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31 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Und noch eine Anmerkung muß ich zum Schluße über sie machen. Es schrieb damals nicht eine und eben dieselbe Person, ohne Unterschied Tragödien und Komödien; sondern wenn jemand zu dieser oder jener Fähigkeit zu haben glaubte, so gab er sich mit der andern ganz und gar nicht ab. Dieses ist so offenbar, und die Beyspiele davon sind so bekannt, daß ich sie kaum anzuführen brauche; Aristophanes,Plautus und Terenz haben nie ein Trauerspiel geschrieben; Aeschylus, Euripides,Sophokles und Seneca haben sich nie an das Lustspiel gewagt; den tragischen Stiefel, und die komische Socke, war eben derselbe Dichter nicht gewohnt zu tragen. Da sie es also ihre ganze Sorge seyn ließen, nur in der einen Art groß zu werden, so hat man es ihnen um dramatischen Werken. so viel weniger zu verzeihen, wenn es ihnen nicht gelungen ist. Und hier würde ich Gelegenheit haben ihren Witz in Erwägung zu ziehen, wenn mich nicht Crites so ernstlich gewarnet hätte, in meinem Urtheile darüber nicht zu kühn zu seyn; denn da es todte Sprachen wären, und manche Gewohnheit oder kleiner Umstand, von welchem das feinere Verständniß abgehangen, für uns verloren gegangen, so könnten wir, meinet er, keine rechtmäßige Richter darüber abgeben. Doch ob ich gleich zugestehe, daß es uns hier und da an der Anwendung eines Sprichworts, oder einer Gewohnheit, fehlen kann, so muß doch gleichwohl, was in einerSprache Witz ist, es auch in allen seyn; und wenn es auch schon in der Uebersetzung etwas verlieret, so muß es doch für den, der das Original lieset, immer das nehmliche bleiben. Er wird von der Vortreflichkeit desselben einen Begriff haben, ob er ihn gleich in keinem andern Ausdrucke, oder in keinen andern Worten, als in welchen er es findet, von sich geben kann. Wenn Phädria, in dem Evnucho zwey Tage von seiner Geliebten abwesend seyn soll, und sich selbst, diesen Zwang auszuhalten, mit den Worten ermuntert: Tandem ego non illa caream, si opus sit, vel totum triduum? so erhebt Parmenio, um über die Weichlichkeit seines Herrn zu spotten, Augen und Hände, und ruft gleichsam voller Verwunderung aus: Von Johann Dryden u. dessenHui! universum triduum! Die Zierlichkeit dieses universum kann nun zwar in unsrer Sprache nicht aasgedrückt<ausgedrückt> werden, es bleibt aber doch ein Eindruck davon in unsern Seelen zurück. Viele dergleichen Stellen kommen bey dem Terenz nicht vor, mehrere aber bey demPlautus, welcher in seinen Metaphern und neugeprägten Wörtern unendlich kühner ist; in diesen bestehen nicht selten sein ganzer Witz, daher Horaz auch ohne Zweifel ein so strenges Urtheil von ihm gefällt hat:“


