Betrachtungen über das weinerlich Komische, aus dem Französischen des Herrn M. D. C.
                    
                
  [↔] Die Schaubühne der Griechen, das  unsterbliche Werk des Pater 
                    Brumoi
                ,  lehret uns, daß die Komödie, nachdem  sie ihre bretterne Gerüste verlassen, ihr Augen merk auf den Unterricht der Bürger, in An sehung der politischen Angelegenheiten der Regie rung, gerichtet habe. Jn dem ersten Alter  der Bühne grif man vielmehr die Personen, als  die Laster an, und gebrauchte lieber die Waffen  der Satyre, als die Züge des Lächerlichen.  Damals waren der Weltweise, der Redner,  die Obrigkeit, der Feldherr, die Götter selbst,  den allerblutigsten Spöttereyen ausgesetzt; und  alles, ohne Unterscheid, ward das Opfer einer Freyheit, die keine Grenzen kannte.  [↔] Die ersten Gesetze schränkten diese unbändige  Frechheit der Dichter einigermassen ein. Sie  durften sich nicht erkühnen irgend eine Person zu  nennen; allein sie fanden gar bald das Geheim niß, sich dieses Zwangs wegen schadlos zu hal ten. Aristophanes und seine Zeitgenossen schil derten unter geborgten Namen, vollkommen  gleichende Charaktere; so daß sie das Vergnü gen hatten, so wohl ihrer Eigenliebe, als der  Bosheit der Zuschauer, auf eine feinre Art ein  Gnüge zu thun.  [↔] Das dritte Alter der Atheniensischen Bühne  war unendlich weniger frech. Menander, welcher  das Muster derselben ward, verlegte die Scene  an einen eingebildeten Ort, welcher mit dem, wo  die Vorstellung geschah, nichts mehr gemein hatte.  Die Personen waren gleichfalls Geschöpfe der  Erfindung, und wie die Begebenheiten erdichtet.  Neue Gesetze, welche weit strenger als die erstern  waren, erlaubten dieser neuen Art von Komö die nicht das geringste von dem zu behal ten, was sie etwa den ersten Dichtern konnte  abgeborgt haben.  [↔] Das Lateinische Theater machte in der Art  des Menanders keine Veränderung, sondern  begnügte sich, ihr mehr oder weniger knechtisch nachzuahmen, nach dem das Genie seiner Ver fasser beschaffen war. Plautus, welcher eine vor trefliche Gabe zu scherzen hatte, entwarf alle sei ne Schilderungen von der Seite des Lächer
  lichen, und wäre weit lieber ein Nacheiferer des Aristophanes als des Menanders gewesen, wenn  er es hätte wagen dürfen. Terenz war kälter,  anständiger und regelmäßiger; seine Schilde rungen hatten mehr Wahrheit, aber weniger Le ben. Die Römer, sagt der Pater Rapin, glaub ten in artiger Gesellschaft zu seyn, wann sie den Lustspielen dieses Dichters beywohnten; und  seine Scherze sind, nach dem Urtheile der  
                
                    Frau  Dacier
                , von einer Leichtigkeit und Bescheiden heit, die den Lustspieldichtern aller Jahrhun derte zum Muster dienen kann.  [↔] Die persönliche Satyre und das Lächerliche der Sitten machten also, die auf einander folgenden  Kennzeichen der Gedichte von diesen verschiede nen Arten des Komischen, aus; und unter die sen Zügen einzig und allein suchten die Verfas ser ihre Mitbürger zu bessern und zu ergötzen.  Doch diese letztre Art, welche sich auf alle Stän de erstrecken konnte, ward nicht so weit getrie ben, als sie es wohl hätte seyn können. Wir  haben in der That kein Stück, weder im Grie chischen noch im Lateinischen, dessen Gegenstand  unmittelbar das Frauenzimmer sey. Aristo phanes führt zwar oft genug Weibsbilder auf,  allein nur immer als Nebenrollen, welche kei nen Antheil an dem Lächerlichen haben; und  auch alsdenn, wenn er ihnen die ersten Rol len giebt, wie zum Exempel in den Rednerin nen, fällt dennoch die Critik auf die Manns
  personen zurück, welche den wahren Gegenstand  seines Gedichts ausmachen.  [↔] Plautus und Terenz haben uns nichts als  das schändliche und feile Leben der griechischen  Buhlerinnen vorgestellt. Diese häßlichen Schil derungen können uns keinen richtigen Begrif  von der häuslichen Aufführung des römischen  Frauenzimmers machen; und unsre Neugierde  wird beständig ein für die Critik so weitläuftiges  und fruchtbares Feld vermissen. Die Neuern,  welche glücklicher (oder soll ich vielmehr sagen,  verwegener?) waren, haben sich die Sitten des  andern Geschlechts besser zu Nutze gemacht, und  ihnen haben wir es zu danken, daß es nun mehr nicht anders, als auf gemeine Unkosten la chen kann.  [↔] Das Jahrhundert des Augustus, welches  fast alle Arten zur Vollkommenheit brachte,  ließ dem Jahrhunderte Ludewigs des XIV. die  Ehre, die komische Dichtkunst bis dahin zu brin gen. Da aber die Ausbreitung des Geschmacks  nur allmälich geschieht, so haben wir vorher tau send Jrrthümer erschöpfen müssen, ehe wir auf  den bestimmten Punkt gelangt sind, auf welchen  die Kunst eigentlich kommen muß. Als unbe hutsame Nachahmer des Spanischen Genies,  suchten unsre Väter in der Religion den Stof  zu ihren verwegenen Ergötzungen; ihre unüber legte Andacht unterstand sich, die allervereh rungswürdigsten Geheimnisse zu spielen, und
  scheute sich nicht, eine ungeheure Vermischung  von Frömmigkeit, Ausschweifungen und Pos sen auf die öffentlichen Bühnen zu bringen.  [↔] Hierauf bemächtigte sich, zufolge einer  sehr widersinnigen Abwechselung, der Ge schmack an verliebten Abentheuern unsrer Scene.  Man sahe nichts als Romane, die aus einer Men ge Liebshändel zusammen gesetzt waren, sich auf  derselben verwirren und zum Erstauuen<Erstaunen> entwi ckeln. Alle das Fabelhafte und Unglaubliche  der irrenden Ritterschaft, die Zweykämpfe und  Entführungen schlichen sich in unsre Lustspiele ein;  das Herz ward dadurch gefährlich angegriffen,  und die Frömmigkeit hatte Ursache darüber un willig zu werden.  [↔] Endlich erschien 
                    Corneille
                , welcher dazu be stimmt war, die eine Scene sowohl, als die an dre berühmt zu machen. Melite brachte eine  neue Art von Komödie hervor; und dieses Stück  welches uns jetzt so schwach und fehlerhaft scheint,  stellte unsern erstaunten Vorältern Schönheiten  dar, von welchen man ganz und gar nichts  wußte.  [↔] Unterdessen muß man doch erst von dem Lü gner die Epoche der guten Komödie rechnen.  Der grosse 
                    Corneille
                , welcher den Stof dazu  aus einem spanischen Poeten zog, leistete da mit dem französischen Theater den allerwichtig sten Dienst. Er eröfneten seinen Nachfolgern  den Weg, durch einfache Verwicklungen zu
  gefallen, und lehrte die sinnreiche Art, sie unsern Sitten gemäß einzurichten.  [↔] Von dem Lügner muß man so gleich auf den 
                    Moliere
                 kommen, um die französische Scene  auf ihrer Staffel der Vollkommenheit zu fin den. Diesem bewundernswürdigen Schrift steller haben wir die siegenden Einfälle zu dan ken, welche unsere Lustspiele auf alle Europäi sche Bühnen gebracht haben, und uns einen  so besondern Vorzug vor den Griechen und Rö mern geben.  [↔] Nunmehr sahe man alle Schönheiten der Kunst und des Genies in unsern Gedichten ver bunden: eine vernünftige Oekonomie in der Ein theilung der Fabel und dem Fortgange der Handlung; fein angebrachte Zwischenfälle, die  Aufmerksamkeit des Zuschauers anzufeuren;  ausgeführte Charaktere, die mit Nebenpersonen  in eine sinnreiche Abstechung* gebracht wa ren, um den Originalen desto mehr Vorsprung  zu geben. Die Laster des Herzens wurden der  Gegenstand des hohen Komischen, welches dem Alterthume, und, vor Molieren, allen Völkern 
                    
