliger Zeit verhielt sich gegen eins zu unserer Zeit, wie eins gegen vier und ein halbes. Sechzehn Millionen machten also von den unsern zwey und sie benzig. Mit zwey und siebenzig unserer Millionen also würden wir eben so reich seyn, als sie damals, Allein die Einkünfte des Staats betragen zwey hun
dert Millionen; folglich ist aus diesem Grunde Lu dewig der funfzehnte um 128 unserer Millionen rei cher, als Franz der erste war; folglich ist der König un
gefähr viermal so reich, als Franz der Erste; folg lich zieht er viermal so viel von seinen Unterthanen,
als Franz der Erste von ihnen zog. Das ist schon
ziemlich weit von der Rechnung des Herrn Dutot unterschieden. Er giebt vor, um seinen Satz zu erweisen, daß die Lebensmittel itzo funfzehnmal theurer sind, als im sechzenten Jahrhunderte. Wir wollen diesen Preis der Lebensmittel ein we nig untersuchen. Man muß sich an den Preis des Korns in den Hauptstädten, und zwar in gemeinen Jahren halten. Ich finde viele Jahre im sechzehn ten Jahrhundert, in denen das Korn funfzig, fünf und zwanzig, zwanzig, achtzehn Sous, auch wohl auf vier Franken gegolten hat. Ich rechne also auf ein gemeines Jahr dreyßig Sous. Itzo kostet das Korn ungefähr zwölf französische Pfund, also sind die Lebensmittel itzo nur in einem achtmal höhern Preise, und in eben dieser Verhältniß ist der Preis auch in England und Deutschland gestiegen. Allein diese dreyßig Sous des sechzehnten Jahrhunderts galten fünf Pfund funfzehn Sous, nach itzigem Gelde. Fünf Pfund, funfzehn Sous machen bey nahe die Hälfte von zwölf Pfunden; folglich kauft
Ludewig der Funfzehnte, der dreymal reicher ist als
Franz der erste, die Sachen im Gewichte nach Marken, nur doppelt so theuer, als man sie da mals kaufte. Ein Mensch nun, der neun hundert Franken hat, und eine Waare zu sechs hundert Franken kaufet, bleibt allerdings um hundert Thaler reicher, als der,
welcher, da er nur drey hundert Pfund hat, eben diese Waare um die drey hundert Pfund erhandelt;
Ludewig der funfzehnte bleibt also um ein Drittheil
reicher, als Franz der Erste. Das ist aber noch nicht alles; an statt alle Waa ren um doppelt höhern Preis zu erkaufen, erhan delt er die Soldaten, die nöthigste Waare der Kö nige, um einen weit billigern Preis, als seine Vorfahren. Unter Franz dem Ersten und unter Heinrich dem
Zweyten bestund die Stärke der Armeen in einer königlichen Leibwache aus Landskindern, und in frem den Truppen zu Fuß, die wir mit unsern Truppen nicht vergleichen können; aber die Infanterie wird
unter Ludewig dem Funfzehnten fast auf eben den Fuß und in eben dem Preise bezahlet, wie unter
Heinrich dem Vierten. Der Soldat verkauft sein Leben um sechs Sou (ein und zwanzig Pfennige) den Tag, indem er seine Kleidung mitrechnet; diese sechs Sou galten zu den Zeiten Heinrichs des Vier ten zwölfe von gleichem Werthe; folglich kann man
mit eben den Einkünften; die Heinrich der Große hatte, doppelt so viel Soldaten unterhalten, und mit einer doppelt so großen Summe kann man vier mal so viel Truppen in Sold nehmen. Was ich hier sage, zeiget zur Gnüge, daß, ungeachtet der
Berechnung des Herrn Dutots, die Könige so wohl als der Staat reicher sind, als sie gewesen. Ich leugne nicht, daß sie dagegen auch mehr ver schuldet seyn. Ludewig der Vierzehnte ließ nach seinem Tode mehr als zweymal zehn hundert Millionen Schul den, das Mark zu dreyßig Franken gerechnet; weil er zu gleicher Zeit fünf hundert tausend Mann in Waffen, zwey hundert Schiffe in See haben, und Versailles bauen wollte; und weil in dem, wegen der spanischen Nachfolge, geführten Kriege seine Waffen lange Zeit unglücklich waren. Allein die Rettungsmittel Frankreichs sind weit über seine Schulden. Ein Staat, der nur allein sich selbst schuldig ist, kann nicht arm werden, und diese Schulden selbst sind eine neue Aufmunterung des Fleißes und der Geschick lichkeit.
VIII. Abhandlung von dem Tode Heinrichs des IV.
IX. Kurze Erzählung derjenigen Begebenheiten, auf welche sich die Fabel des Heldengedichts der Henriade gründet.
X. Geschichte der Kreuzzüge.
Geschichte der Kreuzzüge.
Zustand von Europa.
Als diese Kriege ihren Anfang nah men, stund es mit den Angelegen heiten Europens also. Deutschland und Italien lagen einander in Haa ren; Frankreich war noch schwach; Spanien zwischen die Christen und Muselmänner ge theilet; diese aus Italien ganz und gar verjaget; England fing an, seine Freyheit gegen seine Könige zu behaupten; die lehnsherrliche Regierung kam überall auf; die Ritterschaft stund im Ansehen, die Priester waren Fürsten und Krieger; die damalige Politik war von der, welche Europa heut zu Tage belebet, ganz und gar unterschieden. Die Länder der römischen Kirche schienen eine große Republik zu seyn, worüber der Kaiser und der Pabst die Ober häupter seyn wollten. Diese, obwol getheilte, Re publik verstund sich lange Zeit in denen aufs Tapet
gebrachten Kreuzzügen zusammen, welche so große und so schändliche Handlungen, neue Königreiche, neue Stiftungen, neues Elend, und endlich weit mehr Unglück als Ruhm hervor gebracht haben.
Zustand des turkomannischen Reichs.
Die Religionen dauern allemal länger, als die Reiche. Die mahometanische Religion blühete, und die Herrschaft der Kalifen war von der turkomanni schen Nation unterdrücket. Man zermartert sich, den Ursprung dieser Völker zu bestimmen; er ist eben derselbe, welchen alle Völker, die bloße Eroberer ge wesen sind, haben. Sie sind insgesammt Wilde ge wesen, die vom Raube gelebet. Die Türken und Turkomannen wohneten ehemals jenseit des Taurus und Imaus, und, wie man vorgiebt, weit von dem Araxus. Sie wurden mit unter denjenigen Tartarn begriffen, die das Alterthum Scythen nannte. Dieses große Stück festen Landes, das man die Tar tarey nennet, und viermal größer, als Europa ist, ist niemals von jemand anders, als von Barbaren bewohnet worden, wenigstens seit dem man einige Kenntniß von dieser Erdkugel hat. Ihre Alterthümer verdienen eben so wenig eine an einander hangende Erzählung, als die Wölfe und Tiger ihres Landes. Sie breiteten sich im Anfange des eilften Jahrhunderts gegen Moscau aus; sie überschwemmeten die Ufer des schwarzen und des kaspischen Meeres. Die Araber hatten unter den
ersten Nachfolgern Mahomets fast das ganze Klein asien, Syrien und Persien bezwungen. Endlich
kamen die Turkomannen, welche die Araber über wanden. Bagdat, der Hauptsitz des Reichs der Kalifen, fiel gegen das Jahr 1055 in die Hände die ser neuen Räuber. Togrul Beg, oder Ortugul Beg, von dem man das ottomannische Geschlecht ableitet, zog in Bagdat ungefähr so, wie so viele Kaiser in Rom eingezogen sind, ein. Er machte sich Meister von der Stadt
und von dem Kalifen, indem er sich zu seinen Füßen
warf. Ortugul führte den Kalifen Kajem in seinen Palast, indem er den Zügel seines Maulesels hielt; er befestigte aber, entweder weil er geschickter, oder glücklicher war, als die deutschen Kaiser in Rom nicht gewesen sind, seine Macht, und überließ dem Kali fen weiter nichts; als theils die Sorge, das Gebeth in der Moschee Freytags anzufangen, theils die Ehre, alle mahometanische Tyrannen, die sich zu Ober herren aufwarfen, mit ihrem Staate zu belehnen. Man muß sich erinnern, daß, wie diese Turko mannen in ihren Einfällen den Franken, Normän nern, und Gothen nachahmten, also auch darinnen es denselben gleich thaten, daß sie sich den Gesetzen, den Sitten und der Religion der Ueberwundenen un terwarfen. Eben so machten es andere Tartarn mit den Chinesern, und das ist der Vortheil, den ein wohlgesittetes, obgleich schwächeres Volk über ein barbarisches und stärkeres haben muß. Die Kalifen waren folglich nichts mehr, als die Häupter der Religion; ungefähr was die Päbste un ter den lombardischen Königen gewesen waren. Die Fürsten der Turkomannen nahmen den Namen Sul tan an. Es entstunden bald unter ihnen, wie
anderwärts, berühmte Männer, und selbst solche, die es zu seyn verdienten.
Zustand von Constantinopel.
Das constantinopolitanische Reich hielt sich noch. Alle Fürsten desselben waren der Regierung nicht un
würdig gewesen. Constantin Porphyrogeneta, ein
Sohn Leo des Philosophen, und ein Philosoph selbst, brachte, wie sein Vater, glückliche Zeiten. Wenn die Regierung unter dem Romanus, dem Sohne
des Constantins, in Verachtung gerieth, wurde sie hingegen den Nationen wieder sehr ehrwürdig un
ter dem Nicephorus Phokas, der Candia im Jahre 961, ehe er noch Kaiser war, den Ara
bern abgenommen hatte. Ob schon Johann Zimisces den Nicephorus ermordete, und den Palast mit Blut besudelte; ob er schon mit seinen Verbrechen die Heucheley verknüpfte; war er doch außer dem der Vertheidiger des Reichs gegen die Türken und Bul
garn. Unter dem Michael Paphlago aber verlor
man Sicilien, und unter dem Romanus Diogenes gieng fast alles, was gegen Morgen zu noch übrig war, bis auf die Provinz Pontus verloren. Diese Provinz, die man heut zu Tage Turkomannia nennet,
fiel bald darauf in die Hände des Türkens Solymann, dem Meister von dem größten Theile Kleinasiens, welcher den Hauptsitz seiner Herrschaft in Nicäa aufrichtete, und von dar aus in der Zeit, da die Kreuzzüge angiengen, Constantinopel bedrohete. Das griechische Kaiserthum war also auf der Seite gegen die Türken fast bis auf die kaiserliche Residenz
stadt und einige Ufer am Propontis und dem schwar zen Meere eingeschränket: hingegen erstreckte es sich auf der andern Seite über ganz Griechenland, Ma cedonien, Epirus, Thessalien, Thracien, Illyrien, und hatte auch noch die Insel Candia. Die be ständigen, obwol unglücklichen, Kriege wider die Türken, erhielten noch einen Rest von Tapferkeit. Alle reiche Christen Asiens, die sich nicht unter das mahometanische Joch hatten bequemen wollen, wa ren in die kaiserliche Residenzstadt geflüchtet, die sol chergestalt sich von dem Ueberflusse der Provinzen be reicherte. Endlich ungeachtet so vieler Verluste, un geachtet der Verbrechen und der Veränderungen, die im Palaste waren vorgegangen, sahe sich doch diese wirklich tief herab gefallene, aber erstaunend große, volkreiche, vermögende und annehmliche Stadt für die erste und vornehmste der ganzen Welt an. Die Einwohner nannten sich Römer, und die Völker ge gen Abend, die sie Lateiner hießen, waren in ihren Augen nichts, als aufrührische Barbaren.
Wahre Abschilderung vom gelobten Lande.
Das gelobte Land war damals eben das, was es heut zu Tage ist, nämlich das schlechteste Land unter allen, die in Asien bewohnet sind. Diese kleine Pro vinz hat ungefähr fünf und vierzig gemeiner Meilen in der Länge, und dreyßig bis fünf und dreyßig in der Breite. Sie ist fast überall mit dürren Felsen bedecket, auf denen nicht eine Linie breit Erdreich ist. Wenn diese kleine Provinz bebauet wäre, würde
man sie mit keinem Lande besser vergleichen können, als mit der Schweiz. Der Fluß Jordan, der in der Mitte seines Laufs ungefähr funfzig Fuß breit ist, gleicht dem Flusse Aar, der bey den Schweizern in einem minder unfruchtbaren Thale, als die übrigen sind, fließt. Das Meer Tiberias kann mit der See bey Lausanne verglichen werden. Unterdessen geben die Reisenden, die die Schweiz und das gelobte Land wohl untersuchet haben, der Schweiz allen Vorzug. Es ist wahrscheinlich, daß Judäa ehemals besser be bauet gewesen ist, als es die Juden besaßen; sie hat ten sich genöthiget gesehen, ein wenig Erdreich auf die Felsen zu bringen, um daselbst Weinstöcke anzu legen. Dieses wenige Erdreich, das mit den abge rissenen Steinen der Felsen sich verband, wurde durch kleine Mauern festgehalten, davon man hier und da noch einige Ueberbleibsel findet. Das gelobte Land hat, ungeachtet es mit größtem Fleiß ist gebauet worden, doch niemals seine Ein wohner ernähren können. Eben so, wie die drey zehn Cantons den Ueberfluß ihres Volkes wegschicken, unter den Armeen der Fürsten, die sie bezahlen kön nen, zu dienen, eben so machten es fast die Juden, die sich als Mäkler in Asien und Africa zerstreueten. Kaum war Alexandria erbauet, so ließen sie sich da selbst nieder. Es wohnten nicht leichtlich Handlung treibende Juden in Jerusalem, und ich zweifele, daß in den blühendsten Zeiten dieses kleinen Staats je mals so reiche Leute gewesen sind, als heut zu Tage viele Hebräer zu Amsterdam, im Haag, zu London und zu Constantinopel seyn. Als Omar, der Nachfolger Mahomets, sich der fruchtbaren Ländereyen Syriens bemächtigte, nahm er auch die Gegend des gelobten Landes ein. Da nun Jerusalem für die Mahometaner eine heilige Stadt ist, bereicherte er sie mit einer kostbaren Mo schee von Marmor, mit Bley bedecket, und inner halb mit einer erstaunenden Anzahl silberner Lampen ausgezieret, unter denen auch viele vom feinsten Golde waren. Als sich die Türken, die schon Ma hometaner waren, des Landes im Jahre 1055 bemei sterten, verschonten sie die Moschee, und die Stadt blieb allezeit mit sieben bis acht tausend Einwohnern besetzt. So viel konnte damals ihre Ringmauer fassen, und so viel konnte das ganze Land umher et wan ernähren. Dieses Volk bereicherte sich von weiter nichts, als von den Pilgrimschaften der Chri sten und Muselmänner. Die einen giengen dahin, die Moschee, und die andern, das heilige Grab, zu besuchen. Alle zahlten an den türkischen Emir, der in der Stadt residirte, und an einige Imans, die von der Neugierde der Pilgrime lebten, einen klei nen Zoll.
Ursprung der Kreuzzüge.
