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46 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

von der Erkenntniß, nach demselbigen Geist. Einem andern der Glaube in demselbigen Geist; einem andern die Gabe gesund zu machen, in demselbigen Geist. Einem andern Wunder zu thun, einem andern Weissagung, einem andern Geister zu unterscheiden, einem andern mancherley Sprachen, einem andern die Sprachen auszulegen. Dieß aber alles wirkt derselbige einige Geist, und theilt einem jeglichen seines zu, nachdem er will

47 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn gleicher Absicht erzählt Hippokrates, (in dem Briefe an den Damaget) daß er

*) Man muß wissen, wie weit sich die Grenzen jeder Wissenschaft erstrecken, und welche Fragen dahin einschlagen.

einstmals jenen grossen Weltweisen, den Demokrit, besucht, und sich mit ihm von den Meynungen unterredet habe, die der Pöbel von der Arzeneykunst heget, indem er, sobald er sich gesund siehet, behauptet, GOtt habe ihn gesund gemacht, ohne dessen Willen die geschickteste Sorgfalt des Arztes ganz umsonst wäre. Diese Art zu urtheilen ist so alt, und so unzähligmal von den Naturforschern widerlegt worden, daß es sehr überflüssig, ja einigermassen nachtheilig seyn würde, wenn ich mich, hier sie gänzlich abzuschaffen, bemühen wollte: weil es in der That besser ist, daß der Pöbel, der die nächsten Ursachen einer jeden Wirkung nicht weiß, die allgemeine Ursache, den Willen GOttes anführet, als daß er eine Ungereimtheit vorbringt. Unterdessen habe ich mich doch, mehr als einmal, den Grund auszuforschen bestrebt, warum das gemeine Volk so gar gerne alle Dinge gleich GOtt zuschreibt, die Natur verläßt, und alle natürliche Mittel, deren sich die Allmacht bedient, übersieht. Jch weiß nicht, ob ich es getroffen habe; so viel aber läßt sich leicht begreiffen, daß der Pöbel, weil er nicht weiß, welche Wirkungen er unmittelbar GOtt, und welche er der Natur zuschreiben soll, beynahe gedrungen ist, so zu reden. Erstlich, weil die Menschen größtentheils sehr ungeduldig sind. Sie sehen nichts lieber, als wenn das, was sie verlangen, sogleich geschieht, und haben selten kaltes Blut genug, die natürlichen Mittel ruhig abzuwarten, welche sich sehr weit erstrecken, und ihre Wirkungen nur mit der Folge der Zeit äussern. Sie wissen, daß GOtt allmächtig ist, und daß er in einem Augenblicke alles schaffen kann, was er will; und nach den Beyspielen, welche ihnen ihr Gedächtniß darbietet, verlangen sie eben so unmittelbar gesund, wie der Gichtbrüchtige; weise, wie Salomo; reich, wie Hiob; und, wie David, von ihren Feinden befreyet zu werden. Zweytens sind wir Menschen ein vermessenes und stolzes Geschöpfe. Es giebt nicht wenige, welche sogar verlangen, GOtt solle ihnen eine besondere Gnade, nicht eine so allgemeinnützige erzeigen, als etwa der Gebrauch der Sonne ist, die er über Gute und Böse aufgehen läßt; weil ihnen die Wohlthaten desto grösser scheinen, je wenigern sie erwiesen werden. Daher kömmt es, daß gewisse Leute Oertern, welche der Andacht gewidmet sind, Wunder, die daselbst geschehen seyn sollen, andichten. Der Pöbel besucht sie, und er verehrt sie als Personen, mit welchen GOtt eine besondre Rechnung hat, und theilt ihnen, wenn sie arm sind, reichliche Allmosen mit, so, daß ihr Aberglaube jenen zum Wucher wird. Drittens sind die Menschen sehr zur Bequemlichkeit geneigt; die natürlichen Ursachen aber sind so geordnet und so an einander gekettet, daß man nicht ohne Mühe zu ihren Wirkungen gelangen kann. Sie wollen also, daß GOtt mit ihnen nach seiner Allmacht handle, und daß ihre Wünsche oh ne ihren Schweiß erfüllt werden. Der Bosheit derjenigen will ich hier nicht gedenken, welche von GOtt Wunder verlangen, um seine Allmacht auf die Probe zu stellen, und zu sehen, ob er sie thun kann; oder um Feuer vom Himmel und andre grausame Strafen bitten, ihr rachbegieriges Herz zu befriedigen. Endlich will der größte Theil des Pöbels sehr fromm seyn. Er dringt auf die Verherrlichung GOttes, und glaubt, daß diese weit eher durch Wunder, als durch natürliche Wirkungen erlangt werde. Er weiß aber nicht, daß GOtt nur alsdenn übernatürliche Begebenheiten verrichtet, wenn er seine Allmacht an denjenigen, die sie nicht erkennen, beweisen, oder seine Lehre bestärken will; und daß ausser diesen Fällen sich GOtt natürlicher Mittel bedient. *) Dieses läßt sich leichtlich daher begreifen, weil GOtt heut zu Tage keine Wunder mehr thut, wie er in dem alten Testamente und zu Anfange des neuen gethan hat. Er thut sie aber deßwegen nicht mehr, weil er nunmehr auf seiner Seite alle Vorsorge angewandt hat, daß die Menschen ihre Unwissenheit nicht mehr vorwenden können. Zu glauben aber, GOtt werde eben die Beweise noch einmal führen, und werde seine Lehre mit neuen Wundern, z. E. durch Erweckung der

*) Und der Herr wirkte mit ihnen, und bekräftigte ihr Wort durch mitfolgende Zeichen. Marci am letzten.

