Des Herrn von Voltaire Kleinere Historische Schriften.
Aus dem Französischen übersetzt.
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Rostock, verlegts Johann Christian Koppe.1752.
                    Vorrede des Uebersetzers.
                    
                
 Der Herr von Voltaire hat sich  der Welt als einen allgemei nen Geist zeigen wollen. Nicht  zufrieden, die ersten Lorbeern auf dem fran zösischen Parnasse mit erlanget zu haben, ist  er die Bahn eines Newtons gelaufen, so  stark, versteht sich, als ein Dichter von sei nem Fluge sie laufen kann; und durch die  tiefsinnige Weltweisheit ermüdet, hat er sich  durch die Geschichte mehr zu erholen, als zu  beschäfftigen geschienen. Man kennt sein Leben Carls des XIIten.  Einige haben es für einen schönen Roman an
 gesehen, welcher dem Curtius den Rang strei tig mache. Alle Uebertreibung bey Seite,  lasset uns gestehen, daß der Grund überall  darinne wahr ist, nur daß der Herr von Vol taire überall die theatralische Verschönerung  angebracht hat, die er nur zu wohl versteht,  um die Zuschauer für einen Helden auf der  Bühne einzunehmen. Seine übrigen historischen Aufsätze sind un ter uns weniger bekannt worden, und hätten  es vielleicht mehr verdienet. Wir hoffen, daß  es nicht unangenehm seyn wird, sie hier in  einer Uebersetzung beysammen zu finden. Er hat überall gesuchet, sich von dem ge meinen Haufen der Geschichtschreiber zu ent fernen. Trockne Tagebücher, welche Klei nigkeiten und wichtige Vorfälle aufzeichnen,  die das Gedächtniß füllen wollen, ohne den Geist zu erleuchten, und das Herz zu ord nen, die menschlichen Handlungen beschreiben,  ohne die Menschen können zu lehren, sind nie mals nach seinem Geschmacke gewesen. Man
  sehe seine Betrachtungen über die Geschichte  davon nach, die in dieser Sammlung den er sten Platz einnehmen. Der Versuch über das Jahrhundert Lude wigs des XIVten ist ein Plan, der Bewunde rung verdiente, wenn er auch unausgeführet  bliebe. Wann wir nun dem Leser sagten,  daß er es nicht geblieben ist? Noch ist zwar  dieses wichtige Werk nicht öffentlich erschie nen, es ist aber, wie wir gewiß wissen, fertig,  und eine Frucht der ruhmvollen Ruhe, in  welche der Verfasser nur durch einen Friedrich  versetzet werden konnte. Er hat fast immer in der großen Welt ge lebet, und daher kommen ihm die unzähligen  Anekdoten, die er überall einstreuet. Er  scheint viele davon unter gewisse Titel gebracht  zu haben, zum Exempel, der gedruckten Lü gen, der Thorheiten auf beyden Theilen; daß  man also mit Recht diese und dergleichen Auf sätze zu den historischen hat ziehen müssen. Man hat keine Ordnung unter denselben  beobachtet. Es wäre leicht gewesen, sie zu  beobachten. Allein man muß nicht alles thun,  was leicht ist, saget der Herr von Voltaire.  Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologi sche Ordnung nichts beygetragen haben, da  er die Epochen solcher wichtigen Gegenstände,
     wie sie der Herr von Voltaire meistens ge wählet, ohnedem wissen wird; zum Ver gnügen auch nichts, denn das Vergnügen  wächst durch das Regellose. An verschiedenen Orten hätte der Ueberse tzer Anmerkungen machen können; und wer  weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie  nicht gemacht zu haben? Er würde es wenig stens manchem geschwornen Anmerkungs schmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem  Exempel folgete. Man wird einige Aufsätze hier antreffen,  welche in der neuesten Ausgabe der Werke  unsers Verfassers sich nicht befinden. Diese  hat man hier und da zusammen gesucht. Der Herr von Voltaire besitzt nicht allein  die Kunst, schön zu schreiben, sondern auch,  wie Pope saget, The last and greatest Art, the Art to blot. Er ist unermüdet in Ausbesserung seiner  Werke. Wir haben das Glück gehabt, eines  der mit der Feder verbesserten Exemplare sei ner Werke zu Rathe ziehen zu können, und  wir können versichern, daß nichts wichtiges in  diesen historischen Aufsätzen dazu gekommen,  oder darinne verändert worden ist, welches  wir sollten übergangen haben. Man empfiehlt sich und diese Arbeit dem  Wohlwollen der Leser. Berlin, 1751 L.
                    Verzeichniß der in dieser Sammlung enthaltenen Aufsätze.
                    
                
                - Anmerkungen über die Geschichte über haupt.
 - Versuch über das Jahrhundert Lude wigs des XIV.
 - Geheime Nachrichten von Ludewig dem XIV.
 - Cromwell.
 - Von dem Korane und dem Maho med.
 - Geheime Nachrichten von dem Czaar Peter dem großen.
 - Zwey Briefe über die Herren, Jo hann Law, Melon und Dutot.
 - Abhandlung von dem Tode Hein richs des IV.
 - Kurze Erzählung derjenigen Begeben heiten, auf welche sich die Fabel des Heldengedichts der Henriade gründet.
 - Geschichte der Kreuzzüge.
 - Von Titeln.
 - Ueber die Widersprüche in dieser Welt.
 - Gedruckte Lügen.
 - Thorheiten auf beyden Seiten.
 - Abhandlung von den Verschönerun gen der Stadt Paris.
 
I. Anmerkungen, über die Geschichte überhaupt.
                        Fortsetzung dieser Anmerkungen.
                        
                    
 Vielleicht erfolgt bald in der Art die Geschichte zu  schreiben eben das, was in der Naturlehre er folgt ist. Die neuen Entdeckungen haben die alten  Lehrgebäude verwiesen. Man wird das menschliche  Geschlecht nach der genauen Zergliederung zu kennen  wünschen, welche jetzo der Grund der natürlichen Phi losophie ist. Man fängt an gegen das Abentheuer des Curtius  sehr wenig Achtung zu haben, welcher einen Schlund  verstopfte, indem er sich mit sammt dem Pferde hin ein stürzte. Man lacht über die vom Himmel gefal lene Schilde, über alle die schönen Talismans, wel che die Götter den Menschen so freygebig mittheilten,  über die Vestalen, welche mit ihren Gürteln die  Schiffe flott machten, und über alle die berühmten Kin dereyen, womit die alte Geschichte erfüllet ist. Eben  so wenig ist man zufrieden, daß uns Herr Rollin in
     seiner alten Historie im Ernst von dem Könige Nabis  vorredet, welcher seine Frau von allen, die ihm Geld  brachten, umarmen, und diejenigen, welche es ihm  zu bringen verweigerten, in die Arme einer schönen  Puppe legen ließ, welche der Königinn völlig gleich  sahe, unter den Kleidern aber mit eisernen Stacheln  bewaffnet war. Man lacht, wenn man sieht, daß so  viele Geschichtschreiber, einer nach dem andern, wie derholen, der berüchtigte Erzbischof von Maynz sey  im Jahre 698 von einer Armee Ratten belagert und
  aufgefressen worden; Blutregen hätten im Jahre 1017  ganz Gascogne überschwemmt, und zwo Armeen  von Schlangen hätten sich 1059 bey Tournay geschla gen. Die Wunderzeichen, die Vorherverkündigun gen, die Feuerproben et cetera sind jetzo mit den Mährchen  des Herodotus in gleichem Range. Ich will hier von der neuern Historie reden, in  welcher man weder Puppen findet, welche die Hof leute umarmen, noch Bischöfe, welche von den Rat ten aufgefressen worden. Man wendet viel Sorgfalt an, den Tag zu be stimmen, an welchem eine Schlacht vorgefallen ist,  und man hat Recht. Man läßt die Tractaten dru cken, man beschreibt die Pracht bey einer Krönung,  so gar den Einzug eines Gesandten, und vergißt we der seine Schweizer noch seine Bedienten dabey. Es  ist gut, daß man von allen Sachen Archive habe,  damit man sie im Nothfalle um Rath fragen kann,  und ich betrachte jetzo alle große Bücher als Wörter bücher. Nachdem ich aber drey bis vier tausend Be schreibungen von Schlachten, und den Inhalt von  etliche hundert Tractaten gelesen, so fand ich, daß ich  im Grunde nichts mehr gelernt hatte. Ich erfuhr  nichts als bloße Begebenheiten. Ich lernte aus der  Schlacht des Carl Martels die Franzosen und Sara cenen eben so wenig kennen, als ich die Tartarn und  Türken aus dem Siege kennen lernte, welchen Ta merlan über den Bajazet davon trug. Ich gestehe  es, als ich die Denkwürdigkeiten des Kardinals von
     Retz und der Frau von Motteville gelesen hatte, so  wußte ich, von Wort zu Wort, was die Königinn
  Mutter zu dem Herrn von Jersay gesagt hat: ich  lerne, wie der Coadjutor das Seine zu der Wagenburg  beygetragen hat; ich kann mir einen genauen Begriff  von den langen Reden machen, welche er gegen die  Frau von Bouillon gehalten hat. Dieses ist für mei ne Neugierigkeit sehr viel; für meine Unterweisung  aber sehr wenig. Es giebt Bücher, welche mich die wahren oder fal schen Anekdoten eines Hofes lehren. Jeder, wer den Hof gesehen hat, oder Lust ihn zu sehen gehabt hat, ist  eben so gierig auf diese vornehme Kleinigkeiten, als  ein Frauenzimmer aus der Provinz auf die Neuigkei ten ihres kleinen Städtchens ist. Im Grunde ist es  einerley Sache, und einerley Verdienst. Unter Hein richen dem IV unterhielt man sich mit den Anekdoten
     von Carl dem IX. In den ersten Jahren Ludewigs  des XIV redete man noch von dem Herrn von Belle garde. Alle diese kleinen Schildereyen erhalten sich  ein oder zwey Menschenalter, und gehen hernach auf  ewig unter. Gleichwohl versäumet man ihretwegen Kennt nisse, welche von einem weit dauerhaftern und merk lichern Nutzen sind. Ich wollte wissen, welches die  Kräfte eines Landes vor einem Kriege gewesen wären,  und ob dieser Krieg sie vermehrt oder verringert  hätte. Ist Spanien vor der Eroberung der neuen  Welt reicher gewesen als jetzo? Um wie viel war es
     zu Zeiten Carls des V bevölkerter als zu den Zeiten
    Philipps des IV? Warum waren in Amsterdam vor  ohngefähr zweyhundert Jahren kaum zwanzig tau send Seelen? Warum hat es jetzo zwey hundert und
  vierzig tausend Einwohner? Um wie viel ist Eng
    land bevölkerter, als es unter Heinrichen dem VIII  war? Sollte es wahr seyn, was man in den per
    sianischen Briefen sagt, daß die Menschen auf der  Erde weniger werden, und daß sie in Vergleichung  ihres Zustandes vor zwey tausend Jahren verwüstet  ist? Rom, das ist wahr, hatte damals mehr Ein wohner als jetzo. Karthago und Alexandria, ich ge stehe es, waren große Städte; aber Paris, London,  Constantinopel, groß Cairo, Amsterdam, Hamburg  waren damals noch nicht. Es waren drey hundert Nationen in Gallien, allein diese drey hundert Natio nen kamen der unsrigen, weder an Anzahl der Men schen, noch an der Arbeitsamkeit gleich. Deutsch land war ein Wald, jetzo ist es mit hundert volkrei chen Städten bedeckt. Es scheint, als ob der Geist des Tadels die  Verfolgung bloßer Privatpersonen müde geworden  sey, und sich zu seinem Gegenstande die ganze Welt  gewählt habe. Man schreyt beständig, die Welt  würde schlimmer, man will so gar, daß sie sich ent völkre. Wie nun? Sollen wir etwa die Zeiten be tauren, da noch keine Landstraßen von Bourdeaux  nach Orleans waren, da Paris noch eine kleine  Stadt war, in welcher man einander die Hälse  brach? Vergebens sagt man, Europa hat jetzo mehr  Menschen als damals, und die Menschen sind jetzo  besser. Man kann wissen, in welchen Jahren und  um wie viel Europa bevölkerter geworden ist; denn  fast in allen großen Städten machet man zum Schlus se der Jahre die Anzahl der Gebohrnen bekannt;
  und nach der genauen und sichern Regel, welche ein  eben so geschickter als unermüdeter Holländer vor Kur zem gegeben hat, kann man die Zahl der Einwohner  aus der Zahl der Gebohrnen schließen. Dieses ist  schon einer von den Gegenständen der Neugierigkeit  eines jeden, welcher die Geschichte als ein Bürger  und als ein Philosoph lesen will. Doch auch mit die ser Kenntniß wird er sich noch nicht begnügen lassen;  er wird untersuchen, welches das Hauptlaster und  die herrschende Tugend eines Volks gewesen ist; war um es schwach oder mächtig auf der See gewesen,  wie und wie sehr es sich seit einem Jahrhunderte be reichert habe; und dieses alles kann man aus den  Registern der Ausfuhren berechnen. Er wird wissen  wollen, wie die Künste und Manufacturen aufge kommen sind; er wird ihrem Fortgange aus einem  Lande in das andere nachfolgen. Endlich werden die  Veränderungen der Gesetze und der Sitten sein vor nehmster Gegenstand seyn. Auf diese Art wird man  die Geschichte der Menschen wissen, anstatt daß man  sonst nur einen Theil der Geschichte der Könige und  der Höfe weis. Vergebens lese ich die Zeitbücher von Frankreich;  unsre Geschichtschreiber alle gedenken mit keinem  Worte an diese besondern Untersuchungen. Kein einziger hat zu seinem Wahlspruche gehabt: Homo sum, humani nil a me alienum puto.  Man sollte also, scheint mir, diese nützlichen Kennt nisse mit Kunst in den Zusammenhang der Begeben heiten einzuflechten wissen. Ich glaube, dieses ist die einzige Art die Geschich te als ein wahrer Staatsmann und ein wahrer Weltweiser zu schreiben.  Die alte Geschichte ab handeln, heißt, glaube ich, einige Wahrheiten mit  tausend Lügen zusammen schreiben. Diese Geschichte  ist vielleicht weiter zu nichts nütze, als wozu die My thologie nütze ist, daß man nämlich die großen Be gebenheiten heraus zieht, welche den Inhalt zu un sern Bildern, zu unsern Gedichten hergeben, und zu  einigen moralischen Anwendungen dienen müssen.  Man muß die Thaten des Alexanders wissen, so wie  man die Arbeiten des Herkules weis. Kurz, diese alte Historie scheint mir in Ansehung  der neuern eben das zu seyn, was die alten Medal lien in Ansehung der gangbaren Münzen sind. Die  erstern bleiben in den Sammlungen der Neugierigen,  die andern laufen in der Welt herum und beleben die  Handlung unter den Menschen. Ein solches Werk aber zu unternehmen werden  Leute erfordert, welche etwas mehr kennen als Bü cher. Die Regierung muß sie wenigstens eben so  sehr dazu aufmuntern, was sie thun werden, als Boi leau, Racine, Valincourt dazu aufgemuntert wur den, was sie nicht thaten; und man muß nicht von  ihnen sagen können, was ein königlicher Schatzmei ster von diesen Herren sagte: noch haben  wir von ihnen nichts als ihre Un terschrift gesehen.  
II. Versuch über das Jahrhundert Ludewigs des XIV.
                        Erstes Hauptstück.
                        
                    
 Es ist nicht das Leben Ludewigs des XIV, welches man sich zu schreiben  vornimmt, man hat sich einen weit  größern Gegenstand erwählt. Man  will nicht der Nachwelt die Thaten eines einzigen  Mannes schildern, sondern den Geist der Menschen  in dem alleraufgeklärtesten Jahrhunderte, welches je mals gewesen ist. Alle Zeiten haben Helden und Staatskundige her vorgebracht. Alle Völker haben Veränderungen er litten. Alle Geschichte sind für den fast gleich, wel cher sein Gedächtniß nur mit Thaten anfüllen will.  Ein jeder aber welcher denket, oder was noch seltner  ist, ein jeder welcher Geschmack hat, kennet nur vier  Jahrhunderte in der Geschichte der Welt. Diese  vier glücklichen Zeitalter sind diejenigen, welche die Künste zu ihrer Vollkommenheit gelangen ließen, und,  als die Epochen der Größe des menschlichen Geistes,  das Beyspiel der Nachwelt wurden. Das erste von diesen Jahrhunderten, welches mit  einem wahrhaften Ruhme pranget, ist das Jahrhun
    dert des Philippus und des Alexanders, oder das  Zeitalter der Perikles, der Demosthenen, der Ari stoteles, der Platons, der Apelles, der Phidias, der Praxiteles. Und diese Ehre war nur in den Gränzen Griechenlandes eingeschlossen, der übrige Theil der  Erde waren Barbaren. Das andre Jahrhundert ist das Jahrhundert des Cäsars und Augustus, welches auch nach dem Na men eines Lucretius, eines Cicero, eines Livius, eines Virgils, eines Horaz, eines Ovids, eines Varro, eines Vitruvs kann bezeichnet werden. Das dritte Jahrhundert ist dasjenige, welches auf
     die Einnahme Constantinopels, durch Mahomet den
        II, folgte. Damals sahe man in Italien eine Fa milie bloßer Bürger dasjenige thun, was die Könige  in Europa hätten unternehmen sollen. Die Medicis  riefen die Künste nach Florenz, welche die Türken  aus Griechenland verjagten, und dieses war die Zeit  der Ehre Italiens. Alle Wissenschaften bekamen  ein neues Leben. Die Italiener beehrten sie mit dem  Namen der Tugend, so wie die ersten Griechen sie  mit dem Namen der Weisheit belegt hatten. Alles
     strebte nach seiner Vollkommenheit; die Michael An gelos, die Raphaels, die Titiane, die Tassos, die Arioste blühten. Die Kunst zu stechen ward erfun den, die schöne Baukunst erschien noch wunderns würdiger, als in dem siegenden Rom. Die gothische  Barbarey, welche Europa in allen Stücken verun staltete, ward aus Italien verjagt, dem guten Ge schmacke Platz zu machen. Die stets aus Griechenland nach Italien verpflanz ten Künste befanden sich in einem vortheilhaften Bo den, und brachten so gleich Früchte. Frankreich, England, Deutschland, Spanien wollten auch an  diesen Früchten Theil nehmen, allein entweder sie ka men gar nicht in diese Gegenden, oder sie arteten doch  sehr bald aus. Franciscus der Erste munterte die Gelehrten auf;  allein diese Gelehrten waren nichts als Gelehrte. Er  hatte Baumeister, aber es waren weder Michael  Angelos noch Palladios. Umsonst wollte er Maler schulen aufrichten; die italienischen Maler, welche er  herbeyrief, zogen keine französischen Schüler. Ei nige Sinnschriften, einige freye Erzählungen, das  war unsre ganze Poesie. Rabelais war das einzige  prosaische Buch nach der Mode, zu der Zeit Hein richs des II. Mit einem Worte, die Italiener allein hatten al les, wenn man die Musik ausnimmt, welche da mals noch ungestaltet war, und die versuchende Na turlehre, welche überall gleich unbekannt war. Das vierte Jahrhundert endlich ist dasjenige, wel ches man das Jahrhundert Ludewigs des XIV nennt,  und es ist vielleicht von allen vieren dasjenige, wel ches der Vollkommenheit am nächsten kommt. Durch  die Entdeckungen der drey andern bereichert, hat es in  gewissen Stücken mehr als alle dreye zusammen ge than. Zwar sind in der That nicht alle Künste wei ter getrieben worden, als unter den Medicis, unter  dem August und unter dem Alexander; der menschliche Verstand aber überhaupt ist vollkommner geworden.  Die gesunde Philosophie ward erst zu dieser Zeit be
 kannt; und man kann mit Wahrheit sagen, daß, von
     den letzten Jahren des Kardinals von Richelieu anzu fangen, bis auf die Jahre welche auf den Tod Ludewigs  des XIV folgten, in unsern Künsten, in unsern Gei stern, in unsern Sitten, wie in unsrer Regierung eine  allgemeine Veränderung vorgegangen ist, welche zum  ewigen Beweise der wahren Ehre unsers Vaterlan des dienen wird. Dieser glückliche Einfluß blieb nicht  allein in Frankreich eingeschlossen; er hat sich auch so  gar in England ausgebreitet; er hat die Nacheiferung  erwecket, welche diesem geistigen und gründlichen Volke  damals nöthig war; er hat den Geschmack nach  Deutschland, die Wissenschaften nach Rußland ge bracht; er hat so gar Italien, welches matt zu wer den begonnte, wieder angefeuert, und Europa ist  seine Feinheit dem XIVten Ludewig schuldig. Vor dieser Zeit belegten die Italiener alle jenseit  der Gebirge mit dem Namen der Barbaren, und  man muß gestehen, daß die Franzosen einigermaßen  diese Beschimpfung verdienten. Unsre Väter ver banden mit der romanenhaften Artigkeit der Mohren  die gothische Grobheit; sie hatte beynahe keine von  den liebenswürdigen Künsten, welches ein deutlicher  Beweis ist, daß die nützlichen Künste verabsäumet  wurden; denn wenn man das Nöthige vollkommen  gemacht hat, so findet man gar bald das Schöne und  Angenehme, und es ist gar nicht zu verwundern, daß  die Malerkunst, die Bildhauerkunst, die Dichtkunst,  die Beredsamkeit, die Weltweisheit einem Volke bey nahe ganz unbekannt waren, welches Häfen an dem  Oceane und an dem mittelländischen Meere, und  gleichwohl keine Flotte, hatte; welches die Schwel
 gerey bis auf das äußerste liebte, und kaum einige  grobe Manufacturen besaß. Die Juden, die Genueser, die Venetianer, die  Portugiesen, die Holländer, die Engländer besorgten  nach einander unsern Handel, dessen Quellen wir nicht
     kannten. Ludewig der XIII als er zur Krone gelangte,  hatte nicht ein Schiff. Paris enthielt vier hundert  tausend Menschen, und war kaum mit vier schönen  Gebäuden gezieret. Die übrigen Städte des Reichs  glichen den Flecken, welche man jenseit der Loire sieht.  Der ganze Adel, welcher sich auf dem Lande in seinen  mit Gräben verschanzten Löchern aufhielt, unter drückte die, welche das Land anbauten. Auf den  Landstraßen konnte man beynahe nicht fortkommen,  die Städte waren ohne Policey, der Staat ohne Geld,  und die Regierung fast beständig bey andern Völkern  ohne Credit. Man muß es sich nicht verheelen, daß nach dem  Verfalle der Carolomannischen Familie Frankreich  mehr oder weniger in dieser Ohnmacht geschmachtet  hat, weil es fast nicht eine einzige gute Regierung ge nossen hatte. Wenn ein Staat mächtig seyn soll, so muß ent weder das Volk eine auf die Gesetze gegründete Frey heit haben, oder die oberste Gewalt muß ohne Wi derspruch befestiget seyn. In Frankreich waren die Völker bis zur Zeit des
    Philippus Augustus Sklaven; bis auf Ludewig den XIten waren die Vornehmen Wüthriche, und die Kö nige waren nur bedacht ihr Ansehen gegen ihre Va sallen zu erhalten, und hatten also niemals Zeit an
  das Glück ihrer Unterthanen zu denken, und niemals  Kräfte, es zu machen. Ludewig der XI that sehr viel für die königliche Ge walt; nichts aber für die Glückseligkeit und die Ehre  seines Volks. Franciscus der Erste ließ die Handlung, die Schif fahrt, die Wissenschaften und Künste hervorsprossen;  er war aber viel zu unglücklich, als daß er sie in Frank reich hätte können Wurzel schlagen lassen, und alle  giengen nach ihm unter. Heinrich der Große wollte Frankreich aus dem  Elende und der Barbarey reißen, worein es dreyßig  Jahre voll Zwist gestürzet hatten, als er in seiner  Hauptstadt, mitten unter einem Volke, dessen Glück  er machen wollte, ermordet wurde. Der Kardinal von Richelieu, welcher nur auf die  Erniedrigung des Hauses Oesterreich, auf die Un terdrückung des Calvinismus und der Großen bedacht  war, genoß keiner genugsam friedsamen Gewalt,  sein Volk zu verbessern; gleichwohl aber fing er dieses  glückliche Werk an. Auf diese Art war ganzer neun hundert Jahr un ser Geist unter einer gothischen Regierung im Joche,  mitten unter den Uneinigkeiten des bürgerlichen Krie ges, ohne Gesetze, ohne bestimmte Gewohnheiten,  und änderte alle zwey Jahrhunderte eine Sprache,  welche immer gleich grob blieb. Die Adlichen waren  ohne Zucht, und kannten nichts als den Krieg und  die Faulheit; die Geistlichen lebten in Unordnung und  Unwissenheit; die Völker waren ohne Arbeit und  krochen in ihrem Elende. Daher kam es, daß die Franzosen keinen Theil an  den großen Entdeckungen und wunderbaren Erfin dungen der andern Völker hatten. Die Buchdru ckerkunst, das Pulver, die Gläser, die Tubi, der  Verhältnißzirkel, die Luftpumpe, das wahre Welt gebäude gehören ihnen nicht zu. Sie hielten Tur nierspiele, als die Portugiesen und Spanier, gegen  Morgen und Abend der bekannten Welt, neue Wel ten entdeckten und eroberten. Carl der fünfte streute  schon in Europa die Schätze von Mexico aus, ehe  noch einige Unterthanen des ersten Franciscus die un bewohnte Gegend von Canada entdeckten. Durch  das wenige aber, was die Franzosen zu Anfange des  sechszehnten Jahrhunderts thaten, sahe man, zu wie  vielen sie fähig wären, wenn sie angeführet würden. Man nimmt sich vor hier zu zeigen, was sie unter Ludewig dem XIV gewesen sind, und man wünscht,  daß die Nachkommenschaft dieses Monarchen, und  die Nachwelt seiner Völker, durch eine glückliche Nach eiferung gleich stark belebt, sich anstrengen möchten  ihre Vorältern zu übertreffen. Man hoffe nicht, die fast unendlichen Beschreibun gen der in diesem Jahrhunderte unternommenen Krie ge zu finden. Man überläßt den Annalisten die Mü he alle diese kleinen Begebenheiten genau zu sam meln, welche zu nichts dienen würden, als das Auge  von dem Hauptgegenstande abzubringen. Sie mö gen die Züge, die Gegenzüge der Heere beschreiben,  die Lage bestimmen, an welchen die Laufgräben vor  den Städten eröffnet, an welchen sie eingenommen  und wieder eingenommen, an welchen sie durch die  Friedensschlüsse überliefert und wieder zurück über
 liefert wurden. Tausend Umstände, an welchen die  Zeitverwandten Antheil nehmen, verlieren sich in den  Augen der Nachwelt, und verschwinden, um nur die  großen Begebenheiten sehen zu lassen, welche das Ge schicke der Reiche festgesetzt haben. Nicht alles was  geschieht, verdient aufgeschrieben zu werden. Man  wird sich in diesem Versuche besonders an dasjenige  zu halten bemühen, was die Aufmerksamkeit aller Zei ten verdienet, an das nur, was den Geist und die Sitten der Menschen schildert, was zum Unterrichte  dienen, und die Liebe der Tugend, der Künste und  des Vaterlandes anrathen kann. Man wird sich zu zeigen bemühen, was Frankreich  und die andern europäischen Reiche vor der Geburt Ludewigs des XIV waren, und hernach wird man die  großen politischen und militarischen Begebenheiten sei ner Regierung beschreiben. Man wird anmerken, was  zu seiner Zeit wegen der Religion vorgefallen ist, wel che, ob sie schon den Menschen nur zu einer Vorschrift  der Sittlichkeit ist gegeben worden, nur allzu oft in  ihren Händen einer der größten Gegenstände der  Staatsklugheit wird. Hierauf wird man von dem  privat Leben Ludewigs des XIV sprechen, von diesem  sich beständig gleichen Leben, welches allezeit anstän dig, auch so gar in den Ergötzungen war, und zu ei nem Muster der Aufführung eines jeden Mannes am  Ruder dienen kann. Die innerliche Regierung seines  Reichs, ein weit wichtiger Punkt, wird auch einige  besondere Abschnitte bekommen. Endlich wird man  von dem Fortgange der Künste und Wissenschaften,  und von der Geschichte des menschlichen Verstandes,  als dem vornehmsten Gegenstande dieses Werks,  handeln. 
                    
                            Von den christl. europäischen Staaten vor Ludewig dem XIV.
                            
                        
 Schon lange konnte man das christliche Europa,  wenn man Moscau ausnimmt, als eine große  Republik betrachten, welche in verschiedene Staaten  von verschiedener Regierungsform getheilet war;  welche aber alle in Verbindung mit einander standen,  indem alle einerley Grundsätze der Religion hatten,  ob sie gleich in verschiedene Sekten zertheilet waren,  alle einerley Regeln des öffentlichen Rechts und  Staatsrechts, wovon man in den übrigen Theilen  der Welt nichts wußte. Diese Regeln sind nämlich  diese; daß alle europäische Völker ihre Gefangenen  nicht zu Sklaven machen; daß sie gegen die Abge sandten ihrer Feinde Achtung haben; daß sie mitein ander wegen gewisser Vorzüge und Rechte gewisser  Prinzen einig sind, wie zum Exempel des Kaisers,  der Könige, und anderer kleinerer Potentaten; daß  sie vor allen Dingen in der weisen Staatsregel einig  sind, unter einander, so viel als möglich, das Gleich gewicht der Gewalt zu erhalten, und deßwegen ohne  Unterlaß, so gar mitten im Kriege, Unterhandlungen  pflegen, beyeinander Abgesandten, oder vielmehr ehr liche Spione, haben, welche allen Höfen von der Ab sicht eines einzigen Nachricht geben, und also das gan ze Reich aufbringen, und die Schwächern vor Ueber
 fälle in Sicherheit setzen können, welche allezeit der  Stärkste zu unternehmen bereit ist. Seit Carl dem Vten hing das Gleichgewicht all zusehr auf die Seite des Hauses Oesterreich. Dieses  mächtige Haus war gegen das Jahr 1630 Herr von  Spanien, von Portugall und den amerikanischen  Schätzen; Flandern, Meiland, das Königreich Nea pel, Böhmen, Ungarn, Deutschland selbst, wenn  man so reden darf, waren sein Erbtheil geworden; und  wenn so viel Staaten unter ein einziges Haupt dieses  Hauses wären vereiniget worden, so ist zu glauben, ganz Europa würde sich endlich haben  unterwerfen müssen.   
                        
                                Von Deutschland.
                                
                            
 Das deutsche Reich ist der mächtigste Nachbar,  welchen Frankreich hat. Es ist ohngefähr von  eben der Größe, vielleicht weniger reich an Geld, aber  weit fruchtbarer an starken und der Arbeit geduldigen  Männern. Es wird wenig fehlen, so wird die deutsche  Nation auf eben die Art regiert, auf welche Frankreich  unter den ersten Capetingischen Königen regieret wur de, welche die Häupter von verschiedenen großen Va sallen, und von einer großen Menge kleinerer waren,  oft aber sehr schlechten Gehorsam erhielten. Jetzo  machen sechszig freye Reichsstädte, beynahe eben so viel  weltliche Oberherren, bis vierzig geistliche Fürsten,  welches entweder Aebte oder Bischöfe sind, neun
  Churfürsten, unter welche drey Könige gehören, und  endlich der Kaiser, als das Haupt aller dieser Poten taten, den großen deutschen Körper aus, welchen das  deutsche Phlegma mit eben so vieler Ordnung fortdau ren läßt, als vor diesem in der französischen Regie rung Verwirrung war. Jedes Glied des Reiches hat seine Rechte, seine Freyheiten, seine Verbindlichkeiten; und die schwere  Kenntniß von so viel Gesetzen, die oft widereinander  laufen, macht dasjenige aus, was man in Deutsch land die Wissenschaft des Staatsrechts nennet, wel ches die deutsche Nation so bekannt gemacht hat. Der Kaiser an und vor sich selbst würde in Wahr heit nicht viel mächtiger und reicher als ein Doge in  Venedig seyn. Das in freye Reichsstädte und be sondere Oberherrschaften zertheilte Deutschland, läßt  dem Haupte so vieler Staaten nichts als den Vor zug mit ungemeinen Ehrenbezeugungen, aber ohne  Einnahme, ohne Geld, und also auch ohne Ge walt. Als Kaiser besitzt er nicht einen einzigen Fle cken; die einzige Stadt Bamberg ist ihm als sein  Sitz ausgemacht worden, wenn er keinen andern hat.  Unterdessen war diese so eitle als erhabne Würde in  den Händen der Oesterreicher so mächtig geworden,  daß man oft befürchtet hat, sie würden diese Repu blik von Prinzen in eine unumschränkte Monarchie  verwandeln. Zwo Parteyen theilten damals, und trennen  auch noch, das christliche Europa, und besonders  Deutschland. Die eine ist die Partey der Katholi ken, welche mehr oder weniger dem Pabste unter worfen sind. Die andre ist die Partey der Feinde
  der geistlichen und weltlichen Gewalt des Pabsts und  der katholischen Prälaten. Wir nennen alle von die ser Partey mit dem allgemeinen Namen Prote stanten, ob sie gleich in Lutheraner und Calvinisten  und andere getheilt sind, die sich alle untereinander  eben so sehr hassen, als sie Rom hassen. In Deutschland folgen Sachsen, Brandenburg,  die Pfalz, ein Theil von Böhmen, von Ungarn, die  Staaten des Hauses Braunschweig, Würtenberg  der lutherischen Religion, welche man die evangelische  heißt. Alle freye Reichsstädte haben diese Sekte er griffen, welche ihnen, als Leuten die auf ihre Freyheit  eifersüchtig sind, anständiger als die katholische Reli gion geschienen hat. Die Calvinisten, welche unter den Lutheranern, als  den stärksten, zerstreuet sind, machen einen sehr mittel mäßigen Haufen aus. Der übrige Theil des Reichs  besteht aus Katholiken, und da sie das Haus Oester reich an ihrer Spitze hatten, waren sie ohne Zweifel  die mächtigsten. Nicht allein Deutschland, sondern alle christliche  Staaten bluteten noch von den Wunden, welche sie  in so vielen Religionskriegen bekommen hatten; eine  Wuth, welche den Christen besonders eigen ist, und  den Götzendienern unbekannt war; eine unglückliche  Folge übrigens von dem seit so langer Zeit in alle  Stände eingeführten dogmatischen Geiste. Es sind  wenig streitige Punkte, welche nicht bürgerliche Krie ge verursacht hätten, und fremde Völker (vielleicht  auch unsre Nachkommenschaft) werden es einmal  schwerlich begreifen können, daß unsre Väter, so lan
 ge Jahre hindurch, einander die Hälse gebrochen, und  gleichwohl immer von Geduld geprediget haben. Der Kaiser Matthias war im Jahre 1619 ohne  Kinder gestorben, und die protestantische Partey gab  sich Mühe das Reich von dem Hause Oesterreich und  von der römischen Gemeinschaft zu bringen. Nichts  destoweniger ward Ferdinand der Fette, ein Vetter  des Matthias, zum Kaiser erwählt. Er war schon  König von Böhmen und Ungarn durch die Niederle
    gung des Matthias, und durch die gezwungene Wahl  dieser zwey Reiche. Dieser Ferdinand der II fuhr fort die protestanti sche Partey zu unterdrücken, und sahe sich einige Zeit  lang als den mächtigsten und glücklichsten Monarchen  der Christenheit, nicht so wohl durch sich selbst als  durch den glücklichen Fortgang seiner zween großen  Generale des Wallensteins und Tilly, nach Art nicht  weniger Regenten aus dem Hause Oesterreich, welche  Sieger wurden ohne Krieger zu seyn, und bloß durch  die Verdienste derjenigen, welche sie zu wählen ge wußt hatten, glücklich waren. Schon drohte diese  Macht sowohl den Protestanten als Katholiken das  Joch; die Bestürzung breitete sich so gar bis nach  Rom aus, über welches der Titel eines Kaisers und  römischen Königs eingebildete Rechte ertheilen, wel che aber die geringste Gelegenheit nur allzu wirklich  machen kann. Rom, welches, seiner Seits, ehedem  ein noch weit eingebildeter Recht über das Reich ver langte, vereinigte sich damals mit Frankreich wider  das Haus Oesterreich. Das Geld der Franzosen, die  Mengereyen Roms und das Geschrey aller Prote stanten, riefen endlich aus dem Innern Schwedens
  den Gustav Adolph herbey, den einzigen König der  damaligen Zeit, welcher sich den Titel eines Helden  anmaßen, und die österreichische Macht über den Hau fen werfen konnte. Die Ankunft Gustav Adolphs in Deutschland ver änderte die ganze Scene. Er gewann 1631 wider  den General Tilly die Schlacht bey Leipzig, welche  durch die neuern Kriegsübungen so bekannt ist, die  dieser König darinn in Ausübung brachte, und wel che noch jetzt das Meisterstück der Kriegskunst ist. Der Kaiser Ferdinand sahe sich im Jahre 1632  auf dem Punkte, Böhmen, Ungarn und das Reich
     zu verlieren; sein Glück aber rettete ihn. Gustav  Adolph blieb in der Schlacht bey Lützen, mitten in  dem Laufe seiner Siege, und der Tod eines einzigen  Mannes stellte dasjenige wieder her, was er nur al lein vernichten konnte. Die Staatsklugheit des Hauses Oesterreich, wel
    che unter den Waffen des Adolphs vorher erlag, be fand sich nunmehr gegen alle die übrigen stark genung.  Sie brachte die mächtigsten Fürsten des Reichs von  dem schwedischen Bündnisse ab. Diese siegrischen  Truppen, nachdem sie von ihren Bundesgenossen ver lassen und ihres Königs beraubt waren, wurden bey  Nördlingen geschlagen; und ob sie gleich hernach  glücklicher waren, so waren sie doch immer weniger
     zu fürchten, als unter Gustaven. So standen die Sachen als Ferdinand der II starb,  und seinem Sohne Ferdinanden dem III alle seine  Staaten hinterließ, welcher auch seine Staatsklug heit erbte, und die Kriege, wie er, aus seinem Ca
 binete fortsetzte. Er regierte während der Minder jährigkeit Ludewigs des XIV. Deutschland war damals noch nicht so blühend,  als es hernach geworden ist. Die Schwelgerey war  daselbst unbekannt, und die Bequemlichkeiten des Le bens waren auch bey den größten Herren noch sehr sel ten. Sie sind nicht eher dazu gebracht worden, als  gegen das Jahr 1686 durch die französischen Flücht linge, welche daselbst ihre Manufacturen aufzurichten  kamen. Diesem fruchtbaren und bewohnten Lande  fehlte es an Handlung und Gelde, die Ernsthaftig keit der Sitten und die den Deutschen eigene Lang samkeit, beraubten sie der Vergnügungen und der an genehmen Künste, welche die italienische Empfindlich keit schon seit so vielen Jahren ausübte, und welche  der französische Fleiß damals vollkommen zu machen  anfing. Die Deutschen, welche bey sich reich waren,  waren auswärts arm; und diese Armuth, nebst der  Schwierigkeit so viel verschiedne Völker lange Zeit  unter einer Fahne zu erhalten, setzte sie, fast wie jetzo,  in die Unmöglichkeit den Krieg in das Land ihrer Nach barn zu bringen und ihn lange auszuhalten. Und  fast allezeit haben die Franzosen ihren Krieg wider  das Reich in dem Reiche selbst geführet. Der Un terschied der Regierung und des Genies macht die Franzosen geschickter zum Anfalle und die  Deutschen geschickter zur Ver theidigung.
                        
                                Von Spanien.
                                
                            
 Spanien ward von der ältesten Linie des Hauses  Oesterreich regiert, und hatte nach dem Tode Carls des V, mehr Schrecken verursacht als die deut sche Nation. Die Könige von Spanien waren un gleich uneingeschränkter und reicher. Die Bergwer ke in Mexico und Potosi schienen ihnen so viel herzu geben, als sie die Freyheit von ganz Europa zu erkau fen brauchten. Der Entwurf einer allgemeinen Mo narchie, welchen Carl der V zuerst gemacht hatte,
     ward anfangs von dem zweyten Philipp fortgesetzt.  Er wollte aus dem Innersten des Escurials die Chri stenheit durch Unterhandlungen und durch Krieg un ter das Joch bringen. Er nahm Portugall weg.  Er verwüstete Frankreich, er drohete England, er war  aber vielleicht geschickter in der Ferne mit Sklaven zu  handeln, als seinen Feind in der Nähe zu bestreiten.  Die Eroberung Portugalls war die einzige. Er wen dete nach seinem eigenen Geständnisse funfzehn hun dert Millionen, welche zu jetziger Zeit, im Jahre 1745,  mehr als drey tausend Millionen nach unsrer Münze  ausmachen, daran, sich Frankreich unterwürfig zu ma chen, und Holland wieder zu bekommen. Doch seine  Schätze dienten zu nichts als die Länder zu bereichern,  welche er sich unterthan machen wollte. Philipp der III, sein Sohn, war noch weniger  kriegerisch, und noch weniger weise, und hatte wenig Tugenden eines Königs. Der Aberglaube, die
 ses Laster schwacher Seelen, beschimpfte seine Regie rung, und schwächte die spanische Monarchie. Sein  Reich fing sich an durch die häufigen Colonisten zu er schöpfen, welche der Geiz in die neue Welt schickte,  und bey diesen Umständen jagte der König noch dazu  mehr als acht hundert tausend Mohren aus seinen  Staaten, da er vielmehr noch mehrere hätte sollen  herüber kommen lassen, wenn es anders wahr ist, daß  die Menge der Unterthanen der wahre Schatz der Kö nige sey. Seit der Zeit war Spanien beynahe eine  Wüste. Der müßige Stolz der Einwohner ließ die  Reichthümer der neuen Welt in andre Hände kom men; und das Gold aus Peru ward allen Kaufleuten  in Europa zu Theil. Umsonst verschließt ein strenges  und allezeit befolgtes Gesetz die Hafen in dem spani schen Amerika allen andern Völkern; die französischen, englischen und italienischen Handelsleute beladen ihre  Schiffe mit ihren Waaren, und für sie sind Peru und  Mexico erobert worden. Die spanische Größe war also unter dem dritten  Philipp nichts mehr als ein großer Körper ohne Le ben, welcher mehr Ansehen als Kräfte hatte. Philipp der IV, der Erbe der väterlichen Ohn macht, verlohr Portugall durch seine Nachläßigkeit,  Russillon durch die Schwäche seiner Waffen, und  Catalonien durch den Misbrauch der unumschränkten  Gewalt. Dieses war der König, welchen der Graf Ducas Olivarez, sein Minister und Liebling, den Na men des Großen bey seiner Gelangung zur Krone  annehmen ließ, vielleicht um ihn zu ermuntern diesen  Titel zu verdienen, dessen er so wenig werth war, daß  sich kein einziger unterstand ihm denselben, ob er gleich
  König war, beyzulegen. Solche Könige konnten in  ihren Kriegen gegen Frankreich nicht lange glücklich  seyn. Wenn ihnen unsre Uneinigkeiten und Fehler  einige Vortheile verschafften, so verlohren sie die Frucht  davon durch ihr eignes Unvermögen. Was noch  mehr ist; sie beherrschten Völker, welchen ihre Frey heiten das Recht gaben, schlecht zu dienen. Die  Castilianer hatten den Vorzug nirgends anders, als  in ihrem Vaterlande, streiten zu dürfen. Die Arra gonier stritten ohne Unterlaß wegen ihrer Freyheit  mit dem königlichen Rathe, und die Catalonier, wel che ihre Könige als ihre Feinde ansahen, erlaubten  ihnen nicht einmal in ihren Provinzen zu werben.  Also war dieses schöne Königreich damals von außen  sehr ohnmächtig und von innen sehr elend; kein Fleiß  kam in diesen glücklichen Gegenden den Geschenken  der Natur zu Statten; weder die Seide aus Valencia,  noch die schöne Wolle aus Andalusien und Castilien  wurden von spanischen Händen zu rechte gemacht.  Die feinen Tücher waren ein damals sehr unbekannter  Putz. Die niederländischen Manufacturen, die Re ste der Denkmäler des burgundischen Hauses, schaff ten in Madrid damals alles herbey, was man von  Pracht wußte. Die goldnen und silbernen Stoffe  waren in dieser Monarchie verbothen, wie sie es ohn gefähr in einer armen Republik seyn würden, welche  sich dadurch arm zu machen fürchten müßte. In der  That war Spanien ungeachtet der Bergwerke der  neuen Welt so arm, daß das Ministerium Philipps
     des IV sich genöthiget sahe Münze von Kupfer zu  schlagen, welcher man beynahe einen eben so hohen  Werth gab als der silbernen Münze. Der Besitzer
  von Mexico und Peru mußte falsches Geld schlagen,  die Schulden des Staats bezahlen zu können. Man  wagte es nicht, wenn man dem weisen Gourville glau ben darf, persönliche Auflagen zu machen; weil we der die Bürger noch die Landleute Hausgeräthe hat ten, und also nimmermehr zur Bezahlung hätten kön nen gezwungen werden. Dieses war der Zustand  Spaniens und gleichwohl legte es, als es mit dem deutschen Reiche vereiniget war, ein sehr fürch terliches Gewicht in die Wagschale  von Europa.  
                                Von Portugall.
                                
                            
 Portugall ward damals wieder zum Königreiche.
    Johann, Herzog von Braganza, ein Prinz,  der für schwach gehalten wurde, hatte dieses Reich  einem Könige entrissen, der noch schwächer war als  er. Die Portugiesen trieben den Handel aus Noth wendigkeit, welchen die Spanier aus Stolz unterlies sen. Sie verbanden sich im Jahre 1641 mit Frank reich und Holland wider Spanien. Diese Verän derung mit Portugall war Frankreich zuträglicher,  als ihm die größten Siege hätten seyn können. Das  französische Ministerium, welches zu dieser Begeben heit nichts beygetragen hatte, zog ohne Mühe den  größten Vortheil davon, den man über seinen Feind  erlangen kann, diesen nämlich, ihn von einer unver söhnlichen Macht angefallen zu sehen. Portugall, welches das spanische Joch abschüt telte, seine Handlung erweiterte und seine Gewalt ver mehrte, bringt uns Holland in die Gedanken, wel ches eben diese Vortheile, auf eine ganz  andere Art, genoß.  
                                Von Holland.
                                