In einem solchen Zustande befand sich Kleinasien und das gelobte Land, als ein Pilgrim von Amiens in der Picardie die Kreuzzüge aufs Tapet brachte. Er hatte weiter keinen Namen als Kukupietre, wie
die Tochter des Kaisers Comnenus, die diesen Ein siedler zu Constantinopel gesehen hat, erzählet. Wir
kennen ihn unter dem Namen des Einsiedlers Peter. Er gab sich für einen Einsiedler aus, und wollte die
Waffen getragen haben. Dem sey aber, wie ihm wolle, dieser Picard, der alle Hartnäckigkeit seines Landes hatte, wurde durch die Beleidigungen, die man ihm zu Jerusalem anthat, dergestalt gerühret, und redete bey seiner Zurückkunft in Rom auf eine so lebhafte Art davon, und machte so rührende Abschil
derungen, daß der Pabst Urban der Zweyte diesen Mann für den geschicktesten hielt, das große Unter nehmen, damit die Päbste seit einiger Zeit umgien gen, die Christenheit wider die Mahometaner in Harnisch zu bringen, zu unterstützen. Gregorius der Siebente, ein Mann von weitaus sehenden Unternehmungen, hatte zum ersten den Ein fall, Europa wider Asien zu bewaffnen. Man sieht es aus seinem Schreiben, daß er sich selbst an die Spitze einer Armee Christen stellen sollte. Urban
der Zweyte versuchte einen Theil des Vorhabens; er
schickte den Peter aus einer Provinz in die andere, durch seine starke Einbildungskraft die Hitze seiner Meynungen andern mitzutheilen, und die Enthusi asterey auszubreiten. Urban der Zweyte hielt darauf im Jahre 1094 unweit Placenz auf freyem Felde ein Concilium, wo bey sich über dreyßig tausend weltliche Personen, außer den Geistlichen, befanden. Man brachte dar auf die Art, die Christen zu rächen, in Vorschlag. Der griechische Kaiser, Alexius Comnenus, Vater derjenigen Prinzeßinn, die die Geschichte ihrer Zeit aufgezeichnet hat, schickte Gesandte auf diese Kirchen versammlung, und that um einige Hülfe wider die Muselmänner Ansuchung; aber weder von dem Pabste, noch von den Italienern, dnrftedurfte er solche
erwarten. Die Normannen nahmen damals den
Griechen Neapel und Sicilien weg; und der Pabst, der wenigstens Oberlehnsherr dieser Königreiche seyn wollte, und der außerdem die griechische Kirche im geringsten nicht liebte, wurde durch seine Staaten nothwendig ein offenbarer Feind der morgenländi schen Kaiser, wie er ein verborgener Feind der deut
schen Kaiser war. Der Pabst hatte nicht den ge ringsten Gedanken, denen Griechen beyzustehen, sondern wollte den Orient den Lateinern unterwerfen. Uebrigens wurde dieser Entwurf, den Krieg im ge lobten Lande zu führen, von allen, die bey der Kir chenversammlung bey Placenz sich befanden, sehr heraus gestrichen, aber von keinem einzigen ange nommen. Die italienischen Herren hatten zu Hause in ihren eigenen Angelegenheiten genug zu thun, und bezeigten schlechte Lust, ein angenehmes Land zu ver lassen, um sich in der Gegend von dem steinigten Arabien herum zu schlagen. Man wurde also genöthiget, im Jahre 1095 eine andere Kirchenversammlung zu Clermont in Auvergne
anzustellen. Der Pabst hielt eine Rede auf dem großen Markte. In Italien hatte man über die Widerwärtigkeiten der Christen in Asien geweinet, und in Frankreich bewaffnete man sich. Dieses Land war mit einer Menge neuer, unruhiger, unabhän giger Edelleute, die die Verschwendung und den Krieg liebten, die meistentheils in Bosheiten, welche die Unordnungen nach sich ziehen, ersoffen waren, und in einer Unwissenheit, die ihrer unordentlichen Lebens
art gleich kam, lebten, bevölkert. Der Pabst ver sprach ihnen die Vergebung aller ihrer Sünden; und
öffnete ihnen den Himmel, indem er ihnen statt der Buße auflegte, ihrer größten Leidenschaft nachzuhän gen, nämlich in den Krieg zu gehen. Man nahm also das Kreuz um die Wette an; es war nur die Frage, an wem man seine Güter ver kaufen sollte, um nach dem gelobten Lande gehen zu können. Die Kirchen und Klöster kauften damals viele Ländereyen der Adelichen, die nur etwas wenig Geld und ihre Waffen nöthig zu haben glaubten, um
Königreiche in Asien erobern zu können. Gottfried von Bouillon, Herzog von Brabant, verkaufte zum Exempel sein Land Bouillon an das Capitel von Lüt tich, und Stenay an den Bischof von Verdun. Balduin, Gottfrieds Bruder, verkaufte an eben denselben Bischof das wenige, was er in diesem Lande besaß: die geringsten Burgvoigte reiseten auf ihre Unkosten. Die armen Edelleute traten als Stallmeister in der andern ihre Dienste. Man warb eine unzählbare Infanterie, und gemeine Reu ter unter tausend verschiedenen Standarten, an. Dieser Schwarm von Leuten, die mit dem Kreuze bezeichnet waren, wollten sich zu Constantinopel wie der vesammlen, ohne daß die meisten noch wußten, wo es hingieng, noch was man für einen Weg neh men mußte. Mönche, Weiber, Kaufleute, Mar ketender, Künstler und Handwerksleute, alles machte sich auf die Reise, weil es auf dem Wege nichts als Christen, die durch ihre Unterhaltung den Ablaß gern würden gewinnen wollen, anzutreffen glaubte. Mehr als achtzig tausend dieser Landstreicher machten das Heer des Kukupieters, den ich künftig
allezeit den Einsiedler Peter nennen werde, aus. Er
marschirte in hölzernen Pantoffeln und mit einem Stricke um den Leib, an der Spitze der Armee. Die erste Unternehmung dieses einsiedlerischen Ge nerals, war die Belagerung einer christlichen Stadt in Ungarn, Namens Malavilla, weil sie seinen Sol daten Jesu Christi, die sich, ungeachtet ihres heili gen Vorsatzes, als wirkliche Straßenräuber aufführ ten, Lebensmittel verweigert hatte. Die Stadt wurde im Sturm erobert, der Plünderung überlassen,
und die Einwohner erwürget. Der Einsiedler war nicht mehr Herr seiner Kreuzfahrer, die vor Begier de zu rauben brannten. Einer seiner Unterbefehls haber, Gautier ohne Geld, der die Hälfte der Truppen commandirte, machte es in Bulgarien nicht besser. Man vereinigte sich bald wider diese Stras senräuber, und sie wurden fast alle ausgerottet. Endlich langte der Einsiedler mit zwanzig tausend Landstreichern, die vor Hunger verschmachten wollten, 1096 vor Constantinopel an. Ein deutscher Prediger, Namens Gottschalk, der eben den Aufzug spielen wollte, kam noch übler an, als er mit seinen Jüngern in eben diesem Ungarlande anlangte, wo seine Vorgänger so viele Unordnun gen angerichtet hatten. Der Anblick des rothen Kreuzes allein, das sie trugen, war eine Losung, auf die sie alle jämmerlich ermordet wurden. Ein anderer Schwarm solcher Wagehälse, der aus mehr als zwey tausend Personen, sowol Weibern als Prie stern, Bauern und Schülern, bestund, und der Jesu Christi Sache zu führen glaubte, bildete sich ein, man müßte alle Juden, die man anträfe, ausrotten. Es hielten sich deren viele an den
Gränzen von Frankreich auf; aller Handel war in ihren Händen. Die Christen, welche Gott zu rächen und sich zu bereichern dachten, machten alle diese Unglückliche
nieder. Seit den Zeiten des Kaisers Hadrian war niemals gegen diese Nation so gewüthet worden. Sie wurden zu Verdun, Speyer, Worms, Cöln, Maynz erwürgt; viele tödteten sich selbst, nachdem sie ihren Weibern und Kindern den Leib aufgerissen hatten, damit sie nicht in die Hände der Barbaren geriethen. Ungarn war auch von dieser dritten Armee Kreuzfahrer das Grab. Unterdessen fand der Einsiedler Peter vor Con stantinopel andere italienische und deutsche Landstrei cher, die sich mit ihm vereinigten, und die um die Stadt herum liegenden Gegenden verwüsteten. Der Kaiser Alexius Comnenus, der damals re gierete, war allerdings ein weiser und gelassener Herr. Er konnte diesen Straßenräubern eben so begegnen, wie ihren Mitstreitern war begegnet worden. Er ließ es aber dabey bewenden, solcher Gäste je eher je lieber los zu werden. Er lieferte ihnen Schiffe, sie jenseit des Bosphorus zu bringen. Der General Peter sah sich endlich an der Spitze einer christlichen Armee wider die Ungläubigen. Solymann, Sultan von Nicäa, überfiel mit seinen im Kriege erfahrnen Leuten diese zerstreute Menge. Walther ohne Geld, der Unterfeldherr des Einsiedlers, kam dabey mit ei nem großen Theile des armen Adels um, der einfältig genug war, unter solchen Fahnen zu dienen. Der
Einsiedler kehrte unterdessen nach Constantinopel zu
rück, und ward für einen Fantasten gehalten, der eine Menge toller Leute sich hatte nachfolgen lassen. Mit den übrigen Häuptern der Kreuzfahrer, die verschlagener, weniger enthusiastisch, und zum Com mando tüchtiger waren, auch etwas ordentlichere
Truppen anführeten, gieng es etwas anders. Gott fried von Bouillon hatte siebenzig tausend Mann zu Fuß, und zehn tausend zu Pferde unter seinem Com mando, die alle mit vollkommener Rüstung versehen waren, und von verschiedenen Vornehmen von Adel angeführet wurden, die insgesammt von ihm ihre Befehle erhielten. Er marschirte durch eben dieses Ungarn, in dem sich der Schwarm des Einsiedlers hatte erwürgen lassen, glücklich durch. Unterdessen marschirte Hugo, der Bruder des Kö
nigs von Frankreich Philipp des ersten, mit andern vornehmen Herren, die sich zu ihm geschlagen hatten, durch Italien. Er wollte sein Heil versuchen. Fast sein ganzes Glück bestund in dem Titel des Bruders eines Königs; ein an sich sehr wenig vermögender Titel. Und worüber man sich am meisten verwun dern muß, ist, daß Robert, Herzog der Norman die, ältester Sohn Wilhelms, des Eroberers von England, diese Normandie, darinnen er sich kaum etwas fest gesetzt hatte, verließ. Ob er gleich von seinem jüngern Bruder, Wilhelm dem rothen, aus England war verjaget worden, so versetzte er ihm doch noch darzu die Normandie, um die Kosten zu seiner Ausrüstung zu bekommen. Er soll ein wollüstiger und abergläubischer Prinz gewesen seyn; zwo Eigenschaften, die einerley Quelle, näm lich einen schwachen Verstand, haben. Der alte Raimund, Graf von Thouluse, Herr von Languedoc, und eines Theils von Provence, der wider die Muselmänner schon in Spanien gefochten hatte, fand weder in seinem Alter, noch in dem Vor theile seines Vaterlandes einen Grund wider die große Begierde, die in ihm brannte, nach dem gelobten Lande zu gehen. Er war einer von den ersten, die sich bewaffneten, und er gieng über die Alpen, in ei ner Begleitung, wie man saget, von hunderttausend Mann. Er sah es nicht voraus, daß man in kur zem das Kreuz wider seine eigene Familie predigen, und daß sein Land durch eben die Geißel heimgesucht werden würde, die er nach Asien überbrachte. Der verschlagenste unter allen Kreuzfahrern, und vielleicht der einzige, war Bohemund, ein Sohn
Roberts Guiscard, Eroberers von Sicilien, welches er mehr, als ein Eigenthum der morgenländischen Kaiser, unrechtmäßig behielt, als daß er es den Mu selmännern abgenommen hatte. Diese ganze Fa milie der Normannen, die nach Italien verpflanzet war, suchte sich bald auf Kosten der Päbste, bald durch den Verfall des griechischen Kaiserthums zu vergrößern. Sie hatten sich schon in Epirus einzu nisteln gesuchet. Dieser Bohemund hatte wider den
Kaiser Alexius in Epirus und Griechenland ganz al lein Krieg geführet, und da er statt aller Erbschaft nichts, als das kleine Fürstenthum Tarent und seine Herzhaftigkeit hatte, machte er sich den ansteckenden Enthusiasmus von Europa zu Nutzen, um bis auf zehntausend wohl bewehrter Reuter und einiges Fuß volk unter seinem Commando zusammen zu bringen,
mit denen er entweder den Christen oder den Maho metanern Provinzen entreißen könnte. Die Prinzeßinn Anna Commena saget, daß ihr Vater über diese erstaunende Wanderungen, die sich in sein Land ergossen, beunruhiget worden sey. Man hätte glauben sollen, spricht sie, daß Eu ropa, aus seinem Grunde gerissen, auf Asien hätte fallen wollen. Was würde es erst gewesen seyn, wenn mehr als dreyhundert tausend Mann, wovon einige dem Einsiedler Peter, andere dem Prie ster Gottschalk nachgefolget waren, nicht schon ver schwunden gewesen wären? Man trug dem Pabste an, sich an die Spitze der unermeßlichen Heere, die noch übrig waren, zu stel len. Das war die einzige Art zur allgemeinen Ober herrschaft, welche das Hauptaugenmerk des römischen Hofes worden war, zu gelangen. Dieses Unterneh men, das Gregorius der siebende hatte versuchen wollen, erforderte den Geist eines Alexanders. Die Hindernisse waren groß, und der Pabst Urban sah weiter nichts, als die Hindernisse. Er hatte an der Hoffnung genug, daß man im Oriente neue Kirchen gründen wollte, die der zu Rom unterthan seyn soll ten, und daß man die Griechen in kurzem zwingen würde, die oberste Gewalt des heiligen Stuhls zu erkennen. Der Pabst, und die kreuzfahrenden Prin zen, hatten bey dieser großen Rüstung jeder ihre be sondern Absichten, und Constantinopel fürchtete sich für allem. Man haßte allda die Lateiner, die man als Ketzer und Barbaren betrachtete. Die griechi schen Priester hielten es für etwas abscheuliches, daß die lateinischen Priester, die den Armeen haufenweise
nachfolgeten, ihre Hände ohne Unterlaß in den Schlachten mit Menschenblute besudelten; nicht daß etwann diese Griechen tugendhafter gewesen wären, sondern weil es nicht gewöhnlich war, daß sie sich im Kriege brauchen ließen. Für niemanden fürchteten sich die Griechen mehr, und zwar mit Grunde, als für dem Bohemund, und die Neapolitaner, die ärgsten Feinde ihres Reichs. Allein, wenn auch die Absichten des Bohemunds rein gewesen wären, mit was für einem Rechte ka men denn alle diese Fürsten aus den Abendländern, Provinzen, die die Türken den griechischen Kaisern entrissen hatten, für sich einzunehmen? Alexius hatte um einen Beystand von zehntausend Mann Ansuchung gethan, dahingegen er sich itzt durch einen Einfall von siebenhundert tausend Lateinern im Ge dränge fand, die nach und nach anlangeten, sein Land zu verwüsten, keinesweges aber zu beschützen. Wie groß der unbändige Stolz der kreuzfahrenden Ritter gewesen sey, kann man unter andern auch aus
dem Zuge abnehmen, den die Prinzeßinn Anna Com nena von einem gewissen französischen Grafen erzäh let, der sich bey einer öffentlichen Ceremonie neben
den Kaiser auf seinem Throne niedersetzte. Da Bal
duinus, der Bruder Gottfrieds von Bouillon, diesen unbescheidenen Menschen bey dem Arme nahm, und ihn beyseite ziehen wollte, sagte er in seiner gebroche nen Mundart ganz laut: Seht doch! was die ser Grieche für ein Lümmel ist, daß er sich unterstehen darf, vor Leuten, wie wir seyn, sich nieder zu setzen. Diese Worte wurden dem Kaiser Alexius ausgeleget, der aber nur darüber lachte.
