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16 - Discours de la tragedie /

que la Tragédie doit renfermer la durée de son action dansun tour du Soleil, ou tâcher de ne le passerpas de beaucoup.

17 - Von den Trauerspielen /

Außer dem dreyfachen Nutzen des dramatischen Gedichts, wovon ich in der ersten Abhandlung geredt habe, hat das Trauerspiel auchnoch diesen insbesondere, daß es vermittelst desMitleidens und der Furcht ähnliche Leidenschaften reiniget. Dieses sind die Worte, derensich Aristoteles in seiner Erklärung bedient, und dieuns zweyerley lehren. Erstlich, daß das TrauerspielMitleiden und Furcht erwecket, hernach daß es vermittelst dieses Mitleidens und dieser Furcht gleiche Leidenschaften reiniget. Das erstre erkläret er weitläuftig genug, von dem andern aber sagt er nicht einWort; und von allen den Bedingungen, die er mit in die Erklärung bringet, ist dieses die einzige, die er unerläutert läßt. Gleichwohl sagt er deutlich in dem 212 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, letzten Hauptstücke seiner Staatskunst, daß er in seiner Abhandlung von der Dichtkunst weitläuftig davon reden wolle. Weil man aber gar nichts von dieser Materie darinnen findet, so ist der größte Theil seiner Ausleger auf die Gedanken gerathen, daß sie nicht ganz auf uns gekommen sey. Dem aber sey wie ihm wolle, so ist es doch billig, daß wir zuvor von demreden, was er uns gesagt hat, ehe wir uns das zu errathen bemühen, was er hat sagen wollen. Die Lehren die er wegen des erstern giebt, werden uns vielleicht auf einige Muthmaßungen wegen des andernleiten, so, daß wir auf die Gewißheit dessen, wasauf uns gekommen ist, eine wahrscheinliche Meynung von dem, was uns nicht übrig geblieben ist, gründen können.


18 - Von den Trauerspielen /

Damit uns Aristoteles die Mittel dieses Mitleiden, und diese Furcht zu erwecken, erleichtere, so hilft eruns die Personen und Begebenheiten wählen, welchebeydes zu erwecken fähig sind. Vorher müssen wirvoraus setzen, daß unsre Zuhörer, welches auch ganzwahrscheinlich ist, weder Lasterhafte, noch Heilige,sondern Leute von gemeiner Güte sind, die sich der von den Trauerspielen insbesondere. 215 strengen Tugend eben nicht so sehr befleißigen, daß sie nicht gewisser Leidenschaften fähig, und der Gefahr, worein sie durch diese Leidenschaften können gestürzt werden, unterworfen seyn sollten. Dieses nun vorausgesetzt, wollen wir untersuchen, was für Personen der Philosoph von dem Trauerspiele ausschließt, damit wir mit ihm auf diejenigen kommen können, auf welchen er die Vollkommenheit der Tragödie beruhen läßt.


