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46 - Discours historique sur l'apocalypse /

Man kann sich nichts lächerlichers denken, als eine Oper ohne Worte; stellen Sie sich die Scene vom Antonin Caracalla in dem kleinen Stücke de la Nouveaute vor, und nehmen Sie an, daß der Dialog der vorhergeht, nicht da sey, würde man das geringste aus der blossen Handlung der Sänger verstehen können? Nun gut, mein Herr, der Tanz ohne Musik ist nicht verständlicher, als der Gesang ohne Worte; es ist eine Art von Raserey, alle seine Bewegungen sind wild und haben keine Bedeutung. Kühne und glänzende Pas machen; nach einer kalten und monotonischen Melodie auf dem Theater so schnell als leicht herum tanzen, das nenne ich Tanz ohne Musik. Der mannigfaltigen und harmonischen Musik des Herrn Rameau, den Meisterzügen und sinnreichen Unterredungen in seinen Arien hat der Tanz sein ganzes Fortkommen zu danken. Seitdem dieser Schöpfer einer gelehrten aber allemal angenehmen und schmeichelnden Musik erschien, ist der Tanz von neuem aufgeweckt und hat sich aus der Schlafsucht herausgerissen, worin er begraben lag. Was würde Rameau nicht gethan haben, wenn die Gewohnheit, sich wechselsweise zu Rathe zu ziehen bey der Oper Mode gewesen wäre; wenn der Poet und Balletmeister ihm ihre Ideen mitgetheilet, wenn mann sich die Mühe genommen hätte, ihm einen Grundriß von der Handlung des Tanzes, von den Leidenschaften, die er in einem zusammenhängenden Süjet nach einander schildern, und von den Gemählden die er in dieser oder jener Situation vorstellen sollte gegeben hätte! Alsdann hätte die Musik den Charakter des Gedichts gehabt, und die Ideen des Poeten ausgedrückt; dann wäre sie redend und expressiv geworden, und der Tänzer wäre gezwungen gewesen ihre Züge zu erhaschen, Mannichfaltigkeit anzunehmen und auch das Seinige zur Vollendung des Gemähldes beyzutragen. Diese Harmonie zwischen zwo so nah verwandten Künsten würde einen äusserst täuschenden und bewundernswürdigen Effect gethan haben; aber durch eine unglückliche Wirkung der Eigenliebe meiden sich die Artisten sorgfältig statt sich kennen zu lernen und statt sich gemeinschaftlich zu besprechen. Wie ist es möglich, daß ein so sehr zusammengesetztes Schauspiel, als eine Oper ist, gerathen kann, wenn die Artisten für ihre verschiedene wesentlichen Theile, arbeiten, ohne sich einander ihre Ideen mitzutheilen?


47 - Discours historique sur l'apocalypse /

Der Tanz erinnert gewissermaßen den Maschienenmeister, sich zur Veränderung der Decoration bereit zu halten. Sie wissen, daß man den Ort vertauscht, wenn das Divertissement vorbey ist. Wie füllt man den Raum zwischen den Akten aus, welcher nothwendig erfodert wird, um das Theater in Ordnung zu bringen, die Akteurs sich ausruhn zu lassen, und den Chorsängern und Tänzern Zeit zu geben, sich umzukleiden? Was thut das Orchestre? Es löscht die Ideen aus, die der vorhergegangene Auftritt in meine Seelegedrückt hatte; es spielt ein Passepied; wiederholt ein lustiges Rigaudon oder Tambourin, da ich noch durch die vorigen ernsthaftenHandlungen lebhaft bewegt und höchst gerührt bin; es stört das Entzücken eines so süßen Augenblicks; es wischt aus meinem Herzen die Bilder weg, woran es hing; es erstickt und vernichtet die Empfindung, welche ihm gefielen; das ist aber noch nicht alles, und das höchst Unschickliche kommt erst; dieserührende Handlung war nur erst eingeleitet; der folgende Akt soll sie ausführen und meineLeidenschaft auf den höchsten Grad bringen; nun fällt die Musik plötzlich aus einem gemeinen lustigen Stückchen, in ein klagendes trauriges Ritornell: welch ein widersinniger Abfall! Wenn er auch dem Akteur erlaubt, mich zu dem Interesse zurück zu führen, welches mir aus dem Herzen weggegeiget war, so wirds doch nur mit langsamen Schritten geschehen; meine Seele wird lange Zeit zwischen der Zerstreuung, darinn man sie gezogen, und dem Schmerze, wozu man sie zurück zu rufen sucht, herum schwanken; das Garn, welches mir die Ficktion zum zweytenmale aufstellt, ist zu sichtbar; ganz mechanischer Weise, und ohne michs bewußt zu seyn, suche ich ihm auszuweichen, und dann muß dieKunst die unerhörtesten Kräfte anstrengen, um mich von neuem zu täuschen und zu besiegen. Sie werden gestehen, daß diese alte Methode, der unsere Musici noch so getreu anhängen, wider alle Wahrscheinlichkeit verstößt. Sie dürfen sich nicht schmeicheln, mich bis zu dem Punkte in ihrer Gewalt zu haben, daß sie so schnell, als sie nur wollen, alle diese verschiedenen Erschütterungen in meiner Seeleerregen können; der erste Augenblick machte mich geneigt, dem Eindrucke Raum zu geben, der aus den Gegenständen, die man mir darbot, entspringen sollte; der zweete hebt diese Wirkung völlig auf, und das neue Gefühl, was er bey mir hervorbringt, ist von demjenigen, welchem ich mich anfangs überlassen hatte, so verschieden, so entfernt, daß ich nur mit ausserordentlicher Mühe wieder dahin gelangen kann, besonders, wenn meine Fibern natürlicher Weise mehr Hang und Reitzbarkeit für die letztere Art Bewegungen haben. Mit einem Worte, mein Herr, dieser plötzliche Abfall, dieser unvorbereitete Uebergang vom Pathetischen zum Lustigen, vom Diatonischenharmonischen (*) oder vom Chromatisch(*) Das Trio der Parcen, des Hipolits und der Aricie, welches, so wie es ist, nicht in der Oper aufgeführt werden können, giebt ein Beyspiel von dieser Art. Von der zwoten haben wir eins an dem Erdbeben, welches für den zweyten Akt der Indes galantes gemacht worden, das das Orchester im Jahr 1735 auf keine Weise herausbringen konnte, und das doch bey einer Probe oder einem Versuche den geschickte und folgsame Muster in Gegenwart des Herrn Rameau damit machten, eine erstaunende Wirkung that. Glauben Sie wohl, daß, wenn diese Stücke nicht über den Kräften der Instrumentisten gewesen, ein darauf gespieltes Tambourin wohl angebracht gewesen wäre? Und würde der Musikus die Zeit zwischen den Akten nicht viel besser nützen, wenn er sein Sujet an einander hinge, wenn er suchte, den gemachten Eindruck zu unterhalten, und den Zuschauer auf denjenigen, den er noch machen will, vorzubereiten ?enharmonischen zu einer Gavotte oder einer Art Gassenhauer, scheint mir eben so widrig, als eine Arie, die in einer andern Tonart schließt, als sie angefangen. Ich darf glauben, daß eine solche Unschicklichkeit von allen denjenigen empfunden wird, welche das Vergnügen zu empfinden ins Schauspiel lockt, denn nur solche Geschöpfe können sie übersehn, welche der Mode wegen da sind, welche mit ungeheuren Ferngläsern in der Hand zufrieden sind, wenn sie ihre Lächerlichkeitenauskramen, sehen und gesehen werden können, und sich um das Vergnügen, welches die durchVerstand, Geschmack und Genie vereinten Künste gewähren können, nicht bekümmern.