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                   Europens unbekannt war, und eine neue er habne Art ausmacht, deren Reitze nach Maß gebung des Umfanges und der Zärtlichkeit der Gemüther empfunden werden. Endlich so sahe  man auch, in der von den Altennachgeahmten Gattung, eine auf die Sitten und Handlungen  des bürgerlichen und gemeinen Lebens sich bezie hende Beurtheilung; das Lustige und Spaß hafte wurde aus dem Jnnersten der Sache selbst  genommen, und weniger durch die Worte als  durch die wahrhaftig komischen Stellungen der  Spiele ausgedrückt.  [↔] Bey Erblickung dieses edeln Fluges konnte  man natürlicher Weise nicht anders denken, als  daß die Komödie auf diesem Grade der Vor treflichkeit, welchen sie endlich erlangt hatte, ste hen bleiben, und daß man wenigstens alle Mü he anwenden würde, nicht aus der Art zu schla gen. Allein, wo sind die Gesetze, die Gewohn heiten, die Vergleiche, welche dem Eigensinne  der Neuigkeit widerstehen, und den Geschmack  dieser gebiethrischen Göttin festsetzen könn ten? Das Ansehen des 
                    Moliere
                , und noch mehr,  die Empfindung des Wahren, nöthigten zwar  einigermassen verschiedne von seinen Nachfol gern, in seine Fußtapfen zu treten, und lassen  ihn auch noch jetzt berühmte Schüler finden.  Doch der größte Theil unsrer Verfasser, und  selbst diejenigen, welchen die Natur die mei sten Gaben ertheilet hat, glauben, daß sie ein
  so nützliches Muster verlassen können, und be streben sich um die Wette, einen Namen zu er langen, den sie, weder der Nachahmung der Al ten noch der Neuern, zu danken hätten.  [↔] Jch will unter der Menge von Neuigkeiten,  die sie auf unsre Scene gebracht haben, nichts  von jenen besondern Komödien sagen, worinne  man Wesen der Einbildung zur wirklichen Per son gemacht und sie anstatt dieser gebraucht hat:  es ist dieses ein feyenmäßiger Geschmack, und  nur die Oper hat das Recht sich ihn zuzueignen.  Auch von jenen Komödien will ich nichts geden ken, worinne die spitzige Lebhaftigkeit des Ge sprächs anstatt der Verwicklung und Handlung  dienen muß; man hat sie für nichts als für fei ne Zergliederungen der Empfindungen des Her zens, und für ein Zusammengesetztes aus Ein fällen und Strahlen der Einbildungskraft an zusehen, welches geschickter ist, einen Roman  glänzend zu machen, als ein dramatisches Ge dicht mit seinen wahren Zierrathen auszuputzen. Jch will mich vorjezo blos auf diejenige neue Gattung des Komischen einschränken, welcher  der Abt Desfontaines den Zunahmen der Wei nerlichen gab, und für die man in der That  schwerlich eine anständigere und gemäßere Be nennung finden wird. (1) 
                    
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                   [↔] Damit man mir aber nicht ein Unding zu  bestreiten, Schuld geben könne, so muß ich hier  die Maximen eines Apologisten der Melanide,*  dieser mit Recht so berühmten Komödie, von welcher  ich noch oft in der Folge zu reden Gelegenheit finden  werde, einrücken. Warum wollte man, sagt er,  einem Verfasser verwehren, in eben demselben  Werke das Feinste, was das Lustspiel hat, mit  dem Rührendsten, was das Trauerspiel darbie then kann, zu verbinden. Es tadle diese Ver mischung wer da will; ich, für mein Theil,  bin sehr wohl damit zufrieden. Die Verän derungen sogar in den Ergötzungen lieben, ist  der Geschmack der Natur = = = Man geht von  einem Vergnügen zu dem andern über; bald  lacht man, und bald weinet man. Diese  Gattung von Schauspielen, wenn man will,  ist neu; allein sie hat den Beyfall der Ver nunft und der Natur, das Ansehen des schö nen Geschlechts und die Zufriedenheit des Pu
    blicums sür sich. 
                    
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                   [↔] Von dieser Art sind die gefährlichen Maxi men, gegen die ich mich zu setzen wage; denn  man merke wohl, daß ich von einer aufrichti gen Bewunderung des Genies der Verfasser  durchdrungen  bin, und niemals etwas anders  als den Geschmack ihrer Werke, oder vielmehr das weinerlich Komische überhaupt  genommen, angreiffe. Jch habe mir bestän dig die Freyheit vorbehalten, den liebenswür digen Dichtern tausend Lobsprüche zu ertheilen,  die uns durch sehr wirkliche Schönheiten der  Ausführung, durch die Entdeckung verschied ner wahren und sich ausnehmenden Schilderun gen und Charaktere, durch die blendende Neuig keit ihrer Farbenmischung, oft dasjenige zu ver bergen wußten, was an dem Wesentlichen ihrer Fabel etwa nichtig oder fehlerhaft seyn konnte.  Das Genie des Verfassers strahlet allezeit durch,  und kann ihm, ohngeachtet der Fehler seines  Werks, ein gerechtes Lob erwerben: allein die Feh ler seines Werks strahlen gleichfalls durch, und kön nen, Troz den Bezaubrungen, die das Genie des  Werkmeisters angebracht hat, mit Grund ge tadelt werden.  [↔] Nachdem ich also den hochachtungswürdigen  Gaben der Künstler in dieser neuen Gattung,  Gerechtigkeit wiederfahren lassen, so laßt uns  ohne Furcht den Geschmack ihrer Stücke unter suchen, und gleich Anfangs sehen, ob ihnen  das Alterthum Beyspiele darbiethe, die sie uns
  zur Rechtfertigung ihrer Wahl entgegensetzen  können.  [↔] Aus dem leichten Entwurfe, den wir eben  jetzt betrachtet haben, ist es klar und deutlich,  daß ihnen das griechische Theater keine Jdee, die  mit dem weinerlich Komischen analogisch wäre,  geben konnte. Die Stücke des Aristophanes  sind eigentlich fast nichts, als satyrische Gesprä che; und aus den Fragmenten des Menanders  erhellet, daß auch dieser Dichter bloß die Farben  des Lächerlichen, oder derjenigen allgemeinen Critik gebraucht habe, welche mehr den Witz er freuet, als das Gemüthe angreift.  [↔] Die Art und Weise des lateinischen Thea ters ist eben so wenig für sie. * Es ist ganz  und gar nicht die Weichmachung der Herzen,  die Plautus zum Gegenstand seiner Lustspiele  gewählt hat. Keine einzige von seinen Fabeln,  kein einziger von seinen Zwischenfällen, kein ein ziger von seinen Charaktern ist dazu bestimmt,  daß wir Thränen darüber vergiessen sollen. Es  ist wahr, daß man bey dem Terenz einige rüh rende Scenen findet; zum Exempel diejenigen,  wo Pamphilus seine zärtliche Unruhe für die  Glycerium, die er verführt hatte, ausdrückt:  allein die Stellung eines jungen verliebten Men 
                    