                            
 Dieser kleine Staat der sieben vereinigten Pro vinzen, ein unfruchtbares und ungesundes Land,  welches das Meer fast überschwemmte, war beynahe  seit einem halben Jahrhunderte vielleicht das einzige  Beyspiel auf der Welt, wieviel die Liebe zur Freyheit  und eine unermüdete Arbeit auszurichten fähig sind.  Dieses arme und wenig zahlreiche Volk, welches weit  weniger als die schlechtesten spanischen Truppen zum  Kriege abgerichtet war, und fast für nichts in Europa  gerechnet wurde, widerstand aller Gewalt ihres Her
    ren und ihres Wüthrichs Philipps des II, machte die  Unternehmungen verschiedner Fürsten zunichte, wel che ihnen beystehen wollten, um sie zu unterdrücken,  und gründete eine Macht, welche, wie man gesehen  hat, der ganzen spanischen Gewalt das Gleichgewicht  gehalten hat. Die Verzweifelung, zu welcher sie die  Tyranney brachte, hatte sie zuerst bewaffnet: die  Freyheit hatte ihren Muth erhoben, und die Prinzen  des Hauses Oranien hatten vortreffliche Soldaten aus  ihnen gemacht. Kaum hatten sie über ihre Herren  gesiegt, als sie eine Art einer Regierung aufrichteten,
  welche, so viel als möglich, die Gleichheit, das  natürlichste Recht der Menschen, erhält. Die Annehmlichkeit dieser Regierung und die Dul dung aller Arten des Gottesdienstes, welche vielleicht  anderwärts gefährlich seyn würde, hier aber noth wendig war, bevölkerte Holland mit einer Menge  von Fremden, besonders von Wallonen, welche die  Inquisition in ihrem Vaterlande verfolgte, und die  aus Sklaven Bürger wurden. Die herrschende calvinische Religion in Holland  trug auch zu seiner Macht nicht wenig bey. Dieses  damals so arme Land würde weder die Pracht der  Prälaten haben aushalten, noch die geistlichen Orden  versorgen können. Diese Gegend, welche Men schen brauchte, konnte unmöglich diejenigen aufneh men, welche sich durch einen Eid verpflichten, das  menschliche Geschlecht, so viel an ihnen ist, unterge hen zu lassen. England diente zum Beyspiele, wel ches um ein Dritttheil bevölkerter war, seitdem die  Diener des Altars die Annehmlichkeiten des Ehestan des genossen, und die Hoffnungen der Familien nicht  mehr in die Ehelosigkeit der Klöster vergraben  wurden. Unterdessen da die Holländer diese neue Regierung,  mit gewaffneter Hand, aufrichteten, unterstützten sie es  durch die Handlung. Sie giengen in das Innerste  Asiens, eben diese Herren anzufallen, welche sich da mals die Entdeckungen der Portugiesen zu Nutze  machten. Sie nahmen ihnen die Inseln weg, wo  die kostbaren Spezereyen wachsen, welches eben so  wirkliche Schätze, als die Schätze aus Peru, sind,  und deren Anbauung der Gesundheit eben so zuträg
 lich, als die Arbeit in den Bergwerken den Men schen tödtlich ist. Die ostindische Gesellschaft, welche 1602 errich tet wurde, gewann schon im Jahre 1620 drey hundert  Procent. Dieser Gewinst vermehrte sich jährlich.  Im Kurzen ward diese Gesellschaft von Kaufleuten  eine fürchterliche Macht, und baute in der Insel Ja va, die Stadt Batavia, die schönste Stadt in Asien,  und der Mittelpunkt der Handlung, in welcher mehr  als fünf tausend Chineser wohnen, und alle Natio nen der Welt zusammenkommen. Die Gesellschaft  kann daselbst dreyßig Kriegsschiffe, jedes von vierzig  Canonen, ausrüsten, und wenigstens zwanzig tausend  Mann ins Feld stellen. Ein bloßer Kaufmann,  wenn er Statthalter in dieser Colonie ist, erscheint in  der Pracht der größten Könige, ohne daß dieser asia tische Stolz die haushältrische Einfalt in Europa  verdirbt. Diese Handlung und diese Haushaltung  machten die sieben Provinzen groß. Antwerpen, welches so lange Zeit geblühet, und  die Handlung von Venedig verschlungen hatte, war  nichts mehr, als eine Wüsten. Amsterdam dargegen,  der Beschwerlichkeiten seines Hafens ungeachtet,  ward das Magazin der Welt. Ganz Holland berei cherte und verschönerte sich durch unermeßliche Arbei ten. Das Wasser des Meers ward durch die ge doppelten Dämme zurück gehalten. Die in allen  Städten gegrabenen Canäle wurden mit Steinen aus gesetzt, die Gassen wurden breite steinerne Brücken,  die mit großen Bäumen gezieret waren. Die mit  Waaren beladenen Barken landeten an den Thüren  der Privatpersonen an, und nie werden die Fremden
  ermüden, die besondere Vermischung zu bewundern,  welche durch die Gipfel der Bäume, durch die Dä cher der Häuser, und die Fahnen der Schiffe entste het, und auf einmal an einem Orte den Anblick  des Meers, der Stadt und des Landes schenket. Dieser Staat, von einer ganz neuen Beschaffenheit,  war seit seiner Stiftung sehr genau an Frankreich  verbunden; sie hatten gleiches Interesse und gleiche
    Feinde. Heinrich der Große und Ludewig der XIII waren seine Bundsgenossen und  Beschützer gewesen.  
                                Von England.
                                
                            
 England, welches weit mächtiger war, verlangte  die Oberherrschaft auf dem Meere, und maßte  es sich an, unter den europäischen Mächten ein Gleich
    gewicht zu erhalten. Doch Carl der I, welcher seit  1625 regierte, konnte nichts weniger als die Wucht  dieses Gleichgewichts erhalten, der Zepter entfiel viel mehr unvermerkt seinen Händen. Er hatte seine Ge walt in England unabhängig von den Gesetzen ma chen, und in Schottland die Religion verändern wol len. Er war zu halsstarrig, seinen Vorsatz fahren  zu lassen, und zu schwach, ihn auszuführen. Er war  ein guter Ehemann, ein guter Herr, ein guter Vater,  ein ehrlicher Mann; aber ein übelberathener Mo narche. Er vermengte sich in einen bürgerlichen Krieg, der ihn um die Krone und um das Leben
  brachte, welches er auf einem Schafot, durch eine  fast unerhörte Empörung, verlieren mußte. Dieser bürgerliche Krieg, welcher sich während  der Minderjährigkeit Ludewigs des XIV anfing, ver hinderte England eine Zeit lang, an den Angelegen heiten seiner Nachbarn Theil zu nehmen. Es ver lohr sein Ansehen mit seinem Glücke. Sein Handel  ward unterbrochen, und die andern Völker glaubten  es unter seinen Ruinen begraben zu seyn, als es auf
     einmal unter der Herrschaft des Cromwells fürchter licher, als jemals, wurde. Dieser machte es sich un terwürfig, indem er das Evangelium in der einen,  den Degen in der andern Hand, und die Larve der Religion auf dem Gesichte trug; er welcher mit den Eigenschaften eines großen Königs, alle Laster  eines unrechtmäßigen Besitzers  bedeckte.  
                                Von Rom.
                                
                            
 Dieses Gleichgewicht, welches England unter  den Königen, durch seine Gewalt, zu erhalten  sich lange geschmeichelt hatte, suchte Rom durch  seine Staatsklugheit zu behaupten. Italien war da mals, wie jetzo, in verschiedene Oberherrschaften ver theilet. Die Oberherrschaft, welche der Pabst besitzt,  ist groß genug, ihn als einen Fürsten ansehnlich zu  machen, viel zu klein aber, ihn fürchterlich zu machen.  Die Art der Regierung taugt nicht sein Land volkreich  zu machen, welches übrigens wenig Geld und Hand
 lung hat. Sein geistliches Ansehen, allezeit mit ein  wenig weltlichem vermischt, ist in der Hälfte der Chri stenheit vernichtet und verabscheuet; und wann er in  der andern Hälfte als ein Vater angesehen wird, so  hat er Kinder, welche ihm manchmal mit Rechte und  gutem Fortgange widerstehen. Der Grundsatz Frank reichs ist, ihn als eine geheiligte Person zu betrach ten, die aber oft zu viel unternimmt; der man die  Füße küssen, und die Hände manchmal binden muß.  Man sieht noch in allen katholischen Ländern die Spu ren der Schritte, welche der römische Hof ehemals  zur allgemeinen Monarchie gethan hat. Alle katholi sche Prinzen schicken dem Pabste, bey ihrer Huldi gung, Gesandtschaften, welche man Obedientias nennt.  Jede Krone hat in Rom einen Kardinal, welcher den  Namen eines Protectors annimmt. Der Pabst  giebt allen Bischöfen ihre Bullen, und drückt sich dar innen so aus, als ob er ihnen diese Würde aus eigner  Gewalt ertheilte. Alle wälsche, spanische, niederlän dische, und auch so gar einige französische Bischöfe,  nennen sich Bischöfe durch Gottes und des heiligen  Stuhls Zulassung. Es ist kein Reich, in welchem  nicht verschiedne Beneficia von seiner Ernennung ab hingen. Er bekommt, als einen Tribut, die Ein künfte des ersten Jahres der consistorial Beneficien. Die Ordensleute, deren Häupter in Rom ihren  Sitz haben, sind eben so viel unmittelbare Untertha nen des Pabsts, die in allen Staaten zerstreuet sind.  Die Gewohnheit, welche alles vermag und die Ur sache ist, daß die Welt eben sowohl durch Misbräu che als durch Gesetze regiert wird, hat den Fürsten  nicht allezeit erlaubt, einer Gefahr gänzlich abzuhel
 fen, welche dazu mit nützlichen und heiligen Sachen  verknüpft ist. Einem andern als seinem Oberherren  den Eid ablegen, ist bey einem Layen ein Verbrechen  der beleidigten Majestät; in dem Kloster ist es eine  gottesdienstliche Handlung. Die Schwierigkeit zu  wissen, wie weit man diesem fremden Oberherren ge horchen müsse, die Leichtigkeit sich verführen zu las sen, das Vergnügen ein natürlich Joch abzuschütteln,  um sich unter eines zu begeben, das man sich selbst  erwählet hat, der Geist des Aufruhrs, das Unglück  der Zeiten, haben nur allzu oft ganze geistliche Or den verleitet, dem römischen Hofe wider ihr Vater land zu dienen. Der aufgeklärte Geist, welcher seit einem Jahr hunderte in Frankreich herrschet, und sich fast in allen  Ständen ausgebreitet hat, ist das sicherste Mittel wi der diesen Misbrauch gewesen. Die guten Bücher,  welche man über diese Materie geschrieben hat, sind  wahre den Völkern und den Königen erwiesene Dien ste, und eine von den großen Veränderungen, welche  sich, unter dem vierzehnten Ludewig, in unsern Sitten  dadurch ereignet hat, ist die Ueberzeugung, in welcher  alle Geistliche zu seyn anfangen, daß sie fürs erste  Unterthanen des Königs, und alsdann Diener des  Pabsts sind. Die Gerechtsamkeit, dieses wesentliche Zeichen der Oberherrschaft, ist noch bey dem päbstli chen Stuhle geblieben. Frankreich selbst, aller Frey heiten der gallischen Kirche ungeachtet, leidet es noch,  daß man sich in geistlichen Fällen, als die letzte Zu flucht, auf den Pabst beruft. Wenn man eine Ehe aufheben, wenn man eine  nahe Anverwandtinn heirathen, wenn man sich von sei
 nen Gelübden lösen lassen will, so wendet man sich  nach Rom, und nicht an seinen Bischof. In Rom  werden die Gnadenbezeugungen geschätzt, und in Rom  kaufen Privatpersonen aus allen Staaten Erlassungen,  sie mögen kosten, was sie kosten. Diese Vorzüge, welche von vielen als eine Folge  der größten Misbräuche, und von andern als die  Ueberbleibsel der heiligsten Rechte, angesehen werden,  werden mit einer bewundernswürdigen Kunst erhalten.  Rom wendet eben so viel Staatsklugheit an, sein An sehen zu erhalten, als die römische Republik anwen dete, die Hälfte der bekannten Welt zu erobern. Nie hat ein Hof sich besser nach den Menschen und  nach den Zeiten zu richten gewußt. Die Päbste sind  meistens Italiener, welche in den Geschäfften grau  geworden, und ohne Leidenschaften, welche sie ver blenden könnten. Ihr Rath besteht aus Kardinälen,  die ihnen gleichen, und alle von ebendemselben Gei ste belebt werden. Aus diesem Rathe kommen Be fehle, welche bis nach China und Amerika gehen; in  diesem Verstande erstreckt er sich über die ganze Welt,  und man kann das davon sagen, was ehemals ein  Ausländer von dem römischen Senate sagte: ich habe  eine Versammlung von Königen gesehen. Die mei sten unsrer Schriftsteller haben sich mit Rechte wider  den Stolz dieses Hofes aufgelegt; ich finde aber kei nen unter ihnen, der ihm wegen seiner Klugheit habe  Recht wiederfahren lassen. Ich weis nicht, ob eine  andere Nation so lange Zeit so viel stets bestrittene  Vorzüge, in Europa, würde erhalten haben. Jeder  andre Hof würde sie vielleicht entweder aus Unbieg samkeit, oder aus Weichlichkeit, entweder aus Lang
 samkeit oder aus Heftigkeit verlohren haben. Rom  aber, welches fast stets Standhaftigkeit und Bieg samkeit zur rechten Zeit anzuwenden weis, hat alles  erhalten, was es menschlicher Weise hat erhalten kön nen. Kriechend sahe man es unter Carl dem V,
     schrecklich unserm Könige Heinrich dem III, bald  Feind, bald Freund gegen Heinrichen den IV, schlau  gegen Ludewigen den XIII, und dem XIVten Ludewig  zeigte es sich offenbar entgegen, zu der Zeit, da er  am meisten zu fürchten war. Oft ist es ein heimli cher Feind selbst der Kaiser gewesen, welchen es we niger als den türkischen Sultanen getrauet hat. Einige Rechte, viele Ansprüche, und noch mehr  Staatsklugheit: Dieses ist es alles, was jetzo noch  in Rom von der alten Macht übrig ist, welche sechs  Jahrhunderte vorher das römische Reich und ganz  Europa der päbstlichen Krone unterwerfen wollte. Neapel ist ein noch fortdaurender Beweis von dem  Rechte, welches sich die Päbste vormals mit so vieler  Kunst und Größe anzumaßen wußten, Königreiche  zu machen und zu verschenken. Allein der König in  Spanien, Besitzer dieses Staats, ließ dem römischen Hofe nichts, als die Ehre und die Gefahr, ei nen allzu mächtigen Vasall zu  haben.  
                                Von den übrigen Theilen  Italiens.
                                
                            
 Uebrigens war der päbstliche Staat in einer glück lichen Ruhe, welche durch nichts war unter brochen worden, als durch einen kleinen Krieg zwi schen den Kardinälen Barberini, den Nepoten des  Pabsts Urbanus des VIII, und dem Herzoge von  Parma; ein Krieg von kurzer Dauer, und wobey  wenig Blut vergossen wurde, so wie man ihn von  den neuen Römern erwarten konnte, deren Sitten  nothwendig dem Geiste ihrer Regierung gemäß seyn
     müssen. Der Kardinal Barberini, der Urheber die ser Unruhen, zog an der Spitze seiner kleinen Armee  mit Ablaßbriefen vorher. Die größte Schlacht, wel che vorfiel, war zwischen vier bis fünf hundert Mann  auf beyden Seiten. Die Festung Pirgaia ergab sich  auf Gnade und Ungnade, als sie die Artillerie her beykommen sahe. Diese Artillerie bestund aus zwo  Feldschlangen. Gleichwohl waren zu Beylegung die ser Unruhen, welche nicht einmal einen Platz in der  Geschichte verdienen, mehr Unterhandlungen nöthig,  als wenn es einen Streit zwischen Rom und Kartha go betroffen hätte. Man führt diese Begebenheit nur  deßwegen an, daß man das Genie des heiligen Roms  kennen lerne, welches alles mit Unterhandlungen be schließt, so wie das alte Rom alles mit Siegen be schloß. Die übrigen Provinzen Italiens waren in ein ver schiedenes Interesse verwickelt. Venedig fürchtete  sich vor den Türken und vor dem Kaiser; kaum konn te es die Staaten in dem festen Lande wider die An sprüche Deutschlands, und wider die Einfälle des  Großsultans vertheidigen. Es war nicht mehr das  Venedig, welches ehemals das Haupt der Handlung  durch die ganze Welt war, und hundert und funfzig  Jahre vorher die Eifersucht so vieler Könige erweckt  hatte. Seine weise Regierung war immer noch eben dieselbe, seine große Handlung aber war zu nichte ge worden, und hatte ihr also allen Nachdruck entzogen.  Venedig war durch seine Lage nicht im Stande über wunden zu werden, und durch seine Schwäche nicht  im Stande Eroberungen zu machen. Der Staat von Florenz genoß der Ruhe und des  Ueberflusses unter der Regierung der Medices. Die Wissenschaften, die Künste, die Artigkeit, welche die  Medices hatten wachsen lassen, blühten noch. Flo renz war damals in Italien, was Athen in Griechen land gewesen war. Savoyen, welches der bürgerlicheKrieg und die  französischen und die spanischen Truppen verwüstet hat ten, hatte sich nunmehr gänzlich mit Frankreich  verbunden, und trug in Italien das Seine zur Schwä chung des österreichischen Hauses bey. Die Schweizer erhielten damals, wie jetzt, ihre Freyheit, ohne daß sie jemanden zu unterdrücken such ten. Sie verkauften ihre Truppen an ihre reichern  Nachbarn; sie waren arm; sie wußten von den Wis senschaften und den Künsten nichts, welche Gemäch lichkeit und Pracht erfanden; aber sie waren weise  und glücklich.
                                Von den nordischen Staaten.
                                
                            
 Die nordischen Völker Europens, Pohlen, Schwe den, Dännemark, Moscau, waren, wie die  übrigen Mächte, beständig im Mistrauen oder Krieg  mit einander. Man sahe, wie noch jetzo, in Pohlen  die Sitten und die Regierung der Gothen und Fran ken; einen erwählten König; Edelleute, welche an sei ner Gewalt Theil nahmen; ein sklavisches Volk; eine  schwache Infanterie; eine aus lauter Edelleuten be stehende Reiterey; keine befestigten Städte und fast  gar keine Handlung. Dieses Volk wurde bald von  den Schweden, bald von den Russen, bald von den  Türken angefallen. Schweden, welches seiner Einrich tung nach noch freyerer ist, indem es sogar die Bauren  mit unter die Reichsstände aufnimmt, damals aber  seinen Königen folgsamer war als Pohlen, war bey nahe überall Sieger. Dännemark, welches ehedem  Schweden fürchterlich war, war es jetzo nieman den mehr. Moscau aber lag noch in seiner  Barbarey.  
                                Von den Türken.
                                
                            
 Die Türken waren das nicht, was sie unter den  Selims, den Mahomets und den Solimanns  gewesen waren. Die Weichlichkeit verderbte das Se rail, ohne die Grausamkeit daraus zu vertreiben. Die
  Sultane waren zu gleicher Zeit die unumschränktesten,  und die wegen ihres Throns und ihres Lebens am we
    nigsten gesicherten Beherrscher. Osman und Jbra him waren durch den Strick gestorben. Mustapha  war zweymal abgesetzt worden. Das durch die Er schütterungen schwankende türkische Reich, ward noch  dazu von den Persern angefallen; so bald es aber die  Perser zu Athem kommen ließen und die Unruhen in  dem Serail zu Ende waren, ward dieses Reich der Christenheit sehr schrecklich; denn von dem Ausflusse  des Dniepers an bis an die Staaten von Venedig  sahe man, daß bald Moscau, bald Ungarn, bald Griechenland, bald die Inseln, eines nach dem an dern, die Beute der türkischen Waffen wurden. Seit  dem Jahre 1635 setzte es unabläßlich den der Christen heit so verderblichen Krieg wegen Candia fort. Die ses waren die Lage, die Stärke und das Interesse der vornehmsten europäischen Nationen, zur Zeit des  Todes Ludewigs des XIII, Königs von  Frankreich.  
                                Die Stellung, worinne sich  Frankreich befand.
                                
                            
 Frankreich, welches mit Schweden, Holland, Sa voyen, Portugall verbunden war, und auch die  Wünsche anderer Völker, welche in der Unthätlichkeit  geblieben waren, vor sich hatte, führte gegen das  Reich und Spanien einen Krieg, welcher beyde Thei le schwächte und dem Hause Oesterreich verderblich
  war. Dieser Krieg war allen denen gleich, welche  seit so vielen Jahrhunderten zwischen den christlichen  Potentaten geführt werden: es werden einige Millio nen Menschen aufgeopfert, ganze Provinzen werden  verwüstet, um einige kleine Gränzörter zu erhalten,  deren Besitz niemals so viel werth ist, als was sie zu  erobern gekostet haben. Die Generale Ludewigs des XIII hatten Rußil lon weggenommen. Die Catalonier hatten sich an  die Kron Frankreich übergeben, als an die Beschütze rinn ihrer Freyheit, die sie wider ihre Könige ver theidigten. Doch hatte aller dieser glückliche Fort gang die Feinde nicht verhindert, im Jahre 1637 Cor bie einzunehmen, und bis nach Pontoise zu kommen.  Die Furcht hatte die Hälfte der Einwohner aus Pa
    ris vertrieben, und der Kardinal von Richelieu ward,  mitten unter seinen weitläuftigen Unternehmungen,  die österreichische Macht zu demüthigen, genöthiget,  die Thorwege in Paris zu schätzen, daß jeder einen  Bedienten zum Kriege hergeben mußte, um die Fein de von den Thoren der Hauptstadt zurück zu treiben. Die Franzosen hatten also den Spaniern und  Deutschen nicht wenig Uebel erwiesen, und mußten eben so viel wieder ausstehen.  
                                Die Sitten damaliger Zeit.
                                
                            
 Die Kriege hatten berühmte Generale hervorge bracht, einen Gustav Adolph, einen Wallen
    stein, einen Herzog von Weimar, einen Picolomini,
  einen Johann von Vert, einen Marschall von Gue briant, die Prinzen von Oranien, den Grafen von  Harcourt. Die Staatsminister hatten sich nicht we niger hervorgethan. Der Kanzler Ochsenstiern, der
     Graf Ducas Olivarez, vor allen aber der Kardinal  von Richelieu hatten die Aufmerksamkeit von ganz  Europa auf sich gezogen. Es ist kein Jahrhundert,  welches nicht Staatsleute und bekannte Krieger ge habt habe. Die Staatsklugheit und die Waffen  scheinen unglücklicher Weise die zwey Handwerke zu  seyn, welche den Menschen am natürlichsten sind; ent weder sie unterhandeln sich, oder sie schlagen sich. Der  Glücklichste wird für den Größten gehalten, und die  Welt schreibt oft das den Verdiensten zu, woran  niemand als das Glück Ursache ist. Der Krieg ward nicht so geführet, wie wir gesehen  haben, daß er zu Zeiten Ludewigs des XIV geführet  wurde. Die Armeen waren nicht so zahlreich, und  seit der Belagerung von Metz durch Carl den V hat te sich kein General an der Spitze von funfzig tau send Mann gesehen. Man belagerte und vertheidigte  die Oerter mit weit weniger Canonen, als jetzo. Die  Kunst zu befestigen war noch in ihrer Kindheit; die  Picken und Doppelhaken waren noch im Gebrauch;  man hatte die Vertheidigungswaffen noch nicht ganz  abgelegt; es waren noch alte Völkergesetze übrig, wie  zum Exempel das Gesetze, den Krieg durch einen He rold ankündigen zu lassen. Ludewig der XIII war der  letzte, welcher diese Gewohnheit beobachtete. Er  schickte einen Herold nach Brüssel den Krieg wider  Spanien im Jahre 1635 anzukündigen. Nichts war damals gewöhnlicher, als daß Priester  Kriegsheere anführten. Der Kardinal Infant, der  Kardinal von Savoyen, Richelieu, la Valette, der  Erzbischof von BourdeaurBourdeaux, hatten den Harnisch an gelegt und den Krieg in eigner Person geführt. Die  Päbste drohten dann und wann diesen kriegerischen  Priestern mit dem Banne. Pabst Urbanus der VIII,  als er gegen Frankreich unwillig war, ließ dem Kardi nal de la Valette sagen, er würde ihn der Kardinals würde entkleiden, wenn er die Waffen nicht ablegte;  doch kaum hatte er sich wieder mit Frankreich vereinet,  als er ihn mit Segen überschüttete. Die Abgesandten, welche eben so wenig Diener  des Friedens als die Geistlichen waren, machten keine  Schwierigkeit unter den Armeen der Bundsgenossen,  bey welchen sie gebraucht wurden, Dienste zu thun.  Der französische Abgesandte in Holland, Charnace,  führte im Jahre 1637 daselbst ein Regiment an, und  nach der Zeit war so gar der Gesandte von Estrade  Oberster in ihren Diensten. Frankreich hatte in allen nicht mehr als ungefähr  achtzig tausend Mann wirklich auf den Beinen. Das  Seewesen, welches seit Jahrhunderten ganz entkräf tet lag, von dem Kardinal von Richelieu aber in et
    was wieder hergestellt war, ward unter dem Maza rin zu Grunde gerichtet. Ludewig der XIII hatte nicht  mehr als ungefähr dreyßig Millionen wirklicher Ein künfte; das Silber aber war die Mark zu sechs und  zwanzig Livers, so daß diese dreyßig Millionen auf  die sieben und funfzig Millionen jetziger Zeit ausma chen, da man den willkürlichen Werth einer Mark
  Silbers bis auf neun und vierzig eingebildeter Livers  gesteigert hat, ein so ausschweifender angenommener  Werth, daß er unmöglich, wenn man der Gerechtig keit und dem gemeinen Besten gemäß verfahren will,  mehr erhöht werden kann. Die heut zu Tage überall ausgebreitete Handlung  war damals in sehr weniger Händen. Die Policey  des Reichs ward gänzlich verabsäumet; ein sicherer  Beweis einer unglücklichen Verwaltung. Der Kar dinal Richelieu, welcher mit seiner eignen Größe, die  er mit der Größe des Staats verknüpfte, beschäfftiget  war, hatte angefangen Frankreich von außen fürchter lich zu machen, ohne daß er es von innen blühender  hatte machen können. Die Landstraßen wurden we der ausgebessert noch beobachtet, die Räuber machten  sie unsicher; selbst die Gassen in Paris waren enge,  übel gepflastert, voller ekeln Unbequemlichkeiten und  mit Spitzbuben angefüllt. Aus den Registern des  Parlements sieht man, daß die ganze Wache in der  Stadt ungefähr aus fünf und vierzig Leuten bestand,  welche übel bezahlt wurden, und nicht einmal dienten. Seit dem Tode des zweyten Franciscus, war  Frankreich beständig entweder durch bürgerliche Krie ge verheert oder durch Rotten beunruhiget. Niemals  hatte man das Joch ruhig und willig getragen. Die  Vornehmen waren in Verschwörungen erzogen wor den, und diese machten die Kunst des Hofes aus, so  wie sie sich hernach in die Kunst dem Könige zu ge fallen, verwandelte. Dieser Geist der Uneinigkeiten und Rotten war  von dem Hofe bis in die kleinsten Städte gedrungen,  und hatte alle Stände des Reichs eingenommen.
  Man stritt sich über alles, weil nichts festgesetzt war;  so gar die Kirchspiele in Paris wurden handgemenge.  Die Proceßionen schlugen sich mit einander zu Ehren  ihrer Baniere. Man sahe nicht selten die Canonici  U. L. Fr. mit den Canonicis der heiligen Kapelle im  Streit. Das Parlement und die Rechnungskammer  prügelten sich in der Kirche wegen der Oberstelle, an  dem Tage, den Ludewig der XIII dem Schutze der hei ligen Jungfer übergab. Beynahe alle Stände des Reichs waren bewaffnet,  beynahe alle Privatpersonen wurden von der Wuth  des Zweykampfes getrieben. Diese gothische Bar barey, welche vorher von den Königen selbst war ge billiget worden, und nun der Charakter der Nation  geworden war, trugen eben so viel zu der Entvölkerung  des Landes bey, als die innerlichen und auswärtigen  Kriege. Man übertreibt nichts, wenn man saget,  daß in zwanzig Jahren, wovon zehne der Krieg be unruhigte, mehr Franzosen von der Hand der Fran zosen, als von der Hand der Feinde umkamen. Man wird hier nichts von der Art gedenken, wie  die Künste und Wissenschaften getrieben wurden;  dem diesen Theil der Geschichte unsrer Sitten wird  man an seinem Orte finden. Nur dieses muß man  hier anmerken, daß die französische Nation in die  Unwissenheit versunken war, ohne so gar diejenigen  auszunehmen, welche nicht von dem Pöbel entsprossen  zu seyn glaubten. Man befragte die Sterndeuter, und glaubte ihnen.
     Alle Geschichtbücher dieser Zeiten, von der Historie  des Thuanus anzufangen, sind mit Vorherverkün
    digungen angefüllt. Der ernsthafte Herzog von Sully
                              erzählt diejenigen in allem Ernste, welche dem vierten  Heinrich geschahen. Diese Leichtgläubigkeit, der un trüglichste Beweis der Unwissenheit, war so durch gängig angenommen, daß man einen Sterndeuter
     neben dem Zimmer der Königinn Anna von Oester reich, in dem Augenblicke der Geburt Ludewigs des XIV, verborgen hielt. Was man kaum glauben wird, und was gleich wohl ein zeitverwandter Schriftsteller, welcher sehr  wohl davon unterrichtet seyn konnte, erzählet, ist,  daß Ludewig der XIII, von seiner Kindheit an, den  Beynamen des Gerechten führte, weil er unter dem Zeichen der Waage gebohren war. Eben die Schwachheit, welche den närrischen Aberglauben der Sterndeuterey in Schwang brachte,  verursachte auch, daß man die Besitzungen und  Zaubereyen glaubte. Man machte ein Stück der Religion daraus, und man sahe überall Priester,  welche die Geister beschworen. Die Gerichte, wel che mit Personen besetzt waren, die erleuchteter hätten  seyn sollen, waren mit nichts als mit Hexenprocessen  beschäfftigt. Man wird nie aufhören dem Anden ken des Kardinals von Richelieu den Tod des berüch
    tigten Predigers zu Loudun, Urbans Grandier, wel cher als ein Zauberer durch eine Commission des  Staatsraths zum Feuer verdammt wurde, vorzu werfen. Man muß sich ärgern, daß das Ministe rium und die Richter die Schwachheit, an die Teu fel zu Loudun zu glauben, und die Grausamkeit ge habt haben, einen Unschuldigen der Flamme aufzu opfern. Die letzte Nachwelt wird noch mit Erstaunen  daran gedenken, daß die Marschallin von Ancre auf
  dem öffentlichen Gerichtsplatze, als eine Hexe verbrannt  worden; daß der Rath Courtin, dieses unglückliche  Frauenzimmer bey dem Verhöre gefragt, welcher  Zauberey sie sich bedient habe, den Geist der Me dicis nach ihrem Willen zu lenken; daß ihm die Mar schallin geantwortet: Ich habe mich der Ge walt bedient, welche starke Geister über  schwache Geister haben; und daß endlich diese  Antwort ihr Todesurtheil beschleuniget. In einer Abschrift einiger Register des Chatelets  findet man noch einen Proceß von 1601, wegen eines  Pferdes, welches sein unermüdeter Herr, ungefähr  so abgerichtet hatte, wie man jetzt dergleichen auf den  Jahrmärkten sieht. Man wollte den Herrn mit  samt dem Pferde, als Hexenmeister, verbrennen. Dieses mag genug seyn, die Sitten und den Geist  des Jahrhunderts, welches vor dem Jahrhunderte Ludewigs des XIV vorhergieng, überhaupt zu erkennen  zu geben. Dieser Mangel der Einsichten, welcher allen  Ständen gemein war, unterhielt bey den ehrlichsten  Leuten abergläubische Gebräuche, welche die Religion  schändeten. Die Calvinisten verwechselten mit dem  vernünftigen Gottesdienste der Katholiken, die  Misbräuche dieses Gottesdienstes, und wurden da durch in dem Hasse gegen unsere Kirche immer mehr  und mehr befestigt. Sie setzten den Aberglauben des  Pöbels, welcher oft voller Ausschweifungen der Un mäßigkeit war, ein bittre Härte und wilde Sitten  entgegen, welches der Charakter fast von allen Kir chenverbeßrern ist. Frankreich ward also durch den  Geist der Parteylichkeit auf das schändlichste zer
 rissen; und der gesellschaftliche Geist, welcher dieses  Volk jetzo so berühmt und liebenswürdig macht, war  gänzlich unbekannt. Da sahe man keine Häuser,  wo sich Leute von Verdiensten versammelten, ihre  Einsichten einander mitzutheilen; keine Akademien;  keine Schauplätze. Kurz, Sitten, Gesetze, Künste, Wissenschaften, Religion, Friede und Krieg hatten  nichts von dem, was man in dem Jahrhunderte sahe, welche wir das Jahrhundert Ludewigs  des XIV nennen.
                        
                        Zweytes Hauptstück.
                        
                    
  
                    
                        
                            Ludewigs des XIV Minderjährigkeit. Siege der Franzosen unter dem großen  Conde, damaligen Herzog von  Enguien.
                        
                    
 Der Kardinal von Richelieu und Ludewig der XIII waren gestorben; der eine wurde be wundert und gehaßt, der andere war schon  vergessen. Sie hatten den Franzosen, welche da mals sehr unruhig waren, Abscheu gegen das Mi nisterium, und wenig Ehrfurcht für den Thron hin
    terlassen. Ludewig der XIII richtete in seinem Testa mente einen Rath auf, welcher die Regierung ver walten sollte. Dieser Monarche, welchem man bey  seinem Leben wenig gefolget hatte, schmeichelte sich,
  daß es nach seinem Tode eher geschehen würde; das  erste aber, was seine Wittwe Anna von Oesterreich  that, war dieses, daß sie durch einen Schluß des  Parlements zu Paris den letzten Willen ihres Man nes für nichtig erklären ließ. Das Parlement war  schon seit langer Zeit dem Hofe entgegen, und hatte  unter Ludewigen kaum die Freyheit behalten Gegen vorstellungen thun zu dürfen; es hob also das Testa ment seines Königs mit eben der Leichtigkeit auf, mit  welcher es etwa eine Streitsache zwischen gemeinen Bürgern würde entschieden haben. Anna von  Oesterreich wendete sich an diese Versammlung, um  eine uneingeschränkte Regierung zu erhalten; weil
     sich Maria von Medicis nach dem Tode Heinrichs  des IV gleichfalls dieses Tribunals bedient hatte, und  ihr also hierinne vorgegangen war; und weil jeder  andere Weg ungewiß und langweilig würde gewesen  seyn, das von den Wachen umringte Parlement aber  ihrem Willen nicht widerstehen konnte, und ein  Schluß, welchen das Parlement und die Pairs er gehen ließen, das unwidersprechlichste Recht festzuse tzen schien *. 
                        
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                      Die Gewohnheit, welche den Müttern der Köni ge die Verwaltung der Regierung zugesteht, schien  den Franzosen damals eben sowohl ein Grundgesetz,  als dasjenige, welches die Weibespersonen von der  Krone ausschließt. Das Parlement von Paris,  welches nunmehr schon zweymal diesen Punkt ent schieden hatte, und einzig und allein dieses Recht  der Mütter durch seine Schlüsse festgestellet hatte,  schien die Verwaltung der Regierung eigenmächtig  ertheilt zu haben. Es sahe sich, nicht ohne Wahr scheinlichkeit, als den Vormund der Könige an, und  jeder Parlementsrath glaubte ein Theil der Oberherr schaft zu seyn. Anna von Oesterreich war anfangs genöthigt den
     Krieg wider den König von Spanien, den IVten  Philipp, ihren Bruder, welchen sie liebte, fortzu setzen. Es ist schwer eigentlich zu sagen, warum  man diesen Krieg führte. Man verlangte nichts von  Spanien, auch nicht einmal Navarra, welches doch  das väterliche Erbtheil der Könige von Frankreich  hätte seyn sollen. Man schlug sich seit 1635 herum,  weil es der Kardinal von Richelieu so haben wollte.  Frankreich und Schweden griffen auch den Kaiser an;  die Stärke des Krieges aber war um diese Zeit auf  der Seite von Flandern. Die spanischen Truppen  rückten aus dem Hennegauischen, an die 26000  Mann stark, unter der Anführung eines alten ver suchten Generals, mit Namen Don Francisco de Me los. Sie verwüsteten die Gränzen von Cham pagne; sie fielen Rocroy an, und hofften gar bald  bis vor die Thore von Paris zu dringen, wie sie es  acht Jahr vorher gethan hatten. Der Tod Lude
 wigs des XIII, die Ohnmacht einer Minderjährig keit machten ihre Hoffnung noch stärker, und als sie  sahen, daß man ihnen nichts als eine Armee entge genstellte, welche an Anzahl viel geringer war, und  von einem Jünglinge von 21 Jahren angeführet  wurde, so verwandelte sich ihre Hoffnung in Si cherheit. Dieser unerfahrne Jüngling, welchen sie so ver
    achteten, war Ludewig von Bourbon, damaliger  Herzog von Enghien, welcher hernach unter dem  Namen des großen Conde bekannt ward. Die mei sten großen Feldherren sind es stufenweise geworden.  Dieser Prinz war als General gebohren; die Kriegs kunst schien bey ihm ein natürlicher Trieb zu seyn;  und in ganz Europa war nur er, und der schwedische Torstenson, welche im zwanzigsten Jahre den Geist  hatten, der alle Erfahrung entbehren kann. Der Herzog von Enghien hatte mit der Nachricht  von dem Tode Ludewigs des XIII den Befehl erhal ten, keine Schlacht zu wagen. Der Marschall von  Hopital, welcher ihm zum Rathgeber und Führer  beygegeben war, unterstützte diese furchtsamen Befehle  durch seine Vorsichtigkeit. Der Prinz glaubte weder  dem Hofe noch dem Marschalle; er vertraute sein  Vorhaben niemanden als dem Feldmarschall Gassion,  ein Mann, welcher es werth war, von ihm zu Rathe  gezogen zu werden, und beyde zwungen den Mar schall, daß er die Schlacht selbst für nöthig erken nen mußte. Man hat angemerkt, daß der Prinz die Nacht  vor dem Treffen, nachdem er den Abend zuvor alles  in Ordnung gebracht hatte, so fest geschlafen, daß
  man ihn, als es Zeit zum Angriffe war, aufwecken  mußte. Man erzählet eben dieses von dem Alexan der. Es ist natürlich, daß ein junger Mensch, von  den Anordnungen, welche ein so wichtiger Tag erfor dert, entkräftet, in einen tiefen Schlaf verfällt;  und eben so natürlich ist es, daß ein zum Kriege ge bohrner Geist alles, ohne sich zu beunruhigen, ver richtet, und also gesetzt genug bleibt, ungestört zu  schlafen. Der Prinz gewann die Schlacht durch sich  selbst, durch seinen Blick, welcher die Gefahr und die  Mittel dagegen zugleich sahe, durch seine Thätigkeit,  welche von aller Verwirrung frey war, und ihn an  alle Orte zu rechter Zeit brachte. Er war es, wel cher mit der Reiterey das bisher unüberwindliche  spanische Fußvolk angriff, welches so stark und ge drungen war, als nur immer der berühmte alte  Phalanx gewesen ist, und sich mit einer Geschwindig keit, welche der Phalanx nicht hatte, eröffnete, das  Feuer von 18 Canonen durchzulassen, welche es mit ten in sich schloß. Der Prinz umringte sie, und  griff sie dreymal an. Kaum war er Sieger, als er  das Niedermetzeln aufhören ließ. Die spanischen  Officiere warfen sich zu seinen Füßen, um bey ihm  eine Zuflucht gegen die Wuth des siegenden Solda
    tens zu finden. Der Herzog von Enghien wandte  eben so viel Sorgfalt an sie zu schonen, als er sie zu  überwinden angewendet hatte. Der alte Graf Fuentes, welcher das spanische  Fußvolk anführte, starb, von unzähligen Hieben
     verwundet. Conde, als er es erfuhr, sagte: er  wünschte wie er gestorben zu seyn, wenn er nicht ge siegt hätte. Die Hochachtung, welche man noch in Europa  für die spanischen Waffen hatte, fiel nunmehr gänz lich, und man fing an die französischen Waffen zu  schätzen, welche, seit hundert Jahren, keine so merk würdige Schlacht gewonnen hatten; denn der blutige
     Sieg bey Marignano, welchen Franciscus der erste  mehr streitig machte als gewann, war eben sowohl  ein Werk der deutschen schwarzen Banden, als der  französischen Truppen. Die Schlachten bey Pavia und S. Quentin wa ren noch dem Ruhme Frankreichs sehr nachtheilige  Zeitpunkte. Heinrich der IV hatte das Unglück ge habt, nur über sein eigen Volk ansehnliche Vortheile  davon zu tragen. Unter dem XIIIten Ludewig hatte  der Marschall von Guebriant einigen glücklichen Fort gang gehabt, welchem aber immer anderweitige Ver luste das Gleichgewicht hielten. Große Schlachten,  welche die Staaten erschüttern, und auf ewig in dem  Gedächtnisse der Menschen bleiben, hatte zu dieser  Zeit niemand als Gustav Adolph geliefert. Diese Schlacht bey Rocroy ward der Zeitpunkt,  bey welchem sich der Ruhm Frankreichs wie der
     Ruhm des Prinzen von Conde anfing. Er wußte zu  siegen, und sich des Sieges zu bedienen. Seine  Briefe, die er an den Hof schrieb, machten, daß  man die Belagerung von Diedenhofen beschloß, wel che der Kardinal von Richelieu noch nicht hatte wa gen wollen, und als seine Curiers wieder zurückka men, so fanden sie schon alles zu diesem Unternehmen  in Bereitschaft. Der Prinz von Conde gieng mitten durch das  feindliche Land, betrog die Wachsamkeit des General
  Beck, und nahm endlich Diedenhofen ein *. Von  hier eilte er zu der Belagerung von Sirke, und mach te sich davon Meister. Er zwang die Deutschen wie der über den Rhein zurück zu gehen, gieng hernach  selbst darüber, und ersetzte den Verlust und die Nie derlage, welche die Franzosen in dieser Gegend nach  dem Tode des Marschalls von Guebriant erlitten hat ten. Er fand Freyburg schon eingenommen, und  den General Mercy mit einer Armee vor ihren Mau
        ren, welche der seinigen weit überlegen war. Conde  hatte zweene Marschalle von Frankreich unter sich, den
        Marschall von Gramont nämlich, und den Vicomte  von Turenne, welcher damals schon für einer der ge schicktesten Feldherren seiner Zeit gehalten, und so gar  mit dem Marschall von Guebriant verglichen wurde. Mit diesen griff er das Lager des Generals Mercy  an, welches an zwo Anhöhen verschanzt lag **. Das  Treffen fing sich dreymal an drey verschiedenen Tagen
     an. Man sagt, der Herzog von Enghien habe sei nen Commandostab in die feindlichen Verschanzungen  geworfen, ihn mit dem Degen in der Faust an der  Spitze des Regiments von Conty wieder zu holen.  Solche kühne Handlungen waren vielleicht nothwen dig, um die Truppen zu so gefährlichen Angriffen zu  führen. Diese Schlacht bey Freyburg, welche blu tiger als entscheidend war, ward für den zweyten  Sieg dieses Prinzen gerechnet. Mercy brach den  vierten Tag hernach mit seinem Lager auf. Die  Uebergabe von Philippsburg und Maynz war der  Beweis und die Frucht des Sieges. 
                        
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                      Das folgende Jahr lieferte er die Schlacht bey  Allernheim in der Ebene von Nördlingen *. Gra mont und Turenne commandirten damals noch unter  ihm. Mercy und Glene waren an der Spitze der  feindlichen Armee. Der Sieg der Franzosen war  vollständiger und nicht weniger blutig, als bey Frey burg. Der Marschall von Gramont ward zum  Kriegsgefangenen gemacht; Mercy aber blieb, und  Glene ward auch gefangen. Jener, welcher unter  die größten Feldherren gerechnet zu werden verdienet,  ward auf dem Schlachtfelde begraben, und man setzte  auf sein Grabmaal die lateinische Ueberschrift: Sta,  Viator, Heroem calcas. Stehe stille, Wanderer!  du trittst einen Helden mit Füßen. Der Prinz belagerte ** hierauf, im Angesichte der  spanischen Armee, Dünkirchen, und er war der erste,  welcher diesen Platz an Frankreich brachte. So viel Fortgang und so viel Verdienste, welche  ihm mehr Verdacht als Belohnung bey Hofe zuwege  brachten, machten ihn dem Ministerio eben so fürch terlich, als den Feinden. Man nahm ihn von dem  Schauplatze seiner Siege und seines Ruhmes, und  schickte ihn nach Catalonien mit übel bezahlten Trup pen; wo er Lerida belagerte, und genöthiget ward,  die Belagerung aufzuheben. Man giebt ihm in ver schiedenen Büchern eine Großthuerey schuld, weil er  die Laufgraben unter dem Klange der Geigen eröffnen  ließ ***; und man weiß nicht, daß dieses der Ge brauch damals in Spanien war. 
                        
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                      Das umschlagende Glück nöthigte den Hof gar  bald, ihn wieder nach Flandern zurück zu rufen.  Der Erzherzog Leopold, der Bruder des Kaisers,  belagerte Lens in der Grafschaft Artois. Als Conde  seinen Truppen wieder gegeben war, welche beständig  unter ihm gesieget hatten, so führte er sie gerade auf  den Erzherzog los. Dieses war das dritte mal, daß  er, mit weniger Mannschaft als der Feind, schlug.  Er sagte zu seinen Soldaten nichts als diese Worte:  Freunde, gedenkt an Rocroy, an Freyburg und an  Nördlingen. Diese Schlacht bey Lens machte seinen  Ruhm vollkommen. Er löste selbst den Marschall von Gramont aus,  indem er den General Beck gefangen nahm. Kaum  daß der Erzherzog mit dem Grafen von Fuensaldagne  davon kam *. Die Kaiserlichen und die Spanier,  aus welchen diese Armee bestand, wurden zerstreuet;  sie verloren mehr als hundert Fahnen, und dreyhun dert und acht Kanonen; welches damals was sehr  ansehnliches war. Man machte fünf tausend von ih nen zu Gefangenen, drey tausend tödtete man, und  der Rest gieng durch, so, daß der Erzherzog gänzlich  ohne Armee blieb. Indessen, daß Prinz von Conde** die Jahre  seiner Jugend nach Siegen zählte, und der Bruder Ludwigs des XIII, der Herzog von Orleans, die Ehre eines Sohnes Heinrichs des IVten, und die EhreFrankreichs, durch die Einnahmen der Festun gen Grevelingen, Courtray und Mardyck, verthei 
                        
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                       digte *; hatte der Vicomte von Turenne Landau ein genommen, die Spanier aus Trier verjagt, und den  Churfürsten wieder eingesetzet **. Er gewann mit den Schweden die Schlachten bey  Lauingen, und Sommershausen, und zwang den Churfürst von Bayern, beynahe im 80ten Jahre sei nes Alters, aus seinen Staaten zu weichen ***. Der Graf von Harcourt nahm Bologne ein †,  und schlug die Spanier. In Italien verloren sie  Portolongone. Zwanzig französische Schiffe und zwanzig Galee ren, in welchen beynahe die ganze Seemacht bestand,  wie sie Richelieu dem Reiche wieder hergestellet  hatte, schlugen die spanische Flotte an den Küsten  Italiens ††. Dieses war noch nicht alles. Die französischen
     Waffen hatten dem Herzoge, Carl dem IVten, Loth ringen weggenommen. Dieser Herzog war ein  tapferer Soldat, aber unbeständig, unvorsichtig und  unglücklich, welcher sich mit einmal von Frankreich  seiner Länder beraubet, und von den Spaniern als  ein Gefangener zurück behalten sahe. Die französischen Bundsgenossen bestürmten die  österreichische Macht gegen Mittag und gegen Mit ternacht. 
                        
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                      Der portugiesische General, der Herzog von Al buquerque, gewann gegen die Spanier die Schlacht  bey Badajox *. Torstenson schlug die Kaiserlichen bey Tabor, und  trug einen völligen Sieg davon **. Der Prinz von Oranien, welcher an der Spitze  der Holländer war, drang bis in das Brabantische. Der König von Spanien, welcher auf allen Sei ten geschlagen wurde, sah Roußillon und Catalonien  in den Händen der Franzosen ***. Neapel hatte  wider ihn einen Aufstand erreget, und sich an den
        Herzog von Guise ergeben, dem letzten Prinzen von  diesem Aste des an berühmten und gefährlichen Män nern so fruchtbaren Hauses. Dieser, welchen man  für nichts als für einen Tollkühnen, welcher auf  Abentheure ausgieng, ansah, weil er nicht glücklich  war, hatte wenigstens die Ehre gehabt, ganz allein  in einer Barke, mitten unter der spanischen Flotte,  anzulanden, und Neapel einzig durch seine Tapferkeit  ohne andern Beystand zu vertheidigen. Bey so vielem Unglücke, welches auf das österrei chische Haus stürmte, bey so gehäuften Siegen der  Franzosen, welche von dem glücklichen Fortgange ih rer Bundesgenossen unterstützet wurden, hätte man  glauben sollen, daß Wien und Madrid alle Augen blicke ihre Thore eröffnen würden, weil der Kaiser  und der König von Spanien beynahe ohne Länder  waren. Gleichwohl brachten fünf Jahre voller 
                        
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                       Ruhm, welcher mit sehr wenig Widerwärtigkeiten  untermengt gewesen war, sehr wenig wesentliche Vor theile zuwege. Viel Blut war vergossen worden,  Veränderungen aber erfolgten nicht. Wenn ja eine  zu befürchten war, so war es auf Seiten Frankreichs, welches mitten unter seinem anscheinenden Glücke  dem Untergange nahe war.
                
