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31 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Man frage ihn zum Exempel: was ist die Gerechtigkeit? und man wird bald sehen, daß er sich selbst nicht eher versteht, als bis er seine Kenntniß auf eben dem Wege zu den Gegenständen wieder zurück führt, auf welchem sie in seine Seele gekommen ist, und sich etwa zwey Menschen vorstellet, welche der Hunger zu einem Baume voll Früchte führet; der eine steigt herauf und sammelt, und der andre bemächtiget sich dessen, was jener gesammelt hat, mit Gewalt. Nun erst wird er uns dieBewegungen, die sich in ihnen äussern, zeigen können; auf der einen Seite die Zeichen der Rache, auf der andern die Symptomata der Furcht; wie sich der eine für beleidiget hält, und der andre sich selbst mit dem häßlichem Namen des Beleidigers belegen muß.


32 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Fragt man mich aber, was jener Contrast der Gesinnungen oder Bilder ist, den ich in der Epopee, in der Ode und einigen andernGattungen der höhern Poesie liebe, so antworte ich: daß es eines von den deutlichsten Kennzeichen des Genies ist; daß es die Kunst ist, die Seele mit ganz verschiedenen und widrigen Gesinnungen zu erfüllen, sie von entgegengesetzten Seiten zugleich zu erschüttern, und ein von Unlust und Vergnügen, von Widrigkeit und Anmuth, von Behäglichkeit undSchrecken vermischtes Gefühl in ihnen hervorzubringen.$


33 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Der Dichter hat das Seinige gethan, wenn er mich in der Erwartung eines wichtigen Vorfalls läßt, und die Handlung, welche seinen Zwischenaufzug anfüllen soll, meine Neugierde reitzet und den vorläuffigen Eindruck stärket. Denn es sollen nicht verschiedene Bewegungen in der Seele erregt werden, sondern die, welche einmal darinn herrscht, soll erhalten werden, und ohne Unterlaß wachsen. Es ist ein Pfeil, den man von der Spitze bis an das andere Ende eindrücken soll: und diese Wirkung darf man sich von einem verwickelten Stücke nicht versprechen, wenn sich nicht wenigstens alle Zufälle auf eine einzige Person beziehen, wenn sie nicht alle diese einzige Person bestürmen, zerschmettern, zermalmen. Alsdenn befindet sich diese Person in einer wirklich dramatischen Situation. Sie seufzet und ist leidend; sie nur spricht, und die übrigen alle handeln.


34 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Es giebt eine Art episodischer Scenen, wovon wir wenig Beyspiele bey unsern Dichtern finden, die mir aber sehr natürlich scheinen. Sie bestehen aus Personen, dergleichen es in der Welt und in den Familien sehr viele giebt, die sich überall ungeruffen eindrengen; und, es sey aus guter oder aus böser Meinung, aus Eigennutz oder aus Neugierde, oder aus sonst einem Grunde, sich in unsere Händel mischen, und sie, wider unsern Willen, entweder schlichten oder noch mehr verwirren. Solche Scenen, wohl angebracht, würden das Interesse gar nicht hemmen, und die Handlung, anstatt aufzuhalten, vielmehr beschleinigen. Man könnte diesen episodischen Personen einen Charakter geben, welchen man wollte; es würde sogar nicht schaden, wenn man sie contrastierte. Denn sie bleiben zu kurze Zeit, als daß sie ermüden könnten; und würden gleichwohl den Charakter, dem man sie entgegen setzte, heben helffen. Von der Art ist Frau Pernelle im Tartüffe und Antiphon im Evnuchus. Antiphon läuft dem Chärea nach, der die Besorgung eines Schmauses über sich genommen hatte; er trift ihn als einen Verschnittenen verkleidet, da er eben aus dem Hause der Buhlerin herauskömmt, und gar zu gern einen Freund antreffen möchte, gegen den er die bübische Freunde, mit der seine ganze Seele erfüllt ist, auslassen könnte. Nichts kann also natürlicher, nichts ihm gelegener seyn, als diese Erscheinung des Antiphon. Nach dieser Scene bekömmt man ihn auch nicht wieder zu sehen.


