Suchbegriff: corneille_rodogune
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16 - Von den Trauerspielen /

Rodogune

17 - Von den Trauerspielen /

Wenn man mich fragt, wie weit sich diese Freyheit des Dichters, im Fall der Nothwendigkeit, widerdie Wahrheit und Wahrscheinlichkeit zu verstoßen, erstrecke, so werde ich schwerlich eine bestimmte Antwort darauf geben können. Ich habe gezeigt, daß esSachen giebt, worüber wir kein Recht haben, und indenjenigen, wo diese Freyheit Statt finden kann, mußsie mehr oder weniger eingeschränkt seyn, nachdem derStoff mehr oder weniger bekannt ist. Es war mir in den Horaziern, und in dem Pompejus weit weniger vergönnt, weil jedermann ihre Geschichte weis, als in der Rodogune oder im Nikomed, welche wenig Leute, ehe ich sie auf die Bühne brachte, auch nur den Namen nach kannten. Die einzige Maaßregel, die man beobachten muß, ist, daß alles was wir zur Historie hinzusetzen, und alle Veränderungen die wir darinne machen, niemals unglaublicher seyn müssen, als dasjenige ist, was wir in dem Gedichte davon beybehalten. von den Trauerspielen insbesondre. 265 Auf diese Art müssen wir den Vers bey dem Horaz, wegen der erdichteten Auszierungen, verstehen,


18 - Von den Trauerspielen /

Wann man mich fragen sollte, was Cleopatra in der Rodogune thue, nachdem sie ihre zwey Söhne indem andern Aufzuge verlassen hat, und erst in demvierten wieder zu dem Antiochus kömmt, so wüßte ichin der That nicht, was ich darauf antworten sollte,und ich glaube auch nicht, daß ich Rechenschaft darvon zu geben verbunden bin. Der Schluß aber dieses zweyten Aufzuges bereitet die Zuschauer auf die freundschaftlichen Bestrebungen der zwey Brüder zu herrschen und die Rodogune dem giftigen Hasse ihrer Mutter zu entziehen. Man sieht die Wirkung davon in dem dritten, dessen Schluß zu einer andernBestrebung des Antiochus diese zwey Feinde einenach der andern wieder zu gewinnen, und zu dem vorbereitet, was Seleucus im vierten Aufzuge thut, welcher diese ausgeartete Mutter nöthiget, dasjenige zubeschließen, was sie in dem fünften ins Werk zu stellen bemüht ist.


19 - Von den Trauerspielen /

Wider diese Regel wird von vielen gestritten, die sie eine Tyranney nennen. Sie würden Recht haben, wenn sie allein auf das Ansehen des Aristotelesgegründet wäre, und uns die Natur nicht selbst befähle, sie anzunehmen. Das dramatische Gedichteist eine Nachahmung, oder besser zu reden, ein Bildder menschlichen Handlungen; und es ist außer allemZweifel, daß die Bilder desto vortrefflicher sind, je näher sie dem Originale kommen. Die Vorstellung dauert ungefähr zwey Stunden, und nur alsdannwürde sie vollkommen ähnlich seyn, wenn die vorgestellte Handlung in der That nicht mehr Zeit erfoderte. Was brauchen wir uns also in 12 oder 24Stunden einzuschließen? Wenn wir nur die Hand lung des Gedichts in eine so kurze Dauer einschränken als es möglich ist, damit die Vorstellung desto ähnlicher, und also desto vollkommner sey. Kann man sie vollkommen ähnlich machen, und die Dauerder Handlung selbst auf zwey Stunden bringen, so ist es desto besser. Ich glaube nicht, daß Rodogune vielmehr Zeit erfodert, und für den Cinna werden sie auchhinlänglich seyn. Geht es aber nicht an, daß zweyStunden zu der Dauer zureichend sind, so können wir vier, sechs, zehn Stunden dazu nehmen, nur daß wir die 24 Stunden nicht allzusehr überschreiten, weil alsdann alle Kleinigkeiten allzu weit auseinander gesetzt seyn würden, als daß sie ihre gehörige Verhältnisse gegen einander haben könnten.


