Suchbegriff: staa
Treffer: 472

31 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn gleicher Absicht erzählt Hippokrates, (in dem Briefe an den Damaget) daß er

*) Man muß wissen, wie weit sich die Grenzen jeder Wissenschaft erstrecken, und welche Fragen dahin einschlagen.

einstmals jenen grossen Weltweisen, den Demokrit, besucht, und sich mit ihm von den Meynungen unterredet habe, die der Pöbel von der Arzeneykunst heget, indem er, sobald er sich gesund siehet, behauptet, GOtt habe ihn gesund gemacht, ohne dessen Willen die geschickteste Sorgfalt des Arztes ganz umsonst wäre. Diese Art zu urtheilen ist so alt, und so unzähligmal von den Naturforschern widerlegt worden, daß es sehr überflüssig, ja einigermassen nachtheilig seyn würde, wenn ich mich, hier sie gänzlich abzuschaffen, bemühen wollte: weil es in der That besser ist, daß der Pöbel, der die nächsten Ursachen einer jeden Wirkung nicht weiß, die allgemeine Ursache, den Willen GOttes anführet, als daß er eine Ungereimtheit vorbringt. Unterdessen habe ich mich doch, mehr als einmal, den Grund auszuforschen bestrebt, warum das gemeine Volk so gar gerne alle Dinge gleich GOtt zuschreibt, die Natur verläßt, und alle natürliche Mittel, deren sich die Allmacht bedient, übersieht. Jch weiß nicht, ob ich es getroffen habe; so viel aber läßt sich leicht begreiffen, daß der Pöbel, weil er nicht weiß, welche Wirkungen er unmittelbar GOtt, und welche er der Natur zuschreiben soll, beynahe gedrungen ist, so zu reden. Erstlich, weil die Menschen größtentheils sehr ungeduldig sind. Sie sehen nichts lieber, als wenn das, was sie verlangen, sogleich geschieht, und haben selten kaltes Blut genug, die natürlichen Mittel ruhig abzuwarten, welche sich sehr weit erstrecken, und ihre Wirkungen nur mit der Folge der Zeit äussern. Sie wissen, daß GOtt allmächtig ist, und daß er in einem Augenblicke alles schaffen kann, was er will; und nach den Beyspielen, welche ihnen ihr Gedächtniß darbietet, verlangen sie eben so unmittelbar gesund, wie der Gichtbrüchtige; weise, wie Salomo; reich, wie Hiob; und, wie David, von ihren Feinden befreyet zu werden. Zweytens sind wir Menschen ein vermessenes und stolzes Geschöpfe. Es giebt nicht wenige, welche sogar verlangen, GOtt solle ihnen eine besondere Gnade, nicht eine so allgemeinnützige erzeigen, als etwa der Gebrauch der Sonne ist, die er über Gute und Böse aufgehen läßt; weil ihnen die Wohlthaten desto grösser scheinen, je wenigern sie erwiesen werden. Daher kömmt es, daß gewisse Leute Oertern, welche der Andacht gewidmet sind, Wunder, die daselbst geschehen seyn sollen, andichten. Der Pöbel besucht sie, und er verehrt sie als Personen, mit welchen GOtt eine besondre Rechnung hat, und theilt ihnen, wenn sie arm sind, reichliche Allmosen mit, so, daß ihr Aberglaube jenen zum Wucher wird. Drittens sind die Menschen sehr zur Bequemlichkeit geneigt; die natürlichen Ursachen aber sind so geordnet und so an einander gekettet, daß man nicht ohne Mühe zu ihren Wirkungen gelangen kann. Sie wollen also, daß GOtt mit ihnen nach seiner Allmacht handle, und daß ihre Wünsche oh ne ihren Schweiß erfüllt werden. Der Bosheit derjenigen will ich hier nicht gedenken, welche von GOtt Wunder verlangen, um seine Allmacht auf die Probe zu stellen, und zu sehen, ob er sie thun kann; oder um Feuer vom Himmel und andre grausame Strafen bitten, ihr rachbegieriges Herz zu befriedigen. Endlich will der größte Theil des Pöbels sehr fromm seyn. Er dringt auf die Verherrlichung GOttes, und glaubt, daß diese weit eher durch Wunder, als durch natürliche Wirkungen erlangt werde. Er weiß aber nicht, daß GOtt nur alsdenn übernatürliche Begebenheiten verrichtet, wenn er seine Allmacht an denjenigen, die sie nicht erkennen, beweisen, oder seine Lehre bestärken will; und daß ausser diesen Fällen sich GOtt natürlicher Mittel bedient. *) Dieses läßt sich leichtlich daher begreifen, weil GOtt heut zu Tage keine Wunder mehr thut, wie er in dem alten Testamente und zu Anfange des neuen gethan hat. Er thut sie aber deßwegen nicht mehr, weil er nunmehr auf seiner Seite alle Vorsorge angewandt hat, daß die Menschen ihre Unwissenheit nicht mehr vorwenden können. Zu glauben aber, GOtt werde eben die Beweise noch einmal führen, und werde seine Lehre mit neuen Wundern, z. E. durch Erweckung der

