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16 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wir wissen, daß die Alten den Takt auf ihren Theatern schlugen, und auf diese Art denRithmus bemerkten, dem der Schauspieler, welcher recitirte, der Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, die Chöre und so gar die Instrumente, als einer ihnen allen gemeinen Regelfolgen mußten. Nachdem Quintilian gesagt, daßdie Gebehrden dem Takte eben so wohl unterworfen wären, als die Gesänge selbst; so fügt er hinzu, daß die Schauspieler, welche die Gebehrdenmachen, den Zeichen, welche mit den Füssen gegeben würden, das ist, dem Schlagen des Takts, eben so genau folgen müßten, als ihm diejenigenfolgen, welche die Modulation ausführen. Unter diesen versteht er die Schauspieler, welche recitiren, und die Instrumente, welche sie accompagniren. Atqui corporis motui sua quædamtempora, & ad signa pedum non minus saltationi quam modulationibus adhibet ratio musica numeros.


17 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

„Es geschieht vermöge der Gesetze der Natur,sagt eben derselbe Verfasser, den wir jezt angeführt haben, an einem andern Orte, daßdie Töne und der Takt einen solchen Eindruck auf uns machen. Wenn dieses nicht wäre, wie könnten die Symphonien, bey welchenwir gar kein Wort zu hören bekommen, unsgleichwohl nach ihrem Willen bewegen, so wiesie es wirklich thun? Will man es einem blossenZufalle zuschreiben, wenn an fästlichen Täge gewisse Symphonien die Einbildungskrafterhitzen, und die Geister in Bewegung bringen,anstatt daß andre sie besänftigen und stillen?Ist es nicht augenscheinlich, daß diese Symphonien nur deswegen solche verschiedene Wirkungen hervorbringen, weil jede derselben voneinem besondern Charakter ist? Die einenwurden gemacht, damit sie diese, und die an(*) Instit. lib. I. cap. 12.du Bos,dern, damit sie eine andre Wirckung hervorbrächten. Wenn die Truppen im Kriege anrücken sollen, so spielen die Instrumente einStück von einem ganz andern Charakter, alssie spielen, wenn sie sich zurückziehen sollen. Das Stück, welches unsre militarischen Instrumente alsdenn ertönen lassen, wenn um Gnadegebeten werden soll, gleicht demjenigen gar nicht, welches alsdenn erklingt, wenn der Anfall vorsich geht. (*) Natura ducimur ad modos, neque aliter enim eveniret ut illi quoque organorum soni, quamquam verba non exprimunt, in alios atque alios ducerent motus auditorem. In certaminibus sacris, non eadem ratione concitant animos & remittunt, nec eosdem modos adhibent cum bellicum est canendum, autposito genu supplicandum, nec idem signorumconcentus est procedente ad prælium exercitu, idem receptui canente. Da die Alten keinFeuergeschoß hatten, durch deren Knall die Soldaten wären verhindert worden, während demTreffen, den Klang der Instrumente zu hören,deren man sich in gedoppelter Absicht, Theilsihnen das Kommando dadurch zu wissen zu thun,Theils sie aufzumuntern, bediente; so wendetendie Alten auf diesen Theil der Kriegskunst einebesondere Aufmerksamkeit, und stellten Untersuchungen darüber an, die heut zu Tage völligunnütze seyn würden. Der Knall der Kanonen(*) Inst. lib. IX. cap. 4.von den theatr. Vorstell. der Alten.des kleinen Geschützes verhindert oft, das Zeichenzu hören, welches eine Menge schlagender Tambours, und eben so viele blasende Trompeter mitvereinten Kräften geben. Die Römervornehmlich liessen es sich ganz besonders angelegenseyn, in der militairischen Musik etwas vorzügliches zu leisten.


18 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Die Tonkünstler des Alterthums, sagt Boethius, damit sie sich die Mühe ersparen möchten, den ganzen Namen einer jeden Note zuschreiben, haben gewisse Zeichen erfunden, deren jedes einen besondern Ton bedeutet, unddiese Monogrammata haben sie nach Geschlechtern und Arten eingetheilt. Wenn also einComponist einen Gesang über Verse schreibenwill, deren Abmessung durch den Werth derlangen und kurzen Sylben, aus welchen dieFüsse derselben bestehen, bereits bestimmt ist;so hat er weiter nichts zu thun, als seine Noten über die Verse zu setzen. Und solcher Gestalt hat der menschliche Fleiß nicht nur ein Mittel gefunden, die Worte und die Declamationzu schreiben, sondern auch eine jede Art des von den theatr. Vorstell. der Alten.Gesangs, vermittelst der Zeichen, die Nachwelt zu lehren.