20 - Von den Trauerspielen /

Wenn das Ende der Handlung von den Personen abhängt, die das Theater nicht verlassen haben, sodaß man nichts neues von ihnen zu erfahren erwartet, wie im Cinna und in der Rodogune, so hat der fünfteAufzug dieses Vorrechts nicht vonnöthen, weil alsdanndie ganze Handlung vor den Augen geschieht, welchesaber wegfällt, wenn ein Theil derselben, gleich vomAnfange, hinter der Bühne vorgeht. Desgleichen verdienen auch die übrigen Aufzüge diese Erlaubniß nicht. Wenn man da nicht Zeit genug hat eine abgegangene Person wieder kommen zu lassen, oder zu erfahren, was sie in ihrer Abwesenheit gethan, so kann man es bis in folgenden Aufzug verschieben, davon Rechenschaft zu geben; und unter der Musik, welche die Aufzüge von einander scheidet, kann so viel Zeit verfließen, als nöthig ist; in dem fünften Aufzuge aber ist kein Zwischenraum, die Aufmerksamkeit ist erschöpft, und der Schluß wird erwartet.


21 - Von den Trauerspielen /

Noch eines muß ich hierbey nicht zu erinnern vergessen: ob wir gleich die ganze Handlung nothwendigin einen Tag einschränken müssen, so können wir doch,unbeschadet dieser Einheit, durch den Weg der Erzählung oder auch durch noch einen feinern Kunstgriff,von vielen, was der Held in ganzen Jahren gethanhat, Nachricht geben, weil es Stücken giebt, deren 566 II. P. Corneille dritte Abhandlung, Verwicklung von der unbekannten Geburt abhänget, wie zum Exempel im Oedipus. Ich will nicht noch einmal erinnern, daß, je weniger man sich mit denvergangenen Handlungen abgiebt, desto günstiger derZuschauer sey, weil man ihm sehr wenig Zwang aufleget, indem man ihm alles gegenwärtig vorstellet,und sein Gedächtniß mit nichts belästiget, als mit demwas er gesehen hat: dieses aber muß ich nicht anzumerken vergessen, daß die Erwählung eines wichtigen und lange Zeit erwarteten Tages eine große Zierde des Gedichts sey. Man hat nicht immer die Gelegenheit darzu, und unter allen von mir verfertigten Stücken wird man nicht mehr als viere von dieser Art finden: die Horazier, wo eine Schlacht die Herr schaft zweyer Völker entscheiden soll, die Rodogune, die Andromeda, und den Don Sancho. In der Rodogune ist es ein Tag, der von zwey Monarchenzur Schließung der Friedenstractaten zwischen ihren uneinigen Kronen, zur gänzlichen Aussöhnungzweyer Nebenbuhler durch eine Heirath und zurEntdeckung eines zwanzigjährigen Geheimnisses be stimmet ist. Der Tag in der Andromeda und im D. Sancho ist nicht von geringerer Wichtigkeit; wie ich aber gesagt habe, so sind dergleichen Gelegenheiten nur selten, und in meinen übrigen Stücken habe ich keine andre Tage wählen können, als solche die der Zufall, nicht aber die öffentliche Bestimmung, merkwürdig machte.


