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31 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Scene ist im Gefängnisse. Man erblickt den Philosophen in Ketten und auf Stroh liegend. Er schläft. Seine Freunde haben die Wache bestochen, und kommen mit anbrechendem Tage, ihm seine Befreyung anzukündigen.


32 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Es ist ein einziger Aufzug, der aber, wenn er wohl ausgearbeitet würde, die Länge eines gewöhnlichen Stückes haben dürfte. Welche Beredsamkeit wird dazu erfordert! Welche tiefe Einsicht in die Weltweisheit! Welch Naturell! Welche Wahrheit! Man fasse den festen, einfältigen, ruhigen, heitern und erhabnen Charakter des Philosophen nur recht, und man wird bald merken, wie schwer er zu schildern ist. Alle Augenblicke werden sich die Lippen lächelnd verziehen, und die Augen voll Thränen stehen! Ich würde vergnügt sterben, wenn ich dieses Werk so ausgeführet hätte, als ich mir es vorstelle. Und ich wiederhohle es; wenn die Kunstrichter hier wei ter nichts als eine Folge von philosophischen und frostigen Unterredungen erblicken: die armen Leute! Wie sehr betauere ich sie!


33 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Es ist ein einziger Aufzug, der aber, wenn er wohl ausgearbeitet würde, die Länge eines gewöhnlichen Stückes haben dürfte. Welche Beredsamkeit wird dazu erfordert! Welche tiefe Einsicht in die Weltweisheit! Welch Naturell! Welche Wahrheit! Man fasse den festen, einfältigen, ruhigen, heitern und erhabnen Charakter des Philosophen nur recht, und man wird bald merken, wie schwer er zu schildern ist. Alle Augenblicke werden sich die Lippen lächelnd verziehen, und die Augen voll Thränen stehen! Ich würde vergnügt sterben, wenn ich dieses Werk so ausgeführet hätte, als ich mir es vorstelle. Und ich wiederhohle es; wenn die Kunstrichter hier wei ter nichts als eine Folge von philosophischen und frostigen Unterredungen erblicken: die armen Leute! Wie sehr betauere ich sie!


34 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Unter den unzehlichen Schriftstellern von der Dichtkunst, sind vornehmlich dreye berühmt:Aristoteles, Horaz und Boileau.Aristoteles ist ein Philosoph, der methodisch verfährt, allgemeine Regeln festsetzt, und Folgerungen daraus ziehen und Anwendungen davon machen läßt. Horaz ist ein Mann vonGenie, der sich der Unordnung recht zu befleißigen scheinet, und mit den Dichtern als Dichter spricht. Boileau ist ein Meister der seinen Schülern, zugleich mit der Vorschrift, das Exempel zu geben sucht.


35 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Sie, die Einbildungskraft, ist die grosse Fähigkeit, ohne welche man weder Dichter, noch Philosoph, weder ein witziger Kopf, noch ein vernünftiges Wesen, noch ein Mensch ist.


36 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Sich einer nothwendigen Reihe von Bildern erinnern, so wie sie in der Natur auf einander folgen, heißt nach gewissen Factis denken. Sich einer Reihe Bilder erinnern, so wie sie in der Natur nothwendig auf einander folgen müßten, wenn dieses oder jenes Phänomenon gegeben ist, heißt nach einer Hypothes denken, das ist, dichten; das heißt,Philosoph oder Poet seyn, nachdem man sich diesen oder jenen Endzweck vorsetzt.


37 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Und der Poet, welcher erdichtet, und derPhilosoph, welcher schließt, sind beide auf gleiche Weise und in dem nehmlichen Verstande, zusammenhängend oder nicht zusammenhängend. Denn zusammenhängend seyn, oder Erfahrung von der nothwendigen Verknüpfung der Erscheinungen haben, ist einerley.


38 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das, dünkt mich, kann genug seyn, die Analogie der Wahrheit und der Erdichtung zu zeigen, den Poeten und den Philosophen zu charakterisiren, und das Verdienst des Poeten, besonders des epischen und dramatischen ausser Zweifel zu setzen. Er hat von der Natur die Eigenschaft in einem höhern Grade empfangen, durch die sich ein Mensch von Genie von einem gewöhnlichen Menschen, und dieser von einem Dummkopfe unterscheidet; dieEinbildung meine ich, ohne die alle Rede weiter nichts als eine mechanische Fertigkeit ist, gewisse verbundene Töne bey gewissen Fällen anzubringen.


39 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ich weis nicht, mein Freund, ob nicht das Studium der Philosophie mich wieder zu sich zurückruffen wird, und ob der Hausvater mein letztes Drama seyn, oder nicht seyn wird. So viel aber weis ich, daß ich den Contrast der Charaktere gewiß in keinem brauchen würde.


40 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ein anderes ist die Wahrheit in der Poesie, ein anderes in der Philosophie. Um wahr zu seyn, muß der Philosoph seine Rede mit derNatur der Gegenstände übereinstimmend machen; der Dichter, mit der Natur seinerCharaktere.


41 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ein anderes ist die Wahrheit in der Poesie, ein anderes in der Philosophie. Um wahr zu seyn, muß der Philosoph seine Rede mit derNatur der Gegenstände übereinstimmend machen; der Dichter, mit der Natur seinerCharaktere.


42 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Der Philosoph spricht wenig mit seiner Frau. Aber wie viel Zärtliches hatte nicht ein weiser Mann, dem das Leben gleichgültig war, über sein Kind zu sagen!


43 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Philosophen treten herein. Kaum erblickt sie Xantippe, als sie zu schreyen und sich untröstlich zu stellen anfängt, so wie die Gewohnheit der Weiber in dergleichen Fällen ist. Sokrates, schreyt sie, heut sprechen dich deine Freunde zum letztenmale. Zum letztenmale umarmest du itzt deine Frau; zum letztenmale dein Kind.


44 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Nunmehr nimmt der Philosoph ein heiteres Gesicht an, setzet sich auf sein Bette, ziehet den Fuß an sich, von dem man ihm die Fessel abgenommen hatte, reibet ihn sanft, und sagt:


45 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wenn der Zuschauer im Theater gleichsam vor einem Vorhange steht, auf welchem ein Zauberer verschiedene Gemälde, eines nach dem andern, darstellet: warum sollte der Philosoph, der an dem Bette des Sokrates sitzet, und ihn sterben zu sehen fürchtet, nicht eben so pathetisch auf der Bühne seyn, als es die Frau und die Tochter des Eudamidas in dem Gemälde des Poussin sind?