Eine oder zwo solche Unbesonnenheiten sind zureichend, eine ganze Nation in einen übeln Ruf zu bringen; allein die Kreuzfahrer hatten aller dieser Tollkühnhei ten nicht nöthig, um von den Griechen gehasset zu wer den, und dem Kaiser verdächtig zu seyn. Es war wahrscheinlicher maßen unmöglich, daß nicht solche Gäste die Lebensmittel sollten mit Strenge gefordert, und daß nicht die Griechen sie mit Hart näckigkeit sollten verweigert haben. Das gab zu be ständigen Händeln, zwischen dem Volke und der Ar mee des Gottfrieds, die nach den Streifereyen der Kreuzfahrer des Einsiedlers Peters zum ersten er
schien, Anlaß. Gottfried gieng so weit, daß er die Vorstädte von Constantinopel angriff, und der Kai ser vertheidigte sie in Person. Der Bischof von Puy in Auvergne, Namens Monteil, Legat des Pabstes bey den Armeen, wollte durchaus, daß man die Feld züge wider die Ungläubigen mit Belagerung der Stadt, wo der erste Fürst der Christen seinen Sitz hatte, eröffnen sollte. Das war auch die Meynung Bohemunds, der damals in Sicilen war, und einen
Curier über den andern an Gottfried abschickte, zu verhindern, daß er sich nicht mit dem Kaiser vertrü
ge. Hugo der Bruder des Königs von Frankreich, begieng damals die Unvorsichtigkeit, Sicilien, wo er mit dem Bohemund war, zu verlassen, und fast al lein auf das Gebieth des Alexius zu kommen. Zu dieser Unbesonnenheit kam noch eine andere, indem er Briefe von einem Stolze, die einem, der keine Ar mee hatte, sehr schlecht anstund, an ihn abgehen ließ. Die Frucht dieser Handlungen war, daß er einige Zeit, als ein Gefangener, angehalten wurde. End
lich kam die Politik des griechischen Kaisers zum Zweck, alle diese Stürme abzuwenden. Er ließ Le bensmittel reichen; er ließ sich von allen vornehmen Herren versprechen, daß sie wegen der Länder, die sie erobern würden, ihm den Lehnseid ablegen wollten; er ließ sie insgesammt, nachdem er sie mit Geschen ken überhäufet hatte, nach einander nach Asien übersetzen. Bohemund, für dem er sich am meisten fürchtete, war derjenige, den er am prächtigsten aufnahm. Als dieser Prinz nach Constantinopel kam, ihm seine Aufwartung zu machen, und sich alle seltene Dinge des Pallastes zeigen zu lassen, befahl Alexius, ein Zimmer mit kostbarem Geräthe, silbernen und gol denen Stücken, allerhand Arten von Edelsteinen, ohne Ordnung aufgehäuft, anzufüllen, und die Thür des Zimmers halb offen zu lassen. Bohemund sah diese Schätze im Vorbeygehen, auf welche seine Füh rer keine Aufmerksamkeit zu machen schienen. Ist es möglich, rufte er aus, daß man so schöne Sachen vernachläßiget! Wenn ich sie hätte, würde ich mich für den mächtigsten Fürsten halten. Noch denselben Abend schickte ihm der Kaiser das Cabinet. Das erzählt seine Tochter, eine Augenzeuginn. So bezeigte sich dieser Monarch, den daher jeder uneingenommener einen klugen und prächtigen nennen wird; den aber die meisten Ge schichtschreiber der Kreuzzüge, als einen Treulosen angegeben haben, weil er von dieser gefährlichen Menge kein Sklave seyn wollte. Nachdem er sich endlich glücklich los gemacht hatte, und alles nach Kleinasien übergesetzet war, hielt man
unweit Nicäa eine Musterung, bey der man hun dert tausend Reuter und sechshundert tausend Mann zu Fuß, die Weiber mitgerechnet, fand. Wenn man diese Anzahl zu den ersten Kreuzfahrern, die unter dem Einsiedler und unter andern umkamen, rechnet, betragen sie zusammen ungefähr eilfhundert tausend. Dieses beweist einigermaßen das, was man von den Armeen der Könige der Perser saget, die Griechenland ehemals überschwemmet haben, und was man von den Versetzungen einer so ungeheuern Menge Barbaren erzählt. Endlich befanden sich die Franzosen und insonderheit Raimund von Thou
louse überall auf demjenigen Gebiethe, welches die mittägigen Gallier 1300 Jahre vorher durchstreift hatten, als sie Kleinasien verwüsteten, und der Pro vinz Galatien ihren Namen beylegten. Die Geschichtschreiber melden uns selten, wie sich diese Haufen Menschen unterhielten. Es war eine Sache, die eben so viel Sorgfalt, als der Krieg selbst, erfodert. Die Venetianer wollten es anfangs nicht über sich nehmen. Sie bereicherten sich mehr als jemals, durch ihren Handel mit den Mahometanern, und fürchteten, die Vortheile, die sie in Asien hatten, zu verlieren, wenn sie sich in einen zweifelhaften Krieg mischeten. Die Genueser, Pisaner, und Griechen rüsteten Schiffe, die sie mit Lebensmitteln beluden, aus, und verkauften sie an die Kreuzfahrer, indem sie an Kleinasien wegschiffeten. Durch dieses Mittel kam ein Theil des Goldes und Silbers, wovon sich die Franzosen entblößet hatten, wieder in die Christen heit zurück. Das Glück der Genueser wuchs da
durch, und man wurde bald darauf in Erstaunen gesetzet, zu sehen, daß Genua eine Macht worden war. Weder der alte Solymann, noch sein Sohn, konnten dem ersten Strome aller dieser kreuzfahren den Fürsten widerstehen. Ihre Truppen waren bes ser ausgesucht, als des Einsiedler Peters seine, und wurden so gut in Zucht und Ordnung erhalten, als die Ungebundenheit der Enthusiasterey es verstattete. Man nahm Nicäa ein (1097). Man schlug die
Armeen des jungen Solymanns zweymal. Die Tür ken und Araber konnten im Anfange den Anfall die ser mit Eisen, mit großen spanischen Reutern, und mit Wäldern von Lanzen bedeckten Menge, derglei chen sie nicht gewohnt waren, nicht aushalten. Bo hemund (1098) brauchte die List, sich von den Kreuzfahrern das fruchtbare Land Antiochia abtreten
zu lassen. Balduin gieng bis nach Mesopotamien, sich der Stadt Edessa zu bemächtigen, und errichtete allda einen kleinen Staat für sich. Endlich schloß man Jerusalem ein, dessen sich der Kalife von Aegy pten durch seine Feldherren bemeistert hatte. Die meisten Geschichtschreiber geben vor, daß die durch Schlachten, durch Krankheiten, und durch Besa tzungen, die man in die eroberten Plätze hatte legen müssen, verminderte Armee, bis auf zwanzig tau send Mann zu Fuß, und funfzehn hundert zu Pferde geschmolzen, Jerusalem hingegen mit allem wohl versehen, und von einer Besatzung von vierzig tau send Mann vertheidiget worden sey. Man vergißt nicht hinzu zu fügen, daß außer dieser Besatzung sich noch zwanzig tausend beherzte Einwohner darinnen befunden. Es wird kein vernünftiger Leser seyn, der
nicht einsehen sollte, daß es menschlichem Ansehen nach unmöglich sey, daß eine Armee von zwanzig tausend Mann eine von sechzig tausend in einem be festigten Platze sollte belagern können. Hiernächst, daß Jerusalem vor der Belagerung zwanzig tausend Einwohner, die die Waffen trugen, erhalten konnte, mußte es wenigstens mit ungefähr sechzig tausend Seelen damals bevölkert seyn; es fehlte aber gar viel, daß dieses verwüstete Land nur den fünften Theil hätte in seinen Mauren ernähren können. Würden endlich nicht sechzig tausend Tür ken und Araber zwanzig tausend Christen im freyen Felde überfalley haben? Würden sie nicht diese kleine Armee der Belagerer durch unaufhörliche Aus fälle zu Grunde gerichtet haben? Die Geschicht schreiber aber haben allezeit das Wunderbare geliebt. Das ist wahr, die Stadt wurde nach einer nur fünf wöchentlichen Belagerung (1099) im Sturm ero bert, und alles, was nicht ein Christ war, wurde viele Tage nach einander, ohne Unterschied des Al ters und Geschlechts, jämmerlich ermordet. Der Einsiedler Peter, der aus einem General ein Kapellan worden war, befand sich bey der Ero berung Jerusalems. Einige Christen, die die Mu selmänner in der Stadt hatten leben lassen, führten die Sieger in die entferntesten und verborgensten Kel ler, wo sich die Mütter mit ihren Kindern versteckt hatten, und nichts wurde verschonet. Die Herren und Meister von Jerusalem ver sammelten sich schon, dem jüdischen Lande einen Kö nig zu geben. Die Geistlichen, die der Armee nach folgeten, begaben sich in die Versammlung, und er
kläreten alle Wahl, die man anstellen wollte, für null und nichtig, weil man ihrem Vorgeben nach erst einen Patriarchen machen müsse, ehe man einen König ernennen wollte. Unterdessen wurde doch Gottfried von Bouillon, nicht zwar zum Könige, sondern zum Herzoge von Jerusalem erwählet. Einige Monate darnach kam ein päbstlicher Legat, Namens Daimbarto, an, der sich durch die Geistlichkeit zu einem Patriarchen er nennen ließ. Das erste, was dieser Patriarch that,
war, Jerusalem für sich selbst zu nehmen. Gott fried von Bouillon, der die Stadt mit Aufsetzung seines Blutes erobert hatte, mußte sie diesem Bi schofe abtreten. Er behielt sich den Hafen Joppe und einige Rechte in Jerusalem vor; ziemlich mittel mäßige Rechte in diesem verwüsteten Lande. Sein Vaterland, das er verlassen hatte, war weit mehr werth, als er in dem gelobten Lande erworben hatte. Einerley Umstände bringen auch einerley Wirkun gen hervor. Man hat gesehen, daß, nachdem die Nachfolger des Mahomets so viele Staaten erobert hatten, die Uneinigkeit sie trennete; die Kreuzfahrer erfuhren ein bey nahe gleiches Schicksal; sie erober ten weniger, und wurden eher getrennet. Man sieht itzo schon drey kleine christliche Staaten, die auf einmal in Asien errichtet worden, zu Antiochia, Je rusalem und Edessa. Einige Jahre darnach ent stund ein vierter, nämlich der zu Tripoli in Syrien, welchen der junge Bertrand, ein Sohn des Grafen von Thoulouse, überkam; allein um Tripoli zu erobern, mußte man zu den venetianischen Schiffen seine Zu flucht nehmen. Sie nahmen damals an den Kreuz
zügen Antheil, und ließen sich einen Theil dieser neuen Eroberung abtreten. Alle diese neuen Fürsten hatten versprochen, dem griechischen Kaiser den Lehnseid von allem, was sie an sich bringen würden, abzulegen. Keiner hielt sein Wort, und alle waren einer auf den andern eifersüchtig. In kurzer Zeit kamen diese zertheilten und abermals zertheilten Staaten in viele verschiedene Hände. Es erhoben sich, wie in Frankreich, kleine Herren, Grafen von Joppe, Marquis von Galiläa, von Sidon, von Akre, von Cäsarea. Solymann, der Antiochia und Nicäa verloren hatte, hielt sich beständig auf dem platten Lande, das ohnedem von Muselmännern bewohnet war; und unter diesem Solymann und nach ihm sahe man in Syrien und Kleinasien eine Vermischung von Chri sten, Türken und Arabern, die einander alle in Haaren lagen. Ein türkisches schloßSchloß gränzte mit ei nem christlichen, so wie in Deutschland die Länder der Protestanten und Katholiken wechselsweise einander begränzen. Von dieser Million Kreuzfahrer war damals nur noch wenig übrig. Auf das Gerücht von ihrem glück lichen Fortgange, welches durch den Ruf vergrößert wurde, brach noch ein neuer Schwarm aus dem Oc
cidente auf. Der Prinz Hugo, ein Bruder Phi lipps des Ersten, der vor der Eroberung von Jeru salem wieder zurück nach Frankreich gekommen war, führete, ohne das geringste von seinem Bruder dazu erhalten zu haben, eine neue Menge, welche Deutsche und Italiener vermehreten, dahin ab. Man rechnete deren drey hundert tausend, und wenn man sie auch
auf zwey Drittheile herunter setzet, so sind es doch abermals wenigstens zwey hundert tausend, die es der Christenheit kostete. Diesen wurde in der Ge gend von Constantinopel ungefähr so begegnet, wie man den Nachfolgern des Einsiedlers Peter begegnet hatte. Die in Asien anlandeten, wurden von Soly mannen über den Haufen geworfen, und der Prinz Hugo starb, fast im äußersten Elende, in Kleinasien. Was vielleicht die Schwäche des neuen Herzog thums zu Jerusalem gleichfalls erweist, ist die Er richtung (1092) der geistlichen Soldaten, der Tem pelherren und der Hospitalier. Diese Mönche, die anfangs nur zu Wartung der Kranken bestellet wa ren, müssen wohl nicht in genugsamer Sicherheit ge wesen seyn, weil sie Waffen nahmen. Wenn hier nächst die allgemeine Gesellschaft wohl regieret wird, macht man so leicht keine besondere Verbindungen. Die zum Dienste der Verwundeten geweihten Mön che verpflichteten sich durch ein Gelübde im Jahre 1118, sich zu schlagen, und sodann entstund auf ein mal unter dem Namen der Tempelherren eine Militz, die diesen Titel deswegen annahm, weil sie nicht weit von derjenigen Kirche wohnte, die ehemals der Tem pel Salomo gewesen seyn sollte. Diese Stiftungen hat man allein den Franzosen zu danken. Raimund
Dupuis, erster Großmeister und Stifter des Hospi talierordens war aus Dauphine gebürtig. Die Stif ter der Tempelherren waren andere Franzosen. Kaum waren diese beyden Orden durch die Bullen der Päbste bestätiget, als sie reich und gegen einander eifersüch tig wurden. Sie schlugen sich eben so oft mit einan der, als wider die Mahometaner. Das weiße Kleid
der Tempelherren und der schwarze Oberrock der Hospi talier war eine beständige Losung zu Schlachten. Bald darauf entstund noch ein neuer Orden zum Besten der im gelobten Lande zurück gebliebenen Deutschen, und das war der Orden deutscher Mönche, der nachher in Europa eine Miliz von Länder bezwingenden Mön chen wurde. Die Sachen der Christen waren so wenig sicher und gegründet, daß Balduin, erster König von Je
rusalem, der nach dem Tode seines Bruders Gott fried regierte, fast an den Thoren der selbst von einem türkischen Prinzen gefangen wurde, dessen Witwe ihn kurz darnach lieber für eine gute Summe Geldes loslassen, als durch seinen Tod die Verwüstung Je rusalems rächen wollte. Die Eroberungen der Chri sten nahmen von Tag zu Tag ab; die ersten Bezwin ger waren nicht mehr vorhanden; ihre Nachfolger waren verzärtelt; das Ländgen Edessa hatten die Tür ken 1140 wieder eingenommen, und bedroheten nun mehr Jerusalem. Die griechischen Kaiser, die in den Fürsten von Antiochia, ihren Nachbarn, nichts als unrechtmäßige Besitzer sahen, führeten mit ihnen, nicht ohne Gerechtigkeit, Krieg. Die Christen in Asien, die von allen Seiten bedrohet wurden, hielten in Europa um eine neue Kreuzfahrt an. Die Päbste hatten nicht geringere Ursache, so viele Kirchen, die ihre Rechte und Reichthümer vermehren sollten, zu schützen. Frankreich hatte den Anfang zur ersten Ueber schwemmung gemacht; an dasselbe wendete man sich
auch wegen der zweyten. Pabst Eugen der Dritte, der vormals ein Schüler des heiligen Bernhards,