32 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Beaumont und Fletcher hatten, ausser dem Gebrauche den sie von Shakespears, als ihres Vorgängers, Geiste machen konnten, grosse natürliche Gaben, die durch gute Studien ausgebildet waren. Beaumont besonders war ein so genauer Kunstrichter in dem Dramatischen Theile der Poesie, daß ihm Ben Johnson, so lange er lebte, alle seine Werke zur Beurtheilung unterwarf, und, wie man meint, sich seiner Einsichten nicht allein zum Verbessern, sondern auch zum Entwerffen be dramatischen Werken.diente. — Das erste Stück welches Fletchern und Beaumont in Ansehen brachte, war Philaster; denn vorher hatten sie zwey oder drey Stücke mit schlechtem Glücke geschrieben, wie denn das nehmliche auch vom Ben Johnson erzehlt wird, ehe er mit seinem Every Man in his Humour zum Vorschein kam. Jhre Anlagen und Jntriguen sind meistenthels regelmäßiger als Shakespears; besonders diejenigen, die vor Beaumonts Tode gemacht worden; sie kannten auch den Ton der großen Welt besser, und wußten die wilden Ausschweifungen, und den geschwinden Witz im Antworten, der den Personen aus ihr eigen ist, so vortreflich zu schildern und nachzuahmen, als noch kein Dichter vor ihnen gethan hatte. Mit der Laune, welche Ben Johnson von einzeln Personen nachschilderte, gaben sie sich nicht sehr ab; sie stellten dafür alle Leidenschaften, und besonders die Liebe, ungemein lebhaft vor. Jch bin nicht ungeneigt zu glauben, daß in ihnen die englischeSprache zu ihrer höchsten Vollkommenheit gelangte; alle Wörter, die man seitdem darinn aufgenommen hat, sind mehr zum Ueberflusse als zur Zierde. Jhre Stücke werden itzt am häufigsten, und mit dem meisten Beyfall gespielt; durch das Jahr durch immer wenigstens zwey gegen eines von Shakespear und Johnson; und die Ursache ist, weil in ihren Komödien eine gewisse Lustigkeit, und in Von Johann Dryden u. dessen ihren ernsthaftern Stücken so etwas Pathetisches herrscht, das überhaupt allen Menschen gefällt.Shakespears Sprache ist zugleich ein wenig altvätrisch, und Ben Johnsons Witz kömmt dem ihrigen nicht gleich.


33 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Jch komme nunmehr auf Johnson. Wenn wir diesen Mann betrachten, als er noch Er war, (denn seine letzten Stücke sind Träumereyen seines Alters,) so müssen wir ihn für den gelehrtesten und vernünftigsten Scribenten halten, den jemals ein Theater gehabt hat. Er war der strengste Richter sowohl seiner selbst, als anderer. Man kann nicht so wohl sagen, daß es ihm an Witz gemangelt habe, als vielmehr, daß er sparsam damit umgegangen. Jn seinen Werken findet man wenig, was man auszustreichen oder zu ändern Ursach hätte. Witz,Sprache und Humor haben wir in gewissem Maaße bereits vor ihm; allein an Kunst fehlte es dem Drama noch in etwas, bis er sich damit abgab. Er kannte seine Stärke besser und wußte sie vortheilhafter zu gebrauchen, als irgend ein Dichter vor ihm. Man wird wenig verliebte Scenen, oder wo er Affect zu erregen bemüht gewesen wäre, bey ihm finden; denn sein Geist war zu mürrisch und saturninisch, als daß es ihm damit hätte gelingen sollen, und er sahe auch wohl, daß er nach Männern gekommen, die es in beyden zu einer mehr als gewöhnlichen Vollkommenheit gebracht hatten. dramatischen Werken. Humor war seine eigentliche Sphäre, und in dieser war es besonders seine Lust, Handwerksleute und dergleichen vorzustellen. Er war mit den Alten, sowohl Griechen als Lateinern sehr genau bekannt, und borgte von ihnen frey und keck; es ist fast kein einziger Dichter oder Geschichtschreiber unter den römischen Scribenten, aus dem er in seinem Sejanus und Catilina nicht etwas übersetzt hätte. Er begeht aber seine Räubereyen so öffentlich, daß man deutlich sieht, er müsse durchaus keine Verurtheilung der Gesetze befürchten. Er fällt über die Autores wie ein Monarch her, und was man bey einem andern Dichter für Diebstahl halten würde, das ist bey ihm bloß Sieg. Mit der Beute, die er diesen Scribenten abgenommen, stellt er uns das alte Rom, nach seinen Gebräuchen, Ceremonien und Sitten, so vollständig vor, daß wenn einer vor ihm selbst diese oder jene seiner Tragödien geschrieben hätte, wir davon weit weniger bey ihm würden gefunden haben. Wenn er einen Fehler in seinerSprache hatte, so war es dieser, daß er sie allzu dicht und mühsam in einander webte, besonders in seinen Komödien; vielleicht romanisirte er auch ein wenig zu sehr, indem er die Worte, die er übersetzte, beynahe eben so lateinisch ließ, als er sie fand, welches sich für unsere Sprache nicht allzuwohl schicken wollte. Wenn ich ihn mit Shakespearn vergleichen wollte, so Von Johann Dryden u. dessen müßte ich sagen, daß er ein correctrer Dichter,Shakespear aber ein grösser Genie sey. Shakespear war der Homer, oder Vater unsrer dramatischen Dichter; Johnson war der Virgil, das Muster der sorgfältigen Ausarbeitung; ich bewundre ihn, aber ich liebe Shakespearn.“