48 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ich will diesen Brief mit einer Anmerkung schließen, die mir sehr natürlich scheint. Der Tanz hat bey diesem Schauspiele zu viel idealischeCharaktere, und muß zu viele Hirngespinste und schimärische Personen vorstellen, um solche mit verschiedenen Zügen und Farben vorzustellen. Mit weniger Feyengeschöpfen, weniger Wunderbarem, mehr Wahrheit und mehr Natürlichem, wird der Tanz in viel besserm Lichte erscheinen. Ich würde, zum Exempel, sehr verlegen seyn, wie ich die Action eines Kometen, der Zeichen des Thierkraises, der Horas u. s. w. vorstellen sollte. Die Ausleger des Sophokles, des Euripides und Aristophanes sagen wohl, daß die Tänze der Egyptier die Bewegungen und Harmonien der Weltkörper vorstellten; sie tanzten in die Runde um Altäre, die sie als die Sonne betrachteten, und diese Figur, die sie beschrieben, indem sie sich bey den Händen angefaßt hielten, stellte den Zodiakus, oder die Zeichen des Thierkraises vor; aber alles das war also, wie viele andere Dinge, nichts anders, als verabredete Figuren und Bewegungen, womit man eine unveränderliche Bedeutung verknüpfte. Ich glaube also, mein Herr, daß es uns viel leichter seyn würde, unsers Gleichen zu mahlen; daß diese Nachahmungnatürlicher und täuschender seyn würde. Aber, wie ich schon gesagt habe, es ist die Sache der Poeten, darauf zu sinnen, wie sie Menschen aufs Operntheater bringen wollen. Wo steckte denn die Unmöglichkeit? Was einmal geschehen ist, kann eben so gut tausendmal wieder geschehen. Es ist gewiß, daß die Thränen der Andromacha, die Liebe der Junia und des Britanicus, die Zärtlichkeit der Merope gegen den Egisth, die Unterwerfung der Iphygenia und die mütterliche Liebe derClytemnestre unendlich stärker rührendwären, als alle unsere Opernhexerey. Die Geschichtchen vom Prinzen Blaubart und der Feye Fanferlusche mögen wohl Kinder weichherzig machen; aber nur Gemählde der Menschheit können zur Seele reden, sie in Bewegung setzen, erschüttern und hinreissen; um die Gottheiten der Fabel ist man nie ängstlich besorgt, weil man weiß, daß ihnen alle Macht und Weisheit, die sie zeigen, von dem Poeten geliehen ist, man ist über den Ausgang gar nicht bekümmert; man weiß vorher, sie werden ganz gut hindurch kommen, und gewissermaaßen nimmt ihre Macht ab, so wie unsere Zuversicht zunimmt. Unser Herz undVerstand lassen sich bey diesem Schauspiele nichts weiß machen; es ist selten, um nicht unmöglich zu sagen, daß man mit eben der Unruhe, dem Tumulte der Leidenschaften, den wollüstigen Thränen aus einer Oper gehe, wie aus einer schönen Tragödie oder aus einemrührenden Lustspiele, wie Cenie; wir würden lange in der Fassung bleiben, worinn sie uns versetzt, wenn die lustigen Bilder unserer kleinen Nachspiele nicht unsere Unruhe besänftigte und unsere Thränen wegtrocknete. Ich bin u. s. w.


49 - Discours historique sur l'apocalypse /

Auf dem Gesichte ist es, wie Sie wissen, mein Herr, wo der Mensch sehen läßt, was in seiner Seele vorgeht, wo man seineAffecten und Leidenschaften lesen, und wechselsweise Ruhe, Unruhe, Vergnügen, Schmerz,Furcht und Hoffnung abgebildet finden kann. Sein Ausdruck ist hundertmal wärmer, lebhafter und bestimmter, als das Resultat der feurigsten Rede. Einen Gedanken durch Worte vorzustellen, dazu gehört gewisse Zeit, die Gebehrden zeigen ihn auf einmal mit Nachdruck; es ist ein Blitz, der aus dem Herzen fährt, in den Augen flammt, alle Gesichtszüge hell macht, den Knall der Leidenschaften verkündigt, und uns gleichsam die Seele nackend sehen läßt. Alle unsere übrigenBewegungen sind blos mechanisch und sagen nichts, wenn das Gesicht dabey stumm bleibt, und ihnen nicht Seele und Leben giebt. Wir haben also kein nützlicher Werkzeug zum Ausdruck in unserer Gewalt, als die Physionomie; warum denn versteckt man sie auf dem Theater hinter eine Maske, und zieht die plumpeKunst der schönen Natur vor? Womit soll der Tänzer mahlen, wenn man ihm seine nothwendigsten Farben wegnimmt? Wie will er die Bewegungen seiner eigenen Seele, in die Seelen der Zuschauer übertragen, wenn er sich des Hülfsmittels beraubt, wenn er sich mit einem Stück Pappe, mit einem gemahlten, mienenlosen Gesichte bedeckt. Das Gesicht ist das Sprachwerkzeug der stummen Scene, es ist der getreue Dollmetscher allerBewegungen der Pantomime: dieß ist genug, um aus der Tanzkunst, die unter die blosnachahmenden gehört, deren Aktion keinen andern Zweck hat, als zu mahlen, und durch die Wahrheit und gefällige Natur ihrer Gemählde zu täuschen und zu rühren, alle Masken zu verbannen.


50 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die Einbildungskraft, werden die Vertheidiger der Maske sagen, denkt sich das hinzu, was uns verdeckt ist, und wenn wir die Augen von Eifersucht funkeln sehen, so glauben wir, das Feuer dieser Leidenschaft auf den übrigen Theilen der Physiognomie ausgebreitet zu erblicken. Nein, mein Herr, die Einbildungskraft mag so lebhaft seyn, als sie immer will, so läßt sie sich von so widersinnigen Dingen nicht täuschen; Augen, welche Zärtlichkeit ausdrücken, indessen daß die Gesichtszüge den Haß mahlen, Blicke voller Wuth, bey einer muntern und freundlichen Physiognomie, sind Contraste, die man in derNatur nicht findet, und zu mißhellig, als daß sie die allerdienstfertigste Imagination vereinigen könnte. Gleichwohl ist das die Wirkung, welche die ernsthafte Maske thut; sie bleibt immer das holde Gesicht und kann ihren Charakter nicht ändern, derweile die Augen sehr plötzlich auf einander einen neuen annehmen.


51 - Captivi /


Nec sycophantiis, nec fucis ullum mantellumobviam est.

52 - Die Gefangenen /

Ach! Itzo wollte ich auch lieber gelebt haben, als leben. Hoffnung, Rath und Hülfe fliehen und verlassen mich. Dieses ist der Tag, an welchem ich keine Rettung meines Lebens mehr zu hoffen habe. Es ist keine Zuflucht mehr für mich; keine Hoffnung, die mir diese Furcht benehmen könnte. Ich weis auf keine Art meine betrügrische Lügen zu bemänteln, auf keine Art meine sykophantischen Teuschereyen zu beschönigen. Ich kann eben so wenig meine Untreue abbitten, als entfliehen. Die Hartnäckigkeit wird mir eben so wenig, als neue List, helfen. Allein, unsre Geheimnisse sind entdeckt. Unsre List ist verrathen. Alles ist offenbar. Es ist ausgemacht, ich bin verlohren, für mich und meinen Herrn. Aristophontes, der eben itzo kam, ist mein Unglück. Er kennt mich. Er ist des Philokrates Verwandter und guter Freund. Wenn mich auch die Errettung selbst erretten wollte, sie kann es nicht; es ist unmöglich. - - Wo ich mich nicht noch auf eine List besinne - - Aber, zum Henker, auf was für eine? Was soll ich erdenken? Ich will - - Ach, es ist alles nichts; es sind Possen. Da steck ich!


53 - Aesop's Fables /

The pretended Unnaturalness of the Sow in leaving her Young, tho' she was in Search of Food to increaseher Milk for their Sustenance; the Wolf's destroying ofthe Pigs afterwards, under Pretence of putting themout of their Pain; the Fox's killing the Cock for beingtroublesome to the Neighbours, and the Hens afterwards under Pretence of Self-defence, were wretchedExcuses and Palliations, that would acquit a Wolf to aFox, and a Fox to a Wolf only: But must aggravatethe Villainy and Hypocrisy of the Criminals to an allseeing Eye, whose Penetration cannot be eluded by suchcobweb Pretence. Upon the Whole, this Fable carriesa severe Reflection upon the Generality of wretchedMortals, who even under the strong Sense and Conviction of their Sins, seek to palliate and extenuate them,as the Wolf and Fox did: The Sow, says the Wolf,I destroy'd, but it was in hot Blood; so, says the Sinner,I have been guilty of such and such a sensual Act, but it was in the Heat of Youth, when Passions run strongand all Mankind, more or less, are carry'd away by theirAppetites. And as the Wolf and the Fox could so easilyacquit themselves of the most heinous Transgressions, andwithout Mercy fall upon the Ass, and tear him in Pieces,for a small Fault, which, too, was owing to hungryNecessity: So many Men pass lightly over their own enormous Crimes, and without Compassion tear in Pieces the Reputation of a poor Neighbour, not half so wicked as themselves; or, in other Cases, prosecute necessitous Wretches with unrelenting Vengeance, for Faults not near the Size of their own. But let such who will notforgive as they hope to be forgiven, expect a dreadful Retribution at the great Day, when their partial Pleas will not be able to hold before a righteous and unerring Tribunal, and when they may expect, that theMeasure they have meted to others, will be meted to them again.