Todten, durch Sehendmachung der Blinden, durch Heilung der Lahmen nnd Gichtbrüchtigen, aufs neue bestärken, ist ein sehr grosser Jrrthum, weil GOtt, was den Menschen zu wissen nöthig ist, nur einmal lehrt, und nur einmal mit Wundern beweiset, ohne sie jemals zu wiederholen. *) Jch weiß kein Merkmal, aus welchem man sicherer schliessen könnte, daß ein Mensch keine Fähigkeit zur Naturlehre habe, als wenn man siehet, daß er geneigt ist, aus allen Sachen ohne Unterschied Wunderwerke zu machen: da man im Gegentheile demjenigen, welcher nicht eher ruhet, als bis er die besondre Ursache einer Wirkung entdecket hat, das dazu erforderliche Genie sicher zutrauen kann. Dieser weiß, daß es Wirkungen giebt, mit welchen man unmittelbar auf GOtt zurück gehen muß, dergleichen die Wunder sind; daß es aber weit mehrere giebt, die ihre bestimmten Ursachen haben, die man also aus der Natur erklären muß, ob man gleich in diesem Falle sowohl als in jenem nur GOtt zum ersten Urheber angiebt. Wenn daher Aristoteles sagt: GOtt und die Natur thun nichts umsonst; so ist seine Meynung nicht, als wäre die Natur eine von GOtt abgesonderte und mit ihm gleich allgemeine Ursache. Er verstehet vielmehr unter der Natur diejenige Ordnung, welche GOtt in der Welt festgesetzt hat, und

*) Semel loquitur Deus, et secundo id ipsum non repetit. Hiob 33, 14.

nach welcher die Ursachen und Wirkungen so verbunden sind, als es die Erhaltung der Welt erfordert. Auf eben die Art sagt man: der König und das Gesetz thun niemanden Unrecht. Hier heißt das Gesetz nicht etwas gewisses, welches mit dem Könige, ohne von ihm abzuhängen, die oberste Gewalt zugleich führet; sondern es ist nichts, als der Name, welcher alle Gesetze und Verordnung unter sich begreift, die der König zur Erhaltung der Ruhe in seinemStaate hat bekannt machen lassen. Wie sich also der König gewisse Fälle vorbehalten hat, welche durch das Gesetz nicht entschieden werden können, weil sie allzu besonders und wichtig sind; eben so hat sich GOtt die wunderbaren Wirkungen vorbehalten, welchen er natürliche Ursachen weder geben konnte, noch wollte. Hier muß man aber wohl merken, daß es nur eine Sache für einen sehr grossen Naturforscher sey, die übernatürlichen Wirkungen zu erkennen, und sie von den natürlichen zu unterscheiden, weil er die bestimmten Ursachen aller und jeder Wirkungen kennen muß; welches aber gleichwohl noch nicht genug ist, wenn nicht die rechtgläubige Kirche dasjenige, was er für Wunder erkennet, gleichfalls für Wunder annimmt. DieNaturlehrer müssen eben das thun, was die Rechtsgelehrten thun. *) Diese lesen das bürgerliche

*) Die Unwissenheit in der Naturlehre macht Wunder, wo keine sind.

Gesetz und drücken es ihrem Gedächtnisse fest ein, damit sie in dem oder jenem Falle untrüglich wissen mögen, was des Königs Wille sey; jene bestreben sich die Ordnung und Folge zu erkennen, welche GOtt, gleich von dem ersten Tage der Schöpfung an, in der Welt feststellte, damit sie die Art einsehen können, nach welcher er eine Wirkung aus der andern hat wollen entspringen lassen. Wie es also sehr lächerlich wäre, wenn ein Rechtsgelehrter in seinen Schriften als etwas ausgemachtes anführte, der König wolle diesen oder jenen Fall so und nicht anders entschieden wissen, ohne das Gesetz zu nennen, nach welchem er entschieden werden muß; eben so lächerlich kömmt es den Naturforschern vor, wenn sie jemanden sagen hören: dieses oder jenes Werk ist von GOtt, ohne daß er die Reihe der besondern Ursachen, aus welchen es entspringen kann, angiebt. Und wie der König denjenigen nicht erhören will, welcher von ihm die Abschaffung eines gerechten Gesetzes, oder die Entscheidung eines Falles wider die Art, nach welcher er will, daß in den Gerichten entschieden werden soll, bittet; so will auch GOtt denjenigen nicht erhören, welcher ohne Noth Wunder oder Thaten, die in dem Zusammenhange der Welt ihren Grund nicht haben, verlangt. Denn obgleich ein König fast alle Tage Gesetze giebt und aufhebt, und die gerechtlichen Verfahrungen ändert, theils, weil sich die Umstände der Zeit ändern, theils, weil die menschliche Klug heit viel zu schwach ist, als daß sie gleich auf das erstemal alles nach der schärfsten Wahrheit und Gerechtigkeit anordnen sollte; so hat doch der einmal von GOtt festgesetzte Zusammenhang, nach welchem in der Welt eins aus dem andern folgt, und welchen wir die Natur nennen, nicht nöthig, daß er nur in dem geringsten Stücke aufgehoben oder verändert werde, weil ihn GOtt mit einer so unendlichen Weisheit angeordnet hat, daß derjenige, welcher von ihm etwas ausser und wider diesen Zusammenhang zu thun bittet, durch diese Bitte sein Werk für unvollkommen erkläret.


48 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn gleicher Absicht erzählt Hippokrates, (in dem Briefe an den Damaget) daß er

*) Man muß wissen, wie weit sich die Grenzen jeder Wissenschaft erstrecken, und welche Fragen dahin einschlagen.