*) Und der Herr wirkte mit ihnen, und bekräftigte ihr Wort durch mitfolgende Zeichen. Marci am letzten.

Todten, durch Sehendmachung der Blinden, durch Heilung der Lahmen nnd Gichtbrüchtigen, aufs neue bestärken, ist ein sehr grosser Jrrthum, weil GOtt, was den Menschen zu wissen nöthig ist, nur einmal lehrt, und nur einmal mit Wundern beweiset, ohne sie jemals zu wiederholen. *) Jch weiß kein Merkmal, aus welchem man sicherer schliessen könnte, daß ein Mensch keine Fähigkeit zur Naturlehre habe, als wenn man siehet, daß er geneigt ist, aus allen Sachen ohne Unterschied Wunderwerke zu machen: da man im Gegentheile demjenigen, welcher nicht eher ruhet, als bis er die besondre Ursache einer Wirkung entdecket hat, das dazu erforderliche Genie sicher zutrauen kann. Dieser weiß, daß es Wirkungen giebt, mit welchen man unmittelbar auf GOtt zurück gehen muß, dergleichen die Wunder sind; daß es aber weit mehrere giebt, die ihre bestimmten Ursachen haben, die man also aus der Natur erklären muß, ob man gleich in diesem Falle sowohl als in jenem nur GOtt zum ersten Urheber angiebt. Wenn daher Aristoteles sagt: GOtt und die Natur thun nichts umsonst; so ist seine Meynung nicht, als wäre die Natur eine von GOtt abgesonderte und mit ihm gleich allgemeine Ursache. Er verstehet vielmehr unter der Natur diejenige Ordnung, welche GOtt in der Welt festgesetzt hat, und

*) Semel loquitur Deus, et secundo id ipsum non repetit. Hiob 33, 14.

nach welcher die Ursachen und Wirkungen so verbunden sind, als es die Erhaltung der Welt erfordert. Auf eben die Art sagt man: der König und das Gesetz thun niemanden Unrecht. Hier heißt das Gesetz nicht etwas gewisses, welches mit dem Könige, ohne von ihm abzuhängen, die oberste Gewalt zugleich führet; sondern es ist nichts, als der Name, welcher alle Gesetze und Verordnung unter sich begreift, die der König zur Erhaltung der Ruhe in seinemStaate hat bekannt machen lassen. Wie sich also der König gewisse Fälle vorbehalten hat, welche durch das Gesetz nicht entschieden werden können, weil sie allzu besonders und wichtig sind; eben so hat sich GOtt die wunderbaren Wirkungen vorbehalten, welchen er natürliche Ursachen weder geben konnte, noch wollte. Hier muß man aber wohl merken, daß es nur eine Sache für einen sehr grossen Naturforscher sey, die übernatürlichen Wirkungen zu erkennen, und sie von den natürlichen zu unterscheiden, weil er die bestimmten Ursachen aller und jeder Wirkungen kennen muß; welches aber gleichwohl noch nicht genug ist, wenn nicht die rechtgläubige Kirche dasjenige, was er für Wunder erkennet, gleichfalls für Wunder annimmt. DieNaturlehrer müssen eben das thun, was die Rechtsgelehrten thun. *) Diese lesen das bürgerliche