54 - Sittenlehre /

Die vorgegebene unnatürliche Lieblosigkeit der Sau in Verlassung ihrer Jungen, ob sie gleich nur deswegen ihrer Nahrung nachging, damit sie, zur Erhaltung derselben, ihre Milch vermehren möge; des Wolfs darauf folgende Zerreissung der Ferkel, unter dem Vorwande sie von ihrer Marter zu befreyen; des Fuchses Ermordung des Hahns, weil er die Nachbarn in ihrer Ruhe störe, und hierauf auch der Hühner, unter dem Scheine der Selbstvertheidigung, waren die nichtswürdigsten Entschuldigungen und Bemäntelungen, mit welchen sich ein Wolf nur bey einem Fuchse, und ein Fuchs nur bey einem Wolfe, vertheidigen konnte; sie mußten aber nothwendig die Bosheit und Heucheley der Verbrecher, vor dem allsehenden Auge, dessen Scharfsichtigkeit durch keinen solchen elenden Vorwand zu täuschen ist, unendlich vermehren. Ueberhaupt ist diese Fabel eine ernsthafte Betrachtung über die Ruchlosigkeit der meisten Menschen, die, so lebhaft sie auch von ihren Sünden überzeugt sind, sie gleichwohl, nach Art des Wolfs nnd<und> des Fuchses, auf alle Weise zu verkleistern und zu verringern suchen. Ich brachte, sagte der Wolf, die Sau um; aber es geschah in der Hitze: und eben so sagt der Sünder, es ist wahr, ich habe mich dieser oder jener sinnlichen Lust schuldig gemacht, aber es geschah in der Hitze der Ju gend, da die Leidenschaft die Oberhand haben, und alle Menschen mehr oder weniger mit sich fortreissen. Und so wie der Fuchs und der Wolf einander gar leicht, der abscheulichsten Verbrechen wegen, lossprachen und ohne Barmherzigkeit über den Esel herfielen, und ihn wegen eines geringen Fehlers, zu welchen ihn die äußerste Noth verführt hatte, zerrissen: so gehen auch nicht wenig Menschen über ihre eignen erschrecklichen Laster hin, und verlästern ohne Nachsicht einen armen Nächsten, der nicht halb so böse ist, als sie; oder verfolgen, in andern Fällen, einen von der Noth gedrungnen Uebelthäter mit der strengsten Rache, dessen Fehler mit ihren Sünden ganz und gar in keine Vergleichung kommen. Solche Ungeheuer aber, die keine Vergebung ertheilen wollen, ob sie gleich selbst Vergebung zu erhalten hoffen, können an jenem Tage nichts anders als der schrecklichsten Vergeltung gewärtig seyn; denn da werden alle ihre partheyischen Entschuldigungen, vor dem gerechten und untrüglichen Richterstuhle wegfallen, und mit dem Maaße, womit sie andern gemessen haben, wird ihnen wieder gemessen werden.


55 - /

Umsonst rühmt sich die Mahlerey, daß sie die Leinewand belebe; es kommen aus ihren Händen nichts als unbelebte Werke. Die dramatische Dichtkunst hingegen, giebt den Wesen, welche sie schaft, Gedanken und Empfindungen, ja so gar, Schauspieler. vermittelst des theatralischen Spiels, Sprache und Bewegung. Die Mahlerey verführt die Augen allein. Die Zauberey der Bühne fesselt die Augen, das Gehör, den Geist und das Herz. Der Mahler stellt die Begebenheiten nur vor. Der Schauspieler läßt sie auf gewisse Weise noch einmal geschehen. Seine Kunst ist daher eine von denjenigen, welchen es am meisten zukömmt, uns ein vollständiges Vergnügen zu verschaffen. Bey den übrigenKünsten, welche die Natur nachahmen, muß unsre Einbildungskraft ihrem Unvermögen fast immer nachhelfen. Nur die Kunst des Schauspielers braucht diese Nachhülfe nicht; und wenn ihre Täuscherey unvollkommen ist, so liegt es nicht an ihr, sondern an den Fehlern derjenigen, welche sie ausüben.