einstmals jenen grossen Weltweisen, den Demokrit, besucht, und sich mit ihm von den Meynungen unterredet habe, die der Pöbel von der Arzeneykunst heget, indem er, sobald er sich gesund siehet, behauptet, GOtt habe ihn gesund gemacht, ohne dessen Willen die geschickteste Sorgfalt des Arztes ganz umsonst wäre. Diese Art zu urtheilen ist so alt, und so unzähligmal von den Naturforschern widerlegt worden, daß es sehr überflüssig, ja einigermassen nachtheilig seyn würde, wenn ich mich, hier sie gänzlich abzuschaffen, bemühen wollte: weil es in der That besser ist, daß der Pöbel, der die nächsten Ursachen einer jeden Wirkung nicht weiß, die allgemeine Ursache, den Willen GOttes anführet, als daß er eine Ungereimtheit vorbringt. Unterdessen habe ich mich doch, mehr als einmal, den Grund auszuforschen bestrebt, warum das gemeine Volk so gar gerne alle Dinge gleich GOtt zuschreibt, die Natur verläßt, und alle natürliche Mittel, deren sich die Allmacht bedient, übersieht. Jch weiß nicht, ob ich es getroffen habe; so viel aber läßt sich leicht begreiffen, daß der Pöbel, weil er nicht weiß, welche Wirkungen er unmittelbar GOtt, und welche er der Natur zuschreiben soll, beynahe gedrungen ist, so zu reden. Erstlich, weil die Menschen größtentheils sehr ungeduldig sind. Sie sehen nichts lieber, als wenn das, was sie verlangen, sogleich geschieht, und haben selten kaltes Blut genug, die natürlichen Mittel ruhig abzuwarten, welche sich sehr weit erstrecken, und ihre Wirkungen nur mit der Folge der Zeit äussern. Sie wissen, daß GOtt allmächtig ist, und daß er in einem Augenblicke alles schaffen kann, was er will; und nach den Beyspielen, welche ihnen ihr Gedächtniß darbietet, verlangen sie eben so unmittelbar gesund, wie der Gichtbrüchtige; weise, wie Salomo; reich, wie Hiob; und, wie David, von ihren Feinden befreyet zu werden. Zweytens sind wir Menschen ein vermessenes und stolzes Geschöpfe. Es giebt nicht wenige, welche sogar verlangen, GOtt solle ihnen eine besondere Gnade, nicht eine so allgemeinnützige erzeigen, als etwa der Gebrauch der Sonne ist, die er über Gute und Böse aufgehen läßt; weil ihnen die Wohlthaten desto grösser scheinen, je wenigern sie erwiesen werden. Daher kömmt es, daß gewisse Leute Oertern, welche der Andacht gewidmet sind, Wunder, die daselbst geschehen seyn sollen, andichten. Der Pöbel besucht sie, und er verehrt sie als Personen, mit welchen GOtt eine besondre Rechnung hat, und theilt ihnen, wenn sie arm sind, reichliche Allmosen mit, so, daß ihr Aberglaube jenen zum Wucher wird. Drittens sind die Menschen sehr zur Bequemlichkeit geneigt; die natürlichen Ursachen aber sind so geordnet und so an einander gekettet, daß man nicht ohne Mühe zu ihren Wirkungen gelangen kann. Sie wollen also, daß GOtt mit ihnen nach seiner Allmacht handle, und daß ihre Wünsche oh ne ihren Schweiß erfüllt werden. Der Bosheit derjenigen will ich hier nicht gedenken, welche von GOtt Wunder verlangen, um seine Allmacht auf die Probe zu stellen, und zu sehen, ob er sie thun kann; oder um Feuer vom Himmel und andre grausame Strafen bitten, ihr rachbegieriges Herz zu befriedigen. Endlich will der größte Theil des Pöbels sehr fromm seyn. Er dringt auf die Verherrlichung GOttes, und glaubt, daß diese weit eher durch Wunder, als durch natürliche Wirkungen erlangt werde. Er weiß aber nicht, daß GOtt nur alsdenn übernatürliche Begebenheiten verrichtet, wenn er seine Allmacht an denjenigen, die sie nicht erkennen, beweisen, oder seine Lehre bestärken will; und daß ausser diesen Fällen sich GOtt natürlicher Mittel bedient. *) Dieses läßt sich leichtlich daher begreifen, weil GOtt heut zu Tage keine Wunder mehr thut, wie er in dem alten Testamente und zu Anfange des neuen gethan hat. Er thut sie aber deßwegen nicht mehr, weil er nunmehr auf seiner Seite alle Vorsorge angewandt hat, daß die Menschen ihre Unwissenheit nicht mehr vorwenden können. Zu glauben aber, GOtt werde eben die Beweise noch einmal führen, und werde seine Lehre mit neuen Wundern, z. E. durch Erweckung der

*) Und der Herr wirkte mit ihnen, und bekräftigte ihr Wort durch mitfolgende Zeichen. Marci am letzten.

Todten, durch Sehendmachung der Blinden, durch Heilung der Lahmen nnd Gichtbrüchtigen, aufs neue bestärken, ist ein sehr grosser Jrrthum, weil GOtt, was den Menschen zu wissen nöthig ist, nur einmal lehrt, und nur einmal mit Wundern beweiset, ohne sie jemals zu wiederholen. *) Jch weiß kein Merkmal, aus welchem man sicherer schliessen könnte, daß ein Mensch keine Fähigkeit zur Naturlehre habe, als wenn man siehet, daß er geneigt ist, aus allen Sachen ohne Unterschied Wunderwerke zu machen: da man im Gegentheile demjenigen, welcher nicht eher ruhet, als bis er die besondre Ursache einer Wirkung entdecket hat, das dazu erforderliche Genie sicher zutrauen kann. Dieser weiß, daß es Wirkungen giebt, mit welchen man unmittelbar auf GOtt zurück gehen muß, dergleichen die Wunder sind; daß es aber weit mehrere giebt, die ihre bestimmten Ursachen haben, die man also aus der Natur erklären muß, ob man gleich in diesem Falle sowohl als in jenem nur GOtt zum ersten Urheber angiebt. Wenn daher Aristoteles sagt: GOtt und die Natur thun nichts umsonst; so ist seine Meynung nicht, als wäre die Natur eine von GOtt abgesonderte und mit ihm gleich allgemeine Ursache. Er verstehet vielmehr unter der Natur diejenige Ordnung, welche GOtt in der Welt festgesetzt hat, und

*) Semel loquitur Deus, et secundo id ipsum non repetit. Hiob 33, 14.

nach welcher die Ursachen und Wirkungen so verbunden sind, als es die Erhaltung der Welt erfordert. Auf eben die Art sagt man: der König und das Gesetz thun niemanden Unrecht. Hier heißt das Gesetz nicht etwas gewisses, welches mit dem Könige, ohne von ihm abzuhängen, die oberste Gewalt zugleich führet; sondern es ist nichts, als der Name, welcher alle Gesetze und Verordnung unter sich begreift, die der König zur Erhaltung der Ruhe in seinemStaate hat bekannt machen lassen. Wie sich also der König gewisse Fälle vorbehalten hat, welche durch das Gesetz nicht entschieden werden können, weil sie allzu besonders und wichtig sind; eben so hat sich GOtt die wunderbaren Wirkungen vorbehalten, welchen er natürliche Ursachen weder geben konnte, noch wollte. Hier muß man aber wohl merken, daß es nur eine Sache für einen sehr grossen Naturforscher sey, die übernatürlichen Wirkungen zu erkennen, und sie von den natürlichen zu unterscheiden, weil er die bestimmten Ursachen aller und jeder Wirkungen kennen muß; welches aber gleichwohl noch nicht genug ist, wenn nicht die rechtgläubige Kirche dasjenige, was er für Wunder erkennet, gleichfalls für Wunder annimmt. DieNaturlehrer müssen eben das thun, was die Rechtsgelehrten thun. *) Diese lesen das bürgerliche

*) Die Unwissenheit in der Naturlehre macht Wunder, wo keine sind.