*) Die Unwissenheit in der Naturlehre macht Wunder, wo keine sind.

Gesetz und drücken es ihrem Gedächtnisse fest ein, damit sie in dem oder jenem Falle untrüglich wissen mögen, was des Königs Wille sey; jene bestreben sich die Ordnung und Folge zu erkennen, welche GOtt, gleich von dem ersten Tage der Schöpfung an, in der Welt feststellte, damit sie die Art einsehen können, nach welcher er eine Wirkung aus der andern hat wollen entspringen lassen. Wie es also sehr lächerlich wäre, wenn ein Rechtsgelehrter in seinen Schriften als etwas ausgemachtes anführte, der König wolle diesen oder jenen Fall so und nicht anders entschieden wissen, ohne das Gesetz zu nennen, nach welchem er entschieden werden muß; eben so lächerlich kömmt es den Naturforschern vor, wenn sie jemanden sagen hören: dieses oder jenes Werk ist von GOtt, ohne daß er die Reihe der besondern Ursachen, aus welchen es entspringen kann, angiebt. Und wie der König denjenigen nicht erhören will, welcher von ihm die Abschaffung eines gerechten Gesetzes, oder die Entscheidung eines Falles wider die Art, nach welcher er will, daß in den Gerichten entschieden werden soll, bittet; so will auch GOtt denjenigen nicht erhören, welcher ohne Noth Wunder oder Thaten, die in dem Zusammenhange der Welt ihren Grund nicht haben, verlangt. Denn obgleich ein König fast alle Tage Gesetze giebt und aufhebt, und die gerechtlichen Verfahrungen ändert, theils, weil sich die Umstände der Zeit ändern, theils, weil die menschliche Klug heit viel zu schwach ist, als daß sie gleich auf das erstemal alles nach der schärfsten Wahrheit und Gerechtigkeit anordnen sollte; so hat doch der einmal von GOtt festgesetzte Zusammenhang, nach welchem in der Welt eins aus dem andern folgt, und welchen wir die Natur nennen, nicht nöthig, daß er nur in dem geringsten Stücke aufgehoben oder verändert werde, weil ihn GOtt mit einer so unendlichen Weisheit angeordnet hat, daß derjenige, welcher von ihm etwas ausser und wider diesen Zusammenhang zu thun bittet, durch diese Bitte sein Werk für unvollkommen erkläret.


32 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Schade, daß alles dieses nicht ausführbar ist, und daß man mit Garven den Richterstuhl, der über die Fähigkeiten junger Bürger in einem Staate den Ausspruch thun, und jedem seine Lebensart nach diesem Ausspruche zuerkennen sollte, unter die schönen Vorschläge rechnen muß, die zu weiter nichts dienen, als ihre Erfinder zu belustigen! Wodurch will man, fragt dieser scharfsinnige Schriftsteller in seinem Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten, die Fähigkeiten desGeistes kennen lernen, wenn man ihn nicht handeln sieht? Und doch, was kann es in diesem Alter für Verrichtungen geben, bey denen diese Fähigkeiten merklich würden? Es geht mit der Bildung der Geister, wie mit der Entstehung der Körper. Wir werden diese letztern nicht eher gewahr, als bis sie schon eine merkliche Grösse erreicht haben, und schon lange über die Epoque hinaus sind, wo sich ihre Bestandtheile zusammenfügten, und durch ihre Lage und Gestalt die Beschaffenheit und die Erscheinungen des künftigen Dinges bestimmten. S. GarvensSammlung einiger Abhandlungen, S. 8. und 9. E.