34 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Jch komme nunmehr auf Johnson. Wenn wir diesen Mann betrachten, als er noch Er war, (denn seine letzten Stücke sind Träumereyen seines Alters,) so müssen wir ihn für den gelehrtesten und vernünftigsten Scribenten halten, den jemals ein Theater gehabt hat. Er war der strengste Richter sowohl seiner selbst, als anderer. Man kann nicht so wohl sagen, daß es ihm an Witz gemangelt habe, als vielmehr, daß er sparsam damit umgegangen. Jn seinen Werken findet man wenig, was man auszustreichen oder zu ändern Ursach hätte. Witz,Sprache und Humor haben wir in gewissem Maaße bereits vor ihm; allein an Kunst fehlte es dem Drama noch in etwas, bis er sich damit abgab. Er kannte seine Stärke besser und wußte sie vortheilhafter zu gebrauchen, als irgend ein Dichter vor ihm. Man wird wenig verliebte Scenen, oder wo er Affect zu erregen bemüht gewesen wäre, bey ihm finden; denn sein Geist war zu mürrisch und saturninisch, als daß es ihm damit hätte gelingen sollen, und er sahe auch wohl, daß er nach Männern gekommen, die es in beyden zu einer mehr als gewöhnlichen Vollkommenheit gebracht hatten. dramatischen Werken. Humor war seine eigentliche Sphäre, und in dieser war es besonders seine Lust, Handwerksleute und dergleichen vorzustellen. Er war mit den Alten, sowohl Griechen als Lateinern sehr genau bekannt, und borgte von ihnen frey und keck; es ist fast kein einziger Dichter oder Geschichtschreiber unter den römischen Scribenten, aus dem er in seinem Sejanus und Catilina nicht etwas übersetzt hätte. Er begeht aber seine Räubereyen so öffentlich, daß man deutlich sieht, er müsse durchaus keine Verurtheilung der Gesetze befürchten. Er fällt über die Autores wie ein Monarch her, und was man bey einem andern Dichter für Diebstahl halten würde, das ist bey ihm bloß Sieg. Mit der Beute, die er diesen Scribenten abgenommen, stellt er uns das alte Rom, nach seinen Gebräuchen, Ceremonien und Sitten, so vollständig vor, daß wenn einer vor ihm selbst diese oder jene seiner Tragödien geschrieben hätte, wir davon weit weniger bey ihm würden gefunden haben. Wenn er einen Fehler in seinerSprache hatte, so war es dieser, daß er sie allzu dicht und mühsam in einander webte, besonders in seinen Komödien; vielleicht romanisirte er auch ein wenig zu sehr, indem er die Worte, die er übersetzte, beynahe eben so lateinisch ließ, als er sie fand, welches sich für unsere Sprache nicht allzuwohl schicken wollte. Wenn ich ihn mit Shakespearn vergleichen wollte, so Von Johann Dryden u. dessen müßte ich sagen, daß er ein correctrer Dichter,Shakespear aber ein grösser Genie sey. Shakespear war der Homer, oder Vater unsrer dramatischen Dichter; Johnson war der Virgil, das Muster der sorgfältigen Ausarbeitung; ich bewundre ihn, aber ich liebe Shakespearn.“