Gesetz und drücken es ihrem Gedächtnisse fest ein, damit sie in dem oder jenem Falle untrüglich wissen mögen, was des Königs Wille sey; jene bestreben sich die Ordnung und Folge zu erkennen, welche GOtt, gleich von dem ersten Tage der Schöpfung an, in der Welt feststellte, damit sie die Art einsehen können, nach welcher er eine Wirkung aus der andern hat wollen entspringen lassen. Wie es also sehr lächerlich wäre, wenn ein Rechtsgelehrter in seinen Schriften als etwas ausgemachtes anführte, der König wolle diesen oder jenen Fall so und nicht anders entschieden wissen, ohne das Gesetz zu nennen, nach welchem er entschieden werden muß; eben so lächerlich kömmt es den Naturforschern vor, wenn sie jemanden sagen hören: dieses oder jenes Werk ist von GOtt, ohne daß er die Reihe der besondern Ursachen, aus welchen es entspringen kann, angiebt. Und wie der König denjenigen nicht erhören will, welcher von ihm die Abschaffung eines gerechten Gesetzes, oder die Entscheidung eines Falles wider die Art, nach welcher er will, daß in den Gerichten entschieden werden soll, bittet; so will auch GOtt denjenigen nicht erhören, welcher ohne Noth Wunder oder Thaten, die in dem Zusammenhange der Welt ihren Grund nicht haben, verlangt. Denn obgleich ein König fast alle Tage Gesetze giebt und aufhebt, und die gerechtlichen Verfahrungen ändert, theils, weil sich die Umstände der Zeit ändern, theils, weil die menschliche Klug heit viel zu schwach ist, als daß sie gleich auf das erstemal alles nach der schärfsten Wahrheit und Gerechtigkeit anordnen sollte; so hat doch der einmal von GOtt festgesetzte Zusammenhang, nach welchem in der Welt eins aus dem andern folgt, und welchen wir die Natur nennen, nicht nöthig, daß er nur in dem geringsten Stücke aufgehoben oder verändert werde, weil ihn GOtt mit einer so unendlichen Weisheit angeordnet hat, daß derjenige, welcher von ihm etwas ausser und wider diesen Zusammenhang zu thun bittet, durch diese Bitte sein Werk für unvollkommen erkläret.


49 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn gleicher Absicht erzählt Hippokrates, (in dem Briefe an den Damaget) daß er

*) Man muß wissen, wie weit sich die Grenzen jeder Wissenschaft erstrecken, und welche Fragen dahin einschlagen.

einstmals jenen grossen Weltweisen, den Demokrit, besucht, und sich mit ihm von den Meynungen unterredet habe, die der Pöbel von der Arzeneykunst heget, indem er, sobald er sich gesund siehet, behauptet, GOtt habe ihn gesund gemacht, ohne dessen Willen die geschickteste Sorgfalt des Arztes ganz umsonst wäre. Diese Art zu urtheilen ist so alt, und so unzähligmal von den Naturforschern widerlegt worden, daß es sehr überflüssig, ja einigermassen nachtheilig seyn würde, wenn ich mich, hier sie gänzlich abzuschaffen, bemühen wollte: weil es in der That besser ist, daß der Pöbel, der die nächsten Ursachen einer jeden Wirkung nicht weiß, die allgemeine Ursache, den Willen GOttes anführet, als daß er eine Ungereimtheit vorbringt. Unterdessen habe ich mich doch, mehr als einmal, den Grund auszuforschen bestrebt, warum das gemeine Volk so gar gerne alle Dinge gleich GOtt zuschreibt, die Natur verläßt, und alle natürliche Mittel, deren sich die Allmacht bedient, übersieht. Jch weiß nicht, ob ich es getroffen habe; so viel aber läßt sich leicht begreiffen, daß der Pöbel, weil er nicht weiß, welche Wirkungen er unmittelbar GOtt, und welche er der Natur zuschreiben soll, beynahe gedrungen ist, so zu reden. Erstlich, weil die Menschen größtentheils sehr ungeduldig sind. Sie sehen nichts lieber, als wenn das, was sie verlangen, sogleich geschieht, und haben selten kaltes Blut genug, die natürlichen Mittel ruhig abzuwarten, welche sich sehr weit erstrecken, und ihre Wirkungen nur mit der Folge der Zeit äussern. Sie wissen, daß GOtt allmächtig ist, und daß er in einem Augenblicke alles schaffen kann, was er will; und nach den Beyspielen, welche ihnen ihr Gedächtniß darbietet, verlangen sie eben so unmittelbar gesund, wie der Gichtbrüchtige; weise, wie Salomo; reich, wie Hiob; und, wie David, von ihren Feinden befreyet zu werden. Zweytens sind wir Menschen ein vermessenes und stolzes Geschöpfe. Es giebt nicht wenige, welche sogar verlangen, GOtt solle ihnen eine besondere Gnade, nicht eine so allgemeinnützige erzeigen, als etwa der Gebrauch der Sonne ist, die er über Gute und Böse aufgehen läßt; weil ihnen die Wohlthaten desto grösser scheinen, je wenigern sie erwiesen werden. Daher kömmt es, daß gewisse Leute Oertern, welche der Andacht gewidmet sind, Wunder, die daselbst geschehen seyn sollen, andichten. Der Pöbel besucht sie, und er verehrt sie als Personen, mit welchen GOtt eine besondre Rechnung hat, und theilt ihnen, wenn sie arm sind, reichliche Allmosen mit, so, daß ihr Aberglaube jenen zum Wucher wird. Drittens sind die Menschen sehr zur Bequemlichkeit geneigt; die natürlichen Ursachen aber sind so geordnet und so an einander gekettet, daß man nicht ohne Mühe zu ihren Wirkungen gelangen kann. Sie wollen also, daß GOtt mit ihnen nach seiner Allmacht handle, und daß ihre Wünsche oh ne ihren Schweiß erfüllt werden. Der Bosheit derjenigen will ich hier nicht gedenken, welche von GOtt Wunder verlangen, um seine Allmacht auf die Probe zu stellen, und zu sehen, ob er sie thun kann; oder um Feuer vom Himmel und andre grausame Strafen bitten, ihr rachbegieriges Herz zu befriedigen. Endlich will der größte Theil des Pöbels sehr fromm seyn. Er dringt auf die Verherrlichung GOttes, und glaubt, daß diese weit eher durch Wunder, als durch natürliche Wirkungen erlangt werde. Er weiß aber nicht, daß GOtt nur alsdenn übernatürliche Begebenheiten verrichtet, wenn er seine Allmacht an denjenigen, die sie nicht erkennen, beweisen, oder seine Lehre bestärken will; und daß ausser diesen Fällen sich GOtt natürlicher Mittel bedient. *) Dieses läßt sich leichtlich daher begreifen, weil GOtt heut zu Tage keine Wunder mehr thut, wie er in dem alten Testamente und zu Anfange des neuen gethan hat. Er thut sie aber deßwegen nicht mehr, weil er nunmehr auf seiner Seite alle Vorsorge angewandt hat, daß die Menschen ihre Unwissenheit nicht mehr vorwenden können. Zu glauben aber, GOtt werde eben die Beweise noch einmal führen, und werde seine Lehre mit neuen Wundern, z. E. durch Erweckung der

*) Und der Herr wirkte mit ihnen, und bekräftigte ihr Wort durch mitfolgende Zeichen. Marci am letzten.