56 - /

Jn dem zweyten Buche des ersten Theils handelt der Verfasser von einigen Vorzügen, welche gewisse Schauspieler insbesondere haben müssen. Diese Schauspieler sind erstlich diejenigen, welche man in der Komödie Vorzugsweise, die komischen nennt; zweytens diejenigen, welche sich in der Tragödie durch ihre Tugenden unsere Bewunderung, und durch ihre Unglücksfälle unser Mitleiden erwerben sollen; und drittens diejenigen, welche so wohl in der Tragödie als Komödie die Rollen der Liebhaber vorstellen. Alle diese haben gewisse besondere Gaben nöthig, welches Theils innerliche, Theils Schauspieler. äußerliche sind. Dieser Eintheilung gemäß macht der Verfasser in diesem zweyten Buche zwey Abschnitte, deren erster die innerlichen, und der zweyte die äußerlichen Gaben untersucht. Wir wollen uns zu dem ersten Abschnitte wenden, welcher aus fünf Hauptstücken besteht. Jn dem ersten Hauptstücke zeigt er, daß die Munterkeit denjenigen Schauspielern, welche uns zum lachen bewegen sollen, unumgänglich nöthig sey. Wenn man, sind seine Worte, eine komische Person vorstellt, ohne selbst Vergnügen daran zu haben, so hat man das bloße Ansehen eines gedungenen Menschen, welcher nur deswegen Komödiant ist, weil er sich seinen Lebensunterhalt auf keine andre Art verschaffen kann. Theilt man aber das Vergnügen mit dem Zuschauer, so kann man sich allezeit gewiß versprechen, zu gefallen. Die Munterkeit ist der wahre Apollo der komischen Schauspieler. Wenn sie aufgeräumt sind, so werden sie fast immer Feuer und Genie haben. = = Es ist aber hierbey wohl zu merken, daß man diese Munterkeit mehr in ihrem Spiele als auf ihren Gesichtern zu bemerken verlangt. Man giebt tragischen Schauspielen die Regel: weinet wenn ihr wollt, daß ich weinen soll; und den komischen Schauspielern sollte man die Regel geben: Lachet fast niemals, wenn ihr wollt, daß ich lachen soll. = = Das Auszug aus demzweyte Hauptstück zeigt, daß derjenige, welcher keine erhabneSeele habe, einen Helden schlecht vorstelle. Unter dieser erhabnen Seele muß man nicht die Narrheit gewisser tragischen Schauspieler verstehen, welche auch außer dem Theater noch immer Prinzen zu seyn sich einbilden. Auch nicht das Vorurtheil einiger von ihnen, welche große Acteurs den allergrößten Männern gleich schätzen, und lieber gar behaupten möchten, es sey leichter ein Held zu seyn, als einen Helden gut vorzustellen. Die Hoheit der Seele, von welcher hier geredet wird, besteht in einem edeln Enthusiasmo, der von allem was groß ist in der Seele gewirkt wird. Dieser ist es, welcher die vortreflichen tragischen Schauspieler von den mittelmäßigen unterscheidet, und sie in den Stand setzt, das Herz des gemeinsten Zuschauers mit Bewegungen zu erfüllen, die er sich selbst nicht zugetrauet hätte = = Mit diesem Enthusiasmo, welcher für diejenige Person gehöret, die Bewunderung erwecken soll, muß derjenige Theil der Empfindung verbunden werden, welchen die Franzosen unter dem Namen des Eingeweides (d'Entrailles) verstehen, wenn eben dieselbe Person unser Mitleiden erregen will. Hier von handelt das dritte Hauptstück. „Wollen die tragischen Schauspieler, sagt der Verfasser, unstäuschen; so müssen sie sich selbst täuschen. Sie müssen sich einbilden, daß sie wirklich das Schauspieler. sind, was sie vorstellen; eine glückliche Raserey muß sie überreden, daß sie selbst diejenigen sind, die man verräth, die man verfolgt. Dieser Jrrthum muß aus ihrer Vorstellung in ihr Herz übergehen, und oft muß ein eingebildetes Unglück ihnen wahrhafte Thränen auspressen. Alsdann sehen wir in ihnen nicht mehr frostige Komödianten, welche uns durch gelernte Töne und Bewegungen für eingebildete Begebenheiten einnehmen wollen. Sie werden zu unumschränkten Gebiethern über unsre Seelen; sie werden zu Zaubrern, die das unempfindlichste empfindlich machen können = = Und dieses alles durch die Gewalt der Traurigkeit, welche Leidenschaft eine Art von epidemischer Krankheit zu seyn scheinet, deren Ausbreitung eben so schnell als erstaunlich ist. Sie ist von den übrigen Krankheiten darinne unterschieden, daß sie sich durch die Augen und durch das Gehör mittheilet; wir brauchen eine mit Grund wahrhaft betrübte Person nur zu sehen, um uns zugleich mit ihr zu betrüben. Der Anblick der andern Leidenschaften ist so ansteckend nicht. Es kann sich ein Mensch in unsrer Gegenwart dem allerheftigsten Zorne überlassen; wir bleiben gleichwohl in der vollkommensten Ruhe. Ein andrer wird von der lebhaftesten Freude entzückt, wir aber legen unsern Ernst deswegen nicht ab. Nur die Thränen, wenn es auch schon Thränen einer Person sind, Auszug aus dem die uns gleichgültig ist, haben fast immer das Vorrecht uns zu rühren. Da wir uns zur Mühe und zum Leiden gebohren wissen, so lesen wir voll Traurigkeit unsere Bestimmung in demSchicksale der Unglücklichen, und ihre Zufälle sind für uns ein Spiegel, in welchem wir mit Verdruß das mit unserm Stande verknüpfte Elend betrachten. = = Dieses bringt den Verfasser auf eine kleine Ausschweifung, welche viel zu artig ist, als daß ich sie hier übergehen sollte. = = Es ist nicht schwer, spricht er, von unsrer Leichtigkeit uns zu betrüben einen Grund anzugeben. Allein desto schwerer ist es die Natur desjenigen Vergnügens eigentlich zu bestimmen, welches wir, bey Anhörung einerTragödie, aus dieser Empfindung ziehen. Daß man in der Absicht vor die Bühne geht, diejenigen Eindrücke, welche uns fehlen, daselbst zu borgen, oder uns von denjenigen, die uns mißfallen, zu zerstreuen, darüber wundert man sich gar nicht. Das aber, worüber man erstaunt, ist dieses, daß wir oft durch die Begierde Thränen zu vergießen dahin geführt werden. Unterdessen kann man doch von dieser wunderlichen Neigung verschiedne Ursachen angeben, und die Schwierigkeit dabey ist bloß, die allgemeinste davon zu bestimmen. Wenn ich gesagt habe, daß das Unglück andrer ein Spiegel für uns sey, in welchem wir dasSchicksal, zu dem wir verurtheilet sind, Schauspieler. betrachten, so hätte ich einen Unterscheid dabey machen können. Dieser Unterschied kann hier seine Stelle finden, und er wird uns eine von den Quellen desjenigen Vergnügens, dessen Ursprung wir suchen, entdecken. Der Anblick eines fremden Elends ist für uns schmerzlich, wenn es nehmlich ein solches Elend ist, dem wir gleichfalls ausgesetzt sind. Er wird aber zu eine Tröstung, wenn wir das Elend nicht zu fürchten haben, dessen Abschilderung er uns vorlegt. Wir bekommen eine Art von Erleichterung, wenn wir sehen, daß man in demjenigen Stande, welchen wir beneiden, oft grausamen Martern ausgesetzt sey, für die uns unsre Mittelmäßigkeit in Sicherheit stellet. Wir ertragen alsdenn unser Uebel nicht nur mit weniger Ungeduld, sondern wir wünschen uns auch Glück, daß wir nicht so elend sind, als wir uns zu seyn eingebildet haben. Doch daher, daß uns fremde Unglücksfälle, welche grösser als die unsrigen sind, unsrer geringen Glücksumstände wegen trösten, würde noch nicht folgen, daß wir in der Betrübniß über diese Unglücksfälle ein Vergnügen finden müßten, wenn unsre Eigenliebe, indem sie ihnen diesen Tribut bezahlt, nicht dabey ihre Rechnung fände. Denn die Helden, welche durch ihr Unglück berühmt sind, sind es zugleich auch durch ausserordentliche Eigenschaften. Je mehr uns ihr Schicksal rührt, desto deutlicher zeigen wir, Auszug aus dem daß wir den Werth ihrer Tugenden kennen, und der Ruhm, daß wir die Größe gehörig zu schätzen wissen, schmeichelt unserm Stolze. Ubrigens ist die Empfindlichkeit, wenn sie von der Unterscheidungskraft geleitet wird, schon selbst eine Tugend. Man setzt sich in die Klasse edler Seelen, indem man durchlauchten Unglücklichen das schuldige Mitleiden nicht versaget. Auf der Bühne besonders läßt man sich um so viel leichter für vornehme Personen erweichen, weil man weis, daß diese Empfindung durch die allzulange Dauer uns nicht überlästig fallen, sondern eine glückliche Veränderung gar bald ihrem Unglücke, und unsrer Betrübniß ein Ende machen werde. Werden wir aber in dieser Erwartung betrogen, und werden diese Helden zu Opfern eines ungerechten und barbarischen Schicksals; so werfen wir uns alsdann zwischen ihnen und ihren Feinden zu Richtern auf. Es scheint uns sogar, wenn wir die Wahl hätten, entweder wie die einen umzukommen, oder wie die andern zu triumphiren, daß wir nicht einen Augenblick in Zweifel stehen würden, und dieses macht uns in unsern Augen desto größer. Vielleicht würde die Untersuchung, welche von diesen Ursachen den meisten Einfluß in das Vergnügen habe, mit dem wir in einem Trauerspiele weinen, ganz und gar vergebens seyn. Vielleicht wird jede von denselben nach Beschaffenheit derjenigen SeeleSchauspieler. auf welche sie wirken, bald die vornehmste, bald die geringste= = = Wir kommen von dieser Ausschweifung wieder auf den geraden Weg. Das vierte Hauptstück beweiset, daß nur diejenigen Personen allein, welche gebohren sind zu lieben, das Vorrecht haben sollten, verliebte Rollen zu spielen. Eine gewisse Sängerin, erzehlt der Verfasser, stellte in einer neuen Oper eine Prinzeßin vor, die gegen ihren Ungetreuen in einem heftigen Feuer ist; allein sie brachte diejenigeZärtlichkeit, welche ihre Rolle erforderte, gar nicht hinein. Eine von ihren Gesellschafterinnen, die der Ursachen ungeachtet, warum zwey Personen von einerley Profeßion und von einerley Geschlecht einander nicht zu lieben pflegen, ihre Freundin war, hätte gar zu gerne gewollt, daß sie diese Rolle mit Beyfall spielen möchte. Sie gab ihr daher verschiedene Lehren, aber diese Lehren blieben ohne Wirkung. Endlich sagte die Lehrerin einmal zu ihrer Schülerin: Jst denn das, was ich von ihnen verlange, so schwer? Setzen sie sich doch an die Stelle der verrathenen Geliebte! Wenn sie von einem Menschen, den sie zärtlich liebten, verlassen würden, würden sie nicht von einem lebhaften Schmerze durchdrungen seyn? Würden sie nicht suchen — — ;Jch?; antwortete die Ac