Suchbegriff: corneille_cid
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16 - Von den Trauerspielen /

Man kann sowohl in der Geschichte als in der Einbildung der Menschen eine Menge von berühmtenund des Trauerspiels würdigen Handlungen, deren Berathschlagungen und Wirkungen an einem Orte undan einem Tage, ohne der gemeinen Ordnung der Sachen Gewalt anzuthun, vorgehen könnten, so schwerlich finden, daß ich diese Gewalt nicht ganz und garverdammen kann, wenn sie nur nicht bis ans Unmögliche getrieben wird. Es giebt schöne Stoffe, wo man sie nicht vermeiden kann, und ein allzugewissenhafter Schriftsteller würde sich der schönsten Gelegenheit zur Ehre, und die Zuschauer vieles Vergnügens berauben, wenn er es nicht wagen wollte, sie auf die Bühne zu bringen, aus Furcht, er müsse sie geschwinder von den Trauerspielen insbesondre. 263 hinter einander geschehen lassen, als es die Wahrscheinlichkeit erlaube. Ich will ihm in diesem Falle einen Rath geben, welchen er vielleicht heilsam befinden wird, dieser besteht darinne, daß er keine gewisse Zeit in seinem Gedichte bemerkt, auch keinen gewissen Ort, wohin er seine Zuschauer versetzt, bestimmt. Die Einbildung der Zuschauer hat mehr Freyheit, dem Strome der Handlungen zufolgen, wenn sie durch diese Bemerkungen nicht angehalten wird; und er würdeseine Hinreißung nicht einmal bemerken, wenn dieseihn derselben nicht wider seinen Willen erinnerten.Es hat mich allezeit gereuet, daß ich dem Könige im Cid habe sagen lassen, er wolle daß sich Rodrigue,nach seinem Siege über die Moren, vorher ein oder zweyStunden erhole, ehe er mit dem Dom Sanche kämpfe. Ich that es um zu zeigen, daß das Stück in vier und zwanzig Stunden vorgehe, es hat mir aber zu nichts geholfen, als daß es die Zuschauer des Zwanges, welchen ich den Handlungen angethan, erinnerte. Wenn ich diesen Kampf hätte beschließen lassen, ohne eine gewisse Stunde davon zu bemerken, so hätte man vielleicht nicht daran gedacht.


17 - Von den Trauerspielen /

Wann ich sage, daß man nicht von dem Rechnung zu geben brauche, was die Personen während der Zeit thun, da sie nicht auf der Bühne sind, so will ich da mit nicht leugnen, daß es nicht manchmal sehr gut sey, wenn man Rechnung davon giebt; sondern ich sage nur, daß man nicht darzu verbunden ist, und daß man sich keine Mühe darum geben darf, wenn die Zuschauer das, was hinter der Bühne geschieht, nicht nothwendig wissen müssen, um das zu verstehen, was vor ihren Augen geschehen soll. Ich sage also nicht, was Cleopatra vom zweyten bis zum vierten Aufzuge gethan hat, weil sie während der Zeit nichts kann gethan haben, was in die Haupthandlung, die ich vorbereite, einen Einfluß hätte: ich sage es aber gleich in den ersten Versen des fünften Aufzuges, daß sie die Zeit zwischen den zwey letzten Aufzügen ange wendet hat, den Seleucus umzubringen, weil dieser Tod ein Theil der Handlung ist. Dieses giebt mir Gelegenheit anzumerken, daß der Poet nicht verbun den ist, alle besondre Handlungen, welche zur Haupt handlung führen, dem Zuschauer vor Augen zu stellen. Er muß nur diejenigen wählen, welche am angenehm sten zu sehen sind, entweder wegen des prächtigen An blicks, oder wegen der Stärke der Leidenschaften, die sie hervorbringen, oder auch einer andern Schönheit wegen, die damit verbunden ist: die übrigen muß er von den drey Einheiten. 549hinter die Bühne verbergen, und dem Zuschauer durch eine Erzählung oder durch einen andern Kunstgriff davon Nachricht geben. Vor allen Dingen muß er wohl bedenken, daß sowohl diese als jene in solcher Verbindung mit einander stehen müssen, daß immer die letzten die Wirkungen der vorhergehenden sind, und alle aus der Anlage, welche der erste Aufzug ent halten muß, fließen. Ob diese Regel, die ich also bald in der ersten Abhandlung feste gesetzt habe, gleich neu, und wider die Gewohnheit der Alten ist, so hat sie doch in zwey Stellen des Aristoteles ihren Grund. Die erste ist diese: Es ist, saget er, ein großer Unterschied unter den Begebenheiten, die von einander verursacht werden. Die Mohren kommen im Cid nach dem Tode des Grafen, nicht aber wegen dieses Todes; und der Fischer kommt in dem D. Sancho, nachdem man vermuthet, Carlos sey der arragonische Prinz, nicht aber weil man es vermu thet, und also sind beyde zu verwerfen. Die andre Stelle ist noch entscheidender, und sagt mit ausdrück lichen Worten, daß alles was in dem Trauerspie le vorfällt, nothwendiger oder wahrscheinli er Weise aus dem vorhergegangenen folgen muß.