                        Drittes Hauptstück.
                        
                    
  
                    
                        Bürgerliche Kriege.
                        
                    
 Die Königinn Anna von Oesterreich, als unum
    schränkte Regentinn, hatte den Kardinal Ma zarin zum Herrn von Frankreich und zu dem ihrigen  gemacht. Er hatte diejenige Herrschaft über sie,  welche ein geschickter Mann über eine Frau haben  mußte, welche mit genugsamer Schwachheit, sich re gieren zu lassen, und mit hinlänglicher Standhaftig keit, auf ihrer Wahl zu bestehen, gebohren war. Ob diese Königinn durch ihr Herz oder durch ihre  Staatsklugheit zu dieser Wahl gebracht worden, die ses hat man niemals erfahren können, und auch die  Scharfsichtigsten werden sich umsonst bemühen, es zu  ergründen. Mazarin bediente sich Anfangs seiner  Gewalt sehr mäßig. Man müßte lange Zeit mit ei nem Minister gelebet haben, wenn man bestimmen  wollte, welchen Grad der Schwachheit oder Stärke  sein Geist gehabt habe, und wie weit seine Klugheit
  oder seine Betrügerey gegangen sey. Ohne also erra then zu wollen, was Mazarin war, wollen wir bloß  sagen, was er gethan hat. Er bestrebte sich im An fange seiner Größe eben so viel Einfalt sehen zu las sen, als Richelieu Hoheit gezeiget hatte. Er nahm  keine Wachen an, er zog mit keiner königl. Pracht  einher, und hatte zuerst ein sehr mäßiges Gefolge.  Er brachte aller Orten Redseligkeit, ja sogar Weich lichkeit an, wo sein Vorfahrer nichts als unbewegli chen Stolz an Tag geleget hatte. Die Königinn  wollte ihre Regentschaft und ihre Person dem Hofe  und dem Volke beliebt machen, und es gelang ihr.  Gaston, Herzog von Orleans, und Bruder Ludwigs
     des XIII, nebst dem Prinzen von Conde unterstützten  ihre Gewalt, und ihre Eifersucht, gieng auf nichts,  als dem Staate zu dienen. Es waren Auflagen nöthig, den Krieg wider  Spanien und das Reich fortzusetzen. Man ordnete  einige an, welche in der That, wenn man sie mit  dem vergleicht, was wir hernach haben bezahlen müs sen, sehr mäßig waren, für die Bedürfnisse der Mo narchie aber auch nirgends zureichen wollten. Das Parlement *, welches im Besitze war, die  Ausschreibungen dieser Auflagen zu bekräftigen, setzte  sich dem Edicte des Tarifs heftig entgegen, und er langte durch die Widersprüche, womit es das Ministe rium ermüdete, das Vertrauen des Volkes. Endlich brachten zwölf neugemachte Requetenmei sterstellen, und ungefähr 80000 Thaler, welche den  Obercollegiis zurück behalten wurden, alle Gerichts personen, und mit den Gerichtspersonen ganz Paris 
                        
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                       auf. Was heut zu Tage kaum den Stoff zu einer  Zeitung geben würde, erregte damals einen bürgerli chen Krieg. Broussel, einer von den Räthen der Oberkammer,  ein Mensch ohne die geringste Fähigkeit, und welcher  keine andern Verdienste hatte, als beständig der erste  zu seyn, seine Meynung wider den Hof zu sagen,  wurde in Verhaft genommen, und seine in Verhaft nehmung fiel dem Volke schmerzlicher, als ihm der  Tod eines guten Königs jemals gefallen war. Man  sah die Barricaden der Ligue erneuern, und das Feuer  des Aufruhrs brach in einem Augenblicke aus, und  schien schwer zu löschen. Die Hand des Coadjutors,
     des nachmaligen Kardinals von Retz war es, welcher  es vermehrte. Dieses ist der erste Bischof, welcher  einen bürgerlichen Krieg angesponnen, ohne die Reli gion zum Vorwande zu brauchen. Dieser besondere  Mann hat sich in seinen Denkwürdigkeiten selbst ge schildert, welche mit einer Art von Prahlerey, mit  einem ungestümen Geiste, und mit einer Ungleichheit  geschrieben sind, welche das wahre Bild seiner Auf führung ausmachen. Er war ein Mann, welcher in  dem Schooße der Unmäßigkeit, und ganz ohnmächtig  noch von den Folgen, welche sie nach sich zieht, dem  Volke predigte, und von ihm fast angebethet wurde.  Er athmete nichts als Meuterey und Aufruhr: schon  in seinem zwanzigsten Jahre war er die Seele einer  Verschwörung wider das Leben des Richelieu gewe sen: er war der Urheber der Barricaden, er verwi ckelte das Parlement in Parteyen, und das Volk  in Aufruhre. Was das Wunderbarste dabey scheint,  ist dieses, daß das von ihm dahin gerissene Parle
 ment sich wider den Hof erhub, noch ehe es von ei nem Prinzen unterstützet wurde. Diese Versammlung war schon seit langer Zeit  von dem Hofe und dem Volke mit sehr verschiedenen  Augen angesehen worden. Wenn man der Stimme  der sämtlichen Ministers bey Hofe glaubte, so war  das Parlement zu Paris nichts als ein Gerichte, wel ches die Streitigkeiten der Bürger schlichten solle,  und welches diese Macht einzig durch den Willen der  Könige habe; es habe über die übrigen Parlemente  des Reichs keinen andern Vorzug, als den Vorzug  des Alters, und der sich am weitesten erstreckenden  Gerichtsbarkeit; es sey die Versammlung der Pairs  aus keiner andern Ursache, als weil der Hof in Pa ris seinen Sitz habe; es habe kein größer Recht Vor stellungen zu machen, als andere Parlementer, und  dieses Recht sey noch dazu eine bloße Gnade; es sey  zwar auf die Parlemente gefolget, welche ehedem die  französische Nation vorgestellet, es habe aber von  diesen alten Versammlungen nichts als den Namen:  Der unwidersprechlichste Beweis davon sey, daß die  Landstände an die Stelle dieser Nationalversammlun gen gekommen wären, und daß also das Parlement  von Paris den von unsern ersten Königen gehaltenen  Parlementern nicht mehr gleiche, als etwa ein Consul  von Smyrna oder Aleppo einem römischen Consul. Diese einzige Irrung im Namen war der Vor wand der hochmüthigen Erkühnungen einer Ver sammlung von Rechtsgelehrten, welche alle, weil sie  ihre Stellen bezahlt hatten, an der Stelle der Ueber winder von Gallien und der Lehnsherren der Krone  zu seyn glaubten. Das Parlement hatte zu allen
  Zeiten die Macht gemisbrauchet, welche sich ein Ober gerichte, das beständig in der Hauptstadt bleibt,  nothwendiger Weise anmaßet. Es hatte sich erkühnt,  einen Schluß wider Carln den VII abzufassen, und  ihn aus dem Reiche zu verbannen: es hatte einen  Criminalproceß wider Heinrichen den III angefangen:  es hatte beständig den Monarchen, so viel wie mög lich, Widerstand gethan; und während dieser Min derjährigkeit Ludewigs des XIV, unter der sanftesten  Regierung und unter der allerhuldreichsten Königinn,  wollte es einen bürgerlichenKrieg wider sein Haupt,  nach dem Exempel des englischen Parlements, führen,
     welches damals seinen König gefangen hielt, und  ihm den Kopf abschlagen ließ. Dieses waren die  Reden und die Gedanken des Cabinets. Die Bürger in Paris aber, und alle, welche von  den Gerichtspersonen abhingen, sahen in dem Parle mente eine erhabene Versammlung, welche mit einer  verehrungswürdigen Lauterkeit das Recht sprach, wel che nichts als das Wohl des Staats, und zwar mit  Hintansetzung seines Glückes, liebte, welche ihren  Ehrgeiz darauf einschränkte, daß sie den Ehrgeiz der  Lieblinge unterdrückte, und welche das Mittel zwi schen dem Volke und den Königen sey. Ohne den  Ursprung seine Rechte und seine Gewalt zu untersu chen, schrieb man ihm die allerheiligsten Rechte und  die ungezweifeltste Gewalt zu, wenn man sahe, daß  es die Sache des Volks gegen Minister führte, die  man verabscheute. Man nannte es den Vater des  Staats, und man machte wenig Unterschied unter  dem Rechte, welches die Krone den Königen giebt,
  und dem, welches dem Parlemente die Gewalt gab,  den Willen der Könige zu mäßigen. Zwischen diesen zwey Ausschweifungen war es fast  unmöglich, den gehörigen Mittelweg zu treffen, weil  man in der That keine bestätigte Gesetze dabey anfüh ren konnte, und alles von der Gelegenheit und Zeit  abgehangen hatte. Unter einer strengen Regierung  war das Parlement nichts: unter einem schwachen  Könige war es alles, und man konnte auf dasselbe  dasjenige deuten, was der Herr von Guimenee sagte,  als diese Versammlung sich unter Ludwig dem XIII  beklagte, daß die Abgeordneten des Adels den Vor zug vor ihr gehabt hätten: Meine Herren, wäh rend der Minderjährigkeit werden sie sich  schon Genugthuung zu verschaffen wissen. Man will hier nicht alles wiederholen, was man  von diesen Unruhen geschrieben hat, und ganze Bü cher abschreiben, um Kleinigkeiten aus einander zu  setzen, welche damals sehr wichtig waren, und itzo  beynahe vergessen sind. Man will nur dasjenige  anführen, was den Geist der Nation schildert, und  worinne der bürgerliche Krieg von der Schleuder von  allen andern bürgerlichen Kriegen unterschieden ist. Da eine doppelte Gewalt, welche beyde nur zur  Erhaltung des Friedens eingesetzt waren, das Erz bisthum und das Parlement nämlich, die Unruhen  angefangen hatten, so hielt das Volk alle seine Aus schweifungen für gerecht. Die Königinn konnte nie  öffentlich erscheinen, ohne beschimpft zu werden,  man nannte sie nicht anders als Frau Anne; und  wenn man ja noch einen Titel hinzufügte, so war es  ein Schimpfname. Das Volk warf ihr wüthend
  vor, daß sie den Staat der Freundschaft für den Mazarin aufopferte; und was das unerträglichste  war, so hörte sie von allen Seiten die Gassenhauer  und Liederchen, welche, als Denkmäler der giftigen  Spötterey, den Zweifel an ihrer Tugend verewigen  zu wollen schienen. Sie flohe mit ihren Kindern aus Paris: ihr Mi nister, der Herzog von Orleans, der Bruder Lude wigs des XIII, der große Conde selbst thaten ein glei ches, und begaben sich nach St. Germain. Man ward  genöthiget, die Edelsteine und die Krone bey Wuche rern zu versetzen. Dem Könige fehlte oft das Noth wendige. Seine Kammerpagen bekamen den Ab schied, weil man sie nicht länger unterhalten konnte.  Zu eben dieser Zeit war sogar die Muhme
                    Ludewigs  des XIV, die Tochter Heinrichs des Großen, und
     Gemahlinn des Königs von England, welche ihre  Zuflucht nach Paris genommen hatte, in die äußerste  Armuth gerathen, und ihre Tochter, welche hernach
     an den Bruder
                    Ludewigs des XIV verheirathet wurde,  mußte im Bette liegen bleiben, weil sie sich sonst  nicht wärmen konnte. Auf alle die Trübsalen so vie ler königlichen Personen gab das Volk zu Paris,  welches in seiner Wuth ertrunken war, nicht die ge ringste Acht. Die Königinn bath, mit thränenden Augen, den
    Prinzen von Conde, des Königs Beschützer zu seyn.  Der Sieger bey Rocroy, bey Freyburg, bey Lens  und bey Nördlingen konnte sich so vielen geleisteten  Diensten nicht unähnlich erzeigen. Die Ehre einen Hof, welchen er für undankbar hielt, zu vertheidi gen, und ihn wider die Schleuder zu vertheidigen,
  welche ihn an sich zu ziehen suchte, schmeichelte ihm.  Das Parlement hatte also den großen Conde zu be streiten, und es war kühn genug den Krieg fort zusetzen. Der Prinz von Conty, der Bruder des großen Conde, welcher auf seinen ältesten Bruder eben so  eifersüchtig als unfähig war, ihm zu gleichen, der
        Herzog von Longueville, der Herzog von Beaufort,
         der Herzog von Bouillon, welche der unruhige Geist  des Coadjutors erreget hatte, und welche sich nach  nichts, als nach Veränderungen, sehneten, schmeichelten  sich, ihre Größe auf den Untergang des Staats grün den zu können, und die blinden Bewegungen des  Parlements nach ihren besondern Absichten zu brau chen. Sie kamen also und trugen ihm ihre Dienste  an. Man ernennte in der Oberkammer die Generale  einer Armee, die man nicht hatte. Jeder nahm es  auf sich, eine gewisse Anzahl Truppen zu stellen.  Es waren zwanzig Räthe darunter, welche neue von
         dem Kardinal von Richelieu gemachte Stellen be kleideten. Ihre Mitbrüder schienen, aus einer Nie derträchtigkeit des Geistes, deren jede Gesellschaft  fähig ist, das Andenken des Richelieu bis in ihren Tod  zu verfolgen. Sie überhäuften sie mit Verachtung,  und wollten sie nicht einmal als Glieder des Parle ments ansehen. Jeder von ihnen mußte 15000 Livers  zu den Unkosten des Krieges hergeben, die Duldung  ihrer Mitbrüder dadurch zu erkaufen. Die Oberkammer, der Inquisitionsrath, die Re quetenkammer, die Rechnungskammer, die Rent kammer, welche so heftig wider eine geringe und nö thige Auflage, die sich kaum auf 100000 Thlr. be
 lief, geschrien hatten, brachten bey nahe nach heuti gem Gelde eine Summe von zehn Millionen zusam men, ihr Vaterland umzustürzen. Durch einen  Parlementsschluß warb man zwölftausend Mann,  und jeder Thorweg mußte einen Mann und ein Pferd  geben. Diese Reuterey hieß die Reuterey der  Thorwege. Der Coadjutor hatte ein eignes Regi ment, welches man das corinthische Regiment nannte,  weil der Coadjutor den Titel eines Bischofs von Co rinth hatte. Ohne die Namen eines Königs von Frankreich,  eines großen Conde, einer Hauptstadt des Reichs,  würde dieser Schleuderkrieg eben so lächerlich gewesen  seyn, als der Krieg der Kardinäle Barbarini. Man  wußte nicht, warum man in Waffen war. Der
    Prinz von Conde belagerte fünf hundert tausend Bür ger mit acht tausend Soldaten. Die Pariser zogen  zu Felde mit Federn und Bändern geschmückt; ihre  Kriegsübungen wurden der Stoff zu den Spöttereyen  der Handwerksleute. Sie flohen, wann ihnen nur  zweyhundert Mann von der königl. Armee aufstießen.  Alles ward in Scherz verwandelt: als das corinthi sche Regiment von einer kleinen Partey war geschla gen worden, so nannte man diesen Verlust, die erste  an die Corinthier. Die zwanzig Räthe, der jeder funfzehn tausend  Livres hatte hergeben müssen, hatten keine andere  Ehre, als die Funfzehnzwanziger genannt zu  werden. Der Herzog von Beaufort, das Götzenbild des  Pöbels, und das Werkzeug, dessen man sich ihn auf zubringen bediente, ein Prinz von gemeinem Umgange,
  von einem sehr eingeschränkten Geiste aber, war öf fentlich der Gegenstand der Spötterey des Hofes und  der Schleuder selbst. Man redete niemals anders  von ihm, als unter dem Namen des Jahrmarktsköni ges. Die parisischen Truppen, welche aus Paris  giengen, und allezeit geschlagen wieder kamen, wur den mit dem schmählichsten Hohngelächter empfan gen. Man machte diese kleinen Verluste durch nichts  als durch Gassenhauer und Sinnschriften wieder gut.  Die Wirthshäuser, und andere lüderliche Oerter  waren die Zelter, wo man, mitten unter Schäcke reyen, Liedern und den ungezogensten Ergötzungen,  Kriegsrath hielt. Die Frechheit war so ausgelassen,  daß die vornehmsten Officier von der Schleuder, als  sie einmal des Nachts das heil. Sacrament antraf fen, welches man durch die Straßen zu einem Man ne tragen wollte, den man in Verdacht hatte von des Mazarins Partey zu seyn, die Priester mit Schlä gen wieder zurück jagten. Man sahe den Coadjutor, den Erzbischof von Pa ris, mit einem Dolche in der Tasche Sitz im Parle mente nehmen. Als man den Heft davon gewahr  ward, so schrie man: seht da, das Breviarium  unsers Erzbischofs. Mitten unter diesen Unruhen versammlete sich der  gesammte Adel bey den Augustinern, und hielt öffent lich ordentliche Sitzungen. Man hätte glauben sol len, es geschähe dieses zur Besserung des Staats,  und in der Absicht, die Generalstaaten zusammen zu  bringen. Allein nichts als ein Tabouret war die Ur sache davon, welchen die Königinn der Frau von  Pons zugestanden hatte. Vielleicht hat man nie
  einen deutlichern Beweis von der Leichtsinnigkeit,  welche man damals den Franzosen vorwarf, aufzu weisen gehabt. Die bürgerlichen Uneinigkeiten, welche zu gleicher  Zeit England durchwütheten, dienen sehr wohl, den Character beyder Völker zu entwerfen. Die Eng länder verknüpften mit ihren Unruhen eine melancho lische Blutgier und eine überligende Wuth; sie hiel ten blutige Schlachten, und das Schwerdt mußte al les entscheiden; die Henkersbühnen waren für die  Ueberwundenen aufgerichtet; ihr in der Schlacht ge fangener König ward vor eine Gerichtsversammlung  geführet, über den MisbranchMisbrauch, den er von seiner  Gewalt sollte gemacht haben, verhöret; verdammt  den Kopf zu verlieren, und vor dem Angesichte seines  ganzen Volkes mit eben so viel Ordnung und rechtli chen Gebräuchen hingerichtet, als wenn es ein straf barer Bürger gewesen wäre. Alle diese erschreckli chen Unruhen giengen vor, ohne daß man in London  das geringste von dem Elende, welches mit den bür gerlichen Kriegen verbunden ist, empfand. Die Franzosen gegentheils verwickelten sich in den  Aufruhr bloß und allein aus Eigensinn, und mit La chen. Die Weiber waren an der Spitze der Par teyen; die Liebe machte und trennte Verbindungen.
     Die Herzoginn von Longueville reizte den Turenne,  welcher kaum Marschall von Frankreich geworden  war, die Armee, welche er für den König anführte,  zu einem Aufstande zu bewegen *. Es gelung Tu rennen nicht; er verließ als ein Flüchtling die Armee,  deren General er war, einer Frau zu gefallen, welche 
                        
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                       seine Leidenschaft verhöhnte. Er ward aus einem  Generale des Königs von Frankreich, ein Lieutenant  des Don Estevan von Gamarre, mit welchem er von  den königl. Truppen bey Retel geschlagen wurde.  Das Handschreiben des Marschalls von Hoquincourt  an den Herzog von Montbazon ist bekannt: Per-  ronne est à la Belle des Belles. Peronne ist der  Schönen unter den Schönen. Man weiß die
     Verse des Herzogs von Rochefoucault an die Herzo ginn von Longueville, als er in der Schlacht bey S.  Antoine von einer Musketenkugel getroffen ward,  und eine Zeitlang das Gesichte darüber verlor. Pour meriter son coeur, pour plaire à ses beaux  yeux  J'ai fais la guerre aux Rois, je l'aurois faite aux  Dieux. „Ihr Herz zu verdienen, ihren schönen Au gen zu gefallen, habe ich mit Königen Krieg  geführt, und würde ihn mit Göttern ge führt haben„. Der Krieg endigte sich, und fing sich verschiedene  mal wieder von neuem an. Es war kein einziger,  welcher nicht mehr als einmal die Partey hätte ver
    ändert gehabt. Der Prinz von Conde, nachdem er  den Hof im Triumphe wieder nach Paris zurück ge führet hatte, überließ sich dem Vergnügen ihn zu  verachten, nachdem er ihn vertheidiget hatte; und  weil er fand, daß man ihn nicht seinem Ruhme und  seinen Verdiensten gemäß belohnte, so war er der  erste, welcher den Mazarin lächerlich machte, der  Königinn Hohn sprach, und sich gegen eine Regie rung auflehnte, welche er verschmähte. Er schrieb,
  wie man erzählt, an den Kardinal à l' illustrissimo  Signor Taquino*. Er sagte einmals zu ihm: lebt  wohl, Mars. Er munterte einen gewissen Mar quis von Jarsay auf, der Königinn eine Liebeserklä rung zu thun, und nahm es übel, daß sie sich dadurch  beleidigt finden wollte. Er verband sich mit dem
     Prinz von Conty, seinem Bruder, und mit dem
    Herzoge von Longueville, welche die Partey der  Schleuder verließen. Der Coadjutor, welcher sich als den unversöhnlich sten Feind des Ministerii erkläret hatte, vertrug  sich heimlich wieder mit dem Hofe, um den Kardi
    nalshut zu erhalten, und opferte den Prinz von  Conde der Rache des Ministers auf. Endlich sahe  sich dieser Prinz, welcher den Staat gegen die Fein de, und den Hof gegen die Rebellen vertheidiget  hatte; Conde, auf der höchsten Stufe der Ehre,  welcher sich allezeit als ein Held und niemals als ein  geschickter Mann aufgeführet hatte, sahe sich nebst
     dem Prinzen von Conty und dem Herzoge von Lon gueville in Verhaft genommen **. Er hätte den  Staat regieren können, wenn er nur zu gefallen ge sucht hätte: allein er begnügte sich, bewundert zu  werden. Der Pöbel in Paris, welcher einem elen den Rathe zu gefallen, Barricaden gemacht hatte,  stellte Freudenfeuer an, als man den Vertheidiger  und den Helden Frankreichs in das Gefängniß nach  Vincennes brachte. 
                        
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                      Ein Jahr darauf nöthigten eben diese Schleuderer,
     welche den großen Conde und die Prinzen der furcht samen Rache des Mazarins verkauft hatten, die Kö niginn, ihnen das Gefängniß öffnen zu lassen, und  ihren ersten Minister aus dem Reiche zu verjagen. Conde kam unter den Zurufungen des Volks wieder,  welches ihn vorher so gehaßt hatte. Seine Gegen wart erneuerte die Meutereyen und Uneinigkeiten. In dieser Verzehrung blieb das Reich noch einige  Jahre. Die Regierung nahm niemals andere als  schwache und ungewisse Rathschlüsse: sie schien endlich  unterliegen zu müssen: die Rebellen aber waren be ständig uneins, und dieses errettete den Hof. Der
     Coadjutor, welcher bald des Prinzen von Conde Freund  bald Feind war, brachte einen Theil des Parlements  und des Volks wider ihn auf. Er unterstand sich zu  gleicher Zeit der Königinn zu dienen, indem er diesem  Prinzen die Spitze hielt, und sie zu beleidigen, indem  er sie nöthigte, den Kardinal Mazarin zu entfernen,  welcher seine Zuflucht nach Cöln nahm. Die Kö niginn war, vermöge des Widerspruchs, welcher  bey schwachen Regierungen nur allzu gewöhnlich ist,  genöthiget, sowohl seine Dienste als seine Beleidi gungen anzunehmen, und eben den Coadjutor zum  Kardinal zu ernennen, welcher der Urheber der Bar ricaden war, und die ganze königliche Familie ge nöthiget hatte, aus der Hauptstadt zu entweichen  und sie zu belagern.  
                        Viertes Hauptstück.
                        
                    
  
                    
                        Verfolg des bürgerlichen Krieges  bis zum Ende des Aufstandes  im Jahre 1554.
                        
                    
 Endlich entschloß sich Conde zu einem Kriege,  welchen er gleich zur Zeit der Schleuder hätte  anfangen sollen, wenn er hätte Herr des Staats seyn wollen, oder den er niemals hätte führen  müssen, wenn er ein Bürger gewesen wäre. Er  gieng aus Paris, er brachte Guienne, Poitou und  Anjou auf, und bettelte Hülfe bey den Spaniern,  deren schrecklichste Geißel er gewesen war. Nichts zeiget die Tollheit der damaligen Zeit,  und die Unordnung, mit welcher alle Unternehmun gen geführet wurden, deutlicher, als das, was die sem Prinzen damals widerfuhr. Man schickte ihm  einen Curier von Paris mit Vorschlägen, welche ihn  zur Rückkunft und zum Frieden bewegen sollten.  Der Curier betrog sich, und anstatt nach Angerville  zu gehen, wo der Prinz damals war, gieng er nach  Augerville. Der Brief kam zu späte. Conde sagte,  wenn er ihn eher erhalten hätte, so würde er die  Friedensvorschläge angenommen haben; weil er aber  schon zu weit von Paris sey, so verlohne es sich nicht  der Mühe, wieder zurück zu kehren. Das Misver ständniß eines Curiers also, und der bloße Eigen
 sinn dieses Prinzen stürzte Frankreich vom neuen in  den bürgerlichen Krieg. Nunmehr kehrte der Kardinal Mazarin, welcher  aus dem Innersten seiner Verbannung von Cöln aus,  den Hof regieret hatte, in das Königreich zurück,  nicht so wohl als Minister, welcher seine Stelle wie der einnähme, sondern als Oberhaupt, welches sich  wieder in den Besitz seiner Staaten setzte. Er wurde  von einer kleinen Armee begleitet, welche aus sieben  tausend Mann bestand, die er auf seine Unkosten,  das ist, mit dem Gelde des Königreichs, welches er  sich anmaßte, hatte werben lassen. Man läßt den König in einer Declaration dama liger Zeit sagen; daß der Kardinal diese Truppen  wirklich von seinem Gelde angeworben habe. Dieses  mag die Meynung derjenigen widerlegen, welche  vorgeben, Mazarin habe sich bey seiner ersten Flucht  aus dem Königreiche in Bedürfniß befunden. Die  Anführung seiner kleinen Armee übergab er dem
    Marschalle von Hoquincourt. Alle Officiere trugen  grüne Binden, dieses war die Livreyfarbe des Kar dinals. Damals hatte jede Partey ihre besondere  Binde. Die Partey des Königs trug weiße Bin
    den, die Partey des Prinzen von Conde isabellfär
    bige. Es war zum Erstaunen, daß der Kardinal  Mazarin, welcher sich bisher so bescheiden gestellet  hatte, die Verwegenheit besaß, eine Armee seine  Livrey tragen zu lassen, als ob er eine andere Partey  als die Partey seines Herrn gehabt hätte. Doch er  konnte dieser Eitelkeit nicht widerstehen. Die Kö niginn billigte sie. Der König, welcher schon mün
    dig war, und sein Bruder kamen ihm entgegen. Auf die erste Nachricht seiner Zurückkunft warb Gaston von Orleans, der Bruder Ludewigs des XIII, welcher die Entfernung des Kardinals zuwege  gebracht hatte, in Paris Truppen, ohne eigentlich  zu wissen, wozu sie sollten gebraucht werden. Das  Parlement erneuerte seine Schlüsse, es erklärte den Mazarin in die Acht, und setzte einen Preis auf sei nen Kopf. Man mußte in den Registern nachsehen,  welches der Preis auf den Kopf eines Feindes des  Vaterlandes sey. Man fand, daß man unter dem
    neunten Carl demjenigen öffentlich funzig tausend  Thaler versprochen hatte, welcher den Admiral Co ligny lebendig oder todt liefern würde. Man glaubte  in allem  Ernste sehr regelmäßig zu verfahren, wenn  man eben den Preis auf die Ermordung des Kardi nals und ersten Ministers setzte. Doch diese in die  Achterklärung setzte niemanden in Versuchung, die  funfzig tausend Thaler zu verdienen, welche am Ende  gewiß nicht würden seyn bezahlet worden. Bey ei nem andern Volke, und zu einer andern Zeit, würde  dieser Rechtsschluß seine Ausführer gefunden haben;  damals aber diente er zu nichts, als zu neuen Spöt tereyen. Die Blots und die Marignys, witzige  Köpfe, welche mitten unter diesen Unruhen zu lachen  machten, ließen in Paris eine Eintheilung von hun dert und funfzig tausend Livres anschlagen; so wohl  für den, welcher dem Kardinale die Nase oder ein  Ohr abschneiden würde, als für den, welcher ihm  ein Auge ausstechen oder ihn zum Verschnittenen ma chen würde. Dieses Lächerliche war die ganze Wir kung der in die Achterklärung. Der Kardinal seiner  Seits gebrauchte gegen seine Feinde weder Gift noch
  Mord; und, ungeachtet der Bitterkeit und Raserey  so vieler Parteyen, wurden doch nicht viele große  Verbrechen begangen. Die Anführer der Parteyen  waren nicht sehr grausam, und das Volk nicht sehr  wüthend; denn es war kein Religionskrieg. Der Geist des Schwindels, welcher zu dieser Zeit  herrschte, besaß das ganze Parlement von Paris  so sehr *, daß es, nachdem es einen Mord befohlen  hatte, worüber man lachte, einen Schluß faßte,  vermöge dessen verschiedene Räthe sich an die Grän
    zen begeben mußten, um von der Armee des Kardi nals Mazarin, das ist, von der königlichen Armee,  Nachricht einzuziehen. Zween Räthe waren so unvorsichtig, daß sie mit  einigen Bauern herumgiengen, und die Brücken ab brachen, über welche der Kardinal ziehen mußte.  Sie wurden von den Truppen des Königs gefangen  genommen, mit Nachsicht losgelassen, und von allen  Parteyen verspottet. Gleich zu eben der Zeit, als sich diese Versamm lung wider den Minister des Königs zu solchen Aus
    schweifungen bringen ließ, erklärte sie den Prinzen von  Conde, welcher doch wider niemanden, als wider eben  diesen Minister, zu den Waffen gegriffen hatte, des  Verbrechens der beleidigten Majestät schuldig; und  befahl aus einer Verwirrung des Geistes, welche alle  die vorhergehenden Unternehmungen glaublich ma chen, daß die Truppen des Gastons, Herzogs von  Orleans, wider den Mazarin aufbrechen sollten,  verboth aber zugleich, nicht einen Heller aus den 
                        
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                       öffentlichen Einnahmen, zu ihrer Besoldung, zu  nehmen. Was konnte man anders von einer Rathsversamm lung erwarten, welche, außer ihre Sphäre versetzt,  weder ihre Rechte, noch ihre wirkliche Gewalt, noch  die politischen Angelegenheiten, noch den Krieg kannte,  welche sich in der größten Unordnung versammelte  und entschied, und sich zu Sachen entschloß, woran  sie den Tag zuvor nicht gedacht hatte, und worüber  sie hernach selbst erstaunete. Das Parlement zu Bourdeaux war damals dem
    Prinzen von Conde zugethan. Es war aber in seiner  Aufführung viel einförmiger, weil es von dem Hofe  entfernter und also durch die gegenseitige Partey we niger beunruhiget war. Doch weit wichtigere Gegenstände machten ganz Frankreich aufmerksam. Conde, welcher sich mit den Spaniern verbunden  hatte, war wider den König zu Felde; und Turenne,  nachdem er eben die Spanier verlassen hatte, mit  welchen er bey Retel war geschlagen worden, söhnte  sich wieder mit dem Hofe aus, und führte die kö nigliche Armee an. Die erschöpften Finanzen er laubten weder der einen noch der andern Partey  große Heere zu haben; doch die kleinen entschieden  das Schicksal des Staats eben so wohl. Es giebt  Zeiten, wo hundert tausend Mann im Felde kaum  zwey Städt einnehmen können; es giebt andere, wo  eine Schlacht zwischen sieben oder acht tausend Mann  einen Thron umstürzt, oder befestiget. Ludewig der XIV, welcher in lauter Widerwärtig keiten erzogen ward, zog mit seiner Mutter, seinem
 Bruder und dem Kardinal Mazarin aus einer Pro vinz in die andere, und hatte kaum so viel Truppen  um sich, als er nach der Zeit im Frieden bloß zu sei ner Leibwache hatte. Fünf bis sechs tausend Mann,  wovon ein Theil aus Spanien gekommen, der andere
     von den Freunden des Prinzen von Conde geworben  worden, verfolgten ihn in dem Innersten seines Kö nigreichs. Der Prinz von Conde unterdessen streifte von  Bourdeaux nach Montauban, nahm Städte ein,  und vermehrte überall seine Partey. Die ganze Hoffnung des Hofes war auf den Mar schall von Turenne gegründet. Die königliche Armee  befand sich bey Gien an der Loire. Die Armee des
    Prinzen von Conde stand einige Meilen davon, un
    ter der Anführung des Herzogs von Nemours und
     des Herzogs von Beaufort. Die Uneinigkeit dieser  zwey Generale wäre der Partey des Prinzen beynahe
     verderblich gewesen. Der Herzog von Beaufort  war zu dem allergeringsten Commando unfähig. Der
    Herzog von Nemours ward für tapferer und liebens würdiger als geschickt gehalten. Beyde zugleich  ruinirten ihre Armee. Die Soldaten wußten, daß  der große Conde hundert Meilen entfernt sey, und  hielten sich schon für verloren, als sich mitten in der  Nacht ein Curier in dem Walde von Orleans vor  der Hauptwache sehen ließ. Die ausgestellten Wa
    chen sahen gleich, daß dieser Curier der Prinz von  Conde selbst sey, welcher von Agen verkleidet an kam, und nach hundert Abentheuern, sich an die  Spitze seiner Armee stellte. Seine Gegenwart that viel, und diese unvermu thete Ankunft noch mehr. Er wußte, daß alles,  was plötzlich und unerwartet kömmt, die Menschen  außer sich setzt. Er machte sich den Augenblick das  Vertrauen und die Kühnheit, welche er einflößte, zu  Nutze. Die große Eigenschaft dieses Prinzen im  Kriege war, daß er auf einmal die allerverwegensten  Entschlüsse fassen, und sie mit eben so viel Klugheit  als Geschwindigkeit ausführen konnte. Die königliche Armee war in zwey Heere vertheilt. Conde stürzte sich auf dasjenige, welches bey Blenau
     stand, und von dem Marschall von Hoquincourt an geführet wurde. Dieses Heer ward zu gleicher Zeit  zerstreuet und angegriffen. Man konnte es Turennen  nicht wissen lassen. Der Kardinal Mazarin war  voller Erschrecken, begab sich eilend mitten in der  Nacht nach Gien, und weckte den König aus dem  Schlafe, ihm Nachricht davon zu geben. Sein  kleiner Hof ward bestürzt, man schlug dem Könige  vor, sich durch die Flucht zu retten, und sich in aller  Stille nach Bourges bringen zu lassen. Der siegende
    Prinz von Conde nahete sich der Stadt Gien, und  die allgemeine Furcht ward immer stärker und stärker. Turenne brachte durch seine Standhaftigkeit vielen  neuen Muth bey, und errettete den Hof durch seine  Geschicklichkeit. Er machte mit den wenigen Trup pen, welche ihm übrig waren, so glückliche Bewe gungen, und nutzte Zeit und Ort so wohl, daß er  den Conde verhinderte, seinen Vortheil zu verfolgen.  Nunmehr war es schwer zu entscheiden, welcher die  meiste Ehre erlangt habe, ob der siegende Conde,  oder Turenne, welcher ihm die Frucht des Sieges
  entrissen hatte. Es ist wahr, daß in dieser Schlacht  bey Blenau, welche seit so langer Zeit in Frankreich  berühmt ist, kaum vierhundert Mann blieben; nichts
     destoweniger aber war der Prinz von Conde auf dem  Puncte, die ganze königliche Familie in seine Gewalt  zu bekommen, und sich seines Feindes, des Kar dinals Mazarin, zu bemächtigen. Man konnte keine  kleinere Schlacht, keinen größern Antheil dabey, und  keine dringendere Gefahr sehen. Conde, welcher sich nicht schmeichelte, Turennen zu
     überraschen, wie er den Hoquincourt überrascht hatte,  ließ seine Armee gegen Paris anrücken. Er eilte, in  dieser Stadt seines Ruhms zu genießen, und sich die  vortheilhaften Gesinnungen des blinden Volks zu  Nutze zu machen. Die Verwunderung, welche man  über die letzte Schlacht bezeugte, und wovon man  die Umstände vergrößerte, der Haß, welchen man  gegen den Mazarin hegte, der Name und die Gegen wart des großen Conde schienen ihn anfangs zum un umschränkten Herrn der Hauptstadt zu machen. In  der That aber waren alle Gemüther getheilet; jede  Partey bestund aus kleinen Parteyen, so wie es bey  allen Trubeln zu geschehen pflegt. Der Coadjutor,  welcher Kardinal von Retz geworden war, und sich,  dem Ansehen nach, mit dem Hofe, welcher ihn fürch tete, und dem er nicht trauete, ausgesöhnet hatte,  war nicht mehr Herr des Volkes, und spielte nicht  mehr die vornehmste Person. Er beherrschte den
    Herzog von Orleans, und war dem Prinz von Conde  entgegen. Das Parlement schwebte zwischen dem
     Hofe, dem Herzoge von Orleans und dem Prinzen;  alle aber kamen darinne überein, auf den Mazarin
                      zu schimpfen. Jeder hatte insgeheim seine besondern  Absichten; das Volk war ein stürmisches Meer,  dessen Wellen von entgegenstehenden Winden auf Ge rathewohl getrieben wurden. Man sahe nichts als Unterhandlungen unter den  Häuptern der Partey, Abordnungen des Parlements,  Versammlungen der Kammern, Aufruhr unter dem  Pöbel, und Kriegsleute auf dem Felde. Der Prinz
     hatte die Spanier zu Hülfe gerufen. Carl der IV,  der aus seinen Staaten vertriebene Herzog von  Lothringen, dessen ganzes Vermögen in einer Armee  von acht tausend Mann bestand, welche er alle Jahre  an den König von Spanien verkaufte, näherte sich
     mit dieser Armee der Stadt Paris. Der Kardinal  Mazarin both ihm mehr Geld an, wenn er wieder  zurück kehren wollte, als ihm die Partey des Conde  gegeben hatte, herbey zu kommen. Der Herzog von  Lothringen verließ Frankreich gar bald, nachdem er  es überall, wodurch sein Zug gieng, verwüstet hatte,  und nahm von beyden Parteyen das Geld mit weg. Conde blieb also in Paris mit einer Gewalt, wel che alle Tage geringer ward, und mit einer noch  schwächern Armee. Turenne führte den König und  seinen Hof nach Paris zu. Der König sah im 15ten  Jahre seines Alters von der Höhe des Berges Cha ronne die Schlacht bey St. Antoine, wo die beyden  Generals mit so wenig Truppen so große Dinge tha ten, daß der Ruhm sowohl des einen als des andern,  von welchem es schien als ob er nicht höher wachsen  könnte, dadurch vermehret wurde. Mit einer kleinen Anzahl von Vornehmen, die sei ner Partey zugethan waren, und mit sehr wenig Sol
 daten ward die ganze Macht der königl. Armee von
     dem Prinzen von Conde aufgehalten und zurück ge trieben. Der König sah nebst dem Kardinal Maza rin dieses Treffen von der Höhe eines Berges mit  an. Der Herzog von Orleans war ungewiß, zu  welcher Partey er treten sollte, er blieb also in seinem  Pallaste von Luxenburg ruhig. Der Kardinal von  Retz hatte sich in sein Erzbisthum gezogen. Das  Parlement wartete auf den Ausgang der Schlacht,  seinen Schluß darnach einzurichten. Das Volk,  welches damals sowohl die Truppen des Königs als  die Truppen des Prinzen fürchtete, hatte die Thore  der Stadt verschlossen, und ließ niemanden weder  aus noch ein, da unterdessen die größten Männer Frankreichs im Treffen wütheten und ihr Blut in der  Vorstadt vergossen *. Hier war es, wo der Herzog  von Rauchefoucoult, welchen Muth und Witz so be rühmt gemacht haben, unter den Augen verwundet  wurde, daß er auf einige Zeit das Gesichte darüber  verlor. Man sah nichts als verwundete oder getöd tete junge Herren, die man an das Thor des heil. Anto nius brachte, welches nicht aufgemacht ward. Endlich erwählte die Tochter des Gaston die Par
    tey des Prinzen von Conde, welchem ihr Vater bey zustehen sich nicht getrauet hatte. Sie ließ den Ver wundeten die Thore aufmachen, und hatte die Kühn heit, die Canone auf der Bastille auf die Truppen  des Königs losfeuren zu lassen. Die königl. Armee  zog sich zurück, und Conde erhielt nichts als Ruhm.
     Die Tochter des Gaston aber machte sich in dem Ge müthe des Königs durch diese gewaltsame Handlung, 
                        
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                       auf ewig verhaßt; und der Kardinal Mazarin, wel cher ihre außerordentliche Begierde kannte, mit einem  gekrönten Haupte vermählt zu seyn, sagte damals: Diese Canone hat ihren Gemahl getödtet. Die meisten von unsern Geschichtschreibern prahlen  gegen ihre Leser mit nichts als diesen Schlachten und  Wundern der Herzhaftigkeit und der Staatskunst.  Wer aber weiß, was für schimpflicher Hülfsmittel  man sich damals bediente, in welches Elend man das  Volk zu stürzen verbunden war, und zu welchen Nie derträchtigkeiten man gebracht ward, der muß den  Ruhm der Helden dieser Zeit mehr mit Erbarmung  als mit Verwunderung ansehen. Man mag aus den  einzigen Zügen davon urtheilen, welche Gourville,  ein Mann, der dem Prinzen zugethan war, anbringt.  Er gesteht, daß er selbst, um ihm Geld zu verschaf fen, eine Casse bestehlen und einen Postdirector aus  seinem Hause fortgeschleppet habe, welcher sich her nach hätte müssen auslösen; und diese Gewaltsamkei ten erzählt er als damals ganz gewöhnliche Sachen. Nach dem blutigen und unnützen Treffen bey St.  Antoine, konnte der König weder nach Paris kom men, noch der Prinz lange daselbst verbleiben. Ein  Aufstand des Pöbels und die Einwendung einiger Bürger, wovon man ihn zum Urheber machte, zogen  ihm den Haß des ganzen Volkes zu. Unterdessen  hatte er doch noch seine Partey im Parlemente.  Diese Versammlung, welche damals von einem flüch tigen und aus der Hauptstadt vertriebenen Hofe we nig zu fürchten hatte, erklärte durch einen Parlements schluß, auf Anliegen der Parteyen des Herzogs von  Orleans und des Prinzen, den Herzog von Orleans
                      zum Generallieutenant des Königreichs, und den
    Prinz von Conde zum Generalißimus seiner Armeen.  Der erbitterte Hof befahl dem Parlemente, sich nach  Pontoise zu begeben; und einige Räthe gehorchten  auch. Man sah also zwey Parlemente, deren jedes  dem andern sein Ansehen absprach, und welche beyde  sich widersprechende Schlüsse faßten, und sich dadurch  die Verachtung des Volkes gewiß würden zugezogen  haben, wenn sie nicht noch darinnen einig gewesen  wären, daß sie beyde die Vertreibung des Mazarins  verlangten; denn der Haß gegen diesen Minister schien  damals die wesentlichste Schuldigkeit eines Franzosen  zu seyn. Zu dieser Zeit waren alle Parteyen schwach, und  die Partey des Hofes war es eben sowol wie die an dern. Geld und Nachdruck fehlten überall. Die  Rotten vermehrten sich; und die Schlachten hatten  auf beyden Seiten nichts als Verlust und Reue ver ursachet. Der Hof sah sich genöthiget, abermals  den Mazarin aufzuopfern, welchen jedermann für  die Ursache der Unruhen hielt, und welcher doch nur  der Vorwand davon war. Er verließ das Reich  zum zweytenmale; und zur Vermehrung der Schan de, mußte der König eine öffentliche Declaration er gehen lassen, worinnen er seinen Minister verweisen  mußte, ob er gleich seine Dienste rühmte und sich  über seine Verbannung beklagte *. Carl der erste, König in England, hatte seinen  Kopf auf der Henkerbühne hergegeben, weil er zu  Anfange der Unruhen das Blut seines ersten Mini sters des Strafords seinem Parlemente Preis gege 
                        
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                       ben hatte. Ludewig der XIV gegentheils, kam in  den ruhigen Besitz seines Königreichs, indem er die  Verweisung des Mazarins duldete. Eben dieselben  Schwachheiten, hatten also ganz verschiedene Folgen.  Der König in England, indem er seinen Liebling auf gab, machte ein Volk kühne, welches sich nach dem  Kriege sehnte, und die Könige haßte; und Ludewig  der XIV, (oder vielmehr die Königinn Mutter) in dem sie den Kardinal fortschickte, benahm allen Vor wand des Aufstandes einem Volke, welches des Krie ges müde war, und die Beherrschung von Königen  liebte. Kaum war der Kardinal fort, sich an den Ort  seiner Zuflucht nach Bouillon zu begeben, als die  Bürger von Paris aus eigner Bewegung Abgeord nete an den König schickten, und ihn, in die Haupt stadt zurück zu kommen, bitten ließen. Er kam wie der, und alles war daselbst so stille, daß man sich  unmöglich einbilden konnte, daß einige Tage vorher  alles in Verwirrung gewesen sey. Gaston von Or leans, welcher allezeit in seinen Unternehmungen, die  er nicht ausführen konnte, unglücklich war, ward  nach Blois verwiesen, wo er den Rest seines Lebens  in Reue zubrachte, und der zweyte Sohn Heinrichs  des Großen war, welcher ohne vielen Ruhm starb.
     Der Kardinal von Retz, der vielleicht eben so unver schämt als erhaben und kühn war, ward im Louvre  gefangen gehalten, und führte, nachdem er aus einem  Gefängnisse in das andere geschleppt worden, lange  Zeit ein irrendes Leben, welches er endlich in der Ein samkeit beschloß, wo er Tugenden erlangte, die sein
  großer Muth in den Unruhen seines Glückes nicht  hatte fassen können. Einige Räthe, welche ihr Ansehen am meisten ge misbrauchet hatten, mußten ihre Unternehmungen  mit dem Elende bezahlen; andere schränkten sich in  die Gränzen ihres gerichtlichen Amts ein, und noch  andere wurden durch ein jährliches Geschenke von
     fünfhundert Thalern, welches ihnen Fouquet, der  Generaldirector der Finanzen, unter der Hand aus zahlen ließ, zu ihrer Schuldigkeit gebracht *. Der Prinz von Conde unterdessen, welcher in  Frankreich fast von allen seinen Freunden verlassen  war, und von den Spaniern wenig Beystand erhielt,  setzte an den Gränzen von Champagne einen unglück lichen Krieg fort. In Bourdeaux waren noch einige  Rotten übrig, doch auch diese wurden gar bald  getilget. Die Ruhe des Königreichs war die Frucht der
     Verbannung des Kardinals Mazarin. Kaum aber  war er durch das allgemeine Geschrey der Franzosen,  und durch eine Declaration des Königs verjagt wor den, als ihn der König wiederkommen ließ. Er er staunte, daß er so ruhig und gewaltig wieder nach  Paris kommen konnte. Ludewig der XIV empfing  ihn als einen Vater, und das Volk als einen Herrn.  Man stellte ihm zu Ehren in dem Rathhause ein Fest  an, mitten unter den freudigen Zurufungen der Bür ger. Er warf Geld unter den Pöbel aus; man sa get aber, daß er, bey der Freude einer so glücklichen  Veränderung, nicht wenig Verachtung gegen unsere
    
                        
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                       Unbeständigkeit habe blicken lassen. Das Parlement,  welches einen Preis auf seinen Kopf, als auf den  Kopf eines Straßenräubers, gesetzet hatte, ließ ihn  durch Abgeordnete bewillkommen; und eben dieses
     Parlement verdammte kurze Zeit darauf den Prinz  von Condeper contumaciam, das Leben zu verlieren;  eine Veränderung, welche in dergleichen Zeiten sehr  gemein und desto erniedrigender war, da man denje nigen verdammte, an dessen Fehlern man so lange  Zeit Antheil genommen hatte *. Man sahe den Kardinal, welcher am meisten auf  diese Verdammung drang, eine von seinen Nichten
     mit dessen Bruder dem Prinz von Conty verheirathen, zum Beweise, daß die Gewalt dieses Ministers  ohne Gränzen seyn solle. 
                        