19 - Von den Trauerspielen /

Ich will noch mehr gestehn. Wenn die Leidenschaften in dem Trauerspiele sollen gereiniget werden,so glaube ich, daß es auf keine andre Art geschehenkönne, als ich erklärt habe; allein ich zweifle überhaupt, ob es jemals, auch so gar in denjenigen Trauerspielen, welche die Bedingungen des Aristoteles haben, geschieht. Sie sind alle im Cid, welches die 218 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,sem Stücke den großen Beyfall erworben hat. Rodrigue und Chimene sind tugendhaft, doch so, daßsie Leidenschaften unterworfen sind, und diese Leidenschaften eben machen ihr Unglück, denn sie sind nichtweiter unglücklich, als sie in einander verliebt sind.Sie gerathen in Unglück durch eine menschlicheSchwachheit, deren wir, wie sie, fähig sind; ihrUnglück erweckt Mitleiden, das ist offenbar, und eshat den Zuschauern allzu viel Thränen gekostet, als daß man es leugnen könne. Dieses Mitleiden nun soll in uns die Furcht in ein gleiches Unglück zu verfallen erwecken, und die übermäßige Liebe, welche dieUrsache davon ist, reinigen: allein ich zweifle, ob esdiese Furcht erwecke, und ob sie diese Reinigung zuStande bringe, und ich sürchtefürchte sehr, daß dieses Vorgeben des Aristoteles nichts als ein schöner Gedankesey, der in der That niemals seine Wirkung thut.Ich berufe mich auf die, die das angeführte Stück haben vorstellen sehen, sie mögen insgeheim ihr Herz befragen, und alle die Stellen wiederholen, die sie auf dem Schauplatze gerührt habe, um zu erkennen, ob sie bis zu der nachdenkenden Furcht sind gebracht worden, und ob diese diejenige Leidenschaft bey ihnen gereiniget habe, die das Unglück, welches sie bedauern, verursacht. Einer von den Auslegern des Aristoteles behauptet, er habe nur deswegen von der Reinigung der Leidenschaften durch das Trauerspiel geredt, weiler nach dem Plato geschrieben habe, der die tragischenDichter aus seiner Republik verbannet, weil sie allzuheftig bewegen. Da er ihn also hat widerlegen wollen, und bemüht gewesen ist zu zeigen, daß es nichtgut sey, sie aus einem wohlgeordneten Staate zu ver von den Trauerspielen insbesondre. 219bannen, so hat er ihren Nutzen selbst in diese Bewegungen der Leidenschaften zu setzen gesucht, damit er sie eben dadurch, weswegen sie der andre verdammt hat, entschuldigen könne. Die Frucht des Eindrucks, welchen die Stärke des Exempels in uns macht, fehlte ihm; die Belohnung der guten und Bestrafung der bösenHandlungen, die zu unsrer Zeit ist eingeführet worden, war zu seiner Zeit nicht gebräuchlich;und da er also keinen gründlichern Nutzen in denTrauerspielen finden konnte, als den, der aus denSittensprüchen und den lehrreichen Reden, die darinnen enthalten sind, kömmt, und deren doch die Tragödie, nach seiner Meynung, entbehren kann, so hat er einen andern fest gesetzt, welches vielleicht nichts als ein eingebildeter Nutzen ist. Wenigstens wenn alle die Bedingungen, die er uns vorschreibt, ihn hervorzubringen nöthig sind, so finden sie sich so selten, daßRobortellus sie nur in dem einzigen Oedipus antrifft, daher er denn behauptet, daß Aristoteles sieuns eben nicht so nothwendig vorstelle, daß nicht ohne Nachtheil des Stückes eine davon fehlen könnte,und daß sie bey ihm nichts als Begriffe von der Vollkommenheit der Trauerspiele wären. Unsre Zeitenhaben sie alle in dem Cid gefunden, ich weis abernicht, ob in vielen andern, und wenn wir unsre Gedanken auf diese Regel wenden wollen, so werden wirgestehn müssen, daß der Beyfall viel Stücke gerechtfertiget habe, worinne man sie doch nicht beobachtet hat.