35 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Humor, sagt Dryden, ist die lächerliche Ausschweifung im Umgange, wodurch sich ein Mensch von allen übrigen unterscheidet. — Die Alten hatten in ihren Lustspielen sehr wenig davon, denn das γελοιον der alten griechischenKomödie, deren Haupt Aristophanes war, hatte nicht sowohl den Zweck, einen gewissen Menschen nachzuahmen, als vielmehr das Volk durch einen seltsamen Einfall, der meistentheils etwas unnatürliches oder unflätiges bey sich hatte, lachen zu machen. Zum Exempel, wennSokrates auf die Bühne gebracht ward, so ward er nicht durch die Nachahmung seiner dramatischen Werken.Handlungen, sondern dadurch lächerlich gemacht, daß man ihn etwas begehen ließ, das sich für ihn gar nicht schickte; etwas so kindisches und abgeschmacktes, daß es, mit der Ernsthaftigkeit des wahren Sokrates verglichen, ein lächerlicher Gegenstand für die Zuschauer ward. Jn ihrer darauf folgenden neuen Komödie suchten nun zwar die Dichter, dasἠδος, so wie in ihren Tragödien das παθος des Menschen auszudrücken. Allein dieses ἠδος enthielt bloß die allgemeinen Charaktere der Menschen und ihre Sitten; als da sind alte Leute, Liebhaber, Bediente, Buhlerinnen, Schmarutzer, und andere solche Personen, wie wir sie in ihren Lustspielen finden. Und diese alle machten sie einander so ähnlich, einen Alten oder Vater dem andern, einen Liebhaber dem andern, eine Buhlerin der andern, als ob der erste alle übrigen von seiner Art erzeugt hätte:ex homine hunc natum dicas. Eben diese Gewohnheit beobachten sie auch in den Tragödien. Was aber die Franzosen anbelangt, ob sie gleich das Wort Humeur in ihrer Sprache haben, so machen sie doch nur einen sehr geringen Gebrauch in ihren Komödien und Possenspielen davon, die weiter nichts als schlechteNachahmungen des γελοιου, oder des Lächerlichen der alten Komödien sind. Bey denEngländern aber ist es ganz anders, die unterHumor irgend eine ausschweifende Gewohn Von Johann Dryden u. dessenheit, Leidenschaft oder Neigung verstehen, die, wie ich schon gesagt habe, einer Person eigenthümlich ist, und durch deren Seltsamkeit sie sich sogleich von allen übrigen Menschen unterscheidet. Wenn dieser Humor lebhaft und natürlich vorgestellt wird, so erzeugt er meistentheils das boshafte Vergnügen, welches sich durch das Lachen verräth, wie denn alle Abweichungen von dem Gewöhnlichen am geschicktesten sind, es zu erregen. Das Lachen aber ist dabey nur zufällig, wenn nehmlich die vorgegestellten Personen fantastisch und närrisch sind; das Vergnügen hingegen ist ihm wesentlich, so wie einer jeden Nachahmung der Natur. Jn der Beschreibung dieser Humors oder Launen nun, die er an gewissen einzeln Personen bemerkt hatte, bestand das eigentliche Genie und die größte Geschicklichkeit unsers Ben Johnsons.“


36 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Quintilian schreibt aus eben dieser Ursache, daß man nicht allein die Musik verstehen müsse, wenn man ein Redner seyn wolle, sondern daßman auch nicht einmal ein guter Sprachkundigeseyn könne, ohne sie gelernt zu haben, weil man(*) Quint. Inst. lib. I. cap. 12.(**) de Music. libro I.von den theatr. Vorstell. der Alten.die Sprachkunst nicht lehren könne, ohne den Gebrauch des Metri und Rithmi in derselben zuzeigen. (*) Nec citra Musicam Grammaticapotest esse perfecta, cum ei de rithmis metrisque dicendum sit. Dieser scharfsinnige Schriftsteller bemerkt auch noch an einem andern Orte, (**) daß in den vorhergehenden Zeiten die Profession die Musik zu lehren, mit der Professiondie Grammatik zu lehren, verbunden gewesen, und von einem und eben demselben Lehrmeistergetrieben worden.


37 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Nichts ist in allen Sprachen gewöhnlicher, als daß, auch im gemeinen Reden, der Nameder Art der Gattung, und der Name der Gattung der Art beygeleget wird. Ohne uns vonunserer Materie zu verlieren, wollen wir zeigen, daß die Römer dem Worte modulatio eine vielweitere Bedeutung gegeben haben, als es seinemUrsprunge nach haben kann. Die Römer nenntensoni oder voces den Gesang; die Harmonieconcentus, und den Takt numeri.


