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31 - Discours de la tragedie /

Je ne puis oublier que bien qu'il nousfaille réduire toute l'action tragique en unjour, cela n'empêche pas que la Tragédie DES TROIS UNITE'S. 581 ne fasse connoître par narration, ou parquelque autre maniére plus artificieuse,ce qu'a fait son héros en plusieurs années, puisqu'il y en a dont le nœud con- siste en l'obscurité de sa naissance qu'ilfaut éclaircir, comme Oedipe. Je ne répéterai point que moins on se charge d'actions passées, plus on a l'auditeur propicepar le peu de gêne qu'on lui donne, en lui rendant toutes les choses présentes, sansdemander aucune réflexion à sa mémoire,que pour ce qu'il a vû: mais je ne puisoublier que c'est un grand ornement pour un poëme que le choix d'un jour illustre,& attendu depuis quelque tems. Il ne s'enprésente pas toujours des occasions, &dans tout ce que j'ai fait jusqu'ici vousn'en trouverez de cette nature que quatre. Celui d'Horace, où deux peuples devoientdécider de leur Empire par une bataille, celui de Rodogune, d'Androméde, & deD. Sanche. Dans Rodogune c'est un jourchoisi par deux Souverains, pour l'effetd'un traité de paix entre leurs couronnesennemies, pour une entiére réconciliationde deux rivales par un mariage, & pourl'éclaircissement d'un secret de plus de vingt ans, touchant le droit d'aînesse entre deuxPrinces jumeaux, dont dépend le Royaume, & le succès de leur amour. Celuid'Androméde & de Dom Sanche ne sontpas de moindre considération; mais com- 582 TROISIE'ME DISCOURS. me je viens de dire, les occasions ne s'enoffrent pas souvent, & dans le reste demes ouvrages je n'ai pû choisir des joursremarquables que par ce que le hazard yfait arriver, & non pas par l'emploi, où l'ordre public les aye destinés de longuemain.


32 - Von den Trauerspielen /

Wir haben Mitleiden, spricht er, mit denen,welche wir ohne ihr Verschulden unglücklichsehen, und wir fürchten uns, daß uns nicht eben das wiederfahre, wenn wir sehen, daß es unsers gleichen wiederfährt. Das Mitleidennimmt also an den Umständen derjenigen Person,die wir leiden sehen, Antheil, und die Furcht, diediesem Mitleiden folgt, geht uns selbst an; folglichgiebt uns diese einzige Stelle Licht genug, die Art zuentdecken, auf welche die Reinigung der Leidenschaftenin dem Trauerspiele geschieht. Das Mitleiden mitdem Unglücke, worein wir einen andern verfallen sehen, läßt uns ein gleiches Unglück für uns befürchten, diese Furcht erwecket in uns die Bemühung ihm zu entgehen, und diese Bemühung treibt uns an, diejenigen Leidenschaften, welche, nach unserm Urtheil, die Person, welche wir bedauern, in ihr Unglück stürzen, zu von den Trauerspielen insbesondere. 