18 - Von den Trauerspielen /

Die Regel von der Einheit der Zeit hat ihrenGrund in folgenden Worten des Aristoteles: Das Trauerspiel muß seine Handlung in einen Umlauf der Sonne einschließen, oder diese Gränzen wenigstens nicht allzu weit überschreiten.Dieses hat zu dem bekannten Streite Anlaß gegeben, ob es von einem natürlichen Tage von vier und zwanzig Stunden, oder von einem bürgerlichen Tage von zwölf Stunden zu verstehen sey. Beyde Meynungen haben ihre Vertheidiger. Was mich anbelangt, soweis ich, daß es sehr viele Materien giebt, die manso schwerlich in diese kurze Zeit einschließen kann, daßich ihnen nicht nur sehr gern die 24 Stunden verstatten,sondern mich sogar der Freyheit, die der Philosophgiebt, bedienen, und sie bis auf 30 Stunden ausdehnen würde. Wir haben eine gewisse Rechtsregel, von den drey Einheiten. 561 daß die Wohlthat zu erweitern und die Strenge einzuschränken sey, odia reſtringenda, favores ampliandi, und ich sollte meynen, daß ein Dichter so schondurch diesen Zwang genug gebunden sey, welcher einen von den Alten so gar bis zum Unmöglichen getrieben hat. Euripides läßt den Theseus mit einer Armee von Athen abgehen, vor den Mauren Thebens, welches 12 bis 15 Meilen davon entfernt war, eine Schlacht halten und in dem folgenden Aufzuge als Sieger wieder zurück kommen: so gar daß nach seiner Abreise bis zur Ankunft des Boten, welcher die Nachricht vom Siege bringt, Aethea und der Chor nicht mehr als dreyßig Verse zu sagen haben. Dasheißt eine so kurze Zeit recht wohl anwenden. Aeschylusläßt den Agamemnon noch mit einer weit größern Geschwindigkeit von Troja wieder zurückkommen. Erhatte es mit seiner Frau der Clytämnestra abgeredet,daß, sobald die Stadt eingenommen seyn würde, er esihr durch von einem Berge zum andern aufgesteckte Fackeln, (wovon die zweyte sogleich angesteckt werden sollte, als man die erste gesehen, die dritte sobald man die zweyte gewahr geworden, und so fort) berichten wollte, daß sie also diese große Neuigkeit noch in eben der Nacht erfahren könnte. Kaum aber ist sie von diesen angesteckten Fackeln davon versichert worden, als Agamemnon selbst ankömmt, dessen Schiff also, das unter Wegens, wenn ich mich recht besinne, noch dazu Schiffbruch gelitten hatte, eben so geschwind muß gewesen seyn, als das Auge in Entdeckung der Flammen. Der Cid und Pompejus, wo die Handlungen doch sehr schnell auf einander folgen, ist von dergleichen Freyheit noch sehr weit entfernt, und wenn 562 II. P. Corneille dritte Abhandlung, sie gleich wider die gemeine Wahrscheinlichkeit an einigen Orten streiten, so verlieren sie sich doch nimmermehr bis zu dergleichen Unmöglichkeiten.


19 - Von den Trauerspielen /

Ueberhaupt ist es gut, daß man die Dauer der Vorstellung dem Zuschauer überläßt, und ihre Zeit niemals ausdrücklich bestimmt, wenn es der Stoff nichtnothwendig erfodert; besonders wenn die Wahrschein lichkeit ein wenig gezwungen ist, wie im Cid, dennalsdann würde diese Uebertreibung nur dadurch merklicher werden. Auch alsdann wenn in dem ganzenStücke nichts übereilt ist, ist es sehr überflüßig, anzumerken, daß bey Oeffnung der Bühne die Sonne aufgeht, daß im dritten Aufzuge Mittag, und im letzten Abend ist. Es ist eine gezwungene Regelmäßigkeit, die dem Leser nur zur Last wird. Es ist genug, wenn die Sache in der Zeit die wir ihr geben, geschehen kann, und daß diese Zeit von jedem, der darauf Acht hat, leicht zu bemerken ist. In den Handlungen selbst, deren Dauer nicht größer als die Zeit der Vorstellung ist, würde es sehr unanständig seyn, wenn man von Aufzug zu Aufzug anmerken wollte, daß nunmehr eine halbe Stunde, und nunmehr wieder eine halbe Stunde verflossen sey.