33 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Diesen letztern allein ist es erlaubt, Bücher zu schreiben, den andern aber nicht. *) Denn, wenn die Wissenschaften von Tag zu Tag zunehmen und vollkommener werden sollen; so muß dasjenige, was uns die Alten in ihren Schriften hinterlassen haben, mit den neuen Erfindungen der jetzt lebenden vermehrt werden. Wenn jeder zu seiner Zeit dieses thäte, so würden die Künste nothwendig steigen, und die Nachwelt würde die Erfindungen und Arbeiten der vergangenen Zeiten nützen können. Allen denen, welche keine Erfindungskraft haben, sollte man es in einem Staate gar nicht erlauben, daß sie Bücher schrieben, und ans Licht stellten; weil alles, was sie thun, darinn besteht, daß sie in beständigen Zirkeln von Meynungen und Aussprüchen grosser Schriftsteller, die sie ohn Unterlaß anführen und wieder anführen, herumlaufen. Wenn man hier ein Stück borgen und dort ein Stück stehlen darf, so wird jeder ein Werk schreiben können. Die toscanische Sprache nennt die erfindenden Köpfe wegen der Gleichheit, die sie mit den Ziegen im Gehen

*) Bey den Wissenschaften und in Ausfertigung der Bücher, sagt Galenus, (εἰς το κατ' ἰη- τρειον ὑπομν. α.) braucht man entweder den Verstand, oder die Einbildungskraft, oder das Gedächtniß: diejenigen aber, die aus ihrem vollen Gedächtnisse schreiben, können nichts Neues vorbringen.

undnnd in dem äusserlichen Betragen haben, ca- pricciosi. *) Die Ziege geht nicht gern auf dem Ebenen; sie liebt die Hügel und Felsen, auf welchen sie ganz allein herumklettert, und die Abgründe überschauet; sie bleibt auf keinem gebahnten Wege, und sondert sich immer von der Heerde ab. Eben diese Eigenschaften hat die vernünftige Seele, wenn sie in einem wohlorganisirten und gemässigten Gehirne wohnet; sie kann sich bey keiner Betrachtung lange aufhalten; sie geht, ohne sich wo aufzuhalten, immer weiter fort, und sucht stets neue Sachen zu entdecken und zu begreifen. Von solchen Seelen trift der Ausspruch des Hippokrates ein: ψυ-χης περιπατος φροντις ἀνθρωποισιν. **) Jm Gegentheile giebt es andere Leute, die an einer einzigen Betrachtung hängen bleiben, und sich nicht einbilden können, daß in der Welt noch etwas mehr zu entdecken sey. Diese haben die Eigenschaften der Schafe, welche niemals die Fußtapfen ihres Vorgängers verlassen, noch in wüsten und ungebähnten Orten herumzuschweifen sich getrauen; sie müßten denn dem betretenen Wege, oder dem, der sie anführt, folgen. Beyde Gattungen des Genies sind unter den Ge=

*) Diese Genies sind der Theologie sehr gefährlich. Sie müssen daher ihren Verstand sich sorgfältig an das halten lassen, was unsere Mutter, die Katholische Kirche sagt, und lehrt.