20 - Von den Trauerspielen /

Unterdessen, so schwer es auch ist diese merklichwirksame Reinigung der Leidenschaften, welche vondem Mitleiden und der Furcht erzeugt werden soll, anzutreffen, so können wir doch leicht mit dem Aristoteles einig werden. Wir dürfen nur sagen, er habeeben dadurch nicht behaupten wollen, daß alle beydeMittel zugleich dazu nöthig wären, sondern nach seiner Meynung sey auch eines zureichend, diese Reinigung hervorzubringen; doch mit dem Unterschiede, daß zwar nicht das Mitleiden ohne die Furcht, wohl aber die Furcht ohne das Mitleiden dazu genug sey. Der Tod des Grafen im Cid erweckt kein Mitleiden,er reiniget aber diese Art des Stolzes, die auf die Ehre der andern so neidisch ist, besser, als alle das Mitleiden, welches wir mit dem Rodrigue und der Chimene haben, die heftige Liebesneigung, welche beydeso beklagenswürdig macht, zu reinigen vermögend ist. Der Zuschauer kann mit dem Antiochus, dem Ni komed, dem Heraklius Mitleiden haben; wenn esaber dabey bleibt, und wenn er nicht besorgen darf, inein gleiches Unglück zu verfallen, so wird er von keiner Leidenschaft dadurch genesen können. Er hat Ge 222 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,gentheils kein Mitleiden mit der Kleopatra, mit demPrusias, mit dem Phokas; und dennoch kann die Furcht eines gleichen oder ähnlichen Unglücks bey einer Mutter die Hartnäckigkeit sich des Vermögens ihrerKinder nicht zu entschlagen, bey einem Vater die allzugroße Ergebenheit gegen die andre Frau zum Nachtheil seiner Kinder erster Ehe, und bey allen die Begierde das Vermögen und die Ehre anderer mit Gewalt an sich zu ziehen, reinigen; so daß allezeit dieseReinigung jedes seinen Umständen und dem, was erzu begehen vermögend ist, gemäß bleibet. Das Misvergnügen und die Unentschließigkeit des Augusts im Cinna muß diese letztere Wirkung durch die Furchtund das Mitleiden zugleich thun; wie ich aber schongesagt habe, so geschieht es nicht allezeit, daß diejenigen, welche wir beklagen, durch ihr Verschulden unglücklich sind. Wenn sie also unschuldig sind, so bringtdas Mitleiden, welches wir mit ihnen haben, keine Furcht hervor, und wenn wir ja etwas von Furcht, die unsre Leidenschaft reinigen kann, dabey empfinden, so wird sie durch eine andre Person, und nicht durch die, welche wir beklagen, erweckt, so daß wir sie gänzlich der Stärke des Beyspiels schuldig sind. Wir können diese Erklärung aus dem Aristoteles selbst bekräftigen, wenn wir die Gründe recht erwägen, welche er von der Ausschließung derjenigen Begebenheiten, die er in den Trauerspielen misbilliget, giebt. Er sagt niemals, dieses oder jenes schickt sich in dieTragödie nicht, weil es bloß Mitleiden und keine Furcht erwecket; oder dieses ist daselbst unerträglich, weil es bloß die Furcht erwecket, ohne das Mitleiden zu erregen; nein, sondern er von den Trauerspielen insbesondre. 223 verwirft sie deswegen, weil sie, wie er sagt, wederMitleiden noch Furcht zuwege bringen, undgiebt uns dadurch zu erkennen, daß sie ihm deswegennicht gefallen, weil ihnen sowohl das eine als das andre fehlt, und daß er ihnen seinen Beyfall nicht versagen würde, wenn sie nur eines von beyden wirkten. In dieser Gedanke bestätiget mich das von ihm angeführte Beyspiel des Oedipus. Wenn wir ihm glauben, so hat es alle erfoderliche Eigenschaften einesTrauerspiels; gleichwohl erwecket sein Unglück nichts als Mitleiden, und ich glaube nicht, daß einer von denen, welche ihn bey der Vorstellung beklagen, sich in den Sinn kommen läßt zu befürchten, er könne auch seinen Vater tödten und seine Mutter heirathen.Wenn ja seine Vorstellung in uns einige Furcht erwecken kann, und wenn diese Furcht noch eine strafbare oder lasterhafte Neigung in uns zu reinigen vermögend ist, so kann es aufs höchste keine andre seyn,als die Neugierigkeit sein Schicksal zu wissen, undwenn es weit kömmt, so werden wir uns daraus hüten lernen, unsre Zuflucht zu Prophezeyungen zu nehmen, die größtentheils nichts nutzen, als daß sie uns in das Unglück, das man uns vorhergesagt hat, selbst durch die Sorgfalt ihm zu entfliehen, stürzen. Denn es ist gewiß, Oedipus würde weder seinen Vatergetödtet, noch seine Mutter geheirathet haben, wennsein Vater und seine Mutter, welchen das Orakel, was sich zutragen solle, vorausgesagt hatte, ihn nicht aus Furcht es möge wahr werden, hätten wegsetzen lassen. Es wäre also nicht Oedipus, sondern Lajus und Jokaste, die diese Furcht erweckten, welche noch dazu aus der Vorstellung eines Fehlers, welcher 224 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, vierzig Jahr vor dem gegenwärtigen Falle begangen worden, herrühren würde; daß also die Furcht durch eine andre Person als die Hauptperson, und durch eine andre Handlung als die, welche den Inhalt der Tragödie ausmacht, in uns entstünde.


