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16 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wahrheit und Tugend sind die Freundinnen der schönen Künste. Wer ein Schriftsteller, wer ein Kunstrichter werden will, der fange erst an, ein ehrlicher Mann zu werden. Was kann man sich viel von dem versprechen, der sich selbst nicht stark genug zu rühren weis? Und was kann mich stärker rühren, alsWahrheit und Tugend, diese zwey mächtigsten Dinge in der Natur.


17 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Hat man sich über die Natur nicht zu beklagen, hat man von ihr einen aufrichtigenGeist und ein empfindliches Herz bekommen, so fliehe man eine Zeitlang die menschliche Gesellschaft, und studiere sich selbst. Wie kann das Instrument die gehörige Harmonie ertönen lassen, wenn es verstimmt ist? Man suche sich von allen Dingen richtige Begriffe zu machen; man vergleiche seine Aufführung mit seinen Pflichten; man bestrebe sich ein ehrlicher Mann zu werden, und glaube ja nicht, daß diese für den Menschen so wohl angewandte Zeit, für den Schriftsteller verloren sey. Es wird von der moralischenVollkommenheit, zu der man seinen Charakter und seine Sitten erhoben hat, eine Schimmer von Grösse und Gerechtigkeit ausfliessen, der sich auf alles was man schreibet, verbreitet. Hat man das Laster zu schildern, so präge man sich nur ein, wie sehr es mit der allgemeinenOrdnung, der öffentlichen und der besondern Wohlfahrt, streitet, und man wird es mit Nachdruck schildern. Ist es hingegen die Tugend: wie kann man sie andern liebenswürdig zeigen, wenn man selbst nicht von ihr bezaubert ist? Kehrt man dann wieder unter die Menschen zurück, so höre man denen fleißig zu, die gut zu reden wissen, und spreche fleißig mit sich selber.


18 - Von der dramatischen Dichtkunst /

So sprach Arist mit sich selbst, und sahe, daß er noch sehr vieles zu lernen habe. Er ging nach Hause; verschloß sich funfzehn Jahre; legte sich auf die Geschichte, auf dieWeltweisheit, auf die Moral, auf die Wissenschaften und Künste; und ward in seinem fünf und funfzigsten Jahre ein ehrlicher Mann, ein gelehrter Mann, ein Mann von Geschmack, ein grosser Schriftsteller, ein vortrefflicher Kunstrichter.