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                   schen, der von der Ehre und von der Leiden schaft gleich stark getrieben wird, hat ganz und  gar keine Aehnlichkeit mit den Stellungen un srer neuen Originale. Terenz findet unter der  Hand bewegliche Stellungen, dergleichen die Liebe beständig hervorbringt; und er drückt sie  auch mit demjenigen Feuer und mit derjenigen  ungekünstelten Einfalt aus, welche die Natur  so wohl treffen, und auf einen gewissen Punkt  fest stellen. Jst aber dieses der Geschmack der  neuen Schauspielschreiber? Sie wählen, mit  allem Bedacht, eine traurige Handlung, und  durch eine natürliche Folge sind sie hernach ver bunden, ihren vornehmsten Personen einen kla genden Ton zu geben, und das Komische für  die Nebenrollen aufzubehalten. Die Zwischen fälle entstehen blos um neue Thränen vergiessen  zu lassen, und man  geht endlich aus dem komi schen Schauspiele mit einem von Schmerz eben  so beklemmten Herze, als ob man die Medea  oder den Thyest hätte aufführen sehen.  [↔] Bey den Alten also können die Urheber der  neuen Gattung ihre klägliche Weise nicht ge lernt haben; und ihr Sieg würde nicht lange  ungewiß bleiben, wenn er von ihren Beyspielen  abhinge, oder auch nur von den Beyspielen  der französischen Dichter, welche bis zu Anfan ge dieses Jahrhunderts auf unserm Theater ge glänzt haben. Der Zusammenfluß so vieler  wichtigen Exempel könnte ohne Zweifel eine sie
  gende Ueberzeugung verursachen; gleichwohl aber  will ich diesem Vortheile auf einen Augenblick  entsagen, und untersuchen, ob diese neue mit  komischen  und kläglichen Zügen vermischten Ac cente genau aus der Natur hergehohlet sind.  Jch räume es ein, daß der widrige Gebrauch,  dem man zwanzig Jahrhunderte hindurch gefolgt  ist, die Vernunft nicht aus ihrem Rechte  verdringen kann, und daß ein von ihm geheilig ter Jrrthum, deswegen nicht aufhöre ein Jrr thum zu seyn. Jch gebe meinen Gegnern folg lich alle mögliche Beqvemlichkeit<Bequemlichkeit>, und sie kön nen, ohne ungerecht zu seyn, mehr Höflichkeit  und Uneigennützigkeit von mir nicht fordern.  [↔] Nach den verschiednen Rührungen des Her zens entweder lachen oder weinen, sind, ohne  Zweifel, natürliche Empfindungen: allein in eben  demselben Augenblicke lachen und weinen, und  jenes in der einen Scene fortsetzen, wenn man  in der andern dieses thun soll, das ist ganz und  gar nicht nach der Natur. Dieser schleinige Ue bergang von der Freude zur Betrübniß, und von  der Betrübniß zur Freude, setzet die Seele in  Zwang und verursacht ihr unangenehme und ge waltsame Bewegungen. * 
                    
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                   [↔] Damit man diese Wahrheit in aller seiner  Stärke empfinde, so wird man mir erlauben,  ein verhaßtes Exempel anzuführen: denn wenn  man nicht überreden kann, so muß man zu über zeugen suchen. Jn dem ungeheuren Lustspiele Samson, reißt dieser von einem muthigen Ei fer erfüllte Held, nachdem er das höchste Wesen  angerufen, die Thore des Gefängnisses ein, und  trägt sie auf seinen Schultern fort. Den Au genblick darauf erscheint Harlequin und bringt  einen Kalekutschhahn, und schüttet sich in komi schen Possen aus, die eben so kriechend sind, als  die Empfindungen des Helden edel und großmü thig zu seyn geschienen hatte. Jch bitte, was  kann man wohl zu einer Abstechung sagen,  die auf einmal zwey so widrige Stellungen zei get, und zwey so widersprechende Bewegungen  verursachet? Kann man noch zweifeln, daß Ver nunft und Anständigkeit ihr gleich sehr zuwider  sind? Kann man verhindern, daß nicht eine  Art von Verdruß gegen den Zusammenlauf  nichtswürdiger Zuschauer, welche solche wider wärtige Ungereimtheiten bewundern können, in  uns entstehen sollte?  [↔] Ueber eine so närrische Vermischung läßt man  ohne Zweifel die Verdammung ergehen: allein  es giebt eine minder merkliche, welche eine edlere  Wendung hat, und diese ist es, der man wohl  will, und zu deren Vertheidigung man bis zu den  ersten Grundsätzen zurück geht.  [↔] Derjenige, sagt man, der das Schauspiel  einer Komödie zuerst aufführte, konnte nach kei nem Muster arbeiten; er machte sich einen Plan  nach seiner Einsicht, und das neue Werk bekam  folglich seine Natur und seine Eigenschaften aus  dem Jnnersten seiner Begriffe. Die, welche  nachfolgten, glaubten eben so wohl ein Recht  zum Erfinden zu haben; unter ihren Händen  bekam die Komödie eine neue Form, welche  gleichfalls der Veränderung unterworfen war.  Diese Veränderungen wurden nicht als Neue rungen ausgeschrien; man hatte es sich noch  nicht in Sinn kommen lassen, daß es nicht er laubt sey, Aenderungen zu machen, und die Hirn geburth eines Verfassers anders zu bearbeiten,  deren Natur ziemlich willkührlich seyn muß.  Denn kurz, setzt man hinzu, das Wesen der Ko mödie, es mag nun bestehen worinne es will,  kann doch nimmermehr so unwandelbar festge setzt seyn, als es das Wesen der geometrischen Wahrheiten ist; und hieraus schließt man end lich, daß es unsern Neuern erlaubt seyn müsse,  die alte Einrichtung des komischen Gedichts zu  ändern. Das Beyspiel ihrer Vorgänger mun
  tert sie dazu auf, und die Natur der Sache er laubt es.  [↔] So übertäubend als dieser Einwurf zu seyn  scheinet, so braucht es, ihn  übern Haufen zu  stossen, doch weiter nichts, als daß man die Grund sätze desselben zugiebt, und die daraus gemachte  Folgerung leugnet. Es ist wahr, daß alle Ge burthen des Genies, so zu reden, ihr Tappen  haben, bis sie zu ihrer Vollkommenheit gelangt  sind; allein, es ist auch eben so gewiß, daß ver schiedne von denselben, sie schon erreicht haben,  als das epische Gedichte, die Ode, die Bered samheit und die Historie. Homer, Pindarus, Demosthenes und Thucydides sind die Lehrmei ster des Virgils, des Horaz, des Cicero und  des Livius gewesen. Das vereinigte Ansehen  dieser grossen Männer ist zum Gesetze geworden;  und dieses Gesetz haben hernach alle Natio nen angenommen, und die Vollkommenheit ein zig und allein an die genaue Nachahmung die ser alten Muster gebunden. Wenn es also nun  wahr ist, daß das Wesen dieser verschiednen  Werke so unveränderlich festgestellet ist, als es  nur immer durch die aller verehrungswürdigsten  Beyspiele festgestellet werden kann; aus was für  einer besondern Ursache sollte es denn nur ver gönnet seyn, das Wesen der Komödie zu än dern, welches durch die allgemeine Billigung  nicht minder geheiliget ist.  [↔] Und man glaube nur nicht, daß diese durch gängige Uebereinstimmung schwer zu beweisen  sey. Man nehme den Aristophanes, Plautus  und Terenz; man durchlaufe das englische Thea ter und die guten Stücke des Jtaliänischen;  man besinne sich hernach auf den Moliere und Regnard und verbinde diese thätlichen Beweise  mit den Entscheidungen der dramatischen Ge setzgeber, des Aristoteles, des Horaz, des Des preaux, des P. Rapins, so wird man die einen  sowohl, als die andern, dem System des kläglich Komischen gänzlich zuwider finden. Zwar wird  man die nothwendigen Verschiedenheiten zwi schen den Sitten und dem Genie der Dichter  eines jeden Volks bemerken; zwar wird man,  nach Beschaffenheit der Gegenstände, in den  Stücken, welche die Laster des Herzens angrei fen, einen nothwendig ernsthaften Ton antref fen, so wie man in denen, welche mit den Un gereimtheiten des Verstandes zu thun haben,  eine Vermischung des Scherzes und des Ern stes, und in denen, welche nur das Lächerliche  schildern sollen, nichts als komische Züge und  Wendungen finden wird; zwar wird man sehen,  daß die Kunst eben nicht verbunden ist, uns  zum Lachen zu bewegen, und daß sie sich oft be gnügt, uns weiter nicht als auf diejenige innere Empfindung, welche die Seele erweitert, zu  bringen, ohne uns zu den unmäßigen Bewe gungen zu treiben, welche laut ausbrechen:
  aber jenen traurigen und kläglichen Ton, jenes romanenhafte Gewinsle, welches vor unsern  Augen der Abgott des Frauenzimmers und  der jungen Leute geworden ist, wird man  ganz und gar nicht gewahr werden. Mit  einem Worte, diese Untersuchung wird uns  überzeugen, daß es wider die Natur der ko mischen Gattung ist, uns unsre Fehler be weinen zu lassen, es mögen auch noch so häßlicheLaster geschildert werden; daß Thalia,  so zu reden, auf ihrer Maske keine andre Thrä nen, als Thränen der Freude und der Liebe dul det; und daß diejenigen, welche sie quasi=tra gische Thränen wollen vergiessen lassen, sich  nur eine andre Gottheit für ihre Opfer su chen können.  [↔] Der Einwurf also, den man aus der will kührlichen Natur der Komödie hergenommen,  scheint mir hinlänglich widerlegt zu seyn; weil  alles, was die vornehmste Wirkung, die ein  Werk hervorbringen soll, vernichtet, ein wesent licher Fehler ist. Wollte man gleichwohl noch  darauf dringen, daß die Komödie natürlicher  Weise mehr, als irgend eine andre Geburth des  Genies, dem Geschmacke des Jahrhunderts, in  welchem man schreibt, unterworfen sey, und daß  man diesem Geschmacke also folgen müssen, wenn  man darinne glücklich seyn wolle; so nehme ich  diese Maximen ganz gerne an: allein was kann  daraus zur Ehre des weinerlich Komischen flies
  sen? Weit gefehlt, daß der allgemeine Ge schmack sich dafür erkläre; wenigstens sind die  Stimmen getheilt. Es giebt ein auserwähltes  Haufchen Zuschauer, bey welchen das heilige  Feuer der Wahrheit gleichsam niedergelegt wor den, und dessen sichrer und unveränderlicher  Geschmack sich niemals unter die Tyranney der  Mode geschmiegt, noch diesen Götzen weniger  Tage angebethet hat.  [↔] Diesem erleuchteten Theile des Publicums hat  man es zu danken, daß sich noch in allen Gat tungen jene ausgesuchte Empfindung der Natur  und jener vollkommene Geschmack erhält, der,  indem er wider die Blendungen gefährlicher  Neuigkeiten eifert, zugleich den wirklich nütz lichen Erfindungen ihren wahren Werth zu  bestimmen weis. Er ist eben so einfach, als die  Wahrheit selbst; oder wenn man lieber dem  Lehrgebäude des französischen Odendichters*  folgen will, so giebt es nur einen gedoppelten,  deren Züge hier zu entwerfen nicht undienlich  seyn wird, damit man den Unterscheid ihrer Cha raktere desto besser empfinde. 
                    