**) ἐπιδημ. βιβλ. ϛ. τμημ. ε.

lehrten nicht selten: die einen sind kühn, verfahren nie nach den gemeinen Meynungen, beurtheilen und treiben alles auf eine besondere Art, entdecken alle ihre Gedanken frey, und sind sich selbst ihre eignen Führer. Die andern sind furchtsam, demüthig, ruhig, und haben zu den Meynungen eines angesehenen Gelehrten geschworen, welchem sie in allen folgen, dessen Meynungen und Aussprüche sie für lauter Wahrheiten und unwidersprechliche Beweise halten, und dem allein zu glauben sey, wenn andre, die von ihm abgehen, nichts als Grillen und Lügen vorbringen müssen. *)


34 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wer würde sich wohl unterstehen, diese Lehre mit dem natürlichen Genie des heil. Paulus zu bestärken, und zu behaupten, daß er ein Mann von grossem Verstande, aber von wenigem Gedächtniß gewesen sey, und daß er mit aller seiner Mühe keine Sprache habe zierlich sprechen können; wenn er nicht selbst sagte: Jch achte, ich sey nicht weniger, denn die hohen Apostel sind. Und ob ich gleich albern bin mit reden, so bin ich doch nicht albern in der Erkenntniß. (2. Corinth. {??} 11.) Diese Art des Genies schickte sich zur Ausbreitung des Evangeliums so vortreflich, daß sich unmöglich etwas besseres erdenken läßt. Beredte Leute, denen es an keiner Zierlichkeit des Ausdrucks fehlt, durften die ersten Verkündiger desselben nicht seyn; weil man damals glaubte, daß die Stärke der Beredsamkeit darinnen bestehe, wenn man dem Zuhörer das Falsche für das Wahre verkaufen, und dasjenige, was das Volk für gut und nützlich hielt, durch dieRegeln der Kunst in das Gegentheil verkehren konnte. Behaupteten zum Beyspiele die damaligen Redner nicht, es sey besser, arm als reich zu seyn, besser krank als gesund, besser närrisch als weise; und hundert andere Dinge, die offenbar wider alle angenommene Meynungen liefen? Die Hebräer nannten sie daher חֲנֵפִּים das ist, Betrüger. Eben dieser Meynung war der ältere Cato, der es für sehr gefährlich hielt, dergleichen Leute in dem römischenStaate zu dulden; weil er wohl einsah, daß die Stärke des römischen Reichs blos auf den Waffen beruhe, und diese Redner das Volk schon zu überreden suchten, es wäre gut, wenn die römische Jugend die Waffen bey Seite legte, und sich dieser Art der Weisheit widmete. Er befahl ihnen daher gar bald, daß sie Rom verlassen, und niemals wieder einen Fuß dahin setzen sollten.


35 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Es muß nothwendig etwas darunter verborgen liegen, daß, da in der spanischen Sprache der Name eines Litteratus die allgemeine Benennung ist, welche einem jeden Gelehrten, er mag ein Theolog oder ein Rechtsgelehrter, oder ein Arzt, oder ein Dialektiker, oder ein Philosoph, oder ein Redner, oder ein Meßkünstler, oder ein Astrolog seyn, zukömmt: gleichwohl, wenn man sagt: der und der ist ein Litteratus, alle und jede einmüthig einen Rechtsgelehrten darunter verstehen, gleich als hätte nur dieser und kein andrer das Recht, diesen Namen zu führen. Ob nun gleich dieser Zweifel mit sehr wenig Mühe aufzulösen wäre, so wird es doch nöthig seyn, wenn wir die rechte Auflösung ertheilen sollen, vorher zu wissen, was das Gesetze sey, und was diejenigen zu thun verbunden sind, welche sich dieser Wissenschaft befleißigen, wenn sie dieselbe einmal als Richter oder Advo caten ausüben wollen? Das Gesetz, wenn man es wohl überlegt, ist nichts anders, als der vernünftige Wille des Gesetzgebers, wodurch er erklärt und bestimmt, auf was für Art er dasjenige, was gemeiniglich in einem Staate vorzufallen pflegt, wolle entschieden haben, damit seine Unterthanen im Frieden leben, und wissen können, was sie thun und was sie lassen sollen. Jch sage, ein vernünftiger Wille; weil es nicht genug ist, daß ein König oder ein Kayser (welche die wirkenden Ursachen des Gesetzes sind) seinen Willen auf irgend eine Art erkläre, wenn er ein Gesetz seyn soll. Denn, wenn dieser Wille nicht auch billig und gerecht ist, so kann er unmöglich weder den Namen noch die Verbindlichkeit eines Gesetzes haben, eben so wenig, als man den einen Menschen nennen kann, welchem die vernünftige Seele fehlt. Es ist daher ausgemacht, daß die Könige ihre Gesetze mit Zuziehung weiser und verständiger Männer machen müssen, damit sie nichts, als was recht, billig und gut ist, zur Absicht haben, damit sie die Unterthanen desto williger aufnehmen, und desto eher verbunden sind, sie zu halten, und zu erfüllen. Die Causa materialis der Gesetze muß darinnen bestehen, daß sie über Fälle gemacht werden, welche sich nach dem Laufe der Natur in einem Staate zuzutragen pflegen, nicht aber über unmögliche oder über sehr seltene Fälle.