35 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Als ich den schönen Wissenschaften noch gänzlich oblag, und den Corneille las, machte ich oft mitten in einem Auftritte das Buch zu, und dachte selbst auf die Antwort. Ich brauche es wohl nicht zu sagen, daß meistentheils alle meine Anstrengung zu weiter nichts diente, als mich über die Logik und über den Kopf des Dichters in Erstaunen zu setzen. Ich könnte tausend Beyspiele davon anführen; unter andern aber erinnere ich mich itzt eines, das aus dem Cinna genommen ist. Aemilia hat den Cinna so weit gebracht, daß er den Augustus ermorden will. Cinna hat sich dazu anheischig gemacht; er geht. Allein mit eben dem Dolche, mit dem er sie wird gerächet haben, will er sich selbst durchstossen. Aemilia bleibt mit ihrer Vertrauten zurück. In ihrer Verwirrung ruft sie: Eile ihm nach, Fulvia — — Was soll ich ihm sagen? — Sage ihm — daß er sein Wort erfülle, und dann — was er wolle, mich oder denTod wähle. Und so beobachtet er den Charakter; so weis er der Hoheit einer römischen Seele, der Rache, dem Ehrgeitze, der Liebe, mit Einem Worte Genüge zu thun. Alle Scenen des Cinna, des Maximus, und des Augustus sind unbegreiflich.


36 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ich wüßte nichts schwerers als ein Gespräch, wo alles, was gesagt und geantwortet wird, durch so feine Empfindungen, durch so flüchtige Gedanken, durch so schnelle Bewegungen der Seele, durch so unmerkliche Beziehungen verbunden ist, daß es ganz ohne Verbindung, und besonders für diejenigen ohne Verbindung zu seyn scheinet, die nicht dazu gemacht sind, in den nehmlichen Umständen das Nehmliche zu empfinden. — Sie werden sich nie wiedersehen. Sie werden sich ewig lieben — Du wirst dabey seyn, meine Tochter.


37 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Unter den Leidenschaften sind diejenigen, die man sich am leichtesten zu haben stellen kann, auch die leichtesten zu schildern. Dahin gehöret die Großmuth; die überall etwas Erlogenes und Uebertriebenes verträgt. Wenn man seine Seele zu der Höhe der Seele einesCato schraubet, so läßt sich ein erhabener Gedanke wohl noch finden. Aber der Dichter, bey dem Phädra sagt:


38 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Scenen des natürlichen Sohnes sind fast alle von dem Schlage derjenigen, deren unbestimmter Inhalt den Dichter in Verlegenheit setzen kann. Der mit sich selbst unzufriedene Dorval, der das Innerste seinerSeele gegen seinen Freund, gegen Rosalien, gegen Theresien verbirgt; Rosalia und Theresia, die fast in eben derselben Verfassung sind, konnten in der Ausführung fast nicht die geringste Stelle veranlassen, die nicht weit besser, oder weit schlechter hätte behandelt werden können.


39 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die theatralische Mahlerey wird sich vieler Dinge enthalten, die sich die gewöhnlicheMahlerey erlaubt. Wenn der Staffeletmahler eine Hütte vorstellen soll, so wird er sie vielleicht gegen eine zerbrochene Säule lehnen, und ein umgestürztes corinthisches Gesimse zum Sitze an der Thüre machen. In der That ist es auch nicht unmöglich, das itzt da eine Hütte stehet, wo ehedem ein Pallast ge standen hat. Dieser Umstand erregt in mir einen rührenden Nebenbegriff, indem er mich an die Hinfälligkeit der menschlichen Dingen erinnert. Bey der theatralischen Mahlerey aber kömmt es hierauf nicht an. Sie leidet keine Zerstreuung, keine Voraussetzung, die einen andern Eindruck in meiner Seeleveranlassen könnte, als den sich der Dichter vorgesetzt hat.


40 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Der Stolz verdirbt alles. Der Anblick des Reichthums ist kein schöner Anblick. Der Reichthum hat zu viel Grillen; er kann das Auge blenden, aber die Seele nicht rühren. Unter einem kostbar verbrämten oder gestickten Kleide, erblicke ich weiter nichts, als einen Reichen; und ich suche einen Menschen. Wen die Edelgesteine, mit welchen eine schöne Frau geschmückt ist, bezaubern, der ist nicht werth, eine schöne Frau zu sehen.


41 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das ist noch nicht genug. In jedem Menschen ins besondere, ist alles in einer beständigen Abwechselung; man mag das Physische oder das Moralische an ihm betrachten; der Schmerz folgt dem Vergnügen, das Vergnügen dem Schmerze; die Gesundheit der Krankheit, der Krankheit die Gesundheit. Blos dem Gedächtnisse ist es zuzuschreiben, daß wir, sowohl in Ansehung anderer, als unserer selbst, das nehmliche Individuum bleiben. In dem Alter da ich itzt bin, habe ich vielleicht nicht das geringste Stäubchen mehr von dem Körper, den ich mit auf die Weltbrachte. Ich weis nicht wie weit das Ziel meiner Dauer noch entfernt ist; wenn aber der Augenblick kommen wird, daß ich nun diesen Körper der Erde wiedergeben soll, so ist ihm vielleicht von allen den kleinsten Theilchen, aus welchen er itzt bestehet, kein einziges mehr übrig. Eben so wenig gleichet sich die Seele in verschiednen Perioden ihres Lebens. Ich stammelte in meiner Kindheit. Itzt glaube ich vernünftig zu denken. Aber mitten unter diesem vernünftigen Denken, verfliegt die Zeit; und ich komme wieder zu dem Stammeln zurück. So ist es mit mir, so ist es mit allen beschaffen. Wie wäre es also möglich, daß ein einziger von uns, seine ganze Lebenszeit hindurch, immer einerley Geschmackbehalten, immer einerley Urtheil von dem, was wahr, was gut, was schön ist, fällen könnte? Die Veränderungen, welche der Gram und die Bosheit der Menschen in uns verursachen, wären schon allein hinlänglich, auch unsere Urtheile zu verändern.