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                   [↔] Der erste giebt sich mit den Lastern ab, wel che verächtlich machen, und mit den Ungereimt heiten, durch die man lächerlich wird: er be lebt seine Bilder mit lachenden und satyrischen  Zügen; er will, daß sich jeder in seinen Ge mählden erkennen, und über seine eigne Abschil derungen eben so boshaft lachen solle, als ob alles  auf Kosten seines Nächsten gehe. Der andere  hingegen greift nur gewisse Fehler an, oder besser  zu reden, er greift ganz und gar keine an: er  sucht mühsam nichts, als traurige und außeror dentliche Stellungen, und mahlt sie mit den  allerdunkelsten Farben. Der eine erfreut das  Herz und vergnügt den Geist, durch ein lebhaftes  und sich ausnehmendes Spiel, welches allen  Verdruß verjagt; der andere stürzt uns durch  einen traurigen Ton wieder hinein, und giebt  sich alle Mühe eure Seele durch gehäufte Erzeh lungen von Unglücksfällen zu betrüben. Nun  wage man es, den Vorzug zu entscheiden, oder  leugne die Wahrheit dieser Charaktere.  [↔] Meine Gegner werden nunmehr unter ihren  Einwürfen wählen müssen; denn ob man schon,  durch die Beantwortung aller und jeder, die Materie ergründen würde, so muß ich mich doch,  zu Vermeidung der Weitläuftigkeit nur auf die  scheinbarsten einschränken.  [↔] Die Komödie ist das Bild der Handlun gen des gemeinen Lebens, oder, wenn man  lieber will, der gewöhnlichen Laster oder Tu genden, die den Zirkel desselben erfüllen. Jn  der Schilderung so wohl der guten, als schlech ten Eigenschaften, bestehet daher ihre wesent liche Beschaffenheit. Das Portrait der Men schen mit Genauigkeit entwerfen, ihre Gemüths neigungen und Gesinnungen auf das deutlichste  ausdrücken, und diese Gemählde zum Vor theile der Sitten anwenden; das heißt, auf ein mal die grossen Gegenstände der Kunst und des
     Künstlers fassen.  [↔] Obschon diese Grundsätze, überhaupt be trachtet, wahr sind, so können sie doch nicht  anders, als auf eine ganz indirecte Weise, auf die  komische Dichtkunst angewendet werden. Die  Menschen mahlen, und ihre Gemüthsarten mit  Genauigkeit ausdrücken, ist ein Zweck, den  auch die 
                    la Rochefoucaults
                 und die 
                    la  Bruyere
                 mit ihr gemein haben, die uns zwar  Gemählde von Lastern und Tugenden überhaupt,  niemals aber dramatische Gedichte haben liefern  wollen. Die Schilderungen der guten und bös
  sen Eigenschaften macht also nicht an und für sich  selbst das Wesen der Komödie aus; die Wahl  und die Mischung der Farben, die Stellung  und der Ausdruck der Personen, diese sind es,  die ihr vornehmlich Namen, Form und Wesen  ertheilt haben.  [↔] Man muß daher den Gegenstand der Kunst  und die Pflicht des Künstlers wohl unterschei den. Der erstre ist durch den Tadel des Lasters  und durch die Anpreisung der Tugend genugsam  erfüllet. Der andern aber ein Genüge zu thun,  muß der Poet sich nothwendig solcher Farben  bedienen, welche sowohl den allgemeinen La stern, dergleichen die Leidenschaften sind, die  ihren Ursprung aus dem Herzen haben, als den  besondern Lächerlichkeiten, dergleichen die thö rigten Moden sind, die ihre Quelle in dem  Verstande haben, eigenthümlich zukommen.  Ferner muß er dazu eine anständige Handlung  erwählen; er muß sie so einzurichten wissen,  daß sie die vortheilhaftesten Wirkungen hervor bringen kann; und muß überall Moral, vermit telst der spielenden Personen, mit einstreuen, wel che Vernunft und Erfahrung zu dieser Absicht  einmüthig bestimmt zu haben scheinen.  [↔] Nun ist es aber ganz und gar keine Frage,  ob diese Moral aus dem Helden des Stücks  fliessen soll, oder ob sie vielmehr der Gegen stand aller Züge des Tadels und des Scherzes  seyn soll. Die neue Gattung scheint die erstre
  Methode angenommen zu haben: allein sowohl  die Grundsätze als die Beyspiele sind gleich stark  darwieder. Nach den Grundsätzen ist die Ko mödie bestimmt, uns mehr Laster und Unge reimtheiten, die wir vermeiden, als Tugenden,  die wir nachahmen sollen, vorzustellen; und  nach den Beyspielen, kömmt es den Nebenper sonen zu, die Maximen der Weisheit anzubrin gen. So hat 
                    Moliere
                 dem Freunde des Mi santhropens, dem Schwager des Orgons, dem  Bruder des Sganarelle et cetera die Sorge aufge tragen, uns die Grundsätze der Tugenden vor zulegen, die er zu dem Gegenstande unsrer  Nachahmung machen wollte; seine Originale  aber hat er mit allen Zügen der Satyre, des  Tadels und des Lächerlichen überhäuft, von  welchen er glaubte, daß sie sowohl zu unserm  Ergötzen, als zu unserm Unterrichte dienen  könnten.  [↔] Aus dem, was ich jezt gesagt, folgt unwi dersprechlich, daß das Original einer wahren  Komödie keine gänzlich tugendhafte Person seyn  könne, wie es die Originale der neuen Gattung  sind, und daß dieses ein eingewurzelter Uebel stand ist, vor dem uns alle Schönheiten der  Ausführung niemals gänzlich die Augen ver blenden können. Vergebens wirft man ein,  daß die satyrischen Züge, womit man die Ori ginale überhäuft, nicht mehr zum  Zwecke tref fen; und daß sie unsre Eigenliebe auf andre uns
  umgebende Gegenstände abzuwenden wisse. *  Umsonst wird man uns zu überreden suchen, daß  die neuen komischen Dichter eben darum desto  mehr Lob verdienten, weil sie anstatt der laster haften Charaktere lauter Personen, die voller Emfindungen der Ehre wären, eingeführet hät ten; daß wir tugendhaften Maximen unser Herz  von selbst aufschlössen, und sie mit Vergnügen  uns einflössen liessen, wenn man nur ein wenig  uns auf der rechten Seite zu fassen müßte. Alle  diese Gründe sind verfänglicher als wahr; blen dender als gründlich. Lasset sie uns einmal aus  ihren Wirkungen beurtheilen, denn diese sind  sichrer, als alle Vernünfteley.  [↔] Was hat denn nun jene leichte und hochmü thige Auskrahmung schöner und grosser Ge sinnungen den Sitten genützt? Was für Wir kungen hat denn jene glänzende Moral auf unsre  Herzen und auf unsern Verstand gehabt? Eine  unfruchtbare Bewunderung, eine Blendung  auf wenige Augenblicke, eine überhingehende Bewegung, welche ganz unfähig ist, uns in  uns selbst gehen zu lassen. So viele auf das  allerfeinste vorbereitete Sittensprüche, so viel zier lich ausgekrahmte Vorschriften sind für die Zu schauer völlig in Wind gesagt. Man bewun dert Melaniden, und betauert sie: allein ihr  unaufhörlich kläglicher Ton, und die Erzehlung  ihrer romanhaftenZufälle, machen auf uns 
                    