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                        Fünftes Hauptstück.
                        
                    
  
                    
                        Frankreichs Zustand bis zuCrom welsTode, und der Reise der Kö niginn Christina.
                        
                    
 Indessen, daß der Staat von innen so zerrissen  wurde, ward er von außen nicht weniger ange griffen und geschwächt. Alle Früchte der Schlachten  bey Rocroy, bey Lens und Nördlingen, giengen ver loren. Der wichtige Ort Dünkirchen ward von den
  Spaniern wieder eingenommen; sie jagten die Fran zosen aus Barcellona *, und nahmen Casal in Ita lien weg. Ungeachtet der Unruhen eines bürgerlichen  Krieges, und der Last eines auswärtigen, war Ma zarin doch glücklich genug gewesen, den berühmten  westphälischen Frieden zu schließen **, durch welchen  der Kaiser und das Reich die Präfectur und nicht die  Oberbothmäßigkeit von Elsaß für drey Millionen  Livres, nach itziger Münze für sechs Millionen, wel che an den Erzherzog bezahlt werden sollten, verkauf te. Durch diesen Friedensschluß, welcher in der Fol ge der Grund von allen Friedensschlüssen ward, wur de ein neues Churfürstenthum für die Pfalz gemacht.  Die Rechte aller Prinzen, aller Reichsstädte, die Freyheiten der geringsten deutschen Edelleute wurden  bestätiget. Die Gewalt des Kaisers wurde in enge  Gränzen eingeschlossen, und die Franzosen nebst den  Schweden waren die Gesetzgeber geworden. Diese  Ehre Frankreichs hatte man wenigstens eines Theils  den schwedischen Waffen zu danken; denn Gustav  Adolph war der erste, welcher das Reich erschütterte.  Seine Generale hatten ihre Eroberungen unter der
     Regierung seiner Tochter Christina weit genug getrie ben. Der General Wrangel war im Begriff in
     Oesterreich einzurücken. Der Graf von Königsmark  war Herr von der Hälfte der Stadt Prag, und be lagerte die andere Hälfte, gleich als der Friede ge schlossen ward. Dem Kaiser so zuzusetzen kostete es  dem französischen Hofe nichts, als eine Million, die  er jährlich den Schweden geben mußte. 
                        
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                      Schweden erhielt durch diesen Friedensschluß auch  weit größere Vortheile als Frankreich: es bekam  Pommern, verschiedene Plätze und Geld. Es  zwang den Kaiser gewisse Beneficia den Lutheranern  zu überlassen, welche den Römischkatholischen gehör ten. Rom schrie über Gottlosigkeit, und behauptete,  der Himmel selbst sey verrathen. Die Protestanten  rühmten sich, daß sie das Friedenswerk durch Be raubung der Papisten geheiliget hätten. Der Eigen nutz sprach aus allen. Spanien trat nicht mit zu diesem Friedensschlusse,  und zwar mit gutem Grunde. Denn da es sah, daß  Frankreich in den bürgerlichen Kriegen verwickelt  war, so glaubten die spanischen Minister, sie wür den sich unsere Uneinigkeit zu Nutze machen können.  Die abgedankten deutschen Truppen wurden den Spa niern eine neue Hülfe. Der Kaiser schickte nach dem  münsterschen Frieden in vier Jahren mehr als dreyßig  tausend Mann nach Flandern. Dieses war eine of fenbare Brechung des Friedensschlusses; doch wenn  sind Friedensschlüsse jemals schärfer beobachtet  worden? Die Minister von Madrid hatten bey diesem west phälischen Friedensschlusse die Geschicklichkeit, einen  besondern Frieden mit Holland zu machen. Die spa nische Monarchie war endlich glücklich genug, daß  sie diejenigen nicht mehr zu Feinden hatte, und sie  sie für ihre eigene Herren erklärte, welchen sie so lan ge als Rebellen mit gefahren war, die keine Gnade  verdienten. Diese Republikaner vermehreten ihre  Reichthümer, und befestigten ihre Größe und ihre
  Ruhe, indem sie mit Spanien Frieden schlossen ohne  mit Frankreich zu brechen. Sie waren so mächtig, daß sie in * einem Kriege,  welchen sie einige Zeit darauf mit England hatten,  hundert Schiffe in die See stellen konnten, so daß
     der Sieg zwischen dem englischen Admiral Black,  und dem holländischen Admiral Tromp, welche das  auf dem Meere waren, was ein Conde und Turenne  auf dem festen Lande war, lange unentschieden  blieb. Frankreich hatte damals kaum zehn Schiffe  von 50 Canonen, die es hätte können auslaufen las sen: seine Kriegsmacht ward von Tage zu Tage  geringer. Ludewig der XIV sah sich also im Jahre 1653 als  unumschränkten Beherrscher eines Reichs, welches  von den Anfällen, die es ausgehalten hatte, noch  ganz erschüttert war. Alle Arten der Verwaltung,  waren voller Verwirrung. Doch fehlte es auch nicht  an Mitteln, ihm wieder aufzuhelfen, da es, außer  Savoyen, keine Bundsgenossen hatte, einen angrei fenden Krieg zu führen, und außer Spanien, wel ches damals in einem noch schlechtern Zustande als  Frankreich war, keinen auswärtigen Feind hatte.  Alle Franzosen, welche den bürgerlichen Krieg ge führt hatten, hatten sich unterwerfen müssen, außer Conde und einige von seinen Anhängern, wovon ihm  einige aus Freundschaft und Großmuth treu geblieben  waren, als der Graf von Coligny und Bouteville,  andere aber deswegen, weil sie der Hof nicht theuer  genug erkaufen wollte. 
                        
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                      Conde, welcher General der spanischen Armeen  geworden war, konnte einer Partey nicht wieder auf helfen, die er selbst, durch die Zernichtung ihres Fuß volkes, in den Schlachten bey Lens und Rocroy ge schwächt hatte. Er stritt mit neuen Truppen, wovon  er nicht Herr war, wider alte französische Regimen ter, welche unter ihm gelernet hatten zu siegen, und  von Turennen angeführet wurden. Das Schicksal des Turenne und des Conde schien  zu seyn, allezeit zu siegen, wenn sie mit einander an  der Spitze der Franzosen fochten, und allezeit geschla gen zu werden, wenn sie die Spanier anführeten. Turenne hatte kaum die Ueberbleibsel der spanischen  Armee von der Schlacht bey Retel gerettet, als er  aus einem General das Königs von Frankreich, ein  Lieutenant des Don Estevan de Gamare wurde. Der Prinz von Conde hatte eben dieses Schicksal  vor Arras. Der Erzherzog und er belagerten diesen  Ort. Turenne belagerte sie in ihrem Lager, und  drang durch ihre Verschanzungen. Die Truppen  des Erzherzoges wurden in die Flucht geschlagen. Conde allein hielt mit zwey französischen und lothrin gischen Regimentern die ganze Gewalt der Armee des Turenne auf, und indem der Erzherzog floh, schlug
         er den Marschall von Hoquincourt, trieb den Mar schall von Ferte zurück, und machte die Flucht der  überwundenen Spanier durch seine siegende Entfer nung wieder gut. Der König von Spanien schrieb ihm auch mit  ausdrücklichen Worten: ich weiß, daß alles ver loren war, und daß ihr alles erhalten habt. Es ist schwer zu sagen, wodurch die Schlachten  gewonnen oder verloren worden; es ist aber gewiß,  daß Conde einer von den größten Kriegsleuten war,  die jemals gewesen sind, und daß der Erzherzog und  sein Kriegsrath bey diesem Treffen nichts von alle  dem thun wollten, was Conde vorschlug. Das entsetzte Arras und der in die Flucht geschla gene Erzherzog überhäuften Turennen mit Ruhm,  und man bemerkt in dem Briefe, welchen der König  an das Parlement wegen dieses Sieges schreiben  ließ *, daß man allen Fortgang dieses Feldzuges
     dem Kardinal Mazarin zuschrieb, und nicht einmal  den Turenne mit Namen erwähnte. Der Kardinal  war in der That nebst dem Könige einige Meilen  von Arras gewesen. Er war sogar in dem Lager bey  der Belagerung von Stenay gewesen, welches Turenne  eingenommen hatte, ehe er Arras entsetzte. Man  hatte in Gegenwart des Kardinals Kriegsrath gehal ten. Aus diesem Grunde eignete er sich die Ehre des  Ausganges zu, welche Eitelkeit ihm eine so lächerliche  Seite gab, daß das ganze Ansehen des Ministers  nicht hinlänglich war, sie zu bedecken. Der König befand sich nicht bey der Schlacht vor  Arras, er hätte aber dabey seyn können. Er war  bey der Belagerung von Stenay in die Laufgräben ge
    gangen; der Kardinal Mazarin aber wollte nicht,  daß er seine Person der Gefahr ferner aussetzen sollte,  weil die Ruhe des Staats und die Gewalt des Mi nisters damit verbunden zu seyn schienen. Auf der einen Seite führte Mazarin, der unum schränkte Herr Frankreichs und des jungen Königs, 
                        
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                       und auf der andern Don Ludewig von Haro, welcher
     Spanien und den vierten Philipp regierte, unter dem  Namen ihrer Herren, diesen Krieg fort, obgleich mit  wenig Lebhaftigkeit. Noch bekümmerte man sich nicht  um den Namen Ludewigs des XIV, und noch niemals  hatte man von dem Könige in Spanien gesprochen.  Es war kein einziges gekröntes Haupt damals in Eu ropa, welches ein persönliches Verdienst gehabt hätte.
     Die einzige Königinn in Schweden, Christina, re gierte durch sich selbst und unterstützte die Ehre des in  andern Staaten entweder verlassenen oder entlehnten  oder unbekannten Thrones. Carl der zweyte, König von England, welcher
         mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Frank reich geflohen war, schleppte überall daselbst sein Un glück und seine Hoffnung mit sich herum. Ein bloßer  Bürger hatte sich England, Irrland und Schott land, mit der Bibel in einer, und dem Degen in  der andern Hand, und der Larve der Schwärmerey auf  dem Gesichte, unterwürfig gemacht. Cromwel, die ser des Regiments würdige Usurpator, hatte den  Namen eines Protectors und nicht eines Königs an genommen; weil die Engländer zwar wußten, wie  weit sich die Rechte ihrer Könige erstreckten, aber  nicht, welches die Gränzen des Ansehens eines Pro tectors wären. Er bestätigte seine Gewalt dadurch, daß er sie zu  rechter Zeit zu unterdrücken wußte: er unternahm  nichts wider die Freyheiten, worauf das Volk eifer süchtig war; er legte keine Soldaten in die Stadt  London; er machte keine Auflagen, worüber man  hätte murren können; er beleidigte die Augen nicht
  durch allzuviel Pracht; er erlaubte sich kein Vergnü gen; er häufte keine Schätze auf; er wandte alle  Sorgfalt an, daß die Gerechtigkeit mit derjenigen  unerbittlichen Unparteylichkeit ausgeübt würde, wel che unter den kleinen und großen keinen Unterschied  macht. Der Bruder des portugiesischen Gesandten in  England, des Pantaleonsa, glaubte, daß seine  Frechheit ungestraft bleiben würde, weil die Person  seines Bruders unverletzlich war; er beleidigte also  verschiedene Bürger in London auf eine empfindliche  Art, und ließ einen davon so gar umbringen, weil  er sich an ihm, wegen des Widerstandes, den ihm  die andern gethan hatten, rächen wollte. Er ward  zum Strange verdammt. Cromwel, welcher ihm  hätte können Gnade wiederfahren lassen, ließ ihn  hinrichten, und unterzeichnete den Morgen darauf  mit dem Abgesandten einen Tractat. Niemals war die Handlung so frey und so blühend,  niemals war England so reich gewesen. Seine sie genden Flotten verschafften seinem Namen in allen  Meeren Hochachtung, da indessen Mazarin, wel chen allein seine Herrschsucht und Gierde sich zu berei chern, beschäfftigte, in Frankreich die Gerechtigkeit,  die Handlung, die Seemacht und sogar die Finanzen  in Ohnmacht erliegen ließ. Da er nach einem bür gerlichenKriege Herr von Frankreich war, so wie es Cromwel von England war, so hätte er für das  Land, welches er regierte, eben das thun können,  was Cromwell für das seinige gethan hatte. Allein  er war ein Ausländer, und die Seele des Mazarin
                      hatte zwar nicht die Grausamkeit des Cromwels, sie  hatte aber auch nicht seine Größe. Alle europäische Völker, welche sich nicht viel um
     das Bündniß mit England unter Jacob dem I und
     unter Carln bekümmert haben, bestrebten sich unter  dem Protector mit allem Eifer darnach. Die Kö niginn Christina selbst, ob sie gleich die Ermordung
    Carls des I verabscheuet hatte, gieng mit einem  Tyrannen, welchen sie hoch schätzte, ein Bünd niß ein. Mazarin und Don Ludewig von Haro verschwen deten ihre Staatsklugheit um die Wette, sich mit  dem Protector zu vereinigen. Er genoß eine Zeit  lang das Vergnügen, sich von den zwey mächtig sten christlichen Königreichen geschmeichelt zu sehen. Der spanische Minister both ihm Hülfe an, Ca lais einzunehmen; Mazarin schlug ihm vor, Dün kirchen zu belagern, und ihm diese Stadt in die  Hände zu bringen. CronwelCromwel konnte unter den Schlüs seln von Frankreich oder von Flandern wählen. Auch Conde lag ihm sehr an; er wollte aber nichts mit  einem Prinzen zu thun haben, welcher nichts für sich  hatte, als seinen Namen, welcher ohne Anhang in  Frankreich, und ohne Gewalt bey den Spaniern war. Der Protector entschloß sich für Frankreich; doch  ohne ein besonder Bündniß zu schließen, und ohne  die Ueberwindungen im Voraus zu theilen. Er  wollte seine unrechtmäßige Regierung durch die aller größten Unternehmungen berühmt machen. Seine  Absicht war, den Spaniern America aus den Hän den zu reißen; doch sie wurden in Zeiten davon be nachrichtiget, und die Admirale des Cromwels nahmen
  ihnen nichts als Jamaica weg *, eine Provinz, welche  die Engländer noch besitzen, und welche der Grund  ihres Handels in der neuen Welt ist. Erst nach der  Eroberung von Jamaica geschahe es, daß Cromwel  seinen Tractat mit dem Könige von Frankreich unter zeichnete; doch ohne die geringste Erwähnung von Dün kirchen zu thun. Der Protector verfuhr wie mit seines  Gleichen, und zwang den König, ihm den Titel Bru der zu geben. Sein Sekretair unterzeichnete sich in  dem Originale des Tractats, welches in England blieb,  vor den gevollmächtigten französischen Minister. Er  schloß aber diesen Tractat in der That als der überlegene  Theil, indem er den König von Frankreich nöthigte,
    Carln den II und den Herzog von York, einen Enkel
    Heinrichs des IV, welche ihre Zuflucht in Frankreich  genommen hatten, aus seinen Staaten zu weisen **. Indessen da Mazarin dieses Bündniß schloß, hielt
    Carl der II bey ihm um eine von seinen Nichten an. Der üble Zustand seiner Angelegenheiten, welche  den Prinzen zu diesem Vorsatze brachten, war eben das,  was ihm eine abschlägige Antwort zuzog. Man hat  so gar den Kardinal in Verdacht, daß er eben die,  welche er dem Könige von England versagte, mit dem
    Sohne des Cromwels habe verheirathen wollen. Die ses ist wenigstens gewiß, daß er, als er hernachmals
     sahe, daß der Weg zum Throne dem zweyten Carl we niger verschlossen sey, diese Heirath von neuem hervor suchte; doch alsdann bekam er abschlägliche Antwort. Die Mutter dieser zwey Prinzen, Henriette von
     Frankreich, eine Tochter Heinrichs des Großen, welche 
                        
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                       in Frankreich ohne Hülfe geblieben war, ward genö
    thiget den Kardinal zu beschwören, von Cromwellen  wenigstens zu erhalten, daß ihr das Leibgedinge be zahlt würde. Konnte eine schmerzhaftere Erniedri gung für sie seyn, als daß sie denjenigen um Lebens unterhalt ansprechen mußte, welcher das Blut ihres  Mannes auf der Henkerbühne vergossen hatte. Ma zarin that im Namen dieser Königinn ganz schwache  Vorstellungen in England, und kündigte ihr endlich  an, daß er nichts habe erhalten können. Sie blieb in  Paris in der größten Armuth und voller Scham, die BarmherzigkeitCromwels angesprochen zu haben; da
     indessen ihre Söhne zu der Armee des Prinzen von  Conde und des Don Juan von Oesterreich giengen,  das Kriegshandwerk wider Frankreich, welches sie  verließ, zu erlernen. Die aus Frankreich vertriebenen Kinder Carls des I flüchteten nach Spanien. Die spanischen Minister  schrien an allen Höfen, und besonders in Rom, aus  vollem Halse wider einen Kardinal, welcher, wie sie  sagten, alle göttliche und menschliche Gesetze und  die Ehre der Religion einem Königsmörder aufopferte;
         und die Vettern Ludewigs des XIV, den zweyten Carl  und den Herzog von York aus Frankreich verjagte,  dem Henker ihres Vaters zu gefallen. In Flandern wurde der Krieg immer mit ver schiedlichem Fortgange fortgesetzt. Turenne hatte  Valenciennes mit dem Marschall von Ferte belagert,  und mußte eben den Unstern erfahren, welchen Conde  vor Arras erfahren hatte. Der Prinz, welcher da mals von dem Don Juan von Oesterreich, welcher  es eher verdiente, an seiner Seite zu streiten, als der
  Erzherzog, unterstützt wurde, drang durch die Linien  des Marschalls von Ferte, nahm ihn gefangen, und  entsetzte Valenciennes *. Turenne that, was Conde  bey einer gleichen Widerwärtigkeit gethan hatte. Er  rettete die geschlagene Armee, und both überall dem  Feinde die Spitze; er belagerte so gar einen Monat  darauf Chapelle, und nahm es ein. Das war viel leicht das erstemal, daß eine geschlagene Armee eine  Belagerung zu unternehmen gewagt hatte. Dieses so gepriesene Unternehmen des Turenne,  nachdem er Chapelle eingenommen hatte, ward durch
     ein schöneres Unternehmen des Prinzen von Conde  verdunkelt. Kaum belagerte Turenne Cambray, als Conde mit zwey tausend Mann zu Pferde durch die  Armee der Belagerer drang, alles, was sich ihm  entgegen stellte, niederstürzte, und sich in die Stadt  warf **. Die Bürger empfingen ihren Befreyer  auf den Knien. Auf diese Art entwickelten diese  zwey entgegen gesetzten Helden die Stärke ihrer kriege rischen Geister immer mehr und mehr. Man be wunderte sie, wenn sie sich zurück zogen, eben so sehr,  als wenn sie siegeten, so gar in ihren Fehlern selbst,  welche sie allezeit wieder gut zu machen suchten. Ihre  Geschicklichkeiten hielten wechselsweise den Anwachs  der einen oder der andern Monarchie auf; die Un ordnung aber, welche sowol in Frankreich, als in  Spanien, in dem Finanzwesen herrschete, war noch ein weit größer Hinderniß ihres glücklichen  Fortganges. 
                        
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                        Schreiben des Hn. von Voltaire,
                        
                    
  
                    
                        über seinen Versuch des Jahrhunderts Ludewigs des
                            XIV. an Mylord Harvey, geheimen Siegelbewahrer von England.
                        
                    
 Ich bitte sie, Mylord, urtheilen sie von meinem  Versuche über das Jahrhundert Ludewigs  des XIV, nicht nach den zwey Hauptstücken,  die man in Holland mit so viel Fehlern gedruckt hat,  welche mein Werk ganz unkenntlich und unverständ lich machen. Wenn die englische Uebersetzung nach  dieser unförmlichen Abschrift ist gemacht worden, so  verdient der Uebersetzer eine Verdolmetschung der Offenbarung zu machen. Vor allen aber bitte ich,  seyn sie etwas weniger verdrüßlich, daß ich das letzte  Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs des XIV.  nenne. Ich weiß wohl, Ludewig der XIV. hatte die  Ehre nicht, der Herr oder Wohlthäter eines Boyle,
     eines Newtons, eines Halley, eines Addisons, eines
    Drydens zu seyn. Allein in dem Jahrhunderte,
     welches man das Jahrhundert des zehnten Leo nennt,  hatte denn dieser zehnte Leo alles gethan? Waren
  damals keine andere Fürsten, welche das Ihrige bey trugen, das menschliche Geschlecht zu erleuchten und gesitteter zu machen? Gleichwol hat der Name des
    zehnten Leo den Vorzug erhalten, weil er mehr als  jeder andere die Künste aufmunterte. Und nun, wer  hat denn in diesem Stücke der Menschlichkeit mehr  Dienste gethan als Ludewig der XIV? Welcher  König hat mehr Wohlthaten ausgestreuet, mehr Ge schmack bewiesen, und sich durch schönere Stiftungen  hervorgethan? Er hat, ohne Zweifel, nicht alles  gethan, was er hätte thun können, weil er ein  Mensch war; er hat aber mehr gethan, als jeder  andere, weil er ein großer Mann war. Mein stärk ster Grund, ihn sehr hoch zu schätzen, ist, daß er,  ungeachtet seiner bekannten Fehler, mehr Ruhm hat,  als keiner von seinen Zeitverwandten. Trotz einer  Million Menschen, deren er Frankreich beraubet hat,  und welchen allen daran gelegen war, ihn zu ver schreyen, schätzt ihn doch ganz Europa hoch, und  setzt ihn in die Zahl der größten und besten Mo narchen. Nennen sie mir doch denjenigen Fürsten, welcher  mehr geschickte Ausländer an sich gezogen habe, und  welcher die Verdienste seiner Unterthanen, mehr auf gemuntert habe? Sechzig Gelehrte in Europa er hielten Belohnungen von ihm, welche darüber er staunten, daß sie ihm bekannt wären. Colbert schrieb ihnen: Ob der König gleich  nicht ihr Herr ist, so will er doch ihr Wohl
                     thäter seyn. Er hat mir befohlen, ihnen  beyliegenden Wechsel, als ein Zeichen seiner  Hochachtung, zu schicken. Ein Böhme, ein  Däne, erhielten dergleichen aus Versailles gegebene  Briefe. Guillemini baute von den Wohlthaten Ludewigs des XIV in Florenz ein Haus; er ließ den  Namen dieses Königs über den Eingang desselben  setzen, und sie wollen nicht, daß ich ihn an die Spitze  des Jahrhunderts, von welchem ich rede, setze? Was er in seinem Reiche gethan hat, kann zu ei nem ewigen Beyspiele dienen. Er trug die Erzie hung seines Sohnes und seines Enkels den beredtesten  und gelehrtesten Männern in Europa auf. Er hatte  die Aufmerksamkeit, daß er drey Söhne des Peter CerneillePeter  Corneille unterbrachte; zwey unter den Soldaten,  und einen im geistlichen Stande. Er ermunterte die  hervorkommende Geschicklichkeit des Racine durch ein  Geschenk, welches für einen unbekannten jungen  Menschen ohne Vermögen sehr beträchtlich war; und  als sich dieses Genie vollkommen gemacht hatte, so  machten seine Geschicklichkeiten, welche oft zu nichts,  als zur Ausschließung des Glückes dienen, das seini ge: er genoß mehr als Glück; die Gunst, und manch mal die Vertraulichkeit seines Herrn; dessen bloßer  Blick eine Belohnung war. Er war in den Jahren  1688 und 89 bey den Reisen von Morly, um wel che sich die Hofleute so viel Mühe gaben; er schlief,  während seiner Krankheit, in dem königl. Zimmer,  und las dem Könige die Meisterstücke der Beredsam keit und Dichtkunst vor, welche die Zierde dieser vor trefflichen Regierung sind. Diese mit Entscheidung ertheilten Gunstbezeugun gen sind es, welche die Nacheiferung erwecken, und  große Geister erhitzen. Es ist viel, Stiftungen zu  machen, es ist nichts weniges, sie zu unterstützen; es  aber bloß bey diesen Stiftungen bewenden lassen,  heißt oft einen unnützen Menschen zu einem großen  Manne einerley  Zuflucht verschaffen, und in einem  Stocke die Biene und die Hummel aufnehmen. Ludewig der XIV. dachte an alles. Er beschützte  die Akademien, er zog diejenigen vor, welche sich  hervorthaten. Er verschwendete seine Gunst nicht bey  einer Art von Verdiensten, mit Ausschließung der  andern, so wie viele Prinzen nur demjenigen wohl  wollen, was ihnen gefällt, nicht aber dem, was gut  ist. Die Naturlehre und die Untersuchung des Al terthums zogen seine Aufmerksamkeit an sich. Sie  erkaltete nicht einmal in den Kriegen, welche er ge gen Europa fortzusetzen hatte. Indessen, da er auf  dreyhundert Citadellen erbaute, und mehr als vier mal hundert tausend Soldaten marschiren ließ, ließ  er das Observatorium aufrichten, und eine Mittags linie von einem Ende des Königreichs bis zu dem an dern ziehen; ein Werk welches in seiner Art das ein zige in der Welt ist. Er ließ in seinem Pallaste Uebersetzungen der guten griechischen und lateinischen  Schriftsteller drucken; er schickte Meßkünstler und Naturforscher in das Innerste von Africa und Ame rica, Wahrheiten zu suchen. Bedenken sie, Mylord,  daß ohne die Reise und ohne die Erfahrungen, derje nigen, welche im Jahre 1672 nach Cayenne giengen,
  Newton seine Entdeckungen, die Gravitation betref fend, nicht würde gemacht haben. Betrachten sie,
     ich bitte, einen Caßini, einen Hugenius, welche  beyde ihr Vaterland, welches sie ehret, verlassen,  und nach Frankreich kommen, die Hochachtung und  die Wohlthaten Ludewigs des XIV. zu genießen. Und glauben sie, daß ihnen die Engländer nichts  schuldig sind? Sagen sie mir doch, ich bitte sie,
     an welchem Hofe machte sich der zweyte Carl so viel  Höflichkeit und so viel Geschmack eigen? Sind die  guten Schriftsteller Ludewigs des XIV. nicht ihre  Muster gewesen? Hat nicht aus ihnen der weise Addisson, welcher in England an der Spitze der schönen Wissenschaften war, oft seine vortrefflichen  Beurtheilungen gezogen? Der Bischof Burnet  selbst gesteht es, daß der Geschmack, welchen die
     Hofleute Carls des II. in Frankreich erlanget, in  England so gar die Kanzel verbessert habe, der Ver schiedenheit unserer Religionen ungeachtet, zum Be weise, daß sich die Herrschaft der Vernunft über alles  erstrecket. Sagen sie mir, ob die guten Bücher der damali gen Zeit nicht vieles zur Erziehung aller deutschen  Prinzen beygetragen haben? In welchem nordi schen Hofe hat man keine französischen Schaubühnen  gesehen? Welcher Fürst bemühte sich nicht, Ludewi gen dem XIV. nachzuahmen? Welches Volk folgte  damals nicht den französischen Moden? Sie führen mir, Mylord, das Exempel Peters  des Großen an, welcher die Künste in seinem Lande  hervorsprossen ließ, und der Schöpfer eines neuen  Volkes ward. Sie sagen mir, weil man in Europa
     sein Jahrhundert niemals das Jahrhundert Peters  des großen nennen würde, so dürfe auch ich nicht das  vergangene Jahrhundert das Jahrhundert Ludewigs  des XIV. nennen. Es scheint mir, als ob der Unterschied sehr hand
    greiflich sey. Peter wurde bey andern Völkern un terrichtet, und brachte ihre Künste in sein Land. Ludewig der XIV. aber hat die Völker unterrichtet,  und alles, sogar seine Fehler, sind Europa nützlich  gewesen. Die Protestanten, welche seine Staaten  verließen, haben auch bis nach England die Emsig keit gebracht, welche den Reichthum von Frankreich  ausmachten. Rechnen sie so viel Seidenmanufacturen, und die  Crystallenmanufacturen, für nichts? Die letzten be sonders wurden durch unsere Ausgetriebenen vollkom men gemacht, und wir verloren das, was ihr Land  erhielt. Und wenn die französische Sprache beynahe  die allgemeine Sprache geworden ist, wem hat man  es denn zu danken? War sie zu den Zeiten Hein richs des IV. von solchem Umfange? Nein, wahr haftig nicht, man wußte nichts, als das Italienische  und Spanische. Unsere vortrefflichen Schriftsteller  sind es, welche diese Veränderung gemacht haben.  Allein, wer hat denn diese vortrefflichen Schriftsteller
  beschützet, gebraucht und ermuntert? Es war Col bert, werden sie sagen. Ich gesteh es, und behaupte  so gar, daß der Minister hierinne den Ruhm mit
     seinem Herrn theilen müsse. Allein was hätte Col bert unter einem andern Fürsten gethan? Unter eu rem Könige, Wilhelm, welcher nichts liebte, und
     dem Könige von Spanien, dem zweyten Carl, unter  so vielen andern Regenten? Glauben sie wol, Mylord, daß Ludewig der XIV.  den Hof mehr als in einem Stücke verbessert hat?  Er wählte den Lully zu seinem Musicus, und nahm  dem Lambert das Privilegium, weil Lambert ein  mittelmäßiger Künstler, und Lully ein vortrefflicher
     Mann war. Er gab dem Quinaut den Stoff zu  seinen Opern. Ludewig der XIV. war es, welcher  die Armide angab. Er regierte die Mahlereyen des le Brun, er beschützte Boileau, Racinen, Molieren  wider ihre Feinde; er munterte die nützlichen sowol  als die schönen Künste auf, und allezeit mit Einsicht  in die Sache: er lieh dem Vanrobes Geld, Manu facturen anzulegen; er schoß der indischen Handlungs gesellschaft, welche er gebildet hatte, ganze Millio nen vor. Unter seiner Regierung sind nicht nur  große Dinge geschehen, sondern er hat sie guten  Theils selber gethan. Erlauben sie also, Mylord,  daß ich mich bemühe, ein Denkmaal zu seinem Ruh me aufzurichten, welches ich noch weit mehr dem  Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts weihe;  ich schreibe als Mensch, nicht als Unterthan; ich  will das letzte Jahrhundert schildern, und nicht bloß
  einen Fürsten. Ich bin der Geschichte überdrüßig,  wo von nichts, als von den Abentheuern eines Kö nigs die Rede ist, als ob er allein, oder, als ob al les für ihn da wäre. Kurz, ich schreibe vielmehr  die Geschichte eines großen Jahrhunderts, als eines  großen Königes. Pelisson würde beredter geschrieben haben als ich;  allein er war ein Hofmann und wurde bezahlt.  Ich bin weder das eine, noch das andere; mir  kömmt es also zu, die Wahrheit zu sagen. Ich hoffe, daß sie in diesem Werke einige von  ihren Gesinnungen finden werden. Je mehr ich wie  Sie denken werde, je mehr werde ich Grund haben,  den Beyfall der Welt zu hoffen. Ich bin et cetera
III. Geheime Nachrichten von Ludewig demXIV.
Je doute qu'on le prenne avec nous sur le ton
De Daphné ni de Phaeton;
Lui trop ambitieux, elle trop inhumaine.
Il n'est point là de piêge ou vous puissiez donnet.
Le moyen de s'imaginer
Qu'une femme vous fuge, ou qu'un homme vous
aucun. Ich zweifele, daß man mit euch, wie Daphne oder Phaeton verfahren wird. Er war zu hochmüthig; sie war zu grausam. Hier sind keine Fallstricke für euch. Wie wäre es mög lich, daß ein Frauenzimmer euch fliehen, und eine Mannsperson euch zum besten haben könnte? Als er seinen Neffen den Herzog von Bourgogne mit der Prinzeßinn Adelaide von Savoyen verhei rathete, ließ er in einem von den Zimmern von Ver sailles für sie Comödien spielen. Duche, einer von seinen Domestiquen, und Verfasser des schönen Singespiels Iphigenie, machte zu diesen besondern Lustbarkeiten das Trauerspiel, Absalom. Die Her zoginn von Bourgogne stellte die Tochter des Absa lom vor, der Herzog von Orleans, der Herzog de la Valiere spieleten auch mit, wie auch der berühmte Schauspieler Baron, welcher der Anordner des gan zen Werkes war. Es war damals alle Wochen dreymal in Ver sailles Appartement. Die Gallerie und alle Zimmer waren voll. In dem einen Saale wurde gespielet, in dem andern war Musik, in einem dritten schmau sete man. Der König belebte alle diese Lustbarkei ten durch seine Gegenwart. Manchmal ließ er in die Gallerie Buden voller kostbaren Edelsteine setzen. Er machte Lotterien daraus, und die Herzoginn von Bourgogne vertheilte meistentheils die großen Loose. Mitten unter diesen kostbaren Lustbarkeiten und angenehmen Ergötzungen war es, als er die weit läuftigen Entwürfe machte, worüber ganz Europa erzitterte. Er führete die Königinn und alle Hofda men an die Gränzen. Bey dem Kriege von 1667 theilte er mehr als für hundert tausend Thaler, theils an vornehme Flamländer, die ihm ihre Aufwartung zu machen kamen, theils an Abgeordnete der Städte oder Gesandte der Prinzen aus, welche ihn bewillkomme ten; und allezeit folgte er hierinne seinem Geschmacke in der Pracht eben so wohl als seine Staatsklugheit. Man kann sich also nicht genug verwundern, daß man ihn fast in allen erbärmlichen Geschichten, die man von seinem Reiche zusammen gestoppelt hat, des Geizes beschuldiget. Niemals hat ein König größere Geschenke, und diese zu einer bequemern Zeit und mit mehr Amnuth ausgetheilet, als er. Die edlen Ergötzungen, womit er beständig den prächtigsten Hof von der Welt unterhielt, verhin derten ihn nicht, sich ordentlicher Weise bey allen Berathschlagungen einzufinden. Selbst in seiner Krankheit setzte er sie nicht aus. Nur ein einzigmal zog er die Jagd vor. Es war gleich an dem Tage, nicht viel zu thun. Er trat herein, und sagte, daß die Berathschlagung diesesmal sollte ausgesetzt seyn, und sagte es, indem er aus dem Stegreife eine Oper arie des Quinaut und Lully parodirte.
Le Conseil à ses yeux a beau se presenter
Si tot qu'il voit sa chienne il quitte tout pour elle;
Rien ne peut l'arreter
Quand la chasse l'appelle. Umsonst zeigt sich ihm sein Rath; so bald er seine Hindinn erblickt, verläßt er alles. Nichts hält ihn auf, wenn ihn die Jagd ruft. Er hatte verschiedene kleine Liederchen in diesem leichten und natürlichen Geschmacke gemacht, und auf seinen Reisen in die Franche Comte, ließ er seine Hofleute, besonders den Pelisson und den Marquis d'Angeau Impromtüs machen. Er spielte nicht übel auf der Zitter, die damals Mode war, und verstand sich auf die Musik nicht weniger sehr wohl, als auf die Malerey. In dieser letzten Kunst liebte er nichts, als die edlen Gegenstände. Die Trinieres und andere kleine flammländische Maler fanden vor seinen Augen keine Gnade. Weg mit diesen Affen, sagte er einsmals, als man ihm eines von dergleichen Werken in ein Zimmer gestellet hatte. Seines Geschmacks an der großen und edlen Bau kunst ungeachtet, ließ er das alte Schloß von Versailles mit seinen sieben kreuzweisen Flügeln und dem kleinen Hofe von Marmor auf der Seite von Paris, stehen. Er hatte dieses Schloß anfangs zu nichts, als zu einem Aufenthalte bey der Jagd bestimmt, welches es zu den Zeiten Ludewigs des XIII war, der es dem Staatssecretaire Lomenie ab kaufte. Nach und nach machte er den unermeßli chen Pallast daraus, dessen eine Seite nach dem Gar ten zu, das schönste ist, was man in der Welt sehen kann, da die andere Seite von dem allerkleinsten und schlechtesten Geschmacke zeiget. Er wendete auf die sen Pallast und auf den Garten mehr als fünf hun dert Millionen, welche nach unserer Münze mehr als neun hundert betragen. Der Herzog von Crequi sagte zu ihm: Sire, alles ist umsonst; sie wer den doch nichts als einen Liebling ohne Ver dienst daraus machen. Die Meisterstücke der Bildhauerkunst wurden in seinen Gärten verschwendet. Er ergötzte sich daran, und besah sie sehr oft. Ich habe den Herzog von Antin sagen hören, daß, als er Oberaufseher über die königlichen Gebäude gewesen, er die Statuen oft mit Fleiß durch unterlegte Stücke habe schief setzen lassen, damit der König das Vergnügen haben möge, sein gutes Augenmaaß daran zu zeigen. Der König ward auch allezeit den Fehler gewahr. Der Herzog von Antin widerstritt ihm Anfangs, endlich gab er sich, und ließ die Säule gleich setzen, in dem er sich ganz erstaunt stellte, daß sich der König auf alles so wohl verstehe. Hieraus mag man schließen, wie leicht man einem Könige was einbil den könne. Man weiß den Streich eines Hofmannes, wel chen eben dieser Herzog ausführete. Als der König einsmals in Petitbourg schlief, und gefunden hatte, daß eine gewisse große Allee von alten Bäumen eine sehr schlechte Aussicht mache; so ließ sie der Herzog in einer Nacht umhauen, und alles bey Seite schaf fen. Als der König bey dem Aufstehen die Allee nicht mehr fand, so sagte der Herzog zu ihm: Sie hat ihnen misfallen, Sire; durfte sie sich un terstehen, länger vor ihren Augen zu bleiben? Eben dieser Herzog von Antin war es, welcher zu Fontaineblau dem Könige und der Herzoginn von Bourgogne ein ganz besonderes Schauspiel gab, und dadurch ein Beyspiel der zärtlichsten und feinsten Schmeicheley ablegte. Ludewig der XIV hatte sich einmal erklaret, er wünsche, daß man einen gewissen ganzen Wald niederhauen möge, welcher ihm ein wenig die Aussicht benahm. Der Herzog von Antin ließ alle Bäume nahe an der Wurzel durch sagen, so daß sie noch kaum stehen konnten. An jedem von diesen Bäumen wurden Stricke gebunden, und mehr als 1200 Menschen stunden in dem Walde auf den geringsten Wink gefaßt. Der Herzog wußte an welchem Tage der König mit seinem ganzen Hofe in dieser Gegend spatzieren würde. Se. Majestät unterließ nicht, noch einmal zu wiederholen, wie sehr ihm dieser Wald misfiele. Sire, antwortete ihm der Herr von Antin; der Wald soll nieder gehauen seyn, so bald es Ew. Majestät befehlen. Wahrhaftig, antwortete der König, wenn es nur auf das Befehlen ankömmt, so wäre ich ihn längst gerne los gewesen. Nun wohl, er soll den Augen blick niedergerissen seyn. Der Herzog gab hierauf ein Zeichen, und man sahe den Wald fallen. Ach! schrie die Herzoginn von Bourgogne, wahrhaftig, wenn der König unsere Köpfe verlangt hätte, ich glaube der Herr von Antin würde sie auf eben die Art haben fallen lassen. Ein Einfall, der ein we nig zu lebhaft war, dennoch aber keine Folgen hatte. So suchten ihm alle seine Hofleute, jeder nach seinem Vermögen und seinen Einsichten, zu gefallen. Er verdiente es, denn er war selbst besorgt, sich allen, die um ihn waren, angenehm zu machen. Es war eine beständige Vertauschung, von allem, was die Ma jestät, ohne sich zu erniedrigen, anmuthiges haben, und von allem, was die Bereitwilligkeit zu dienen und zu gefallen, ohne Niederträchtigkeit Feines zeigen konnte. Besonders war er mit dem Frauenzimmer von einer außerordentlichen Aufmerksamkeit und Höf lichkeit, welche die Höflichkeit seiner Hofleute ver mehrte. Er ließ niemals eine Gelegenheit aus den Händen, den Mannspersonen etwas zu sagen, was ihrer Eigenliebe schmeichelte, die Nacheiferung unter ihnen erweckte, und ein langes Andenken zurücke ließ. Als die Madame Dauphine einmal an ihrer Tafel einen sehr häßlichen Officier gewahr ward, und sehr laut über seine Häßlichkeit spottete; sagte der König noch lauter, ich halte ihn für einen von den schönsten Männern in meinem Königreiche, denn er ist einer von den tapfersten. Der Generallieutenant, Graf von Marieaux, ein etwas wilder Mensch, dessen Gemüthsart nicht ein mal an dem Hofe Ludewigs des XIV sanfter gewor den war, hatte in einem Treffen einen Arm verlo ren, und beklagte sich einmal gegen den König dar über, welcher ihn gleichwol belohnet hatte, so viel als man einen wegen eines verlornen Armes belohnen kann. Ich wollte, sagte er, daß ich den andern Arm auch verloren hätte, damit ich Ew. Majestät nicht mehr dienen könnte. Das würde mir eurent wegen und meinetwegen leid seyn, antwortete Lude wig der XIV, und auf diese Rede folgte die Bewilli gung einer Gnade, um die er ihn gebethen hatte. Weit gefehlet, daß er jemanden unangenehme Sachen hätte sagen sollen, welche in dem Munde eines Mo narchen tödtliche Pfeile sind; er erlaubte sich nicht einmal die unschuldigsten und feinsten Spöttereyen, da doch Privatpersonen alle Tage die grausamsten und nachtheiligsten vorbringen. Er wollte einmal seinen Hofleuten etwas erzählen, und hatte so gar versprochen, daß die Erzählung ar tig seyn sollte, gleichwol war sie es so wenig, daß man nicht einmal darüber lachte, ob es gleich die Er zählung eines Königes war. Sobald aber der Prinz von Armagnac, den man Monsieur le Grand nennte, aus dem Zimmer gegangen war, so sagte der König zu denen, die noch bey ihm geblieben waren: Meine Herren, meine Erzählung ist euch sehr abgeschmackt vorgekommen, und das mit Recht. Ich besann mich aber, daß etwas darinne vorkam, was den Herrn le Grand von weiten angeht, und worüber er hätte em pfindlich werden können. Ich habe es also lieber unterdrücken, als ihm misstellen wollen. Itzo da er nicht zugegen ist, will ich die Erzählung vollständig machen. Er that es, und man lachte. Aus diesen kleinen Zügen kann man deutlich genug sehen, daß es falsch ist, wenn man ihm harte und widerwärtige Reden beyleget, wie er zum Exempel, dem Hrn. de la Rochefoucault weh zu thun soll gesaget haben: Was frage ich darnach, welcher von meinen Knechten mir dienet? Einer solchen Unanstän digkeit war Ludewig der XIV. unfähig. Ich habe mich bey allen, die sehr nahe um ihn gewesen, erkun diget, und alle haben mich versichert, daß es eine grobe Erdichtung sey; gleichwol wiederholt und glau bet man sie von einem Ende Frankreichs bis zum an dern. Die kleinen Verleumdungen finden eben so wol ihr Glück als die großen. Wie kann man solche verhaßte Worte mit dem zusammen reimen, was er eben diesem Herzoge de la Rochefoucault einsmals sagte, als er in Schulden verwickelt war: Warum redet ihr aber nicht mit euren Freunden des wegen? Diese Rede begleitete er mit einem Ge schenke von 50000 Thalern. Wenn er einen Lega ten empfing, der sich im Namen des Pabstes ent schuldigen sollte, oder einen Dogen von Genua, wel cher ihn um Verzeihung zu bitten kam, so dachte er auf nichts, als ihnen zu gefallen. Seine Minister waren hierinne ein wenig anders gesinnet. Daher sagte auch der Doge Leriaco, ein Mann von großem Witze: Der König nimmt uns unsere Frey heit, indem er unsere Herzen fesselt, seine Mi nister aber geben sie uns wieder. Als er im Jahre 1686 seinen Sohn dem großen Dauphin das Commando seiner Armee anvertraute, so sagte er zu ihm: indem ich euch meine Armee zu commandiren schicke, so gebe ich euch Ge legenheit, eure Verdienste sehen zu lassen. Auf diese Art muß man regieren lernen. Wann ich einmal sterbe, so muß man es nicht merken, daß der König todt ist. Mit diesem edeln Wesen druckte er sich fast allezeit aus. Nichts macht auf die Gemüther einen größern Ein druck, und man darf sich nicht wundern, daß dieje nigen, welche um ihn waren, eine Art von Abgötte rey mit ihm trieben. Daß er für die Ehre sehr eingenommen war, ist unstreitig, und noch mehr für die Ehre als für die Wirklichkeit seiner Eroberungen. Was er bey der Erhaltung von Elsaß, der Hälfte von Flandern, und der Franche Comte am meisten liebte, war der Na me, welchen er sich dadurch machte. In der That war auch seit funfzig Jahren in ganz Europa kein gekröntes Haupt gewesen, welches seine Feinde selbst mit ihm zu vergleichen gewagt hätten. Der Kaiser Leopold, dem er oft half, und den er al lezeit erniedrigte, war kein Monarch, der dem Kö nige in Frankreich etwas streitig machen konnte. Zu seiner Zeit waren alle türkische Kaiser mittelmäßige und grausame Leute. Philipp der IV, und Carl der II, waren eben so schwach, als es die spanische Monarchie geworden war. Der zweyte Carl in England suchte den XIVten Ludewig in weiter nichts als in seinen Lustbarkeiten nachzuahmen. Der zweyte Jacob ahmte ihm in nichts als in seiner Gottesfurcht nach, und machte sich die Mühe sehr schlecht zu Nutze, die sich sein Beschützer seinetwegen gab. Wilhelm der III. brachte Europa wider Ludewigen auf, er konnte ihm aber weder an Großmuth, noch an Pracht, noch an Denkmälern, noch in sonst einem Stücke gleich kommen, was diese vortreffliche Regie rung verewigt hat. Die Königinn Christina wurde durch nichts als durch die Ablegung der Krone und durch ihren Geist berühmt. Ihre Nachfolger, die Könige in Schweden, bis auf den XIIten Carl, tha ten nichts, was des großen Gustavs würdig gewesen wäre, und Carl der XII selbst war ein Held, er hatte aber die Klugheit nicht, die ihn zu einem gros sen Manne hätte machen können. Johann Sobiesky in Pohlen hatte den Ruhm eines vortrefflichen Gene rals, ohne den Ruhm eines großen Königs zu ha ben. Kurz, Ludewig der XIV war, bis auf die Schlacht bey Hochstädt, der einzige mächtige, präch tige, und fast in allen Stücken große König. Das Rathhaus in Paris legte ihm, im Jahre 1680, den Namen des Großen bey, und das, obschon eifersüch tige Europa, bestätigte ihn. Man hat ihm einen unerträglichen Hochmuth Schuld gegeben, weil seine Bildsäule auf dem Siegsplatze und auf dem Platze von Vendome Po stumente haben, die mit gefesselten Sklaven verzie ret sind. Man will aber nicht sehen, daß die Bild säule des großen, gütigen und anbethenswürdigen Heinrichs des VIten auf der neuen Brücke, gleich falls von vier Sklaven begleitet ist, daß die Bild säule Ludewigs des XIIIten, welche vor Alters für Heinrichen den IIten gemacht wurde, und die Bild säule des großen Herzogs Ferdinand von Medicis in Livorno eben diese Zierrathen hat. Es ist mehr ein Gebrauch der Bildhauer, als ein Beweis der Eitel keit. Man richtet diese Denkmäler für die Könige auf, so wie man sie ankleidet, ohne daß sie darauf Acht haben. Man hielt in Florenz und Bologna öffentliche Lobreden auf ihn. Der berühmte toscanische Astro nom, Herr Guillemini, ließ in Florenz von seiner Freygebigkeit ein Haus bauen, und die Ueberschrift über die Thür setzen: Aedes a Deo datae, das von einem Gott geschenkte Haus. Er zielte hierdurch auf den Zunamen des geschenkten Got tes, welchen Ludewig der XIV. in seiner Jugend ge habt hatte, und auf die Zeile im Virgil: Deus nobis haec otia fecit. Diese Ueberschrift war ohne Zweifel weit abgöttischer als diejenige, die man unter seine Bildsäule auf dem Siegsplatze setzte: Viro immortali; dem unsterblichen Manne. Man hat diese letztere Ueberschrift getadelt, als ob das Wort, unsterblich, von etwas mehr, als von der Unsterblichkeit seines Ruhmes zu verstehen sey. Er war in den falschen Ruhm, den man ihm vor wirft, so wenig verliebt, daß er aus der Gallerie in Versailles alle schwülstige und hochmüthige Ueber schriften wegnehmen ließ, welche Charpentier, ein Mitglied der französischen Akademie, bey allen Ver zierungen angebracht hatte: der berühmte Ueber gang über den Rhein; die weise Aufführung des Königs; die wunderbare Unterneh mung et cetera Ludewig der XIV unterdrückte alle Beywörter, und ließ nur die Thaten. Die Aufschrift, welche sich in Paris an dem Thore des heil. Dionysius be findet, und die man ihm vorgeworfen hat, ist in der That den Holländern schimpflich, sie enthält aber kein ungeziemendes Lob Ludewigs des XIVten. Er ver stand kein Latein, wie wir schon gesaget haben, er kam selten nach Paris, und vielleicht hat er eben so wenig von dieser Ueberschrift reden hören, als von den Ueberschriften des Senteuil, welche an den Fon tainen in der Stadt sind. Freylich wäre es zu wün schen, daß wir keine Denkmäler stehen ließen, welche unsere Nachbarn erniedrigen, und daß wir hierinnen den Griechennachahmten, welche nach dem pelopon nesischen Kriege alles niederrissen, was Haß und Erbitterung von neuem hätte erwecken können. Die elenden Geschichte Ludewigs des XIV, sagen fast alle, daß der Kaiser Leopold eine Pyramide auf der Wahlstatt bey Hochstädt habe aufrichten lassen. Diese Pyramide aber ist niemals anders als in den Zeitungen zu finden gewesen, und ich erinnere mich, daß mir der Marschall von Villars einmal sagte, er habe nach der Einnehmung von Freyburg funfzig Reuter auf das Feld geschickt, wo diese unglückliche Schlacht vorgefallen, mit Befehl die Pyramide, wann sie wirklich da sey, nieder zu reißen; man habe aber nirgends die geringste Spur davon gefunden. Das Mährchen mit der Pyramide ist mit dem Mähr chen von dem Schaustücke des Sta sol, stehe stille, Sonne, in eine Classe zu setzen, welche die General staaten nach dem Frieden bey Aachen sollen haben schlagen lassen, an welche Thorheit sie aber niemals gedacht haben. Die vornehmsten Thaten, auf welche Ludewig der XIV seine Ehre gründete, waren, daß er zu An fange seiner Regierung den spanischen Zweig des Hau ses Oesterreich, welcher seit hundert Jahren unsern Königen den Vorsitz streitig machte, gezwungen ha be, selbigem im Jahr 1661 auf ewig zu entsagen; daß er im Jahre 1664 die Verbindung der zwey Meere unternommen habe, daß er im Jahre 1667 die Ge setze verbessert; in eben dem Jahre das französische Flandern in sechs Wochen erobert; das Jahr dar auf, mitten im Winter, die Franche Comte in we niger als einem Monate weggenommen, und Straß burg und Dünkirchen zu Frankreich gebracht habe. Zu diesen Stücken, die ihm nothwendig schmeicheln mußten, setze man noch eine Seemacht von beynahe zweyhundert Schiffen, 60000 im Jahre 1681 ein rollirte Matrosen, außer denen, welche damals schon in Diensten waren; die Häfen zu Toulon, zu Brest und zu Rochefort, die er bauen ließ, mehr als 50 angelegte Citadellen; die Stiftung des Inva lidenhauses von St. Cire; den Orden des heil. Lude wigs; das Observatorium; die Akademie der Wis senschaften; die Abschaffung des Zweykampfes; die Aufrichtung der Polizey; die Verbesserung der Ge setze; so wird man sehen, daß sein Ruhm gegründet genug war. Er that nicht alles, was er thun konnte, er that aber doch ungleich mehr, als ein anderer. Wann ich sage, daß alle die großen Denk maale den Staat nichts gekostet haben, den sie gleich wohl verschönerten, so sage ich nichts als die lautere Wahrheit. Das Volk glaubet, daß ein König, welcher viel auf Gebäude und Auszierungen wendet, sein Reich ruinire; er bereichert es vielmehr, indem er das Geld unter eine unzähliche Menge Künstler bringt; alle Profeßionen gewinnen dabey, und die Aem sigkeit und der Umlauf des Geldes wird vermehret. Der König, welcher seine Unterthanen am meisten arbeiten läßt, der macht sein Reich am meisten blü hend. Er liebte die Lobeserhebungen, aber nicht die groben, und diejenigen Gemüthsarten, welche gegen gerechte Lobsprüche unempfindlich sind, verdienen meistentheils keine. Wenn er die Prologen in den Opern, worinne ihn Quinault erhob, zuließ, so geschah es deßwegen, weil diese Lobeserhebungen der Nation gefielen, und die Ehrfurcht, welche sie gegen ihn hatten, vermehreten. Die Lobsprüche, welche Virgil, Horaz, Ovidius gegen den August verschwendeten, waren weit stärker; und wenn man an die Verbannungen gedenket, so hatte sie August weit weniger verdienet. Ludewig der XIVte billigte nicht alle Lobeserhebun gen, womit man ihn überhäufte. Die französische Akademie legte ihm gewöhnlicher Weise Rechenschaft von den Aufgaben zu dem Preise ab. Als eine von diesen Aufgaben einmal war: welche Tugend un ter allen Tugenden des Königs den Vorzug verdiene? so wollte er diese allzuempfindliche Schmei cheley durchaus nicht annehmen, und befahl, daß man eine andere Aufgabe vorlegen sollte. Aus allen diesen folgt, daß nie ein Mensch mehr nach der wahren Ehre gestrebt habe. Die wahre Bescheidenheit, ich gestehe es, ist weit über eine so edle Selbstliebe. Wenn es geschehen sollte, daß ein Monarch eben so große Thaten thun sollte, als Lude wig der XIV gethan hat, und wäre noch dazu be scheiden, so würde dieser Monarch der größte Mann auf der Welt, und Ludewig der XIV der erste nach ihm seyn. Ein unwidersprechlicher Beweis von seiner vor trefflichen Gemüthsart ist der lange Brief, welchen er an den Herrn la Tellier, den Erzbischof von Rheims schrieb, und den ich so glücklich gewesen bin im Originale zu sehen. Er war sehr misvergnügt über den Herrn Barbezieux, einen Neffen dieses Prälaten, dem er die Stelle des berühmten Louvois seines Vaters, das Staatssecretariat nämlich, ge geben hatte. Er wollte dem Herrn von Barbezieux nichts hartes sagen; er schrieb also an seinen Oheim, welcher mit ihm reden und ihn bessern sollte. Ich weiß, sagte er, was ich dem Andenken des Herrn von Louvois schuldig bin. Wann aber euer Neffe seine Aufführung nicht än dert, so werde ich wider meinen Willen ge zwungen seyn, einen Entschluß zu fassen. Er läßt sich hierauf in eine weitläuftige Erzählung aller seiner Verbrechen ein, die er dem Minister als ein zärtlicher Vater vorwirft, welcher um alles weiß, was in seinem Hause vorgeht. Er beklaget sich, daß Herr von Barbezieux seine große Geschicklichkeit nicht allzu wohl brauche; daß er dann und wann die Lust barkeiten den Geschäfften vorzieht; daß er die Offi ciere in seinem Vorgemache allzulange warten läßt; daß er mit allzuviel Härte und Stolz spreche. Die ser Brief ist in der That der Brief eines Königs und eines Vaters. In hundert Pasquillen, die man wider ihn ge schrieben hat, wirft man ihm seine Liebeshändel mit der größten Bitterkeit vor. Welcher von allen denen aber, die ihn anklagen, hat nicht eben die Leidenschaft? Es ist besonders, daß man einem Könige eine Frey heit nicht verstatten will, die sich der geringste von seinen Unterthanen so öffentlich anmaßt. Diejenigen, welche diese Leidenschaft niemals ge kannt haben, sind gemeiniglich harte und unerbitt liche Gemüthsarten. Ein Frauenzimmer, welche geliebt zu werden verdienet, macht die Sitten zärt licher. Sie ist die einzige, die einem Prinzen nütz liche Wahrheiten sagen kann, die er aus dem Munde einer Mannsperson nicht ohne Verdruß und Scham hören würde, und die ihm nicht einmal eine Manns person zu sagen sich untersteht. Ludewig der XIV war allezeit in seiner Wahl glücklich, und war es auch in seinen natürlichen Kindern. Er hatte zehn rechtmäßige, und zwey, welche es nicht waren. Zwey von den zehn rechtmäßigen starben in ihrer Kind heit; die andern achte hatten alle Verdienste. Die Prinzeßinnen waren liebenswürdig, der Herzog von Maine, und der Graf von Toulouse waren sehr kluge Prinzen. Der Graf von Vermandois, welcher sehr jung starb, und vor dem Grafen von Toulouse Ad miral war, versprach sehr viel. In der letzten Historie Ludewigs des XV giebt man vor, daß die Madame von Montespan, die Madame von Maintenon selbst an den Hof gebracht habe. Man betrügt sich, der Herzog von Richelieu war es, welcher sie dahin brachte; der Vater des ersten Kammerjunkers, welcher in Europa durch seine anmuthige Gestalt, durch seinen Witz und durch die Dienste, die er in der Schlacht bey Fontenay geleistet, so bekannt gewesen ist. Die Wohnung des Richelieu war der Sammelplatz der besten Ge sellschaft in Paris, und erhielt den Ruhm des Ma rais, welches damals das schöne Viertheil der Stadt war. Die Frau von Maintenon, die man damals die Frau Scarron nennte, eine Witwe des Sohnes eines Oberkammerraths, aus guter Familie, und die Enkelinn des unter dem großen Heinrich so bekannten von Aubigne, kam sehr oft in das Haus des Herrn von Richelieu, wo sie ungemein wohl gelitten war. Die Frau von Montespan wollte ihren Sohn, den Herzog von Maine, der damals noch ein Kind war, und einen etwas ungestalten Fuß hatte, in das Bad nach Barege schicken; sie sucht also eine verständige und verschwiegene Person, die die Aufsicht über sich nehmen wollte. Die Geburt des Herzogs von Maine war damals noch ein Geheimniß. Der Her zog von Richelieu schlug diese Reise der Frau Scarron vor, weil sie nicht reich war, und der Herr von Louvois, welcher um die Sache wußte, schickte ihn in geheim mit dem jungen Herzoge nach dem Bade ab. Man muß gestehen, daß bey dem Glücke dieser Dame ein besonderes Schicksal waltete. Sie war zu Niord in dem Gefängnisse gebohren, wo man ihren Vater verschlossen hielt, nachdem er aus dem Castelle Trompette mit der Tochter des Untergou verneurs eines von Cardillac, die er hernach heirathete, geflohen war. Sie war also von väterlicher und mütterlicher Seite von gutem Herkommen, nur daß sie kein Vermögen hatte. Ihr Vater hatte das we nige Vermögen verthan, welches er gehabt hatte, und suchte sein Glück in Amerika. Er nahm seine Tochter in ihrem dritten Jahre mit dahin, und als man mit ihr an das Ufer ausstieg, so wäre sie bey nahe von einer Schlange aufgefressen worden. Als sie in ihrem zwölften Jahre wieder nach Frank reich zurück gekommen war, hielt sie sich bey der Herzoginn von Navailles, ihrer Anverwandtinn, von welcher sie aber nichts als die Erziehung genoß, auf. Hier änderte sie ihre Religion; denn sie war in der calvinischen gebohren. Es war ein Glück für sie, den Scarron zu heirathen, welcher fast einzig von Gnadengeldern und von seinen Werken lebte, so daß er sein Landgütgen Quinet nannte, weil sein Buch händler Quinet hieß. Nach dem Tode ihres Mannes hielten alle ihre Freunde bey dem Könige für sie um einen Theil des Gnadengehalts an, welches Scarron genossen hatte, und der König ließ sie zwey Jahr warten. Endlich gab er ihr ein Gehalt von 2000 Livres, ehe sie den Herzog du Maine ins Bad führte. Er sagte zu ihr: Madame, ich habe euch lange warten lassen, allein ich war auf eure Freun de eifersüchtig, und ich wollte, daß ihr nie manden als mir solltet verbunden seyn. Der Kardinal von Fleury, aus dessen Munde ich diesen Umstand habe, hat mir gesaget, daß ihm der König eben diese Rede gehalten habe, als er ihm das Bis thum zu Fregus gegeben. Sie war ungefähr funf zig Jahr, als sich Ludewig der XIV in sie verliebte. Man muß gestehen, daß man in diesem Alter nicht leicht das Herz eines Königes besiegt, zumal das Herz eines Königs, welcher ekel geworden, ohne außerordentliche Verdienste zu besitzen. Höflichkeit wird dazu erfordert, ohne niedrige Dienstfertigkeit, Witz ohne Begierde ihn zu zeigen, eine natürliche Biegsamkeit, ein gründlicher und angenehmer Um gang, die Kunst die Seele eines Menschen ohn Un terlaß zu ermuntern, welcher alles gewohnt und alles überdrüßig ist; genugsame Stärke guten Rath zu ertheilen, und genugsames Zurückhalten, ihn nur zu gelegener Zeit zu ertheilen; endlich wird jener unaus zudrückende Reiz dazu erfodert, welcher den Geist fesselt, und den Schlummer der Gewohnheit aufleben läßt. Alle diese Eigenschaften besaß die Frau von Mentenon. Sie machte dem XIVten Ludewig von dem Jahre 1684 an, bis an seinen Tod, das Leben voller Anmuth. Die Geschichte des Reboulet saget, daß er sie in Gegen wart des Bonstemps und Forbins geheirathet habe; allein es war Herr von Montcheuvreuil und nicht Herr von Forbin, welche als Zeugen zugegen waren. Die erste Frau Jacobs des IIten Königs in Eng land, war eine Tochter des Kanzlers Hyde. Sie war beyweiten aus keiner so guten Familie als die Frau von Maintenon, noch vielweniger aber hatte sie ihre Verdienste. Wir haben Petern dem Großen ein Frauenzimmer heirathen sehen, welches weit ge ringer als jene beyden Damen waren, und diese Ge mahlinn Peters ward nicht nur Kaiserinn, sondern sie verdiente es auch zu seyn. Die Liebe macht, daß alle Ungleichheiten verschwinden, und weiß sehr große Zwischenräume zusammen zu bringen. Der gewis seste Beweis, daß die Frau von Maintenon ihres Glückes werth gewesen, war dieser, daß sie es nie mals misbrauchte. Sie hatte niemals die Eitelkeit dasjenige zu scheinen was sie war; ihre Bescheiden heit verlor sich niemals; und niemand am Hofe konn te sich über sie beklagen. Nach dem Tode Ludewigs des XIV begab sie sich in die Abtey von St. Cir, wo sie eine Pension von vier und zwanzig tausend Livres bekam; und dieses war das einzige Glück, welches sie sich vorbehielt. Alle in Holland gedruckte Geschichten Ludewigs des XIV, werfen ihm die Wiederrufung des Edicts von Nantes vor. Ich glaube es wohl. Alle diese Bücher sind von Protestanten geschrieben worden. Sie waren eben so unerbittliche Feinde dieses Monar chen, als sie vorher, ehe sie das Reich meiden muß ten, treue Unterthanen gewesen waren. Ludewig der XIV verjagte sie nicht so, wie der König Phi lipp der III die Mohren aus Spanien verjagt hatte, welches für die spanische Monarchie eine unheilbare Wunde war. Er wollte die Hugenotten behalten, und sie bekehren. Ich habe den Kardinal von Fleury gefragt, was wol den König vornehmlich be wogen, alle sein Ansehen bey dieser Sache anzuwen den. Er antwortete mir, es sey alles durch den Herrn von Boville, den Intendanten in Languedoc, hergekommen, welcher sich geschmeichelt, die calvini sche Religion in dieser Provinz unterdrückt zu haben, wo gleichwol noch mehr als 24000 Hugenotten wa ren. Ludewig der XIV glaubte, daß, wenn ein In tendante in seinem Bezirke diese Sekte unterdrückt habe, er sie eben so leichtlich in seinem Königreiche unterdrücken würde. Der Herr von Louvois fragte über dieser Sache den Herrn von Gourville um Rath, welchen der König von England, Carl der II, den klügsten Franzosen nannte. Die Meynung des Herrn von Gourville war, auf einmal alle Prediger der protestantischen Kirche aufheben zu lassen. In nerhalb sechs Monaten, sagte er, wird die Hälfte von diesen Predigern ihren Glauben abschwören, und diese läßt man alsdenn wieder unter ihre Heerde; die andere Hälfte, welche halsstarrig bleiben sollte, be hält man im Gefängnisse, wo sie unfähig sind, uns zu schaden. Endlich wird es kommen, daß in wenig Jahren die Hugenotten, wenn sie keine andere als be kehrte Priester haben, welche bey ihrer Veränderung zu bleiben gezwungen sind, sich wieder mit der römi schen Kirche vereinigen werden. Andere waren der Meynung, man müsse den Staat nicht der Gefahr aussetzen, eine so große Anzahl Bürger zu verlieren, in deren Händen die Manufacturen und die Hand lung wäre; man solle also lutherische Familien, wie deren im Elsaß wären, in das Reich kommen lassen. Die Lutheraner, die Calvinisten, die Jansenisten, welche weit erbitterter gegen einander, als gegen die römische Kirche wären, würden endlich so verächtlich werden, daß man keine Gefahr von ihnen besorgen könne, und daß sich endlich nach und nach alle bekeh ren würden. Der Geist der Parteylichkeit sey über haupt sehr gefallen, und diese epidemische Krankheit liefe zu Ende. Die königliche Gewalt stehe auf allzu festen Gründen, als daß alle Secten in der Welt in einer Stadt nur einen Aufstand von 14 Tagen erregen könnten. Colbert widersetzte sich allezeit dem Vorsatze, die Hu genotten öffentlich zu unterdrücken, weil er sie für nützliche Unterthanen ansahe, die man zu behalten suchen müßte. Die Manufacturen des Vanrobes und viele andere, waren mit lauter Leuten von dieser Sekte besetzt. Nach seinem Tode, welcher im Jahre 1683 erfolgte, verfuhren Tellier und Louvois wider die Calvinisten. Sie sammelten sich zu Haufen, und man widerrufte das Edict von Nantes. Man riß ihre Tempel nieder, und begieng den großen Fehler, daß man ihre Predi ger verwies. Wenn die Hirten voran gehen, so folget die Heerde nach. Aller Vorsicht ungeachtet, ver ließen mehr als acht hundert tausend Menschen das Königreich, welche in fremde Länder ungefähr eine Million Geld, alle Künste und den Haß gegen ihr Vaterland mitnahmen. Holland, England und Deutschland wurden von diesen Flüchtlingen bevölkert. Wilhelm der III hatte ganze Regimenter von franzö sischen Protestanten in seinem Dienste. In Berlin allein sind zehn tausend Franzosen, welche aus diesem wilden Orte eine reiche und prächtige Stadt gemacht haben. Sie haben Städte bis in das Innerste des Vorgebirges der guten Hoffnung angelegt. Als der Staat von dieser Secte befreyet und ihrer Hülfe be raubet war, so wollten die Jansenisten ihren Platz einnehmen und eine beträchtliche Partey ausmachen. Es gelang ihnen auch eine Zeit lang, und Ludewig der XIV ward die letzten Jahre seines Lebens ziemlich damit überlästiget. Die Gewalt der Gesetze aber hat sie ausgerottet, und die Gliederverzückungen haben sie lächerlich gemacht. Seit dem Jahre 1704 bis 1712 war Ludewig der XIV sehr unglücklich. Er erduldete alles dieses Un glück als ein Mensch, der niemals das Glück gekannt hat. Er verlor seinen einzigen Sohn 1711; im Jahre 1712 sahe er in weniger als einem Monate sei nen Enkel, den Herzog von Bourgogne, die Her zoginn von Bourgogne, und den ältesten von seinen Urenkeln sterben. Der König sein Nachfolger, welchen man damals den Herzog von Anjou nannte, lag auch in den letzten Zügen. Ihre Krankheit war eine böse Art von Kinderpocken, wovon zu gleicher Zeit der Herr von Seignelai, Mademoiselle d'Arma magnac, Herr von Listeney, Madame von Gondrin, die nachherige Gräfinn von Toulouse, Herr de la Vrilliere, der Herzog de la Tremouille, und viele andere Personen in Versaille befallen wurden. Der Marquis von Gondrin starb den zweyten Tag daran. Mehr als zweyhundert Personen kamen in Paris daran um. Die Krankheit erstreckte sich beynahe durch ganz Frankreich, und in Lothringen verlor der Herzog zwey Kinder dadurch. Wenn man nur die Augen aufthun, und die geringste Ueberlegung ma chen wollte, so würde man den entsetzlichen Verleum dungen nicht überlassen seyn, welche so blindlings ausgestreuet wurden. Sie waren die Folge der un vorsichtigen Rede eines Arztes, mit Namen Boudin, eines lockern, verwegenen und unwissenden Menschen, welcher behauptete, daß die Krankheit, woran diese Prinzen gestorben wären, nicht natürlich sey. Ich bin allezeit erstaunt, daß die Franzosen, welche so we nig fähig sind, große Verbrechen zu begehen, gleich wohl so fertig sind, sie zu glauben. Der berühmte Homberg, der Chymicus des Herzogs von Orleans, ein tugendhafter Weltweiser, der aber sehr einfältig war, erstaunte ganz, als er hörte, daß man ihn im Verdacht hatte. Er lief geschwind in die Bastille, sich selbst gefangen zu stellen; allein man lachte über ihn, und dachte nicht daran, ihn zu behalten. Gleichwohl waren diese Reden unter dem Volke, wel ches allezeit mehr als zu verwegen ist, lange Zeit all gemein. Ihre offenbare Falschheit sollte die Menschen lehren, behutsam zu urtheilen, wenn es möglich wäre, daß sich die Menschen bessern ließen. Eines von den Unglücken, welches den XIV Lude wig zu Ende seiner Regierung überfiel, war die Ver wirrung der Finanzen. Sie fing sich mit dem Jahre 1689 an. Man schickte alles Silberzeug in die Münze. Der König selbst gieng mit seinem Exempel zuvor, indem er aus seiner Gallerie und aus seinem großen Zimmer alle das prächtige Geräthe von purem Sil ber nehmen ließ, worauf Balin die Zeichnungen des berühmten le Brün gestochen hatte; und gleichwohl gewonn man dabey nicht mehr als drey Millionen. Man brachte die Kopfsteuer im Jahre 1695 auf; man machte Tontinen. Der Hr. von Pontchartrain verkaufte 1696 allen Adelsbriefe, die welche haben wollten, für zwey tausend Thaler, und endlich legte man auf die Erlaubniß, ein Petschaft zu führen, eine Abgabe von zwanzig Franken. In dem Kriege von 1701 war die Erschöpfung außerordentlich. Der Herr des Marets ward ein mal genöthiget, hundert tausend Franken wegzuneh men, welche bey den Charthäusern in Deposito lagen, und an deren Statt Obligationes niederzulegen, weil der Staat gleich in der äußersten Noth war. Wenn man gleich angefangen hätte, die Auflage des Zehnten einzuführen, eine Auflage, die für alle Menschen gleich ist, (welches man aber erst im Jahre 1710 that) so würde sich der König oft weit eher haben helfen können. So aber gab man sich lieber mit Un terhändlern ab, welche sich bereicherten und das Volk ruinirten. Es war noch Geld genug im Staate, allein das Mistrauen hielt es verborgen. In dem letzten Kriege 1741 hat man es gar wohl gesehen, wie sehr sich Frankreich helfen könne. Der Credit hat nicht einen Augenblick gefehlet, und man hat nicht einmal befürchtet, daß er jemals fehlen werde. Nichts beweiset es besser, daß Frankreich das mächtigste Reich in Europa ist, wenn es gehörig verwaltet wird.
IV. Cromwell .
                    