Todten, durch Sehendmachung der Blinden, durch Heilung der Lahmen nnd Gichtbrüchtigen, aufs neue bestärken, ist ein sehr grosser Jrrthum, weil GOtt, was den Menschen zu wissen nöthig ist, nur einmal lehrt, und nur einmal mit Wundern beweiset, ohne sie jemals zu wiederholen. *) Jch weiß kein Merkmal, aus welchem man sicherer schliessen könnte, daß ein Mensch keine Fähigkeit zur Naturlehre habe, als wenn man siehet, daß er geneigt ist, aus allen Sachen ohne Unterschied Wunderwerke zu machen: da man im Gegentheile demjenigen, welcher nicht eher ruhet, als bis er die besondre Ursache einer Wirkung entdecket hat, das dazu erforderliche Genie sicher zutrauen kann. Dieser weiß, daß es Wirkungen giebt, mit welchen man unmittelbar auf GOtt zurück gehen muß, dergleichen die Wunder sind; daß es aber weit mehrere giebt, die ihre bestimmten Ursachen haben, die man also aus der Natur erklären muß, ob man gleich in diesem Falle sowohl als in jenem nur GOtt zum ersten Urheber angiebt. Wenn daher Aristoteles sagt: GOtt und die Natur thun nichts umsonst; so ist seine Meynung nicht, als wäre die Natur eine von GOtt abgesonderte und mit ihm gleich allgemeine Ursache. Er verstehet vielmehr unter der Natur diejenige Ordnung, welche GOtt in der Welt festgesetzt hat, und

*) Semel loquitur Deus, et secundo id ipsum non repetit. Hiob 33, 14.

nach welcher die Ursachen und Wirkungen so verbunden sind, als es die Erhaltung der Welt erfordert. Auf eben die Art sagt man: der König und das Gesetz thun niemanden Unrecht. Hier heißt das Gesetz nicht etwas gewisses, welches mit dem Könige, ohne von ihm abzuhängen, die oberste Gewalt zugleich führet; sondern es ist nichts, als der Name, welcher alle Gesetze und Verordnung unter sich begreift, die der König zur Erhaltung der Ruhe in seinemStaate hat bekannt machen lassen. Wie sich also der König gewisse Fälle vorbehalten hat, welche durch das Gesetz nicht entschieden werden können, weil sie allzu besonders und wichtig sind; eben so hat sich GOtt die wunderbaren Wirkungen vorbehalten, welchen er natürliche Ursachen weder geben konnte, noch wollte. Hier muß man aber wohl merken, daß es nur eine Sache für einen sehr grossen Naturforscher sey, die übernatürlichen Wirkungen zu erkennen, und sie von den natürlichen zu unterscheiden, weil er die bestimmten Ursachen aller und jeder Wirkungen kennen muß; welches aber gleichwohl noch nicht genug ist, wenn nicht die rechtgläubige Kirche dasjenige, was er für Wunder erkennet, gleichfalls für Wunder annimmt. DieNaturlehrer müssen eben das thun, was die Rechtsgelehrten thun. *) Diese lesen das bürgerliche

*) Die Unwissenheit in der Naturlehre macht Wunder, wo keine sind.

Gesetz und drücken es ihrem Gedächtnisse fest ein, damit sie in dem oder jenem Falle untrüglich wissen mögen, was des Königs Wille sey; jene bestreben sich die Ordnung und Folge zu erkennen, welche GOtt, gleich von dem ersten Tage der Schöpfung an, in der Welt feststellte, damit sie die Art einsehen können, nach welcher er eine Wirkung aus der andern hat wollen entspringen lassen. Wie es also sehr lächerlich wäre, wenn ein Rechtsgelehrter in seinen Schriften als etwas ausgemachtes anführte, der König wolle diesen oder jenen Fall so und nicht anders entschieden wissen, ohne das Gesetz zu nennen, nach welchem er entschieden werden muß; eben so lächerlich kömmt es den Naturforschern vor, wenn sie jemanden sagen hören: dieses oder jenes Werk ist von GOtt, ohne daß er die Reihe der besondern Ursachen, aus welchen es entspringen kann, angiebt. Und wie der König denjenigen nicht erhören will, welcher von ihm die Abschaffung eines gerechten Gesetzes, oder die Entscheidung eines Falles wider die Art, nach welcher er will, daß in den Gerichten entschieden werden soll, bittet; so will auch GOtt denjenigen nicht erhören, welcher ohne Noth Wunder oder Thaten, die in dem Zusammenhange der Welt ihren Grund nicht haben, verlangt. Denn obgleich ein König fast alle Tage Gesetze giebt und aufhebt, und die gerechtlichen Verfahrungen ändert, theils, weil sich die Umstände der Zeit ändern, theils, weil die menschliche Klug heit viel zu schwach ist, als daß sie gleich auf das erstemal alles nach der schärfsten Wahrheit und Gerechtigkeit anordnen sollte; so hat doch der einmal von GOtt festgesetzte Zusammenhang, nach welchem in der Welt eins aus dem andern folgt, und welchen wir die Natur nennen, nicht nöthig, daß er nur in dem geringsten Stücke aufgehoben oder verändert werde, weil ihn GOtt mit einer so unendlichen Weisheit angeordnet hat, daß derjenige, welcher von ihm etwas ausser und wider diesen Zusammenhang zu thun bittet, durch diese Bitte sein Werk für unvollkommen erkläret.