21 - Von den Trauerspielen /

Die Blutsverwandtschaft also, und die Verbindungen der Liebe und Freundschaft zwischen dem Verfolger und dem Verfolgten, ist eine große Hülfe zurErregung des Mitleidens. Es scheint aber doch, alsob diese Bedingung eben so wenig durchaus nothwendig sey, als die, von welcher ich kurz vorher geredthabe, und daß sie eben so wie jene nur zu vollkommnenTrauerspielen erfodert werde. Wenigstens haben siedie Alten nicht allezeit beobachtet. Ich finde sie we der in dem Ajax des Sophokles, noch in seinem Philoktet, und wer alle Stücke, die uns von dem Aeschylus und Euripides übrig sind, durchgehenwollte, der wird noch mehrere Exempel davon antreffen. Wenn ich gesagt habe, daß diese zwey Bedingungen nur für vollkommne Trauerspiele sind, so willich damit nicht sagen, daß diejenigen, worinne sie sichnicht befinden, unvollkommen wären; denn so würde ich sie ja eben nothwendig machen, und mich selbst widersprechen. Ich verstehe aber durch vollkommne Trauerspiele diejenigen, welche von der erhabenstenund rührendsten Art sind, so daß die, welche eine von diesen Bedingungen oder gar alle beyde nicht haben, wenn sie nur sonst regelmäßig sind, ebenfalls in ihrer Art vollkommen sind, ob sie gleich auf einer niedrigern Stufe stehen und den erstern an Schönheit und Reiz nicht beykommen, wenn sie sich nicht von den Trauerspielen insbesondre. 229 etwa durch die Vortrefflichkeit der Poesie, oder durch die Pracht der Aufführung, oder durch andre Annehmlichkeiten, welche etwas anders als den Inhalt zum Grunde haben, erholen.


22 - Von den Trauerspielen /

In denjenigen tragischen Handlungen, welche zwischen Verwandten vorgehen, muß man betrachten, obder, der den andern verderben will, ihn kenne oder ober ihn nicht kenne, ob er seine That vollziehe odernicht. Die unterschiedne Verbindung dieser zweyFälle bringet vier Arten von Trauerspielen hervor,welchen unser Philosoph verschiedne Grade der Vollkommenheit zuschreibt. Man kennt diejenigen,die man umbringen will, und bringt sie auch in der That um, so wie Medea ihre Kinder, Klytemnestra ihren Mann, Orestes seine Mutter umbringt: eine geringre Art aber ist die, wenn man sie umbringt ohne sie zu kennen, und wenn man sie mit Misvergnügen erst erkennt,wenn man sie schon umgebracht hat, und dieses zwar, spricht er, entweder vor dem Trauerspiele, wie Oedipus, oder in dem Trauerspiele, wieder Alkmäon des Astydamas, oder wie Telegonusim verwundeten Ulysses, welches zwey Stücke sind,die nicht bis auf uns gekommen sind; und diese andreArt hat nach seiner Meynung etwas erhabners als dieerste. Die dritte Art ist von einer besondern Vortrefflichkeit, wenn man nämlich bereit ist einen vonseinen Verwandten umzubringen, ohne daß man ihn kennet, ihn aber doch noch zeitig genug erkennet, daß man ihn zu retten imStande ist; so wie die Iphigenia den Orestesihren Bruder erkennet, indem sie ihn der Dia230 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,na opfern soll, und hernach mit ihm entfliehet. Er führet noch zwey andre Exempel an, die Merope im Kresphontes und die Helle, die wiraber beyde nicht kennen. Die vierte Art verdammet ergänzlich, wo man nämlich die Person kennt, sie umbringen will, den Mord aber nicht ausführet; er spricht,sie hätte etwas schändliches und nichts tragisches, und führet den Aemon zum Exempel an, welcher das Schwerdt wider seinen Vater den Antigonus ziehet, und sich dessen zu seiner eignen Ermordung bedient. Wenn diese Verdammung nicht eingeschränkt wäre, so würde sie sich weit erstrecken, und nicht allein den Cid, sondern auch den Cinna, die Rodogune, den Heraklius und den Nikomed, in sichschließen.