213 reinigen, zu mäßigen, zu bessern, ja gar auszurotten. Denn der Schluß ist so natürlich, als unumstößlich, daß wir, wenn wir die Wirkung vermeiden wollen, die Ursache abschneiden müssen. Diese Erklärung wirddenen nicht gefallen, die sich genau an die Commentatores dieses Weltweisen halten. Sie martern sich überdie Stelle, und sind in ihren Meynungen so wenig einig, daß Paul Beni deren zwölf bis funfzehn verschiedne zählt, die er alle erst widerlegt, ehe er unsseine entdeckt. In den Gründen kömmt sie mit derunsrigen überein, darinne aber ist sie unterschieden, daßsie die Wirkung nur auf die Könige und Fürsten einschränkt, vielleicht deswegen, weil uns das Trauerspiel nur solche Uebel befürchten läßt, die unsers gleichenwiederfahren, weil sie nur Königen und Fürsten wiederfahren, so könne die Furcht auch keinen Eindruck als nur in Königen und Fürsten machen. Allein er hat ohne Zweifel das Wort: unsers gleichen; in allzuengem Verstande genommen, und hat nicht überlegt, daß in Athen keine Könige waren, wo doch die Gedichte vorgestellt wurden, aus welchen Aristoteles seine Regeln gezogen hat. Dieser Philosoph hat wohl schwerlich den Gedanken gehabt, den man ihm zuschreibt, weil er sonst nimmermehr etwas in die Erklärung der Tragödie würde gebracht haben, das seineWirkung so wenigmal äußert, und dessen Nutzen aufso wenig Personen eingeschränkt ist. Es ist zwar wahr,daß man meistentheils nichts als Könige zu den vornehmsten Personen des Trauerspiels nimmt, und daß die Zuschauer keinen Zepter haben, der sie ihnen gleich macht, damit sie gleichfalls das Unglück befürchten könnten, das ihnen begegnet: aber diese Könige 214 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, sind doch Menschen wie ihre Zuschauer, und verfallen durch die Vergehungen solcher Leidenschaften in ihr Unglück, deren die Zuschauer gleichfalls fähig sind. Sie geben so gar einen Schluß vom Größern auf das Geringere ab, und der Zuschauer kann ganz leichte begreifen, daß, wenn ein König, weil er allzusehr dem Ehrgeize, der Liebe, dem Hasse, der Rache nachhängt, in ein so groß Unglück verfällt, daß er Mitleiden mit ihm hat, so müsse er, als ein Mensch vongeringerm Stande, noch vielmehr seine Leidenschaftenim Zügel halten, wenn sie ihn nicht in ein gleiches Unglück stürzen sollen. Uebrigens ist es keine Nothwendigkeit, daß man nur das Unglück der Könige auf denSchauplatz bringen müsse. Auch das Unglück andrerLeute, wenn es in die Augen fallend und besonders genug ist, und wenn es in den Geschichtbüchern selbst ist aufgezeichnet worden, findet daselbst seinen Platz. Scedasus war nichts, als ein gemeiner Bauer inLeuctra, gleichwohl glaube ich, daß seine Geschichteauf den Schauplatz geführet zu werden verdiene, wennes nur die Reinigkeit unsrer Bühne vergönnte, vonder seinen beyden Töchtern angethanen Gewalt zu reden, da selbst die Gedanke einer Schändung in der Person einer Heiligen, die dafür beschützet würde, den Zuhörern unerträglich war.


