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46 - Der natürliche Sohn /

Gut, daß wir auf diese Verzweiflungsscene kommen. Sie ist sonderbar. Sie rührte mich in dem Saale ungemein. Nun denken Sie, wie betroffen ich bey dem Lesen war, als ich weiter nichts als Gebehrden und keine Reden darinn fand

47 - Der natürliche Sohn /

Was ich bey dieser Scene sonst noch anmerkte, war dieses, daß es Stellen giebt, die man fast ganz und gar dem Schauspieler überlassen sollte. Ihm käme es zu, sich die geschriebene Scene bequem zu machen, gewisse Worte zu wiederhohlen, auf gewisse Ideen wieder zurückzukommen, einige wegzulassen, und andere hinzuzusetzen. In der Singstimme, lässet der Musikus einem grossen Sänger die freye Anwendung seines Geschmacks und seiner Fähigkeit. Er begnügt sich, ihm die vornehmsten Intervalle eines schönen Gesanges vorgeschrieben zu haben. Der Dichter sollte es eben so machen, wenn er seinen Schauspieler hinlänglich kennet. Was rührt uns bey dem Anblicke eines Menschen, der von gewaltigen Leidenschaften bestürmet wird, am meisten?Sind es seine Reden? Zuweilen. Aber das, was allezeit rühret, sind Schreye, unarticulirte Töne, abgebrochene Worte, einzelne Sylben, die ihm dann und wann entfahren, und ich weis selbst nicht, was für ein Murmeln in der Kehle und zwischen den Zähnen. Indem die Heftigkeit der Empfindung das Athemholen unterbricht, und den Geist in Aufruhr setzet, trennen sich die Sylben der Wörter, und der Mensch fällt von einer Idee auf die andere. Er fängt eine Menge Reden an. Er endiget keine; und ausser einigen Empfindungen, die er bey dem ersten Anfalle ausläßt, und auf die er ohne Unterlaß wieder zurückkömmt, ist alles Uebrige weiter nichts alsein schwaches und verwirrtes Getöse, eine Folge 161 sterbender Töne und erstickter Accente, welche der Schauspieler besser versteht, als der Dichter. Die Stimme, der Ton, die Gebehrde, die Action, alles das gehört dem Schauspieler zu; und das ist es eben, was uns an heftigen Leidenschaften am meisten rühret. Der Schauspieler allein kann der Rede allen ihren Nachdruck ertheilen. Denn Er macht dem Gehöre die Stärke und die Wahrheit des Accents empfindlich.


48 - Der natürliche Sohn /

In der Kunst aber hängt alles, so wie in der Natur, zusammen; so bald man sich dem Wahren auf einer Seite nähert, nähert man sich ihm zugleichauf verschiednen andern. Alsdenn werden wir auf der Scene eine Menge natürlicher Stellungen erblicken, welche die Wohlanständigkeit, diese Feindindes Genies und aller grossen Wirkungen, davon verbannt hat. Ich will unsern Franzosen unablässig zurufen: die Wahrheit! die Natur! die Alten! Sophokles! Philoktet! Der Dichter hat ihn vor dem Eingange seiner Höhle liegend, und mit zerrissenen Lumpen bedeckt, auf der Bühne gezeigt. Er läßt ihn sich herumwälzen. Er läßt ihn einen Anfall seiner Schmerzen bekommen. Er läßt ihn schreyen. Er läßt ihn unarticulirte Töne von sich geben. Die Verzierung war wild; keine von den artigen Ausstaffirungen, in dem ganzen Stücke. Wahre Kleider; wahre Reden; eine einfache und natürliche Verwicklung. Unser Geschmack müßte sehr verderbt seyn, wenn uns dieser Anblick nicht weit mehr rührte, als der Anblick einer reichgekleideten, ausgeschmückten Person --


49 - Der natürliche Sohn /

Wenn aber der Zulauf einer grossen Menge Menschen schon die Rührung des Zuschauers vermehret, welchen Einfluß sollte er nicht vollends auf die Verfasser, auf die Schauspieler haben? Welcher Unterschied, zwischen heut oder morgen einmal, ein PaarStunden, einige hundert Personen, an einem finstern Orte zu unterhalten; und die Aufmerksamkeit eines ganzen Volks, an seinen feyerlichsten Tagen, zu beschäftigen, in Besitz seiner prächtigsten Gebäudezu seyn, und diese Gebäude mit einer unzählbarenMenge umringt und erfüllt zu sehen, deren Vergnügen oder Langeweile von unsern Talenten abhangen soll?