23 - Von den Trauerspielen /

Das heißt nicht den Aristoteles widerlegen, wenn man ihn vortheilhaft erklärt, damit man in der vierten Art der Handlungen, welche er verwirft, eine neueArt des Trauerspiels entdecken möge, die schöner, alsdie von ihm angeführten drey Arten, ist, und die erohne Zweifel würde vorgezogen haben, wenn er siegekannt hätte. Dieses heißt unserm JahrhunderteEhre machen, ohne dem Ansehen dieses Philosophenetwas zu entziehen. Doch weis ich in der That nicht,wie ich ihn bey diesem Ansehen werde erhalten können,da ich die Rangordnung, welche er unter den benannten drey Arten gemacht hat, umstoßen will. Gleichwohl glaube ich mich auf die Erfahrung zu gründen, wenn ich vermuthe, daß diejenige Art, welche er am wenigsten schätzet, vielleicht die schönste sey, und daß die, die er am meisten erhebet, den geringsten Platz verdiene. Die Ursache davon ist, weil jene gar kein Mitleiden erregen kann. Ein Vater will seinen Sohn umbringen, ohne ihn zu kennen, er sieht ihn als einen gleichgültigen Menschen oder wohl gar als seinen Feind an. Er mag ihn für den einen oder für den andern halten, so verdient seine Gefahr, selbst nach des AristotelesUrtheil, kein Mitleiden, und erregt in den Zuschauernnichts als ein gewisses innerliches Erzittern, welches ihn fürchten läßt, der Sohn möchte eher umkommen, als ihn der Vater erkennt, und ihn zu wünschen treibet, daß er ihn je eher je lieber erkennen möge. Dieses entstehet aus dem Antheile, welches wir allezeit andem Glücke eines tugendhaften Menschen, den wir lie von den Trauerspielen insbesondre. 233ben müssen, nehmen; und wenn die Erkennung geschieht, so wirkt sie nichts als die Empfindung einer gemeinschaftlichen Freude, daß die Sache nach unsermWunsche ausgeschlagen ist.