33 - Von den Trauerspielen /

Erstlich will er nicht, daß ein allzutugendhafter Mann aus dem Glück ins Unglück verfalle, und behauptet, daß dieses weder Mitleiden, noch Furcht erwecken könne, weil es ein durchaus ungerechter Zufall wäre. Einige Ausleger treiben die Stärke des griechischen Worts μιαρον, welches er als ein Epitheton zu diesem Zufallegefügt, so weit, daß sie es so gar durch verabscheuungswürdig übersetzen. Diesem füge ich hinzu, daß einsolcher Ausgang mehr Widerwillen und Haß gegen den,der das Unglück auflegt, als Mitleiden mit dem, deres erträgt, erwecket; und daß also diese Empfindung,welche nicht die eigentliche Wirkung des Trauerspiels seyn soll, wenn sie nicht sehr gemäßigt wird, diejenige ersticken muß, welche eigentlich sollte hervorgebracht werden. Der Zuschauer würde also misvergnügt weggehen, weil sich sein Zorn allzusehr mit dem Mitleiden vermischt, welches ihm nothwendig würde gefallen haben, wenn er es alleine mit sich weggenommen hätte.


34 - Von den Trauerspielen /

Es ist also nichts übrig, als daß wir das Mittel dieser zwey äußersten Gränzen finden, daß wir nämlicheinen Mann wählen, der weder gänzlich gut, nochgänzlich lasterhaft ist, und der durch einen Fehler odereine menschliche Schwachheit in ein Unglück verfällt,das er nicht verdienet. Aristoteles führet den Oedipus und Thyestes zum Exempel an, worinne ich aber in der That seine Meynung nicht verstehe. Der erste scheinet mir gar keinen Fehler zu begehen, ob er gleich seinen Vater tödtet, weil er ihn nicht kennet, und nichts thut, als daß er, als ein beherzter Mann, einem Unbekannten, der ihn mit Vortheil angreift, den Weg streitig macht. Doch weil die Bedeutung des Worts αμαζτημα auch auf den bloßen Irrthum des Verkennens, wie des Oedipus seiner war, kann ausgedehnet werden, so wollen wir dieses dem Philosophen einräumen, ob ich gleich nicht einsehe, was wir für eine Leidenschaft daraus reinigen sollen, noch worinne wir uns aus seinem Exempel bessern können. Was aber den Thyestes anbelangt, so kann ich nir von den Trauerspielen insbesondre. 217gends weder die gewöhnliche Tugend, noch einen Fehler ohne Schandthat, welcher ihn in sein Unglück stürzet, an ihm entdecken. Wenn wir ihn vor dem Trauerspiele, das von ihm den Namen hat, betrachten, so ist er ein Blutschänder, welcher seines Bruders Frau misbraucht. Betrachten wir ihn in demTrauerspiele selbst, so ist er ein Mann von Treu undGlauben, der sich auf seines Bruders Wort, mit demer sich wieder vertragen hat, verläßt. In dem ersternZustande also ist er allzulasterhaft, und in dem andern allzuredlich. Wenn wir sein Unglück auf seine Blutschande schieben, so ist es ein Verbrechen, dessen die Zuschauer nicht fähig sind; das Mitleiden, das sie mit ihm haben, kann also nicht bis zu der bessernden Furcht anwachsen, weil sie ihm nicht gleich sind. Schieben wir aber sein Unglück auf seine Treu und Glauben, so kann zwar einige Furcht dem Mitleiden folgen, das wir mit ihm haben, allein sie kann zu nichts dienen, als uns gegen das Wort eines versöhnten Feindes mistrauischer zu machen, da doch das Vertrauen mehr die Eigenschaft eines rechtschaffnen Mannes, als eine lasterhafte Fähigkeit ist; und dieser Nutzen wird bloß die Aufrichtigkeit der Versöhnungen desto seltner machen. Ich gestehe also aufrichtig, daß ich die Anwendung dieses Exempels nicht begreife.


35 - Von den Trauerspielen /

Das Unglück eines allzulasterhaften Menschen erweckt weder Mitleiden noch Furcht, weil er des erstern nicht würdig ist, und weil die Zuschauer nicht solasterhaft sind als er, daß seine Strafe die andre beyihnen erwecken könne. Wir müssen aber hier einenUnterschied unter den Uebelthaten machen. Es giebtwelche, deren rechtschaffne Leute durch die Heftigkeitihrer Leidenschaften fähig sind, und deren unglücklicherAusgang das Gemüthder Zuhörer rühren kann. Einrechtschaffner Mann wird in keinen Wald in der Absicht zu rauben gehn, er wird auch niemanden mit kaltem Blute ermorden; wenn er aber sehr verliebt ist, so kann er wohl seinen Mitbuhler betrügen, oder wenn sich der Zorn seiner bemeistert, in der ersten Hitze jemanden tödten, oder auch von dem Ehrgeize zu einem Laster oder einer strafbaren Handlung verleitet werden. Es giebt wenig Mütter, die ihre Kinder ermorden oder mit Gift vergeben wollen, damit sie ihnen nicht ihr Vermögen wiedergeben dürfen, wie die Kleopatra in dem Trauerspiele Rodogune: derenaber giebt es viele, die sich den Gebrauch desselben anmaßen, und die es nur mit Misvergnügen, und so spät, als es immer möglich ist, wieder ausliefern.Ob sie gleich keiner so schändlichen und unnatürlichenHandlung, wie die Handlung dieser Königinn von von den Trauerspielen insbesondre. 221 Syrien war, fähig sind, so liegt doch der Saame derjenigen Grundsätze, welche sie dazu verleiteten, in ihnen. Der Anblick ihrer verdienten Strafe kann ihnen also zwar kein gleiches Unglück, aber doch ein Unglück, welches dem Grade, zu welchem sie ihr Verbrechen bringen können, gemäß ist, befürchten lassen. Eben so ist es mit einigen andern Lastern beschaffen, zu welchen unsre Zuschauer nicht aufgelegt sind. Der Leser mag sie selbst nach diesem Exempel aufsuchen und beurtheilen.