50 - Der natürliche Sohn /

Auch sehen Sie, daß diese Gattung des Drama, wo die allerlustigsten Züge der komischen Gattung neben den allerrührendsten Zügen der ernsthaften Gattung stehen, und wo man wechselsweise aus einer Gattung in die andere springt, in den Augen eines strengen Kunstrichters nicht ohne Fehl seyn kann.


51 - Der natürliche Sohn /

Rosalia kömmt. Theresia und Clairville treten ab. In dieser Scene herrschen Furchtsamkeit, Naivität, Thränen, Schmerz, Reu. Rosalia siehet nun alle das Uebel, das sie angerichtet hat. Sie ist untrösilich. Bey der Liebe, die sie empfindet, bey dem Mitleiden, das sie mit Dorvaln hat, bey der Hochachtung, die sie Theresien schuldig ist, beyder Zuneigung, die sie Clairvillen nicht verweigernkann: wie viel rührendes hat sie nicht zu sagen!Dorval scheinet sie Anfangs weder zu sehen, nochzu hören. Rosalia schreyet, ergreift seine Hände,hält ihn; und endlich kömmt ein Augenblick, da Dorval seine starren Augen auf sie heftet. Seine Blicke sind die Blicke eines Menschen, der aus einem Todtenschlafe erwacht. Diese Anstrengung kostet ihm den Rest seiner Kräfte. Er fällt, als vom Blitze gerühret, in den Lehnstuhl. Rosalia geht ab, ächzet laut, ist untröstlich, reisset sich die Haare aus.


52 - Der natürliche Sohn /

Ah, rief ich aus, das, das ist Tragödie, oder ich verstehe gar nichts davon. Es ist in der That zwar nicht mehr die Probe der Tugend, sondern ihre Verzweiflung. Vielleicht ist es sogar gefährlich, den ehrlichen Mann zu diesem schrecklichen Entschlusse gebracht zu zeigen; deswegen aber merkt man doch gar wohl die Stärke der Pantomime, sowohl allein, als mit der Rede verbünden. Und das sind die Schönheiten, deren wir aus Mangel einer Bühne, und aus Mangel der Kühnheit entbehren müssen, indem wir nur immer unsere Vorgänger knechtisch nachahmen, und Natur und Wahrheit bey Seite setzen. -- Aber Dorval sprichtnicht? -- Aber wo kann eine Rede so stark rühren, als seine Action und sein Stillschweigen rühren? -- Man lasse ihn dann und wann ein Wort sagen. Das geht gar wohl an. Nur muß man nicht vergessen, daß sich ein Mensch, der viel spricht, selten ermordet.

53 - Der natürliche Sohn /

Vielleicht nur allzuschrecklich. Wer weis, ob man in dem Schauplatze dergleichen starke Eindrücke lieben würde? Man will gerührt, bewegt, in Schrecken gesetzt seyn; aber nur bis auf einen gewissen Grad.

54 - An Essay on Dramatick Poesy /

But, to return from whence I have digress'd, to the Consideration of the Ancients Writing and their Wit, (of which, by this time, you will grant us in some measure to be fit Judges,) Tho' I see many excellent Thoughts in Seneca; yet he, of them who had a Genius most proper for the Stage, was Ovid; he had a way of writing so fit to stir up a pleasing Admiration and Concernment, which are the Objects of a Tragedy, and to shew the various Movements of a Soul combating betwixt two different Passions, that had he liv'd in our Age, or in his own could have writ with our Advantages, no Man but must have yielded to him; and therefore I am confident the Medea is none of his; for though I esteem it for the Gravity and Sententiousness of it, which he himself concludes to be suitable to a Tragedy, Omne genus scripti gravitate Tragœdia vincit, yet it moves not my Soul enough to judge that he, who in the Epique way wrote things so near the Drama, as the Story of Myrrha, of Caunus and Byblis, and the rest, should stir up no more Concernment where he most endeavour'd it. The Master-piece of Seneca I hold to be that Scene in the Troades, where Ulysses is seeking for Astyanax to kill AnEssayof Dramatick Poesy. him: There you see the Tenderness of a Mother, so represented in Andromache, that it raises Compassion to a high Degree in the Reader, and bears the nearest Resemblance of any thing in the Tragedies of the Ancients, to the excellent Scenes of Passion in Shakespear, or in Fletcher: For Love Scenes you will find few among them, their Tragick Poets dealt not with that soft Passion, but with Lust, Cruelty, Revenge, Ambition, and those bloody Actions they produc'd; which were more capable of raising Horrour than Compassion in an Audience: Leaving Love untouch'd, whose Gentleness would have temper'd them, which is the most frequent of all the Passions, and which being the private Concernment of every Person, is sooth'd by viewing its own Image in a publick Entertainment.