des Stifters von Clairvaux, gewesen war, suchte mit gutem Bedachte seinen ehemaligen Lehrer zum WerzeugeWerkzeuge einer neuen Entvölkerung aus. Niemals hat ein Mensch die Unruhen der öffentli lichen Angelegenheiten mit der Strenge seines Stan
des geschickter zu verbinden gewußt, als Bernhard. Kein Mensch hatte noch eine so bloß persönliche Hoch achtung, die über das Ansehen selbst hinaus war, er
halten. Sein Zeitgenoß, der Abt Suger, war der vornehmste Staatsbediente in Frankreich; sein Schü ler Eugen war Pabst; aber Bernhard, schlechter Abt von Clairvaux, war das Orakel von Frankreich und von Europa. Zu Vezelay in Burgund wurde 1146 auf dem offe nen Marktplatze ein Gerüste aufgerichtet, auf welchem
Bernhard, den König von Frankreich, Ludewig den jüngern an der Seite habend, erschien. Er redete zuerst, hernach der König. Alles, was zugegen war, nahm das Kreuz; der König empfing es aus den Händen des heiligen Bernhards zuerst. Der
Minister Suger fand nicht für gut, daß der König den wirklichen Vortheil, den er seinen Staaten schaf fen könnte, in Wind schlüge, um in Syrien auf un gewisse Eroberungen auszugehen. Allein die Beredt samkeit Bernhardsnndund die Meynung der Zeit, ohne welche diese Beredtsamkeit nichts war, behielten über den Rath des Ministers die Oberhand. Man malet uns Ludewig den jüngern als einen Prinzen ab, der mit mehr Gewissenszweifel, als Tu gend erfüllet war. In einem von den kleinen inner lichen Kriegen, welche die lehensherrliche Regierung in Frankreich unvermeidlich machte, hatten die
Truppen des Königs die Kirche von Vitri verbrannt, und das Volk, das sich in diese Kirche geflüchtet hatte, war in den Flammen umgekommen. Man beredete den König leicht, daß er dieses Verbrechen nicht anders, als im gelobten Lande büßen könnte, da es doch in Frankreich durch eine kluge Regierung weit besser hätte können ersetzet werden. Seine
junge Gemahlinn Eleonora von Guyenne trat den Kreuzzug mit dem Könige an, entweder weil sie ihn damals liebte, oder weil es die Anständigkeit in die sen Zeiten erfoderte, den Mann in dergleichen Kriegen zu begleiten. Bernhard hatte sich ein so besonderes Ansehen er worben, daß man ihn in einer neuen Versammlung zu Chartres zum Haupt und Anführer des Kreuzzu ges erwählte. Dieses scheint fast unglaublich. Man hatte einen König von Frankreich, und man wählte einen Mönch; allein, alles ist von der Unbe sonnenheit des Volkes glaublich. Doch der heilige Bernhard hatte zu viel Verstand, als daß er sich dem Lächerlichen, das ihn bedrohte, hätte aussetzen sollen. Das Beyspiel des Einsiedlers Peter war noch neu. Er schlug es also aus. Aus Frankreich gieng er nach Deutschland. Er fand daselbst einen andern Mönch, der ebenfalls das Kreuz predigte. Er legte demselben ein Stillschwei gen auf, weil er seine Sendung nicht vom Pabste hatte. Er gab endlich dem Kaiser, Conrad dem drit
ten, selbst das Kreuz, und versprach öffentlich den Sieg über die Ungläubigen. Die Hoffnung eines gewissen Sieges machte, daß dem Kaiser und Könige von Frankreich der meiste
Theil der Ritterschaft ihrer Staaten nachfolgeten. Man zählte bey jeder von beyden Armeen siebenzig tausend mit Lanzen bewaffnete Reuter, mit einer er staunend starken leichten Reuterey. Das Fußvolk zählte man nicht. Der heilige Bernhard saget in seinen Briefen, daß in den meisten Flecken, außer den Weibern und Kindern, niemand zurück geblieben sey. Wer sich mit einem Kreuze konnte bezeichnen lassen, und that es nicht, dem schickte man einen Spinnrocken und eine Spindel. Die mehresten Weiber der Kreuzfahrer folgten ihren Männern. Man kann diese zweyte Auswanderung nicht weniger rechnen, als aufs geringste zu dreymal hundert tau send Mann, welche mit den dreyzehn hundert tau send, die wir im vorhergehenden bemerket haben, zusammen gerechnet bis auf diesen Zeitpunct, sech zehn hundert tausend versetzter Einwohner betragen. Die Deutschen brachen zum ersten auf, und die Fran zosen folgten ihnen. Es ist natürlich, daß von die sen Haufen, die unter einen andern Erdstrich kom men, die Krankheiten einen großen Theil hinreißen. (1147) Die Unmäßigkeit verursachte insonderheit unter der Armee des Conrads in den Ebenen Con stantinopels ein Sterben. Daher breitete sich so gleich in dem ganzen Occidente das Gerücht aus, daß die Griechen die Brunnen und Quellen vergiftet hät ten. Eben diejenigen Ausschweifungen, die die er sten Kreuzfahrer begangen hatten, wurden von den
zweyten erneuert, und erweckten dem Kaiser Manuel
Comnenus eben diejenigen Unruhen, die sie seinem Großvater Alexius verursachet hatten. Nachdem Conrad über den Bosphorus gegangen war, führete er sich mit derjenigen Unbehutsamkeit auf, die mit dergleichen Unternehmungen verknüpfet ist. Das Fürstenthum zu Antiochia hielt sich noch. Man hätte sich mit diesen Christen in Syrien vereini gen, und den König in Frankreich erwarten können. Solchergestalt hätte die Menge siegen müssen. Al lein der deutsche Kaiser, der gegen den Fürsten von Antiochia und den König von Frankreich eifersüchtig war, vertiefte sich mitten in Kleinasien. Ein Sul tan von Ikonium, der listiger als er war, zog diese schwere deutsche Reuterey, welche ermüdet, ohne Muth, und nicht im Stande war, in dieser Gegend zu fechten in die Gebirge. Die Türken hatten nichts
weiter zu thun, als nur zu morden. Der Kaiser, der verwundet war, und nur einige flüchtige Trup pen noch um sich hatte, floh nach Antiochia, und that von dar, als ein Pilgrim, eine Reise nach Je rusalem, an statt daß er als ein General der Armee
hätte daselbst erscheinen sollen. Der berühmte Frie drich der Rothbart, sein Neffe und Nachfolger im deutschen Reiche, folgte ihm auf seinen Reisen, und lernte bey den Türken eine Standhaftigkeit ausüben, die die Päbste nachher auf weit größere Proben setzten. Das Unternehmen Ludwigs des jüngern hatte eben den Erfolg. Man muß gestehen, daß, wenn die, welche ihn begleiteten, eben so wenig Vorsichtigkeit bezeigten, wie die Deutschen, sie noch weit weniger Gerechtigkeit bewiesen. Kaum war man in Thracien angekommen, als ein Bischof von Langres den Vor schlag that, sich Constantinopels, dem Entwurfe des
päbstlichen Legatens bey dem ersten Kreuzzuge zu fol ge, zu bemächtigen; allein der Schimpf war wegen einer solchen Handlung gewiß, der Erfolg ungewiß. Die französische Armee gieng auf den Fußtapfen des
Kaisers Conrad über den Hellespont. Ich glaube nicht, daß jemand sey, der nicht sollte bemerket haben, daß diese mächtigen Armeen der Christen in eben den Ländern den Krieg führeten, wo Alexander der große mit weit wenigern Truppen über ungleich mächtigere Feinde, als die Türken und Ara ber damals waren, allezeit gesieget hatte. Es mußte aber wohl in der Kriegszucht der kreuzfahrenden Prinzen ein Grundfehler seyn, der allen ihren Muth unnütze machte. Dieser Fehler war wahrscheinlicher Weise der Geist der Unabhängigkeit, den die Lehns herrliche Regierungsform in Europa eingeführet hatte. Häupter ohne Erfahrung und Verstand führe ten unordentliche Haufen in unbekanten Ländern an. Der König von Frankreich, (1149) der, wie der
Kaiser, in den Felsen bey Laodicäa überrumpelt wur de, wurde, wie er, geschlagen; er erfuhr aber zu Antiochia häusliche Widerwärtigkeiten, welche em pfindlicher waren, als die allgemeine Noth. Raimund, Fürst von Antiochia, zu dem er mit der Königinn Eleonora, seiner Gemahlinn, seine Zu flucht nahm, wurde im Verdacht einer Liebe gegen diese Prinzeßinn gehalten. Ja, man saget, daß sie alle Beschwerlichkeiten einer so verdrüßlichen Reise mit einem jungen Türken von einer seltenen Schön heit, Namens Saladin, vergessen habe. Das En de dieser ganzen Unternehmung war, daß der Kaiser Conrad fast ganz allein nach Deutschland zurück
gieng, und der König nur seine Gemahlinn und ei nige Hofleute nach Frankreich zurück führete. Nach seiner Rückkunft ließ er seine Ehe mit Eleonora von
Guyenne aufheben, und verlor also diese schöne Pro vinz von Frankreich, nachdem er in Asien die schönste Armee, die sein Land noch jemals auf die Beine ge bracht, verloren hatte. Tausend betrübte Familien zogen wider den heiligen Bernhard los. Nach diesen unglücklichen Feldzügen waren die Christen in Asien weit mehr unter einander uneins, als jemals. Eben diese Wuth herrschte unter den Muselmännern. Der Vorwand der Religion hatte weiter keinen Antheil an den politischen Angelegenhei
ten. Es trug sich im Jahre 1166 gar zu, daß Al merich, König von Jerusalem, sich mit dem Sultan von Aegypten wider die Türken vereinigte. Aber kaum hatte der König von Jerusalem diesen Tractat unterzeichnet, als er ihn wider brach. Die Ritter des Hospitals zu St. Johann zu Jerusalem unter stützten ihn mit ihrem Gelde und mit ihrer Macht, die nicht gering waren. Sie hofften, sich Aegypten unterwürfig zu machen, sahen sich aber alle genöthi get, mit der Schande, ihren Eid gebrochen zu ha ben, wieder nach Jerusalem zurück zu gehen. Mitten unter diesen Unruhen kam der große Sa ladin, ein Neffe des Noradins, Sultans von Alep po, zum Vorschein; er eroberte Syrien, Arabien, Persien und Mesopotamien. Ein Tempelherr, Na mens Melieu, verließ seinen Orden und seine Reli gion, um unter diesem Bezwinger zu dienen, und trug viel bey, ihm Armenien zu unterwerfen. Sala din, Herr so vieler Länder, wollte mitten unter seinen
Staaten das Königreich Jerusalem nicht lassen. Heftig gegen einander erbitterte Parteyen zerfleischten diesen kleinen Staat, und beförderten seinen Unter gang. Gvido von Lusignan, gekrönter König, dem man aber die Krone streitig machte, versammlete in Galiläa alle die getrennten Christen, die die Gefahr vereinigte, und marschirte gegen den Saladin. Der Bischof von Ptolemais, der seine Kappe über dem Küraß trug, und zwischen seinen Händen ein Kreuz hielt, munterte die Truppen auf, auf demjenigen Gebiethe, wo ihr Gott so viele Wunder gethan hät te, tapfer zu fechten; nichts desto weniger wurden alle Christen entweder getödtet oder gefangen. Der gefangene König, der nichts, als den Tod, erwartete, war verwundert, von dem Saladin, so wie es heut zu Tage die leutseligsten Generale den Kriegsgefangenen thun, zu begegnen pflegen, tractirt zu werden. Sa ladin reichte mit seiner Hand dem Lusignan einen Be cher mit einem in Schnee abgekühlten Tranke dar. Nachdem der König getrunken hatte, wollte er den Becher auch einem seiner Officiers, Namens Re naud von Chatillon, geben. Es war eine unverletz liche Gewohnheit bey den Muselmännern, und die sich noch bey einigen Arabern erhält, die Gefangenen, denen sie zu essen und zu trinken gegeben haben, nicht um bringen zu lassen. Dieses Recht der alten Gast freundschaft war für den Saladin geheiliget. Er
gab es nicht zu, daß Renaud von Chatillon nach dem Könige trank. Dieser Officier hatte sein Ver sprechen vielmals übertreten, der Sieger hatte einen Eid gethan, ihn zu strafen, und, indem er zeigte, daß er eben so sich zu rächen, als zu vergeben wüßte,
ließ er demjenigen, den er für treulos hielt, den Kopf mit einem Sebelhiebe herunter hauen. Da er vor den Thoren Jerusalems, das sich nicht weiter weh
ren konnte, ankam, stund Saladin der Gemahlinn des Lusignans, wegen Uebergabe der Stadt, einen Vergleich zu, dergleichen sie nicht hoffte. Er er laubte ihr, sich hinzuwenden, wo sie hin wollte. (1187) Er verlangte von den Griechen, die in der Stadt blieben, keine Ranzion, und von den Latei nern nahm er nur eine geringe. Als er seinen Ein zug in Jerusalem hielt, warfen sich eine Menge Weibespersonen zu seinen Füßen, deren einige um ihre Männer, andere um ihre Kinder, noch andere um ihre Väter baten, die er gefangen hielt. Er gab sie ihnen insgesammt mit einer Großmuth, die in diesem Theile der Welt noch kein Exempel hatte, wieder. Saladin ließ durch die Hände der Christen selbst die Moschee, die in eine Kirche war verwandelt worden, mit Rosenwasser waschen. Er ließ 1187 einen prächtigen Lehrstuhl darinnen aufrichten, daran sein Oheim Noradin, Sultan von Aleppo, selbst gearbeitet hatte, und über die Thür ließ er diese Worte graben: „Der König Saladin, der Knecht Gottes, setzte diese Ueberschrift, als Gott durch seine Hände Jerusalem eingenommen hatte.„ Aber ungeachtet seines Eifers für seine Religion, gab er doch den morgenländischen Christen die Kirche des heiligen Grabes wieder. Wenn man dieses Bezei gen mit der Christen ihrem, als sie Jerusalem ein nahmen, in Vergleichung zieht, sieht man leider! wer die Barbaren seyn. Man muß noch hinzu fü gen, daß Saladin, nach Verlauf eines Jahres,
dem Gvido von Lusignan die Freyheit wieder gab, nachdem er einen Eid von ihm genommen hatte, daß er niemals die Waffen wider seinen Befreyer tragen wollte. Lusignan hielt sein Wort nicht. Während daß Kleinasien der Schauplatz des Ei fers, des Ruhms, der Schandthaten und des Un glücks so vieler tausend Kreuzfahrer gewesen war, hat te sich die Wuth, die Religion mit den Waffen in der Hand anzukündigen, auch mitten in Norden ausge breitet. Wir haben Carln den großen das nordliche Deutsch land, das man Sachsen nannte, mit Feuer und Schwerdt bekehren sehen. Hernach sahen wir die abgöttischen Dänen Europa zitternd machen, und die Normandie erobern, ohne daß sie jemals einen Versuch thaten, daselbst die Abgötterey einzuführen. Kaum war das Christenthum in Dänemark, in dem alten Sachsen und in Scandinavien befestigt, als man wider die Heiden in Norden, die man Sklaven oder Slaven nannte, und die ihren Namen dem Lande, das an Un garn stößt, und Sklavonien heißt, gegeben haben, das Kreuz predigte. Sie wohneten damals an dem östlichen Ufer der Ostsee, in Ingermanland, Liefland, Samogitien, Curland, Pommern, Preußen, die Christen rüsteten sich von Bremen an bis in das Herz von Scandinavien wider sie. Ueber hunderttausend Kreuzfahrer richteten Verwüstung und Zerstörung unter diesen Abgöttern an. Man tödtete eine große Menge, und bekehrte niemand. Dieser Kreuzzug endigte sich bald in einem wilden Lande, wo die Trup pen nicht lange stehen konnten, und wo die Kriegs kunst nichts als ein Sengen und Brennen wilder Men