Auszug aus dem trice, an die dieses gerichtet war; ;ich würde auf das schleunigste, einen andern Liebhaber zu bekommen suchen. Ja, wenn das ist, antwortete ihre Freundin, so ist ihre und meine Mühe vergebens. Jch werde sie ihre Rolle nimmermehr gehörig spielen lehren. Diese Folge war sehr richtig; denn eine wahre Zärtlichkeit auszudrücken, dazu ist alle Kunst nicht hinlänglich. Man mag sich auch noch so sehr bestreben, das unschuldige und rührenden Wesen derselben zu erreichen; es wird doch noch immer von der Natur eben so weit unterschieden seyn, als es die frostigen Liebkosungen einer Buhlerinn, von den affektvollen Blicken einer aufrichtigen Liebhaberin sind. Man stellt alle übrige Leidenschaften unvollkommen vor, wenn man sich ihren Bewegungen nicht überläßt, aber wenigstens stellt man sie doch unvollkommen vor. Man ahmet mit kaltem Blute den Ton eines Zornigen schlecht nach, allein man kann doch wenigstens einige von den andern äusserlichen Zeichen, durch welche er sich an den Tag legt, entlehnen; und wenn man in verschiedenen Rollen schon nicht die Ohren betriegt, so betriegt man doch wenigstens die Augen. Jn den zärtlichen Rollen aber kann man eben so wenig die Augen, als die Ohren betriegen, wenn man nicht von der Natur eine zurLiebe gemachte Seele bekommen hat. — — Will man, fährt der Verfasser fort, die Ursache wis Schauspieler.sen, warum man zwar die Larve der andern Leidenschaften borgen, die Entzückungen der Zärtlichkeit aber nur auf eine sehr ungetreue Art nachbilden kann, wenn man nicht selbst liebt, oder wohl gar zu lieben nicht fähig ist, so will ich es wagen eine Vermuthung hierüber vorzutragen. Die übrigen Leidenschaften mahlen sich blos dadurch auf dem Gesichte, daß sie in den Zügen eine gewisse Art von Veränderung verursachen; die Zärtlichkeit hingegen hat, so wie die Freude, das Vorrecht, der Gesichtsbildung neueSchönheiten zu geben und ihre Fehler zu verbessern. Daher also, daß man uns von gewissen Leidenschaften ein unvollkommenes Bild vorstellen kann, ohne von ihnen selbst beherrscht zu werden, folgt noch nicht, daß man auch die sanfte Drunkenheit der Liebe auch nur unvollkommen nachahmen könne, ohne sie selbst zu fühlen. — — Aus allem diesen zieht der Verfasser in dem fünften Hauptstücke die Folgerung, daß man sich nicht mehr mit diesen Rollen abgeben müsse, wenn man nicht mehr in dem glücklichen Alter zu lieben sey. Die Wahrheit dieser Folgerung fällt zu deutlich in die Augen, als daß es nöthig wär, seine Gründe anzuführen, die ohnedem auf das vorige hinaus lauffen. — — Wir kommen vielmehr sogleich auf den zweyten Abschnitt dieses zweyten Buchs, worinn, wie schon gesagt, die äusserlichen Gaben abgehandelt werden, welche zu gewis Auszug aus demsen Rollen insbesondere nöthig sind. Es geschieht dieses in vier Hauptstücken, wovon daserste die Stimme angeht, und zeiget, daß eine Stimme, welche in gewissen Rollen hinlänglich ist, in andern Rollen, welche uns einnehmen sollen, es nicht sey. Bey komischen Schauspielern ist es fast genug, wenn wir ihnen nur alles, was sie sagen sollen, hinlänglich verstehen können, und wir können ihnen eine mittelmäßige Stimme gar gern übersehen. Der tragische Schauspieler hingegen muß eine starke, majestätische und pathetische Stimme haben; der, welcher in der Komödie Personen von Stande vorstellt, eine edle; der, welcher den Liebhaber macht, eine angenehme, und die, welche die Liebhaberin spielt, eine bezaubernde. Von der letztern besonders verlanget man diejenigen überredenden Töne, mit welchen eine Schöne aus dem Zuschauer, alles was sie will, machen und von ihrem Liebhaber, alles was sie begehrt, erlangen kann. Eine reitzende Stimme kann anstatt vieler andern Vorzüge seyn. Bey mehr als einer Gelegenheit hat die Verführung der Ohren über das Zeugniß der Augen gesiegt, und eine Person, der wir unsere Huldigung verweigerten, wenn wir sie blos sahen, hat sie vollkommen zu verdienen geschienen, wenn wir sie gehöret haben — — Von der Stimme kommt der Verfasser auf die Gestalt und zeigt in demzweyten Hauptstücke, daß die LiebhaberSchauspieler.in der Komödie eine liebenswürdige, und die Helden in der Tragödie eine ansehnliche Gestalt haben müssen. Weil es wahrscheinlich ist, daß die erhabenen Gesinnungen einer Prinzeßin sie bewegen können, bey einem Helden die nicht allzu regelmässige Bildung seines Gesichts in Ansehung seiner übrigen grossen Eigenschaften, zu vergessen: so ist es eben nicht so unumgänglich nöthig, daß der Liebhaber in der Tragödie von einer durchaus reitzenden Gestalt sey, wenn seine Rolle sich nur ungefehr zu seinem Alter schikt. Jn der Komödie aber pflegen wir strenger zu seyn. Weil diese uns in den Gesinnungen und Handlungen ihrer Personen nichts als das Gemeine zeigt, so bilden wir uns ihre Helden auch von keinen so ausnehmenden Verdiensten ein, daß sie über das Herz siegen könnten, ohne die Augen zu reitzen, und ihre Heldinnen stellen wir uns nicht so gar zärtlich vor, daß sie bey dem Geschencke ihres Herzens nicht ihre Augen zu Rathe ziehen sollten. Die Gestalt des Liebhabers muß die Zärtlichkeit derjenigen, von welcher er geliebet wird, rechtfertigen; und die Liebhaberin muß uns ihre Liebe nicht blos mit lebendigen Farben abschildern, sondern wir müssen sie auch nicht für unwahrscheinlich halten, noch ihren schlechten Geschmak dabey tadeln können. Man wirft zwar ein, daß man im gemeinen Leben oft genug eine Schöne nach einen gar nicht liebenswürdigen Menschen seuf Auszug aus demzen sehe, und daß uns daher ein klein wenig Ueberlegung gleiche Ereignungen auf dem Theater erträglich machen könne. Hierauf aber ist zu antworten, daß man in der Komödie das Vergnügen durchaus nicht von der Ueberlegung will abhangen lassen. Bey den Liebhaberinnen ist diese Bedingung noch nothwendiger, als bey den Liebhabern. Es ist zwar nicht eigentlichSchönheit, was sie besitzen müssen; sondern es ist etwas, was noch mehr als Schönheit ist, und welches noch allgemeiner und noch mächtiger auf die Herzen wirkt; es ist ein ich weis nicht was, wodurch ein Frauenzimmer reitzend wird, und ohne welches sie nur umsonst schön ist; es ist eine gewisse siegende Anmuth, welche eben so gewiß allezeit rührt, als es gewiß ist, daß sie sich nicht beschreiben läßt. — — Gleiche Bewandniß hat es auch mit denjenigen Personen, welchen der Verfasser in Ansehung ihres Standes und ihrer Gesinnungen über das Gemeine hinaus setzt; ihre äusserliche Gestalt muß ihre Rolle nicht erniedrigen. Obgleich die Natur ihre Gaben nicht allezeit dem Glanze der Geburth gemäß einrichtet, und obgleich oft mit einer sehr schlechten Physiognomie sehr ehrwürdige Titel verbunden sind: so ist es uns doch zuwider, wenn wir einen Schauspieler von geringen Ansehen eine Person von Stande vorstellen sehen. Seine Gestalt muß edel, und seine Gesichtsbildung muß sanft und glücklich seyn, wenn er gewiß Schauspieler. seyn will, Hochachtung und Mitleiden in uns zu erregen. Man weis in Paris noch gar wohl, was einem gewissen Schauspieler wiederfuhr, welcher seine Probe spielen sollte. Es fehlte ihm weder an Empfindung, noch an Witze, noch an Feuer; nur sein äusserliches war gar nicht heldenmäßig. Einsmals stellte er die Person des Mithridats vor, und stellte sie so vor, daß alle Zuschauer mit ihm hätten zufrieden seyn müssen, wenn er lauter Blinde zu Zuschauern gehabt hätte. Jn dem Auftritte, wo Monime zu dem Könige sagt: Herr, du änderst dein Gesicht, rufte ein Spottvogel aus dem Parterre der Schauspielerin zu: Laßt ihn doch ändern. Auf einmal verlohr man alle Gaben des Schauspielers aus den Augen, und dachte bloß und allein an die wenige Uebereinstimmung, die sich zwischen ihm und seiner Person befände. — — Jn dem dritten Hauptstücke kömmt der Verfasser auf das wahre oder anscheinende Verhältniß, welches zwischen demAlter des Schauspielers und dem Alter der Person seyn muß. Ein Portrait, das wegen seiner Zeichnung und seiner Farbenmischung auch noch so schätzbar ist, wird doch mit Recht getadelt, wenn es diejenige Person, die es vorstellen soll, älter macht. Eben so wird uns auch ein Schauspieler, wenn er auch sonst noch so vollkommen spielt, nur mittelmäßig gefallen, wenn er für seine Rolle allzu alt ist. Es ist nicht Auszug aus dem genug, daß man uns Jphigenien nicht mit Runzeln und den Britannicus nicht mit grauen Haaren zeiget; wir verlangen beyde in allen Reitzungen ihrer Jugend zu sehen. Einige Jahre zwar kann der Acteur älter als seine Person seyn, weil er uns alsdann, wenn er diesen Unterscheid wohl zu verbergen weis, das Vergnügen einer doppelten Täuschung verschaft, welches wir nicht haben würden, wenn er in diesem Falle nicht wäre. — — Dieses ist zu deutlich, als daß der Verfasser nöthig haben sollte viel Worte damit zu verschwenden. Er thut es auch nicht, sondern eilt mit dem ersten Theile seines Werks zu Ende, indem er nur noch ein kleines Hauptstück, welches das vierte ist, und besonders die Mägdchen und die Bedienten angehet, hinzu thut. Bey einigen Rollen ist es gut, wenn die Schauspielerinnen, welche die Mägdchen vorstellen, nicht allzu jung mehr sind; bey einigen aber müssen sie nothwendig jung seyn, oder wenigstens jung scheinen, um ihre Jugend zu einer Art von Entschuldigung für die unbedachtsamen Reden, welche sie meistentheils führen, oder für die nicht allzuklugen Rathschläge, die sie ihren Gebietherinnen oft bey Liebeshändeln geben, zu machen. Wenn aber das Mägdchen eben nicht allezeit jung seyn darf, so muß sie doch immer eine ausserordentliche Flüchtigkeit der Zunge besitzen. Diese Eigenschaft ist besonders in den Lustspielen des Schauspiel.Regnards sehr nöthig, wo ohne dieselbe bey verschiednen Rollen alle Anmuth wegfällt. Auch fordert man von den Mägdchen eine schalkhafte Mine, und von den Bedienten Geschwindigkeit und Hurtigkeit. Ein dicker Körper schickt sich daher für die Bedienten eben so wenig, als sich für die Mägdchen das Stottern schicken würde.