55 - An Essay on Dramatick Poesy /

But to leave our Plays, and return to theirs, I have noted one great Advantage they have had in the Plotting of their Tragedies; that is, they are always grounded upon some known History; according to that of Horace, Ex noto fictum carmen sequar; and in that they have so imitated the Ancients, that they have surpass'd them. For the Ancients, as was observ'd before, took for the foundation of their Plays some Poetical Fiction, such as under that consideration could move but little concernment in the Audience; because they already knew the Event of it. But the French goes farther:


56 - An Essay on Dramatick Poesy /

That is, those Actions which by reason of their Cruelty will cause Aversion in us, or by reason of their Impossibility, Unbelief, ought either wholly to be avoided by a Poet, or only deliver'd by Narration. To which we may have leave to add such as to avoid Tumult, (as was before hinted) or to reduce the Plot into a more reasonable compass of Time, or for defect of Beauty in them, are rather to be related than presented to the Eye. Examples of all these kinds are frequent, not only among all the Ancients, but in the best receiv'd of our English Poets. We find Ben Johnson using them in his Magnetick Lady, where one comes out from Dinner, and AnEssayof Dramatick Poesy. relates the Quarrels and Disorders of it to save the undecent appearance of them on the Stage, and to abbreviate the Story: And this in express imitation of Terence, who had done the same before him in his Eunuch, where Pythias makes the like Relation of what had happen'd within at the Soldier's Entertainment. The Relation, likewise, of Sejanus's Death, and the Prodigies before it, are remarkable; the one of which was hid from sight to avoid the Horror and Tumult of the Representation; the other to shun the introducing of things impossible to be believ'd. In that excellent Play, The King and no King, Fletcher goes yet farther; for the whole unravelling of the Plot is done by Narration in the fifth Act, after the manner of the Ancients; and it moves great Concernment in the Audience, tho' it be only a Relation of what was done many Years before the Play. I could multiply other Instances, but these are sufficient to prove, that there is no Error in chusing a Subject which requires this sort of Narrations; in the ill Management of them, there may.


57 - An Essay on Dramatick Poesy /

I grant the French have performed what was possible on the ground-work of the Spanish Plays; what was pleasant before, they have made regular; but there is not above one good Play to be writ on all those Plots; they are too much alike to please often, which we need not the Experience of our own Stage to justifie. As for their new Way of mingling Mirth with serious Plot, I do not, with Lisideius, condemn the thing, though I cannot approve their manner of doing it: He tells us, we cannot so speedily recollect our selves after a Scene of great Passion and Concernment, as to pass to another of Mirth and Humour, and to enjoy it with any relish: But why should he imagine the Soul of Man more heavy than his Senses? Does not the Eye pass from an unpleasant Object to a pleasant, in a much shorter time than is required to this? And does not the Unpleasantness of the first commend the Beauty of the latter? The old Rule of Logick, might have convinc'd him, That Contraries when plac'd near, set off each other. A continued Gravity keeps the Spirit too much bent; we must refresh it sometimes, as we bait in a Journey, that we may go on with greater ease. A Scene of Mirth mix'd with Tragedy, has the same effect upon us which our Musick has betwixt the Acts, which we find a Relief to AnEssayof Dramatick Poesy. us from the best Plots and Language of the Stage, if the Discourses have been long. I must therefore have stronger Arguments ere I am convinc'd, that Compassion and Mirth in the same Subject destroy each other; and in the mean time, cannot but conclude, to the Honour of our Nation, that we have invented, increas'd, and perfected a more pleasant way of writing for the Stage, than was ever known to the Ancients or Moderns of any Nation, which is Tragi-Comedy.