schen war. Man kann den Verlust dieser hundert tausend Menschen zu den sechzehen hundert tausend, die diese Art Kriege unserm Europa gekostet hatte, noch hinzufügen. Indessen hatten die Christen in Asien nichts mehr, als Antiochia, Tripoli, Joppe nnd die Stadt Tyr, die ehemalige Beherrscherinn der Meere, damals aber schlechte Zuflucht der Ueberwundenen. Saladin besaß alles das übrige, theils für sich, theils durch seinen Eidam den Sultan zu Ikonium oder Cogni, der das Land, das wir heut zu Tage Karamanien nennen, beherrschete. Durch das Gerüchte von den Siegen des Sala dins, wurde ganz Europa beunruhigt. Der Pabst
Clemens der dritte erregte Frankreich, England und Deutschland. Philipp August, der damals in Frankreich regierte,
und der alte Heinrich der zweyte, König von Eng land, setzten inzwischen ihre Zwistigkeiten bey seite, und richteten alle ihre Gedanken darauf, wie sie es einander in Rettung Asiens zuvor thun möchten. Sie ließen, jeder in seinen Staaten eine Verordnung ergehen, daß alle, welche das Kreuz anzunehmen sich weigerten, den zehnten Theil ihrer Einkünfte und ih rer beweglichen Güter zu den Unkosten der Ausrüstung zahlen sollten; und dieses nennete man den Saladin schen Zehnten, eine Auflage, die dem Ruhme des Bezwingers zum Siegeszeichen diente. Dieser Kaiser, Friedrich der Rothbart, der von den Verfolgungen, die er von den Päbsten erlitten, und die er ihnen wieder anthat, berühmt ist, nahm fast zu gleicher Zeit das Kreuz an, und that sich un
ter allen am ersten hervor. Es schien, als ob er dar zu bestimmt wäre, bey den Christen Asiens dasjenige zu seyn, was Saladin bey den Türken war. Er führte als ein Staatsverständiger, als ein großer Ge neral, und der durch das Glück gnugsam geprüft war, eine Armee von hundert und funfzig tausend Mann ins Feld. Er brauchte die Vorsicht, zu verordnen, daß man keinen mit dem Kreuze bezeichnen sollte, der nicht wenigstens hundert und funfzig Franken Sil bers nach unsrer heutigen Münze baar hätte, da mit ein jeder durch seinen Fleiß und sein Geld dem grausamen Mangel, der die vorigen Armeen größten theils aufgerieben hatte, vorkommen könnte. Er mußte Anfangs mit den Griechen sich herumschlagen. Der Hof zu Constantinopel, der es müde war, be ständig von den Lateinern bedrohet zu werden, machte endlich mit dem Saladin ein Bündniß. Ganz Eu ropa schrye über dieses Bündniß, es ist aber augen scheinlich, daß es unumgänglich nothwendig war. Man verbindet sich mit seinem natürlichen Feinde nicht ohne Noth. Unsre heutige Bündnisse mit den Türken, die vielleicht weniger nöthig sind, verursa chen nicht so viel Murren. Friedrich machte sich
mit Gewalt wider den Kaiser Isaac Angelus einen Weg durch Thracien, wie er über die Griechen ge siegt, so gewann er auch (1190) zween Siege wider
den Sultan von Cogni. Da er sich aber ganz im Schweiße in dem Wasser eines Flusses, den man für den Cydnus hält, gebadet, starb er davon, und alle seine Siege waren ohne Nutzen. Sie hatten ohne Zweifel viel gekostet, weil sein Sohn, der Herzog
Friedrich von Schwaben, von hundert und funfzig
tausend Mann, die seinem Vater nachgefolget waren, aufs höchste nicht mehr als sieben bis achttausend zu sammen bringen konnte. Er führte sie nach Antio chia, und stieß mit diesen Ueberbleibseln zu dem Heere des Königes von Jerusalem Gvido von Lusignan, der, ungeachtet des gethanen Eides und der Ungleichheit der Waffen, dennoch seinen Sieger noch einmal an greifen wollte. Nach verschiedenen Schlachten, deren keine ent
scheidend war, verlor dieser Sohn
Friedrichs des Rothbarts, welcher Kaiser im Occident hätte seyn sol len, sein Leben ohnweit Ptolemais an einer Krankheit, die alle Deutsche in diesem Erdstriche hinriß. Die, welche aufgezeichnet haben, daß dieser Prinz, als ein Märtyrer der Keuschheit gestorben sey, und daß er durch den Gebrauch der Weiber hätte davon kommen können, sind zugleich sehr verwegene Lobredner und schlecht unterrichtete Naturkündiger. Man sagt eben
das seitdem auch von dem Könige in Frankreich Lud wig dem achten. Kleinasien war ein Abgrund, worein sich Europa gestürzet hatte. Nicht allein diese unbeschreibliche
Armee des Kaisers Friedrichs war verloren, sondern die englischen, französischen, italiänischen und deut
schen Flotten, die noch vor der Ankunft Philipp Au gusts und Richards, genannt Löwenherz, anlangten, hatten neue Kreuzfahrer und neue Schlachtopfer her beygebracht. Endlich kamen die Könige von Frank reich und England in Syrien vor Ptolemais, das man Akre nennt, an. Fast alle Christen im Oriente
hatten sich versammlet, diese Stadt, die man als den Schlüssel des Landes ansahe, zu belagern. Sa ladin war in der Gegend des Euphrats in einen in nerlichen Krieg verwickelt. Nachdem die beyden Könige ihre Macht mit der orientalischen Christen ihrer vereiniget hatten, zählte man über dreymal hun dert tausend Soldaten. Ptolemais wurde zwar wirklich erobert (1190), al lein die Uneinigkeit, die nothwendig zween Prinzen,
wie Philippus und Richard, die nach gleichen Ehren und Vortheilen mit gleichem Eifer trachteten, trennen mußte, richtete größern Schaden an, als diese drey mal hundert tausend Mann glückliche Thaten verrich
teten. Philippus, dieser Trennungen müde, noch mehr aber über die Ueberlegenheit und über das zu sehr überhand nehmende Ansehen, welches Richard sein Lehnsmann, in allem hatte, verdrüßlich, kehrte in sein Vaterland zurück, welches er vielleicht gar nicht hätte verlassen, itzt aber wenigstens mit meh rerm Ruhm hätte wiedersehen sollen. Richard, der nun Herr von dem Felde der Ehren, nicht aber von dieser Menge der Kreuzfahrer war, die unter einander noch weniger, als die beyden Kö nige, eins waren, ließ vergebens die heldenmäßigste Tapferkeit sehen. Saladin, der siegreich aus Meso potamien zurück kam, lieferte den Kreuzfahrern eine Schlacht bey Cäsarea. Man sahe diesen Bezwinger an der Spitze seiner Mahometaner und den Richard an der Christen ihrer, einer gegen den andern, als zween Ritter auf dem Turnierplatze, fechten. Richard
hatte die Ehre, den Saladin aus dem Sattel zu he ben; und das war fast alles, was er in dieser merk würdigen Schlacht gewann. Die Strapatzen, die Krankheiten, die kleinen Schlachten, die beständigen Zänkereyen rieben diese große Armee auf, und Richard kehrte zwar mit mehrerem Ruhm, als Philipp Au gust, aber auch auf eine weit unbehutsamere Art zu rück. Er gieng mit einem einzigen Schiffe von der jenigen Küste Syriens ab, auf welche er ein Jahr vorher mit einer fürchterlichen Flotte losgeseegelt war, und da sein Schiff auf den Küsten von Venedig schei terte, wanderte er verkleidet und in schlechter Beglei tung durch die Hälfte von Deutschland. In Syrien
hatte er einen Herzog von Oesterreich durch seinen Stolz beleidigt, und itzt hatte er die Unachtsamkeit durch dessen Länder zu reisen. Dieser Herzog von Oesterreich legte ihn in Ketten, und lieferte ihn dem
Kaiser Heinrich dem sechsten, der ihn, als einen Feind, den er im Kriege gefangen genommen hätte, im Ge fängnisse verwahrte, aus. Er verlangte von ihm statt der Loskaufung hunderttausend Mark Silbers. England verlor also bey diesem neuen Kreuzzuge weit mehr, als Frankreich, in welchem ein mächtiger und tapferer Kaiser, und zween dergleichen Könige, mit der ganzen Macht von Europa dem Saladin nichts abgewinnen konnten. Dieser berühmte Muselmann, der mit dem Ri chard einen Tractat gemacht hatte, vermöge dessen er den Christen die Seeküste von Tyr bis nach Joppe überließ, und das übrige alles für sich behielt, hielt sein Wort, davon er ein Sklave war, redlich. Er
starb (1195) funfzehn Jahre darnach zu Damasco, von den Christen selbst bewundert. Er hatte in seiner letzten Krankheit, statt der Fahne, die man vor seine Thüre zu pflanzen pflegte, das Tuch, darinnen man ihn begraben sollte, bringen lassen. Der, welcher die Todesfahne hielt, rufte mit lauter Stimme aus: „das ist alles, was Saladin, der Bezwinger des Orients, von seinen Siegen davon trägt.„ Man sagt, er habe in seinem Testamente verord net, gleichgroße Summen unter die armen Mahome taner, Juden und Christen, als Allmosen, auszuthei len, durch welche Verordnungen er habe zu verstehen geben wollen, daß alle Menschen Brüder wären, und man, um ihnen beyzustehen, sich nicht darnach, was sie glaubten, sondern, was sie auszustehen hätten, erkundigen müßte. Er hatte auch niemals um der Religion willen jemand verfolget; er war zugleich ein Bezwinger, ein Mensch, und ein Philosoph. Ludwig der neunte, schien recht darzu bestimmt zu seyn, nicht nur Europa wieder in Ordnung zu brin gen, wenn es darzu zur Zeit noch fähig gewesen wäre, sondern auch Frankreich triumphirend und gesittet zu machen, und selbst in allen Stücken ein Muster der Menschen zu seyn. Seine Gottesfurcht, welche der, eines Einsiedlers nichts nachgab, entzog ihm die kö niglichen Tugenden nicht. Seine Freygebigkeit hin derte ihn nicht an einer klugen Haushaltung. Er wußte eine tiefe Politik mit einer genauen Gerechtigkeit zu verbinden, und vielleicht ist er der einzige Monarch, der dieses Lob verdienet. Klug und standhaft in sei
nen Entschließungen; unerschrocken in Schlachten, ohne hitzig zu seyn; mitleidig, als wenn er beständig unglücklich gewesen wäre. Kaum ist es möglich, daß ein Mensch die Tugend weiter treiben könne. Er hatte zugleich mit der Regentinn, seiner Mutter, die zu regieren wußte, den Misbrauch, der zu weit greifenden Gerichtsbarkeit der Geistlichen Einhalt ge than. Er wollte nicht, daß die Gerichtsbedienten die Güter dererjenigen, die im Banne waren, einzögen, ohne zu untersuchen, ob der Bann recht oder unrecht
wäre. Der König, der einen sehr klugen Unterschied zwischen den bürgerlichen Gesetzen, denen alles gehor chen muß, und den Gesetzen der Kirchen machte, de ren Herrschaft sich nicht weiter, als auf die Gewissen erstrecken soll, gab nicht zu, daß die Gesetze des Kö nigreichs unter diesen Misbrauch der Bannstrahlen sich hätten biegen sollen. Dadurch, daß er von An fange seiner Regierung die Ansprüche der Bischöfe und der Layen klüglich eingeschränkt hielt, unterdrückte er die Meutereyen in Bretagne: er hatte eine kluge
Neutralität zwischen Gregorius dem neunten und
Friedrich dem zweyten beobachtet. Seine Kammergüter, die an sich selbst schon an sehnlich waren, vermehrte er durch viele Stücke Lan des, die er darzu kaufte. Die Einkünfte der Könige von Frankreich bestunden damals in ihren eigenen Gü tern; ihre Hoheit kam eben so wohl, als eines Pri vatedelmannes seine, auf eine wohleingerichtete Haus haltung an. Diese Haushaltung hatte ihn in den Stand ge setzt, mächtige Armeen wider den König von England
Heinrich den dritten, und wider die Vasallen von Frankreich, die es mit England hielten, anzuwerben.
Heinrich der dritte, der weniger reich war, und dem die Engländer weniger gehorchten, hatte weder so gute Truppen, noch die so geschwind fertig waren.
Ludwig, der ihn, an Muth, wie an Behutsamkeit und Vorsicht übertraf, schlug ihn zweymal, und in sonderheit zu Tailleburg in Poitou. Der englische König nahm die Flucht vor ihm. Auf diesen rühm lichen Krieg folgte ein vortheilhafter Friede. Die Vasallen von Frankreich bequemten sich wieder zu ih rer Schuldigkeit, und handelten weiter nicht darwi der. Der König vergaß auch nicht, den Engländern fünf tausend Pfund Sterlings statt einer Ersetzung der Kriegsunkosten aufzulegen. Wenn man bedenkt, daß er noch nicht vier und zwanzig Jahr alt war, da er sich also aufführte, und daß seine Gemüthsart weit über sein Glück erhoben war, so sieht man leicht, was er würde gethan haben, wenn er in seinem Vaterlan de geblieben wäre, und man bejammert, daß Frank reich durch seine Tugenden selbst, die das Glück der Welt hätten machen sollen, hat unglücklich seyn müs sen. Als Ludwig im Jahr 1244 in eine heftige Krank heit verfiel, glaubte er, wie man vorgiebt, in einer Schlafsucht eine Stimme zu hören, die ihm anbe fohlen, das Kreuz wider die Ungläubigen zu nehmen. Kaum konnte er reden, so that er das Gelübde, einen Kreuzzug zu thun. Die Königinn seine Mutter, die
Königinn seine Gemahlinn, sein Rath, und alles, was sich ihm näherte, sahe die Gefahr dieses betrüb ten Gelübdes wohl ein. Der Bischof von Paris selbst stellte ihm die gefährlichen Folgen davon vor.
Allein Ludwig sahe dieses Gelübde als ein heiliges Band an, welches aufzulösen bey Menschen nicht stünde. Er machte die Anstalten zu diesem Zuge binnen vier Jahren; endlich übergab er die Regie rung des Königreichs seiner Mutter, und brach mit seiner Gemahlinn und drey Brüdern, denen ihre Ge mahlinnen gleichfalls folgeten, auf. Fast die ganze Ritterschaft Frankreichs begleitete ihn. Ein Herzog von Burgund, ein Graf von Bretagne, ein Graf von Flandern, ein Graf von Soissons, ein Graf von Vendome fanden sich mit ihren Lehnsleuten ein. Es waren auf drey tausend Bannerherren bey der Ar mee. Frankreich wurde öder und einsamer, als zur
Zeit des Kreuzzuges des heil. Bernhards, und doch
griff man ihn nicht an. Der Kaiser und der König von England hatten bey sich genug zu thun. Ein Theil der erstaunenden Flotte, die so viele Prinzen und Soldaten führte, ging von Marseille, und der andre von Aiguemorte ab, welches heut zu Tage kein Hafen mehr ist. Mit dieser ganzen großen Macht war man über Aegypten herzufallen gesonnen. Ludwig legte sich in der Insel Cypern vor Anker. Der König dieser Insel vereinigte sich mit ihm, man landete in Aegypten an, und verjagte anfangs die Bar baren aus Damiate. Der alte Maleksala, der fast unvermögend war, etwas zu unternehmen, bath um Frieden, und man versagte ihm selbigen. Der heilige Ludwig wurde durch neue aus Frank reich angekommene Hülfe verstärket, worauf noch sech zig tausend Soldaten nachkamen. Man folgte ihm, man liebte ihn, und er selbst ließ sich das Unglück, das
Johann von Brienne, in einem gleichen Vorfalle er fahren hatte, zu einem Beyspiele dienen, indem er schon überwundene Feinde und einen Sultan, der sich seinem Ende nahete, vor sich hatte. Wer hätte nicht glauben sollen, daß Aegypten und bald darauf Syrien hätten sollen bezwungen werden. Unterdessen kam die Hälfte dieser unvergleichlichen Armee an Krankheiten um; die andre Hälfte wurde bey Masura überwunden.