36 - Von den Trauerspielen /

Unterdessen, so schwer es auch ist diese merklichwirksame Reinigung der Leidenschaften, welche vondem Mitleiden und der Furcht erzeugt werden soll, anzutreffen, so können wir doch leicht mit dem Aristoteles einig werden. Wir dürfen nur sagen, er habeeben dadurch nicht behaupten wollen, daß alle beydeMittel zugleich dazu nöthig wären, sondern nach seiner Meynung sey auch eines zureichend, diese Reinigung hervorzubringen; doch mit dem Unterschiede, daß zwar nicht das Mitleiden ohne die Furcht, wohl aber die Furcht ohne das Mitleiden dazu genug sey. Der Tod des Grafen im Cid erweckt kein Mitleiden,er reiniget aber diese Art des Stolzes, die auf die Ehre der andern so neidisch ist, besser, als alle das Mitleiden, welches wir mit dem Rodrigue und der Chimene haben, die heftige Liebesneigung, welche beydeso beklagenswürdig macht, zu reinigen vermögend ist. Der Zuschauer kann mit dem Antiochus, dem Ni komed, dem Heraklius Mitleiden haben; wenn esaber dabey bleibt, und wenn er nicht besorgen darf, inein gleiches Unglück zu verfallen, so wird er von keiner Leidenschaft dadurch genesen können. Er hat Ge 222 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,gentheils kein Mitleiden mit der Kleopatra, mit demPrusias, mit dem Phokas; und dennoch kann die Furcht eines gleichen oder ähnlichen Unglücks bey einer Mutter die Hartnäckigkeit sich des Vermögens ihrerKinder nicht zu entschlagen, bey einem Vater die allzugroße Ergebenheit gegen die andre Frau zum Nachtheil seiner Kinder erster Ehe, und bey allen die Begierde das Vermögen und die Ehre anderer mit Gewalt an sich zu ziehen, reinigen; so daß allezeit dieseReinigung jedes seinen Umständen und dem, was erzu begehen vermögend ist, gemäß bleibet. Das Misvergnügen und die Unentschließigkeit des Augusts im Cinna muß diese letztere Wirkung durch die Furchtund das Mitleiden zugleich thun; wie ich aber schongesagt habe, so geschieht es nicht allezeit, daß diejenigen, welche wir beklagen, durch ihr Verschulden unglücklich sind. Wenn sie also unschuldig sind, so bringtdas Mitleiden, welches wir mit ihnen haben, keine Furcht hervor, und wenn wir ja etwas von Furcht, die unsre Leidenschaft reinigen kann, dabey empfinden, so wird sie durch eine andre Person, und nicht durch die, welche wir beklagen, erweckt, so daß wir sie gänzlich der Stärke des Beyspiels schuldig sind. Wir können diese Erklärung aus dem Aristoteles selbst bekräftigen, wenn wir die Gründe recht erwägen, welche er von der Ausschließung derjenigen Begebenheiten, die er in den Trauerspielen misbilliget, giebt. Er sagt niemals, dieses oder jenes schickt sich in dieTragödie nicht, weil es bloß Mitleiden und keine Furcht erwecket; oder dieses ist daselbst unerträglich, weil es bloß die Furcht erwecket, ohne das Mitleiden zu erregen; nein, sondern er von den Trauerspielen insbesondre. 223 verwirft sie deswegen, weil sie, wie er sagt, wederMitleiden noch Furcht zuwege bringen, undgiebt uns dadurch zu erkennen, daß sie ihm deswegennicht gefallen, weil ihnen sowohl das eine als das andre fehlt, und daß er ihnen seinen Beyfall nicht versagen würde, wenn sie nur eines von beyden wirkten. In dieser Gedanke bestätiget mich das von ihm angeführte Beyspiel des Oedipus. Wenn wir ihm glauben, so hat es alle erfoderliche Eigenschaften einesTrauerspiels; gleichwohl erwecket sein Unglück nichts als Mitleiden, und ich glaube nicht, daß einer von denen, welche ihn bey der Vorstellung beklagen, sich in den Sinn kommen läßt zu befürchten, er könne auch seinen Vater tödten und seine Mutter heirathen.Wenn ja seine Vorstellung in uns einige Furcht erwecken kann, und wenn diese Furcht noch eine strafbare oder lasterhafte Neigung in uns zu reinigen vermögend ist, so kann es aufs höchste keine andre seyn,als die Neugierigkeit sein Schicksal zu wissen, undwenn es weit kömmt, so werden wir uns daraus hüten lernen, unsre Zuflucht zu Prophezeyungen zu nehmen, die größtentheils nichts nutzen, als daß sie uns in das Unglück, das man uns vorhergesagt hat, selbst durch die Sorgfalt ihm zu entfliehen, stürzen. Denn es ist gewiß, Oedipus würde weder seinen Vatergetödtet, noch seine Mutter geheirathet haben, wennsein Vater und seine Mutter, welchen das Orakel, was sich zutragen solle, vorausgesagt hatte, ihn nicht aus Furcht es möge wahr werden, hätten wegsetzen lassen. Es wäre also nicht Oedipus, sondern Lajus und Jokaste, die diese Furcht erweckten, welche noch dazu aus der Vorstellung eines Fehlers, welcher 224 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, vierzig Jahr vor dem gegenwärtigen Falle begangen worden, herrühren würde; daß also die Furcht durch eine andre Person als die Hauptperson, und durch eine andre Handlung als die, welche den Inhalt der Tragödie ausmacht, in uns entstünde.