50 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Es scheint mir, als wenn ich diejenigen, welche sich um keine natürliche Weltweisheit bekümmern, sagen hörte: alles das sind Possen und Lügen, und, wenn es ja wahr seyn sollte, so hat der Teufel, welcher ein sehr kluger und verschmitzter Geist ist, mit Zulassung GOttes, den Körper dieser Frau, und der andern angeführten phrenetischen Kranken besessen gehabt; und er ist es gewesen, der so wunderbare Sachen aus ihnen geredet. Allein diese Antwort würde ihnen schwer zu vertheidigen werden, weil der Teufel, der keinen prophetischen Geist hat, unmöglich das Zukünftige wissen kann. Jhr wichtigster Beweis ist, dieses oder jenes ist falsch, weil ich nicht begreifen kann, wie es zugehen sollte: als wenn dergleichen schwere und verwickelte Sachen für einen kleinen Verstand gehörten, und von ihm sich einsehen liessen. Diejenigen, denen es an der erforderlichen Fähigkeit fehlt, mag ich hier gar nicht überzeugen, weil alle Mühe umsonst angewandt wäre, und sie doch nimmermehr mit dem Aristoteles bekennen würden, daß ein Mensch, wenn er das gehörige Temperament dazu habe, unzählige Dinge wissen könne, ohne sie jemals empfunden oder gelernt zu haben: πολλοι δε και δια το εγ-γυς εἰναι του νοερου τοπου την θερμοτητα ταυτην, νοσημασιν ἁλισκονται μανικοις ἠ ἐνθουσιαϛικοις .Οθεν σιβυλλαι και βακιδες και οἱ ἐνθεοι γινονται παντες, ὁταν μη νοση-ματι γενωνται αλλα φυσικη κρασει. Μα-ρακος δε ὁ Συρακουσιος και ἀμεινων ἠν ποιη-της ὁτ' ἐκϛαιη. Οσοις δ' ἀν ἐπανθη την ἀγαν θερμοτητα προς το μεσον, οὑτοι με-λαγχολικοι μη εισι, φρονιμωτεροι δε. Jn diesen Worten bekennt der PhilosophPhilosoh ganz deutlich, daß durch die allzugrosse Hitze des Gehirns viele Menschen das Zukünftige voraus sehen könnten, dergleichen die Sibyllen gewesen wären; *) und dieses, setzt er hinzu, wird nicht durch die Krankheit, sondern durch die Ungleichheit der natürlichen Wärme verursachet. Daß aber die Wärme die wirkliche Ursache sey, beweiset er unwidersprechlich durch das Beyspiel des Syrakusaners Marakus, welcher ein weit besserer Dichter war, wenn er durch die allzugrosse Hitze des Gehirns ausser sich gerieth, und die Fertigkeit zu Dichten verlor, sobald diese Hitze mässiger und er also gesetzter und verständiger ward. Aristoteles giebt also nicht nur das Temperament des Gehirns, als die Ursache solcher wunderbaren Wirkungen an, sondern er tadelt auch diejenigen, welche das zu einer göttlichen Eingebung machen, was doch nichts, als ein natürlicher Zufall ist.


51 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Aus der Wärme, welches die dritte Hauptbeschaffenheit ist, entstehet die Einbildungskraft; weil weder eine andere vernünftige Vermögenheit in dem Gehirne, noch eine andere Hauptbeschaffenheit, die sie verursachen könnte, mehr übrig ist; und weil überdieses die Wissenschaften, welche Wahnwitzige in ihrer Krankheit besitzen, lauter solche Wissenschaften sind, die von der Einbildungskraft abhängen, und niemals solche, die dem Verstande, oder dem Gedächtnisse zugehören. Da aber der Wahnwitz, die Schwermuth, und die Raserey, nichts als hitzige Krankheiten des Gehirns sind, so ist der Be=

*) περι μνημης και ἀναμνησεως.

weis stark genug, daß die Einbildungskraft in der Hitze bestehen müsse. Eine einzige Schwierigkeit finde ich hierbey, und zwar diese, daß die Einbildungskraft sowohl dem Verstande, als dem Gedächtnisse entgegen ist. Hier nun kömmt der Grund mit der Erfahrung nicht überein, weil nicht nur viel Hitze und viel Trockenheit, sondern auch viel Hitze und viel Feuchtigkeit vollkommen wohl in dem Gehirne beysammen seyn, und also ein Mensch ganz wohl mit einer grossen Einbildungskraft sowohl einen grossen Verstand, als auch ein starkes Gedächtniß verbinden könnte. Und gleichwohl ist es ein wirklichesWunder, wenn man einen Menschen von grosser Einbildungskraft findet, welcher zugleich einen grossen Verstand oder ein starkes Gedächtniß besitzet. Die Ursache aber ist ohne Zweifel diese, daß, wenn der Mensch verständig seyn soll, das Gehirn aus den allerfeinsten und zärtesten Theilen zusammengesetzt seyn muß, wie wir oben aus dem Galenus bewiesen haben. Die allzugrosse Hitze aber verderbt und verzehrt das Zarte, und läßt das Grobe und Jrrdische unbeschädiget. Aus eben diesem Grunde kann ein starkes Gedächtniß bey einer starken Einbildungskraft nicht bestehen, weil die allzugrosse Hitze die Feuchtigkeit des Gehirns auflöset, und es trocken und hart zurück läßt, daß es die Bilder so leicht nicht annehmen kann. *)


52 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Diese zwey Gattungen der Genies zusammen, schaffen sehr grosse Vortheile. Denn wie die Hirten zu einer grossen Heerde Schafe gemeiniglich ein Dutzend Ziegen gesellen, die sie beleben, und ihr mit geschwinden Schritten auf neue und unbetretene Weiden vorgehen müssen: so müssen auch in den menschlichen Wissenschaften einige erfindende Geister seyn, welche den Schafen in der Gelehrsamkeit neue Wunder der Natur entdecken, und sie auf niemals erhörte Betrachtungen, in welchen sie sich üben können, bringen müssen. Nur auf diese Art wachsen die Wissenschaften, und nur auf diese Art lernen die Menschen von Tag zu Tage mehr.