58 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

„Bey dem Seneca fährt Eugenius fort, nach einer kurzen Ausschweifung über die harte, unnatürliche Art sich auszudrücken, deren sich unter den englischen Dichtern besonders der Satyricus Cleveland schuldig gemacht,) „finde ich zwar manchen vortreflichen Gedanken; doch derjenige der unter den römischen Dichtern die größten Gaben für das Theater hatte, war, meinem Bedünken nach, Ovidius. Er weis die angenehme Bewunderung und das zärtlicheMitleid, welches die Gegenstände des Trauerspiels sind, so glücklich zu erregen, und die verschiednen Bewegungen einer mit verschiednenLeidenschaften kämpfenden Seele zu schildern, daß, wenn er in unsern Zeiten gelebt hätte, oder er zu seinen Zeiten unsere Vortheile gehabt dramatischen Werken. hätte, ihn niemand hierinn würde übertroffen haben. Jch kann mir auch daher nicht einbilden, daß die Medea, die sich unter den Senecaischen Trauerspielen befindet, sein Werk seyn sollte; denn ob ich sie schon wegen ihres spruchrichen Ernstes schätze, der, wie er selbst sagt, derTragödie vornehmlich zukömmt, Omne genus scripti gravitate Tragoedia vincit: so rührt sie mich doch bey weitem nicht so, daß ich glauben sollte, der Dichter, der in der Epischen Dichtungsart verschiednes dem Drama so nahe kommendes, als die Geschichte von der Myrrha, von Caunus und Byblis, geschrieben, hätte mich da nicht stärker rühren können, wo es auf die Rührung vornehmlich angesehen war. Das Meisterstück des Seneca, halte ich dafür, ist die Scene in den Trojanerinnen, wo Ulysses den Astyanax sucht, um ihn umzubringen; dieZärtlichkeit einer Mutter ist daselbst, in der Person der Andromacha so vortreflich geschildert, daß unser Mitleiden kaum höher steigen kann; es ist auch diese Scene dasjenige, was aus allen alten Trauerspielen den rührenden Scenen im Shakespear und Fletcher am nächsten kömmt. Verliebte Scenen wird man wenige bey ihnen finden; ihre tragischen Dichter machten sich mit dieser sanften Leidenschaft nicht viel zu thun, sondern mehr mit sträflicher Brunst, mit Grausamkeit, mit Rache und Ehrgeitz und deren blutigen Folgen, wodurch sie Von Johann Dryden u. dessen nicht sowohl Mitleiden als Schrecken bey ihrenZuschauern erregten et cetera


59 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Doch von unsern Schauspielen wieder auf ihre zu kommen, so habe ich einen sehr großen Vortheil, den sie bey der Anlage ihrer Tragödien haben, zu bemerken geglaubt; diesen nehmlich, daß sie allezeit auf irgend eine bekannte Geschichte gegründet sind; und hierinn haben sie die Alten so nachgeahmt, daß sie ihnen so gar vorzuziehen sind. Denn die Alten, wie schon zuvor angemerkt worden, gründeten ihreTrauerspiele auf wenige poetische Erdichtungen, deren Ausgang den Zuschauern schon so bekannt war, daß sie wenig davon gerühret werden konnten; der Franzose aber gehet weiter,


60 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

„Das ist: solche Handlungen, die, wegen ihrer Grausamkeit, Abscheu in uns erregen, oder die wir, wegen ihrer Unmöglichkeit, nicht glauben können, müssen von dem Dichter entweder gänzlich vermindern, oder bloß durch die Erzehlung beygebracht werden. Hierzu können wir auch mit Recht alle diejenigen Handlungen setzen, die wir zur Vermeidung des Tumults, (wie ich schon zuvor angemerkt habe) oder wegen ihres Mangels an Schönheit, oder zu Erhaltung einer regelmäßigern Dauer der Zeit, besser erzehlen als dem Auge vorstellen lassen. Beyspiele von allen diesen Arten kommen häufig so wohl bey den Alten, als bey unsern besienbesten englischen Dichtern vor. Wir finden, daß Ben Johnson in einem seiner Lustspiele (Magnetick Lady) dieses in Acht genommen hat, wo einer vom Tische kömmt, und die Zänkereyen und Unordnungen, die dabey vorgefallen, erzehlt, um die ungeziemende Vorstellung derselben auf der Bühne zu vermeiden, und die Geschichte abzukürzen; und dieses zur ausdrücklichen Nachahmung des Terenz, welcher vor ihm in seinem Evnucho ein gleiches gethan, und den Pythias alles, was bey des Soldaten Gasterey vorgefallen, bloß erzehlen läßt. Die Erzehlungen von dem Tode des Sejanus und den vorhergegangenen Wunderzeichen, sind gleichfalls in dieser Absicht merkmürdig; jener mußte den Zuschauern aus den Augen gebracht Von Johann Dryden u. dessen werden, um das Abscheuliche und Tumultuöse der Vorstellung zu vermeiden, und diese durften nicht gezeigt werden, weil es lauter unglaubliche Dinge waren. Fletcher gehet in seinem vortreflichen Stücke: The King and no King noch weiter; denn die ganze Auflösung geschiehet in dem fünften Aufzuge, nach dem Muster derAlten, durch eine blosse Erzehlung, welche die Zuschauer dennoch ungemein rühret, ob sie gleich nur Dinge enthält, die viel Jahre vor dem Stücke geschehen. Jch könnte noch mehr Beyspiele anführen; doch diese sind bereits hinlänglich, zu beweisen, daß man gar wohl einen Stoff wählen kann, der dergleichen Erzehlungen erfordert; da liegt der Fehler noch nicht, aber in der schlechten Ausführung und Bearbeitung kann er liegen.