57 - /

Jn dem zweyten Buche des ersten Theils handelt der Verfasser von einigen Vorzügen, welche gewisse Schauspieler insbesondere haben müssen. Diese Schauspieler sind erstlich diejenigen, welche man in der Komödie Vorzugsweise, die komischen nennt; zweytens diejenigen, welche sich in der Tragödie durch ihre Tugenden unsere Bewunderung, und durch ihre Unglücksfälle unser Mitleiden erwerben sollen; und drittens diejenigen, welche so wohl in der Tragödie als Komödie die Rollen der Liebhaber vorstellen. Alle diese haben gewisse besondere Gaben nöthig, welches Theils innerliche, Theils Schauspieler. äußerliche sind. Dieser Eintheilung gemäß macht der Verfasser in diesem zweyten Buche zwey Abschnitte, deren erster die innerlichen, und der zweyte die äußerlichen Gaben untersucht. Wir wollen uns zu dem ersten Abschnitte wenden, welcher aus fünf Hauptstücken besteht. Jn dem ersten Hauptstücke zeigt er, daß die Munterkeit denjenigen Schauspielern, welche uns zum lachen bewegen sollen, unumgänglich nöthig sey. Wenn man, sind seine Worte, eine komische Person vorstellt, ohne selbst Vergnügen daran zu haben, so hat man das bloße Ansehen eines gedungenen Menschen, welcher nur deswegen Komödiant ist, weil er sich seinen Lebensunterhalt auf keine andre Art verschaffen kann. Theilt man aber das Vergnügen mit dem Zuschauer, so kann man sich allezeit gewiß versprechen, zu gefallen. Die Munterkeit ist der wahre Apollo der komischen Schauspieler. Wenn sie aufgeräumt sind, so werden sie fast immer Feuer und Genie haben. = = Es ist aber hierbey wohl zu merken, daß man diese Munterkeit mehr in ihrem Spiele als auf ihren Gesichtern zu bemerken verlangt. Man giebt tragischen Schauspielen die Regel: weinet wenn ihr wollt, daß ich weinen soll; und den komischen Schauspielern sollte man die Regel geben: Lachet fast niemals, wenn ihr wollt, daß ich lachen soll. = = Das Auszug aus demzweyte Hauptstück zeigt, daß derjenige, welcher keine erhabneSeele habe, einen Helden schlecht vorstelle. Unter dieser erhabnen Seele muß man nicht die Narrheit gewisser tragischen Schauspieler verstehen, welche auch außer dem Theater noch immer Prinzen zu seyn sich einbilden. Auch nicht das Vorurtheil einiger von ihnen, welche große Acteurs den allergrößten Männern gleich schätzen, und lieber gar behaupten möchten, es sey leichter ein Held zu seyn, als einen Helden gut vorzustellen. Die Hoheit der Seele, von welcher hier geredet wird, besteht in einem edeln Enthusiasmo, der von allem was groß ist in der Seele gewirkt wird. Dieser ist es, welcher die vortreflichen tragischen Schauspieler von den mittelmäßigen unterscheidet, und sie in den Stand setzt, das Herz des gemeinsten Zuschauers mit Bewegungen zu erfüllen, die er sich selbst nicht zugetrauet hätte = = Mit diesem Enthusiasmo, welcher für diejenige Person gehöret, die Bewunderung erwecken soll, muß derjenige Theil der Empfindung verbunden werden, welchen die Franzosen unter dem Namen des Eingeweides (d'Entrailles) verstehen, wenn eben dieselbe Person unser Mitleiden erregen will. Hier von handelt das dritte Hauptstück. „Wollen die tragischen Schauspieler, sagt der Verfasser, unstäuschen; so müssen sie sich selbst täuschen. Sie müssen sich einbilden, daß sie wirklich das Schauspieler. sind, was sie vorstellen; eine glückliche Raserey muß sie überreden, daß sie selbst diejenigen sind, die man verräth, die man verfolgt. Dieser Jrrthum muß aus ihrer Vorstellung in ihr Herz übergehen, und oft muß ein eingebildetes Unglück ihnen wahrhafte Thränen auspressen. Alsdann sehen wir in ihnen nicht mehr frostige Komödianten, welche uns durch gelernte Töne und Bewegungen für eingebildete Begebenheiten einnehmen wollen. Sie werden zu unumschränkten Gebiethern über unsre Seelen; sie werden zu Zaubrern, die das unempfindlichste empfindlich machen können = = Und dieses alles durch die Gewalt der Traurigkeit, welche Leidenschaft eine Art von epidemischer Krankheit zu seyn scheinet, deren Ausbreitung eben so schnell als erstaunlich ist. Sie ist von den übrigen Krankheiten darinne unterschieden, daß sie sich durch die Augen und durch das Gehör mittheilet; wir brauchen eine mit Grund wahrhaft betrübte Person nur zu sehen, um uns zugleich mit ihr zu betrüben. Der Anblick der andern Leidenschaften ist so ansteckend nicht. Es kann sich ein Mensch in unsrer Gegenwart dem allerheftigsten Zorne überlassen; wir bleiben gleichwohl in der vollkommensten Ruhe. Ein andrer wird von der lebhaftesten Freude entzückt, wir aber legen unsern Ernst deswegen nicht ab. Nur die Thränen, wenn es auch schon Thränen einer Person sind, Auszug aus dem die uns gleichgültig ist, haben fast immer das Vorrecht uns zu rühren. Da wir uns zur Mühe und zum Leiden gebohren wissen, so lesen wir voll Traurigkeit unsere Bestimmung in demSchicksale der Unglücklichen, und ihre Zufälle sind für uns ein Spiegel, in welchem wir mit Verdruß das mit unserm Stande verknüpfte Elend betrachten. = = Dieses bringt den Verfasser auf eine kleine Ausschweifung, welche viel zu artig ist, als daß ich sie hier übergehen sollte. = = Es ist nicht schwer, spricht er, von unsrer Leichtigkeit uns zu betrüben einen Grund anzugeben. Allein desto schwerer ist es die Natur desjenigen Vergnügens eigentlich zu bestimmen, welches wir, bey Anhörung einerTragödie, aus dieser Empfindung ziehen. Daß man in der Absicht vor die Bühne geht, diejenigen Eindrücke, welche uns fehlen, daselbst zu borgen, oder uns von denjenigen, die uns mißfallen, zu zerstreuen, darüber wundert man sich gar nicht. Das aber, worüber man erstaunt, ist dieses, daß wir oft durch die Begierde Thränen zu vergießen dahin geführt werden. Unterdessen kann man doch von dieser wunderlichen Neigung verschiedne Ursachen angeben, und die Schwierigkeit dabey ist bloß, die allgemeinste davon zu bestimmen. Wenn ich gesagt habe, daß das Unglück andrer ein Spiegel für uns sey, in welchem wir dasSchicksal, zu dem wir verurtheilet sind, Schauspieler. betrachten, so hätte ich einen Unterscheid dabey machen können. Dieser Unterschied kann hier seine Stelle finden, und er wird uns eine von den Quellen desjenigen Vergnügens, dessen Ursprung wir suchen, entdecken. Der Anblick eines fremden Elends ist für uns schmerzlich, wenn es nehmlich ein solches Elend ist, dem wir gleichfalls ausgesetzt sind. Er wird aber zu eine Tröstung, wenn wir das Elend nicht zu fürchten haben, dessen Abschilderung er uns vorlegt. Wir bekommen eine Art von Erleichterung, wenn wir sehen, daß man in demjenigen Stande, welchen wir beneiden, oft grausamen Martern ausgesetzt sey, für die uns unsre Mittelmäßigkeit in Sicherheit stellet. Wir ertragen alsdenn unser Uebel nicht nur mit weniger Ungeduld, sondern wir wünschen uns auch Glück, daß wir nicht so elend sind, als wir uns zu seyn eingebildet haben. Doch daher, daß uns fremde Unglücksfälle, welche grösser als die unsrigen sind, unsrer geringen Glücksumstände wegen trösten, würde noch nicht folgen, daß wir in der Betrübniß über diese Unglücksfälle ein Vergnügen finden müßten, wenn unsre Eigenliebe, indem sie ihnen diesen Tribut bezahlt, nicht dabey ihre Rechnung fände. Denn die Helden, welche durch ihr Unglück berühmt sind, sind es zugleich auch durch ausserordentliche Eigenschaften. Je mehr uns ihr Schicksal rührt, desto deutlicher zeigen wir, Auszug aus dem daß wir den Werth ihrer Tugenden kennen, und der Ruhm, daß wir die Größe gehörig zu schätzen wissen, schmeichelt unserm Stolze. Ubrigens ist die Empfindlichkeit, wenn sie von der Unterscheidungskraft geleitet wird, schon selbst eine Tugend. Man setzt sich in die Klasse edler Seelen, indem man durchlauchten Unglücklichen das schuldige Mitleiden nicht versaget. Auf der Bühne besonders läßt man sich um so viel leichter für vornehme Personen erweichen, weil man weis, daß diese Empfindung durch die allzulange Dauer uns nicht überlästig fallen, sondern eine glückliche Veränderung gar bald ihrem Unglücke, und unsrer Betrübniß ein Ende machen werde. Werden wir aber in dieser Erwartung betrogen, und werden diese Helden zu Opfern eines ungerechten und barbarischen Schicksals; so werfen wir uns alsdann zwischen ihnen und ihren Feinden zu Richtern auf. Es scheint uns sogar, wenn wir die Wahl hätten, entweder wie die einen umzukommen, oder wie die andern zu triumphiren, daß wir nicht einen Augenblick in Zweifel stehen würden, und dieses macht uns in unsern Augen desto größer. Vielleicht würde die Untersuchung, welche von diesen Ursachen den meisten Einfluß in das Vergnügen habe, mit dem wir in einem Trauerspiele weinen, ganz und gar vergebens seyn. Vielleicht wird jede von denselben nach Beschaffenheit derjenigen SeeleSchauspieler. auf welche sie wirken, bald die vornehmste, bald die geringste= = = Wir kommen von dieser Ausschweifung wieder auf den geraden Weg. Das vierte Hauptstück beweiset, daß nur diejenigen Personen allein, welche gebohren sind zu lieben, das Vorrecht haben sollten, verliebte Rollen zu spielen. Eine gewisse Sängerin, erzehlt der Verfasser, stellte in einer neuen Oper eine Prinzeßin vor, die gegen ihren Ungetreuen in einem heftigen Feuer ist; allein sie brachte diejenigeZärtlichkeit, welche ihre Rolle erforderte, gar nicht hinein. Eine von ihren Gesellschafterinnen, die der Ursachen ungeachtet, warum zwey Personen von einerley Profeßion und von einerley Geschlecht einander nicht zu lieben pflegen, ihre Freundin war, hätte gar zu gerne gewollt, daß sie diese Rolle mit Beyfall spielen möchte. Sie gab ihr daher verschiedene Lehren, aber diese Lehren blieben ohne Wirkung. Endlich sagte die Lehrerin einmal zu ihrer Schülerin: Jst denn das, was ich von ihnen verlange, so schwer? Setzen sie sich doch an die Stelle der verrathenen Geliebte! Wenn sie von einem Menschen, den sie zärtlich liebten, verlassen würden, würden sie nicht von einem lebhaften Schmerze durchdrungen seyn? Würden sie nicht suchen — — ;Jch?; antwortete die Ac