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                   keinen nützlichen Eindruck, weil sie mit der Stel lung, worinne wir uns befinden, ganz und gar  keine Gemeinschaft haben. Das Schicksal der Aufseherin bewegt und rühret uns, allein ih re ganz besondern Umstände haben mit den un srigen gar nichts gemein. (1) Wir treffen in  uns selbst nichts an, was wir mit den Aben theuern in Vergleichung bringen können, die  blos unter die möglichen Dinge gehören, und  also gar nicht für uns gemacht zu seyn scheinen.  Man wird, wenn man es ja gestehen muß, bey  dem Anblicke so sinnreicher Gemählde, ergriffen,  durchdrungen, bewegt; allein man fühlet für  uns selbst, in diesem Zusammenflusse von Bege benheiten, mit welchen der ordentliche Lauf  menschlicher Dinge uns gewiß verschonen wird,  weder Reue, noch Scham, noch Furcht.  [↔] Ganz anders ist es mit den Schilderungen  bewandt, welche der Dichter von den Lastern  und von dem Lächerlichen macht; sie finden bey 
                    
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                   uns allen Statt, und auch der vollkommenste  Mensch trägt sowohl in seinem Verstande, als in  seinem Herzen beständig den Saamen gewisser Un gereimtheiten und gewisser Fehler, welche sich  bey Gelegenheit entwickeln. Wir finden uns  also in dem Gemählde solcher mit der Mensch heit verbundenen Schwachheiten getroffen, und  sehen darinne was wir sind, oder wenigstens  seyn können. Dieses Bild, welches zu dem  unsrigen wird, ist eines von den einnehmendsten  Gegenständen, und erleuchtet unsre Seelen mit  gewissen Lichtstrahlen, die desto heilsamer sind,  je fähiger ihre Ursache, die Furcht vor der Schan de und dem Lächerlichen, zu seyn pflegt, uns zu  heilsamen Entschliessungen zu bewegen. So  ward der stolze und unversöhnliche Hauffe der  Heuchler durch das Gemählde von den Lastern  des scheinheiligen Betriegers zu Boden  geschlagen. Tausend Schuldige wurden in Har nisch gejagt, und beklagten sich mit so viel grösserer  Bitterkeit, je empfindlicher sie waren getroffen  worden. Bey den Vorstellungen des George  Dandins lassen auch die verhärtesten Ehemän ner auf ihren Gesichtern die Bewegung spüren,  die sie alsdenn empfinden, wenn ihre Umstände  mit den Umständen des Originals allzusehr über einstimmen; diese Uebereinstimmungen sind nicht  selten, ob sie schon durch den Mangel der Bil dung oder des Genies, durch den Geschmack  an Veränderungen und den Eigensinn, so viel
  fältig gemacht werden, als sie es durch die Ver schiedenheit der Geburth sind. Die ohne Unter laß wieder jung werdenden Schilderungen der Diafoiren haben vielleicht nicht wenig dazu  beygetragen, daß die Aerzte ihren blinden Eigen sinn für die alte Methode verlassen haben, ohne  daß sie eben zu jenen kühnen Versuchen wären  gereizt worden, von welchen man schalkhaft ge nug vorgiebt, daß wir dann und wann dersel ben Opfer seyn müßten. Und wem ist endlich  unbekannt, daß die muntern und beissenden Zü ge der gelehrten Weiber und der kostbar  Lächerlichen, auf das plötzlichste das schöne  Geschlecht von diesen zwey Unsinnigkeiten abge bracht haben?  [↔] Jch gebe zu, daß andre Charaktere, wel che eben sowohl getroffen waren, keine so merk liche Wirkungen gehabt haben. Der einge bildete Kranke hat nicht alle Orgons von ih ren Dünsten befreyet; es sind nicht alle Men schenfeinde gesellschaftlicher, noch alle Grafen  von Tufiere bescheidner geworden. Allein was  ist der Grund davon? Er ist dieser; weil die  Fehler von dieser Art das rechtschafne Wesen  nicht angreifen, und weil man so gar in der  Welt Leute antrift, die sich eine Ehre daraus  machen. Zärtliche Leibesbeschaffenheiten setzen  gemeiniglich zärtlicheSeelen voraus. Eine  strenge und unwillige Gemüthsart ist fast immer  mit viel Rechtschaffenheit verbunden; der Her
  zog von 
                    Mantausier
                 hielt es nicht für seiner un würdig, ein Menschenfeind zu seyn. Und ein  gewisser Stolz endlich, entstehet nicht selten aus  einer vernünftigenEmpfindung seiner eignen über sehenden Größe. Das Vorurtheil ringet bey  solchen Gelegenheiten glücklich mit den Spötte reyen des Tadels, da es Gegentheils gegen die komische Schilderung eines Lasters des Herzens,  oder eine Lächerlichkeit im gesellschaftlichen Leben,  oder einer Ungereimtheit des Verstandes, gewiß  nicht bestehen wird. Der Gegenstand der be schämenden Bemerckungen der Zuschauer, will  man durchaus nicht seyn, es koste auch, was es  wolle; und wenn man sich auch nicht wirklich bes sert, so ist man doch gezwungen sich zu verstel len, damit man öffentlich weder für lächerlich  noch für verächtlich gehalten werde.  [↔] Und so wären wir denn endlich auf die lezte  Ausflucht gebracht, welche über alle Beyspiele  und Gründe sieget. Diese neue komische Gat tung, sagt man, gefällt; * das ist genug, und  die Regeln thun dabey nichts.  [↔] Man berufe sich nicht zur Bestätigung dieser  zu allgemeinen und eben deswegen gefährlichen  Maxime auf den Einfall Sr. Hoheit des Prinzen  über die regelmäßige aber verdrüßliche Tragödie  des Abts von 
                    Aubignac
                . Die Anwendung der  Regeln verursachte den Fall dieses Stücks gar  nicht; sondern die schlechte Colorite seines Pin 
                    