24 - Von den Trauerspielen /

Bey der andern Art will ich mich es nicht so ausdrücklich zu entscheiden wagen. Daß ein Mensch miteinem andern in Streit geräth, daß er ihn tödtet,und daß er ihn erstlich hernach für seinen Vater oderseinen Bruder erkennet, und deswegen in Verzweiflungverfällt, das ist noch ganz wahrscheinlich, folglich von den Trauerspielen insbesondre. 237 kann man es auch erfinden. Doch ist der Zufall, seinen Vater oder seinen Bruder, ohne daß man ihn kennt, zu tödten, so außerordentlich und beträchtlich,daß man mit Recht verlangen kann, die Geschichtesolle ihn nicht verschwiegen haben, besonders wenn erberühmte Personen angeht, und daß man mit Grunddaran zweifeln könne, wenn sie ihn nicht bemerkt hat.Der alte Schauplatz giebt uns kein Beyspiel davon,als den Oedipus, und ich erinnere mich auch nicht,ein andres in unsern Geschichtsschreibern gelesen zu haben. Ich weis zwar, daß diese Begebenheit mehrnach der Fabel, als nach der Historie, schmecket, folglich kann sie entweder ganz oder zum Theil seyn erfunden worden. Allein die Fabel ist mit der Historie des Alterthums so sehr vermischt, daß man, aus Furcht keinen falschen Unterschied zu machen, beydengleiches Ansehen auf unsern Schaubühnen gegeben hat.Es ist genug, daß wir nichts erfinden, was für sichnicht wahrscheinlich ist, und daß das, was vor langerZeit ist erfunden worden, den Zuschauern so gut bekanntsey, daß es ihn nicht befremdet, wenn er es auf der Bühne siehet. Die ganze Metamorphosis des Ovidsist offenbar eine Erfindung: man kann Stoffe zu Trauerspielen daraus nehmen, allein keine auf diesen Schlag erfinden, es müßten denn Zwischenspiele, von gleicher Art, seyn. Die Ursache ist diese. Ob wir gleich nicht als was wahrscheinliches erfinden sollen, und obgleich die fabelhaften Stoffe, von der Andromeda, vom Phaeton es im geringsten nicht sind; soist doch die Erfindung der Episoden nicht sowohl eineErfindung, als vielmehr ein Zusatz zu dem, was schonerfunden ist, und diese Episoden bekommen eine gewisse 238 II. P. Corneille zweyte Abhandlung, Art der Wahrscheinlichkeit in Gegenhaltung der Haupthandlung, so daß man sagen kann, wenn dieses geschehen seyn soll, so kann es auf die oder jene Art, wie es der Poete beschreibt, geschehen seyn.


25 - Von den Trauerspielen /

Diese Freyheit des Dichters ist in dem 25 Capitel, welches die Entschuldigungen oder vielmehr Recht 246 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,fertigungen, deren er sich gegen seine Tadler bedienen kann, enthält, noch deutlicher. Er muß sich, sprichter, einer von den drey Arten die Sachen auszuführen bedienen, entweder muß er sie vorstellen, wie sie gewesen sind, oder wie man sagt,daß sie gewesen sind, oder wie sie hätten seyn sollen. Hierdurch stellt er es in seine Wahl, entweder der historischen Wahrheit oder der gemeinen Meynung, welche der Grund der Fabeln ist, oder der Wahrscheinlichkeit zu folgen. Gleich drauf fügt erhinzu: Wenn man ihm vorwirft, daß er die Begebenheit nicht nach der Wahrheit abgehandelt habe, so kann er antworten, er habesie so vorgestellt, wie sie hätte geschehen sollen: giebt man ihm aber Schuld, er habeweder das eine noch das andre gethan, so kann er sich mit dem, was die gemeine Meynung davon sagt, wie in dem was von den Göttern erzählt wird, wovon der größte Theilnicht wahr ist, entschuldigen. Und kurz hernach: Oft ist es nicht die beste Art, nach welcher sie sich zugetragen haben, und nach welcher sie der Dichter beschreibt; gleichwohlhaben sie sich in der That auf diese Art zugetragen; und der Dichter folglich ist außer Schuld.Diese letzte Stelle beweiset, daß wir eben nicht verbunden sind uns von der Wahrheit zu entfernen, damit wir den Handlungen des Trauerspiels, durch dieAuszierungen der Wahrscheinlichkeit, eine beßre Art geben können, und beweiset es um so viel kräftiger, je unwidersprechlicher aus der andern von diesen drey angeführten Stellen erhellet, daß bloß die allgemei von den Trauerspielen insbesondre. 247ne Meynung uns zu rechtfertigen genug sey, wenn wir die Wahrheit nicht für uns haben, und daß wir etwas besseres daraus machen können, wenn wir die Schönheiten dieser Wahrscheinlichkeit aufsuchen. Wir laufen dadurch zwar Gefahr weniger Beyfall zu finden, doch das ist auch nur eine Sünde wider die Sorgfalt für unsre Ehre, nicht aber wider die Regelnder Schaubühne.