19 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Nach dem Bryennius ward die Declamationdurch die Accente componirt; und folglich mußteman sich, um sie in Noten zu schreiben, ebenderselben Zeichen bedienen, mit welchen mandie Accente bemerkte. Nun aber hatten die Alten acht oder zehn Accente, und eben so viel verschiedene Zeichen, sie zu bemerken.


20 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Es wird schwerlich eine Declamation geben, die man nicht mit zehn verschiednen Zeichen,deren jedes eine besondere Beugung der Stimmeandeutet, sollte in Noten schreiben können; undda man die Anstimmung dieser Accente, wennman lesen lernte, zugleich mit lernte, so war fastkein Mensch, der diese Art von Noten nichtsollte verstanden haben. Dieses vorausgesetztkann man sich gar leicht die Vortheile vorstellen, deren sich die Alten bey der Componirung undAusführung ihrer Declamation bedienten. Derh. Augustinus hat also mit Recht gesagt, daßer davon nicht handeln wolle, weil es Dingewären, welche auch der allerschlechteste Komödiant verstünde. Der Takt lag gleichsam schonin den Versen selbst. Der Componist durfte du Bos,sie nur accentuiren und die Bewegung des Taktsvorschreiben; nachdem er dasjenige, was das accompagnirende Instrument spielen sollte, in eineganz einfache und leicht auszuführende Partiegebracht hatte.


21 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wie aber die Melodie, welche ein eigentlichsogenannter Gesang war, geschrieben wurde; das wissen wir ganz genau. Das allgemeineSystem, oder wie es Boethius nennt, die Constitution der alten Musik, war, nach dem Martianus Capella, (*) in achtzehn Klänge eingetheilt, deren jeder seinen besondern Namen hatte. Wir brauchen hier eben nicht zu erklären, daßverschiedne von diesen Klängen im Grunde einerley seyn konnten. Den einen nennte man Prostambemenos &c. Damit man nun nicht, wieBoethius sagt, den ganzen Namen eines jedenKlanges über die Worte zu schreiben brauchte, welches fast unmöglich würde gewesen seyn, sohatte man gewisse Charaktere oder Arten vonFiguren erfunden, deren jede einen gewissen Tonandeutete. Diese Figuren wurden σημεια oderZeichen genennt. Eigentlich bedeutet das Wortσημεια alle Zeichen überhaupt; hernach aberhat man es zu der besondern Benennung derjenigen Noten und Figuren, wovon hier die Rede ist, gemacht. Alle diese Figuren bestandenaus einem Manogramma, welches der Anfangsbuchstabe des eigentlichen Namens war, den(*) De nuptiis Philolog.von den theatr. Vorstell. der Alten.jeder von den achtzehn Klängen des allgemeinenSystems führte. Diese achtzehn Anfangsbuchstaben nun, obgleich einige derselben einerleywaren, waren solcher Gestalt verzeichnet, daß sieunzuverwechselnde Menogrammata ausmachten. Boethius hat uns die Figuren dieser Monogrammen aufbehalten.


22 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Auch Isaac Voßius merkt verschiedneWerke der Alten an, aus welchen man sehenkönne, wie man zu ihren Zeiten die musikalischenGesänge in Noten geschrieben habe. Meibomspricht gleichfalls an verschiednen Orten seinerschon oft angeführten Sammlung davon; besonders aber in der Vorrede, wo er das Te Deum,so wohl nach der Tablatur der Alten, als auch inneuen Noten, mittheilet. Ich will also nurbloß anmerken, daß die Zeichen, oder σημεια,welche so wohl bey der Vocal als Instrumental-Musik gebraucht wurden, über die Worte geschrieben, und auf zwey Linien gestellt wurden, deren oberste für den Gesang und die unterstefür das Accompagnement waren. Diese Linienwaren nicht viel dicker als die Linien einer ordentlichen Schrift. Wir haben so gar noch einigegriechische Handschriften, in welchen man diesezwey Arten von Noten, so wie ich sie jetzt erklärthabe, geschrieben findet. Aus ihnen hat mandie Hymnen an die Kolliope, an die Nemesis,(*) Geschichte der Akademie der schönen Wissenschaften. 5ter Theil. du Bos,und an den Apollo, desgleichen auch die Strophe aus einer der Pindarischen Oden gezogen, dieuns Herr Burette in alten und neuen Notenmitgetheilet hat.