Der heilige Ludwig sahe seinen Bruder Robert von Artois ermorden; er wurde mit seinen beyden andern
Brüdern dem Grafen von Anjou und dem Grafen von
Poitiers gefangen. Der meiste Theil seiner Ritter wurde mit ihm gefangen genommen. Damals regier te nicht mehr Maleksala in Aegypten, sondern sein Sohn Almoadan. Dieser neue Sultan hatte aller
dings eine große Seele, denn, da ihm der König Lud wig für seine und der ihm angehörigen Gefangenen Ranzion eine Million Goldner * Bezans anbot, er
ließ ihm Almoadan den fünften Theil davon. Malek sala, sein Vater, hatte das Corps der Mammelu ken aufgerichtet, das mit der ehmaligen Leibwache der Römischen Kaiser, und mit den Janitscharen heut zu Tage viele Aehnlichkeit hatte. Diese Mammelu ken waren kaum entstanden, so wurden sie ihren Herren schon furchtbar. Almoadan, der ihnen Einhalt thun
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wollte, wurde von ihnen eben in der Zeit, da er mit
dem heil. Ludwig wegen der Ranzion in Unterhandlung stund, meuchelmörderischer Weise ermordet. Die Regierung, die damals unter die Emirs vertheilt war, schien den gefangenen Christen höchstnachtheilig zu seyn; dem ungeachtet fuhr der ägyptische Rath fort mit dem Könige zu tractiren. Der Herr von
Joinvilleerzählt, daß selbst diese Emirs in einer von ihren Versammlungen in Vorschlag gebracht hätten, Ludwigen zu ihrem Sultan zu erwählen. Joinville war mit dem Könige gefangen. Was ein Mann von seinem Character und von seiner Aufrich tigkeit erzählt, hat allerdings einen großen Nachdruck. Man überlege aber nur, wie schlecht man öfters in ei nem Lager, und in einem Hause von den besondern Vorfällen unterrichtet ist, die in einem benachbarten Lager, und in einem angränzenden Hause sich ereignen; wie unwahrscheinlich es ferner ist, daß die Muselmän ner auf die Gedanken kommen sollten, einen feindse ligen Christen der weder ihre Sprache versteht, noch ihre Sitten liebt, und der ihre Religion verabscheuet, zu ihrem Könige zu ernennen; so wird man leicht sehen,
daß Joinville weiter nichts, als ein Gewäsche des ge meinen Volks erzählt. Das, was man hat sagen hören, aufrichtig wieder sagen, ist öfters nichts an ders, als Sachen, die wenigstens verdächtig sind, auf Treu und Glauben erzählen. Ich kann das, was die Geschichtschreiber von der Art, wie die Muselmänner den Gefangenen begeg neten melden, noch nicht recht mit einander vereini
gen. Sie erzählen, man habe sie einzeln aus einer Festung, darinnen sie eingesperrt waren; heraus ge hen lassen; man habe sie gefragt, ob sie Jesum Chri stum verleugnen wollten; und man habe allen denen den Kopf herunter gehauen, die bey dem Christen thum fest beharret wären. Andern Theils bezeugen sie auch, daß ein alter Emir durch einen Dollmetscher die Gefangenen habe fragen lassen, ob sie an Jesum Christum glaubeten, und und da sie geantwortet, daß sie an ihn glaubeten, solle er gesagt haben: „Seyd getrost, weil er für euch gestorben, und wieder aufgestanden ist, so wird er euch auch schon zu helfen wissen. Diese beyden Er zählungen scheinen ein wenig widersprechend, am aller meisten widersprechend aber ist, daß die Emirs Ge fangene, von denen sie eine Ranzion erwarteten, soll ten getödtet haben. Uebrigens dünkt mir, daß diese Emirs, ob sie schon ihren Sultan getödtet haben, dennoch diejenige Art der Redlichkeit und Tugend an sich hatten, ohne welche keine Gesellschaft bestehen kann. Sie blie ben bey den achthundert tausend Bezans, auf welche ihr Sultan die Ranzion der Gefangenen gesetzet hat te; und als die französischen Truppen, die in Da miate waren, dem geschlossenen Tractate zu Folge, diese Stadt übergaben, findet man nicht, daß die Sieger dem Frauenzimmer, das in großer Menge allda war, einigen Schimpf angethan hätten. Man ließ die Königinn nebst ihren beyden Schwägerinnen, mit Bezeigung vieler Ehrerbiethung, abreisen. Es
ist nicht gesaget, daß alle muselmännische Soldaten
eingezogen gewesen wären; der gemeine Pöbel ist in allen Ländern wild und unbändig. Es wurden ohne Zweifel viele Gewaltthätigkeiten ausgeübet, und viele Gefangene gemishandelt und getödtet; allein ich muß gestehen, daß ich mich keinesweges wundere, wenn der gemeine mahometanische Soldat sich wild gegen Ausländer bezeiget hat, die aus den Hafen von Eu ropa gekommen waren, das Gebieth von Aegypten zu verwüsten und zu verheeren. Nachdem der heilige Ludewig aus der Gefangen schaft los war, begab er sich nach dem gelobten Lande, und blieb allda mit den Ueberbleibseln seiner Schiffe und seiner Armee beynahe vier Jahre. An statt nach Frankreich zurück zu gehen, besuchte er Nazareth, kam auch nicht eher in sein Vaterland zurück, als nach dem Tode der Königinn Blanca, seiner Mutter; und zwar mit den Gedanken zu einer neuen Kreuzfahrt Anstalten zu machen. Sein Aufenthalt zu Paris verschaffte ihm bestän dige Vortheile und beständigen Ruhm. Er genoß einer Ehre, die nur ein tugendhafter König erlangen kann. Der König von England und seine Barons erwähleten ihn zum Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten. Er sprach das Urtheil als ein unumschränkter König,
und wenn dieses Urtheil, das Heinrich dem dritten günstig war, die Unruhen in England nicht stillen konnte, gab es doch wenigstens dem ganzen Europa zu erkennen, was für Ehrerbiethung die Menschen auch wider ihren Willen, gegen die Tugend haben.
Sein Bruder der Graf von Anjou hatte dem Ruhme
Ludewigs, und der guten Ordnung seines Königrei ches die Ehre zu danken, daß er von dem Pabste zum Könige von Sicilien erwählet wurde. Ludewig vermehrte indessen durch die Erwerbung von Namur, Peronne, Avranches, Mortagne, und Perche, seine Kammergüter. Er konnte den Köni gen von England alles, was sie in Frankreich besas
sen, entreißen. Die Streitigkeiten Heinrichs des dritten mit seinen Barons, erleichterten ihm die Mit tel darzu; er zog aber die Gerechtigkeit einem unrecht mäßigen Besitze vor; er ließ sie in ruhigem Besitze von Guyenne, Perigord, Limosin; er nöthigte sie aber auf immerdar der Normandie, dem Ländgen
Tauraine und Poitou zu entsagen, die Philipp Au gust mit der Krone wieder vereinigt hatte. Solcher gestalt wurde der Friede mit Ehren bestätiget. Er führte zuerst gewisse Gerichtsbarkeiten ein; und die durch die willkührlichen Aussprüche der Rich ter der Baronien unterdruckten Unterthanen fingen an, ihre Klagen vor die vier großen königlichen Aem ter, die sie zu hören waren angeleget worden, zu brin gen. Unter ihm fingen die Gelehrten an, zu den Sitzungen der Parlemente, in denen Ritter, die gar selten lesen konnten, das Glück der Bürger ent schieden, zugelassen zu werden. Er vereinigte mit der Frömmigkeit eines Mönchen die erleuchtete Standhaftigkeit eines Königs, indem er den Unter nehmungen des Hofes zu Rom durch diejenige be rühmte pragmatische Sanction Einhalt that, welche
die alten Rechte der Kirche, die die Freyheiten der gallicanischen Kirche heißen, erhält. Dreyzehn Jahre seiner Gegenwart ersetzten endlich alles wieder in Frankreich, was seine Abwesenheit verdorben hatte; allein die heftige Neigung zu einem Kreuzzuge riß
ihn hin. Die Päbste munterten ihn auf; Clemens der vierte stund ihm den Zehnten von der Geistlich keit zu heben, auf drey Jahre zu. Die Geistlichkeit, die zur Zeit des Saladinischen Zehnten eine Menge Vorstellungen gemacht hatte, um nichts zahlen zu dürfen; that itzt dergleichen von großem Nachdruck. Sie waren eben so unnütz, als wenig anständig un ter einem Könige, der sein Blut und sein Vermögen in einem Kriege, den die Geistlichkeit so sehr predigte verschwendete. Er gieng endlich zum zweytenmale, und beynahe mit einer eben so starken Macht ab. Sein Bruder, den er zum Könige von Sicilien ge macht hat, soll ihm folgen. Allein es ist nicht mehr weder das gelobte Land, noch Aegypten, wohin er seine Andacht und seine Waffen richtet. Er läßt seine Flotte auf Tunis zuseegeln. Carl von Anjou, König von Neapel und Sicilien,
bediente sich eigentlich der heroischen Frömmigkeit Lu
dewigs zu seinen Absichten. Er gab vor, der Kö nig von Tunis wäre ihm einige Jahre Tribut schul dig. Er wollte sich dieser Lande bemächtigen, und der heilige Ludewig hoffte, wenigstens nach dem Vor geben aller Geschichtschreiber, (auf was für einen
Grund, weiß ich nicht,) den König von Tunis zu bekehren. Die christlichen Truppen stiegen unweit
der Ruinen Karthagens ans Land; gar bald aber wurde der König in seinem Lager von den vereinigten Mauren belagert. Eben die Krankheiten, welche die Unmäßigkeit seiner versetzten Unterthanen und die Veränderung der Himmelsgegenden, in sein Lager in Aegypten gezogen hatten, verstörten auch sein Lager bey Karthago. Einer von seinen Söhnen, der ihm während seiner Gefangenschaft zu Damiate war ge bohren worden, starb an dieser Art von Pest vor Tu
nis. Endlich wurde der König selbst davon ange griffen; er ließ sich auf der Asche ausstrecken, und gab in einem Alter von fünf und funfzig Jahren mit der Gottesfurcht eines Mönchen und dem Muthe ei nes Helden seinen Geist auf. Kaum war er todt,
so langte sein Bruder der König von Sicilien an; man machte Friede mit den Mauren, und führte die Ueberbleibsel der Christen nach Europa zurück. Man kann nicht weniger als hundert tausend Perso
nen rechnen, die in diesen beyden Feldzügen des heil. Ludewigs sind aufgeopfert worden. Fügt man hier
zu die hundert und funfzig tausend, die Friedrich dem Rothbarte nachfolgeten, die dreyhundert tausend von
dem Kreuzzuge Philipps Augusts und Richards;
wenigstens zweyhundert tausend von der Zeit des Jo hanns von Brienne: rechnet man die sechzehn hun dert tausend Kreuzfahrer, die schon nach Asien über gegangen waren, und was in dem Zuge nach Con stantinopel und in den Kriegen, die auf diese Ver änderung erfolgten, umgekommen ist, ohne von dem nordischen Kreuzzuge und dem wider die Albigenser etwas zu gedenken; so wird man finden, daß der
Orient das Grab von mehr als zwo Millionen Euro päern geworden ist. Verschiedene Länder wurden dadurch entvölkert, und in Armuth versetzet. Der Herr von Joinville saget
ausdrücklich, er habe den König Ludewig in seinem zweyten Kreuzzuge nicht begleiten wollen, weil er es nicht gekonnt hätte, und der erstere seine ganze Herr schaft zu Grunde gerichtet hätte. Die Ranzion des heil. Ludewigs hatte achthundert tausend Bezans, welche wenigstens neun Millionen unserer heutigen Münze betragen, gekostet. Wenn von zwo Millionen Menschen, die im Oriente um kamen, jeder nur hundert Franken mit sich dahin ge nommen, so sind es wieder zweyhundert Millionen französische Pfunde, die der Krieg kostete. Die Genueser, Pisaner, und insonderheit die Venetianer, bereicherten sich dabey; Frankreich aber, England und Deutschland wurden erschöpfet. Man saget, die Könige von Frankreich hätten bey
diesen Kreuzzügen gewonnen, weil der heilige Lude wig seine Kammergüter durch Ankauf einiger Lände reyen herunter gekommener von Adel vermehret hät te; allein er vermehrte sie nur durch seine gute Haus haltung, während seines Aufenthalts in seinen Staten. Das einzige Gute, daß diese Unternehmungen et wan verschaffeten, war die Freyheit, die etliche kleine Marktflecken von ihren Herren erkauften. Das städ tische Regiment kam ziemlich auf; diese Gemeinden,
die zu ihrem eigenen Nutzen arbeiten und handeln konnten, trieben die Künste und den Handel, die die Sklaverey unterdrückt hatte. Indessen wurde das wenige von Christen, das sich auf der Küste von Syrien noch befand, in weniger Zeit theils ausgerottet, theils in die Sklaverey ver setzet. Ptolemais, ihre vornehmste Freystadt, die aber wirklich nichts, als eine Zuflucht einiger Räuber war, die sich durch ihre Verbrechen berüchtigt ge macht hatten, konnte der Macht des Sultans von Aegypten Melek Seraph nicht Widerstand thun. Er nahm sie im Jahre 1291 ein: Tyr und Sidon ergaben sich ihm. Gegen das Ende des zwölften Jahr hunderts endlich war keine deutliche Spur von den Kreuzzügen in Asien mehr übrig.