38 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Ganz gewiß aber werden Athen, und dieübrigen Städte Griechenlandes, welche mitden Atheniensern, hierinn einerley Gebrauchhatten, ihre Gesetze, bey Kundmachung derselben, nicht so haben singen lassen, als wir dasWort singen, nach der Bedeutung, welchees gemeiniglich in unserer Sprache hat, zu nehmen pflegen.


39 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Die Tragödieist die Nachahmung einer vollständigen und dengehörigen Umfang habenden Handlung. DieseNachahmung geschieht ohne Hülfe der Erzehlung, und in einer zum Vergnügen eingerichtetenSprache, deren verschiedne Annehmlichkeiten aber aus verschiednen Quellen fliessen. Die Tragödie stellet uns also die Gegenständeselbst vor Augen, durch die sie in uns Schreken und Mitleid, diese zur Läuterung unsererLeidenschaften so dienliche Empfindungen, erdu Bos,wecken will. Unter einer zum Vergnügen eingerichtetenSprache verstehe ich solche Reden,die unter gewisse Abmessungen gebracht undeinem Rythmus unterworffen sind, und zusammen eine Harmonie ausmachen. Ich habe gesagt die verschiednen Annehmlichkeiten der tragischen Sprache flössen aus verschiednen Quellen, weil es gewisse Schönheiten giebt, die bloßaus dem Metro entspringen, und gewisse, dieaus der Melodie entspringen. Da aber dietragische Nachahmung auf dem Theater ausgeübet wird, so muß man auch noch äusserlicheZierathen mit dem Ausdrucke und der Melopäie verbinden. Man sieht leicht, daß ich hierunter dem Ausdrucke die Verse selbst verstehe. Und was die Melopäie anbelangt, von der weisjedermann, was sie vermag.

40 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Die Tragödieist die Nachahmung einer vollständigen und dengehörigen Umfang habenden Handlung. DieseNachahmung geschieht ohne Hülfe der Erzehlung, und in einer zum Vergnügen eingerichtetenSprache, deren verschiedne Annehmlichkeiten aber aus verschiednen Quellen fliessen. Die Tragödie stellet uns also die Gegenständeselbst vor Augen, durch die sie in uns Schreken und Mitleid, diese zur Läuterung unsererLeidenschaften so dienliche Empfindungen, erdu Bos,wecken will. Unter einer zum Vergnügen eingerichtetenSprache verstehe ich solche Reden,die unter gewisse Abmessungen gebracht undeinem Rythmus unterworffen sind, und zusammen eine Harmonie ausmachen. Ich habe gesagt die verschiednen Annehmlichkeiten der tragischen Sprache flössen aus verschiednen Quellen, weil es gewisse Schönheiten giebt, die bloßaus dem Metro entspringen, und gewisse, dieaus der Melodie entspringen. Da aber dietragische Nachahmung auf dem Theater ausgeübet wird, so muß man auch noch äusserlicheZierathen mit dem Ausdrucke und der Melopäie verbinden. Man sieht leicht, daß ich hierunter dem Ausdrucke die Verse selbst verstehe. Und was die Melopäie anbelangt, von der weisjedermann, was sie vermag.

41 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wenn wir nun untersuchen, wodurch die erwehnten Schönheiten der zum Vergnügeneingerichteten Sprache entstehen; so werden wirfinden, daß sie nicht das Werk einer einzigen, sondern verschiedener musikalischen Künste waren, und daß es folglich eben nicht so schwer sey, dieWorte dieser Stelle zu verstehen, die sie ausverschiednen Quellen entspringen lassen. Wirwollen von dem Metrum und Rythmus anfangen, welche die zum Vergnügen eingerichtete Sprachehaben muß.