20 - Von den Trauerspielen /

Ich halte also dafür, daß man diese Einheit so genau als möglich beobachten müsse; weil sie sich abermit allen Materien nicht verträgt, so ist es zu derEinheit des Orts schon genug, wenn die Handlungnur in einer Stadt geschieht. Ich will damit nichtsagen, daß die Bühne die ganze Stadt vorstellen solle, das würde allzu ausschweifend seyn, sondern nur zwey oder drey Orte, die innerhalb ihren Mauren sind. So ist die Bühne im Cinna beständig in Rom, bald aber ist sie in dem Zimmer des Au gustus, und bald im Hause der Aemilia. Im Lügnerist der Ort bald die Tuilleries, bald der königlichePlatz, beständig aber in Paris: in der Fortsetzungdieses Stücks, das Gefängniß oder die Wohnung der Melisse, beydes in Lyon. Im Cid kommen noch mehr besondre Orte vor, alle aber sind in Seville; und weil die Verbindung der Auftritte darinne nicht beobachtet ist, so stellet die Bühne im ersten Aufzuge die Wohnung der Chimene, das Zimmer der Infantinn im königlichen Pallaste, und einen öffentlichen Markt vor. Im andern Aufzuge kömmtnoch das Kabinet des Königs darzu, und ich habe 570 II. P. Corneille dritte Abhandlung, diese Freyheit hier ohne Zweifel gemisbraucht. Damit diese Verschiedenheit der Bühne, wenn sie nothwendig ist, ein wenig regelmäßig sey, so wollte ich zwey Stücke dabey beobachtet wissen. Erstlich, daß man die Bühne nicht in einem, sondern in verschiednen Aufzügen ändre, so wie ich es in den drey ersten Auf zügen des Cinna gethan habe; zum andern, daß die verschiednen Orte nicht verschiedne Verzierungen brauchten, und daß keiner von ihnen genennt würde, sondern daß man nur immer den Hauptort nenne, der alle in sich schließt, zum Exempel Paris, Rom,Lyon, Constantinopel etc. dadurch würde man denZuhörer leichter betriegen können, indem er die Verschiedenheit des Orts nicht bemerkt, wenn er sie nichtaus Tadelsucht selbst ausforscht, wozu aber die wenigstenaufgelegt sind; denn die meisten überlassen sich derHitze der Handlung, die sie vorstellen sehen. DasVergnügen das sie dabey finden, ist Ursache, daß siedas Unregelmäßige nicht sehen wollen, und es nichteher bemerken, als wenn sie dazu gezwungen werden, oder wenn es allzu sichtlich ist, wie in dem Lügnerund desselben Verfolge, wo man aus den verschiedenen Verzierungen die Verschiedenheit des Orts schließen muß, man mag wollen oder nicht.


21 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Es ist glaublich, daß diese Komödianten Anfangs nur diejenigen Scenen aus Tragödien undKomödien werden vorgestellt haben, welche Cantica genennt wurden. Ich stütze mich mit dieserMuthmassung auf zwey Gründe. Der erste istdieser, weil die Schriftsteller des Alterthums,(*) Macrob. Saturnal. lib. 2. cap. 7.von den theatr. Vorstell. der Alten.welche vor dem Apulejus gelebt haben, niemals, soviel ich mich erinnere, von dramatischen Stücken reden, welche von ganzen Banden pantomischer Schauspieler aufgeführet worden. Siereden nur bloß von Monologen und Canticis,die von stummen Komödianten getanzt worden. Wir finden sogar in dem oft angeführten Werkedes Lucians, daß ein Fremder, als er fünfKleider gesehen, die für einen einzigen Pantomimen verfertiget worden, welcher fünf verschiedene Rollen hinter einander spielen sollen, gefragt habe, ob er alle fünf Kleider auf einmalanziehen werde. Allem Ansehn nach hätte erdiese Frage wohl nicht thun können, wenn mandamals schon ganze Banden pantomimischer Komödianten gehabt hätte. Der zweite Grund istdieser, daß es natürlicher Weise fast nicht andersseyn können. Die ersten Pantomimen, wenndie Zuschauer einen Geschmack an ihnen habenfinden sollen, werden es freylich so haben einrichten müssen, daß sie von ihnen haben könnenverstanden werden; und damit sie desto leichterverstanden werden könnten, werden sie, ohneZweifel, Anfangs nur die schönsten Scenen derbekanntesten dramatischen Stücke, in ihrer stummen Declamation vorgestellt haben. Wenn zuParis Pantomimen aufkommen wollten, so istes sehr wahrscheinlich, daß sie ungefehr mit denschönsten Scenen des Cid, oder anderer bekannten Stücke anfangen und besonders diejenigen du Bos,wählen würden, wo die Handlung von demKomödianten verschiedne besondre Stellungen, verschiedne merkliche Gebehrden erfordert, dieman sogleich verstehen kann, ohne daß man dieRede dazu hört, die sie natürlicher Weise zu begleiten pflegen. Von Seiten der Lustspielewürden sie vielleicht mit der Scene zwischen demSosias und Mercur in dem ersten Auftritte desAmphitryo den Anfang machen. Oder wenndiese Pantomimen Scenen aus unsern Opernaufführen wollten, so würden sie vielleicht zumAnfange die letzte Scene des vierten Aufzugs imRoland, wo dieser Held rasend wird, dazuwehlen.