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1 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Bey der Prüfung dieses Satzes werde ich wohl nicht nöthig haben, mich lange aufzuhalten; weil dasjenige, was ich bey dem vorigen Grundsatze des Huarte angemerkt habe, zur Beurtheilung dieses Satzes schon größtentheils hinreichend seyn wird. Denn sobald dieses erwiesen ist, daß ein Mensch mehr, als eine Fähigkeit, ja alle Fähigkeiten des Geistes in sehr hohem Grade besitzen kann, so wird man auch nicht an der Möglichkeit zweifeln, daß jemand zu mehr als einer Wissenschaft oder Kunst aufgelegt seyn könne. Es giebt auch verschiedene Wissenschaften, die nicht einmal grosse Fähigkeiten erfordern, und wo schon Fleiß und Lust das meiste ausrichten kann; daher man oft sieht, daß mittelmässige Köpfe sich nach und nach in mehr als einer Wissenschaft sehr grosse Geschicklichkeit erwerben. Freylich hat Huarte Recht, daß man es in einer Wissenschaft, wenn sie sich zu unsern natürlichen Fähigkeiten nicht schickt, durch den größten Fleiß zu nichts bringen werde; allein darinnen geht er zu weit, daß er behauptet, es gebe nicht mehr, als eine einzige Wissenschaft, zu welcher sich jemand von Natur recht schicke. Denn hätte dieser Satz des Huarte seine Richtigkeit, so würde man unmöglich so viele Beyspiele von grossen Männern finden, die in mehr, als einer Wissenschaft und Kunst berühmt gewesen sind, zumal, da die Kürze des menschlichen Lebens, die Weitläuftigkeit der Wissenschaften und Künste, und die Unkosten, welche die Erlernung derselben erfordert, nicht viel solcher Beyspiele vermuthen lassen. Gerard führt in seinem Versuche über das Genie verschiedene Beyspiele dieser Art an, deren Anzahl sich aber noch sehr ansehnlich vermehren liesse. „Ohne derjenigen zu gedenken, heißt es S. 419 der deutschen Uebersetzung, die als gleichgrosse Redner und Philosophen bekannt sind, wie viele hat es deren nicht gegeben, die in der Philosophie und den bildenden Künsten zugleich sich Ruhm erwarben! Pamphilus war zugleich Mahler und Mathematikus. Metrodorus wurde zu seiner Zeit sowohl für den größten Philosophen, als für den geschicktesten Mahler gehalten, den Athen aufzuweisen hatte. Unter den Neuern war Leonard da Vinci Mahler, Bildhauer, Baumeister, Tonkünstler, und zugleich ein Mathematikus und Chymikus. Augustin Caracci, ein vortreflicher Mahler, hatte viel Anlage zur Poesie, und zeigte nicht weniger Fähigkeit in der Beredsamkeit, Naturlehre und Mathematik. Zeigt Hogarths Zergliederung der Schönheit nicht einen tiefdenkenden philosophischen Geist? Und wie groß war er nicht als Künstler?“