36 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Hieraus wird man begreifen, wie viel demStaate an dieser Wahl und Prüfung der Genies zu den Wissenschaften gelegen sey; indem einige ohne alle Regeln der Kunst von sich selber einsehen und wissen, was ihnen zu thun zukomme; andere hingegen, trotz aller Vorschriften und Grundsätze, womit sie angefüllt sind, weil sie die Fähigkeit, welche die Praxis erfor dert, nicht haben, tausend Fehler begehen. Da nun also das Richten und Vertheidigen ohne Unterscheiden, ohne Folgern, ohne Schliessen und Wählen nicht geschehen kann, so ist es nothwendig, daß derjenige, welcher sich auf die Rechtsgelehrsamkeit legt, einen guten Verstand habe, weil alle diese Verrichtungen von dem Verstande, nicht aber von dem Gedächtnisse oder der Einbildungskraft abhängen.


37 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Woher kömmt es, fragt Aristoteles, *) daß, obgleich die Tapferkeit nicht die allervornehmste Tugend ist, und die Gerechtigkeit und Klugheit ihr weit vorzuziehen sind, gleichwohl der Staat, und beynahe alle Menschen einmüthig einen Tapfern höher schätzen, und ihm innerlich mehr Ehre erzeigen, als dem Gerechten und Klugen, wenn sie auch in den größten Aemtern und Würden stehen? Er antwortet auf diese Aufgabe, weil kein König in der Welt sey, welcher nicht entweder anfallende oder vertheidigende Kriege führe. Da nun die Tapfern ihm Ruhm und Länder erwer

*) προβλ. τμημ. κα{??}

ben, ihn gegen seine Feinde beschützen und seine Reiche erhalten; so wird nicht sowohl der größten Tugend, als welches keine andere als die Gerechtigkeit ist, sondern der zuträglichsten und nützlichsten Tugend die meiste Ehre erwiesen. Wenn man den Tapfern anders begegnen wollte, so würden die Könige schwerlich Generale und Soldaten finden, welche ihr Leben freywillig aufopferten, um ihre Länder und Schätze zu vertheidigen.


38 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Auch der Staat kann Hidalgos machenDenn wenn ein Mensch sich durch Tapferkeit, Tugend und Reichthum ganz besonders hervor thut, so wagt er es nicht, ihn einzurolliren; weil er es für etwas unanständiges hält und glaubt, daß er es gar wohl verdiene, für seine Person frey zu leben, und nicht mit dem gemeinen Pöbel vermengt zu werden. Wenn diese Achtung sich nun auf die Kinder und Nachkommen fortpflanzet, so entstehet ein Adel daraus, und sie bekommen dieses Vorrecht auch wider Wissen und Willen des Königes. Diese nun sind nicht deßwegen Hidalgos, weil sie den höchsten Sold jemals erworben haben; sondern man hält sie für Hidalgos, weil man das Gegentheil von ihnen nicht beweisen kann.