Auszug aus dem trice, an die dieses gerichtet war; ;ich würde auf das schleunigste, einen andern Liebhaber zu bekommen suchen. Ja, wenn das ist, antwortete ihre Freundin, so ist ihre und meine Mühe vergebens. Jch werde sie ihre Rolle nimmermehr gehörig spielen lehren. Diese Folge war sehr richtig; denn eine wahre Zärtlichkeit auszudrücken, dazu ist alle Kunst nicht hinlänglich. Man mag sich auch noch so sehr bestreben, das unschuldige und rührenden Wesen derselben zu erreichen; es wird doch noch immer von der Natur eben so weit unterschieden seyn, als es die frostigen Liebkosungen einer Buhlerinn, von den affektvollen Blicken einer aufrichtigen Liebhaberin sind. Man stellt alle übrige Leidenschaften unvollkommen vor, wenn man sich ihren Bewegungen nicht überläßt, aber wenigstens stellt man sie doch unvollkommen vor. Man ahmet mit kaltem Blute den Ton eines Zornigen schlecht nach, allein man kann doch wenigstens einige von den andern äusserlichen Zeichen, durch welche er sich an den Tag legt, entlehnen; und wenn man in verschiedenen Rollen schon nicht die Ohren betriegt, so betriegt man doch wenigstens die Augen. Jn den zärtlichen Rollen aber kann man eben so wenig die Augen, als die Ohren betriegen, wenn man nicht von der Natur eine zurLiebe gemachte Seele bekommen hat. — — Will man, fährt der Verfasser fort, die Ursache wis Schauspieler.sen, warum man zwar die Larve der andern Leidenschaften borgen, die Entzückungen der Zärtlichkeit aber nur auf eine sehr ungetreue Art nachbilden kann, wenn man nicht selbst liebt, oder wohl gar zu lieben nicht fähig ist, so will ich es wagen eine Vermuthung hierüber vorzutragen. Die übrigen Leidenschaften mahlen sich blos dadurch auf dem Gesichte, daß sie in den Zügen eine gewisse Art von Veränderung verursachen; die Zärtlichkeit hingegen hat, so wie die Freude, das Vorrecht, der Gesichtsbildung neueSchönheiten zu geben und ihre Fehler zu verbessern. Daher also, daß man uns von gewissen Leidenschaften ein unvollkommenes Bild vorstellen kann, ohne von ihnen selbst beherrscht zu werden, folgt noch nicht, daß man auch die sanfte Drunkenheit der Liebe auch nur unvollkommen nachahmen könne, ohne sie selbst zu fühlen. — — Aus allem diesen zieht der Verfasser in dem fünften Hauptstücke die Folgerung, daß man sich nicht mehr mit diesen Rollen abgeben müsse, wenn man nicht mehr in dem glücklichen Alter zu lieben sey. Die Wahrheit dieser Folgerung fällt zu deutlich in die Augen, als daß es nöthig wär, seine Gründe anzuführen, die ohnedem auf das vorige hinaus lauffen. — — Wir kommen vielmehr sogleich auf den zweyten Abschnitt dieses zweyten Buchs, worinn, wie schon gesagt, die äusserlichen Gaben abgehandelt werden, welche zu gewis Auszug aus demsen Rollen insbesondere nöthig sind. Es geschieht dieses in vier Hauptstücken, wovon daserste die Stimme angeht, und zeiget, daß eine Stimme, welche in gewissen Rollen hinlänglich ist, in andern Rollen, welche uns einnehmen sollen, es nicht sey. Bey komischen Schauspielern ist es fast genug, wenn wir ihnen nur alles, was sie sagen sollen, hinlänglich verstehen können, und wir können ihnen eine mittelmäßige Stimme gar gern übersehen. Der tragische Schauspieler hingegen muß eine starke, majestätische und pathetische Stimme haben; der, welcher in der Komödie Personen von Stande vorstellt, eine edle; der, welcher den Liebhaber macht, eine angenehme, und die, welche die Liebhaberin spielt, eine bezaubernde. Von der letztern besonders verlanget man diejenigen überredenden Töne, mit welchen eine Schöne aus dem Zuschauer, alles was sie will, machen und von ihrem Liebhaber, alles was sie begehrt, erlangen kann. Eine reitzende Stimme kann anstatt vieler andern Vorzüge seyn. Bey mehr als einer Gelegenheit hat die Verführung der Ohren über das Zeugniß der Augen gesiegt, und eine Person, der wir unsere Huldigung verweigerten, wenn wir sie blos sahen, hat sie vollkommen zu verdienen geschienen, wenn wir sie gehöret haben — — Von der Stimme kommt der Verfasser auf die Gestalt und zeigt in demzweyten Hauptstücke, daß die LiebhaberSchauspieler.in der Komödie eine liebenswürdige, und die Helden in der Tragödie eine ansehnliche Gestalt haben müssen. Weil es wahrscheinlich ist, daß die erhabenen Gesinnungen einer Prinzeßin sie bewegen können, bey einem Helden die nicht allzu regelmässige Bildung seines Gesichts in Ansehung seiner übrigen grossen Eigenschaften, zu vergessen: so ist es eben nicht so unumgänglich nöthig, daß der Liebhaber in der Tragödie von einer durchaus reitzenden Gestalt sey, wenn seine Rolle sich nur ungefehr zu seinem Alter schikt. Jn der Komödie aber pflegen wir strenger zu seyn. Weil diese uns in den Gesinnungen und Handlungen ihrer Personen nichts als das Gemeine zeigt, so bilden wir uns ihre Helden auch von keinen so ausnehmenden Verdiensten ein, daß sie über das Herz siegen könnten, ohne die Augen zu reitzen, und ihre Heldinnen stellen wir uns nicht so gar zärtlich vor, daß sie bey dem Geschencke ihres Herzens nicht ihre Augen zu Rathe ziehen sollten. Die Gestalt des Liebhabers muß die Zärtlichkeit derjenigen, von welcher er geliebet wird, rechtfertigen; und die Liebhaberin muß uns ihre Liebe nicht blos mit lebendigen Farben abschildern, sondern wir müssen sie auch nicht für unwahrscheinlich halten, noch ihren schlechten Geschmak dabey tadeln können. Man wirft zwar ein, daß man im gemeinen Leben oft genug eine Schöne nach einen gar nicht liebenswürdigen Menschen seuf Auszug aus demzen sehe, und daß uns daher ein klein wenig Ueberlegung gleiche Ereignungen auf dem Theater erträglich machen könne. Hierauf aber ist zu antworten, daß man in der Komödie das Vergnügen durchaus nicht von der Ueberlegung will abhangen lassen. Bey den Liebhaberinnen ist diese Bedingung noch nothwendiger, als bey den Liebhabern. Es ist zwar nicht eigentlichSchönheit, was sie besitzen müssen; sondern es ist etwas, was noch mehr als Schönheit ist, und welches noch allgemeiner und noch mächtiger auf die Herzen wirkt; es ist ein ich weis nicht was, wodurch ein Frauenzimmer reitzend wird, und ohne welches sie nur umsonst schön ist; es ist eine gewisse siegende Anmuth, welche eben so gewiß allezeit rührt, als es gewiß ist, daß sie sich nicht beschreiben läßt. — — Gleiche Bewandniß hat es auch mit denjenigen Personen, welchen der Verfasser in Ansehung ihres Standes und ihrer Gesinnungen über das Gemeine hinaus setzt; ihre äusserliche Gestalt muß ihre Rolle nicht erniedrigen. Obgleich die Natur ihre Gaben nicht allezeit dem Glanze der Geburth gemäß einrichtet, und obgleich oft mit einer sehr schlechten Physiognomie sehr ehrwürdige Titel verbunden sind: so ist es uns doch zuwider, wenn wir einen Schauspieler von geringen Ansehen eine Person von Stande vorstellen sehen. Seine Gestalt muß edel, und seine Gesichtsbildung muß sanft und glücklich seyn, wenn er gewiß Schauspieler. seyn will, Hochachtung und Mitleiden in uns zu erregen. Man weis in Paris noch gar wohl, was einem gewissen Schauspieler wiederfuhr, welcher seine Probe spielen sollte. Es fehlte ihm weder an Empfindung, noch an Witze, noch an Feuer; nur sein äusserliches war gar nicht heldenmäßig. Einsmals stellte er die Person des Mithridats vor, und stellte sie so vor, daß alle Zuschauer mit ihm hätten zufrieden seyn müssen, wenn er lauter Blinde zu Zuschauern gehabt hätte. Jn dem Auftritte, wo Monime zu dem Könige sagt: Herr, du änderst dein Gesicht, rufte ein Spottvogel aus dem Parterre der Schauspielerin zu: Laßt ihn doch ändern. Auf einmal verlohr man alle Gaben des Schauspielers aus den Augen, und dachte bloß und allein an die wenige Uebereinstimmung, die sich zwischen ihm und seiner Person befände. — — Jn dem dritten Hauptstücke kömmt der Verfasser auf das wahre oder anscheinende Verhältniß, welches zwischen demAlter des Schauspielers und dem Alter der Person seyn muß. Ein Portrait, das wegen seiner Zeichnung und seiner Farbenmischung auch noch so schätzbar ist, wird doch mit Recht getadelt, wenn es diejenige Person, die es vorstellen soll, älter macht. Eben so wird uns auch ein Schauspieler, wenn er auch sonst noch so vollkommen spielt, nur mittelmäßig gefallen, wenn er für seine Rolle allzu alt ist. Es ist nicht Auszug aus dem genug, daß man uns Jphigenien nicht mit Runzeln und den Britannicus nicht mit grauen Haaren zeiget; wir verlangen beyde in allen Reitzungen ihrer Jugend zu sehen. Einige Jahre zwar kann der Acteur älter als seine Person seyn, weil er uns alsdann, wenn er diesen Unterscheid wohl zu verbergen weis, das Vergnügen einer doppelten Täuschung verschaft, welches wir nicht haben würden, wenn er in diesem Falle nicht wäre. — — Dieses ist zu deutlich, als daß der Verfasser nöthig haben sollte viel Worte damit zu verschwenden. Er thut es auch nicht, sondern eilt mit dem ersten Theile seines Werks zu Ende, indem er nur noch ein kleines Hauptstück, welches das vierte ist, und besonders die Mägdchen und die Bedienten angehet, hinzu thut. Bey einigen Rollen ist es gut, wenn die Schauspielerinnen, welche die Mägdchen vorstellen, nicht allzu jung mehr sind; bey einigen aber müssen sie nothwendig jung seyn, oder wenigstens jung scheinen, um ihre Jugend zu einer Art von Entschuldigung für die unbedachtsamen Reden, welche sie meistentheils führen, oder für die nicht allzuklugen Rathschläge, die sie ihren Gebietherinnen oft bey Liebeshändeln geben, zu machen. Wenn aber das Mägdchen eben nicht allezeit jung seyn darf, so muß sie doch immer eine ausserordentliche Flüchtigkeit der Zunge besitzen. Diese Eigenschaft ist besonders in den Lustspielen des Schauspiel.Regnards sehr nöthig, wo ohne dieselbe bey verschiednen Rollen alle Anmuth wegfällt. Auch fordert man von den Mägdchen eine schalkhafte Mine, und von den Bedienten Geschwindigkeit und Hurtigkeit. Ein dicker Körper schickt sich daher für die Bedienten eben so wenig, als sich für die Mägdchen das Stottern schicken würde.