                        
                            Cromwell
                        .
                    
                
 Man mahlet den Cromwell als einen  Mann ab, der Zeit seines Lebens  ein Betrüger gewesen seyn soll.  Ich kann mir es kaum einbilden.  Ich glaube, daß er Anfangs ein  Enthusiast war, und sich dieser Enthusiasterey nach her zu seiner Erhöhung bediente. Ein angehender  Mönch, der im zwanzigsten Jahre schon eifrig ist,  wird insgemein ein geschickter Betrüger im vierzig sten. In dem großen Spiele des menschlichen Le bens, läßt man sich Anfangs betrügen, bis man end lich selbst ein Betrüger wird. Ein Staatsmann erwählt sich zu seinem Almosenier  einen Mönch, der von dem Abgeschmackten seines  Klosters ganz zusammengesetzt ist. Andächtig, leicht gläubig, ungeschickt, für die Welt ganz neu. Der  Mönch unterrichtet sich, bildet sich, mischt sich in  Händel, und sticht seinen Herrn aus. Cromwell war Anfangs unschlüßig, ob er ein  Geistlicher, oder ein Soldat werden wollte. Er  war weder eins noch das andere. Er that im Jahre  1622 unter der Armee des Prinzen von Oranien,
    Friedrich Heinrichs, des großen Mannes, und Bru ders zweener großen Männer, einen Feldzug. Da  er nach England zurück kam, trat er bey dem Bi schof Williams in Dienste, und wurde der Geistliche  dieses Herrn, während daß der Bischof für den Lieb haber seiner Frau gehalten wurde. Seine Grund sätze waren der Puritaner ihre, folglich mußte er ei nen Bischof von ganzem Herzen hassen, und die  Könige nicht lieben. Man jagte ihn aus dem Hause des Bischofs Wil liams, weil er ein Puritaner war; und dieses legte  den Grund zu seinem Glücke. Das Parlement von England erklärte sich wider die königliche Würde und  wider die bischöfliche Kirche, und einige Freunde,  die er in diesem Parlemente hatte, verschafften ihm  die Ernennung eines Dorfes. Um diese Zeit fing er  erst an bekannt zu werden, und er war schon über  vierzig Jahr alt, ohne daß er jemals von sich hatte  reden gemacht. Er mochte die Schrift noch so  wohl inne haben, über die Rechte der Priester und  Diaconen streiten, einige schlechte Reden halten, und  etliche Schmähschriften ausgehen lassen, so war er  doch unbekannt. Ich habe von ihm eine sehr abge schmackte Rede gesehen, die denen Predigten der  Quacker ziemlich gleich kam, und worinnen man nicht  die geringste Spur derjenigen beweglichen und rüh renden Beredsamkeit entdecket, mit der er nachher  die Parlemente nach sich riß. Die Ursache davon
  war: er schickte sich mehr zu Staatsgeschäfften, als  zu Kirchensachen. Seine Beredsamkeit kam haupt sächlich auf seinen Ton und auf seine Minen an. Ei ne Bewegung mit derjenigen Hand, die so viele  Schlachten gewonnen, und so viele von der königli chen Partey ermordet hatte, überzeugte mehr, als  die Perioden des Cicero. Man muß bekennen, daß  seine unvergleichliche Tapferkeit ihn bekannt machte,  und ihn stufenweise zum Gipfel der Hoheit führte. Das erste, was er that, war, daß er sich als ein  Freywilliger, der sein Glück machen wollte, in die  vom Könige belagerte Stadt Hull warf. Er that  sich daselbst durch schöne und glückliche Thaten hervor,  wofür er von dem Parlemente eine Belohnung von  ungefähr sechstausend Franken erhielt. Dieses Ge schenk, welches das Parlement einem Menschen ohne  Namen und Bedienung machte, zeigte sattsam, daß  die aufrührische Partey die Oberhand behalten sollte.  Der König war nicht im Stande, seinen Generalsper sonen dasjenige zu geben, was das Parlement denen  Freywilligen gab. Mit Geld und etwas Enthusiaste rey muß man endlich in der Länge Meister von allem  werden. Man machte den Cromwell zum Obristen. Nun entwickelten sich erst seine große Gaben zum Kriege recht, dergestalt, daß das Parlement, da es
     den Grafen von Manchester zum General seiner Ar meen ernannte, den Cromwell zu dessen Generallieu tenant machte, ohne daß er die übrigen Stufen durch gegangen hätte. Niemals hatte jemand würdiger ge schienen, ein Commando zu führen; niemals hatte  man in jemanden mehr Hurtigkeit und Klugheit,  mehr Verwegenheit, und mehr Hülfsmittel vereinigt
  gefunden, als im Cromwell. Er wird in der Schlacht  bey York verwundet; und während, daß man seine  Wunde zum erstenmal verbindet, erfährt er, daß sein
    General Manchester sich zurück zieht, und die  Schlacht verloren ist. Er suchet in aller Eil den Manchester auf, trifft ihn mit einigen Officiers auf  der Flucht an, nimmt ihn bey dem Arm, und saget  mit einer Mine voller Zutrauen und Hoheit zu ihm:  Sie irren sich, Mylord, dieses ist nicht die Seite,  wo die Feinde sind. Er führet ihn bis nahe an das  Schlachtfeld zurück, bringt zeit während der Nacht mehr  als zwölf tausend Mann zusammen, redet ihnen im  Namen Gottes zu, führet Mosen, Josua, und Gideon  an, fängt bey Anbruch des Tages das Treffen wider  die siegreiche königliche Armee von neuen an, und wirft  sie gänzlich über den Haufen. Ein solcher Mensch  mußte entweder umkommen, oder die Oberhand be halten. Fast alle Officiers seiner Armee waren En thusiasten, die das neue Testament hinter sich auf  dem Sattel hatten; man redete bey der Armee, eben  wie im Parlement, von nichts anders, als Babel  zu vernichten, den wahren Gottesdienst in Jerusalem  wieder herzustellen, und den Coloß zu zerbrechen. Cromwell hörte unter so viel Narren auf, es zu seyn,  und dachte, es wäre besser, sie zu beherrschen, als  sich von ihnen beherrschen zu lassen. Die Fertigkeit  als einer, der göttliche Eingebungen hätte zu reden,  blieb ihm noch übrig. Man stelle sich einen Faqvir  vor, der, um Buße zu thun, einen eisernen Gürtel  umgethan hat, und denselben hernach los gürtet, um  denen übrigen Faqvirs eins damit hinter die Ohren  zu geben. So war Cromwell! er wurde eben so ver
 schlagen, als er beherzt war; er vereinigte sich mit  allen Obristen der Armee, und machte also unter den  Truppen eine Republik, die den Generalißimus  zwingt, das Commando nieder zu legen. Man er nennet einen andern Generalißimus, dem er das  Commando verdrüßlich machet. Er regieret die Ar mee, und durch sie regieret er das Parlement; er se tzet dieses Parlement in solche Umstände, daß es ihn  endlich zum General erklären muß. Alles dieses ist  viel; das wesentlichste aber ist, er gewinnt alle  Schlachten, die er in England, Schottland und  Irrland liefert, und er gewinnt sie, nicht indem er  dem Streite zusieht, und sich selbst schonet, sondern  indem er in die Feinde immer eindringt, seine Truppen  wieder zusammen bringt, sich auf allen Seiten befin det, öfters verwundet wird, und wie ein grimmiger  und erbitterter Grenadier mit eigener Hand viele kö nigliche Officiers ermordet. Mitten in diesem schrecklichen Kriege machte sich Cromwell mit Liebeshändeln etwas zu thun; und  scheuete sich nicht, mit der Bibel unter dem Arme,
     bey der Frau seines Generalmajors Lambert zu schla fen. Sie liebte den Grafen von Holland, der unter  der Armee des Königs diente. Cromwell nimmt ihn  in einer Schlacht gefangen, und macht sich das Ver gnügen, seinem Mitbuhler den Kopf vor die Füße  legen zu lassen. Sein Grundsatz war, das Blut  eines jeden Feindes von Wichtigkeit, entweder auf  dem Schlachtfelde, oder durch die Hand des Scharf richters zu vergießen. Er vergrößerte seine Macht  beständig, ob er sich gleich beständig derselben mis brauchte; die Unergründlichkeit seiner Absichten be
 nahmen seiner wilden Ungestümheit nichts. Er be giebt sich in die Parlementskammer; und indem er  seine Taschenuhr heraus zieht, die er an die Erde  wirft, und in Stücken zerschmeißt, spricht er: ich  will euch, wie diese Uhr, zerschmeißen. Kurz dar auf kömmt er wieder dahin, verjagt alle Glieder,  einen nach dem andern, und alle müssen vor ihm vor bey gehen. Jeder von ihnen muß ihm bey dem Vor übergehen eine tiefe Verbeugung machen. Einer be hält den Huth auf dem Kopfe, Cromwell reißt ihm  denselben ab, wirft ihn zur Erde, und spricht, lernet  ehrerbiethig gegen mich zu seyn. Als er seinem rechtmäßigen Könige auf einem  Schafot den Kopf hatte abschlagen lassen, unterstund  er sich, sein Bildniß einem gekrönten Haupte, nämlich
     der Königinn Christina von Schweden, zu überschi cken. Marvel, ein berühmter englischer Poet, der  sehr gute lateinische Verse macht, begleitete dieses  Bildniß mit sechs Versen, darinnen er den Cromwel  selbst reden läßt. Cromwel verbesserte die beyden  letztern also: At tibi submittit frontem reuerentior vmbra,  Non sunt hi vultus regibus vsque truces. Der kühne Verstand dieser sechs Zeilen ist: Ich  habe, die Waffen in der Hand, Gesetze und Freyheit vertheidiget. Betrachte mein Bild niß ohne Schauern! Mein Blick ist nicht  immer Königen schrecklich. Diese Königinn war die erste, die ihn, so bald er  Protector der drey Königreiche war, dafür erkannte.  Fast alle gekrönte Häupter von Europa schickten Ge
 sandten an ihren Bruder Cromwell, an diesen Bedien ten eines Bischofs, der nur erst kürzlich durch die  Hände des Scharfrichters einen Monarchen, ihren  Anverwandten, umgebracht hatte. Sie bemüheten  sich, fast um die Wette, nach einem Bündnisse mit
     ihm. Der Kardinal Mazarin verjagte ihm zu Ge
    fallen die beyden Söhne Carls des ersten, die beyden  Enkel von Heinrich dem vierten, und beyden Vettern Ludewigs des vierzehnten aus Frankreich. Frank reich eroberte Dünkirchen für ihn, und überlieferte  ihm die Schlüssel davon. Nach seinem Tode trug
    Ludewig der vierzehnte und sein ganzer Hof die Trauer,  ausgenommen Mademoiselle, welche das Herz hatte,  mit einem farbigen Kleide öffentlich zu erscheinen,  und die Ehre ihres Hauses allein behauptete. Kein König ist jemals uneingeschränkter, als er,  gewesen. Er sagte, er habe lieber unter dem Na men eines Protectors, als eines Königs, regieren  wollen, weil die Engländer wohl wüßten, wie weit  sich die Vorrechte eines Königs von England erstre cken, aber nicht wüßten, wie weit die eines Protectors  gehen könnten. Das hieß recht, die Menschen kennen,  welche die Meynungen regieren, und deren Meynun gen von einem Namen abhangen. Er hegte eine sehr große Verachtung gegen die Religion, die sein Glück gemacht hatte. Man hat  eine sichere Nachricht, die in dem Schlosse St. Ja mes auf behalten worden ist, welche sattsam von der  wenigen Achtung zeuget, die Cromwell gegen dieses  Werkzeug, das so große Wirkungen in seinen Händen  hervor gebracht hatte, trug. Er trank einsmals mit
    Ireton
                Fleetwood und St. James, Aeltervater des
  berühmten Mylords Bollingbrooke. Man wollte ei ne Flasche aufmachen, der Korkzieher aber fiel unter  den Tisch, worunter sie ihn alle suchten und nicht fun den. Während der Zeit wartete eine Gesandtschaft  der presbyterianischen Kirche in dem Vorsaale, und ein  Gerichtsdiener kam herein, sie anzumelden. Man  sage ihnen, sprach Cromwell, daß ich nicht mehr hier  sey, und daß ich den Herrn suche. Es war dieses  der Ausdruck, dessen sich die Fanatici bedienten, wenn  sie ihre Gebethe verrichteten. Nachdem er auf diese  Art den Trupp von Geistlichen fortgeschickt hatte, sagte  er zu seinen Vertrauten diese eigenen Worte: Die  Lumpenhunde glauben, daß wir den Herrn su chen, und wir suchen nichts, als den Korkzieher. Man hat kein Exempel in Europa von einem Men schen, der von so schlechter Herkunft sich so hoch empor  geschwungen hat. Was mußte aber nothwendig noch  bey allen diesen seinen großen Gaben seyn? Das Glück.  Er hatte dieses Glück, aber war er glücklich? Er lebte  bis ins drey und vierzigste Jahr arm und unruhig; er  badete sich nachher im Blute, brachte sein Leben in Un ruhe hin, und starb vor der Zeit im fünf und funfzigsten  Jahre. Man vergleiche einmal dieses Leben mit eines Neutons seinem, welcher vier und achtzig Jahr bestän dig ruhig und beständig geehrt gelebet hat, der bestän dig das Licht aller denkenden Wesen war, der täglich  seinen Ruhm, sein Ansehen, sein Glück zunehmen sah,  ohne daß er jemals Sorge oder Gewissensunruhe gehabt hätte; und urtheile darnach, wer von beyden  am glücklichsten gewesen ist. O! curas hominum, o! quantum est in rebus inane!  
V. Von dem Korane und dem Mahomed .
VI. Geheime Nachrichten von dem Czaar Peter, dem großen.
VII. Zwey Briefe über die Herren, Johann Law, Melon und Dutot.
                        
                            Brief
                        
                        
                    
  
                    Man versteht seit zwanzig Jahren die Handlung in Frankreich besser, als man sie von Pharamund an bis auf Ludewig den vierzehnten verstanden hat. Vordem war es eine verborge ne Kunst, und eine Art der Chymie in den Händen von drey bis vier Menschen, die in der That Gold mach ten, und ihr Geheimniß nicht sagten. Der größte Theil der Nation war so erstaunend unwissend in diesem wichtigen Geheimnisse, daß kaum unter den Staatsbedienten und Richtern einer war, der wußte, was Actien, Primen, Wechsel und Dividende wa ren. Es mußte deswegen ein Schottländer, Na mens Johann Law, nach Frankreich kommen, und die ganze Verfassung unserer Regierung über den Haufen werfen, um uns zu unterrichten. Er unter stund sich in der allerjämmerlichsten Verwirrung un serer Finanzen, und bey dem allgemeinsten Mangel eine Bank und eine indianische Handelsgesellschaft zu errichten. Es war dieses ein Brechmittel für Kranke; wir nahmen aber etwas zu viel davon, und bekamen Convulsionen. Jedoch blieb endlich von den Trüm mern seines aufgeführten Gebäudes eine indianische Handlungsgesellschaft mit einer liegenden Summe von funfzig Millionen für uns übrig. Was würde es erst gewesen seyn, wenn wir von der Arztney nur so viel, als sich gebührte, genommen hätten? Der Staatskörper würde meines Erachtens itzo der stärkste und wichtigste des ganzen Erdbodens seyn. Es herrschte noch ein so grobes Vorurtheil unter uns, als die gegenwärtige indianische Handlungsge sellschaft errichtet wurde, daß die Sorbonne den Di vidend der Actien für einen unerlaubten Wucher erklärete. Es geschah auf eben eine solche Art, wie man die deutschen Buchdrucker, die im Jahre 1570 nach Frankreich kamen, ihre Kunst zu treiben, als Zauberer anklagte. Man muß es gestehen, wir Franzosen seyn in allen Arten von Künsten sehr spät gekommen; unsre ersten Schritte in den Künsten ha ben darinnen bestanden, uns der Einführungen der Wahrheiten, die von andern Orten zu uns kamen, zu widersetzen. Wir haben Sätze wider den in Eng land erwiesenen Umlauf des Geblüts, und wider die in Deutschland gründlich gezeigte Bewegung der Erde behauptet. Man hat so gar heilsame Arztneymittel durch obrigkeitliche Verordnungen verbannet. Wahr heiten anzeigen, einige den Menschen nützliche Dinge vorschlagen, ist ein sicheres Mittel verfolget zu wer den. Johann Law, derjenige Schottländer, dem wir unsere indianische Handlungsgesellschaft und die Wissenschaft des Handlungswesens zu danken haben, wurde aus Frankreich verjaget, und starb zu Vene dig im größten Elende, und dem ungeachtet haben wir itzo auf achtzehn hundert Kauffartheyschiffe, da wir damals, als er seinen Entwurf aufs Tapet brachte, kaum drey hundert hatten. Das haben wir ihm zu danken, und wir sind weit von der Dankbar keit entfernet. Die Grundsätze des Handels sind heut zu Tage jedermann bekannt. Seit einiger Zeit haben wir gute Bücher dieses Inhalts bekommen. Der Versuch über die Handlung von dem Herrn Melon , ist ein Werk eines witzigen Kopfes, eines guten Bür gers und eines Weltweisen: es schmecket nach dem Geiste des Jahrhunderts, und ich glaube nicht, daß selbst zu der Zeit des Herrn Colberts zween Menschen im Stande gewesen wären, ein solches Buch zu lie fern. Nichts desto weniger sind Fehler genug in die sem guten Werke; so schwer ist der Weg zur Wahr heit. Es ist ungemein nützlich, die Versehen in ei nem guten Buche anzumerken. Und eben da muß man sie aufsuchen; denn das heißt ein gutes Werk verehren, wenn man demselben widerspricht: die übrigen verdienen solche Ehre nicht. Folgende Sätze haben mir ungegründet zu seyn geschienen. 1. Er saget: In den Ländern, wo die meisten Bettler wären, herrschte die größte Barbarey. Ich glaube, daß keine Stadt weniger barbarisch sey als Paris, und wo mehrere Bettler anzutreffen wären. Es ist ein Geschmeiß, das dem Reichthume nachgeht; die Faulenzer laufen von dem Ende des Königreichs nach Paris, um daselbst von den Vermögenden und Wohlthätigen eine Schatzung einzutreiben. Es ist ein Misbrauch, der schwerlich auszurotten ist; der aber nur beweist, daß es solche leichtsinnige Leute giebt, die lieber um Allmosen bet teln, als ihr Brodt verdienen wollen. Es ist ein Beweis des Reichthums und der Nachläßigkeit, kei nesweges aber der Barbarey. 2. Er wiederholet an unterschiedenen Orten, daß Spanien ohne America mächtiger seyn wür de. Er gründet sich auf die Entvölkerung Spaniens, und auf die Ohnmacht, worinn dieses Königreich seit langer Zeit geschmachtet hat. Diese Meynung, daß America Spanien entkräftet, findet sich fast in hundert Schriftstellern; wenn sie aber hätten in Erwägung zie hen wollen, daß die Schätze der neuen Welt die Befe stigung der Macht Carls des fünften gewesen, und daß Philipp der zweyte Meister von ganz Europa geworden seyn würde, wenn Heinrich der Große, Elisabeth und die Prinzen von Oranien nicht Helden gewesen wären; würden sie ihre Meynungen ohne Zweifel geändert haben. Man hat geglaubt, daß die spa nische Monarchie zu Grunde gerichtet wäre, weil die Könige, Philipp der Dritte, Philipp der Vierte, und Carl der Zweyte unglücklich oder schwach gewe sen sind. Man sehe aber nur, wie diese Monarchie unter dem Kardinal Alberoni auf einmal ein neues Leben bekommen hat, man werfe seine Augen auf Africa und Asien, den Kriegsschauplatz der gegen wärtigen spanischen Regierung; so wird man bald einräumen müssen, daß die Völker dasjenige sind, wozu sie die Könige oder die Staatsbedienten machen. Der Muth, die Tapferkeit, der Fleiß und alle Ga ben bleiben vergraben, so lange bis ein Geist er scheint, der sie erwecket. Das Capitolium wird itzo von Barfüßermönchen bewohnt, und man theilet itzo an eben dem Orte Rosenkränze aus, wo die über wundenen Könige dem Wagen eines Pauls Aemils nachfolgten. Es darf nur ein Kaiser seine Residenz zu Rom nehmen, der ein Julius Cäsar ist, so wer den alle Römer selbst wieder Cäsars werden. Was die Entvölkerung Spaniens betrifft, ist solche gerin ger, als man vorgiebt; und überhaupt von der Sa che zu reden, sind nicht dieses Königreich und die Länder in America, die davon abhangen, heut zu Tage Provinzen eines einzigen Reiches, die durch einen Zwischenraum, den man in zween Monaten zurück legen kann, getrennet sind? Endlich werden ihre Schätze durch einen nothwendigen Umlauf auch uns zu Theile; die Coschenille, der Indig, die Chi nachinä, die Bergwerke von Mexico und Peru sind unser, und unsere Manufacturen sind folglich spanisch. Wenn America ihnen zur Last gereichte, würden sie wohl so lange Zeit darauf bestehen, denen Fremden den Eingang in dieses Land zu versperren? Verwah ret man denn die Wälle seines Verderbens so sorgfäl tig, wenn man zwey hundert Jahre Zeit gehabt, seine Ueberlegungen darüber zu machen? 3. Er saget: Der Verlust der Soldaten wäre nicht das betrübteste in den Kriegen; hundert tausend erschlagene Soldaten wären ein gar geringer Theil gegen zwanzig Millionen; die Vermehrungen der Auflagen hingegen machten zwanzig Millionen Menschen unglücklich. Ich will es ihm überhin gehen lassen, daß zwanzig Millionen Menschen in Frankreich seyn sollen; allein das kann ich ihm nicht vergeben, daß es besser sey, hundert tausend Menschen auf die Schlachtbank zu liefern, als von dem Reste der Nation einige Auf lagen bezahlen zu lassen. Das ist noch nicht alles; es ist hier ein befremdlicher und betrübter Irrthum im Rechnen begangen worden. Ludewig der Vierzehnte hat das ganze Corps zur See mitgerechnet, zur Zeit des Krieges im Jahre 1701 vier hundert und vierzig tausend Mann in seinem Solde gehabt. Niemals ist das römische Reich an Truppen so stark gewesen. Man hat bemerket, daß der fünfte Theil einer Armee während eines Feldzuges entweder durch Krankheiten, oder durch andere Zu fälle, oder durch Feuer und Schwerdt umkamen. Das sind acht und achtzig tausend starker Leute, die der Krieg jedes Jahr aufrieb; folglich verlor der Staat binnen zehn Jahren acht hundert und achtzig tausend Menschen, und mit ihnen die Kinder, die sie hätten, zeugen können. Wenn nun Frankreich ungefähr achtzehn Millionen Menschen begreift, und man da von fast die Hälfte für die Weiber abzieht, hier nächst die alten Leute, die Kinder, die Geistlichkeit, die Mönche, Obrigkeiten und Ackerleute abrechnet, was bleibt zur Vertheidigung der Nation übrig? Unter achtzehn Millionen wird man kaum achtzehn hundert tausend Mann finden, und der Krieg reibt binnen zehn Jahren deren auf neun hundert tausend auf; er reißt unter einer Nation die Hälfte derjeni gen, die für sie streiten können, hin; und man kann doch noch behaupten, daß eine Auflage betrübter sey, als ihr Tod? Nachdem ich diese Unachtsamkeiten, die der Ver fasser selbst würde getadelt haben, angemerket, will ich mir nun den Verdruß anthun, alles das, was er von der Freyheit der Handlung, von den Waaren, von dem Wechsel, und vornehmlich von der Pracht saget, zu rühmen. Diese kluge Schutzrede der Pracht ist bey diesem Schriftsteller um so viel schätz barer, und hat in seinem Munde ein so viel größeres Gewicht, weil er als ein Weltweiser lebte. Und was ist denn die Pracht? Es ist ein Wort ohne bestimmte Bedeutung, ungefähr so, wie wir die Himmelsgegenden Morgen und Abend nennen. In der That ist weder Morgen noch Abend; es ist kein Punct, wo die Erde auf- oder untergehe, oder vielmehr ein jeder Punct ist Morgen und Abend. Eben so verhält es sich mit der Pracht; entweder es ist dergleichen gar nicht, oder sie ist überall. Man gedenke einmal an die Zeiten zurück, da unsere Vä ter keine Hemden trugen. Wenn jemand zu ihnen gesaget hätte, ihr müßt einen noch feinern und leich tern Zeug, als das feinste Tuch ist, auf eurer Haut tragen; derselbe muß weiß, wie der Schnee, seyn, und ihr müßt ihn täglich verändern; und wenn er etwas schmutzig worden, muß eine durch die Kunst verfertigte Zusammensetzung demselben seine erste Weiße wieder geben: würde jedermann ausgerufen haben: Ach welche Verschwendung! welche Verzär telung! ein solcher Aufwand ist kaum für die Kö nige; ihr wollt unsere Sitten und den Staat ver derben. Versteht man etwan durch die Pracht den Auf wand eines reichen Menschen? Allein muß denn ein solcher als ein Armer leben, er, dessen Pracht und Aufwand allein macht, daß die Armen leben können; der Aufwand muß das Wetterglas von dem Glücke einer Privatperson seyn, und die allgemeine Pracht ist ein untrügliches Zeichen eines mächtigen und an sehnlichen Reichs. Unter Carln dem Großen, un ter Franz dem ersten, unter dem großen Colbert, und unter der itzigen Regierung ist der Aufwand am größten gewesen, oder welches einerley ist, sind die Künste am besten getrieben worden. Was wollte der bittere, der satyrische Labruyere? Was wollte dieser gezwungene Menschenfeind sagen, wenn er ausruft: Unsre Vorfahren hüteten sich gar sehr, ein eitles Gepränge nützlichen Dingen vorzuziehen; man sahe bey ihnen keine Wachslichter, um ihre Zimmer damit zu er leuchten; das Wachs war für den Altar und das Louvre; sie sagten nicht, leget die Pferde vor meine Kutsche; das Zinn glänzte auf den Tafeln und Schenktischen; das Silber war in den Kasten et cetera Ein artiger Lobspruch für un sere Väter, daß sie weder Ueberfluß, noch Fleiß, noch Geschmack, noch Reinlichkeit gehabt haben! Das Geld war in den Kasten! Wenn das war, so war es eine große Thorheit; das Geld ist zum Umlaufe gemacht, alle Künste dadurch zum Ausbruche zu brin gen, und die Geschicklichkeit der Menschen damit zu erkaufen. Wer es zurück hält, ist ein übler Bürger, ja gar ein schlechter Wirth. Dadurch, daß man es nicht in seinen Kasten eingeschlossen hält, macht man sich dem Vaterlande und sich selbst nützlich. Wird man denn niemals aufhören, die Fehler der vergan genen Zeiten zu loben, um die Vortheile der unsri gen zu verspotten? Dies Buch des Herrn Melon hat uns ein anderes von dem Herrn Dutot verschaffet, welches wegen seiner Gründlichkeit und tiefen Einsicht einen großen Vorzug hat; und das Werk des Herrn Dutot wird uns in kurzem noch ein anderes von dem berühmten Herrn Düvernay verschaffen, welches ohne Zweifel noch weit besser seyn wird, als die an dern beyden, weil es einen Staatsmann zum Ver fasser haben wird. Niemals sind die schönen Wissen schaften mit dem Finanzwesen so genau verbunden gewesen, und das ist abermals ein Vorzug unsers Jahrhunderts.
                        