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                   sels schlug es nieder. Doch weil ich mir vorge nommen habe meinen Gegnern nur solche Grün de entgegen zu setzen, von welchen ich selbst  überzeugt bin, so will ich es ihnen vorläufig ein räumen, daß das kläglich Komische große Be wegungen und oft angenehme Empfindungen  verursache. Allein, wenn ich auf einen Au genblick die ganze Frage dahinaus lauffen lasse,  bey welcher Gattung das größere Vergnügen  anzutreffen seyn, so behaupte ich, daß jene neue re uns kein so mannichfaltiges und natürliches  Vergnügen verschaffen könne, als die Gattung  welche in dem Jahrhunderte des 
                    Moliere
                  herrschte.  [↔] Zuerst findet man in den weinerlichen Komö dien alle die rührungslosen leeren Plätze, die  man bey Lesung eines Romans findet. Sie  sind eben so wie diese mit erzwungnen Verwick lungen, mit ausserordentlichen Stellungen, mit  übertriebenen Charakteren angefüllt, welche oft  wahrer als wahrscheinlich sind; und wenn sie in  unsrer Seele jene, nichts weniger als willkührli che, Bewegungen verursachen, die sie auf einige Au genblicke bezaubern, so kömmt es daher, weil wir  bey dem Anblicke auch der erdichtesten Gegen stände gerührt werden, wenn sie nur mit Kunst  geschildert sind. Allein man merke wohl, daß  die Rührungen weder so einnehmend sind, noch  eben dieselbe Dauer und eben denselben Charak ter der Wahrheit haben, welchen die getreue
 Nachahmung einer aus dem Jnnersten der  Natur geschöpften Stellung hervorbringt.  [↔] Jn der That, wenn die dramatischen Erdich tungen uns um so viel lebhafter rühren, je nä her sie der Wirklichkeit kommen, so müssen die  Erdichtungen der neuen Gattung so viel schwä chere Eindrücke machen, je entgegengesetzter sie  der Wahrscheinlichkeit sind. Es ist ein Wun derwerk der Kunst nöthig gewesen, um uns die  Abentheuer einer Frau annehmlich zu machen,  die nach siebzehn Jahren einer heimlichen Ver mählung und eines eingebildeten Gefängnisses,  auf einmal sich aus dem Schooße ihrer Provinz  aufmacht, und nach Paris kommt, einen un treuen Mann aufzusuchen, der sie, ob er sie schon  alle Tage zu sehen bekommen könnte, doch nicht  eher, als bey der Entwicklung findet. So und  nicht anders ist der romanenhafte Grund be schaffen, auf welchen das Gebäude des weiner lich Komischen gemeiniglich aufgeführt ist, oder  vielmehr nothwendig aufgeführt seyn muß;  und diesen muß sich der Zuschauer gefallen las sen, wenn er anders Vergnügen daran finden  will. Die Oper sezt bey weitem nicht so viel  Triebfedern in Bewegung, um uns durch das  Glänzende ihrer Auszierungen zu verblenden,  als das kläglich KomischeTäuschungen anwen det, um eine schmerzhaft angenehme Empfindung  in uns zu erwecken.  [↔] Die Eindrücke des Vergnügens, welche das  wahre Komische hervorbringt, sind von einer  ganz andern Beschaffenheit. Es geschiehet al lezeit mit einem stets neuen Vergnügen, so oft  wir jene von der Natur erkannte Schilderungen,  dergleichen der Menschenfeind, der Geizige, der  Stumme, der Spieler, der Mürrische, der  Ruhmredige und andre sind, wieder vorstellen  sehen, oder sie aufs neue lesen. Oder, wenn  wir uns in kleine Stücke einlassen wollen, wird  man es wohl jemals satt, die wahren komischen  Auftritte zu sehen, zum Exempel die Auftritte  des Horpagons mit der Euphrosine, des Valers  mit dem Meister Jacob, des bürgerlichen Edel manns mit seinem Mädchen und seinen ver schiednen Lehrmeistern, die pedantische Zänckerey  des Trissotins und des Vadius; oder auch in  einer höhern Art, das feine und sinnreiche Ge spräch des Merkurs mit der Nacht, die verleum drische Unterredung der Cölimene mit dem Mar quis und ihre sinnreiche Art, der spröden Arsinoe  ihre spitzigen Anzüglichkeiten wieder zurück zu  geben? Verursachen uns wohl die am meisten  glänzenden Moralien, wann sie auch bis zum  Thränen getrieben werden, jemals ein so lebhaf tes, ein so wahres und ein so daurendes Ver gnügen?  [↔] Doch die Verringerung und Swächung<Schwächung> un seres Vergnügens, oder die Unnützlichkeit einer  ernsthaften und traurig spruchreichen Moral, ist
  der gegründeste Vorwurf noch nicht, den man  der neuen Art von Komödien machen kann: ihr  vornehmster Fehler ist dieser, daß sie die Gren zen gar aufhebt, welche von je her das Tragische  von dem Komischen getrennt haben, und uns  jene ungeheure Gattung des Tragikomischen zu rück bringet, welche man mit so vielem Grun de, nach verschiednen Jahren eines betrieglichen  Triumphs, verworffen hat. Jch weis wohl, die  neue Art hat bey weitem nicht so viele und grosse  Ungereimtheiten; die Verschiedenheit ihrer Per sonen ist nicht so anstößig, und die Bedienten  dürfen darinne nicht mit Prinzen zusammen  spielen: allein im Grunde ist sie doch eben so  fehlerhaft, ob schon auf eine veschiedne Weise.  Denn wie die erstre Art die heroischen Personen  erniedrigte, indem sie ihnen bloß gemeine Lei denschaften gab, und nur die gewöhnlichen Tugen den aufführte, die zu dem heldenmäßigen der Tragödie lange nicht erhaben genug sind; eben  so erhöhnt die andre die gemeinen Personen zu  Gesinnungen, welche Bewunderung erwecken,  und mahlt sie mit Zügen jenes reitzenden Mit leids, welches das unterscheidende Eigenthum  des Trauerspiels ausmachet. Beyde sind also  dem Wesen, welches man dem komischen Ge dichte zugestanden hat, gleich sehr zuwider; bey de verdienen also einen gleichen Tadel, und viel leicht auch eine gleiche Verbannung.  [↔] Als das Tragikomische zuerst aufkam, glaub te man, ohne Zweifel, das Gebiethe der komi schen Muse erweitert zu haben, und billigte also  anfangs diese kühne Erfindung. Mit eben die ser Einbildung geschmeichelt, triumphiren auch  jetzo die Anhänger der neuen Gattung; sie su chen sich zu überreden, der Weg der Empfindung  sey gleichfalls eine von den glücklichen Entde ckungen, welche der französischen Scene den  höchsten Grad der Ausschmückung gegeben ha be; sie wollen durchaus nicht einsehen, daß die  Empfindung, welche gewissen Gedichten, zum  Exempel der Elegie und dem Hirtengedichte, so  wesentlich ist, sich ganz und gar nicht mit der  komischen Grundlage verbinden lasse, welche  das Theater nothwendig braucht, wenn sie ihren  Originalen denjenigen Ton geben will, der im  Ergötzen bessert. Man betriege sich hier nur  nicht: wir haben zwey sehr unterschiedne Gat tungen; die eine ist die nützliche, und die andre  die angenehme: weit gefehlt also, daß das wei nerlich Komische eine dritte ausmache; sie  schmelzt vielmehr beyde Gattungen in eine ein zige, und machet uns ärmer, indem sie uns rei cher zu machen scheinet.  [↔] Wann die wirklich komischen Fabeln gänzlich  erschöpft wären, so könnte man die Erfindung  der weinerlichen Charaktere noch eher vergeben,  weil sie wenigstens, als eine Vermischung  des Wahren und Falschen, das Verdienst ha
  ben, uns auf einen Augenblick zu rühren, wenn  sie uns auch schon durch die Ueberlegung ver drüßlich werden: allein es ist derselben noch eine  sehr große Menge übrig, welche alle neu sind,  und die man, schon seit langer Zeit, auf der Büh ne geschildert zu sehen gewünscht hat. Wir ha ben vielleicht nicht ein einziges getreues Gemähl de von verschiednen Sitten und Lächerlichkeiten  unsrer Zeit; zum Exempel, von der gebiethrischen  Leutseligkeit unsrer Hofleute, und von ihrem un ersättlichen Durste nach Vergnügen und Gunst;  von der unbesonnenen Eitelkeit und wichtigen  Aufgeblasenheit unserer jungen Magistratsper sonen; von dem wirklichen Geitze und der hoch müthigen Verschwendung unsrer großen Rent meister; von jener feinen und manchmal ausge laßenen Eifersucht, welche unter den Hofdamen,  wegen der Vorzüge des Ranges, und noch mehr  wegen der Vorzüge der Schönheit, herrschet;  von jenen reichen Bürgerinnen, welche das Glück trunken macht, und die durch ihre unver schämte Pracht den Gesetzen, dem Wohlstande  und der Vernunft Hohn sprechen.  [↔] Auf diese Art würden sich tausend nützliche  und glänzende Neuigkeiten dem Pinsel unsrer  Dichter darbiethen, wenn sie nicht von der Liebe  zu dem Besondern verführt würden. Sollten  sie wohl von der Schwierigkeit, solche feine Cha raktere zu schattiren, welche nur eine sehr leichte  Auftragung der Farben erlauben, zurückgehal
  ten werden? Allein könnten sie nicht, nach dem  Beyspiele des Moliere, an den Nebenrollen das jenige einbringen, was ihnen an der Unterstü zung des Hauptcharakters abgehet? Und brauchen  sie denn weniger Kunst darzu, wenn sie uns in  Komödien eingekleidete Romane wollen bewun dern lassen, oder weniger Genie, um sich in  dem engen Bezirke, in welchen sie sich einschlies sen, zu erhalten? Da sie nur auf eine einzige Empfindung, des Mitleidens nehmlich, einge schränkt sind, so haben wir vielmehr zu fürch ten, daß sie uns, durch die Einförmigkeit ihres  Tones und ihrer Originale, Frost und Eckel er wecken werden. Denn in der That, wie die  Erkennungen beständig mit einerley Farben vor bereitet, herzugeführet, und aufgeschlossen wer den, so ist auch nichts dem Gemählde einer  Mutter, welche ihr und ihrer Tochter Unglück  beklagt, ähnlicher, als das Bild einer Frau,  welche über ihr und ihres Sohnes Unglück Thrä nen vergießt. Fliessen aber hieraus nicht noth wendig Wiederhohlungen, die nicht anders, als  verdrüßlich seyn können?  [↔] Wie weit übertrift das wahre Komische ei ne so unfruchtbare Gattung! Nicht allein alle Charaktere und alle Stände, nicht allein alle Laster und Lächerlichkeiten sind seinen Pfeilen  ausgesetzt; sondern es hat auch noch die Freyheit  die Farben zu verändern, womit eben dieselben  Originale, und eben dieselben Ungereimtheiten
  gemahlt werden können. Und auf diesem We ge findet man nirgends Grenzen; denn obschon  die Menschen zu allen Zeiten einerley Fehlern  unterworfen sind, so zeigen sie dieselben doch  nicht immer auf einerley Art. Die Alten, in die ser Absicht, sind den Neuern sehr ungleich; und  wir selbst, die wir in den jetzigen Tagen le ben, haben mit unsern Vätern sehr wenig ähn liches.  [↔] Zu den Zeiten des 
                    Moliere
                 und der 
                    Corneil len
                , besonders zu Anfange ihres Jahrhunderts,  konnte man die gelehrten und witzigen Köpfe von  Profeßion mit griechischen und lateinischen Citatio nen ausgespickt, über ihre barbarischen Schriftstel ler verdüstert, in ihren Sitten grob und unbiegsam,  und in ihrem Aeusserlichen nachläßig und schmu tzig vorstellen. Diese Züge passen schon seit lan ger Zeit nicht mehr. Das pedantische Ansehen  ist mit jener tiefen Gelehrsamkeit, die aus Le sung der Originale geschöpft war, verschwunden.  Man begnügt sich, wenn ich so reden darf, mit  dem blossen Vernis der Litteratur, und den mei sten von unsern Neuern ist ein leichtes und sich  ausnehmendes Mundwerk anstatt der gründli chen Wissenschaft, welche ihre Vorgänger besas sen. Jhre Erkenntniß, sagt man, ist mannig faltiger, aber eben deswegen auch unvollkomm ner. Sie haben, wenn man will, mehr Witz;  aber vielleicht desto weniger wahres Genie. Kurz  die meisten von ihnen scheinen von den alten Ge
  lehrten nichts beybehalten zu haben, als die bekla genswürdige Erbitterung, ihre Personen und ihre  Werke unter einander zu verlästern, und sich  dadurch in den Augen ihrer Zeitgenossen und der  Nachwelt verächtlich zu machen.  [↔] Es ist also nicht sowohl die Erschöpfung der Charaktere und des Lächerlichen, noch die Be gierde nützlicher zu seyn, noch die Vorstellung  eines grössern Vergnügens, welche uns die Gat tung des weinerlich Komischen verschaft hat, son dern vielmehr die Schwierigkeit, den Ton des Moliere zu erreichen, oder vielmehr die Begier de unsre Bewunderung durch die glänzenden  Reitze der Neuigkeit zu überraschen. Diese  Krankheit, welche dem Französischen Genie so  eigen ist, erzeugt die Moden in der Litteratur,  und stekt mit ihren Sonderlichkeiten sowohl alle  Schreibarten, als alle Stände an. Unsre Neu gierde will alles durchlaufen; unsre Eitelkeit will  alles versuchen; und auch alsdenn, wenn wir  der Vernuft nachgeben, scheinen wir nicht sowohl  ihrem Reitze, als unserm Eigensinn gefolgt zu  seyn.  [↔] Wann diese Betrachtungen wahr sind, so ist  es leicht, das Schicksal des weinerlich Komi schen vorher zu sagen. Die Mode hat es einge sührt<eingeführt>, und mit der Mode wird es vergehen,  und in das Land des Tragikomischen verwiesen  werden, aus welchem es gekommen ist. Es  glänzet vermöge der schimmernden Blitze der
  Neuigkeit, und wird eben so geschwind, als diese,  verlöschen. Das schöne Geschlecht, welches der  gebohrne Beschützer aller zärtlichen Neuerungen  ist, kann nicht immer weinen wollen, ob es gleich  immer empfinden will. Wir dürfen uns nur  auf seine Unbeständigkeit verlassen.  [↔] Unter die Gründe, warum man den Geschmack  an dem weinerlich Komischen wird fahren las sen, gehöret auch noch die äusserste Schwierig keit, in dieser Gattung glücklich zu seyn: die  Laufbahn ist nicht von grossem Umfange, und  es wird ein eben so glänzendes und bearbeitetes Ge nie, als das Genie des Verfassers der Melanide  ist, dazu erfordert, wenn man sie mit gutem Fort gange ausfüllen will. Der Herr von Fontenelle  hat einen Ton, welcher ihm eigen ist, und der  ihm allein unvergleichlich wohl läßt; allein es  ist unmöglich oder gefährlich ihn nachzuahmen.  Der Herr de la Chaussee hat gleichfalls seinen  Ton, dessen Schöpfer er ist, und dem es mehr  in Ansehung der Art von Unmöglichkeit, seine  Fabeln nicht nach zu copiren, als in Ansehung  der Schwierigkeit, sie mit eben so vieler Kunst  und mit eben so glänzenden Farben vorzutragen,  an Nachahmern fehlen wird.  [↔] Doch alle Kunst ist unnütze, wenn die Gat tung an und für sich selbst fehlerhaft ist, das ist,  wenn sie sich nicht auf jenes empfindbare und all gemeine Wahre gründet, welches zu allen  Zeiten und für alle Gemüther verständlich ist.
  Aus dieser Ursache vornehmlich wird die Täu schung des neuen Komischen gewiß verschwin den; man wird es bald durchgängig überdrüßig  seyn, die Auskrahmung der Tugend mit bürger lichen Abentheuern verbunden zu sehen, und ro manenhafte Originale die strengste Weisheit, in  dem nachgemachten Tone des Seneca predigen,  oder mit den menschlichen Tugenden, zur Nach ahmung des berühmten Maximenschreibers, sinn reich zanken zu hören.  [↔] Lasset uns daher aus diesem allen den Schluß  ziehen, daß keine Erfindungen vergönnt sind,  als welche die Absicht zu verschönern haben, und  daß die Gattung des weinerlich Komischen eine  von den gefährlichen Erfindungen ist, welche  dem wahren Komischen einen tödlichen Streich  versetzen kann. Wenn eine Kunst zu ihrer Voll kommenheit gelangt ist, und man will ihr We sen verändern, so ist dieses, nicht sowohl eine in  dem Reiche der Gelehrsamkeit erlaubte Freyheit,  als vielmehr eine unerträgliche Frechheit. (1) 
                    