22 - Von den Trauerspielen /

Noch eines muß ich hierbey nicht zu erinnern vergessen: ob wir gleich die ganze Handlung nothwendigin einen Tag einschränken müssen, so können wir doch,unbeschadet dieser Einheit, durch den Weg der Erzählung oder auch durch noch einen feinern Kunstgriff,von vielen, was der Held in ganzen Jahren gethanhat, Nachricht geben, weil es Stücken giebt, deren 566 II. P. Corneille dritte Abhandlung, Verwicklung von der unbekannten Geburt abhänget, wie zum Exempel im Oedipus. Ich will nicht noch einmal erinnern, daß, je weniger man sich mit denvergangenen Handlungen abgiebt, desto günstiger derZuschauer sey, weil man ihm sehr wenig Zwang aufleget, indem man ihm alles gegenwärtig vorstellet,und sein Gedächtniß mit nichts belästiget, als mit demwas er gesehen hat: dieses aber muß ich nicht anzumerken vergessen, daß die Erwählung eines wichtigen und lange Zeit erwarteten Tages eine große Zierde des Gedichts sey. Man hat nicht immer die Gelegenheit darzu, und unter allen von mir verfertigten Stücken wird man nicht mehr als viere von dieser Art finden: die Horazier, wo eine Schlacht die Herr schaft zweyer Völker entscheiden soll, die Rodogune, die Andromeda, und den Don Sancho. In der Rodogune ist es ein Tag, der von zwey Monarchenzur Schließung der Friedenstractaten zwischen ihren uneinigen Kronen, zur gänzlichen Aussöhnungzweyer Nebenbuhler durch eine Heirath und zurEntdeckung eines zwanzigjährigen Geheimnisses be stimmet ist. Der Tag in der Andromeda und im D. Sancho ist nicht von geringerer Wichtigkeit; wie ich aber gesagt habe, so sind dergleichen Gelegenheiten nur selten, und in meinen übrigen Stücken habe ich keine andre Tage wählen können, als solche die der Zufall, nicht aber die öffentliche Bestimmung, merkwürdig machte.


23 - Von den Trauerspielen /

Da nun Personen, die in verschiednen Umständen sind, ihre Geheimnisse an einerley Orte wahrscheinlicher Weise nicht entdecken können, und gleichwohl ineinerley Aufzuge vorkommen, wo die Verbindungder Auftritte diese Einheit des Orts nothwendig nachsich zieht, so muß man ein Mittel suchen, diesen Widerspruch zu heben, wodurch zugleich der vierte Auf zug in der Rodogune und der dritte im Heraclius, in von den drey Einheiten. 571 welchen ich diesen Fehler schon angemerkt habe, entschuldiget würde. Die Rechtsgelehrten verstatten rechtliche Erdichtungen, und nach ihrem Beyspiele wollte ich, daß man dergleichen theatralische Erdichtungen erlaubte, und einen theatralischen Ort festsetzte, der weder das Zimmer der Cleopatra noch der Rodogune in dem also genannten Stücke, und in dem Heraclius weder das Zimmer des Phocas, nochder Leontine, noch der Pulcheria wäre, sondern einSaal, an welchen diese verschiednen Zimmer stießenund dem ich zwey Vorrechte geben wollte. Daseine sollte seyn, daß man sich vorstellen müsse, jederkönne daselbst eben so geheim als in seinen eignen Zimmern reden; das andre Vorrecht wäre, daß die Personen welche auf der Bühne sind, anstatt daßsie oft nach den Regeln des Wohlstandes zu denen,mit welchen sie sprechen wollten, ins Zimmer gehensollten, auf der Bühne bleiben, und jene zu ihnenheraus kommen könnten, ohne diesen Wohlstand zu beleidigen, damit auf diese Weise die Einheit des Orts und die Verbindung der Auftritte erhalten werde. So kömmt zum Exempel die Rodogune im ersten Aufzuge zur Laonice, die sie doch zu sich sollte holen lassen; und im vierten Aufzuge kömmt die Cleopatra zu Antiochus, an eben den Ort, wo er vorher die Rodogune unterhalten hatte, obgleich, der Wahrscheinlichkeit nach, Antiochus vielmehr zu seiner Mutter indas Kabinet gehen sollte, weil sie die Prinzeßinn allzu sehr haßt, als, daß sie ihn in derselben Wohnungsprechen würde, wo gleichwohl die Bühne wegen desersten Auftritts den ganzen Aufzug durch seyn muß,wenn man die Einheit des Orts nicht, auf vorgeschlagene Weise, erweitern will.