                            Zweyter Brief,
                        
                    
  
                    
                        von eben dem Inhalte, worinnen von den Veränderungen der  Münzen, von der Pracht der Völker und  den Einkünften der Könige gehan delt wird.
                        
                    
 Herr Dutot zeiget, daß unter der vorigen Re gierung alle Veränderung der Münze sowol  dem Volke, als dem Könige nachtheilig ge wesen sey. Allein sollte kein Fall seyn, da eine Er höhung der Münze nothwendig werden könnte? In einem Staate, zum Exempel, der wenig  Geld hat, und schlechte Handlung treibt (in welchen  Umständen Frankreich lange Zeit gewesen ist) hat ein  Edelmann hundert Mark jährlicher EiukünfteEinkünfte. Um  nun entweder seine Töchter auszustatten, oder in den  Krieg zu gehen, nimmt er tausend Mark auf, die er  jährlich mit funfzig Mark verzinset. Sodann sieht  sich sein Haus zu einem jährlichen Aufwande von funf zig Mark herunter gesetzt, um damit alles nöthige zu  bestreiten. Indessen macht sich die Nation immer  geschickter, sie treibt Handel, und das Geld wird  häufiger. Dabey wird, wie es gemeiniglich zu ge schehen pflegt, die Handarbeit theurer, der Auf wand und Staat, den die Würde dieses Hauses er
 fodert, verdoppelt sich, ja wird wohl drey bis vier mal größer, ohne daß das Getreide, worinnen die  Haupteinkünfte seines Landgutes bestehen, nach dieser  Verhältniß steigt, weil man nicht mehr Brodt ißt,  als vormals. Man läßt aber mehr an Pracht auf gehen; was man vor dem um funfzig Mark kaufte,  wird zwey hundert kosten, und der Eigenthümer des  Landgutes, der sich genöthiget sieht, funfzig Mark  jährlicher Zinsen abzutragen, wird so weit gebracht,  sein Landgut zu verkaufen. Was ich von dem Edel manne sage, das sage ich von der Obrigkeit, von dem  Gelehrten et cetera wie von dem Ackersmanne, der sein  Zinngeräthe, seine silberne Schale, sein Bette, seine  Leinwand theuer bezahlen muß. Selbst das Haupt  einer Nation befindet sich mit in diesem Falle, wenn er  weiter nichts, als eine gewisse festgesetzte Summe und  gewisse Gerechtigkeiten hat, die er, aus Furcht ein  Murren zu erregen, nicht zu sehr erhöhen darf. In diesen dringenden Umständen ist nur eine ein zige Partey, die man ergreifen kann, nämlich dem  Schuldner seine Last zu erleichtern. Man kann ihm  aber durch Aufhebung der Schulden helfen. So  pflegte man es ehemals bey den Aegyptiern und bey  den meisten morgenländischen Völkern nach Verlauf  von funfzig oder dreyßig Jahren zu machen. Diese  Gewohnheit war so hart nicht, als man sich einbil det; denn die Gläubiger hatten, zu Folge dieses Ge setzes, schon ihre Maaßregeln genommen, und ein  weit voraus gesehener Verlust ist kein Verlust mehr.  Ob schon dieses Gesetz bey uns nicht im Schwange  ist, so hat man doch wirklich seine Zuflucht dazu  nehmen müssen, ungeachtet der Umschweife, die man
  dabey gemacht hat: denn ein Mittel finden, nicht  mehr, als den vierten Theil von dem, was man  schuldig ist, zu bezahlen, ist das nicht eine Art eines  Jubeljahres. Dieses Mittel hat man nun gar leicht  gefunden, indem man den Geldsorten einen bloß in  der Einbildung bestehenden Werth beygeleget, und  gesaget hat, daß dieses Goldstücke, welches sechs  Franken galt, itzo vier und zwanzig gelten sollte,  und daß der, welcher vier solcher Goldstücken, da  jeder sechs Franken betrug, schuldig war, itzo durch  Erlegung eines einzigen von der Art, das man vier  und zwanzig Franken nennen will, von seiner Schuld  los kommen könne. Da diese Veränderungen nur  nach und nach sind gemacht worden, haben sie kein  so großes Schrecken verursachet. Der, welcher zu  gleicher Zeit Schuldner und Gläubiger war, ge wann auf der einen Seite das, was er auf der an dern verlor; ein anderer trieb Handel und Wandel,  und ein dritter endlich litt darunter wirklich, und  fand sich genöthiget, sparsamer hauszuhalten. So haben es alle europäische Nationen gemacht,  ehe sie eine ordentliche und mächtige Handlung er richtet haben. Gehen wir zu den Römern zurück, so  werden wir finden, daß das Aß, das Pfund Kupfer  zu zwölf Unzen, auf neun Pfennige nach unsrer heu tigen Münze herunter gesetzet worden ist; bey den Engländern ist ein Pfund Sterling von sechzehn  Unzen Silber auf fünf und einen halben Thaler ge fallen. Das Pfund Groschen bey den Holländern  beträgt nicht mehr als ungefähr drey Thaler; aber  unsere französischen Pfunde haben die allergrößten  Veränderungen erlitten. Zur Zeit Carls des Großen bemerken wir eine  gewisse gangbare Münze, die den zwanzigsten Theil  eines Pfundes betrug, von der römischen Benennung  Solidum einen Soliden, und aus diesem Worte ist  Sou entstanden, eben so, wie aus dem Monate  August das verdorbene Aout, den wir gar, aus zu  großer Höflichkeit, Ou nennen; so daß in unserer so  gereinigten und zierlichen Sprachehodieque manent  vestigia ruris. Kurz, dieser Solide, dieser Sou,  welcher den zwanzigsten Theil eines Pfundes, und  den zehnten einer Mark Silbers ausmacht, ist itzt  eine geringe Kupfermünze, die den tausend neun  hundert und zwanzigsten Theil eines Pfundes beträgt,  die Mark Silber zu neun und vierzig Franken ge rechnet. Diese Rechnung ist fast unglaublich, und  man findet durch diese Ausrechnung, daß eine Fa milie, die vor Zeiten hundert Soliden jährlicher Ein künfte gehabt, und davon sehr wohl hätte leben kön nen, itzo nicht mehr als fünf Sechstheile eines Tha lers zu sechs Franken jährlich zu verzehren haben  würde. Was beweiset dieses? Daß wir seit langer Zeit  unter allen Nationen die veränderlichste und die glück lichste gewesen seyn; daß wir den Misbrauch eines  natürlichen Gesetzes, welches in der Länge die Ret tung unterdrückter Schuldner will, auf einen über
    mäßigen Grad getrieben haben. Da nun der Herr  Dutot die Gefahr dieser schleunigen Erschütterun gen, welche die Veränderungen des angenommenen  Werthes der Münzsorten in den Staaten verursachen,  so wohl gezeiget hat, so kann man wohl glauben,
  daß in einer so erleuchteten Zeit, als unsere ist, wir  dergleichen Ungewitter nicht mehr erfahren werden.
     Was mich in dem Buche des Herrn Dutot am mei sten in Verwunderung gesetzet hat, ist daselbst zu
     sehen, daß Ludewig der Zwölfte, Franz der Erste,
    Heinrich der Zweyte und Heinrich der Dritte reicher
     gewesen seyn sollen, als Ludewig der Funfzehnte.
     Wer sollte geglaubt haben, daß Heinrich der Dritte,  nach heutigem Fuße gerechnet, hundert und drey und  sechzig Millionen mehr Einkünfte gehabt hat, als der  itzige König? Ich gestehe es, ich erhole mich noch  nicht von meinem Erstaunen; denn wie kam es, daß
    Heinrich der Dritte mit allen diesen erstaunenden  Schätzen doch nur mit genauer Noth den Spaniern  gewachsen war? Wie wurde er von den Guisen ge mishandelt? Wie war Frankreich von allen Künsten  und Manufacturen entblößet? Warum war kein  schönes Haus, kein kostbarer von den Königen er bauter Palast, keine Pracht und kein Geschmack,  der dem Reichthume auf dem Fuße nachfolget, zu  Paris? Heut zu Tage hingegen umgeben drey hun dert Festungen, die beständig wohl unterhalten wer den, unsere Gränzen, und wenigstens zwey hundert  tausend Mann vertheidigen sie. Die Truppen,  welche das Haus des Königs ausmachen, können  mit Recht mit jenen zehn tausend mit goldenen  Schilden versehenen Soldaten in Vergleichung ge
    stellet werden, die den Wagen eines Xerxes und ei
    nes Darius begleiteten. Paris ist zweymal volkrei cher und hundertmal reicher, als zu den Zeiten
    Heinrichs des Dritten. Der Handel, der damals
  schmachtete, und nichts war, blühet heut zu Tage  zu unserm großen Vortheile. Seit der letztern Umschmelzung der Münzsorten  findet sich, daß mehr als 1200 Millionen an Gold  und Silber in die Münze gekommen sind. Man  sieht aus dem Pacht vom Mark, daß in Frankreich  fast für eben so viel von diesem verarbeiteten Metalle  sey. Es ist wahr, daß, ungeachtet dieser erstau nenden Reichthümer, das Volk in den Misjahren  zuweilen für Hunger sterben möchte: allein davon ist  die Rede hier nicht. Die Frage ist, wie es kömmt,  daß, da die Nation ungleich reicher ist, als in den  vorigen Jahrhunderten, des Königs Einkünfte weit  geringer seyn sollten? Wir wollen einmal das Vermögen Ludewigs des  Funfzehnten mit den Schätzen Franz des ersten ver gleichen. Die Einkünfte des Staats betrugen da mals sechzehn Millionen Pfunde, und das Pfund  damaliger Zeit verhielt sich gegen eins zu unserer  Zeit, wie eins gegen vier und ein halbes. Sechzehn  Millionen machten also von den unsern zwey und sie benzig. Mit zwey und siebenzig unserer Millionen  also würden wir eben so reich seyn, als sie damals,  Allein die Einkünfte des Staats betragen zwey hun
        dert Millionen; folglich ist aus diesem Grunde Lu dewig der funfzehnte um 128 unserer Millionen rei cher, als Franz der erste war; folglich ist der König un
        gefähr viermal so reich, als Franz der Erste; folg lich zieht er viermal so viel von seinen Unterthanen,
  als Franz der Erste von ihnen zog. Das ist schon
         ziemlich weit von der Rechnung des Herrn Dutot  unterschieden. Er giebt vor, um seinen Satz zu erweisen, daß  die Lebensmittel itzo funfzehnmal theurer sind, als im  sechzenten Jahrhunderte. Wir wollen diesen Preis der Lebensmittel ein we nig untersuchen. Man muß sich an den Preis des  Korns in den Hauptstädten, und zwar in gemeinen  Jahren halten. Ich finde viele Jahre im sechzehn ten Jahrhundert, in denen das Korn funfzig, fünf und zwanzig, zwanzig, achtzehn Sous, auch wohl  auf vier Franken gegolten hat. Ich rechne also auf  ein gemeines Jahr dreyßig Sous. Itzo kostet das  Korn ungefähr zwölf französische Pfund, also sind  die Lebensmittel itzo nur in einem achtmal höhern  Preise, und in eben dieser Verhältniß ist der Preis  auch in England und Deutschland gestiegen. Allein  diese dreyßig Sous des sechzehnten Jahrhunderts  galten fünf Pfund funfzehn Sous, nach itzigem  Gelde. Fünf Pfund, funfzehn Sous machen bey  nahe die Hälfte von zwölf Pfunden; folglich kauft
    Ludewig der Funfzehnte, der dreymal reicher ist als
    Franz der erste, die Sachen im Gewichte nach  Marken, nur doppelt so theuer, als man sie da mals kaufte. Ein Mensch nun, der neun hundert Franken hat,  und eine Waare zu sechs hundert Franken kaufet,  bleibt allerdings um hundert Thaler reicher, als der,
  welcher, da er nur drey hundert Pfund hat, eben  diese Waare um die drey hundert Pfund erhandelt;
    Ludewig der funfzehnte bleibt also um ein Drittheil
     reicher, als Franz der Erste. Das ist aber noch nicht alles; an statt alle Waa ren um doppelt höhern Preis zu erkaufen, erhan delt er die Soldaten, die nöthigste Waare der Kö nige, um einen weit billigern Preis, als seine  Vorfahren. Unter Franz dem Ersten und unter Heinrich dem
         Zweyten bestund die Stärke der Armeen in einer  königlichen Leibwache aus Landskindern, und in frem den Truppen zu Fuß, die wir mit unsern Truppen  nicht vergleichen können; aber die Infanterie wird
         unter Ludewig dem Funfzehnten fast auf eben den  Fuß und in eben dem Preise bezahlet, wie unter
        Heinrich dem Vierten. Der Soldat verkauft sein  Leben um sechs Sou (ein und zwanzig Pfennige) den  Tag, indem er seine Kleidung mitrechnet; diese  sechs Sou galten zu den Zeiten Heinrichs des Vier ten zwölfe von gleichem Werthe; folglich kann man
         mit eben den Einkünften; die Heinrich der Große  hatte, doppelt so viel Soldaten unterhalten, und  mit einer doppelt so großen Summe kann man vier mal so viel Truppen in Sold nehmen. Was ich  hier sage, zeiget zur Gnüge, daß, ungeachtet der
         Berechnung des Herrn Dutots, die Könige so wohl  als der Staat reicher sind, als sie gewesen. Ich  leugne nicht, daß sie dagegen auch mehr ver schuldet seyn. Ludewig der Vierzehnte ließ nach seinem Tode  mehr als zweymal zehn hundert Millionen Schul den, das Mark zu dreyßig Franken gerechnet; weil  er zu gleicher Zeit fünf hundert tausend Mann in  Waffen, zwey hundert Schiffe in See haben, und  Versailles bauen wollte; und weil in dem, wegen  der spanischen Nachfolge, geführten Kriege seine  Waffen lange Zeit unglücklich waren. Allein die  Rettungsmittel Frankreichs sind weit über seine  Schulden. Ein Staat, der nur allein sich selbst  schuldig ist, kann nicht arm werden, und diese Schulden selbst sind eine neue Aufmunterung  des Fleißes und der Geschick lichkeit.  
VIII. Abhandlung von dem Tode Heinrichs des IV.
IX. Kurze Erzählung derjenigen Begebenheiten, auf welche sich die Fabel des Heldengedichts der Henriade gründet.
X. Geschichte der Kreuzzüge.
                    
                        Geschichte der Kreuzzüge.
                    
                
                 
                
                        Zustand von Europa.
                        
                    
 Als diese Kriege ihren Anfang nah men, stund es mit den Angelegen heiten Europens also. Deutschland  und Italien lagen einander in Haa ren; Frankreich war noch schwach;  Spanien zwischen die Christen und Muselmänner ge theilet; diese aus Italien ganz und gar verjaget; England fing an, seine Freyheit gegen seine Könige  zu behaupten; die lehnsherrliche Regierung kam  überall auf; die Ritterschaft stund im Ansehen, die  Priester waren Fürsten und Krieger; die damalige Politik war von der, welche Europa heut zu Tage  belebet, ganz und gar unterschieden. Die Länder  der römischen Kirche schienen eine große Republik zu  seyn, worüber der Kaiser und der Pabst die Ober häupter seyn wollten. Diese, obwol getheilte, Re publik verstund sich lange Zeit in denen aufs Tapet
  gebrachten Kreuzzügen zusammen, welche so große  und so schändliche Handlungen, neue Königreiche,  neue Stiftungen, neues Elend, und endlich weit  mehr Unglück als Ruhm hervor gebracht haben.
                        Zustand des turkomannischen Reichs.
                        
                    
 Die Religionen dauern allemal länger, als die  Reiche. Die mahometanische Religion blühete, und  die Herrschaft der Kalifen war von der turkomanni schen Nation unterdrücket. Man zermartert sich,  den Ursprung dieser Völker zu bestimmen; er ist eben  derselbe, welchen alle Völker, die bloße Eroberer ge wesen sind, haben. Sie sind insgesammt Wilde ge wesen, die vom Raube gelebet. Die Türken und  Turkomannen wohneten ehemals jenseit des Taurus  und Imaus, und, wie man vorgiebt, weit von dem  Araxus. Sie wurden mit unter denjenigen Tartarn  begriffen, die das Alterthum Scythen nannte.  Dieses große Stück festen Landes, das man die Tar tarey nennet, und viermal größer, als Europa ist,  ist niemals von jemand anders, als von Barbaren  bewohnet worden, wenigstens seit dem man einige  Kenntniß von dieser Erdkugel hat. Ihre Alterthümer verdienen eben so wenig eine an  einander hangende Erzählung, als die Wölfe und  Tiger ihres Landes. Sie breiteten sich im Anfange  des eilften Jahrhunderts gegen Moscau aus; sie  überschwemmeten die Ufer des schwarzen und des  kaspischen Meeres. Die Araber hatten unter den
     ersten Nachfolgern Mahomets fast das ganze Klein asien, Syrien und Persien bezwungen. Endlich
  kamen die Turkomannen, welche die Araber über wanden. Bagdat, der Hauptsitz des Reichs der  Kalifen, fiel gegen das Jahr 1055 in die Hände die ser neuen Räuber. Togrul Beg, oder Ortugul Beg, von dem man  das ottomannische Geschlecht ableitet, zog in Bagdat  ungefähr so, wie so viele Kaiser in Rom eingezogen  sind, ein. Er machte sich Meister von der Stadt
         und von dem Kalifen, indem er sich zu seinen Füßen
         warf. Ortugul führte den Kalifen Kajem in seinen  Palast, indem er den Zügel seines Maulesels hielt;  er befestigte aber, entweder weil er geschickter, oder  glücklicher war, als die deutschen Kaiser in Rom nicht  gewesen sind, seine Macht, und überließ dem Kali fen weiter nichts; als theils die Sorge, das Gebeth  in der Moschee Freytags anzufangen, theils die Ehre,  alle mahometanische Tyrannen, die sich zu Ober herren aufwarfen, mit ihrem Staate zu belehnen. Man muß sich erinnern, daß, wie diese Turko mannen in ihren Einfällen den Franken, Normän nern, und Gothen nachahmten, also auch darinnen  es denselben gleich thaten, daß sie sich den Gesetzen,  den Sitten und der Religion der Ueberwundenen un terwarfen. Eben so machten es andere Tartarn mit  den Chinesern, und das ist der Vortheil, den ein  wohlgesittetes, obgleich schwächeres Volk über ein  barbarisches und stärkeres haben muß. Die Kalifen waren folglich nichts mehr, als die  Häupter der Religion; ungefähr was die Päbste un ter den lombardischen Königen gewesen waren. Die  Fürsten der Turkomannen nahmen den Namen Sul tan an. Es entstunden bald unter ihnen, wie
  anderwärts, berühmte Männer, und selbst solche, die  es zu seyn verdienten.
                        Zustand von Constantinopel.
                        
                    
 Das constantinopolitanische Reich hielt sich noch.  Alle Fürsten desselben waren der Regierung nicht un
    würdig gewesen. Constantin Porphyrogeneta, ein
     Sohn Leo des Philosophen, und ein Philosoph selbst,  brachte, wie sein Vater, glückliche Zeiten. Wenn  die Regierung unter dem Romanus, dem Sohne
     des Constantins, in Verachtung gerieth, wurde sie  hingegen den Nationen wieder sehr ehrwürdig un
    ter dem Nicephorus Phokas, der Candia im  Jahre 961, ehe er noch Kaiser war, den Ara
    bern abgenommen hatte. Ob schon Johann Zimisces  den Nicephorus ermordete, und den Palast mit  Blut besudelte; ob er schon mit seinen Verbrechen die  Heucheley verknüpfte; war er doch außer dem der  Vertheidiger des Reichs gegen die Türken und Bul
    garn. Unter dem Michael Paphlago aber verlor
     man Sicilien, und unter dem Romanus Diogenes  gieng fast alles, was gegen Morgen zu noch übrig  war, bis auf die Provinz Pontus verloren. Diese  Provinz, die man heut zu Tage Turkomannia nennet,
     fiel bald darauf in die Hände des Türkens Solymann,  dem Meister von dem größten Theile Kleinasiens, welcher  den Hauptsitz seiner Herrschaft in Nicäa aufrichtete, und  von dar aus in der Zeit, da die Kreuzzüge angiengen,  Constantinopel bedrohete. Das griechische Kaiserthum war also auf der Seite  gegen die Türken fast bis auf die kaiserliche Residenz
 stadt und einige Ufer am Propontis und dem schwar zen Meere eingeschränket: hingegen erstreckte es sich  auf der andern Seite über ganz Griechenland, Ma cedonien, Epirus, Thessalien, Thracien, Illyrien,  und hatte auch noch die Insel Candia. Die be ständigen, obwol unglücklichen, Kriege wider die  Türken, erhielten noch einen Rest von Tapferkeit.  Alle reiche Christen Asiens, die sich nicht unter das  mahometanische Joch hatten bequemen wollen, wa ren in die kaiserliche Residenzstadt geflüchtet, die sol chergestalt sich von dem Ueberflusse der Provinzen be reicherte. Endlich ungeachtet so vieler Verluste, un geachtet der Verbrechen und der Veränderungen, die  im Palaste waren vorgegangen, sahe sich doch diese  wirklich tief herab gefallene, aber erstaunend große,  volkreiche, vermögende und annehmliche Stadt für  die erste und vornehmste der ganzen Welt an. Die  Einwohner nannten sich Römer, und die Völker ge gen Abend, die sie Lateiner hießen, waren in ihren  Augen nichts, als aufrührische Barbaren.
                        Wahre Abschilderung vom gelobten Lande.
                        
                    
 Das gelobte Land war damals eben das, was es  heut zu Tage ist, nämlich das schlechteste Land unter  allen, die in Asien bewohnet sind. Diese kleine Pro vinz hat ungefähr fünf und vierzig gemeiner Meilen  in der Länge, und dreyßig bis fünf und dreyßig in  der Breite. Sie ist fast überall mit dürren Felsen  bedecket, auf denen nicht eine Linie breit Erdreich ist.  Wenn diese kleine Provinz bebauet wäre, würde
  man sie mit keinem Lande besser vergleichen können,  als mit der Schweiz. Der Fluß Jordan, der in  der Mitte seines Laufs ungefähr funfzig Fuß breit ist,  gleicht dem Flusse Aar, der bey den Schweizern in  einem minder unfruchtbaren Thale, als die übrigen  sind, fließt. Das Meer Tiberias kann mit der See  bey Lausanne verglichen werden. Unterdessen geben  die Reisenden, die die Schweiz und das gelobte Land  wohl untersuchet haben, der Schweiz allen Vorzug.  Es ist wahrscheinlich, daß Judäa ehemals besser be bauet gewesen ist, als es die Juden besaßen; sie hat ten sich genöthiget gesehen, ein wenig Erdreich auf  die Felsen zu bringen, um daselbst Weinstöcke anzu legen. Dieses wenige Erdreich, das mit den abge rissenen Steinen der Felsen sich verband, wurde durch  kleine Mauern festgehalten, davon man hier und da  noch einige Ueberbleibsel findet. Das gelobte Land hat, ungeachtet es mit größtem  Fleiß ist gebauet worden, doch niemals seine Ein wohner ernähren können. Eben so, wie die drey zehn Cantons den Ueberfluß ihres Volkes wegschicken,  unter den Armeen der Fürsten, die sie bezahlen kön nen, zu dienen, eben so machten es fast die Juden,  die sich als Mäkler in Asien und Africa zerstreueten.  Kaum war Alexandria erbauet, so ließen sie sich da selbst nieder. Es wohnten nicht leichtlich Handlung  treibende Juden in Jerusalem, und ich zweifele, daß  in den blühendsten Zeiten dieses kleinen Staats je mals so reiche Leute gewesen sind, als heut zu Tage  viele Hebräer zu Amsterdam, im Haag, zu London  und zu Constantinopel seyn. Als Omar, der Nachfolger Mahomets, sich der  fruchtbaren Ländereyen Syriens bemächtigte, nahm  er auch die Gegend des gelobten Landes ein. Da  nun Jerusalem für die Mahometaner eine heilige  Stadt ist, bereicherte er sie mit einer kostbaren Mo schee von Marmor, mit Bley bedecket, und inner halb mit einer erstaunenden Anzahl silberner Lampen  ausgezieret, unter denen auch viele vom feinsten  Golde waren. Als sich die Türken, die schon Ma hometaner waren, des Landes im Jahre 1055 bemei sterten, verschonten sie die Moschee, und die Stadt  blieb allezeit mit sieben bis acht tausend Einwohnern  besetzt. So viel konnte damals ihre Ringmauer  fassen, und so viel konnte das ganze Land umher et wan ernähren. Dieses Volk bereicherte sich von  weiter nichts, als von den Pilgrimschaften der Chri sten und Muselmänner. Die einen giengen dahin,  die Moschee, und die andern, das heilige Grab, zu  besuchen. Alle zahlten an den türkischen Emir, der  in der Stadt residirte, und an einige Imans, die  von der Neugierde der Pilgrime lebten, einen klei nen Zoll.
                        Ursprung der Kreuzzüge.
                        
                    
 In einem solchen Zustande befand sich Kleinasien  und das gelobte Land, als ein  
                    
                        Pilgrim
                     [→] von Amiens  in der Picardie die Kreuzzüge aufs Tapet brachte.  Er hatte weiter keinen Namen als Kukupietre, wie
     die Tochter des Kaisers Comnenus, die diesen Ein siedler zu Constantinopel gesehen hat, erzählet. Wir
     kennen ihn unter dem Namen des Einsiedlers  
                    
                        Peter
                     [←] [→].  Er gab sich für einen Einsiedler aus, und wollte die
  Waffen getragen haben. Dem sey aber, wie ihm  wolle, dieser Picard, der alle Hartnäckigkeit seines  Landes hatte, wurde durch die Beleidigungen, die  man ihm zu Jerusalem anthat, dergestalt gerühret,  und redete bey seiner Zurückkunft in Rom auf eine so  lebhafte Art davon, und machte so rührende Abschil
    derungen, daß der Pabst Urban der Zweyte diesen  Mann für den geschicktesten hielt, das große Unter nehmen, damit die Päbste seit einiger Zeit umgien gen, die Christenheit wider die Mahometaner in  Harnisch zu bringen, zu unterstützen. Gregorius der Siebente, ein Mann von weitaus sehenden Unternehmungen, hatte zum ersten den Ein fall, Europa wider Asien zu bewaffnen. Man sieht  es aus seinem Schreiben, daß er sich selbst an die  Spitze einer Armee Christen stellen sollte. Urban
     der Zweyte versuchte einen Theil des Vorhabens; er
     schickte den  
                    
                        Peter
                     [←] [→] aus einer Provinz in die andere,  durch seine starke Einbildungskraft die Hitze seiner  Meynungen andern mitzutheilen, und die Enthusi asterey auszubreiten. Urban der Zweyte hielt darauf im Jahre 1094  unweit Placenz auf freyem Felde ein Concilium, wo bey sich über dreyßig tausend weltliche Personen,  außer den Geistlichen, befanden. Man brachte dar auf die Art, die Christen zu rächen, in Vorschlag.  Der griechische Kaiser, Alexius Comnenus, Vater  derjenigen Prinzeßinn, die die Geschichte ihrer Zeit  aufgezeichnet hat, schickte Gesandte auf diese Kirchen versammlung, und that um einige Hülfe wider die  Muselmänner Ansuchung; aber weder von dem  Pabste, noch von den Italienern, dnrftedurfte er solche
  erwarten. Die Normannen nahmen damals den
        Griechen Neapel und Sicilien weg; und der Pabst,  der wenigstens Oberlehnsherr dieser Königreiche seyn  wollte, und der außerdem die griechische Kirche im  geringsten nicht liebte, wurde durch seine Staaten  nothwendig ein offenbarer Feind der morgenländi schen Kaiser, wie er ein verborgener Feind der deut
        schen Kaiser war. Der Pabst hatte nicht den ge ringsten Gedanken, denen Griechen beyzustehen,  sondern wollte den Orient den Lateinern unterwerfen.  Uebrigens wurde dieser Entwurf, den Krieg im ge lobten Lande zu führen, von allen, die bey der Kir chenversammlung bey Placenz sich befanden, sehr  heraus gestrichen, aber von keinem einzigen ange nommen. Die italienischen Herren hatten zu Hause  in ihren eigenen Angelegenheiten genug zu thun, und  bezeigten schlechte Lust, ein angenehmes Land zu ver lassen, um sich in der Gegend von dem steinigten  Arabien herum zu schlagen. Man wurde also genöthiget, im Jahre 1095 eine  andere Kirchenversammlung zu Clermont in Auvergne
     anzustellen. Der Pabst hielt eine Rede auf dem  großen Markte. In Italien hatte man über die  Widerwärtigkeiten der Christen in Asien geweinet,  und in Frankreich bewaffnete man sich. Dieses Land  war mit einer Menge neuer, unruhiger, unabhän giger Edelleute, die die Verschwendung und den  Krieg liebten, die meistentheils in Bosheiten, welche  die Unordnungen nach sich ziehen, ersoffen waren, und  in einer Unwissenheit, die ihrer unordentlichen Lebens
    art gleich kam, lebten, bevölkert. Der Pabst ver sprach ihnen die Vergebung aller ihrer Sünden; und
  öffnete ihnen den Himmel, indem er ihnen statt der  Buße auflegte, ihrer größten Leidenschaft nachzuhän gen, nämlich in den Krieg zu gehen. Man nahm also das Kreuz um die Wette an; es  war nur die Frage, an wem man seine Güter ver kaufen sollte, um nach dem gelobten Lande gehen zu  können. Die Kirchen und Klöster kauften damals  viele Ländereyen der Adelichen, die nur etwas wenig  Geld und ihre Waffen nöthig zu haben glaubten, um
     Königreiche in Asien erobern zu können. Gottfried  von Bouillon, Herzog von Brabant, verkaufte zum  Exempel sein Land Bouillon an das Capitel von Lüt tich, und Stenay an den Bischof von Verdun. Balduin, Gottfrieds Bruder, verkaufte an eben  denselben Bischof das wenige, was er in diesem  Lande besaß: die geringsten Burgvoigte reiseten auf  ihre Unkosten. Die armen Edelleute traten als  Stallmeister in der andern ihre Dienste. Man  warb eine unzählbare Infanterie, und gemeine Reu ter unter tausend verschiedenen Standarten, an.  Dieser Schwarm von Leuten, die mit dem Kreuze  bezeichnet waren, wollten sich zu Constantinopel wie der vesammlen, ohne daß die meisten noch wußten,  wo es hingieng, noch was man für einen Weg neh men mußte. Mönche, Weiber, Kaufleute, Mar ketender, Künstler und Handwerksleute, alles  machte sich auf die Reise, weil es auf dem Wege  nichts als Christen, die durch ihre Unterhaltung den  Ablaß gern würden gewinnen wollen, anzutreffen  glaubte. Mehr als achtzig tausend dieser Landstreicher  machten das Heer des Kukupieters, den ich künftig
     allezeit den Einsiedler  
                    Peter [←] [→] nennen werde, aus. Er
  marschirte in hölzernen Pantoffeln und mit einem  Stricke um den Leib, an der Spitze der Armee. Die erste Unternehmung dieses einsiedlerischen Ge nerals, war die Belagerung einer christlichen Stadt  in Ungarn, Namens  Malavilla, weil sie seinen Sol daten Jesu Christi, die sich, ungeachtet ihres heili gen Vorsatzes, als wirkliche Straßenräuber aufführ ten, Lebensmittel verweigert hatte. Die Stadt  wurde im Sturm erobert, der Plünderung überlassen,
     und die Einwohner erwürget. Der  
                    Einsiedler [←] [→] war  nicht mehr Herr seiner Kreuzfahrer, die vor Begier de zu rauben brannten. Einer seiner Unterbefehls haber, Gautier ohne Geld, der die Hälfte der  Truppen commandirte, machte es in Bulgarien nicht  besser. Man vereinigte sich bald wider diese Stras senräuber, und sie wurden fast alle ausgerottet.  Endlich langte der Einsiedler mit zwanzig tausend  Landstreichern, die vor Hunger verschmachten wollten,  1096 vor Constantinopel an. Ein deutscher Prediger, Namens Gottschalk, der  eben den Aufzug spielen wollte, kam noch übler an,  als er mit seinen Jüngern in eben diesem Ungarlande  anlangte, wo seine Vorgänger so viele Unordnun gen angerichtet hatten. Der Anblick des rothen  Kreuzes allein, das sie trugen, war eine Losung,  auf die sie alle jämmerlich ermordet wurden. Ein  anderer Schwarm solcher Wagehälse, der aus mehr  als zwey tausend Personen, sowol Weibern als Prie stern, Bauern und Schülern, bestund, und der Jesu Christi Sache zu führen glaubte, bildete sich  ein, man müßte alle Juden, die man anträfe,  ausrotten. Es hielten sich deren viele an den
  Gränzen von Frankreich auf; aller Handel war in  ihren Händen. Die Christen, welche Gott zu rächen und sich zu  bereichern dachten, machten alle diese Unglückliche
     nieder. Seit den Zeiten des Kaisers Hadrian war  niemals gegen diese Nation so gewüthet worden.  Sie wurden zu Verdun, Speyer, Worms, Cöln,  Maynz erwürgt; viele tödteten sich selbst, nachdem  sie ihren Weibern und Kindern den Leib aufgerissen  hatten, damit sie nicht in die Hände der Barbaren  geriethen. Ungarn war auch von dieser dritten Armee  Kreuzfahrer das Grab. Unterdessen fand der Einsiedler  
                    
                        Peter
                     [←] [→] vor Con stantinopel andere italienische und deutsche Landstrei cher, die sich mit ihm vereinigten, und die um die  Stadt herum liegenden Gegenden verwüsteten. Der Kaiser Alexius Comnenus, der damals re gierete, war allerdings ein weiser und gelassener Herr.  Er konnte diesen Straßenräubern eben so begegnen,  wie ihren Mitstreitern war begegnet worden. Er  ließ es aber dabey bewenden, solcher Gäste je eher je  lieber los zu werden. Er lieferte ihnen Schiffe, sie  jenseit des Bosphorus zu bringen. Der General  
                    
                        Peter
                     [←] [→] sah sich endlich an der Spitze einer christlichen  Armee wider die Ungläubigen. Solymann, Sultan  von Nicäa, überfiel mit seinen im Kriege erfahrnen  Leuten diese zerstreute Menge. Walther ohne Geld,  der Unterfeldherr des Einsiedlers, kam dabey mit ei nem großen Theile des armen Adels um, der einfältig  genug war, unter solchen Fahnen zu dienen. Der
         
                    
                        Einsiedler
                     [←] [→] kehrte unterdessen nach Constantinopel zu
 rück, und ward für einen Fantasten gehalten, der  eine Menge toller Leute sich hatte nachfolgen lassen. Mit den übrigen Häuptern der Kreuzfahrer, die  verschlagener, weniger enthusiastisch, und zum Com mando tüchtiger waren, auch etwas ordentlichere
     Truppen anführeten, gieng es etwas anders. Gott fried von Bouillon hatte siebenzig tausend Mann zu  Fuß, und zehn tausend zu Pferde unter seinem Com mando, die alle mit vollkommener Rüstung versehen  waren, und von verschiedenen Vornehmen von Adel  angeführet wurden, die insgesammt von ihm ihre  Befehle erhielten. Er marschirte durch eben dieses  Ungarn, in dem sich der Schwarm des Einsiedlers  hatte erwürgen lassen, glücklich durch. Unterdessen marschirte Hugo, der Bruder des Kö
    nigs von Frankreich Philipp des ersten, mit andern  vornehmen Herren, die sich zu ihm geschlagen hatten,  durch Italien. Er wollte sein Heil versuchen. Fast  sein ganzes Glück bestund in dem Titel des Bruders  eines Königs; ein an sich sehr wenig vermögender  Titel. Und worüber man sich am meisten verwun dern muß, ist, daß Robert, Herzog der Norman die, ältester Sohn Wilhelms, des Eroberers von  England, diese Normandie, darinnen er sich kaum  etwas fest gesetzt hatte, verließ. Ob er gleich von seinem jüngern Bruder, Wilhelm  dem rothen, aus England war verjaget worden, so  versetzte er ihm doch noch darzu die Normandie, um  die Kosten zu seiner Ausrüstung zu bekommen. Er  soll ein wollüstiger und abergläubischer Prinz gewesen  seyn; zwo Eigenschaften, die einerley Quelle, näm lich einen schwachen Verstand, haben. Der alte Raimund, Graf von Thouluse, Herr  von Languedoc, und eines Theils von Provence, der  wider die Muselmänner schon in Spanien gefochten  hatte, fand weder in seinem Alter, noch in dem Vor theile seines Vaterlandes einen Grund wider die große Begierde, die in ihm brannte, nach dem gelobten  Lande zu gehen. Er war einer von den ersten, die  sich bewaffneten, und er gieng über die Alpen, in ei ner Begleitung, wie man saget, von hunderttausend  Mann. Er sah es nicht voraus, daß man in kur zem das Kreuz wider seine eigene Familie predigen,  und daß sein Land durch eben die Geißel heimgesucht  werden würde, die er nach Asien überbrachte. Der verschlagenste unter allen Kreuzfahrern, und  vielleicht der einzige, war Bohemund, ein Sohn
    Roberts Guiscard, Eroberers von Sicilien, welches  er mehr, als ein Eigenthum der morgenländischen  Kaiser, unrechtmäßig behielt, als daß er es den Mu selmännern abgenommen hatte. Diese ganze Fa milie der Normannen, die nach Italien verpflanzet  war, suchte sich bald auf Kosten der Päbste, bald  durch den Verfall des griechischen Kaiserthums zu  vergrößern. Sie hatten sich schon in Epirus einzu nisteln gesuchet. Dieser Bohemund hatte wider den
    Kaiser Alexius in Epirus und Griechenland ganz al lein Krieg geführet, und da er statt aller Erbschaft  nichts, als das kleine Fürstenthum Tarent und seine  Herzhaftigkeit hatte, machte er sich den ansteckenden  Enthusiasmus von Europa zu Nutzen, um bis auf  zehntausend wohl bewehrter Reuter und einiges Fuß volk unter seinem Commando zusammen zu bringen,
  mit denen er entweder den Christen oder den Maho metanern Provinzen entreißen könnte. Die Prinzeßinn Anna Commena saget, daß ihr  Vater über diese erstaunende Wanderungen, die sich  in sein Land ergossen, beunruhiget worden sey. Man hätte glauben sollen, spricht sie, daß Eu ropa, aus seinem Grunde gerissen, auf Asien  hätte fallen wollen. Was würde es erst gewesen  seyn, wenn mehr als dreyhundert tausend Mann,  wovon einige dem Einsiedler  
                    
                        Peter
                     [←] [→], andere dem Prie ster Gottschalk nachgefolget waren, nicht schon ver schwunden gewesen wären? Man trug dem Pabste an, sich an die Spitze der  unermeßlichen Heere, die noch übrig waren, zu stel len. Das war die einzige Art zur allgemeinen Ober herrschaft, welche das Hauptaugenmerk des römischen  Hofes worden war, zu gelangen. Dieses Unterneh men, das Gregorius der siebende hatte versuchen  wollen, erforderte den Geist eines Alexanders. Die  Hindernisse waren groß, und der Pabst Urban sah  weiter nichts, als die Hindernisse. Er hatte an der  Hoffnung genug, daß man im Oriente neue Kirchen  gründen wollte, die der zu Rom unterthan seyn soll ten, und daß man die Griechen in kurzem zwingen  würde, die oberste Gewalt des heiligen Stuhls zu  erkennen. Der Pabst, und die kreuzfahrenden Prin zen, hatten bey dieser großen Rüstung jeder ihre be sondern Absichten, und Constantinopel fürchtete sich  für allem. Man haßte allda die Lateiner, die man  als Ketzer und Barbaren betrachtete. Die griechi schen Priester hielten es für etwas abscheuliches, daß  die lateinischen Priester, die den Armeen haufenweise
  nachfolgeten, ihre Hände ohne Unterlaß in den  Schlachten mit Menschenblute besudelten; nicht daß  etwann diese Griechen tugendhafter gewesen wären,  sondern weil es nicht gewöhnlich war, daß sie sich im  Kriege brauchen ließen. Für niemanden fürchteten sich die Griechen mehr,  und zwar mit Grunde, als für dem Bohemund, und  die Neapolitaner, die ärgsten Feinde ihres Reichs.  Allein, wenn auch die Absichten des Bohemunds  rein gewesen wären, mit was für einem Rechte ka men denn alle diese Fürsten aus den Abendländern,  Provinzen, die die Türken den griechischen Kaisern  entrissen hatten, für sich einzunehmen? Alexius  hatte um einen Beystand von zehntausend Mann  Ansuchung gethan, dahingegen er sich itzt durch einen  Einfall von siebenhundert tausend Lateinern im Ge dränge fand, die nach und nach anlangeten, sein Land  zu verwüsten, keinesweges aber zu beschützen. Wie groß der unbändige Stolz der kreuzfahrenden  Ritter gewesen sey, kann man unter andern auch aus
     dem Zuge abnehmen, den die Prinzeßinn Anna Com nena von einem gewissen französischen Grafen erzäh let, der sich bey einer öffentlichen Ceremonie neben
     den Kaiser auf seinem Throne niedersetzte. Da Bal
        duinus, der Bruder Gottfrieds von Bouillon, diesen  unbescheidenen Menschen bey dem Arme nahm, und  ihn beyseite ziehen wollte, sagte er in seiner gebroche nen Mundart ganz laut: Seht doch! was die ser Grieche für ein Lümmel ist, daß er sich  unterstehen darf, vor Leuten, wie wir seyn, sich  nieder zu setzen. Diese Worte wurden dem Kaiser Alexius ausgeleget, der aber nur darüber lachte.
  Eine oder zwo solche Unbesonnenheiten sind zureichend,  eine ganze Nation in einen übeln Ruf zu bringen;  allein die Kreuzfahrer hatten aller dieser Tollkühnhei ten nicht nöthig, um von den Griechen gehasset zu wer den, und dem Kaiser verdächtig zu seyn. Es war wahrscheinlicher maßen unmöglich, daß  nicht solche Gäste die Lebensmittel sollten mit Strenge  gefordert, und daß nicht die Griechen sie mit Hart näckigkeit sollten verweigert haben. Das gab zu be ständigen Händeln, zwischen dem Volke und der Ar mee des Gottfrieds, die nach den Streifereyen der  Kreuzfahrer des Einsiedlers  
                    