37 - Von den Trauerspielen /

Er will nicht, daß ein ganz unschuldiger Mensch unglücklich werde, weil dieses verabscheuungswürdigist, und mehr Widerwillen gegen den, der ihn verfolgt, als Mitleiden mit seinem Unglücke erweckt.Gleichfalls will er nicht, daß ein ganz Lasterhafter unglücklich werde, denn durch sein verdientes Unglück kanner kein Mitleiden erregen, und kann auch kein gleiches Unglück den Zuschauern befürchten lassen, weil sie ihm nicht von den Trauerspielen insbesondre. 225 gleich sind. Wenn aber diese beyden Ursachen wegfallen, so daß ein tugendhafter Mensch, welcher unglücklich ist, mehr Mitleiden mit sich als Widerwillen gegen den, der ihn verfolgt, erwecket, oder wenn die Bestrafung eines großen Lasters eine Unvollkommenheit in uns, welche damit Verwandtschaft hat, verbessern kann, so bin ich der Meynung, man dürfe keine Schwierigkeiten machen, sehr tugendhafte oder sehr lasterhafte Leute im Unglücke auf die Bühne zu bringen.Hier sind zwey oder drey Fälle, welche Aristoteles vielleicht nicht hat können voraussehen, weil man zu seinerZeit keine Beyspiele davon auf den Schauplätzen hatte.


38 - Von den Trauerspielen /

Aristoteles giebt uns einiges Licht, wie wir uns die Mittel zur Erregung dieses Mitleidens, das auf unsern Bühnen so vortreffliche Wirkung thut, erleichtern von den Trauerspielen insbesondre. 227 sollen. Eine jede Handlung, spricht er, gehtentweder unter Freunden, oder unter Feinden,oder unter Leuten, die gegen einander gleichgültig gesinnet sind, vor. Wenn ein Feind seinen Feind tödtet oder tödten will, so entstehet kein Mitleiden; es sey denn, daß man den Tod eines jeden Menschen, er sey wer er sey, zu sehen scheue. Wenn ein Gleichgültiger einen Gleichgültigen tödtet, so rührt es eben so wenig, zumal wenn derjenige, der den Mord begeht, auch nicht einmal einen Streit in seiner Seele empfindet. Wenn dieses aber unterLeuten vorgeht, welche Geburt oder Neigungmit einander verbindet, zum Exempel, wennein Mann seine Frau tödtet, oder zu tödten Willens ist, oder eine Mutter ihre Kinder, ein Bruder seine Schwester, alsdenn schickt es sich vortrefflich zum Trauerspiele. Die Ursache davon ist klar. Wenn die natürlichen Empfindungen der Heftigkeit der Leidenschaften oder der Strenge der Pflichten entgegen gesetzt werden, so verursachensie heftige Bewegungen, welche von den Zuschauernmit Vergnügen angenommen werden, und sie sindleicht zu bewegen, einen Unglücklichen zu beklagen,welcher von einer Person verfolgt wird, die sich seiner Erhaltung annehmen sollte, und die wohl gar seinen Untergang mit Misvergnügen und wider Willen befördert. Horaz und Curiaz wären nicht zu beklagen,wenn sie nicht Freunde und Schwäger wären; auchRodrigue nicht, wenn er von jemand anders, alsvon seiner Liebsten, verfolgt würde. Das Unglückdes Antiochus würde viel weniger rühren, wenn je 228 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,mand anders als seine Mutter das Blut seiner Liebsten, oder jemand anders als seine Liebste dasBlut seiner Mutter von ihm foderte oder wenn er,nach dem Tode seines Bruders, welcher ihm eine gleicheErmordung befürchten heißt, auf andre mistrauischseyn müßte, als auf seine Mutter und seine Liebste.