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                   Die Griechen und die Römer unsre Mei ster und Muster in allen Geburthen des Geschmacks, haben die Komödie vornehm lich dazu bestimmt, daß sie uns, ver mittelst der Critik und des Scherzes, zugleich er götzen und unterrichten soll. Alle Völker Eu ropens sind hernach dieser Weise mehr oder we niger gefolgt, so wie es ihrem eigenthümlichen Genie gemäß war: und wir selbst haben sie in  den Zeiten unsers Ruhmes, in dem Jahrhunderte  angenommen, das man so oft mit dem Jahrhun derte des Augusts in Vergleichung gestellet hat.  Warum will man jezt Thalien nöthigen die trau rige Stellung der Melpomene zu borgen, und  ein ernsthaftes Ansehen über eine Bühne zu ver breiten, deren vornehmste Zierde allezeit Spiel  und Lachen gewesen sind, und beständig ihr un terscheidender Charakter seyn werden? Verſibus exponi tragicis res comica non  vult 
                    Horaz in der Dichtkunst. *    *    * Hier ist die Schrift des französischen Gegners  aus. Ob es nun gleich nicht scheint, daß sie  der Hr. Prof. 
                    Gellert
                 gekannt habe, so ist es  dennoch geschehen, daß er auf die meisten ihrer  Gründe glücklich geantwortet hat. Weil sie dem  Leser noch in frischem Andenken seyn müssen, so  will ich ihn nicht lange abhalten, sich selbst da von zu überzeugen. Nur habe ich eine kleine  Bitte an ihn zu thun. Er mag so gut seyn,  und es dem Hrn. Prof. 
                    Gellert
                 nicht zuschrei ben, wann er finden sollte, daß er sich dieses mal schlechter ausdrücke, als er sonst von ihm  gewohnt ist. Man sagt, daß auch die besten Uebersetzer Verhunzer wären.
                