                        Peters
                     [←] [→] zum ersten er
    schien, Anlaß. Gottfried gieng so weit, daß er die  Vorstädte von Constantinopel angriff, und der Kai ser vertheidigte sie in Person. Der Bischof von Puy  in Auvergne, Namens Monteil, Legat des Pabstes  bey den Armeen, wollte durchaus, daß man die Feld züge wider die Ungläubigen mit Belagerung der  Stadt, wo der erste Fürst der Christen seinen Sitz  hatte, eröffnen sollte. Das war auch die Meynung Bohemunds, der damals in Sicilen war, und einen
     Curier über den andern an Gottfried abschickte, zu  verhindern, daß er sich nicht mit dem Kaiser vertrü
    ge. Hugo der Bruder des Königs von Frankreich,  begieng damals die Unvorsichtigkeit, Sicilien, wo er  mit dem Bohemund war, zu verlassen, und fast al lein auf das Gebieth des Alexius zu kommen. Zu  dieser Unbesonnenheit kam noch eine andere, indem er  Briefe von einem Stolze, die einem, der keine Ar mee hatte, sehr schlecht anstund, an ihn abgehen ließ.  Die Frucht dieser Handlungen war, daß er einige  Zeit, als ein Gefangener, angehalten wurde. End
 lich kam die Politik des griechischen Kaisers zum  Zweck, alle diese Stürme abzuwenden. Er ließ Le bensmittel reichen; er ließ sich von allen vornehmen  Herren versprechen, daß sie wegen der Länder, die sie  erobern würden, ihm den Lehnseid ablegen wollten;  er ließ sie insgesammt, nachdem er sie mit Geschen ken überhäufet hatte, nach einander nach Asien  übersetzen. Bohemund, für dem er sich am meisten fürchtete,  war derjenige, den er am prächtigsten aufnahm.  Als dieser Prinz nach Constantinopel kam, ihm seine  Aufwartung zu machen, und sich alle seltene Dinge  des Pallastes zeigen zu lassen, befahl Alexius, ein  Zimmer mit kostbarem Geräthe, silbernen und gol denen Stücken, allerhand Arten von Edelsteinen,  ohne Ordnung aufgehäuft, anzufüllen, und die Thür  des Zimmers halb offen zu lassen. Bohemund sah  diese Schätze im Vorbeygehen, auf welche seine Füh rer keine Aufmerksamkeit zu machen schienen. Ist  es möglich, rufte er aus, daß man so schöne  Sachen vernachläßiget! Wenn ich sie hätte,  würde ich mich für den mächtigsten Fürsten  halten. Noch denselben Abend schickte ihm der  Kaiser das Cabinet. Das erzählt seine Tochter, eine  Augenzeuginn. So bezeigte sich dieser Monarch,  den daher jeder uneingenommener einen klugen und  prächtigen nennen wird; den aber die meisten Ge schichtschreiber der Kreuzzüge, als einen Treulosen  angegeben haben, weil er von dieser gefährlichen  Menge kein Sklave seyn wollte. Nachdem er sich endlich glücklich los gemacht hatte,  und alles nach Kleinasien übergesetzet war, hielt man
  unweit Nicäa eine Musterung, bey der man hun dert tausend Reuter und sechshundert tausend Mann  zu Fuß, die Weiber mitgerechnet, fand. Wenn  man diese Anzahl zu den ersten Kreuzfahrern, die  unter dem Einsiedler und unter andern umkamen,  rechnet, betragen sie zusammen ungefähr eilfhundert  tausend. Dieses beweist einigermaßen das, was  man von den Armeen der Könige der Perser saget,  die Griechenland ehemals überschwemmet haben, und  was man von den Versetzungen einer so ungeheuern  Menge Barbaren erzählt. Endlich befanden sich  die Franzosen und insonderheit Raimund von Thou
    louse überall auf demjenigen Gebiethe, welches die  mittägigen Gallier 1300 Jahre vorher durchstreift  hatten, als sie Kleinasien verwüsteten, und der Pro vinz Galatien ihren Namen beylegten. Die Geschichtschreiber melden uns selten, wie sich  diese Haufen Menschen unterhielten. Es war eine  Sache, die eben so viel Sorgfalt, als der Krieg  selbst, erfodert. Die Venetianer wollten es anfangs  nicht über sich nehmen. Sie bereicherten sich mehr als jemals, durch ihren  Handel mit den Mahometanern, und fürchteten, die  Vortheile, die sie in Asien hatten, zu verlieren,  wenn sie sich in einen zweifelhaften Krieg mischeten.  Die Genueser, Pisaner, und Griechen rüsteten  Schiffe, die sie mit Lebensmitteln beluden, aus, und  verkauften sie an die Kreuzfahrer, indem sie an  Kleinasien wegschiffeten. Durch dieses Mittel kam  ein Theil des Goldes und Silbers, wovon sich die  Franzosen entblößet hatten, wieder in die Christen heit zurück. Das Glück der Genueser wuchs da
 durch, und man wurde bald darauf in Erstaunen  gesetzet, zu sehen, daß Genua eine Macht worden  war. Weder der alte Solymann, noch sein Sohn,  konnten dem ersten Strome aller dieser kreuzfahren den Fürsten widerstehen. Ihre Truppen waren bes ser ausgesucht, als des Einsiedler  
                    
                        Peters
                     [←] [→] seine, und  wurden so gut in Zucht und Ordnung erhalten, als  die Ungebundenheit der Enthusiasterey es verstattete. Man nahm Nicäa ein (1097). Man schlug die
     Armeen des jungen Solymanns zweymal. Die Tür ken und Araber konnten im Anfange den Anfall die ser mit Eisen, mit großen spanischen Reutern, und  mit Wäldern von Lanzen bedeckten Menge, derglei chen sie nicht gewohnt waren, nicht aushalten. Bo hemund (1098) brauchte die List, sich von den  Kreuzfahrern das fruchtbare Land Antiochia abtreten
     zu lassen. Balduin gieng bis nach Mesopotamien,  sich der Stadt Edessa zu bemächtigen, und errichtete  allda einen kleinen Staat für sich. Endlich schloß  man Jerusalem ein, dessen sich der Kalife von Aegy pten durch seine Feldherren bemeistert hatte. Die  meisten Geschichtschreiber geben vor, daß die durch  Schlachten, durch Krankheiten, und durch Besa tzungen, die man in die eroberten Plätze hatte legen  müssen, verminderte Armee, bis auf zwanzig tau send Mann zu Fuß, und funfzehn hundert zu Pferde  geschmolzen, Jerusalem hingegen mit allem wohl  versehen, und von einer Besatzung von vierzig tau send Mann vertheidiget worden sey. Man vergißt  nicht hinzu zu fügen, daß außer dieser Besatzung sich  noch zwanzig tausend beherzte Einwohner darinnen  befunden. Es wird kein vernünftiger Leser seyn, der
  nicht einsehen sollte, daß es menschlichem Ansehen  nach unmöglich sey, daß eine Armee von zwanzig  tausend Mann eine von sechzig tausend in einem be festigten Platze sollte belagern können. Hiernächst, daß Jerusalem vor der Belagerung  zwanzig tausend Einwohner, die die Waffen trugen,  erhalten konnte, mußte es wenigstens mit ungefähr  sechzig tausend Seelen damals bevölkert seyn; es  fehlte aber gar viel, daß dieses verwüstete Land nur  den fünften Theil hätte in seinen Mauren ernähren  können. Würden endlich nicht sechzig tausend Tür ken und Araber zwanzig tausend Christen im freyen  Felde überfalley haben? Würden sie nicht diese  kleine Armee der Belagerer durch unaufhörliche Aus fälle zu Grunde gerichtet haben? Die Geschicht schreiber aber haben allezeit das Wunderbare geliebt.  Das ist wahr, die Stadt wurde nach einer nur fünf wöchentlichen Belagerung (1099) im Sturm ero bert, und alles, was nicht ein Christ war, wurde  viele Tage nach einander, ohne Unterschied des Al ters und Geschlechts, jämmerlich ermordet. Der Einsiedler  
                    
                        Peter
                     [←] [→], der aus einem General  ein Kapellan worden war, befand sich bey der Ero berung Jerusalems. Einige Christen, die die Mu selmänner in der Stadt hatten leben lassen, führten  die Sieger in die entferntesten und verborgensten Kel ler, wo sich die Mütter mit ihren Kindern versteckt  hatten, und nichts wurde verschonet. Die Herren und Meister von Jerusalem ver sammelten sich schon, dem jüdischen Lande einen Kö nig zu geben. Die Geistlichen, die der Armee nach folgeten, begaben sich in die Versammlung, und er
 kläreten alle Wahl, die man anstellen wollte, für  null und nichtig, weil man ihrem Vorgeben nach  erst einen Patriarchen machen müsse, ehe man einen  König ernennen wollte. Unterdessen wurde doch Gottfried von Bouillon,  nicht zwar zum Könige, sondern zum Herzoge von  Jerusalem erwählet. Einige Monate darnach kam  ein päbstlicher Legat, Namens Daimbarto, an, der  sich durch die Geistlichkeit zu einem Patriarchen er nennen ließ. Das erste, was dieser Patriarch that,
         war, Jerusalem für sich selbst zu nehmen. Gott fried von Bouillon, der die Stadt mit Aufsetzung  seines Blutes erobert hatte, mußte sie diesem Bi schofe abtreten. Er behielt sich den Hafen Joppe  und einige Rechte in Jerusalem vor; ziemlich mittel mäßige Rechte in diesem verwüsteten Lande. Sein  Vaterland, das er verlassen hatte, war weit mehr  werth, als er in dem gelobten Lande erworben hatte. Einerley Umstände bringen auch einerley Wirkun gen hervor. Man hat gesehen, daß, nachdem die  Nachfolger des Mahomets so viele Staaten erobert  hatten, die Uneinigkeit sie trennete; die Kreuzfahrer  erfuhren ein bey nahe gleiches Schicksal; sie erober ten weniger, und wurden eher getrennet. Man  sieht itzo schon drey kleine christliche Staaten, die auf  einmal in Asien errichtet worden, zu Antiochia, Je rusalem und Edessa. Einige Jahre darnach ent stund ein vierter, nämlich der zu Tripoli in Syrien,  welchen der junge Bertrand, ein Sohn des Grafen  von Thoulouse, überkam; allein um Tripoli zu erobern,  mußte man zu den venetianischen Schiffen seine Zu flucht nehmen. Sie nahmen damals an den Kreuz
 zügen Antheil, und ließen sich einen Theil dieser neuen  Eroberung abtreten. Alle diese neuen Fürsten hatten versprochen, dem  griechischen Kaiser den Lehnseid von allem, was sie  an sich bringen würden, abzulegen. Keiner hielt  sein Wort, und alle waren einer auf den andern  eifersüchtig. In kurzer Zeit kamen diese zertheilten  und abermals zertheilten Staaten in viele verschiedene  Hände. Es erhoben sich, wie in Frankreich, kleine  Herren, Grafen von Joppe, Marquis von Galiläa,  von Sidon, von Akre, von Cäsarea. Solymann, der Antiochia und Nicäa verloren  hatte, hielt sich beständig auf dem platten Lande,  das ohnedem von Muselmännern bewohnet war; und  unter diesem Solymann und nach ihm sahe man  in Syrien und Kleinasien eine Vermischung von Chri sten, Türken und Arabern, die einander alle in  Haaren lagen. Ein türkisches schloßSchloß gränzte mit ei nem christlichen, so wie in Deutschland die Länder  der Protestanten und Katholiken wechselsweise einander  begränzen. Von dieser Million Kreuzfahrer war damals nur  noch wenig übrig. Auf das Gerücht von ihrem glück lichen Fortgange, welches durch den Ruf vergrößert  wurde, brach noch ein neuer Schwarm aus dem Oc
    cidente auf. Der Prinz Hugo, ein Bruder Phi lipps des Ersten, der vor der Eroberung von Jeru salem wieder zurück nach Frankreich gekommen war,  führete, ohne das geringste von seinem Bruder dazu  erhalten zu haben, eine neue Menge, welche Deutsche  und Italiener vermehreten, dahin ab. Man rechnete  deren drey hundert tausend, und wenn man sie auch
  auf zwey Drittheile herunter setzet, so sind es doch  abermals wenigstens zwey hundert tausend, die es  der Christenheit kostete. Diesen wurde in der Ge gend von Constantinopel ungefähr so begegnet, wie  man den Nachfolgern des Einsiedlers  
                    
                        Peter
                     [←] [→] begegnet  hatte. Die in Asien anlandeten, wurden von Soly mannen über den Haufen geworfen, und der Prinz  Hugo starb, fast im äußersten Elende, in Kleinasien. Was vielleicht die Schwäche des neuen Herzog thums zu Jerusalem gleichfalls erweist, ist die Er richtung (1092) der geistlichen Soldaten, der Tem pelherren und der Hospitalier. Diese Mönche, die  anfangs nur zu Wartung der Kranken bestellet wa ren, müssen wohl nicht in genugsamer Sicherheit ge wesen seyn, weil sie Waffen nahmen. Wenn hier nächst die allgemeine Gesellschaft wohl regieret wird,  macht man so leicht keine besondere Verbindungen.  Die zum Dienste der Verwundeten geweihten Mön che verpflichteten sich durch ein Gelübde im Jahre  1118, sich zu schlagen, und sodann entstund auf ein mal unter dem Namen der Tempelherren eine Militz,  die diesen Titel deswegen annahm, weil sie nicht weit  von derjenigen Kirche wohnte, die ehemals der Tem pel Salomo gewesen seyn sollte. Diese Stiftungen  hat man allein den Franzosen zu danken. Raimund
     Dupuis, erster Großmeister und Stifter des Hospi talierordens war aus Dauphine gebürtig. Die Stif ter der Tempelherren waren andere Franzosen. Kaum  waren diese beyden Orden durch die Bullen der Päbste  bestätiget, als sie reich und gegen einander eifersüch tig wurden. Sie schlugen sich eben so oft mit einan der, als wider die Mahometaner. Das weiße Kleid
  der Tempelherren und der schwarze Oberrock der Hospi talier war eine beständige Losung zu Schlachten. Bald  darauf entstund noch ein neuer Orden zum Besten der  im gelobten Lande zurück gebliebenen Deutschen, und  das war der Orden deutscher Mönche, der nachher  in Europa eine Miliz von Länder bezwingenden Mön chen wurde. Die Sachen der Christen waren so wenig sicher  und gegründet, daß Balduin, erster König von Je
    rusalem, der nach dem Tode seines Bruders Gott fried regierte, fast an den Thoren der selbst von einem  türkischen Prinzen gefangen wurde, dessen Witwe  ihn kurz darnach lieber für eine gute Summe Geldes  loslassen, als durch seinen Tod die Verwüstung Je rusalems rächen wollte. Die Eroberungen der Chri sten nahmen von Tag zu Tag ab; die ersten Bezwin ger waren nicht mehr vorhanden; ihre Nachfolger  waren verzärtelt; das Ländgen Edessa hatten die Tür ken 1140 wieder eingenommen, und bedroheten nun mehr Jerusalem. Die griechischen Kaiser, die in  den Fürsten von Antiochia, ihren Nachbarn, nichts  als unrechtmäßige Besitzer sahen, führeten mit ihnen,  nicht ohne Gerechtigkeit, Krieg. Die Christen in  Asien, die von allen Seiten bedrohet wurden, hielten  in Europa um eine neue Kreuzfahrt an. Die Päbste  hatten nicht geringere Ursache, so viele Kirchen, die  ihre Rechte und Reichthümer vermehren sollten, zu  schützen. Frankreich hatte den Anfang zur ersten Ueber schwemmung gemacht; an dasselbe wendete man sich
     auch wegen der zweyten. Pabst Eugen der Dritte,  der vormals ein Schüler des heiligen Bernhards,
  des Stifters von Clairvaux, gewesen war, suchte  mit gutem Bedachte seinen ehemaligen Lehrer zum WerzeugeWerkzeuge einer neuen Entvölkerung aus. Niemals hat ein Mensch die Unruhen der öffentli lichen Angelegenheiten mit der Strenge seines Stan
    des geschickter zu verbinden gewußt, als Bernhard.  Kein Mensch hatte noch eine so bloß persönliche Hoch achtung, die über das Ansehen selbst hinaus war, er
    halten. Sein Zeitgenoß, der Abt Suger, war der  vornehmste Staatsbediente in Frankreich; sein Schü ler Eugen war Pabst; aber Bernhard, schlechter  Abt von Clairvaux, war das Orakel von Frankreich  und von Europa. Zu Vezelay in Burgund wurde 1146 auf dem offe nen Marktplatze ein Gerüste aufgerichtet, auf welchem
    Bernhard, den König von Frankreich, Ludewig den  jüngern an der Seite habend, erschien. Er redete  zuerst, hernach der König. Alles, was zugegen  war, nahm das Kreuz; der König empfing es aus  den Händen des heiligen Bernhards zuerst. Der
     Minister Suger fand nicht für gut, daß der König  den wirklichen Vortheil, den er seinen Staaten schaf fen könnte, in Wind schlüge, um in Syrien auf un gewisse Eroberungen auszugehen. Allein die Beredt samkeit Bernhardsnndund die Meynung der Zeit, ohne  welche diese Beredtsamkeit nichts war, behielten über  den Rath des Ministers die Oberhand. Man malet uns Ludewig den jüngern als einen  Prinzen ab, der mit mehr Gewissenszweifel, als Tu gend erfüllet war. In einem von den kleinen inner lichen Kriegen, welche die lehensherrliche Regierung  in Frankreich unvermeidlich machte, hatten die
  Truppen des Königs die Kirche von Vitri verbrannt,  und das Volk, das sich in diese Kirche geflüchtet  hatte, war in den Flammen umgekommen. Man  beredete den König leicht, daß er dieses Verbrechen  nicht anders, als im gelobten Lande büßen könnte,  da es doch in Frankreich durch eine kluge Regierung  weit besser hätte können ersetzet werden. Seine
         junge Gemahlinn Eleonora von Guyenne trat den  Kreuzzug mit dem Könige an, entweder weil sie ihn  damals liebte, oder weil es die Anständigkeit in die sen Zeiten erfoderte, den Mann in dergleichen Kriegen  zu begleiten. Bernhard hatte sich ein so besonderes Ansehen er worben, daß man ihn in einer neuen Versammlung  zu Chartres zum Haupt und Anführer des Kreuzzu ges erwählte. Dieses scheint fast unglaublich.  Man hatte einen König von Frankreich, und man  wählte einen Mönch; allein, alles ist von der Unbe sonnenheit des Volkes glaublich. Doch der heilige Bernhard hatte zu viel Verstand, als daß er sich  dem Lächerlichen, das ihn bedrohte, hätte aussetzen  sollen. Das Beyspiel des Einsiedlers  
                    
                        Peter
                     [←] war  noch neu. Er schlug es also aus. Aus Frankreich gieng er nach Deutschland. Er  fand daselbst einen andern Mönch, der ebenfalls das  Kreuz predigte. Er legte demselben ein Stillschwei gen auf, weil er seine Sendung nicht vom Pabste  hatte. Er gab endlich dem Kaiser, Conrad dem drit
    ten, selbst das Kreuz, und versprach öffentlich den  Sieg über die Ungläubigen. Die Hoffnung eines gewissen Sieges machte, daß  dem Kaiser und Könige von Frankreich der meiste
  Theil der Ritterschaft ihrer Staaten nachfolgeten.  Man zählte bey jeder von beyden Armeen siebenzig  tausend mit Lanzen bewaffnete Reuter, mit einer er staunend starken leichten Reuterey. Das Fußvolk  zählte man nicht. Der heilige Bernhard saget in  seinen Briefen, daß in den meisten Flecken, außer  den Weibern und Kindern, niemand zurück geblieben  sey. Wer sich mit einem Kreuze konnte bezeichnen  lassen, und that es nicht, dem schickte man einen  Spinnrocken und eine Spindel. Die mehresten  Weiber der Kreuzfahrer folgten ihren Männern.  Man kann diese zweyte Auswanderung nicht weniger  rechnen, als aufs geringste zu dreymal hundert tau send Mann, welche mit den dreyzehn hundert tau send, die wir im vorhergehenden bemerket haben,  zusammen gerechnet bis auf diesen Zeitpunct, sech zehn hundert tausend versetzter Einwohner betragen.  Die Deutschen brachen zum ersten auf, und die Fran zosen folgten ihnen. Es ist natürlich, daß von die sen Haufen, die unter einen andern Erdstrich kom men, die Krankheiten einen großen Theil hinreißen. (1147) Die Unmäßigkeit verursachte insonderheit  unter der Armee des Conrads in den Ebenen Con stantinopels ein Sterben. Daher breitete sich so gleich in dem ganzen Occidente das Gerücht aus, daß  die Griechen die Brunnen und Quellen vergiftet hät ten. Eben diejenigen Ausschweifungen, die die er sten Kreuzfahrer begangen hatten, wurden von den
     zweyten erneuert, und erweckten dem Kaiser Manuel
     Comnenus eben diejenigen Unruhen, die sie seinem  Großvater Alexius verursachet hatten. Nachdem Conrad über den Bosphorus gegangen  war, führete er sich mit derjenigen Unbehutsamkeit  auf, die mit dergleichen Unternehmungen verknüpfet  ist. Das Fürstenthum zu Antiochia hielt sich noch.  Man hätte sich mit diesen Christen in Syrien vereini gen, und den König in Frankreich erwarten können.  Solchergestalt hätte die Menge siegen müssen. Al lein der deutsche Kaiser, der gegen den Fürsten von  Antiochia und den König von Frankreich eifersüchtig  war, vertiefte sich mitten in Kleinasien. Ein Sul tan von Ikonium, der listiger als er war, zog diese  schwere deutsche Reuterey, welche ermüdet, ohne  Muth, und nicht im Stande war, in dieser Gegend  zu fechten in die Gebirge. Die Türken hatten nichts
     weiter zu thun, als nur zu morden. Der Kaiser,  der verwundet war, und nur einige flüchtige Trup pen noch um sich hatte, floh nach Antiochia, und  that von dar, als ein Pilgrim, eine Reise nach Je rusalem, an statt daß er als ein General der Armee
     hätte daselbst erscheinen sollen. Der berühmte Frie drich der Rothbart, sein Neffe und Nachfolger im  deutschen Reiche, folgte ihm auf seinen Reisen, und  lernte bey den Türken eine Standhaftigkeit ausüben,  die die Päbste nachher auf weit größere Proben  setzten. Das Unternehmen Ludwigs des jüngern hatte eben  den Erfolg. Man muß gestehen, daß, wenn die,  welche ihn begleiteten, eben so wenig Vorsichtigkeit  bezeigten, wie die Deutschen, sie noch weit weniger  Gerechtigkeit bewiesen. Kaum war man in Thracien  angekommen, als ein Bischof von Langres den Vor schlag that, sich Constantinopels, dem Entwurfe des
  päbstlichen Legatens bey dem ersten Kreuzzuge zu fol ge, zu bemächtigen; allein der Schimpf war wegen  einer solchen Handlung gewiß, der Erfolg ungewiß.  Die französische Armee gieng auf den Fußtapfen des
        Kaisers Conrad über den Hellespont. Ich glaube nicht, daß jemand sey, der nicht sollte  bemerket haben, daß diese mächtigen Armeen der Christen in eben den Ländern den Krieg führeten, wo Alexander der große mit weit wenigern Truppen über  ungleich mächtigere Feinde, als die Türken und Ara ber damals waren, allezeit gesieget hatte. Es mußte  aber wohl in der Kriegszucht der kreuzfahrenden  Prinzen ein Grundfehler seyn, der allen ihren Muth  unnütze machte. Dieser Fehler war wahrscheinlicher  Weise der Geist der Unabhängigkeit, den die Lehns herrliche Regierungsform in Europa eingeführet  hatte. Häupter ohne Erfahrung und Verstand führe ten unordentliche Haufen in unbekanten Ländern an. Der König von Frankreich, (1149) der, wie der
        Kaiser, in den Felsen bey Laodicäa überrumpelt wur de, wurde, wie er, geschlagen; er erfuhr aber zu  Antiochia häusliche Widerwärtigkeiten, welche em pfindlicher waren, als die allgemeine Noth. Raimund, Fürst von Antiochia, zu dem er mit  der Königinn Eleonora, seiner Gemahlinn, seine Zu flucht nahm, wurde im Verdacht einer Liebe gegen  diese Prinzeßinn gehalten. Ja, man saget, daß sie  alle Beschwerlichkeiten einer so verdrüßlichen Reise  mit einem jungen Türken von einer seltenen Schön heit, Namens Saladin, vergessen habe. Das En de dieser ganzen Unternehmung war, daß der Kaiser Conrad fast ganz allein nach Deutschland zurück
  gieng, und der König nur seine Gemahlinn und ei nige Hofleute nach Frankreich zurück führete. Nach  seiner Rückkunft ließ er seine Ehe mit Eleonora von
     Guyenne aufheben, und verlor also diese schöne Pro vinz von Frankreich, nachdem er in Asien die schönste  Armee, die sein Land noch jemals auf die Beine ge bracht, verloren hatte. Tausend betrübte Familien  zogen wider den heiligen Bernhard los. Nach diesen unglücklichen Feldzügen waren die Christen in Asien weit mehr unter einander uneins,  als jemals. Eben diese Wuth herrschte unter den  Muselmännern. Der Vorwand der Religion hatte  weiter keinen Antheil an den politischen Angelegenhei
    ten. Es trug sich im Jahre 1166 gar zu, daß Al merich, König von Jerusalem, sich mit dem Sultan  von Aegypten wider die Türken vereinigte. Aber  kaum hatte der König von Jerusalem diesen Tractat  unterzeichnet, als er ihn wider brach. Die Ritter  des Hospitals zu St. Johann zu Jerusalem unter stützten ihn mit ihrem Gelde und mit ihrer Macht,  die nicht gering waren. Sie hofften, sich Aegypten  unterwürfig zu machen, sahen sich aber alle genöthi get, mit der Schande, ihren Eid gebrochen zu ha ben, wieder nach Jerusalem zurück zu gehen. Mitten unter diesen Unruhen kam der große Sa ladin, ein Neffe des Noradins, Sultans von Alep po, zum Vorschein; er eroberte Syrien, Arabien,  Persien und Mesopotamien. Ein Tempelherr, Na mens Melieu, verließ seinen Orden und seine Reli gion, um unter diesem Bezwinger zu dienen, und  trug viel bey, ihm Armenien zu unterwerfen. Sala din, Herr so vieler Länder, wollte mitten unter seinen
  Staaten das Königreich Jerusalem nicht lassen.  Heftig gegen einander erbitterte Parteyen zerfleischten  diesen kleinen Staat, und beförderten seinen Unter gang. Gvido von Lusignan, gekrönter König, dem  man aber die Krone streitig machte, versammlete in  Galiläa alle die getrennten Christen, die die Gefahr  vereinigte, und marschirte gegen den Saladin. Der  Bischof von Ptolemais, der seine Kappe über dem  Küraß trug, und zwischen seinen Händen ein Kreuz  hielt, munterte die Truppen auf, auf demjenigen  Gebiethe, wo ihr Gott so viele Wunder gethan hät te, tapfer zu fechten; nichts desto weniger wurden  alle Christen entweder getödtet oder gefangen. Der  gefangene König, der nichts, als den Tod, erwartete,  war verwundert, von dem Saladin, so wie es heut zu  Tage die leutseligsten Generale den Kriegsgefangenen  thun, zu begegnen pflegen, tractirt zu werden. Sa ladin reichte mit seiner Hand dem Lusignan einen Be cher mit einem in Schnee abgekühlten Tranke dar.  Nachdem der König getrunken hatte, wollte er den  Becher auch einem seiner Officiers, Namens Re naud von Chatillon, geben. Es war eine unverletz liche Gewohnheit bey den Muselmännern, und die sich  noch bey einigen Arabern erhält, die Gefangenen, denen  sie zu essen und zu trinken gegeben haben, nicht um bringen zu lassen. Dieses Recht der alten Gast freundschaft war für den Saladin geheiliget. Er
         gab es nicht zu, daß Renaud von Chatillon nach  dem Könige trank. Dieser Officier hatte sein Ver sprechen vielmals übertreten, der Sieger hatte einen  Eid gethan, ihn zu strafen, und, indem er zeigte,  daß er eben so sich zu rächen, als zu vergeben wüßte,
  ließ er demjenigen, den er für treulos hielt, den Kopf  mit einem Sebelhiebe herunter hauen. Da er vor  den Thoren Jerusalems, das sich nicht weiter weh
        ren konnte, ankam, stund Saladin der Gemahlinn  des Lusignans, wegen Uebergabe der Stadt, einen  Vergleich zu, dergleichen sie nicht hoffte. Er er laubte ihr, sich hinzuwenden, wo sie hin wollte.  (1187) Er verlangte von den Griechen, die in der  Stadt blieben, keine Ranzion, und von den Latei nern nahm er nur eine geringe. Als er seinen Ein zug in Jerusalem hielt, warfen sich eine Menge Weibespersonen zu seinen Füßen, deren einige um  ihre Männer, andere um ihre Kinder, noch andere  um ihre Väter baten, die er gefangen hielt. Er  gab sie ihnen insgesammt mit einer Großmuth, die  in diesem Theile der Welt noch kein Exempel hatte,  wieder. Saladin ließ durch die Hände der Christen  selbst die Moschee, die in eine Kirche war verwandelt  worden, mit Rosenwasser waschen. Er ließ 1187  einen prächtigen Lehrstuhl darinnen aufrichten, daran  sein Oheim Noradin, Sultan von Aleppo, selbst  gearbeitet hatte, und über die Thür ließ er diese  Worte graben: „Der König Saladin, der Knecht  Gottes, setzte diese Ueberschrift, als Gott durch  seine Hände Jerusalem eingenommen hatte.„ Aber  ungeachtet seines Eifers für seine Religion, gab er  doch den morgenländischen Christen die Kirche des  heiligen Grabes wieder. Wenn man dieses Bezei gen mit der Christen ihrem, als sie Jerusalem ein nahmen, in Vergleichung zieht, sieht man leider!  wer die Barbaren seyn. Man muß noch hinzu fü gen, daß Saladin, nach Verlauf eines Jahres,
  dem Gvido von Lusignan die Freyheit wieder gab,  nachdem er einen Eid von ihm genommen hatte, daß  er niemals die Waffen wider seinen Befreyer tragen  wollte. Lusignan hielt sein Wort nicht. Während daß Kleinasien der Schauplatz des Ei fers, des Ruhms, der Schandthaten und des Un glücks so vieler tausend Kreuzfahrer gewesen war, hat te sich die Wuth, die Religion mit den Waffen in der  Hand anzukündigen, auch mitten in Norden ausge breitet. Wir haben Carln den großen das nordliche Deutsch land, das man Sachsen nannte, mit Feuer und Schwerdt  bekehren sehen. Hernach sahen wir die abgöttischen  Dänen Europa zitternd machen, und die Normandie  erobern, ohne daß sie jemals einen Versuch thaten,  daselbst die Abgötterey einzuführen. Kaum war das Christenthum in Dänemark, in dem alten Sachsen  und in Scandinavien befestigt, als man wider die Heiden in Norden, die man Sklaven oder Slaven  nannte, und die ihren Namen dem Lande, das an Un garn stößt, und Sklavonien heißt, gegeben haben,  das Kreuz predigte. Sie wohneten damals an dem  östlichen Ufer der Ostsee, in Ingermanland, Liefland,  Samogitien, Curland, Pommern, Preußen, die  Christen rüsteten sich von Bremen an bis in das Herz  von Scandinavien wider sie. Ueber hunderttausend Kreuzfahrer richteten Verwüstung und Zerstörung  unter diesen Abgöttern an. Man tödtete eine große  Menge, und bekehrte niemand. Dieser Kreuzzug  endigte sich bald in einem wilden Lande, wo die Trup pen nicht lange stehen konnten, und wo die Kriegs kunst nichts als ein Sengen und Brennen wilder Men
 schen war. Man kann den Verlust dieser hundert tausend Menschen zu den sechzehen hundert tausend,  die diese Art Kriege unserm Europa gekostet hatte,  noch hinzufügen. Indessen hatten die Christen in Asien nichts mehr,  als Antiochia, Tripoli, Joppe nnd die Stadt Tyr,  die ehemalige Beherrscherinn der Meere, damals  aber schlechte Zuflucht der Ueberwundenen. Saladin  besaß alles das übrige, theils für sich, theils durch  seinen Eidam den Sultan zu Ikonium oder Cogni,  der das Land, das wir heut zu Tage Karamanien  nennen, beherrschete. Durch das Gerüchte von den Siegen des Sala dins, wurde ganz Europa beunruhigt. Der Pabst
        Clemens der dritte erregte Frankreich, England und Deutschland. Philipp August, der damals in Frankreich regierte,
         und der alte Heinrich der zweyte, König von Eng land, setzten inzwischen ihre Zwistigkeiten bey seite,  und richteten alle ihre Gedanken darauf, wie sie es  einander in Rettung Asiens zuvor thun möchten.  Sie ließen, jeder in seinen Staaten eine Verordnung  ergehen, daß alle, welche das Kreuz anzunehmen sich  weigerten, den zehnten Theil ihrer Einkünfte und ih rer beweglichen Güter zu den Unkosten der Ausrüstung  zahlen sollten; und dieses nennete man den Saladin schen Zehnten, eine Auflage, die dem Ruhme des  Bezwingers zum Siegeszeichen diente. Dieser Kaiser, Friedrich der Rothbart, der von  den Verfolgungen, die er von den Päbsten erlitten,  und die er ihnen wieder anthat, berühmt ist, nahm  fast zu gleicher Zeit das Kreuz an, und that sich un
 ter allen am ersten hervor. Es schien, als ob er dar zu bestimmt wäre, bey den Christen Asiens dasjenige  zu seyn, was Saladin bey den Türken war. Er  führte als ein Staatsverständiger, als ein großer Ge neral, und der durch das Glück gnugsam geprüft war,  eine Armee von hundert und funfzig tausend Mann  ins Feld. Er brauchte die Vorsicht, zu verordnen,  daß man keinen mit dem Kreuze bezeichnen sollte, der  nicht wenigstens hundert und funfzig Franken Sil bers nach unsrer heutigen Münze baar hätte, da mit ein jeder durch seinen Fleiß und sein Geld dem  grausamen Mangel, der die vorigen Armeen größten theils aufgerieben hatte, vorkommen könnte. Er  mußte Anfangs mit den Griechen sich herumschlagen.  Der Hof zu Constantinopel, der es müde war, be ständig von den Lateinern bedrohet zu werden, machte  endlich mit dem Saladin ein Bündniß. Ganz Eu ropa schrye über dieses Bündniß, es ist aber augen scheinlich, daß es unumgänglich nothwendig war.  Man verbindet sich mit seinem natürlichen Feinde  nicht ohne Noth. Unsre heutige Bündnisse mit den  Türken, die vielleicht weniger nöthig sind, verursa chen nicht so viel Murren. Friedrich machte sich
         mit Gewalt wider den Kaiser Isaac Angelus einen  Weg durch Thracien, wie er über die Griechen ge siegt, so gewann er auch (1190) zween Siege wider
         den Sultan von Cogni. Da er sich aber ganz im  Schweiße in dem Wasser eines Flusses, den man für  den Cydnus hält, gebadet, starb er davon, und alle  seine Siege waren ohne Nutzen. Sie hatten ohne  Zweifel viel gekostet, weil sein Sohn, der Herzog
        Friedrich von Schwaben, von hundert und funfzig
  tausend Mann, die seinem Vater nachgefolget waren,  aufs höchste nicht mehr als sieben bis achttausend zu sammen bringen konnte. Er führte sie nach Antio chia, und stieß mit diesen Ueberbleibseln zu dem Heere  des Königes von Jerusalem Gvido von Lusignan, der,  ungeachtet des gethanen Eides und der Ungleichheit  der Waffen, dennoch seinen Sieger noch einmal an greifen wollte. Nach verschiedenen Schlachten, deren keine ent
    scheidend war, verlor dieser Sohn
                    Friedrichs des  Rothbarts, welcher Kaiser im Occident hätte seyn sol len, sein Leben ohnweit Ptolemais an einer Krankheit,  die alle Deutsche in diesem Erdstriche hinriß. Die,  welche aufgezeichnet haben, daß dieser Prinz, als ein  Märtyrer der Keuschheit gestorben sey, und daß er  durch den Gebrauch der Weiber hätte davon kommen  können, sind zugleich sehr verwegene Lobredner und  schlecht unterrichtete Naturkündiger. Man sagt eben
     das seitdem auch von dem Könige in Frankreich Lud wig dem achten. Kleinasien war ein Abgrund, worein sich Europa  gestürzet hatte. Nicht allein diese unbeschreibliche
     Armee des Kaisers Friedrichs war verloren, sondern  die englischen, französischen, italiänischen und deut
    schen Flotten, die noch vor der Ankunft Philipp Au gusts und Richards, genannt Löwenherz, anlangten,  hatten neue Kreuzfahrer und neue Schlachtopfer her beygebracht. Endlich kamen die Könige von Frank reich und England in Syrien vor Ptolemais, das  man Akre nennt, an. Fast alle Christen im Oriente
  hatten sich versammlet, diese Stadt, die man als  den Schlüssel des Landes ansahe, zu belagern. Sa ladin war in der Gegend des Euphrats in einen in nerlichen Krieg verwickelt. Nachdem die beyden  Könige ihre Macht mit der orientalischen Christen  ihrer vereiniget hatten, zählte man über dreymal hun dert tausend Soldaten. Ptolemais wurde zwar wirklich erobert (1190), al lein die Uneinigkeit, die nothwendig zween Prinzen,
     wie Philippus und Richard, die nach gleichen Ehren  und Vortheilen mit gleichem Eifer trachteten, trennen  mußte, richtete größern Schaden an, als diese drey mal hundert tausend Mann glückliche Thaten verrich
    teten. Philippus, dieser Trennungen müde, noch  mehr aber über die Ueberlegenheit und über das zu  sehr überhand nehmende Ansehen, welches Richard  sein Lehnsmann, in allem hatte, verdrüßlich, kehrte  in sein Vaterland zurück, welches er vielleicht gar  nicht hätte verlassen, itzt aber wenigstens mit meh rerm Ruhm hätte wiedersehen sollen. Richard, der nun Herr von dem Felde der Ehren,  nicht aber von dieser Menge der Kreuzfahrer war,  die unter einander noch weniger, als die beyden Kö nige, eins waren, ließ vergebens die heldenmäßigste  Tapferkeit sehen. Saladin, der siegreich aus Meso potamien zurück kam, lieferte den Kreuzfahrern eine  Schlacht bey Cäsarea. Man sahe diesen Bezwinger  an der Spitze seiner Mahometaner und den Richard  an der Christen ihrer, einer gegen den andern, als  zween Ritter auf dem Turnierplatze, fechten. Richard
                      hatte die Ehre, den Saladin aus dem Sattel zu he ben; und das war fast alles, was er in dieser merk würdigen Schlacht gewann. Die Strapatzen, die  Krankheiten, die kleinen Schlachten, die beständigen  Zänkereyen rieben diese große Armee auf, und Richard  kehrte zwar mit mehrerem Ruhm, als Philipp Au gust, aber auch auf eine weit unbehutsamere Art zu rück. Er gieng mit einem einzigen Schiffe von der jenigen Küste Syriens ab, auf welche er ein Jahr  vorher mit einer fürchterlichen Flotte losgeseegelt war,  und da sein Schiff auf den Küsten von Venedig schei terte, wanderte er verkleidet und in schlechter Beglei tung durch die Hälfte von Deutschland. In Syrien
     hatte er einen Herzog von Oesterreich durch seinen Stolz beleidigt, und itzt hatte er die Unachtsamkeit  durch dessen Länder zu reisen. Dieser Herzog von  Oesterreich legte ihn in Ketten, und lieferte ihn dem
     Kaiser Heinrich dem sechsten, der ihn, als einen Feind,  den er im Kriege gefangen genommen hätte, im Ge fängnisse verwahrte, aus. Er verlangte von ihm  statt der Loskaufung hunderttausend Mark Silbers. England verlor also bey diesem neuen Kreuzzuge  weit mehr, als Frankreich, in welchem ein mächtiger  und tapferer Kaiser, und zween dergleichen Könige,  mit der ganzen Macht von Europa dem Saladin  nichts abgewinnen konnten. Dieser berühmte Muselmann, der mit dem Ri chard einen Tractat gemacht hatte, vermöge dessen er  den Christen die Seeküste von Tyr bis nach Joppe  überließ, und das übrige alles für sich behielt, hielt  sein Wort, davon er ein Sklave war, redlich. Er
  starb (1195) funfzehn Jahre darnach zu Damasco, von  den Christen selbst bewundert. Er hatte in seiner  letzten Krankheit, statt der Fahne, die man vor seine  Thüre zu pflanzen pflegte, das Tuch, darinnen man  ihn begraben sollte, bringen lassen. Der, welcher  die Todesfahne hielt, rufte mit lauter Stimme aus:  „das ist alles, was Saladin, der Bezwinger des  Orients, von seinen Siegen davon trägt.„ Man sagt, er habe in seinem Testamente verord net, gleichgroße Summen unter die armen Mahome taner, Juden und Christen, als Allmosen, auszuthei len, durch welche Verordnungen er habe zu verstehen  geben wollen, daß alle Menschen Brüder wären, und  man, um ihnen beyzustehen, sich nicht darnach, was  sie glaubten, sondern, was sie auszustehen hätten,  erkundigen müßte. Er hatte auch niemals um der Religion willen jemand verfolget; er war zugleich ein  Bezwinger, ein Mensch, und ein Philosoph. Ludwig der neunte, schien recht darzu bestimmt zu  seyn, nicht nur Europa wieder in Ordnung zu brin gen, wenn es darzu zur Zeit noch fähig gewesen wäre,  sondern auch Frankreich triumphirend und gesittet zu  machen, und selbst in allen Stücken ein Muster der  Menschen zu seyn. Seine Gottesfurcht, welche der,  eines Einsiedlers nichts nachgab, entzog ihm die kö niglichen Tugenden nicht. Seine Freygebigkeit hin derte ihn nicht an einer klugen Haushaltung. Er  wußte eine tiefe Politik mit einer genauen Gerechtigkeit  zu verbinden, und vielleicht ist er der einzige Monarch,  der dieses Lob verdienet. Klug und standhaft in sei
 nen Entschließungen; unerschrocken in Schlachten,  ohne hitzig zu seyn; mitleidig, als wenn er beständig  unglücklich gewesen wäre. Kaum ist es möglich, daß  ein Mensch die Tugend weiter treiben könne. Er hatte zugleich mit der Regentinn, seiner Mutter,  die zu regieren wußte, den Misbrauch, der zu weit  greifenden Gerichtsbarkeit der Geistlichen Einhalt ge than. Er wollte nicht, daß die Gerichtsbedienten  die Güter dererjenigen, die im Banne waren, einzögen,  ohne zu untersuchen, ob der Bann recht oder unrecht
         wäre. Der König, der einen sehr klugen Unterschied  zwischen den bürgerlichen Gesetzen, denen alles gehor chen muß, und den Gesetzen der Kirchen machte, de ren Herrschaft sich nicht weiter, als auf die Gewissen  erstrecken soll, gab nicht zu, daß die Gesetze des Kö nigreichs unter diesen Misbrauch der Bannstrahlen  sich hätten biegen sollen. Dadurch, daß er von An fange seiner Regierung die Ansprüche der Bischöfe und  der Layen klüglich eingeschränkt hielt, unterdrückte er  die Meutereyen in Bretagne: er hatte eine kluge
         Neutralität zwischen Gregorius dem neunten und
        Friedrich dem zweyten beobachtet. Seine Kammergüter, die an sich selbst schon an sehnlich waren, vermehrte er durch viele Stücke Lan des, die er darzu kaufte. Die Einkünfte der Könige  von Frankreich bestunden damals in ihren eigenen Gü tern; ihre Hoheit kam eben so wohl, als eines Pri vatedelmannes seine, auf eine wohleingerichtete Haus haltung an. Diese Haushaltung hatte ihn in den Stand ge setzt, mächtige Armeen wider den König von England
    Heinrich den dritten, und wider die Vasallen von Frankreich, die es mit England hielten, anzuwerben.
    Heinrich der dritte, der weniger reich war, und dem  die Engländer weniger gehorchten, hatte weder so  gute Truppen, noch die so geschwind fertig waren.
    Ludwig, der ihn, an Muth, wie an Behutsamkeit  und Vorsicht übertraf, schlug ihn zweymal, und in sonderheit zu Tailleburg in Poitou. Der englische  König nahm die Flucht vor ihm. Auf diesen rühm lichen Krieg folgte ein vortheilhafter Friede. Die  Vasallen von Frankreich bequemten sich wieder zu ih rer Schuldigkeit, und handelten weiter nicht darwi der. Der König vergaß auch nicht, den Engländern  fünf tausend Pfund Sterlings statt einer Ersetzung  der Kriegsunkosten aufzulegen. Wenn man bedenkt,  daß er noch nicht vier und zwanzig Jahr alt war, da  er sich also aufführte, und daß seine Gemüthsart weit  über sein Glück erhoben war, so sieht man leicht, was  er würde gethan haben, wenn er in seinem Vaterlan de geblieben wäre, und man bejammert, daß Frank reich durch seine Tugenden selbst, die das Glück der  Welt hätten machen sollen, hat unglücklich seyn müs sen. Als Ludwig im Jahr 1244 in eine heftige Krank heit verfiel, glaubte er, wie man vorgiebt, in einer  Schlafsucht eine Stimme zu hören, die ihm anbe fohlen, das Kreuz wider die Ungläubigen zu nehmen.  Kaum konnte er reden, so that er das Gelübde, einen Kreuzzug zu thun. Die Königinn seine Mutter, die
  Königinn seine Gemahlinn, sein Rath, und alles,  was sich ihm näherte, sahe die Gefahr dieses betrüb ten Gelübdes wohl ein. Der Bischof von Paris  selbst stellte ihm die gefährlichen Folgen davon vor.
         Allein Ludwig sahe dieses Gelübde als ein heiliges  Band an, welches aufzulösen bey Menschen nicht  stünde. Er machte die Anstalten zu diesem Zuge  binnen vier Jahren; endlich übergab er die Regie rung des Königreichs seiner Mutter, und brach mit  seiner Gemahlinn und drey Brüdern, denen ihre Ge mahlinnen gleichfalls folgeten, auf. Fast die ganze  Ritterschaft Frankreichs begleitete ihn. Ein Herzog  von Burgund, ein Graf von Bretagne, ein Graf  von Flandern, ein Graf von Soissons, ein Graf von  Vendome fanden sich mit ihren Lehnsleuten ein. Es  waren auf drey tausend Bannerherren bey der Ar mee. Frankreich wurde öder und einsamer, als zur
         Zeit des Kreuzzuges des heil. Bernhards, und doch
         griff man ihn nicht an. Der Kaiser und der König  von England hatten bey sich genug zu thun. Ein  Theil der erstaunenden Flotte, die so viele Prinzen  und Soldaten führte, ging von Marseille, und der  andre von Aiguemorte ab, welches heut zu Tage kein  Hafen mehr ist. Mit dieser ganzen großen Macht  war man über Aegypten herzufallen gesonnen. Ludwig legte sich in der Insel Cypern vor Anker.  Der König dieser Insel vereinigte sich mit ihm, man  landete in Aegypten an, und verjagte anfangs die Bar baren aus Damiate. Der alte Maleksala, der fast  unvermögend war, etwas zu unternehmen, bath um  Frieden, und man versagte ihm selbigen. Der heilige Ludwig wurde durch neue aus Frank reich angekommene Hülfe verstärket, worauf noch sech zig tausend Soldaten nachkamen. Man folgte ihm,  man liebte ihn, und er selbst ließ sich das Unglück, das
    Johann von Brienne, in einem gleichen Vorfalle er fahren hatte, zu einem Beyspiele dienen, indem er  schon überwundene Feinde und einen Sultan, der sich  seinem Ende nahete, vor sich hatte. Wer hätte nicht  glauben sollen, daß Aegypten und bald darauf Syrien  hätten sollen bezwungen werden. Unterdessen kam die  Hälfte dieser unvergleichlichen Armee an Krankheiten  um; die andre Hälfte wurde bey Masura überwunden.
     Der heilige Ludwig sahe seinen Bruder Robert von  Artois ermorden; er wurde mit seinen beyden andern
     Brüdern dem Grafen von Anjou und dem Grafen von
         Poitiers gefangen. Der meiste Theil seiner Ritter  wurde mit ihm gefangen genommen. Damals regier te nicht mehr Maleksala in Aegypten, sondern sein  Sohn Almoadan. Dieser neue Sultan hatte aller
    dings eine große Seele, denn, da ihm der König Lud wig für seine und der ihm angehörigen Gefangenen  Ranzion eine Million Goldner * Bezans anbot, er
    ließ ihm Almoadan den fünften Theil davon. Malek sala, sein Vater, hatte das Corps der Mammelu ken aufgerichtet, das mit der ehmaligen Leibwache  der Römischen Kaiser, und mit den Janitscharen heut  zu Tage viele Aehnlichkeit hatte. Diese Mammelu ken waren kaum entstanden, so wurden sie ihren Herren  schon furchtbar. Almoadan, der ihnen Einhalt thun 
                        