XI. Von Titeln.
XII. Ueber die Widersprüche in dieser Welt.
XIII. Gedruckte Lügen.
Les oisifs courtisans que leurs chagrins dévorent,
S'efforcent d' obscurcir les astres qu'ils adorent;
Si l'on croit de leurs yeux la regard penetrant,
Tout Ministre est un traitre et tout Prince un Tiran;
L'hymen n'est entouré que de feux adulteres;
Le frere à ses rivaux est vendu par ses freres;
Et sitot qu' un grand Roi penche vers son declin
Ou son fils ou sa femme aut haté son destin - - -
Qui croit toujours le crime en paroit trop capable. „das ist die müßigen Höflinge, die ihr Verdruß verzehret, bemühen sich aus allen Kräften, die Sonnen, welche sie anbethen zu verdunkeln. Wenn man denen durch dringenden Blicken ihrer Augen trauet, so ist jeder Mi nister ein Verräther, und jeder Fürst ein Tyrann; Hy men ist mit nichts als mit ehebrecherischen Flammen umgeben, und der Bruder wird an seine Mitbuhler von seinen Brüdern verkauft; und sobald ein großer König sich seinem Ende nahet, so muß entweder sein Sohn, oder seine Gemahlinn, seinen Tod beschleunigt haben. - - Wer das Laster allezeit glaubt, der scheint nur allzufähig dazu zu seyn.„ Und auf eben die Art sind die meisten vorgegebnen Geschichte der Zeit abgefasset. Die Kriege von 1702 und von 1741 haben in den Büchern eben so viel Lügen hervorgebracht; als Sol daten in den Feldzügen derselben umgekommen sind. Man hat es hundertmal wiederholt und wiederholt es noch hundertmal, daß das Ministerium von Versail les das Testament Carls des IIten, Königs von Spa nien, geschmiedet hätte. Geheime Nachrichten lehren uns, daß der letzte Marechal de la Feuillade ausdrück lich Turin verfehlte, und seine Ehre, sein Glück und sei ne Armee verlor durch eine große Hoflist; andre be richten uns, daß ein Minister aus Staatsklugheit eine Schlacht habe verlieren lassen. Man hat es in den Unterhandlungen von Europa auf das neue gedruckt, daß wir in der Schlacht bey Fontenai unsre Kanonen mit großen Stücken Glas und mit vergifteten Metallen hätten geladen gehabt: daß der General Cambel von einer dieser vergifteten Ladungen wäre getödtet worden, und daß der Herzog von Cumberland dem Könige von Frankreich in einem Kuffer das Glas und die Metalle zugeschickt habe, die man in seiner Wunde gefunden; daß er einen Brief beygelegt, worinne er dem Könige gesagt: Auch die allerbarbarischsten Völker hätten sich niemals solcher Waffen bedient; und daß sich der König bey LefungLesung dieses Briefes ent setzet habe. Alles dieses hat nicht den geringsten Schat ten der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit. Man fügt zu diesen ungereimten Lügen noch hinzu, daß wir mit kaltem Blute die verwundeten Engländer, welche auf dem Schlachtfelde gelegen, umgebracht, da man doch aus den Registern der Hospitäler beweisen kann, daß wir uns ihrer so wohl, als unsrer eignen Soldaten, an genommen haben. Diese häßlichen Lügen finden in verschiednen Ländern Europens Glauben, und dienen zur Unterhaltung des Hasses zwischen ganzen Völkern. Wie viel giebt es nicht geheime Denkwürdigkei ten, Historien von Feldzügen, Tagebücher von aller ley Art, deren Vorreden die billigste Unparteylichkeit, und die vollständigsten Nachrichten versprechen? Man sollte meynen, diese Werke wären von Gevollmächtig ten verfertiget, welchen alle Minister von allen Staaten, und alle Generale von allen Armeen, ihre aufgesetzten Nachrichten eingehändiget hätten. Man gehe einmal zu einem von diesen Gevollmächtigten, so wird man einen armen Schreiber in einem Schlafrocke und in ei ner Nachtmütze finden, ohne Hausrath und ohne Feuer, welcher die Zeitungen zusammen schreibt und verfälscht. Manchmal nehmen diese Herren eine gewisse Macht unter ihren Schutz. Das Mährchen, das man von einem solchen Schriftsteller erzählt, ist bekannt, welcher nach geendigtem Kriege von dem Kaiser Leopold eine Belohnung verlangte, daß er ihm an dem Rheine eine vollständige Armee von funfzigtausend Mann ganzer fünf Jahre lang unterhalten habe. Sie kündigen auch Krieg an, und lassen Feindseligkeiten begehen, und laufen Gefahr, selbst als Feinde tractirt zu werden. Ei ner von ihnen mit Namen Dubourg, welcher seine Zei tungsniederlage in Frankfurt hatte, ward daselbst un glücklicher Weise von einem unsrer Officirer im Jahr 1748 in Verhaft genommen, und auf den St. Mi chaelsberg gebracht, wo er in einem Kefige gestorben ist. Gleichwohl hat dieses Beyspiel den großen Muth seiner Brüder nicht niedergeschlagen. Eine von den edelsten und von den gemeinsten Be trügereyen ist diese, wenn sich Schriftsteller in Staats minister oder Hofleute desjenigen Hofes oder Landes, von welchem sie reden, verwandeln. Man hat uns eine dicke Geschichte von Ludewig dem XIVten geliefert, die nach den geschriebnen Aufsätzen eines Staatsministers abgefasset seyn soll. Dieser Staatsminister war ein aus seinem Orden verstoßener Jesuite, welcher nach Hol land unter dem Namen de la Hode geflüchtet war, und sich endlich in Holland zum Staatssecretär von Frankreich machte, damit er Brodt haben möchte. Weil man allezeit gute Muster nachahmen muß, und weil der Kanzler Clarendon und der Kardinal von Rets Abschilderungen der vornehmsten Personen gemacht ha ben, mit welchen sie Unterhandlung gepflogen, so darf man sich gar nicht verwundern, daß die heutigen Schrift steller, wenn sie sich zu einem Buchführer in Sold be geben, damit anfangen, daß sie von allen Regenten in Europa, von ihren Ministern, und von ihren Gene ralen, deren Liverey sie nicht einmal kennen, getreue Abschilderungen geben. Ein englischer Schriftsteller, dessen Annales von Europa gedruckt und wieder ge druckt worden sind, versichert uns, daß Ludewig der XVte nicht das große Ansehen habe, welches ei nen König ankündiget. Wahrhaftig dieser Mensch muß mit den Gesichtsbildungen sehr scharf verfah ren. Dagegen aber sagt er, der Kardinal von Fleu ry habe das Ansehen eines edeln Zutrauens. So ge genau er bey den Gestalten ist, so genau ist er auch bey den Gemüthsschilderungen und bey der Erzählung der Begebenheiten: er berichtet der Welt, daß der Kar dinal von Fleury den Titel des erstern Ministers (wel chen er niemals gehabt hat) dem Grafen von Toulose abgetreten habe; Er lehret uns, daß man die Armee des Marschalls Maillebois bloß nach Böhmen geschickt habe, weil eine Hofjungfer einen Brief auf dem Tische liegen lassen, und weil dieser Brief den Zustand der damaligen Angelegenheiten habe zu erkennen gegeben; er sagt, der Graf von Argenson wäre in dem Kriegsra the dem Herrn Amelot gefolget. Ich glaube wenn man alle Bücher in diesem Geschmacke zusammen su chen wollte, um sich die geheimen Nachrichten von Europa ein wenig bekannt zu machen, man würde eine unzählbare Bibliothek zusammen bringen, wovon kaum zehn Seiten Wahrheit wären. Ein andrer beträchtlicher Theil des Handels mit gedruckten Papieren, ist derjenige, welcher mit den polemischen Schriften, und zwar mit den eigentlichen polemischen Büchern, zu thun hat, worinnen man sei nen Nächsten verlästert, um Geld zu gewinnen. Ich will gar nicht von den Factums der Advocaten reden, welche das edle Recht haben, ihre Gegenpartey, so sehr als sie können, herunter zu machen, und ganze Fami lien rechtmäßig zu beschimpfen: ich rede nur von den jenigen, die in England wider das Ministerium de mosthenischePhilippica, aus lauter Liebe für das Vaterland, auf ihren Böden schreiben. Diese Stücke werden das Blatt für zwey Schillinge verkauft; man zieht manchmal vier bis fünf tausend Stücke davon ab, und dadurch bekömmt ein beredter Bürger wenigstens auf zwey bis drey Monate Lebensunterhalt. Ich habe den Ritter Walpole erzählen hören, daß einmal ein solcher Demosthenes für zwey Schillinge, der sich noch für keinen Theil des uneinigen Parlaments er kläret hatte, zu ihm gekommen sey, und ihm seine Feder zu Vertilgung aller seiner Feinde angeboten habe. Der Minister dankte ihm ganz höflich für sei nen Eifer, und nahm seine Dienste nicht an. Sie werden es also nicht übel nehmen, sagte der Schrift steller, daß ich ihrem Gegner, dem Herrn Pultney, meine Dienste antrage. Er ging sogleich zu ihm, und ward ebenfalls abgewiesen. Nunmehr erklärte er sich so wohl wider den einen, als wider den andern; des Montags schrieb er wider den Herrn Walpole, und des Mittewochs wider den Herrn Pultney. Nachdem er die ersten Wochen so ziemlich ehrlich da von gelebet hatte, so kam er endlich vor beyder Thü ren betteln. Mit dem berühmten Pope verfuhr man zu seiner Zeit wie mit einem Minister. Aus seinem Ruhme schlossen verschiedne studirte Leute, daß mit ihm was zu gewinnen sey. Man druckte seinetwegen, zur Ehre der Gelehrsamkeit, und zur Aufnahme des menschlichen Geistes, mehr als hundert Schmähschriften, worinne man ihm bewies, daß er ein Gottesleugner sey, und was noch ärger ist, in England warf man ihm so gar vor, daß er katholisch sey. Man versicherte, als er seine Uebersetzung des Homers herausgab, daß er kein Griechisch verstehe, weil er bucklicht sey, und nicht den besten Geruch habe. Es ist wahr, er war bucklicht; gleichwohl verstand er das Griechische sehr gut, und seine Uebersetzung des Homers war sehr wohl gerathen. Man verlästerte seine Sitten, seine Auf erziehung, seine Geburt; man fiel seinen Vater und seine Mutter an. Diese Schmähschriften hatten kein Ende. Pope hatte manchmal die Schwachheit, dar auf zu antworten, und dieses vermehrte ihre Anzahl. Endlich entschloß er sich, selbst einen kleinen Auszug aus allen diesen schönen Stücken zu machen, und ihn drucken zu lassen. Dieses war der tödtlichste Streich für die Schriftsteller, die bisher ziemlich ehrlich von den Lästerungen, die sie wider ihn ausspien, gelebt hat ten. Man hörte auf sie zu lesen, man begnügte sich mit dem Auszuge, und sie kamen nicht wieder auf. Ich bin der Gefahr ekel zu werden, sehr nahe ge wesen, wenn ich gesehen habe, daß große Schriftstel ler, mit mir eben so umgegangen sind, als mit Po pen. Ich kann sagen, daß ich mehr als einem Schrift steller ganz ansehnliche Honoraria verschaffet habe. Ich hatte, ich weiß nicht wie, dem berühmten Abte des Fontaines eine kleine Gefälligkeit erwiesen. Weil ihm aber diese Gefälligkeit nicht Lebensunterhalt verschaff te, so setzte er sich gleich Anfangs, als er aus dem Hause, woraus ich ihn gezogen hatte, gekommen war, durch ein Dutzend Schmähschriften wider mich, in bessere Umstände, die er in Wahrheit bloß zu Ehren der Gelehrsamkeit und aus übermäßigem Eifer für den guten Geschmack verfertigte. Er ließ die Hen riade drucken, in die er Verse, die er selbst gemacht hatte, hinein flickte, um hernach eben diese Verse ta deln zu können. Ich habe sehr sorgfältig einen Brief aufbehalten, den mir einmal ein solcher Schrift steller schrieb. Mein Herr, ich habe eine Smäh schrift<Schmähschriften> wider sie drucken lassen, wovon vier hundert Exemplaria abgezogen sind. Wenn sie mir 400 Livres übermachen wollen, so will ich ihnen diese vierhundert Exemplare treulich einhändigen. Ich schrieb ihm wieder, ich wolle seine Güte nicht misbrauchen, der Kauf wäre ihm allzunachtheilig; der Verkauf dieses Buchs könne ihm weit mehr eintragen; und am Ende hatte ich nicht Ursache, mich meine Großmuth reuen zu lassen. Es ist sehr gut, gelehrte Leute aufzumuntern, die nicht wissen, wozu sie greifen sollen. Eine von den mildesten Handlungen die man zu ihrem Vortheile unternehmen kann, ist, daß man ein Trauerspiel her aus giebt. Den Augenblick werden Schreiben an Frauenzimmer vom Stande erscheinen, unparteyi sche Beurtheilungen des neuen Stücks, Briefe ei nes Freundes an einen Freund, gründliche Untersu chung, Scenenweise Untersuchungen: und alles die ses findet seine Käufer. Das sicherste Geheimniß für einen ehrlichen Buch händler ist, am Ende der Werke, die er druckt, alle Abscheulichkeiten und Thorheiten, die man wider den Verfasser gedruckt hat, anzuhängen. Nichts ist dien licher, die Neugierde der Leser zu reizen, und den Ver kauf zu beschleunigen. Ich besinne mich, daß unter andern entsetzlichen Ausgaben meiner vorgegebenen Werke, ein geschickter Herausgeber in Amsterdam eine Ausgabe im Haag stürzen wollte, und also eine Samm lung von allen, was er wider mich hatte auftreiben können, beyfügte. Die ersten Worte dieser Samm lung sind, ich wäre ein nagender Hund. Ich fand dieses Buch in Magdeburg in den Händen des Postmeisters, welcher mir es nicht genug beschreiben konnte, mit wie vieler Beredsamkeit ihm dieses Stücke abgefaßt zu seyn schiene. Endlich erwiesen mir zwey Buchhändler in Amster dam, nachdem sie vorher, so viel wie möglich, die Henriade und andere Stücke von mir verunstaltet hat ten, die Ehre, mir zu schrribenschreiben, daß wenn ich es er laubte, daß man in Dresden eine bessere Ausgabe von meinen Werken besorge, die man damals unter Hän den hatte, so würden sie nach ihrem Gewissen verbun den seyn, einen Band abscheulicher Schmähungen wider mich, auf dem schönsten Papiere, mit breitem Rande, und mit den besten Littern , die sie haben könn ten, drucken zu lassen. Sie haben mir ihr Wort treulich gehalten. Sie haben sogar die Aufmerksam keit gehabt, ihre schöne Sammlung an einen der ver ehrungswürdigsten Monarchen in Europa zu schicken, an dessen Hofe ich damals zu seyn die Ehre hatte. Der Monarch hat ihr Buch in das Feuer geworfen, mit den Worten, auf eben die Art sollte man es mit den Herren Herausgebern machen. Es ist wahr, in Frankreich würden diese ehrlichen Leute auf die Galee ren geschicket werden. Allein das hieße den Handel allzusehr einschränken, dem man allezeit beförderlich seyn muß.
Fortsetzung der gedruckten Lügen.