42 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Was die Harmonie betrift, so wurden dieSchauspieler der Alten, wie wir bald sehen werden, bey ihrer Declamation von einem Instrumente begleitet; und da die Harmonie aus derUebereintreffung der Klänge in verschiedenenStimmen besteht, so mußten die Melodie, welche sie recitirten, und der Generalbaß, welchersie unterstützte, wohl mit einander übereinstimmen. Nun aber wird die Wissenschaft derAccorde weder von der metrischen noch der rythmische Musik, sondern einzig und allein von derharmonischen Musik gelehret. Und folglich sagtunser Autor mit Recht, daß die Harmonie, alseine von den Schönheiten einer zum Vergnügen eingerichteten Sprache, nicht aus eben denselben Quellen fliesse, aus welchen die Schönheiten des Ausdrucks abgeleitet würden. Dievon dem Ausdrucke entspringende Schönheit folge aus den Grundsätzen der Poetik, und ausden Grundsätzen der metrischen und rythmischenMusik, anstatt daß die aus der Harmonie entspringende Schönheit aus den Grundsätzen derharmonischen Musik herkomme. Aus noch einer andern Quelle flossen die Schönheiten derMelodie, nehmlich aus der Wahl der Accenteund der Töne, die sich zu den Worten schicktenund folglich den Zuhörer zu rühren fähig waren. von den theatr. Vorstell. der Alten.Es waren also ganz verschiedene Quellen, auswelchen die Schönheiten der zum Vergnügeneingerichteten Rede entsprungen, und Aristoteles sagt mit Recht, daß jede derselben besondersund für sich bewirkt würde, und so zu reden, ihre eigene Wiege habe.


43 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Ich weis wohl, man würde nicht sogleichLeute finden, die diese Art von Musik geschwindlesen und die Noten derselben gut angeben könnten. Allein auch Kinder von funfzehn Jahrenmüßten damit zurechte kommen können, wennman sie diese Intonation nur sechs Monategelehrt hätte. Ihre Sprachwerkzeuge würdensich an diese Intonation, an diese Aussprache nicht zu singender Noten, eben so gewöhnen, wie sie sich an die Intonation unsrer ordentlichenmusikalischen Noten gewöhnen. Die Uebungund die Fertigkeit, welche aus der Uebung folgt, sind, in Ansehung der Stimme, eben das, wasder Bogen und die Hand des Instrumentisten(*) Nehmlich die französischen, nicht die deutschen,welche den griechischen und römischen in diesemStücke sehr gleich kommen können. Ueb.von den theatr. Vorstell. der Alten.in Ansehung der Violine sind. Kann man sichdiese Intonation auch nur schwer vorstellen? Eswürde nur darauf ankommen, daß man dieStimme dasjenigen methodisch zu verrichten gewöhne, was sie alle Tage bey dem gewöhnlichenReden verrichtet. Manchmal redet man geschwind, manchmal redet man langsam. Manbraucht alle Arten von Tönen, und läßt dieStimme, sowohl im Heraufsteigen, als imHerabsteigen, durch alle mögliche Arten vonIntervallen fortschreiten. Die in Noten geschriebene Declamation würde nichts als die inNoten geschriebenen Töne und Abänderungender Aussprache seyn. Wenigstens würde dieSchwierigkeit, die sich bey der Ausführung einersolchen Notenschrift finden könnte, bey weitender Schwierigkeit nicht gleich kommen, Wortezu lesen, die man niemals gelesen hat, dieseWorte zu singen, und zugleich auf dem Flügelnach Noten zu accompagniren, die man nichtvorher durchstudiret hat. Und gleichwohl lernenauch Frauenzimmer, durch die Uebung, alle diesedrey Stücke auf einmal verrichten.