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                       wollte, wurde von ihnen eben in der Zeit, da er mit
     dem heil. Ludwig wegen der Ranzion in Unterhandlung  stund, meuchelmörderischer Weise ermordet. Die  Regierung, die damals unter die Emirs vertheilt  war, schien den gefangenen Christen höchstnachtheilig  zu seyn; dem ungeachtet fuhr der ägyptische Rath  fort mit dem Könige zu tractiren. Der Herr von
     Joinvilleerzählt, daß selbst diese Emirs in einer von  ihren Versammlungen in Vorschlag gebracht hätten, Ludwigen zu ihrem Sultan zu erwählen. Joinville war mit dem Könige gefangen. Was ein  Mann von seinem Character und von seiner Aufrich tigkeit erzählt, hat allerdings einen großen Nachdruck.  Man überlege aber nur, wie schlecht man öfters in ei nem Lager, und in einem Hause von den besondern  Vorfällen unterrichtet ist, die in einem benachbarten  Lager, und in einem angränzenden Hause sich ereignen;  wie unwahrscheinlich es ferner ist, daß die Muselmän ner auf die Gedanken kommen sollten, einen feindse ligen Christen der weder ihre Sprache versteht, noch  ihre Sitten liebt, und der ihre Religion verabscheuet,  zu ihrem Könige zu ernennen; so wird man leicht sehen,
         daß Joinville weiter nichts, als ein Gewäsche des ge meinen Volks erzählt. Das, was man hat sagen  hören, aufrichtig wieder sagen, ist öfters nichts an ders, als Sachen, die wenigstens verdächtig sind,  auf Treu und Glauben erzählen. Ich kann das, was die Geschichtschreiber von der  Art, wie die Muselmänner den Gefangenen begeg neten melden, noch nicht recht mit einander vereini
 gen. Sie erzählen, man habe sie einzeln aus einer  Festung, darinnen sie eingesperrt waren; heraus ge hen lassen; man habe sie gefragt, ob sie Jesum Chri stum verleugnen wollten; und man habe allen denen  den Kopf herunter gehauen, die bey dem Christen thum fest beharret wären. Andern Theils bezeugen sie auch, daß ein alter  Emir durch einen Dollmetscher die Gefangenen habe  fragen lassen, ob sie an Jesum Christum glaubeten,  und und da sie geantwortet, daß sie an ihn glaubeten,  solle er gesagt haben: „Seyd getrost, weil er für euch  gestorben, und wieder aufgestanden ist, so wird er  euch auch schon zu helfen wissen. Diese beyden Er zählungen scheinen ein wenig widersprechend, am aller meisten widersprechend aber ist, daß die Emirs Ge fangene, von denen sie eine Ranzion erwarteten, soll ten getödtet haben. Uebrigens dünkt mir, daß diese Emirs, ob sie  schon ihren Sultan getödtet haben, dennoch diejenige  Art der Redlichkeit und Tugend an sich hatten, ohne  welche keine Gesellschaft bestehen kann. Sie blie ben bey den achthundert tausend Bezans, auf welche  ihr Sultan die Ranzion der Gefangenen gesetzet hat te; und als die französischen Truppen, die in Da miate waren, dem geschlossenen Tractate zu Folge,  diese Stadt übergaben, findet man nicht, daß die  Sieger dem Frauenzimmer, das in großer Menge  allda war, einigen Schimpf angethan hätten. Man  ließ die Königinn nebst ihren beyden Schwägerinnen,  mit Bezeigung vieler Ehrerbiethung, abreisen. Es
  ist nicht gesaget, daß alle muselmännische Soldaten
     eingezogen gewesen wären; der gemeine Pöbel ist in  allen Ländern wild und unbändig. Es wurden ohne  Zweifel viele Gewaltthätigkeiten ausgeübet, und viele  Gefangene gemishandelt und getödtet; allein ich muß  gestehen, daß ich mich keinesweges wundere, wenn  der gemeine mahometanische Soldat sich wild gegen  Ausländer bezeiget hat, die aus den Hafen von Eu ropa gekommen waren, das Gebieth von Aegypten  zu verwüsten und zu verheeren. Nachdem der heilige Ludewig aus der Gefangen schaft los war, begab er sich nach dem gelobten  Lande, und blieb allda mit den Ueberbleibseln seiner  Schiffe und seiner Armee beynahe vier Jahre. An  statt nach Frankreich zurück zu gehen, besuchte er  Nazareth, kam auch nicht eher in sein Vaterland  zurück, als nach dem Tode der Königinn Blanca,  seiner Mutter; und zwar mit den Gedanken zu einer  neuen Kreuzfahrt Anstalten zu machen. Sein Aufenthalt zu Paris verschaffte ihm bestän dige Vortheile und beständigen Ruhm. Er genoß  einer Ehre, die nur ein tugendhafter König erlangen  kann. Der König von England und seine Barons  erwähleten ihn zum Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten.  Er sprach das Urtheil als ein unumschränkter König,
     und wenn dieses Urtheil, das Heinrich dem dritten  günstig war, die Unruhen in England nicht stillen  konnte, gab es doch wenigstens dem ganzen Europa  zu erkennen, was für Ehrerbiethung die Menschen  auch wider ihren Willen, gegen die Tugend haben.
  Sein Bruder der Graf von Anjou hatte dem Ruhme
    Ludewigs, und der guten Ordnung seines Königrei ches die Ehre zu danken, daß er von dem Pabste zum  Könige von Sicilien erwählet wurde. Ludewig vermehrte indessen durch die Erwerbung  von Namur, Peronne, Avranches, Mortagne, und  Perche, seine Kammergüter. Er konnte den Köni gen von England alles, was sie in Frankreich besas
    sen, entreißen. Die Streitigkeiten Heinrichs des  dritten mit seinen Barons, erleichterten ihm die Mit tel darzu; er zog aber die Gerechtigkeit einem unrecht mäßigen Besitze vor; er ließ sie in ruhigem Besitze  von Guyenne, Perigord, Limosin; er nöthigte sie  aber auf immerdar der Normandie, dem Ländgen
     Tauraine und Poitou zu entsagen, die Philipp Au gust mit der Krone wieder vereinigt hatte. Solcher gestalt wurde der Friede mit Ehren bestätiget. Er führte zuerst gewisse Gerichtsbarkeiten ein;  und die durch die willkührlichen Aussprüche der Rich ter der Baronien unterdruckten Unterthanen fingen  an, ihre Klagen vor die vier großen königlichen Aem ter, die sie zu hören waren angeleget worden, zu brin gen. Unter ihm fingen die Gelehrten an, zu den  Sitzungen der Parlemente, in denen Ritter, die  gar selten lesen konnten, das Glück der Bürger ent schieden, zugelassen zu werden. Er vereinigte mit  der Frömmigkeit eines Mönchen die erleuchtete  Standhaftigkeit eines Königs, indem er den Unter nehmungen des Hofes zu Rom durch diejenige be rühmte pragmatische Sanction Einhalt that, welche
  die alten Rechte der Kirche, die die Freyheiten der  gallicanischen Kirche heißen, erhält. Dreyzehn  Jahre seiner Gegenwart ersetzten endlich alles wieder  in Frankreich, was seine Abwesenheit verdorben hatte;  allein die heftige Neigung zu einem Kreuzzuge riß
     ihn hin. Die Päbste munterten ihn auf; Clemens  der vierte stund ihm den Zehnten von der Geistlich keit zu heben, auf drey Jahre zu. Die Geistlichkeit,  die zur Zeit des Saladinischen Zehnten eine Menge  Vorstellungen gemacht hatte, um nichts zahlen zu  dürfen; that itzt dergleichen von großem Nachdruck.  Sie waren eben so unnütz, als wenig anständig un ter einem Könige, der sein Blut und sein Vermögen  in einem Kriege, den die Geistlichkeit so sehr predigte  verschwendete. Er gieng endlich zum zweytenmale,  und beynahe mit einer eben so starken Macht ab.  Sein Bruder, den er zum Könige von Sicilien ge macht hat, soll ihm folgen. Allein es ist nicht mehr  weder das gelobte Land, noch Aegypten, wohin er  seine Andacht und seine Waffen richtet. Er läßt seine  Flotte auf Tunis zuseegeln. Carl von Anjou, König von Neapel und Sicilien,
         bediente sich eigentlich der heroischen Frömmigkeit Lu
            dewigs zu seinen Absichten. Er gab vor, der Kö nig von Tunis wäre ihm einige Jahre Tribut schul dig. Er wollte sich dieser Lande bemächtigen, und  der heilige Ludewig hoffte, wenigstens nach dem Vor geben aller Geschichtschreiber, (auf was für einen
         Grund, weiß ich nicht,) den König von Tunis zu  bekehren. Die christlichen Truppen stiegen unweit
  der Ruinen Karthagens ans Land; gar bald aber  wurde der König in seinem Lager von den vereinigten  Mauren belagert. Eben die Krankheiten, welche  die Unmäßigkeit seiner versetzten Unterthanen und die  Veränderung der Himmelsgegenden, in sein Lager in  Aegypten gezogen hatten, verstörten auch sein Lager  bey Karthago. Einer von seinen Söhnen, der ihm  während seiner Gefangenschaft zu Damiate war ge bohren worden, starb an dieser Art von Pest vor Tu
        nis. Endlich wurde der König selbst davon ange griffen; er ließ sich auf der Asche ausstrecken, und  gab in einem Alter von fünf und funfzig Jahren mit  der Gottesfurcht eines Mönchen und dem Muthe ei nes Helden seinen Geist auf. Kaum war er todt,
         so langte sein Bruder der König von Sicilien an;  man machte Friede mit den Mauren, und führte die  Ueberbleibsel der Christen nach Europa zurück.  Man kann nicht weniger als hundert tausend Perso
        nen rechnen, die in diesen beyden Feldzügen des heil.  Ludewigs sind aufgeopfert worden. Fügt man hier
        zu die hundert und funfzig tausend, die Friedrich dem  Rothbarte nachfolgeten, die dreyhundert tausend von
         dem Kreuzzuge Philipps Augusts und Richards;
         wenigstens zweyhundert tausend von der Zeit des Jo hanns von Brienne: rechnet man die sechzehn hun dert tausend Kreuzfahrer, die schon nach Asien über gegangen waren, und was in dem Zuge nach Con stantinopel und in den Kriegen, die auf diese Ver änderung erfolgten, umgekommen ist, ohne von dem  nordischen Kreuzzuge und dem wider die Albigenser  etwas zu gedenken; so wird man finden, daß der
  Orient das Grab von mehr als zwo Millionen Euro päern geworden ist. Verschiedene Länder wurden dadurch entvölkert, und  in Armuth versetzet. Der Herr von Joinville saget
     ausdrücklich, er habe den König Ludewig in seinem  zweyten Kreuzzuge nicht begleiten wollen, weil er es  nicht gekonnt hätte, und der erstere seine ganze Herr schaft zu Grunde gerichtet hätte. Die Ranzion des heil. Ludewigs hatte achthundert  tausend Bezans, welche wenigstens neun Millionen  unserer heutigen Münze betragen, gekostet. Wenn  von zwo Millionen Menschen, die im Oriente um kamen, jeder nur hundert Franken mit sich dahin ge nommen, so sind es wieder zweyhundert Millionen  französische Pfunde, die der Krieg kostete. Die  Genueser, Pisaner, und insonderheit die Venetianer,  bereicherten sich dabey; Frankreich aber, England  und Deutschland wurden erschöpfet. Man saget, die Könige von Frankreich hätten bey
     diesen Kreuzzügen gewonnen, weil der heilige Lude wig seine Kammergüter durch Ankauf einiger Lände reyen herunter gekommener von Adel vermehret hät te; allein er vermehrte sie nur durch seine gute Haus haltung, während seines Aufenthalts in seinen  Staten. Das einzige Gute, daß diese Unternehmungen et wan verschaffeten, war die Freyheit, die etliche kleine  Marktflecken von ihren Herren erkauften. Das städ tische Regiment kam ziemlich auf; diese Gemeinden,
  die zu ihrem eigenen Nutzen arbeiten und handeln  konnten, trieben die Künste und den Handel, die die  Sklaverey unterdrückt hatte. Indessen wurde das wenige von Christen, das sich  auf der Küste von Syrien noch befand, in weniger  Zeit theils ausgerottet, theils in die Sklaverey ver setzet. Ptolemais, ihre vornehmste Freystadt, die  aber wirklich nichts, als eine Zuflucht einiger Räuber  war, die sich durch ihre Verbrechen berüchtigt ge macht hatten, konnte der Macht des Sultans von  Aegypten Melek Seraph nicht Widerstand thun.  Er nahm sie im Jahre 1291 ein: Tyr und Sidon  ergaben sich ihm. Gegen das Ende des zwölften Jahr hunderts endlich war keine deutliche Spur von  den Kreuzzügen in Asien mehr übrig.  
XI. Von Titeln.
XII. Ueber die Widersprüche in dieser Welt.
XIII. Gedruckte Lügen.
Les oisifs courtisans que leurs chagrins dévorent,
S'efforcent d' obscurcir les astres qu'ils adorent;
Si l'on croit de leurs yeux la regard penetrant,
Tout Ministre est un traitre et tout Prince un Tiran;
L'hymen n'est entouré que de feux adulteres;
Le frere à ses rivaux est vendu par ses freres;
Et sitot qu' un grand Roi penche vers son declin
Ou son fils ou sa femme aut haté son destin - - -
Qui croit toujours le crime en paroit trop capable. „das ist die müßigen Höflinge, die ihr Verdruß verzehret, bemühen sich aus allen Kräften, die Sonnen, welche sie anbethen zu verdunkeln. Wenn man denen durch dringenden Blicken ihrer Augen trauet, so ist jeder Mi nister ein Verräther, und jeder Fürst ein Tyrann; Hy men ist mit nichts als mit ehebrecherischen Flammen umgeben, und der Bruder wird an seine Mitbuhler von seinen Brüdern verkauft; und sobald ein großer König sich seinem Ende nahet, so muß entweder sein Sohn, oder seine Gemahlinn, seinen Tod beschleunigt haben. - - Wer das Laster allezeit glaubt, der scheint nur allzufähig dazu zu seyn.„ Und auf eben die Art sind die meisten vorgegebnen Geschichte der Zeit abgefasset. Die Kriege von 1702 und von 1741 haben in den Büchern eben so viel Lügen hervorgebracht; als Sol daten in den Feldzügen derselben umgekommen sind. Man hat es hundertmal wiederholt und wiederholt es noch hundertmal, daß das Ministerium von Versail les das Testament Carls des IIten, Königs von Spa nien, geschmiedet hätte. Geheime Nachrichten lehren uns, daß der letzte Marechal de la Feuillade ausdrück lich Turin verfehlte, und seine Ehre, sein Glück und sei ne Armee verlor durch eine große Hoflist; andre be richten uns, daß ein Minister aus Staatsklugheit eine Schlacht habe verlieren lassen. Man hat es in den Unterhandlungen von Europa auf das neue gedruckt, daß wir in der Schlacht bey Fontenai unsre Kanonen mit großen Stücken Glas und mit vergifteten Metallen hätten geladen gehabt: daß der General Cambel von einer dieser vergifteten Ladungen wäre getödtet worden, und daß der Herzog von Cumberland dem Könige von Frankreich in einem Kuffer das Glas und die Metalle zugeschickt habe, die man in seiner Wunde gefunden; daß er einen Brief beygelegt, worinne er dem Könige gesagt: Auch die allerbarbarischsten Völker hätten sich niemals solcher Waffen bedient; und daß sich der König bey LefungLesung dieses Briefes ent setzet habe. Alles dieses hat nicht den geringsten Schat ten der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit. Man fügt zu diesen ungereimten Lügen noch hinzu, daß wir mit kaltem Blute die verwundeten Engländer, welche auf dem Schlachtfelde gelegen, umgebracht, da man doch aus den Registern der Hospitäler beweisen kann, daß wir uns ihrer so wohl, als unsrer eignen Soldaten, an genommen haben. Diese häßlichen Lügen finden in verschiednen Ländern Europens Glauben, und dienen zur Unterhaltung des Hasses zwischen ganzen Völkern. Wie viel giebt es nicht geheime Denkwürdigkei ten, Historien von Feldzügen, Tagebücher von aller ley Art, deren Vorreden die billigste Unparteylichkeit, und die vollständigsten Nachrichten versprechen? Man sollte meynen, diese Werke wären von Gevollmächtig ten verfertiget, welchen alle Minister von allen Staaten, und alle Generale von allen Armeen, ihre aufgesetzten Nachrichten eingehändiget hätten. Man gehe einmal zu einem von diesen Gevollmächtigten, so wird man einen armen Schreiber in einem Schlafrocke und in ei ner Nachtmütze finden, ohne Hausrath und ohne Feuer, welcher die Zeitungen zusammen schreibt und verfälscht. Manchmal nehmen diese Herren eine gewisse Macht unter ihren Schutz. Das Mährchen, das man von einem solchen Schriftsteller erzählt, ist bekannt, welcher nach geendigtem Kriege von dem Kaiser Leopold eine Belohnung verlangte, daß er ihm an dem Rheine eine vollständige Armee von funfzigtausend Mann ganzer fünf Jahre lang unterhalten habe. Sie kündigen auch Krieg an, und lassen Feindseligkeiten begehen, und laufen Gefahr, selbst als Feinde tractirt zu werden. Ei ner von ihnen mit Namen Dubourg, welcher seine Zei tungsniederlage in Frankfurt hatte, ward daselbst un glücklicher Weise von einem unsrer Officirer im Jahr 1748 in Verhaft genommen, und auf den St. Mi chaelsberg gebracht, wo er in einem Kefige gestorben ist. Gleichwohl hat dieses Beyspiel den großen Muth seiner Brüder nicht niedergeschlagen. Eine von den edelsten und von den gemeinsten Be trügereyen ist diese, wenn sich Schriftsteller in Staats minister oder Hofleute desjenigen Hofes oder Landes, von welchem sie reden, verwandeln. Man hat uns eine dicke Geschichte von Ludewig dem XIVten geliefert, die nach den geschriebnen Aufsätzen eines Staatsministers abgefasset seyn soll. Dieser Staatsminister war ein aus seinem Orden verstoßener Jesuite, welcher nach Hol land unter dem Namen de la Hode geflüchtet war, und sich endlich in Holland zum Staatssecretär von Frankreich machte, damit er Brodt haben möchte. Weil man allezeit gute Muster nachahmen muß, und weil der Kanzler Clarendon und der Kardinal von Rets Abschilderungen der vornehmsten Personen gemacht ha ben, mit welchen sie Unterhandlung gepflogen, so darf man sich gar nicht verwundern, daß die heutigen Schrift steller, wenn sie sich zu einem Buchführer in Sold be geben, damit anfangen, daß sie von allen Regenten in Europa, von ihren Ministern, und von ihren Gene ralen, deren Liverey sie nicht einmal kennen, getreue Abschilderungen geben. Ein englischer Schriftsteller, dessen Annales von Europa gedruckt und wieder ge druckt worden sind, versichert uns, daß Ludewig der XVte nicht das große Ansehen habe, welches ei nen König ankündiget. Wahrhaftig dieser Mensch muß mit den Gesichtsbildungen sehr scharf verfah ren. Dagegen aber sagt er, der Kardinal von Fleu ry habe das Ansehen eines edeln Zutrauens. So ge genau er bey den Gestalten ist, so genau ist er auch bey den Gemüthsschilderungen und bey der Erzählung der Begebenheiten: er berichtet der Welt, daß der Kar dinal von Fleury den Titel des erstern Ministers (wel chen er niemals gehabt hat) dem Grafen von Toulose abgetreten habe; Er lehret uns, daß man die Armee des Marschalls Maillebois bloß nach Böhmen geschickt habe, weil eine Hofjungfer einen Brief auf dem Tische liegen lassen, und weil dieser Brief den Zustand der damaligen Angelegenheiten habe zu erkennen gegeben; er sagt, der Graf von Argenson wäre in dem Kriegsra the dem Herrn Amelot gefolget. Ich glaube wenn man alle Bücher in diesem Geschmacke zusammen su chen wollte, um sich die geheimen Nachrichten von Europa ein wenig bekannt zu machen, man würde eine unzählbare Bibliothek zusammen bringen, wovon kaum zehn Seiten Wahrheit wären. Ein andrer beträchtlicher Theil des Handels mit gedruckten Papieren, ist derjenige, welcher mit den polemischen Schriften, und zwar mit den eigentlichen polemischen Büchern, zu thun hat, worinnen man sei nen Nächsten verlästert, um Geld zu gewinnen. Ich will gar nicht von den Factums der Advocaten reden, welche das edle Recht haben, ihre Gegenpartey, so sehr als sie können, herunter zu machen, und ganze Fami lien rechtmäßig zu beschimpfen: ich rede nur von den jenigen, die in England wider das Ministerium de mosthenischePhilippica, aus lauter Liebe für das Vaterland, auf ihren Böden schreiben. Diese Stücke werden das Blatt für zwey Schillinge verkauft; man zieht manchmal vier bis fünf tausend Stücke davon ab, und dadurch bekömmt ein beredter Bürger wenigstens auf zwey bis drey Monate Lebensunterhalt. Ich habe den Ritter Walpole erzählen hören, daß einmal ein solcher Demosthenes für zwey Schillinge, der sich noch für keinen Theil des uneinigen Parlaments er kläret hatte, zu ihm gekommen sey, und ihm seine Feder zu Vertilgung aller seiner Feinde angeboten habe. Der Minister dankte ihm ganz höflich für sei nen Eifer, und nahm seine Dienste nicht an. Sie werden es also nicht übel nehmen, sagte der Schrift steller, daß ich ihrem Gegner, dem Herrn Pultney, meine Dienste antrage. Er ging sogleich zu ihm, und ward ebenfalls abgewiesen. Nunmehr erklärte er sich so wohl wider den einen, als wider den andern; des Montags schrieb er wider den Herrn Walpole, und des Mittewochs wider den Herrn Pultney. Nachdem er die ersten Wochen so ziemlich ehrlich da von gelebet hatte, so kam er endlich vor beyder Thü ren betteln. Mit dem berühmten Pope verfuhr man zu seiner Zeit wie mit einem Minister. Aus seinem Ruhme schlossen verschiedne studirte Leute, daß mit ihm was zu gewinnen sey. Man druckte seinetwegen, zur Ehre der Gelehrsamkeit, und zur Aufnahme des menschlichen Geistes, mehr als hundert Schmähschriften, worinne man ihm bewies, daß er ein Gottesleugner sey, und was noch ärger ist, in England warf man ihm so gar vor, daß er katholisch sey. Man versicherte, als er seine Uebersetzung des Homers herausgab, daß er kein Griechisch verstehe, weil er bucklicht sey, und nicht den besten Geruch habe. Es ist wahr, er war bucklicht; gleichwohl verstand er das Griechische sehr gut, und seine Uebersetzung des Homers war sehr wohl gerathen. Man verlästerte seine Sitten, seine Auf erziehung, seine Geburt; man fiel seinen Vater und seine Mutter an. Diese Schmähschriften hatten kein Ende. Pope hatte manchmal die Schwachheit, dar auf zu antworten, und dieses vermehrte ihre Anzahl. Endlich entschloß er sich, selbst einen kleinen Auszug aus allen diesen schönen Stücken zu machen, und ihn drucken zu lassen. Dieses war der tödtlichste Streich für die Schriftsteller, die bisher ziemlich ehrlich von den Lästerungen, die sie wider ihn ausspien, gelebt hat ten. Man hörte auf sie zu lesen, man begnügte sich mit dem Auszuge, und sie kamen nicht wieder auf. Ich bin der Gefahr ekel zu werden, sehr nahe ge wesen, wenn ich gesehen habe, daß große Schriftstel ler, mit mir eben so umgegangen sind, als mit Po pen. Ich kann sagen, daß ich mehr als einem Schrift steller ganz ansehnliche Honoraria verschaffet habe. Ich hatte, ich weiß nicht wie, dem berühmten Abte des Fontaines eine kleine Gefälligkeit erwiesen. Weil ihm aber diese Gefälligkeit nicht Lebensunterhalt verschaff te, so setzte er sich gleich Anfangs, als er aus dem Hause, woraus ich ihn gezogen hatte, gekommen war, durch ein Dutzend Schmähschriften wider mich, in bessere Umstände, die er in Wahrheit bloß zu Ehren der Gelehrsamkeit und aus übermäßigem Eifer für den guten Geschmack verfertigte. Er ließ die Hen riade drucken, in die er Verse, die er selbst gemacht hatte, hinein flickte, um hernach eben diese Verse ta deln zu können. Ich habe sehr sorgfältig einen Brief aufbehalten, den mir einmal ein solcher Schrift steller schrieb. Mein Herr, ich habe eine Smäh schrift<Schmähschriften> wider sie drucken lassen, wovon vier hundert Exemplaria abgezogen sind. Wenn sie mir 400 Livres übermachen wollen, so will ich ihnen diese vierhundert Exemplare treulich einhändigen. Ich schrieb ihm wieder, ich wolle seine Güte nicht misbrauchen, der Kauf wäre ihm allzunachtheilig; der Verkauf dieses Buchs könne ihm weit mehr eintragen; und am Ende hatte ich nicht Ursache, mich meine Großmuth reuen zu lassen. Es ist sehr gut, gelehrte Leute aufzumuntern, die nicht wissen, wozu sie greifen sollen. Eine von den mildesten Handlungen die man zu ihrem Vortheile unternehmen kann, ist, daß man ein Trauerspiel her aus giebt. Den Augenblick werden Schreiben an Frauenzimmer vom Stande erscheinen, unparteyi sche Beurtheilungen des neuen Stücks, Briefe ei nes Freundes an einen Freund, gründliche Untersu chung, Scenenweise Untersuchungen: und alles die ses findet seine Käufer. Das sicherste Geheimniß für einen ehrlichen Buch händler ist, am Ende der Werke, die er druckt, alle Abscheulichkeiten und Thorheiten, die man wider den Verfasser gedruckt hat, anzuhängen. Nichts ist dien licher, die Neugierde der Leser zu reizen, und den Ver kauf zu beschleunigen. Ich besinne mich, daß unter andern entsetzlichen Ausgaben meiner vorgegebenen Werke, ein geschickter Herausgeber in Amsterdam eine Ausgabe im Haag stürzen wollte, und also eine Samm lung von allen, was er wider mich hatte auftreiben können, beyfügte. Die ersten Worte dieser Samm lung sind, ich wäre ein nagender Hund. Ich fand dieses Buch in Magdeburg in den Händen des Postmeisters, welcher mir es nicht genug beschreiben konnte, mit wie vieler Beredsamkeit ihm dieses Stücke abgefaßt zu seyn schiene. Endlich erwiesen mir zwey Buchhändler in Amster dam, nachdem sie vorher, so viel wie möglich, die Henriade und andere Stücke von mir verunstaltet hat ten, die Ehre, mir zu schrribenschreiben, daß wenn ich es er laubte, daß man in Dresden eine bessere Ausgabe von meinen Werken besorge, die man damals unter Hän den hatte, so würden sie nach ihrem Gewissen verbun den seyn, einen Band abscheulicher Schmähungen wider mich, auf dem schönsten Papiere, mit breitem Rande, und mit den besten Littern , die sie haben könn ten, drucken zu lassen. Sie haben mir ihr Wort treulich gehalten. Sie haben sogar die Aufmerksam keit gehabt, ihre schöne Sammlung an einen der ver ehrungswürdigsten Monarchen in Europa zu schicken, an dessen Hofe ich damals zu seyn die Ehre hatte. Der Monarch hat ihr Buch in das Feuer geworfen, mit den Worten, auf eben die Art sollte man es mit den Herren Herausgebern machen. Es ist wahr, in Frankreich würden diese ehrlichen Leute auf die Galee ren geschicket werden. Allein das hieße den Handel allzusehr einschränken, dem man allezeit beförderlich seyn muß.
                        Fortsetzung der gedruckten Lügen.
                        
                    
 Man hat nur sehr wenig von den gedruckten Lü gen gedacht, womit die Welt überschwemmt  ist. Es wäre sehr leicht, von dieser Materie einen  großen Band zu schreiben. Man weiß aber, daß  man nicht alles thun muß, was leichte zu thun ist. Man will hier bloß einige allgemeine Regeln ge ben, die Menschen in Stand zu setzen, sich vor der  Menge Bücher in Acht zu nehmen, welche die Irr thümer von einem Jahrhunderte auf das andere fort gepflanzet haben. Man erstaunt bey dem Anblicke einer zahlreichen  Bibliothek; man sagt wohl bey sich selbst: es ist  betrübt, daß man dazu verdammt ist, das  meiste, was sie enthält, nicht zu wissen. Trö stet euch; es ist wenig dabey verloren. Sehet diese  vier bis fünftausend Bände der alten Naturlehre,  alles ist darinne falsch, bis auf die Zeiten des Gali läus. Betrachtet die Historien so vieler Völker; ihre  ersten Jahrhunderte sind abgeschmackte Fabeln. Nach den fabelhaften Zeiten kommen die heroischen  Zeiten, wie man sie nennt. Die ersten gleichen der  Tausend und einen Nacht, worinne gar nichts wahr  ist; die andern den Ritterbüchern, worinne nichts  als einige Namen und Anspielungen wahr sind. Das ist schon mehr als ein Tausend Jahre, und  mehr als ein Tausend Bücher, worinn man ohne  Nachtheil unwissend seyn kann. Endlich kommen die  historischen Zeiten, wo der Grund der Sachen wahr  ist, und der meiste Theil der Umstände Lügen sind.  Sind aber unter diesen Lügen nicht einige Wahrhei ten? Ja, so wie sich ein wenig Goldstaub in dem  Sande, welchen die Flüsse mit sich fortstoßen findet. Man wird vielleicht wissen wollen, durch welches  Mittel man dieses Gold zusammen sammeln kann?  Hier ist das Mittel. Alles was nicht mit der Na turlehre, was nicht mit der Vernunft, was nicht mit  der Art des menschlichen Herzens übereinkömmt, ist  nichts als Sand; das übrige, welches von klugen  Zeitverwandten bezeuget wird, ist der Goldstaub, wel chen ihr suchet. Herodotus erzählt dem versammleten Griechenlande die Geschichte der benachbarten Völker:  die verständigen Leute lachen, wenn er von den Vor
 herverkündigungen des Apollo und von den ägypti schen und assyrischen Fabeln redet; er selbst glaubet sie  nicht; alles was er von den ägyptischen Priestern hat,  ist falsch; das, was er selbst gesehen hat, ist bestätiget  worden. Man muß ihm ohne Zweifel glauben, wenn  er zu den Griechen, die ihn anhören, saget: es ist in  dem Schatze zu Corinth ein goldner Löwe, am Ge
    wichte 360 Pfund, welcher ein Geschenk des Crösus  ist; man sieht noch den goldnen und den silbernen  Zober, welche er in den Tempel zu Delphos schenkte;  der goldne Zober wiegt ohngefähr fünfhundert Pfund,  und in den silbernen gehen ohngefähr zweytausend und  vierhundert Maaß. So groß diese Pracht auch sey,  so weit sie auch alle übertrifft, die wir kennen, so kann  man sie doch nicht in Zweifel ziehen. Herodotus re dete von etwas, wovon mehr als hunderttausend Zeu gen waren. Dieser Umstand ist übrigens sehr merkwür
    dig, weil er beweiset, daß zu den Zeiten des Crösus  in klein Asien mehr Pracht war, als man heut zu  Tage kennt; und diese Pracht welche uns allein die  Frucht einer langen Reihe von Jahrhunderten seyn  kann, beweiset ein großes Alterthum, wovon uns  keine Kenntniß übrig geblieben ist. Die wunderba ren Denkmäler welche Herodotus in Aegypten und  Babylon gesehen hatte, sind gleichfalls unverwerfliche  Sachen. Es ist nicht eben so mit den festgesetzten  feyerlichen Begehungen zum Andenken einer Bege benheit, weil, da die Feste zwar wahr, die Begeben heiten aber falsch seyn können. Die Griechen feyerten die pythischen Spiele zum  Andenken der Schlange Python, die niemals Apollo  getödtet hatte. Die Aegyptier feyerten die Aufnahme
  des Hercules unter die zwölf großen Götter, es ist  aber gar nicht wahrscheinlich, daß dieser Hercules in  Aegypten siebzehn Tausend Jahre vor der Regierung  des Amasis solle gelebt haben, wie man in den Lie dern, die man ihm zu Ehren sang, sagte. Griechenland heiligte an dem Himmel neun Sterne  für das Meerschwein, welches den Arion auf seinem  Rücken getragen, und die Römer feyerten die schöne  Begebenheit im Monate Februar. Die Priester  des Mars, die Salii, trugen den ersten März die  heiligen Schilde feyerlich umher, welche vom Himmel  gefallen waren, als Nume den Faunus und Picus  gefesselt, und von ihnen das Geheimniß den Donner  abzuwenden gelernt hatte. Kurz, es ist kein Volk,  welches nicht die allerabgeschmacktesten Einbildungen  durch feyerliche Begehungen geheiliget habe. Was die Sitten der barbarischen Völker anbelangt,  so werde ich alles, was mir ein weiser Augenzeuge  davon närrisches, abergläubisches und abscheuliches  sagt, von der menschlichen Natur zu glauben sehr ge neigt seyn. Herodotus bekräftiget vor dem ganzen  Griechenlande, daß in den unermeßlichen Ländern über  der Donau die Menschen sich eine Ehre daraus mach ten, das Blut ihrer Feinde aus menschlichen Hirn schädeln zu trinken, und sich mit ihrer Haut zu beklei den. Die Griechen, welche mit den Barbarn Hand lung trieben, würden ihn Lügen gestraft haben, wenn  er die Sache übertrieben hätte. Es ist unwidersprech lich, daß mehr als drey Viertheile der Bewohner der  Welt sehr lange Zeit als das wilde Vieh gelebet ha ben: sie sind so gebohren worden. Es sind Affen,  welche die Erziehung tanzen lernt, und Bäre, welche
  sie an die Kette legt. Das, was der Czaar Peter noch  in unsern Tagen in dem nördlichen Theile seines Reichs  zu thun gefunden hat, beweiset mein Vorgeben, und  macht das, was Herodotus erzählet hat, glaublich. Nach dem Herodotus ist der Grund der Historie  um ein großes gewisser. Die Thaten sind umständli cher beschrieben, aber so viel Umstände manchmal, so  viel Lügen. In dem Chaos vom Kriege, in der entsetz lichen Menge von Schlachten, sind der Rückzug der
     zehn tausend Mann des Xenophon, die Schlacht des Scipio wider den Hannibal bey Same, welche Poly bius beschrieben, und die pharsalische Schlacht, die der  Sieger selbst erzählet, die einzigen, woraus sich der  Leser erleuchten und unterrichten kann; bey allen den  übrigen sehe ich, daß sich die Menschen einander um gebracht, und weiter nichts. Eine Sache ist in der Historie, welche allen unglaub lich vorkommen wird, die ein wenig gelebt haben; daß  es nämlich Leute von unumschränkter Macht gegeben  hat, welche die tugendhaftesten und weisesten unter al len Menschen gewesen sind. Wenn ein BürgerBöses  thun soll, so darf er nur ein kleines Aemtgen haben, wo  er es thun kann, und gleichwol kann man nicht zweifeln,
     daß nicht Titus, Trajan, Antonin, Marcus, Aureli
        us, Julius selbst (alle Irrthümer bey Seite) alles  Gute gethan hätten, was man auf Erden thun kann. Es ist ein Mann in Europa, welcher des Morgens  um fünf Uhr aufsteht, um zu arbeiten, daß jeder man ganzer vierhundert Meilen weit glücklich sey. Er  ist König, Gesetzgeber, Minister und General: er  hat fünf Schlachten gewonnen, und hat, im Schoße  des Sieges, den Frieden geschenkt. Er hat sein Land
  reich und gesittet gemacht, er hat es erleuchtet. Er  hat ausgeführet, was andre Monarchen kaum ver sucht haben; er hat in seinen Staaten der Kunst die  Gesetze zu verewigen, Schranken gesetzt, und hat die  Gerechtigkeit gezwungen gerecht zu seyn. Er giebt den  geringsten von seinen Unterthanen die Erlaubniß ihm  zu schreiben, und wenn der Brief eine Antwort ver dient, so würdiget er ihn der Antwort. Seine Erzäh lungen sind die Beschäfftigungen eines Menschen von Genie: Ich glaube nicht, daß in ganz Europa ein besse rer Metaphysicus ist, und wenn er zu den Zeiten und  in dem Lande der Chapelles, der Bachauments und  der Chauliaus wäre gebohren worden, so würden diese  Herren so sehr nicht im Gange gewesen seyn. Als Philosoph und Monarch kennt er die Freundschaft.  Kurz, er wird zeigen, daß es möglich sey, daß die Welt  einen Marcus Aurelius gehabt habe. Was ich hier  sage, ist keine gedruckte Lügen. Ich glaube, daß man den Menschen einen sehr gros sen Dienst thut, wenn man ihnen oft das Andenken  der kleinen Anzahl der vortrefflichen Könige, welche  die Ehre der Natur gewesen sind, wiederhohlt. Es ist  eine sehr löbliche Gewohnheit, alle Jahre eine Lobrede  auf den Stifter in einer Gesellschaft zu halten, die er  gestiftet hat. Die letzten Jahre eines August aber er heben, und die erstern verabscheuen, einen Marcus  Aurelius, einen Titus, einen Heinrich den vierten, und  diejenigen loben, welche ihnen gleichen, heißt die Sache  des ganzen menschlichen Geschlechts führen. Die großen Lobsprüche, die man mittelmäßigen Leu ten bey ihren Lebzeiten gegeben hat, sind lächerliche Lü gen. Die Verleumdungen, womit der Geist der Par
 teylichkeit so viel Monarchen, Minister und öffentli che Männer beschimpft hat, sind abscheuliche Lügen.  Ich glaube anderwärts bewiesen zu haben, daß der  Vorwurf, den mehr als zweyhundert Schriftsteller
     dem Pabst Alexander dem VIten gemacht haben, als  ob er zwölf Kardinäle habe mit Gifte vergeben wol len, eine unvernünftige Verleumdung sey, welche ein  rasender Rebel, der diesen Pabst zu hassen Ursache hat te, ausgesprengt. Ich glaube den fast allgemeinen  Argwohn widerlegt zu haben, als ob diejenigen Per sonen, welche den vierten Heinrich am meisten hätten  lieben sollen, Theil an seinem Tode gehabt hätten. Der gleichen Verbrechen zu glauben müßten sie bewiesen  seyn. Sie ohne Beweis zu glauben, ist selbst ein Ver brechen. Wenn ich in der Historie lese, daß ein unumschränk ter und friedfertiger Monarche eines gesitteten und ge horsamen Volks, solche schreckliche Ungerechtigkeiten und  Grausamkeiten begangen haben solle, worüber man  sich entsetzt, so glaube ich nichts davon. Es ist nicht  natürlich, daß ein König, dem man sich nicht wider setzt, übels thun sollte; eben so unnatürlich als es ist,  daß ein Eigenthumsherr sein Eigenthum verbrennen,  oder daß ein Vater sich seiner Kinder berauben solle. Es gefällt fast allen Historienschreibern, jedem ersten  Minister einen sehr tiefen Geist und ein sehr verderb tes Herz zu geben. Daß heißt sich artig betrügen;  die meisten sind mittelmäßige Geister gewesen, so wohl  in Ansehung des Genies, als der Tugenden und der Laster. Ein weiser Geschichtschreiber, als ein Thuanus,
     ein Rapin, Thoiras, ein Giannone, werden sich hierinne  niemals vergehen. Die Historienschmierer aber halten
  sie alle für große Leute, so wie der vornehme und geringe  Pöbel vor diesem alle Naturforscher für Hexenmeister  hielt. In den Reisebeschreibungen besonders findet man  die meisten gedruckten Briefe. Ich will des Paul Lu cas nicht gedenken, welcher in Oberägypten den Dämon  Asmodeus will gesehen haben. Ich will nur von denen  reden, die  uns betriegen, indem sie die Wahrheit sa gen; welche bey einer Nation was außerordentliches  gesehen haben, und es für eine Gewohnheit annehmen,  welche einen Misbrauch beobachtet haben, und es für  ein Gesetz ausgeben. Sie sind wie jener Deutsche,  welcher, weil er mit seiner Wirthinn in Blois, die et was allzublondes Haar hatte, einen kleinen Zank be kam, in sein Stammbuch schrieb: Nota bene, alles Frauenzimmer in Blois hat rothes Haar, und ist zän kisch. Was das schlimmste ist, so ziehen die meisten, welche  von der Regierung schreiben, aus solchen betrogenen  Reisenden Beyspiele, um andre zu betriegen. Der  türkische Kaiser hat sich etwa der Schätze eines Paches  bemächtiget, der in seinem Serail als ein Sklave war  gebohren worden, und hat der Familie so viel davon  gegeben, als er gewollt hat; das türkische Gesetz muß  also wollen, daß der Großsultan von allen seinen Un terthanen erbt: er ist ein Monarche, er muß also  despotisch seyn, und zwar in dem erschrecklichsten Ver stande, welcher die Menschlichkeit am meisten erniedri get. Diese türkische Regierung, nach welcher es dem  Kaiser nicht erlaubt ist, sich lange Zeit von der Haupt- Stadt zu entfernen, die Gesetze zu verrücken, sich an
  der Münze zu vergreifen et cetera wird als eine Regierung  vorgestellt, in welcher das Haupt des Staats vom  Morgen bis zum Abende tödten, und alles, was er will,  gesetzmäßig beleidigen kann. Der Koran sagt, es sey  erlaubt, vier Weiber zugleich zu nehmen; daher haben  alle Handwerksleute und Arbeiter zu Constantinopel  jeder vier Weiber, als wenn es so was leichtes wäre, sie  zu haben und zu bewahren. Einige vornehme Personen  haben Serails, man schließt also alle Muselmänner müß ten Sardanapale seyn: und so urtheilt man von allen.  Wenn ein Türke in eine gewisse Hauptstadt käme, und  den Auto de Fe ansähe, so würde er sich sehr betriegen,  wenn er sagte: es giebt ein gesittetes Land, wo man  manchmal recht feyerlich etliche zwanzig Mannsperso nen, Weiber oder kleine Kinder, zur Ergötzung der  gnädigen Majestäten, verbrennt. In diesem Ge schmacke sind die meisten Nachrichten gemacht: noch  weit schlimmer aber ist es, wenn sie voller Wunder sind.  Man hat sich gegen die Bücher mehr in acht zu neh men als der Richter gegen die Advocaten. Es giebt unter uns noch eine große Quelle öffent licher Irrthümer. Eine welche unsrer Nation eigen thümlich ist, ist der Geschmack an Gassenhauern. Man  macht welche auf die ehrwürdigsten Leute, und alle Ta ge hört man so wohl Lebendige als Todte aus dem  schönen Grunde verlästern: Es muß doch wohl  wahr seyn; ein Gassenhauer bezeugt es. Laßt uns unter der Zahl der Lügen den Geschmak  an Allegorien nicht vergessen. Als man die Fragmen ta des Petrons gefunden hatte, zu welchen hernach  Naudot ganz kühnlich die seinigen gefüget hatte, so hiel ten alle Gelehrte den Konsul Petronius für den Ver
 fasser; sie sahen den Nero und seinen ganzen Hof in  einer Schaar wüster junger Schüler, welche die Hel den dieses Werks sind. Man ward durch den Namen  betrogen, und ist es noch. Der lüderliche und unbe kannte Wüstling, welcher diese mehr schädliche als sinn
    reiche Satyre geschrieben, mußte der Konsul Titus Pe tronius gewesen seyn; Trimalcion, dieser abgeschmack te Alte, dieser Finanzmeister, der weit unter dem Tur
    caret ist, mußte der Kaiser Nero seyn; seine ekelma chende und erbärmliche Frau mußte die schöne Actea,  der grobe Pedante Agamemnon mußte der Weltweise Seneca seyn: Das heißt den ganzen Hof Ludewigs des
    XIVten, im Gusman d'Alfarache oder im Gilblas  suchen und finden. Aber, wird man sagen, was ge winnt man damit, den Menschen solcher Kleinigkeiten  wegen ihren Irrthum zu benehmen? Ich gewinne  nichts damit, ohne Zweifel, allein man muß sich ge wöhnen, die Wahrheit auch in den allerkleinesten Sa chen zu suchen; sonst wird man in den großen  ziemlich betrogen werden.  
XIV. Thorheiten auf beyden Theilen.
Admirés l' artifice extreme
De ces Peres ingenieux,
Ils vous ont habillé comme eux
Mon Dieu depuis qu'on ne vous aime. „Bewundert die unbeschreibliche List dieser sinnrei chen Paters; sie haben dich, lieber Gott, gekleidet, wie sie gekleidet sind, aus Furcht, daß man dich nicht etwa lieben möchte.„ In Rom, wo man dergleichen Streitigkeiten nicht hat, und wo man über diejenigen urtheilet, die anderer Orten entstehen, war man der Streitigkeiten über die reine Liebe sehr überdrüßig geworden. Der Kardinal Carpeigne, welcher die Sache des Erzbischofs von Cam bray vortrug, war krank, und stand an einem Theile sehr viel aus, welches bey den Kardinälen eben so wenig ge schont wird, als bey andern Menschen. Sein Wundarzt steckte ihm kleine Fasern von Leinen hinein, welche man in Italien, und in verschiedenen andern Ländern Cambray nennet. Der Kardinal schrie. Es ist gleichwol, sagte der Wundarzt, von dem feinsten Cambray. Was auch hier Cambray, schrie der Kardinal. Ist es nicht genug, daß der Kopf davon ermüdet ist? Glückliche Streitigkeiten, die sich also schließen. Glückliche Menschen, wenn alle Streiter in der Welt, wenn alle Ketzer sich mit so viel Mäßigung, mit einer so großmüthigen Ergebenheit, als der große Erzbischof von Cambray unterwürfen, welcher nicht die geringste Lust hatte, das Haupt einer Sekte zu werden. Ich weiß nicht, ob er Recht hatte, wenn er woll te, daß man Gott um sein selbst willen lieben müsse; Hr. Fenelon wenigstens verdiente also geliebt zu werden. In den bloß gelehrten Streitigkeiten ist oft eben so viel Wuth, und so viel Geist der Parteylichkeit, als in den wichtigsten Streitigkeiten. Man würde, wenn man könn te, die Rotten des Circus wieder aufwecken, welche das römische Reich erschütterten. Zwey eifersüchtige Schau spielerinnen sind vermögend, eine ganze Stadt zu trennen. Die Menschen haben alle eine heimliche Neigung zu Rotten. Wenn es nicht Kronen, Tiaren und Infuls sind, derentwegen man Parteyen macht, sich verfolgt und sich schadet, so ist es ein Tänzer oder ein Musicus, dessent wegen wir gegen einander aufgebracht werden. Ra meau hat eine heftige Partey wider sich gehabt, die ihn gerne hätte ausrotten wollen, und er wußte nichts davon. Ich habe eine noch heftigere Partey wider mich gehabt, und ich habe es wohl gewußt.
XV. Abhandlung von den Verschönerungen der Stadt Paris.