Man hat nur sehr wenig von den gedruckten Lü gen gedacht, womit die Welt überschwemmt ist. Es wäre sehr leicht, von dieser Materie einen großen Band zu schreiben. Man weiß aber, daß man nicht alles thun muß, was leichte zu thun ist. Man will hier bloß einige allgemeine Regeln ge ben, die Menschen in Stand zu setzen, sich vor der Menge Bücher in Acht zu nehmen, welche die Irr thümer von einem Jahrhunderte auf das andere fort gepflanzet haben. Man erstaunt bey dem Anblicke einer zahlreichen Bibliothek; man sagt wohl bey sich selbst: es ist betrübt, daß man dazu verdammt ist, das meiste, was sie enthält, nicht zu wissen. Trö stet euch; es ist wenig dabey verloren. Sehet diese vier bis fünftausend Bände der alten Naturlehre, alles ist darinne falsch, bis auf die Zeiten des Gali läus. Betrachtet die Historien so vieler Völker; ihre ersten Jahrhunderte sind abgeschmackte Fabeln. Nach den fabelhaften Zeiten kommen die heroischen Zeiten, wie man sie nennt. Die ersten gleichen der Tausend und einen Nacht, worinne gar nichts wahr ist; die andern den Ritterbüchern, worinne nichts als einige Namen und Anspielungen wahr sind. Das ist schon mehr als ein Tausend Jahre, und mehr als ein Tausend Bücher, worinn man ohne Nachtheil unwissend seyn kann. Endlich kommen die historischen Zeiten, wo der Grund der Sachen wahr ist, und der meiste Theil der Umstände Lügen sind. Sind aber unter diesen Lügen nicht einige Wahrhei ten? Ja, so wie sich ein wenig Goldstaub in dem Sande, welchen die Flüsse mit sich fortstoßen findet. Man wird vielleicht wissen wollen, durch welches Mittel man dieses Gold zusammen sammeln kann? Hier ist das Mittel. Alles was nicht mit der Na turlehre, was nicht mit der Vernunft, was nicht mit der Art des menschlichen Herzens übereinkömmt, ist nichts als Sand; das übrige, welches von klugen Zeitverwandten bezeuget wird, ist der Goldstaub, wel chen ihr suchet. Herodotus erzählt dem versammleten Griechenlande die Geschichte der benachbarten Völker: die verständigen Leute lachen, wenn er von den Vor
herverkündigungen des Apollo und von den ägypti schen und assyrischen Fabeln redet; er selbst glaubet sie nicht; alles was er von den ägyptischen Priestern hat, ist falsch; das, was er selbst gesehen hat, ist bestätiget worden. Man muß ihm ohne Zweifel glauben, wenn er zu den Griechen, die ihn anhören, saget: es ist in dem Schatze zu Corinth ein goldner Löwe, am Ge
wichte 360 Pfund, welcher ein Geschenk des Crösus ist; man sieht noch den goldnen und den silbernen Zober, welche er in den Tempel zu Delphos schenkte; der goldne Zober wiegt ohngefähr fünfhundert Pfund, und in den silbernen gehen ohngefähr zweytausend und vierhundert Maaß. So groß diese Pracht auch sey, so weit sie auch alle übertrifft, die wir kennen, so kann man sie doch nicht in Zweifel ziehen. Herodotus re dete von etwas, wovon mehr als hunderttausend Zeu gen waren. Dieser Umstand ist übrigens sehr merkwür
dig, weil er beweiset, daß zu den Zeiten des Crösus in klein Asien mehr Pracht war, als man heut zu Tage kennt; und diese Pracht welche uns allein die Frucht einer langen Reihe von Jahrhunderten seyn kann, beweiset ein großes Alterthum, wovon uns keine Kenntniß übrig geblieben ist. Die wunderba ren Denkmäler welche Herodotus in Aegypten und Babylon gesehen hatte, sind gleichfalls unverwerfliche Sachen. Es ist nicht eben so mit den festgesetzten feyerlichen Begehungen zum Andenken einer Bege benheit, weil, da die Feste zwar wahr, die Begeben heiten aber falsch seyn können. Die Griechen feyerten die pythischen Spiele zum Andenken der Schlange Python, die niemals Apollo getödtet hatte. Die Aegyptier feyerten die Aufnahme
des Hercules unter die zwölf großen Götter, es ist aber gar nicht wahrscheinlich, daß dieser Hercules in Aegypten siebzehn Tausend Jahre vor der Regierung des Amasis solle gelebt haben, wie man in den Lie dern, die man ihm zu Ehren sang, sagte. Griechenland heiligte an dem Himmel neun Sterne für das Meerschwein, welches den Arion auf seinem Rücken getragen, und die Römer feyerten die schöne Begebenheit im Monate Februar. Die Priester des Mars, die Salii, trugen den ersten März die heiligen Schilde feyerlich umher, welche vom Himmel gefallen waren, als Nume den Faunus und Picus gefesselt, und von ihnen das Geheimniß den Donner abzuwenden gelernt hatte. Kurz, es ist kein Volk, welches nicht die allerabgeschmacktesten Einbildungen durch feyerliche Begehungen geheiliget habe. Was die Sitten der barbarischen Völker anbelangt, so werde ich alles, was mir ein weiser Augenzeuge davon närrisches, abergläubisches und abscheuliches sagt, von der menschlichen Natur zu glauben sehr ge neigt seyn. Herodotus bekräftiget vor dem ganzen Griechenlande, daß in den unermeßlichen Ländern über der Donau die Menschen sich eine Ehre daraus mach ten, das Blut ihrer Feinde aus menschlichen Hirn schädeln zu trinken, und sich mit ihrer Haut zu beklei den. Die Griechen, welche mit den Barbarn Hand lung trieben, würden ihn Lügen gestraft haben, wenn er die Sache übertrieben hätte. Es ist unwidersprech lich, daß mehr als drey Viertheile der Bewohner der Welt sehr lange Zeit als das wilde Vieh gelebet ha ben: sie sind so gebohren worden. Es sind Affen, welche die Erziehung tanzen lernt, und Bäre, welche
sie an die Kette legt. Das, was der Czaar Peter noch in unsern Tagen in dem nördlichen Theile seines Reichs zu thun gefunden hat, beweiset mein Vorgeben, und macht das, was Herodotus erzählet hat, glaublich. Nach dem Herodotus ist der Grund der Historie um ein großes gewisser. Die Thaten sind umständli cher beschrieben, aber so viel Umstände manchmal, so viel Lügen. In dem Chaos vom Kriege, in der entsetz lichen Menge von Schlachten, sind der Rückzug der
zehn tausend Mann des Xenophon, die Schlacht des Scipio wider den Hannibal bey Same, welche Poly bius beschrieben, und die pharsalische Schlacht, die der Sieger selbst erzählet, die einzigen, woraus sich der Leser erleuchten und unterrichten kann; bey allen den übrigen sehe ich, daß sich die Menschen einander um gebracht, und weiter nichts. Eine Sache ist in der Historie, welche allen unglaub lich vorkommen wird, die ein wenig gelebt haben; daß es nämlich Leute von unumschränkter Macht gegeben hat, welche die tugendhaftesten und weisesten unter al len Menschen gewesen sind. Wenn ein BürgerBöses thun soll, so darf er nur ein kleines Aemtgen haben, wo er es thun kann, und gleichwol kann man nicht zweifeln,
daß nicht Titus, Trajan, Antonin, Marcus, Aureli
us, Julius selbst (alle Irrthümer bey Seite) alles Gute gethan hätten, was man auf Erden thun kann. Es ist ein Mann in Europa, welcher des Morgens um fünf Uhr aufsteht, um zu arbeiten, daß jeder man ganzer vierhundert Meilen weit glücklich sey. Er ist König, Gesetzgeber, Minister und General: er hat fünf Schlachten gewonnen, und hat, im Schoße des Sieges, den Frieden geschenkt. Er hat sein Land
reich und gesittet gemacht, er hat es erleuchtet. Er hat ausgeführet, was andre Monarchen kaum ver sucht haben; er hat in seinen Staaten der Kunst die Gesetze zu verewigen, Schranken gesetzt, und hat die Gerechtigkeit gezwungen gerecht zu seyn. Er giebt den geringsten von seinen Unterthanen die Erlaubniß ihm zu schreiben, und wenn der Brief eine Antwort ver dient, so würdiget er ihn der Antwort. Seine Erzäh lungen sind die Beschäfftigungen eines Menschen von Genie: Ich glaube nicht, daß in ganz Europa ein besse rer Metaphysicus ist, und wenn er zu den Zeiten und in dem Lande der Chapelles, der Bachauments und der Chauliaus wäre gebohren worden, so würden diese Herren so sehr nicht im Gange gewesen seyn. Als Philosoph und Monarch kennt er die Freundschaft. Kurz, er wird zeigen, daß es möglich sey, daß die Welt einen Marcus Aurelius gehabt habe. Was ich hier sage, ist keine gedruckte Lügen. Ich glaube, daß man den Menschen einen sehr gros sen Dienst thut, wenn man ihnen oft das Andenken der kleinen Anzahl der vortrefflichen Könige, welche die Ehre der Natur gewesen sind, wiederhohlt. Es ist eine sehr löbliche Gewohnheit, alle Jahre eine Lobrede auf den Stifter in einer Gesellschaft zu halten, die er gestiftet hat. Die letzten Jahre eines August aber er heben, und die erstern verabscheuen, einen Marcus Aurelius, einen Titus, einen Heinrich den vierten, und diejenigen loben, welche ihnen gleichen, heißt die Sache des ganzen menschlichen Geschlechts führen. Die großen Lobsprüche, die man mittelmäßigen Leu ten bey ihren Lebzeiten gegeben hat, sind lächerliche Lü gen. Die Verleumdungen, womit der Geist der Par
teylichkeit so viel Monarchen, Minister und öffentli che Männer beschimpft hat, sind abscheuliche Lügen. Ich glaube anderwärts bewiesen zu haben, daß der Vorwurf, den mehr als zweyhundert Schriftsteller
dem Pabst Alexander dem VIten gemacht haben, als ob er zwölf Kardinäle habe mit Gifte vergeben wol len, eine unvernünftige Verleumdung sey, welche ein rasender Rebel, der diesen Pabst zu hassen Ursache hat te, ausgesprengt. Ich glaube den fast allgemeinen Argwohn widerlegt zu haben, als ob diejenigen Per sonen, welche den vierten Heinrich am meisten hätten lieben sollen, Theil an seinem Tode gehabt hätten. Der gleichen Verbrechen zu glauben müßten sie bewiesen seyn. Sie ohne Beweis zu glauben, ist selbst ein Ver brechen. Wenn ich in der Historie lese, daß ein unumschränk ter und friedfertiger Monarche eines gesitteten und ge horsamen Volks, solche schreckliche Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten begangen haben solle, worüber man sich entsetzt, so glaube ich nichts davon. Es ist nicht natürlich, daß ein König, dem man sich nicht wider setzt, übels thun sollte; eben so unnatürlich als es ist, daß ein Eigenthumsherr sein Eigenthum verbrennen, oder daß ein Vater sich seiner Kinder berauben solle. Es gefällt fast allen Historienschreibern, jedem ersten Minister einen sehr tiefen Geist und ein sehr verderb tes Herz zu geben. Daß heißt sich artig betrügen; die meisten sind mittelmäßige Geister gewesen, so wohl in Ansehung des Genies, als der Tugenden und der Laster. Ein weiser Geschichtschreiber, als ein Thuanus,
ein Rapin, Thoiras, ein Giannone, werden sich hierinne niemals vergehen. Die Historienschmierer aber halten
sie alle für große Leute, so wie der vornehme und geringe Pöbel vor diesem alle Naturforscher für Hexenmeister hielt. In den Reisebeschreibungen besonders findet man die meisten gedruckten Briefe. Ich will des Paul Lu cas nicht gedenken, welcher in Oberägypten den Dämon Asmodeus will gesehen haben. Ich will nur von denen reden, die uns betriegen, indem sie die Wahrheit sa gen; welche bey einer Nation was außerordentliches gesehen haben, und es für eine Gewohnheit annehmen, welche einen Misbrauch beobachtet haben, und es für ein Gesetz ausgeben. Sie sind wie jener Deutsche, welcher, weil er mit seiner Wirthinn in Blois, die et was allzublondes Haar hatte, einen kleinen Zank be kam, in sein Stammbuch schrieb: Nota bene, alles Frauenzimmer in Blois hat rothes Haar, und ist zän kisch. Was das schlimmste ist, so ziehen die meisten, welche von der Regierung schreiben, aus solchen betrogenen Reisenden Beyspiele, um andre zu betriegen. Der türkische Kaiser hat sich etwa der Schätze eines Paches bemächtiget, der in seinem Serail als ein Sklave war gebohren worden, und hat der Familie so viel davon gegeben, als er gewollt hat; das türkische Gesetz muß also wollen, daß der Großsultan von allen seinen Un terthanen erbt: er ist ein Monarche, er muß also despotisch seyn, und zwar in dem erschrecklichsten Ver stande, welcher die Menschlichkeit am meisten erniedri get. Diese türkische Regierung, nach welcher es dem Kaiser nicht erlaubt ist, sich lange Zeit von der Haupt- Stadt zu entfernen, die Gesetze zu verrücken, sich an
der Münze zu vergreifen et cetera wird als eine Regierung vorgestellt, in welcher das Haupt des Staats vom Morgen bis zum Abende tödten, und alles, was er will, gesetzmäßig beleidigen kann. Der Koran sagt, es sey erlaubt, vier Weiber zugleich zu nehmen; daher haben alle Handwerksleute und Arbeiter zu Constantinopel jeder vier Weiber, als wenn es so was leichtes wäre, sie zu haben und zu bewahren. Einige vornehme Personen haben Serails, man schließt also alle Muselmänner müß ten Sardanapale seyn: und so urtheilt man von allen. Wenn ein Türke in eine gewisse Hauptstadt käme, und den Auto de Fe ansähe, so würde er sich sehr betriegen, wenn er sagte: es giebt ein gesittetes Land, wo man manchmal recht feyerlich etliche zwanzig Mannsperso nen, Weiber oder kleine Kinder, zur Ergötzung der gnädigen Majestäten, verbrennt. In diesem Ge schmacke sind die meisten Nachrichten gemacht: noch weit schlimmer aber ist es, wenn sie voller Wunder sind. Man hat sich gegen die Bücher mehr in acht zu neh men als der Richter gegen die Advocaten. Es giebt unter uns noch eine große Quelle öffent licher Irrthümer. Eine welche unsrer Nation eigen thümlich ist, ist der Geschmack an Gassenhauern. Man macht welche auf die ehrwürdigsten Leute, und alle Ta ge hört man so wohl Lebendige als Todte aus dem schönen Grunde verlästern: Es muß doch wohl wahr seyn; ein Gassenhauer bezeugt es. Laßt uns unter der Zahl der Lügen den Geschmak an Allegorien nicht vergessen. Als man die Fragmen ta des Petrons gefunden hatte, zu welchen hernach Naudot ganz kühnlich die seinigen gefüget hatte, so hiel ten alle Gelehrte den Konsul Petronius für den Ver
fasser; sie sahen den Nero und seinen ganzen Hof in einer Schaar wüster junger Schüler, welche die Hel den dieses Werks sind. Man ward durch den Namen betrogen, und ist es noch. Der lüderliche und unbe kannte Wüstling, welcher diese mehr schädliche als sinn
reiche Satyre geschrieben, mußte der Konsul Titus Pe tronius gewesen seyn; Trimalcion, dieser abgeschmack te Alte, dieser Finanzmeister, der weit unter dem Tur
caret ist, mußte der Kaiser Nero seyn; seine ekelma chende und erbärmliche Frau mußte die schöne Actea, der grobe Pedante Agamemnon mußte der Weltweise Seneca seyn: Das heißt den ganzen Hof Ludewigs des
XIVten, im Gusman d'Alfarache oder im Gilblas suchen und finden. Aber, wird man sagen, was ge winnt man damit, den Menschen solcher Kleinigkeiten wegen ihren Irrthum zu benehmen? Ich gewinne nichts damit, ohne Zweifel, allein man muß sich ge wöhnen, die Wahrheit auch in den allerkleinesten Sa chen zu suchen; sonst wird man in den großen ziemlich betrogen werden.
XIV. Thorheiten auf beyden Theilen.
Admirés l' artifice extreme
De ces Peres ingenieux,
Ils vous ont habillé comme eux
Mon Dieu depuis qu'on ne vous aime. „Bewundert die unbeschreibliche List dieser sinnrei chen Paters; sie haben dich, lieber Gott, gekleidet, wie sie gekleidet sind, aus Furcht, daß man dich nicht etwa lieben möchte.„ In Rom, wo man dergleichen Streitigkeiten nicht hat, und wo man über diejenigen urtheilet, die anderer Orten entstehen, war man der Streitigkeiten über die reine Liebe sehr überdrüßig geworden. Der Kardinal Carpeigne, welcher die Sache des Erzbischofs von Cam bray vortrug, war krank, und stand an einem Theile sehr viel aus, welches bey den Kardinälen eben so wenig ge schont wird, als bey andern Menschen. Sein Wundarzt steckte ihm kleine Fasern von Leinen hinein, welche man in Italien, und in verschiedenen andern Ländern Cambray nennet. Der Kardinal schrie. Es ist gleichwol, sagte der Wundarzt, von dem feinsten Cambray. Was auch hier Cambray, schrie der Kardinal. Ist es nicht genug, daß der Kopf davon ermüdet ist? Glückliche Streitigkeiten, die sich also schließen. Glückliche Menschen, wenn alle Streiter in der Welt, wenn alle Ketzer sich mit so viel Mäßigung, mit einer so großmüthigen Ergebenheit, als der große Erzbischof von Cambray unterwürfen, welcher nicht die geringste Lust hatte, das Haupt einer Sekte zu werden. Ich weiß nicht, ob er Recht hatte, wenn er woll te, daß man Gott um sein selbst willen lieben müsse; Hr. Fenelon wenigstens verdiente also geliebt zu werden. In den bloß gelehrten Streitigkeiten ist oft eben so viel Wuth, und so viel Geist der Parteylichkeit, als in den wichtigsten Streitigkeiten. Man würde, wenn man könn te, die Rotten des Circus wieder aufwecken, welche das römische Reich erschütterten. Zwey eifersüchtige Schau spielerinnen sind vermögend, eine ganze Stadt zu trennen. Die Menschen haben alle eine heimliche Neigung zu Rotten. Wenn es nicht Kronen, Tiaren und Infuls sind, derentwegen man Parteyen macht, sich verfolgt und sich schadet, so ist es ein Tänzer oder ein Musicus, dessent wegen wir gegen einander aufgebracht werden. Ra meau hat eine heftige Partey wider sich gehabt, die ihn gerne hätte ausrotten wollen, und er wußte nichts davon. Ich habe eine noch heftigere Partey wider mich gehabt, und ich habe es wohl gewußt.
XV. Abhandlung von den Verschönerungen der Stadt Paris.