42 - Le Pere de Famille /

Je ne saurois... Quels pressentimens s'élevent au fond de mon ame, s'y succédent & l'agitent!... O cœur trop sensible d'un pere, ne peux-tu te calmer un moment!... A l'heure qu'il est, peut-être il perd sa santé... sa fortune... ses mœurs... Que sais-je? sa vie... son honneur... le mien...


43 - Le Pere de Famille /

Mon pere, vous saurez tout. Hélas, je n'ai que ce moyen pour vous fléchir?... La premiere fois que je la vis, ce fut à l'Eglise. Elle étoit à genou, aux pieds des autels, auprès d'une femme âgée que je pris d'abord pour sa mere. Elle attachoit tous les regards... Ah, mon pere, quelle modestie! quels charmes!.. Non, je ne puis vous rendre l'impression qu'elle fit sur moi. Quel trouble j'éprouvai! Avec quelle violence mon cœur palpita! Ce que je ressentis! Ce que je devins!... Depuis cet instant je ne pensai, je ne rêvai qu'elle. Son image me suivit le jour, m'obséda la nuit, m'agita par-tout. J'en perdis la gaieté, la santé, le repos. Je ne pus vivre sans chercher à la retrouver. J'allois par-tout où j'espérois de la revoir. Je languissois, je périssois, vous le savez; lorsque je découvris que cette femme âgée qui l'accompagnoit, se nommoit Madame Hébert, que Sophie l'appelloit sa bonne; & que releguées toutes deux à un quatrieme étage, elles y vivoient d'une vie misérable.... Vous avouerai-je les espérances que je conçus alors, les offres que je fis, tous les projets que je formai? Que j'eus lieu d'en rougir, lorsque le Ciel m'eut inspiré de m'établir à côté d'elle!... Ah, mon pere, il faut que tout ce qui l'approche, devienne honnête ou s'en éloigne... Vous ignorez ce que je dois à Sophie, vous l'ignorez.... Elle m'a changé. Je ne suis plus ce que j'étois... Dès les premiers instans, je sentis les desirs honteux s'éteindre dans mon ame, le respect & l'admiration leur succéder. Sans qu'elle m'eût ar rêté, contenu, peut-être même avant qu'elle eût levé les yeux sur moi, je devins timide; de jour en jour je le devins davantage, & bientôt il ne me fut pas plus libre d'attenter à sa vertu qu'à sa vie.


44 - Le Pere de Famille /

DE l'honnêteté, des vertus, de l'indigence, de la jeunesse, des charmes, tout ce qui enchaîne les ames bien nées!... A peine délivré d'une inquiétude, je retombe dans une autre... Quel sort!... Mais peut-être m'allarméje encore trop tôt... Un jeune homme passionné, violent, s'exagere à luimême, aux autres... Il faut voir... Il faut appeller ici cette fille, l'entendre, lui parler... Si elle est telle qu'il me la dépeint, je pourrai l'intéresser, l'obliger... Que sais-je?...


45 - Le Pere de Famille /

Si je ne considérois que moi, je pourrois approuver ce parti. Mais je dois vous ouvrir les yeux sur un temps où je ne serai plus... Cécile, la Nature a ses vues; & si vous regardez bien, vous verrez sa vengeance sur tous ceux qui les ont trompées; les hommes punis du célibat par le vice, les femmes par le mépris & par l'ennui... Vous connoissez les différens états; dites-moi, en est-il un plus triste & moins consi déré que celui d'une fille âgée? Mon enfant, passé trente ans on suppose quelque défaut de corps ou d'esprit à celle qui n'a trouvé personne qui fût tenté de supporter avec elle les peines de la vie. Que cela soit ou non,l'âge avance, les charmes passent, les hommes s'éloignent, la mauvaise humeur prend; on perd ses parens, ses connoissances, ses amis. Une fille surannée n'a plus autour d'elle que des indifférens qui la négligent, ou des ames intéressées qui comptent ses jours. Elle le sent; elle s'en afflige; elle vit sans qu'on la console, & meurt sans qu'on la pleure.