39 - Von den Trauerspielen /

Das heißt nicht den Aristoteles widerlegen, wenn man ihn vortheilhaft erklärt, damit man in der vierten Art der Handlungen, welche er verwirft, eine neueArt des Trauerspiels entdecken möge, die schöner, alsdie von ihm angeführten drey Arten, ist, und die erohne Zweifel würde vorgezogen haben, wenn er siegekannt hätte. Dieses heißt unserm JahrhunderteEhre machen, ohne dem Ansehen dieses Philosophenetwas zu entziehen. Doch weis ich in der That nicht,wie ich ihn bey diesem Ansehen werde erhalten können,da ich die Rangordnung, welche er unter den benannten drey Arten gemacht hat, umstoßen will. Gleichwohl glaube ich mich auf die Erfahrung zu gründen, wenn ich vermuthe, daß diejenige Art, welche er am wenigsten schätzet, vielleicht die schönste sey, und daß die, die er am meisten erhebet, den geringsten Platz verdiene. Die Ursache davon ist, weil jene gar kein Mitleiden erregen kann. Ein Vater will seinen Sohn umbringen, ohne ihn zu kennen, er sieht ihn als einen gleichgültigen Menschen oder wohl gar als seinen Feind an. Er mag ihn für den einen oder für den andern halten, so verdient seine Gefahr, selbst nach des AristotelesUrtheil, kein Mitleiden, und erregt in den Zuschauernnichts als ein gewisses innerliches Erzittern, welches ihn fürchten läßt, der Sohn möchte eher umkommen, als ihn der Vater erkennt, und ihn zu wünschen treibet, daß er ihn je eher je lieber erkennen möge. Dieses entstehet aus dem Antheile, welches wir allezeit andem Glücke eines tugendhaften Menschen, den wir lie von den Trauerspielen insbesondre. 233ben müssen, nehmen; und wenn die Erkennung geschieht, so wirkt sie nichts als die Empfindung einer gemeinschaftlichen Freude, daß die Sache nach unsermWunsche ausgeschlagen ist.


40 - Von den Trauerspielen /

Bey der andern Art will ich mich es nicht so ausdrücklich zu entscheiden wagen. Daß ein Mensch miteinem andern in Streit geräth, daß er ihn tödtet,und daß er ihn erstlich hernach für seinen Vater oderseinen Bruder erkennet, und deswegen in Verzweiflungverfällt, das ist noch ganz wahrscheinlich, folglich von den Trauerspielen insbesondre. 237 kann man es auch erfinden. Doch ist der Zufall, seinen Vater oder seinen Bruder, ohne daß man ihn kennt, zu tödten, so außerordentlich und beträchtlich,daß man mit Recht verlangen kann, die Geschichtesolle ihn nicht verschwiegen haben, besonders wenn erberühmte Personen angeht, und daß man mit Grunddaran zweifeln könne, wenn sie ihn nicht bemerkt hat.Der alte Schauplatz giebt uns kein Beyspiel davon,als den Oedipus, und ich erinnere mich auch nicht,ein andres in unsern Geschichtsschreibern gelesen zu haben. Ich weis zwar, daß diese Begebenheit mehrnach der Fabel, als nach der Historie, schmecket, folglich kann sie entweder ganz oder zum Theil seyn erfunden worden. Allein die Fabel ist mit der Historie des Alterthums so sehr vermischt, daß man, aus Furcht keinen falschen Unterschied zu machen, beydengleiches Ansehen auf unsern Schaubühnen gegeben hat.Es ist genug, daß wir nichts erfinden, was für sichnicht wahrscheinlich ist, und daß das, was vor langerZeit ist erfunden worden, den Zuschauern so gut bekanntsey, daß es ihn nicht befremdet, wenn er es auf der Bühne siehet. Die ganze Metamorphosis des Ovidsist offenbar eine Erfindung: man kann Stoffe zu Trauerspielen daraus nehmen, allein keine auf diesen Schlag erfinden, es müßten denn Zwischenspiele, von gleicher Art, seyn. Die Ursache ist diese. Ob wir gleich nicht als was wahrscheinliches erfinden sollen, und obgleich die fabelhaften Stoffe, von der Andromeda, vom Phaeton es im geringsten nicht sind; soist doch die Erfindung der Episoden nicht sowohl eineErfindung, als vielmehr ein Zusatz zu dem, was schonerfunden ist, und diese Episoden bekommen eine gewisse 238 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, Art der Wahrscheinlichkeit in Gegenhaltung der Haupthandlung, so daß man sagen kann, wenn dieses geschehen seyn soll, so kann es auf die oder jene Art, wie es der Poete beschreibt, geschehen seyn.