26 - Von den Trauerspielen /

Ich halte nicht dafür, daß der Dichter auch in dem Lustspiele diese Freyheit habe, seine Handlungen zusammen zu pressen, damit er die Einheit der Zeit erhalte. Aristoteles will, daß alle die Handlungen, dieer hinein bringt, wahrscheinlich seyn sollen, und er setztnicht hinzu, oder nothwendig, wie bey dem Trauerspiele. Der Unterschied der tragischen und komischenHandlungen ist auch sehr groß. Diese gehen nur ge 264 II. P. Corneille zweyte Abhandlung,meine Personen an, sie bestehen in nichts als in Liebesverwicklungen, oder Betrügereyen, welche sich so leicht in einem Tage auflösen, daß bey dem Plautusund bey dem Terentius oft ihre Dauer nicht größer als die Zeit ihrer Vorstellung ist. Allein in dem Trauerspiele sind die öffentlichen Handlungen gemeiniglich, mit den besondern Umständen der aufgeführten berühmten Personen verbunden; es kommen Schlachten, Eroberungen, große Gefahren, Staatsunruhen darinnen vor, und alles dieses kann sehr schwerlichso geschwind zugehen, als wir es auf der Bühne vorstellen müssen.


27 - Von den Trauerspielen /

Aristoteles verlangt, daß ein Trauerspiel ohne Beyhülfe der Schauspieler und außer der Vorstellung, schön und fähig zu gefallen seyn solle. Um demLeser dieses Vergnügen zu erleichtern, muß man seinenGeist eben so wenig anstrengen, als den Geist des Zuschauers; denn die Mühe die er hat, sich alles inGedanken selbst vorzustellen, verringert die Lust, dieer daraus ziehen soll. Ich wollte also rathen, daß der Poet alle kleine Handlungen, die sich nicht der Mühe verlohnen, daß er die Verse damit belästiget, welche durch dergleichen Kleinigkeiten vieles von ihrer von den drey Einheiten. 559 Würde verlieren würden, an dem Rande sorgfältig anmerkte. Auf der Bühne ersetzt sie der Schauspieler gar leicht, in dem Buche aber würde man oftmals rathen müssen, und würde öfters übel rathen,wenn man nicht von diesen kleinen Nebenumständenunterrichtet wäre. Ich gestehe zwar zu, daß die Altendiesen Gebrauch nicht gehabt, man wird mir aber auchzugestehen, daß sie uns, eben deswegen, weil sie ihn nicht gehabt, viel Oerter in ihren Gedichten dunkel gelassen haben, welche nur Meister in der Kunst entwickeln können; obgleich manchmal auch diese nicht, so sehr sie sich es auch einbilden, allzuglücklich sind. Wenn wir den Alten in allen Stücken folgen wollten, so müßte man auch die Aufzüge und Auftritte nicht unterscheiden, weil es die Griechen nicht gethan haben. Der Mangel dieser Unterscheidungen ist oft Schuld, daß man nicht wissen kann, wie viel Aufzügein ihren Stücken sind, noch ob zum Schlusse einesAufzuges der Schauspieler abgeht, um den Chor singen zu lassen, oder ob er, ohne Handlung, so lange dableibt, als man singt; weder sie selbst noch ihre Ausleger haben das geringste hiervon anzumerken für gutbefunden.


28 - Von den Trauerspielen /

Das Trauerspiel muß seine Handlung in einen Umlauf der Sonne einschließen, oder diese Gränzen wenigstens nicht allzu weit überschreiten.

29 - La Poésie Dramatique /

On ne peut mettre trop d'action & de mouvement dans la Farce: qu'y diroit-on de supportable? Il en faut moins dans la Comédie gaie, moins encore dans la Comédie sérieuse, & presque point dans la Tragédie.


30 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das dramatische System, nach seinem ganzen Umfange wäre also dieses: Die lustigeKomödie, welche das Laster und das Lächerliche zum Gegenstande hat; die ernsthafte Komödie, welche die Tugend und die Pflichten des Menschen zum Gegenstande hat; dasTrauerspiel, das unser häußliches Unglück zum Gegenstande hätte; und die Tragödie, welche zu ihrem Gegenstande das Unglück der Großen und die Unfälle ganzer Staaten hat.