53 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Uebrigens aber, ob es gleich wahr ist, daß jedes Gesetz so seyn soll, wie es die gegebene Erklärung erfordert; so ist es doch ein sehr grosses Wunder, wenn man die Sachen so vollkommen findet, als man sie sich in dem Verstande vorzustellen pflegt. Daß das Gesetz gerecht und billig sey; daß es sich über alle Fälle, welche sich zutragen können, erstrecke; daß es in den deutlichsten Worten abgefast sey; daß es keine Einwendung oder Zweifel leide; daß man es nicht mehr als auf eine Art erklären könne: alles dieses kann nicht allezeit Statt finden, weil das Gesetz ein Werk des menschlichen Verstandes ist, welcher die Macht nicht hat, allem und jedem, was etwa noch vorfallen möchte, vorzubeugen. Die tägliche Erfahrung lehret es, daß gar oft ein Gesetz, wenn es auch mit noch so viel Vorsicht und Klugheit ist gemacht worden, in kurzer Zeit wieder muß aufgehoben werden; weil sich, nachdem man es kund gemacht hat, tausend Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten darbey ereignen, welche niemand in dem Rathe vorher sehen konnte. *) Die Gerechtigkeit erinnert also Könige und Kayser, daß sie sich nicht schämen sollen, Gesetze zu ändern, oder zu bessern, weil sie Menschen sind so gut als andere, weil es folglich kein Wunder ist, daß sie irren; besonders da kein Gesetz in der Welt möglich ist, das mit ausdrücklichen Worten alle Umstände benennen könnte, die bey dem Falle, welchen es entscheidet, etwa vorkommen können; indem die Arglist der Boshaften in Erfindung übler Handlungen weit sinnreicher ist, als die Klugheit der Gerechten seyn kann, diese üblen Handlungen vorher zu sehen, und ihre Entscheidung zu bestimmen. Daher heißt es auch: (l nec leges ff. de leg.) neque leges, neque senatusconsulta ita scribi possunt, vt omnes casus, qui quandoque inciderint, comprehen- dantur: sed sufficit ea, quae plerumque ac- cidunt, contineri. Das heist: es ist unmöglich, die Gesetze so abzufassen, daß sie sich auf alle Fälle, welche etwa vorfallen könnten, erstrecken sollten: es ist genug, wenn sie diejenigen bestimmen, die sich gemeiniglich zu ereignen pfle

*) Der sterblichen Menschen Gedanken sind mißlich und unsere Anschläge sind fährlich B. der Weißh. IX. 14.

gen. Wenn sich aber ja andere ereignen, wovon das Gesetz mit ausdrücklichen Worten nichts sagt; so ist das Recht nicht so gar ohne alle Regeln und Grundsätze, daß der Richter oder Advocat, wenn er einen guten Verstand hat, womit er eines aus dem andern folgern kann, nicht einen Ort finden sollte, woraus er die wahre Entscheidung oder Vertheidigung herleiten könnte.


54 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wenn der Knabe ferner zur Sprachlehre schreitet, und auch diese mit wenig Mühe begreift, in kurzer Zeit, ziemliches Latein schreiben, und einen zierlichen Brief abfassen lernt; wenn er an den schönen Schlußwörtern des Cicero einen Gefallen findet, und sie anzubringen sucht, so wird er nimmermehr ein guter Richter, oder ein guter Advocat werden, †) weil er ein allzustarkes Gedächtniß verräth, und es ohne ein Wunder nicht geschehen kann, daß ein Mensch dieses ohne Mangel des Verstandes haben könne. Wenn so ein Knabe also darauf besteht, sich den Gesetzen zu widmen, so kann er leicht, wenn er lange genug auf Akademien bleibt, ein berühmter Lehrer, der unzählige Zuhörer an sich zieht, werden; weil die lateinische Sprache auf dem Katheder sehr angenehm ist, und derjenige, welcher mit vielem Beyfall lehren will, viel Anführungen braucht, so, daß er bey jedem Gesetze alles beyzubringen

†) Wie konnte denn aber Cicero auf diese Art ein so guter Sachwalter seyn? E.

wissen muß, was man jemals darüber geschrieben hat. Hierzu aber ist ein grosses Gedächtniß nöthiger, als ein grosser Verstand. Zwar ist es wahr, daß man auf dem Katheder unterscheiden, folgern, schliessen, urtheilen und wählen muß, wenn man den wahren Sinn des Gesetzes erreichen will. Gemeiniglich aber pflegt der Professor jeden Fall so zu setzen, wie er für ihn am bequemsten ist; er führet nur diejenigen Gegensätze und Zweifel an, die nach seinem Geschmacke sind, und fällt endlich den Ausspruch nach seinem Gutdünken, ohne, daß er sich eines Widerspruchs befürchten darf: und hierzu ist ein mittelmässiger Verstand hinlänglich. Wenn ein Advocat hingegen einem Kläger beysteht, ein anderer Advocat den Beklagten vertheidiget, und ein dritter Rechtsgelehrter Richter ist; alsdenn wird der Proceß lebendig, und alsdenn läßt es sich nicht so leicht reden, als wenn man ohne einen Widerspruch zu befürchten, reden kann.


55 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die wahre Antwort auf diesen Zweifel hat wenig Schwierigkeit, da selbst Aristoteles nicht darauf fallen konnte, und sie nur zum Theil traf. Wir dürfen uns aber nur auf die Grundsätze unserer Lehre einschränken, wenn wir sie so vollstän=

†) Der V. fällt hier wiederum in seinen gewöhnlichen Fehler, und macht aus einigen besondern Fällen einen allgemeinen Satz. Jn den Zusätzen soll diese Behauptung des Verfassers genauer geprüft werden. E.

dig geben wollen, als man sie nur verlangen kann. Man muß wissen, daß die Vollkommenheit eines Arztes in zwey Stücken besteht, welche beyde eben so nothwendig sind, wenn er den Endzweck seiner Kunst erreichen will, als unentbehrlich beyde Beine sind, wenn man ohne Hinken gehen soll. *) Das erste besteht darinnen, daß man alle Regeln und Vorschriften, den Menschen überhaupt zu kuriren, methodisch kennen muß, ohne daß man sich in das Besondere einläßt. Das zweyte ist dieses, daß man sich lange Zeit im Kuriren geübt habe, und eine grosse Anzahl Kranker mit eignen Augen habe kennen lernen, indem die Menschen so gar sehr von einander nicht unterschieden sind, daß sie nicht in vielen Stücken mit einander übereinkommen sollten, aber auch einander nicht so gleich sind, daß nicht unzähliche Verschiedenheiten unter ihnen bemerkt würden, wovon man weder schriftlichen noch mündlichen Unterricht geben kann, und die sich nicht so zusammen fassen lassen, daß man sie unter gewisse Regeln der Kunst bringen könnte. Sie können von niemanden erkannt werden, als von denen, welche sie unzähligmal mit Augen gesehen und unter Händen gehabt haben. Dieses läßt sich auch schon daher leicht begreifen, daß das Gesicht, ob es gleich nur aus sehr wenig Theilen zusammengesetzt ist, aus den Augen, der Nase, den Backen, dem Munde und der Stirne, dennoch seiner Natur

*) Γαλ. θεραπ. μεθ. βιβλ. θ. κεΦ. θ.