58 - Ajax des Sophokles /

Ich! — Ich störte ihm diese grausame Freude. Mit täuschendenBildern füllte ich sein Auge, und wandte ihn gegen die vermischten Heerden, gegen die Hüter des sämtlichen Beuteviehs. Welch ein Metzeln! Alles hieb er um sich in Stücke. Bald glaubte er, beide Atriden mit eigner Hand zu morden; bald gegen einen andern Heerführer zu wüten. Denn ich reizte den Wahnwitzigen, und ließ die grausamste der Erynnen gegen den Tobenden los.


59 - Thomson's Agamemnon /

O my father! My joy! my pride! my glory! whom, in dreams, I oft have seen, as if return'd from Troy; But still unwelcome morning, with a tear, Wip'd out the dear illusion of the night. And is it then no more a faithless vision? Oh 'tis my father! whose departure hence, And Iphigenia's death I just remember. How glorious, Iphigenia, was thy death! A death I envy rather than lament. Who would not die to gain immortal fame, Deliver Greece, and crown a father's glory ?


60 - Thomson's Agamemnon /

O mein Vater! meine Freude! mein Stolz! mein Ruhm! den ich oft im Traume, als käme er von Troja zurück, gesehn habe! Doch immer löschte der unwillkommne Morgen die werthen Täuschereien der Nacht mit Thränen aus. — — Ist es also kein unglaubliches Gesichte mehr? Nein, er ist's; es ist mein Vater, dessen Abreise von hier wie des Todes der Iphigenia ich mich noch wohl erinnere. Wie glorreich war Dein Tod, Iphigenia! ein Tod, den ich mehr beneide als beklage. Wer wollte nicht sterben, einen unsterblichen Ruhm zu gewinnen, Griechenland zu befreien und die Ehre eines Vaters zu vermehren!