39 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Derjenige Spanier, welcher den Namen hijo dalgo erfand, scheinet uns in der Lehre, welche wir bisher abgehandelt haben, nicht wenig zu bestärken: denn nach seiner Meynung finden bey dem Menschen zwey Geburten Statt. Die eine Geburt ist die natürliche, in Ansehung deren alle Menschen unter einander gleich sind; die andere ist die geistige, wenn nämlich ein Mensch eine besondere Heldenthat verrichtet, oder sonst eine ungemeine Tugend ausübt. Alsdenn wird er von neuem gebohren, alsdenn erhält er bessere Aeltern, und ist das nicht mehr, was er vorher war. Gestern hieß er ein Sohn Peters und ein Enkel des Sancho, nunmehr aber ist er ein Sohn seiner eigenen Werke; und hierinnen hat das spanische Sprichwort, cada uno es hijo de sus obras, ein jeder ist der Sohn seiner Werke, seinen Grund. Selbst die heilige Schrift*) nennet gute und tugendhafte Thaten etwas, Laster und böse Handlungen aber nichts; worauf ohne Zweifel derjenige sah, welcher den Namen, hijo dalgo erfand: denn dieses Wort heißt eigentlich der Sohn jemands, und bedeutet heut zu Tage den Nachkommen eines Mannes, welcher eine besondere grosse Tugend ausgeübet hat, deswegen er von dem Könige oder von dem Staate mit gewissen Vorrechten, die bis auf seine Nachkommen fortgehen, beehret wurde.


40 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das zweyte Stück, welches, nach dem persönlichen Werthe, den Menschen geehrt macht, ist das Vermögen, ohne welches, wie wir sehen, niemand in dem Staate sehr geachtet wird.


41 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Als Salomo zum Könige und zum Haupte eines so grossen und zahlreichen Volks, als Jsrael war, erwählet wurde, so bat er, wie die heil. Schrift*) sagt, um nichts, als Weisheit vom Himmel, damit er wohl regieren könne. Diese Bitte war GOtt so angenehm, daß er ihn zur Belohnung zu dem weisesten Könige, der jemals in der Welt gewesen ist, machte. Doch auch hierbey ließ er es nicht bewenden; er gab ihm, ausser der Weisheit, grossen Reichthum und viel Ehre; und gewährte ihm also mehr, als er selbst in seinem grossen Gebete verlangt hatte. Hieraus folgt deutlich, daß die allergrößte Klugheit und Weisheit, deren ein Mensch fähig seyn kann, diejenige ist, welche der Grund der Regierung eines guten Königs seyn muß. Diese Folge ist so klar und unwidersprechlich, daß wir uns bey ihrem Beweise nicht aufhalten dürfen. Alles, was wir zu thun haben, ist dieses, daß wir zeigen, welcher Art des Genies die Kunst, ein König, und zwar ein solcher König zu seyn, wie ihn der Staat braucht, zukomme;

*) 1. Kön. Cap. III.

und daß wir hernach die Merkmale aufsuchen, woraus man es erkennen kann, ob ein Mensch dieses Genie habe oder nicht. So unwidersprechlich es ist, daß die Kunst zu regieren, alle andere Künste in der Welt übertrift, so gewiß muß auch die vollkommenste Art des Genies, welche die Natur einem Menschen nur zu geben im Stande ist, darzu nöthig seyn.