23 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Es erhellet also ganz deutlich, daß der Gesang der dramatischen Stücke, welche auf denBühnen der Alten recitirt wurden, weder Passagen, noch Vorschlag, noch Triller, nochsonst einen von diesen Zeichen des musikalischen Gesanges gehabt habe; sondern miteinem Worte, daß dieser Gesang eine Declamation, so wie die unsrige, gewesen sey Gleichwohl aber war diese Recitation componirt, weilsie von dem Generalbasse unterstützt ward, dessen Geräusche, allem Ansehen nach, dem Geräusche gemäß eingerichtet war, welches ein Menschim declamiren macht. Denn das Geräusch, welches ein Mensch im declamiren macht, istnicht so stark und durchdringend, als das Geräusch, welches eben dieselbe Person im Singenmachen würde. Vors erste erschüttert man imdeclamiren die Luft nicht so stark, als im Singen. von den theatr. Vorstell. d. Alten.Vors zweyte brechen wir im Declamiren die Luftnicht immer gegen so elastische Theile, die sieeben so stark herauspressen könnten, als diejenigen Theile sind, gegen welche wir sie im Singen brechen. Nun aber erschallt die Luft mehroder weniger, nachdem sie mehr oder weniger istgepreßt worden. Und dieses eben, um es imVorbeygehen zu erinnern, ist die Ursache, warum die Stimme der italiänischenTonkünstler deutlicher zu vernehmen ist, als die Stimmeder französischen Tonkünstler. Die italiänischenTonkünstler formiren nehmlich in den knorplichten Theilen der Gurgel selbst verschiedne Töne, welche die französischen Tonkünstler nicht andersals durch Hülfe der innern Backen völlig formiren können.


24 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Man wird leicht begreiffen, wie die Alten dieDeclamation, und so gar die Declamation der(*) Quint. Inst. lib. II. c. 3.du Bos,Komödien, componiren können, wenn man nurüberlegt, daß in ihrer Musik die Fortschreitungen durch noch kleiner Intervalla geschehen konnten, als die allerkleinsten sind, deren wir uns inunsrer Musik bedienen. Was aber die Art, wiediese Declamation geschrieben worden, anbelangt, so haben wir bereits in dem vierten Abschnitte gesehen, daß es wahrscheinlicher Weise vermittelst der Zeichen der Accente geschehen sey.


25 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Andern Theils aber verlohren die Zuschauerdurch diese Masken das Vergnügen die Leidenschaften entstehen zu sehen, und auf den Gesichtern der Schauspieler ihre verschiednen Symptomata wahr zu nehmen. Alle die Ausdrücke eines Menschen, der im Affecte ist, rühren unszwar, allein die Zeichen der Leidenschaften, dieauf dem Gesichte sichtbar werden, rühren unsweit mehr, als die Zeichen der Leidenschaft, diesich uns durch die Gebehrden und durch die Stimmeempfindbar machen. Dominatur maximevultus, sagt Quintilian. (*)


26 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Gleichwohl konnten die Schauspieler der Altendie Zeichen der Leidenschaften auf ihren Gesich(*) Quint. lib. XI. cap. 3.du Bos,tern nicht sichtbar machen. Sie legten die Masken nur sehr selten ab, und eine Art von Komödianten legte sie ganz und gar nicht ab. Wirsind es zwar wohl zufrieden, daß uns unsre jetzigen Komödianten die Helfte der Zeichen derLeidenschaften, welche auf dem Gesichte ausgedrückt werden können, verbergen; denn dieseZeichen bestehen eben so wohl in den Veränderungen der Gesichtsfarbe, als in den Veränderungen der Gesichtszüge. Die Schminke aber, mitder sich seit zwanzig Jahren auch die Mannspersonen bemahlen, ehe sie auf die Bühne treten, verhindert uns, die Veränderungen der Farbewahr zu nehmen, welche in der Natur einen sogrossen Eindruck auf uns machen. Allein dieMaske der alten Komödianten verbarg auch zugleich die Veränderung der Gesichtszüge, welcheuns die Schminke noch sehen läßt.