44 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Cicero sagt es uns selbst, daß die Ausspracheder Römer zu seiner Zeit von der Ausspracheihrer Vorfahren sehr unterschieden gewesen. Siewar mit Accenten und mit Abänderungen derStimme überhäuft worden, die man von der du Bos,Aussprache der Fremden nachgeahmet hatte. Unddieses eben nennt Cicero eine neue von auswertseingeführte Mode. Peregrinam insolentiam.Urtheile, läßt dieser Schriftsteller den Crassussagen, von der alten Aussprache nach der Art,mit welcher noch jetzt einige Frauenzimmer aussprechen. Da das Frauenzimmer weniger unter die Leute kömmt, als die Mannspersonen, so verändern sie auch weniger ihre Aussprache, die sie in der Jugend erlernt haben. Wenn ichmeine Schwiegermutter Lälia, fährt Crassus fort,reden höre, so kömmt es mir vor, als ob ich dieStücken des Plautus und Nävius recitiren hörte, denn ihre Aussprache ist ganz einfach, ohneNachdruck und ohne die Accente und Veränderungen der Stimme, die wir aus andern Sprachen hinüber genommen haben. Kann ich nichtmit Recht glauben, daß der Vater der Läliaeben so gesprochen habe, als sie spricht? (*)Equidem cum audio socrum meam Læliam, facilius enim mulieres incorruptam antiquitatem conservant, quod multorum sermonisexpertes tenent semper quæ prima didicerunt, sed eam sie audio ut Plautum mihi ac Næviumvidear audire, sono ipso vocis ita recto & simplici, ut nihil ostentationis aut imitationis afferre videatur, ex quo sic locutum ejus patrem judico. Wir haben diese Stelle schon angeführt, um zu zeigen, daß die Declamation(*) Cic. de Orat. l. 3.von den theatr. Vorstell. der Alten.der theatralischen Stücke kein eigentlich so genannter Gesang gewesen sey, weil sie der gewöhnlichen Art zu reden so gar sehr beygekommen. Die Völker können ihre Aussprache verändern, eben so wohl als sie ihre Sprache verändern können. Unter der Regierung Heinrichs des IV.schlich sich an dem französischen Hofe der Gasconische Ton und Accent ein. Allein diese Modehörte mit der Regirung dieses Königs auf, welcher die Gasconier liebte und sie vorzüglich vorallen seinen Unterthanen beförderte, weil er inihrer Provinz war gebohren und erzogen worden.


45 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Cicero sagt es uns selbst, daß die Ausspracheder Römer zu seiner Zeit von der Ausspracheihrer Vorfahren sehr unterschieden gewesen. Siewar mit Accenten und mit Abänderungen derStimme überhäuft worden, die man von der du Bos,Aussprache der Fremden nachgeahmet hatte. Unddieses eben nennt Cicero eine neue von auswertseingeführte Mode. Peregrinam insolentiam.Urtheile, läßt dieser Schriftsteller den Crassussagen, von der alten Aussprache nach der Art,mit welcher noch jetzt einige Frauenzimmer aussprechen. Da das Frauenzimmer weniger unter die Leute kömmt, als die Mannspersonen, so verändern sie auch weniger ihre Aussprache, die sie in der Jugend erlernt haben. Wenn ichmeine Schwiegermutter Lälia, fährt Crassus fort,reden höre, so kömmt es mir vor, als ob ich dieStücken des Plautus und Nävius recitiren hörte, denn ihre Aussprache ist ganz einfach, ohneNachdruck und ohne die Accente und Veränderungen der Stimme, die wir aus andern Sprachen hinüber genommen haben. Kann ich nichtmit Recht glauben, daß der Vater der Läliaeben so gesprochen habe, als sie spricht? (*)Equidem cum audio socrum meam Læliam, facilius enim mulieres incorruptam antiquitatem conservant, quod multorum sermonisexpertes tenent semper quæ prima didicerunt, sed eam sie audio ut Plautum mihi ac Næviumvidear audire, sono ipso vocis ita recto & simplici, ut nihil ostentationis aut imitationis afferre videatur, ex quo sic locutum ejus patrem judico. Wir haben diese Stelle schon angeführt, um zu zeigen, daß die Declamation(*) Cic. de Orat. l. 3.von den theatr. Vorstell. der Alten.der theatralischen Stücke kein eigentlich so genannter Gesang gewesen sey, weil sie der gewöhnlichen Art zu reden so gar sehr beygekommen. Die Völker können ihre Aussprache verändern, eben so wohl als sie ihre Sprache verändern können. Unter der Regierung Heinrichs des IV.schlich sich an dem französischen Hofe der Gasconische Ton und Accent ein. Allein diese Modehörte mit der Regirung dieses Königs auf, welcher die Gasconier liebte und sie vorzüglich vorallen seinen Unterthanen beförderte, weil er inihrer Provinz war gebohren und erzogen worden.