                    
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                    * Durch dieses Wort habe ich das Französische  Contraſte übersetzen wollen. Wer es besser zu  übersetzen weis, wird mir einen Gefallen thun,  wann er mich es lehret. Nur daß er nicht  glaubt, es sey durch Gegensatz zu geben. Jch  habe Abstechung deswegen gewählt, weil es von  den Farben hergenommen, und also eben so wohl  ein mahlerisches Kunstwort ist, als das franzö  sische. 
                        Ueb
                    .
            
            
                
                    
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                    (1) Jch gestehe es, nichts ist lächerlicher, als über  Namen zu streiten; es ist aber auch eben so lä  cherlich, einen bekannten und bestimmten Namen  einer Sache beyzulegen, der er nicht zukömmt.  Der Name einer Komödie kömmt dem weiner  lich Komischen nicht besser zu, als der Name  eines Epischen Gedichts den Abentheuern des  Dom Quichott zukömmt = = Wie soll man also  diese neue Gattung bezeichnen? Eine in Gesprä  che gebrachte pathetische Declamation, die durch  eine romanenhafte Verwicklung zusammen gehal  ten wird et cetera Man sehe Principes pour lire les  Poetes im 2ten Theile.
            
            
                
                    
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                    *Lettres ſur Melanide. Paris, 1741.
            
            
                
                    
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                    * Man redet hier von dem lateinischen Theater bloß  nach Beziehung auf die zwey Schriftsteller, die  uns davon ubrig sind.
            
            
                
                    
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                    * Es ist nicht der Körper, welcher in dem Schauspie  le lacht oder weinet; es ist die Seele, die von den  Eindrücken, die man auf sie macht, gerühret wird.  Wann sie durch das Pathetische bewegt, und  durch das Komische erfreut wird, so ist sie zu glei  cher Zeit ein Raub zweyer gegenseitigen Bewegun  gen = = Wie erstaunlich ist es für den menschli  chen Geist, so schleinig und ohne Vorbereitung, von  dem Tragischen auf das Komische über zu gehen,  und von einer zärtlichen Erkennung, auf die Schä  ckereyen eines Mädchens und eines Petitmaiters et cetera Principes, eben daselbst.
            
            
                
                    
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                    * Der Verfasser zielt hier auf eine Stelle in des 
                        Rousseau
                    Briefe an Thalien. Sie ist so trocken  schön, daß ich sie nicht zu übersetzen wage. Wenn  ich mich nicht irre, so ist es eben die, welche der Herr  von 
                        Voltaire
                     an einem Orte sehr scharf geta=  delt hat. Man sehe, ob Rousseau mehr darinne  sagt als, daß es mit dem Geschmacke eine kützliche  Sache sey, und daß er nothwendig entweder gut  oder schlecht seyn müsse.
                        
Tout inſtitut, tout art, toute police
Subordonnée au pouvoir du caprice,
Doit être auſſi conſequemment pour tous
Subordonnée à nos differens gouts
Mais de ces gouts la diſſemblence extreme,
A le bien prendre, eſt un foible probleme;
Et quoi qu'on diſe, on n'en ſauroit jamais
Compter que deux; l'un bon, l'autre mauvais &c. Ueb .
            Tout inſtitut, tout art, toute police
Subordonnée au pouvoir du caprice,
Doit être auſſi conſequemment pour tous
Subordonnée à nos differens gouts
Mais de ces gouts la diſſemblence extreme,
A le bien prendre, eſt un foible probleme;
Et quoi qu'on diſe, on n'en ſauroit jamais
Compter que deux; l'un bon, l'autre mauvais &c. Ueb .
                
                    
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                    *Lettre ſur Melanide.
            
            
                
                    
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                    (1) Der Stoff einer Komödie muß aus den gewöhn  lichen Begebenheiten genommen seyn; und ihre  Personen müssen, von allen Seiten, mit dem Vol  ke, für das sie gemacht wird, eine Aehnlichkeit ha  ben. Sie hat nicht nöthig, diese ihre Personen  auf ein Fußgestelle zu erhöhen, weil ihr vornehm  ster Entzweck eben nicht ist, Bewundrung für sie  zu erwecken, damit man sie desto leichter beklagen  könne; sie will aufs höchste, durch die verdrußli  chen Zufälle, die ihnen begegnen, uns für sie ein  wenig unruhig machen. Dubos kritische Be  trachtungen Th. II. S. 225.
            
            
            
                
                    
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                    (1) Da alle Künste aneinander grenzen, so laßt uns  noch die Klagen hören, welche Hr. 
                        Blondel
                     in  seinem 1747 gedruckten Diſcours ſur l'Architecture  führet. Es ist zu befürchten, sagt er, daß die  sinnreichen Neuerungen, welche man zu jetziger  Zeit, mit ziemlichem Glück einführt, endlich von  Künstlern werden nachgeahmt werden, welchen  die Verdienste und die Fähigkeiten der Erfinder  mangeln. Sie werden daher auf eine Menge un  gereimter Gestalten fallen, welche den Geschmack  nach und nach verderben, und werden ausschwei  fenden Sonderlichkeiten den schönen Namen der Er  findungen beylegen. Wann dieses Gift die Künste  einmal ergriffen hat, so fangen die Alten an un  fruchtbar zu scheinen, die grossen Meister frostig,  und die Regeln allzu enge et ceteraet cetera