27 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Doch aber wissen wir noch genug davon, umüberzeugt zu seyn, daß die Masken den altenKomödianten dazu nützlich waren, daß sie in denweitläuftigen Schauplätzen, welche keine festeBedeckung hatten, und in welchen viele Zuschauer von der Scene, auf welcher gespieltwurde, auf zwölf Toisen entfernt waren, überallverstanden werden konnten. Uebrigens, wiewir schon angemerkt haben, verlohren die Zuschauer durch die Masken sehr wenig, weil dreyViertheile derselben, die Wirkungen der Leidenschaften auf den Gesichtern der Komödiantennicht würden haben wahrnehmen können, wevon den theatr. Vorstell. der Alten.nigstens so deutlich nicht, daß sie ihr Vergnügenvermehret hätten. Diese Ausdrücke gehen demGesichte in einer Entfernung verlohren, in welcher es noch gar wohl das Alter und die übrigenvornehmsten Züge des Charakters auf einer Maske erkennen kann. Es müßte eine schrecklicheGrimasse seyn, die Zuschauern in einer Entfernung von fünf bis sechs Toisen noch sichtbarseyn sollte. Ich will eine Anmerkung auch nochmals wiederhohlen; daß nehmlich die alten Komödianten, nicht, wie unsere, bey dem Scheineeines künstlichen Lichts, welches von allen Seiten leuchtet, sondern beym Tageslichte gespielthaben, welches auf einer Scene, wo der Tagbeynahe nur von oben herein fiel, sehr vieleSchatten lassen mußte. Nun aber erfordert dieGenauigkeit der Declamation, daß die Veränderung der Gesichtszüge, in welcher der Ausdruck bestehet, oft nur sehr wenig bemerkt werden darf; welches besonders alsdenn geschieht, wenn der Schauspieler wider Willen einige Zeichen der Leidenschaften entwischen lassen muß.Wir haben also Grund, unsere Schauspielermit unverdeckten Gesichtern spielen zu lassen, und die Alten thaten nicht unrecht, daß sie ihrenSchauspielern Masken gaben. Ich komme aufmeine Materie wieder zurück.


28 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Derjenige also, welcher ohne zu reden etwasmehr als eine leidende Beschaffenheit, deutlichausdrücken will, muß zu solchen Bezeigungenund solchen künstlichen Gebehrden seine Zufluchtnehmen, welche ihre Bedeutung nicht von derNatur, sondern von der Abrede der Menschen du Bos,haben. Zum Beweise, daß sie nichts als künstlicheZeichen sind, dient dieses, daß sie, wiedie Worte, nur in einem gewissen Lande verstanden werden. Die allereinfachsten von diesenGebehrden sind nur in einer gewissern Gegendverständlich, und anderwärts bedient man sich, eben dieselbe Sache auszudrücken, ganz andererZeichen. Zum Exempel die Gebehrde mit derHand, welcher man sich in Frankreich, jemanden zu ruffen, bedient, ist nicht eben die Gebehrde, die man in Italien zu gleicher Absicht braucht.Wenn der Franzose jemanden durch ein Zeichenzu sich ruffen will, so hebt er die rechte Hand indie Höh, und führt sie mit in die Höh gerichteten Fingern verschiedne mal gegen seinen Körper; der Italiäner hingegen, um eben dieses Zeichenzu machen, läßt die rechte Hand sinken undkehrt die Finger derselben gegen die Erde. Inverschiedenen Ländern grüßt man auf verschiedeneArt. Das Bezeigen und die Gebehrden also,deren sich ein Mensch bedienet, der entwedernicht reden will, oder nicht reden kann, sindnicht durchaus eben dieselben, deren man sich inReden bedient. Derjenige, welcher mit Zeichen, ohne ein einziges Wort hören zu lassen,sagen will, eben jetzt ist mein Vater gestorben,muß den Worten, die er nicht gesagt, durch studirte Zeichen zu Hülfe kommen, die von denjenigen ganz unterschieden sind, die er beym Reden machen würde. Diese Zeichen kann man von den theatr. Vorstell. der Alten.künstliche, oder, mit der Logik zu reden, willkührliche Zeichen nennen. Denn die Logik, wie bekannt ist, theilt alle Zeichen in zwey Gattungen, in natürliche Zeichen nehmlich und in willkührliche. Der Rauch, lehret sie, ist ein natürlichesZeichen des Feuers; aber die Krone ist nur einwillkührliches Zeichen, ein Sinnbild der königlichen Würde. Auf gleiche Weise macht derjenige, welcher sich vor die Brust schlägt, eine natürliche Gebehrde, welche eine plötzliche Gemüthserschütterung anzeigt; und derjenige, welcher mit Gebehrden eine mit der königlichen Binde gezierte Stirn beschreibt, macht nur eine willkührliche Gebehrde, von welcher man eins geworden ist, daß sie ein gekröntes Haupt anzeigen soll.