42 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Von der erzürnlichen Vermögenheit, nachdem sie zu stark oder zu schwach ist, sagt Galenus, **) daß sie ein Herz von einer üblen Beschaffenheit verrathe, welches dasjenige Temperament nicht habe, das zu seinen Verrichtungen erfordert wird. Das eine äusserste, sowohl als das andere, muß bey einem Könige weit weniger, als bey irgend einem andern Menschen, anzutreffen seyn. Die Rachsucht bey einer unumschränkten Gewalt ist für die Unterthanen eben so schädlich, als schädlich es für den König ist, wenn ihn nichts aufbringen kann. Wenn er alles leicht übersieht, was in seinem Reiche übels gethan wird, so wird er weder von den Unterthanen gefürchtet, noch verehret; woraus für den Staat so viel Unheil und so viele Uebel fliessen, daß ihnen sehr schwer abzuhelfen ist. Wenn aber ein Mensch ein gemässigtes Temperament besitzt, so erzürnt er sich, so oft er Ursache darzu hat, und ist friedfertig, so lange er es seyn kann. Diese Eigenschaft ist bey einem Könige wenigstens eben so nöthig, als alle die übrigen, die wir angeführet haben.


43 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn Ansehung nun dieser natürlichen Schamhaftigkeit des Gehörs, will auch ich mich bemühen, die harten und anstössigen Worte in dieser Materie zu lindern, und sie durch bescheidenere Redensarten zu umschreiben. Wo es sich aber nicht wohl thun lassen will, so wird es mir der geneigte Leser verzeihen, weil es eine ungemein nützliche Sache für die Republik ist, die Art und Weise, wie man Kinder von einem feinenGenie erzeugen soll, in Form einer Kunst zu bringen; indem diese Kunst zugleich dem Staate tugendhafte, wohlgebildete, gesunde, und ein langes Leben geniessende Bürger verschafft.


44 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Tauben, junge Ziegen, Knoblauch, Zwiebeln, Rüben, Pfeffer, Weinessig, blanker Wein, Honig und alle Specereyen machen, daß der Saame hitzig und trocken wird, und aus den finstern Theilen besteht. Der Knabe, der aus solchen Speisen erzeugt wird, wird von einer grossen Einbildungskraft seyn; es wird ihm aber wegen der vielen Hitze am Verstande, und wegen der vielen Trockenheit am Gedächtnisse fehlen. Solche Leute pflegen dem Staate sehr nachtheilig zu seyn, weil sie die Hitze zu vielenbösenHandlungen und Lastern geneigt macht, und ihnen auch Muth und Geschicklichkeit, sie auszuführen, giebt *). Doch wenn sie in den gehörigen Schranken gehalten werden, so leistet ihre Einbildungskraft der Republik mehr Dienste, als der Verstand und das Gedächtniß.


45 - /

In these debates some recite all the wickedness and misery they have seen, read, or heard related: wars, murders, piracies, assassinations, sacking of cities, ravaging of countries, military executions, massacres, crusado's, acts of faith in the holy inquisition: all the frauds and villanies detected in courts of justice: allthe corruption, falshood, dissimulation, ingratitude,treacherous undermining, and calumny, and lewdness, in palaces; as if these were the common employments of mankind; or as if a large portion of mankind were concerned in such things by their stations. Prisons, and hospitals, the abodes of the criminal and diseased, were never so populous as the cities where they stand: they scarce ever contained the thousandth part of a- is perfectlygood. 195 ny state. Milton's description of the infirmary, in hisChap. 9.vision, must move the hardest heart: but who will estimate the health of a people from an infirmary. A monstrous plant or animal is long exposed to view in the repositories of the curious: the rarity makes the view entertain us, and makes us fond to talk about it. But millions of regular compleat forms exist for one monster; they are so common that they raise no attention or admiration. We retain a lively remembrance of any grievous sickness or danger we escaped, of any horrid calamity, or villany: our souls are pierced with wars, slaughter, massacres, plagues; forgetting the vastly superior numbers which escape all these evils, and enjoy the common peaceful condition of life. The sufferers in these calamities seldom endure more pain than what attends a natural death; and they make not a fortieth part of mankind. Scarce five hundred thousand of our countrymen have perished by these calamities, in any century of the British history: and forty times that number, in the worst of times, have escaped them.