Suchbegriff: vergil_aeneis
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1 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Woraus man es aber unwidersprechlich sehenwird, daß carmen, ausser dem Verse, auch etwas über den Vers geschriebenes begreiffe, wodurch die bey dem Recitiren zu beobachtendenAbänderungen der Stimme angezeigt wurden;wird folgende Stelle des Quintilianus, des wichtigsten Schriftstellers, den man in dieser Materie anführen kann, seyn. Er sagt ausdrücklich, daß die alten Verse der Salier ein Carmengehabt hätten. Versus quoque Saliorum habentcarmen, quæ cum omnia sint a Rege Numainstituta, faciunt manifestum ne illis quidemqui rudes ac bellicosi videntur, curam Musices, quantam illa recipiebat ætas, defuisse. (**)Die Verse der Salier haben ihren gewissenGesang; und da die Einsetzung ihres Dienstes, sich von dem Könige Numa herschreibt, so be(*) Trist. lib. 5. El. 7.(**) Instit. libro I. cap. 12.du Bos,weiset dieser Gesang, daß die Römer, so wildsie auch damals waren, gleichwohl schon einigeKenntniß von der Musik gehabt haben. Wiehätte aber dieser Gesang von den Zeiten des Numa bis auf die Zeiten des Quintilian fortgeflanztwerden können, wenn er nicht wäre in Notengeschrieben gewesen? War er aber, andernTheils, ein musikalischer Gesang, warum nenntihn QuintilianusCarmen? War es ihm unbekannt, daß seine Zeitgenossen, obgleich Mißbrauchsweise, diejenigen Verse sehr oft Carmennennten, welche nicht gesungen wurden, sondernderen Declamation willkührlich war, und derenRecitation die Alten also ein blosses Lesennannten, weil derjenige, welcher sie las, weiter nichtsals den Werth der Sylben beobachten durfte, übrigens aber seine Stimme dabey abändernkonnte, wie er nur immer selbst wollte? Um einen Zeitverwandten des Quintilianusanzuführen, so sagt Juvenal zu einem seiner Freunde,den er zum Abendessen einladet, daß man während der Mahlzeit einige der schönsten Stellenaus der Iliade und Aeneis vorlesen werde. Der, welcher sie lesen wird, fügt Juvenal hinzu, istzwar kein sonderlicher Leser; was aber schadet das? Dergleichen Verse machen doch noch immer vielVergnügen.


2 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das Gedächtniß könnte zwar ohne Einbildungskraft und ohne Verstand bestehen, würde aber alsdenn von keinem grossen Nutzen seyn, und bey aller Vollkommenheit den Menschen zum Thiere herabsetzen. Daß oft ein starkes Gedächtniß mit einem schwachen Verstande und schwacher Einbildungskraft, hingegen ein geringes Gedächtniß mit einem grossen Verstande oder mit einer grossen Einbildungskraft verbunden ist, und daß man selten in einer Person alle drey Fähigkeiten in einem sehr hohen Grade antrifft, kann nicht als ein Merkmal von der Widrigkeit und Unverträglichkeit dieser Seelenkräfte, oder als ein Beweis angeführt werden, daß eine Kraft die andere schwäche; weil dieser Beweis eben den Fehler haben würde, welchen der Schluß desjenigen hätte, der aus der Bemerkung, daß ein grosser Rechtsgelehrter oft sehr häßlich und sehr arm, hingegen ein in der Rechtswissenschaft sehr unerfahrner Mensch bisweilen überaus schön und sehr reich sey, den allgemeinen Satz ziehen wollte, daß kein grosser Rechtsgelehrter recht schön oder reich, und kein schöner oder reicher Mensch ein grosser Rechtsgelehrter seyn könnte. Man darf sich auch nicht wundern, daß eine feurige Einbildungskraft, ein sehr grosser Verstand und ein sehr starkes Gedächtniß so selten mit einander vereiniget gefunden werden. Man würde eher Ursache zur Verwunderung haben, wenn man diese Vereinigung sehr oft bemerkte. Denn man nehme z. B. nur bey ieder von diesen drey Fähigkeiten unsrer Seele sechs verschiedene Grade an; so wird die Anzahl der Fälle, wie diese Grade mit einander verbunden seyn können, eben so viel betragen, als die Anzahl der Würfe, die mit drey gewöhnlichen Würfeln, die sechs Flächen haben, möglich sind. So wenig man nun erwarten kann, daß man alle Augenblicke achtzehn, nämlich mit allen drey Würfeln sechs Augen werfen werde, weil unter den 216 Würfen, die mit drey Würfeln möglich sind, nur ein einziger ist, der achtzehn Augen giebt; eben so wenig kann man bey der angenommenen Voraussetzung vermuthen, daß der Fall, wo ein sehr grosser Verstand mit einem sehr starken Gedächtniß und mit einer starken Einbildungskraft verbunden ist, häufig vorkommen werde. Man darf sich also nicht auf die Erfahrung berufen, um den Grundsatz des Herrn Huarte zu erweisen; weil die Erfahrung zwar die Seltenheit der Vereinigung eines starken Gedächtnisses mit einem grossen Verstande und mit einer grossen Einbildungskraft, aber nicht die Unverträglichkeit dieser Fähigkeiten lehret. Mit größerm Rechte kann man die Erfahrung zum Beweise des Gegentheiles anführen. Denn man findet in der That verschiedene sehr merkwürdige Beyspiele von Gelehrten und Künstlern, die bey einem ausserordentlich starken Gedächtnisse, einen sehr durchdringenden Verstand, oder eine überaus feurige Einbildungskraft gehabt haben; welche Fälle gar nicht vorkommen könnten, wenn Huarte Recht hätte, daß zwischen diesen Fähigkeiten des Geistes eine natürliche Widrigkeit und Unverträglichkeit statt fände. Der berühmte Leonhard Euler, an dessen durchdringendem und seltenem Verstande gewiß niemand zweifeln wird, der von ihm nur so viel weiß, daß ihn von allen in ganz Europa jetzt lebenden Mathematikern kein einziger übertroffen hat, besaß ein so starkes Gedächtniß, daß er noch in seinem Alter im Stande war, die ganze Aeneide vom Anfange bis zum Ende auswendig herzusagen, und dabey noch überdieses die ersten und letzten Ver se einer jeden Seite seiner Ausgabe auf das genaueste anzugeben. Bey einer schlaflosen Nacht rechnete er einmal die sechs ersten Dignitäten aller Zahlen von 1 bis 19 im Kopfe aus, und sagte dieselben hernach einigen Freunden ohne Anstoß und mit der größten Richtigkeit her. Wer die Natur dieser Dignitäten ewägt, wovon einige aus mehr als sieben Ziffern bestehen, der wird gar leicht die Stärke eines solchen Gedächtnisses beurtheilen können, wodurch jemand in den Stand gesetzt wird, so viele und so hohe Dignitäten von neunzehn Zahlen im Kopfe berechnen zu können. Jch übergehe, zur Vermeidung der Weitläuftigkeit, verschiedene andere Beyspiele, die ich noch zur Bestätigung meiner Meynung anführen könnte, zumal da in dem folgenden Zusatze, der zur Prüfung des zweyten Grundsatzes des Herrn Huarte bestimmt ist, ähnliche Beyspiele vorkommen, und viele davon meinen Lesern ohne Zweifel von selbst einfallen werden.


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Iliad. L. XXIII. Aeneid. XI