29 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Derjenige also, welcher ohne zu reden etwasmehr als eine leidende Beschaffenheit, deutlichausdrücken will, muß zu solchen Bezeigungenund solchen künstlichen Gebehrden seine Zufluchtnehmen, welche ihre Bedeutung nicht von derNatur, sondern von der Abrede der Menschen du Bos,haben. Zum Beweise, daß sie nichts als künstlicheZeichen sind, dient dieses, daß sie, wiedie Worte, nur in einem gewissen Lande verstanden werden. Die allereinfachsten von diesenGebehrden sind nur in einer gewissern Gegendverständlich, und anderwärts bedient man sich, eben dieselbe Sache auszudrücken, ganz andererZeichen. Zum Exempel die Gebehrde mit derHand, welcher man sich in Frankreich, jemanden zu ruffen, bedient, ist nicht eben die Gebehrde, die man in Italien zu gleicher Absicht braucht.Wenn der Franzose jemanden durch ein Zeichenzu sich ruffen will, so hebt er die rechte Hand indie Höh, und führt sie mit in die Höh gerichteten Fingern verschiedne mal gegen seinen Körper; der Italiäner hingegen, um eben dieses Zeichenzu machen, läßt die rechte Hand sinken undkehrt die Finger derselben gegen die Erde. Inverschiedenen Ländern grüßt man auf verschiedeneArt. Das Bezeigen und die Gebehrden also,deren sich ein Mensch bedienet, der entwedernicht reden will, oder nicht reden kann, sindnicht durchaus eben dieselben, deren man sich inReden bedient. Derjenige, welcher mit Zeichen, ohne ein einziges Wort hören zu lassen,sagen will, eben jetzt ist mein Vater gestorben,muß den Worten, die er nicht gesagt, durch studirte Zeichen zu Hülfe kommen, die von denjenigen ganz unterschieden sind, die er beym Reden machen würde. Diese Zeichen kann man von den theatr. Vorstell. der Alten.künstliche, oder, mit der Logik zu reden, willkührliche Zeichen nennen. Denn die Logik, wie bekannt ist, theilt alle Zeichen in zwey Gattungen, in natürliche Zeichen nehmlich und in willkührliche. Der Rauch, lehret sie, ist ein natürlichesZeichen des Feuers; aber die Krone ist nur einwillkührliches Zeichen, ein Sinnbild der königlichen Würde. Auf gleiche Weise macht derjenige, welcher sich vor die Brust schlägt, eine natürliche Gebehrde, welche eine plötzliche Gemüthserschütterung anzeigt; und derjenige, welcher mit Gebehrden eine mit der königlichen Binde gezierte Stirn beschreibt, macht nur eine willkührliche Gebehrde, von welcher man eins geworden ist, daß sie ein gekröntes Haupt anzeigen soll.


30 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wie haben es aber, wird man sagen, die Alten dahin gebracht, daß sie diese Methoden schriftlich verfassen und Zeichen und Charakter erfindenkonnten, welche alle Stellungen und Bewegungen des Körpers ausdrückten? Ich weis es nicht; allein die Choregraphie des Feuillee, von welcherich gesprochen habe, zeiget hinlänglich, daß dieSache möglich gewesen. Man muß eben sowohl aus Zeichen lernen können, welche Gebehrde man machen solle, als man es aus Zeichen lernen kann, welche Schritte und Figurenman machen müsse. Dieses aber ist es, wasdas Buch des Feuillee lehret,