nach so vieler unterschiednen Zusammensetzungen fähig ist, daß unter tausend Menschen jeder sein besonderes Gesicht hat, und es ein rechtes Wunder ist wenn man zwey darunter findet, die einander völlig gleich sind. †)


56 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Ein gleiches ereignet sich an den vier Elementen und den vier Hauptbeschaffenheiten der Wärme und Kälte, der Trockenheit und Feuchtigkeit, in deren Harmonie die Gesundheit und das Leben der Menschen bestehet. Aus diesen so wenigen Stücken macht die Natur so viel verschiedene Mischungen, daß unter hundert tausend Menschen, welche gebohren werden, ein jeder eine besondere und ihm so eigenthümliche Gesundheit hat, daß, wenn GOtt auf einmal durch ein Wunder die Verhältnisse dieser Hauptbeschaffenheiten untereinander änderte, alle hundertausend krank werden würden, ohne daß zwey bis drey darunter von ohngefehr einerley Mischung und Verhältniß der Hauptbeschaffenheiten erhalten hätten. Hieraus ziehen wir unumgänglich zwo Folgerungen. Die erste ist diese, daß jeder Mensch, welcher krank wird, nach seiner besondern und ihm eigenthümlichen Beschaffenheit kurirt werden muß, so daß er nimmermehr gesund werden wird, wenn der Arzt die Harmonie der Säfte und Hauptbeschaffenheiten nicht wieder herstellt, die vor seiner Krankheit in ihm gewesen ist. Die andere Folgerung

†) Auch unter tausend, ja unter vielen tausend Gesichtern, wird man nicht zwey antreffen, die einander völlig gleich oder ähnlich wären. E.

ist diese, daß ein Arzt, wenn er dieses, wie es sich gehört, thun will, nothwendig den Kranken in seinen gesunden Umständen oft gesehen und gekannt habe, daß er ihn an den Puls oft gefühlt, daß er seinen Urin und seine Gesichtsfarbe oft betrachtet habe, damit er sein Temperament daraus ersehen, und wenn er krank wird, wissen und urtheilen könne, um wie viel er jetzt von seiner Gesundheit entfernet sey, und wie weit er ihn in seiner Kur wieder bringen müsse.


57 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Ob es nun gleich wahr ist, daß G O T T das Manna auf eine wunderbare Weise erschuf, weil es nur an den bestimmten Tagen und nur zu den gesetzten Stunden in so grosser Menge da war; so kann es dennoch von eben der Beschaffenheit gewesen seyn, als das Manna ist, welches wir kennen: so wie das Wasser, welches Moses aus dem Felsen schlug, und das Feuer, welches Elias vom Himmel fallen ließ, natürliches Wasser und natürliches Feuer war, obgleich beydes durch ein Wunder herbey kam. Das Manna, welches die Schrift (B. Mos.XVI.) beschreibt, war wie der Thau: es war wie Koriandersaamen und weiß; und hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honig. Eben diese Eigenschaften hat auch das Manna, welches die Natur hervorbringt. †)


58 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Weder ein Engel noch ein Mensch hat jemals eine bessere natürliche Beschaffenheit gehabt, als unser Heiland Christus; gleichwohl trieb er, als er einmal in den Tempel kam, diejenigen mit ziemlich tüchtigen Schlägen heraus, die darinnen kauften und verkauften. Der Zorn ist die Ruthe oder das Schwerd des Verstandes; und derjenige Mensch, welcher sich über keine üble Handlung ärgert, ist entweder ein Dummkopf, oder es fehlt ihm das Erzürnliche. Es ist daher ein Wunder, wenn ein weiser Mann sanft und gelinde und so ist, wie ihn die Bösen gern haben wollen. Alle Geschichtschreiber, die das Leben des Julius Cäsar anfgezeichnet haben, erstaunen darüber, daß die Soldaten einen so strengen und rauhen Mann hätten dulden können, welche Eigenschaften man seinem Genie, das völlig zum Kriege eingerichtet war, zuschreiben muß.


59 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das dritte Kennzeichen, ein tugendhaftes Leben nämlich und gute Sitten, bekräftigt der Brief gleichfalls: und die Juden konnten mit allen ihren falschen Zeugen das Gegentheil nicht beweisen, noch auf seine Frage antworten: welcher unter euch kann mir eine Sünde bezeu= gen? Josephus selbst, *) nach der Aufrichtigkeit, die er als ein guter Geschichtschreiber beobachten mußte, versichert von ihm, daß er in Ansehung seiner Güte und Weisheit eine ganze andere Natur, als alle andere Menschen, gehabt zu haben geschienen. Bloß das lange Leben findet bey unserm Heilande nicht statt, weil er in so jungen Jahren hingerichtet wurde, seiner Natur aber nach, älter als achtzig Jahre hätte werden können. Denn der, welcher in einer Wüste vierzig Tage und vierzig Nächte **) zubringen konnte, ohne daß er starb oder krank ward, der würde sich noch weit leichter gegen andere kleinere Zufälle haben vertheidigen können: obschon diese That als ein Wunder und als eine Sache, die natürlicher Weise nicht geschehen kann, betrachtet wird.


60 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Trockenheit erlangte Christus mit den Jahren; weil von der Geburt an bis an den Tod unser Fleisch immer trockener, und also unsere Weisheit immer grösser wird. Die feinen und zarten Theilchen des Gehirns wurden ihm durch den Genuß derjenigen Speisen wieder ersetzt, deren der Prophet gedenkt. Denn da es alle Augenblicke Nahrung brauchte, und die Substanz, die es ausduftete, ersetzt bekommen mußte, so konnte dieses durch nichts anders, als durch die Speisen, die er genoß, geschehen. Es ist also gewiß, daß, wenn er beständig Rindfleisch gegessen hätte, er in kurzer Zeit ein grobes und übel temperirtes Gehirn würde bekommen haben. Und mit diesem hätte seine vernünftige Seele das Böse nicht verwerfen, noch das Gute erwählen können; wenn es nicht etwa durch ein Wunder, und durch die Anwendung seiner göttlichenNatur hätte geschehen sollen. Da sich aberGOtt natürlicher Mittel bedienen wollte, so befahl er, daß er nichts, als solche zarte Speise geniessen sollte, durch die das Gehirn so vollkommen wohl organisirt würde, daß er auch ohne Abwendung der übernatürlichen Weißheit, bloß durch seine

Natur, wie andre Menschen, das Böse verwerfen und das Gute erwählen konnte.