41 - Von den Trauerspielen /

Bey der dritten Art hat es wieder keine Schwierigkeit. Wir können sie nicht allein erfinden, weil alles darinne wahrscheinlich ist, und die natürlichen Gesinnungen nicht übersteigt; sondern ich behaupte so gar,daß man sie von der Schaubühne verbanne, wennman die Dichter nöthigen wollte, den Stoff dazuaus der Geschichte zu nehmen. Wir finden kein 240 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, Trauerspiel von dieser Art bey den Griechen, welches nicht von seinem Verfasser ersonnen zu seyn scheinet. Es kann zwar auch seyn, daß ihnen die Fabel zu einigen verholfen hat. Meine Augen sind nicht scharf genug die Finsterniß zu durchdringen, und zu bestim men, ob die Iphigenia in Tauris gleichfalls eine Erfindung des Euripides sey, wie seine Selena oder sei ne Ion, oder ob er sie von einem andern entlehnthat: ich glaube aber doch behaupten zu können, daßes sehr schwer seyn würde, dergleichen Zufälle in denGeschichten zu finden, es sey nun, weil sie sich seltenzutragen, oder weil sie nicht Aufsehens genug machen,einen Platz darinne zu verdienen. Ich besinne michauf ein einziges Exempel, da nämlich Aegeus derKönig von Athen den Theseus für seinen Sohn erkannte, eben da er ihn wollte umbringen lassen. Dochdem sey wie ihm wolle, die, die dergleichen gerne aufdie Bühne bringen wollen, können sie, ohne Furchtgetadelt zu werden, erfinden. Sie können zwar dadurch bey ihren Zuschauern eine angenehme Ungewißheit hervorbringen, ihnen aber viel Thränen auszulocken dörfen sie sich nicht versprechen.


42 - Von den Trauerspielen /

Ich schreite zu der andern Eintheilung, in die ordentliche und außerordentliche Wahrscheinlichkeit. Die ordentliche ist eine Handlung, welche in der That nichtso ofte als ihr Gegentheil geschiehet, deren Möglichkeit aber doch groß genug ist, daß sie noch für keinWunder, oder für eine von den besondern Begeben 258 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,heiten anzusehen ist, welche den Inhalt der blutigen Trauerspiele ausmachen, und die sich auf die Historie oder auf die allgemeine Meynung gründen müssen, und die zu keinen Mustern als in den Episoden, wovon sie den Körper ausmachen, können gebraucht werden, weil sie nicht glaublich sind, wenn sie diese Stützen nicht haben. Von der außerordentlichen Wahrscheinlichkeit giebt uns Aristoteles zwey allgemeineExempel. Das eine ist, wenn ein listiger Menschdurch einen weniger Listigen betrogen wird, das andre, wenn sich ein Schwächrer mit einem Stärkern schlägt und den Sieg davon trägt, welches besonders allezeit wohl aufgenommen wird, wenn die Sache des Einfältigern oder Schwächern die gerechteste ist. Esscheinet alsdann, daß die Gerechtigkeit des Himmelsden Ausgang geführt habe, welcher desto leichter Glauben findet, je mehr er mit den Wünschen der Zuschauer übereinkömmt, die sich allezeit derjenigen annehmen, deren Verfahren das billigste ist. Daherwürde der Sieg des Cid über den Grafen von einer außerordentlichen Wahrscheinlichkeit seyn, wenn er nicht wahr wäre. Es ist wahrscheinlich, sagt unser Lehrer, daß sich viel Sachen wider die Wahrscheinlichkeit zutragen; und weil er dadurch zugesteht, daß sich diese außerordentlichen Wirkungen wider die Wahrscheinlichkeit eräußern, sowollte ich sie lieber schlechtweg nur glaublich nennen,und sie unter das Nothwendige bringen, weil man sichihrer niemals als nur im Nothfalle bedienen muß.


43 - Von den Trauerspielen /

Alles was uns die Fabel von den Göttern und ihren Verwandlungen sagt, ist gleichfalls unmöglich,gleichwohl wird es uns durch die gemeine Meynungund durch die alte Fortpflanzung, die uns es zu hören gewöhnt hat, glaublich. Wir haben so gar dasRecht, nach diesen Mustern zu erdichten, und gleichunmögliche Zwischenfälle mit dem zu verbinden, wasuns der alte Irrthum davon entdeckt hat. Die Erwartung des Zuschauers wird nicht hintergangen, weil der Titel des Gedichts ihm gleich nichts als lauter unmögliche Sachen verspricht: es kömmt ihm alles wahrscheinlich darinne vor, und wenn er einmal vorausgesetzt hat, daß Götter sind, daß sie sich um dieMenschen bekümmern, daß sie mit ihnen umgehn, sohat er keine Schwierigkeit mehr, sich das übrige zuüberreden.


44 - Von den Trauerspielen /

Zum andern will die Einheit der Handlung nichtso viel sagen, als ob das Trauerspiel nicht mehr alseine einzige auf dem Schauplatze dürfe sehen lassen.Die Handlung die der Dichter zu seinem Stoffewählt, muß Anfang, Mitte und Ende haben,und diese drey Theile sind nicht nur eben so viel Handlungen, welche sich auf die Haupthandlung beziehen, sondern jeder von ihnen kann sogar mehr als eine, wenn sie nur mit einander nothwendig verbunden sind, enthalten. Es muß nur eine einzige vollständige Handlung seyn, welche denZuschauer beruhiget; vollständig aber kann sie durchnichts als durch andre unvollständige Handlungen werden, welche ihr gleichsam den Weg bahnen, und den Zuschauer in einer angenehmen Ungewißheit erhalten müssen. Dieses muß man besonders bey dem Schlusse jedes Aufzugs beobachten, damit die Hand von den drey Einheiten. 547lung nicht unterbrochen wird. Es ist eben nicht nothwendig, daß man genau wisse, was jede spielende Person in den Zwischenräumen, welche die Aufzüge von einander absondern, thue; man braucht nicht einmal zu wissen, daß sie etwas, während der Zeit, da sie nicht auf dem Schauplatze sind, thun. Allein das ist nothwendig, daß in jedem Aufzuge etwas vorkomme, welches uns auf das, was in dem anderngeschehen soll, begierig macht.


45 - Von den Trauerspielen /

Wann ich sage, daß man nicht von dem Rechnung zu geben brauche, was die Personen während der Zeit thun, da sie nicht auf der Bühne sind, so will ich da mit nicht leugnen, daß es nicht manchmal sehr gut sey, wenn man Rechnung davon giebt; sondern ich sage nur, daß man nicht darzu verbunden ist, und daß man sich keine Mühe darum geben darf, wenn die Zuschauer das, was hinter der Bühne geschieht, nicht nothwendig wissen müssen, um das zu verstehen, was vor ihren Augen geschehen soll. Ich sage also nicht, was Cleopatra vom zweyten bis zum vierten Aufzuge gethan hat, weil sie während der Zeit nichts kann gethan haben, was in die Haupthandlung, die ich vorbereite, einen Einfluß hätte: ich sage es aber gleich in den ersten Versen des fünften Aufzuges, daß sie die Zeit zwischen den zwey letzten Aufzügen ange wendet hat, den Seleucus umzubringen, weil dieser Tod ein Theil der Handlung ist. Dieses giebt mir Gelegenheit anzumerken, daß der Poet nicht verbun den ist, alle besondre Handlungen, welche zur Haupt handlung führen, dem Zuschauer vor Augen zu stellen. Er muß nur diejenigen wählen, welche am angenehm sten zu sehen sind, entweder wegen des prächtigen An blicks, oder wegen der Stärke der Leidenschaften, die sie hervorbringen, oder auch einer andern Schönheit wegen, die damit verbunden ist: die übrigen muß er von den drey Einheiten. 549hinter die Bühne verbergen, und dem Zuschauer durch eine Erzählung oder durch einen andern Kunstgriff davon Nachricht geben. Vor allen Dingen muß er wohl bedenken, daß sowohl diese als jene in solcher Verbindung mit einander stehen müssen, daß immer die letzten die Wirkungen der vorhergehenden sind, und alle aus der Anlage, welche der erste Aufzug ent halten muß, fließen. Ob diese Regel, die ich also bald in der ersten Abhandlung feste gesetzt habe, gleich neu, und wider die Gewohnheit der Alten ist, so hat sie doch in zwey Stellen des Aristoteles ihren Grund. Die erste ist diese: Es ist, saget er, ein großer Unterschied unter den Begebenheiten, die von einander verursacht werden. Die Mohren kommen im Cid nach dem Tode des Grafen, nicht aber wegen dieses Todes; und der Fischer kommt in dem D. Sancho, nachdem man vermuthet, Carlos sey der arragonische Prinz, nicht aber weil man es vermu thet, und also sind beyde zu verwerfen. Die andre Stelle ist noch entscheidender, und sagt mit ausdrück lichen Worten, daß alles was in dem Trauerspie le vorfällt, nothwendiger oder wahrscheinli er Weise aus dem vorhergegangenen folgen muß.