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46 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die Leidenschaften sind bey allen Menschen die nehmlichen, und unterscheiden sich nur nach den Graden ihrer Empfindlichkeit; bey diesem entstehen sie schneller, bey jenem langsamer; bey dem einen äußern sie mehr, bey dem andern weniger Stärke und Heftigkeit; hier sind sie anhaltender, dort überhingehender. Dieses lehrt uns die tägliche Erfahrung; und es muß folglich der Wahrheit weit gemäßer seyn, die Stellungen abzuändern, und dem Ausdrucke Verschiedenheit zu geben, als jeder Person die nehmlichePantomime vorzuschreiben, und das ganze Spiel monotonisch zu machen. DieNatur recht nachzuahmen, den Ruhm eines trefflichenMahlers zu verdienen, muß jeder Kopf seinen besondern und eigenen Ausdruck haben; einige von den Faunen müssen mehr Wildheit, andere weniger Ungestüm verrathen; diese müssen einen zärtlichern Anstand haben, und jene nichts als Wollust athmen; diese müßten den Nymphen ihre Furcht benehmen zu wollen, und jene sie mit ihnen zu theilen scheinen. Die Anordnung dieser Seite des Gemähldes würde natürlicher Weise auch die Anordnung der andern Seite bestimmen; hier würden wir Nymphen erblicken, die zwischen Furcht und Wollust schwimmen; da würden sich einige weit spröder und stolzer gebehrden, als ihre Gespielinnen; dort würden andere mit ihrer Furcht eine Art von Neubegierde verbinden; kurz, alle würden durch die Verschiedenheit ihrer Stellungen die verschiedenenBewegungen ihrer Seele zu erkennen geben, und diese Verschiedenheit würde um so mehr bezaubern, je näher sie derNatur käme.


47 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ja es ist dieser Grundsatz um so verwerflicher, je seltner die Balletmeister sind, welche selbst empfinden. Es giebt so wenige unter ihnen, die gute Komödianten wären, und sich auf die Kunst, die Bewegungen des Gemüths durch Gebehrden zu schildern, verstünden; ein Bathyllus und Pylades, sage ich, ist ein solches Wunder unter uns, daß ich unmöglich umhin kann, alle diejenigen zu verdammen, die eitel genug sind, sich für Muster der Nachahmung zu halten. Wenn sie kein warmes Gefühl haben, so wird auch ihr Ausdruck frostig seyn; ihren Gebehrden wird es an Geist, ihrer Physiognomie an Charakter, und ihren Stellungen an Affekte fehlen. Was kann aber die Figuranten mehr verderben, als verlangen, daß sie sich nach so etwas Mittelmäßigem bilden sollen? Und durch was kann die Ausführung mehr verunglücken, als wenn man sie solchen Marionetten überträgt? Uebrigens lassen sich gar nicht einmal allgemeine und feste Regeln für diePantomime vorschreiben. Denn die Gebehrden müssen blos das Werk der Seele, und die unmittelbare Eingebung ihrer Regungen seyn.


48 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ein wohl eingerichtetes Ballet ist ein lebendiges Gemählde der Leidenschaften, der Sitten, der Gebräuche, des ganzen Costums aller Völker auf Erden; folglich muß es in allen seinen Gattungenpantomimisch seyn, und sich durch die Augen der Seele verständlich machen. Fehlt es ihm an Ausdruck, an kräftigen Gemählden, an starken Situationen, so ist es nichts, als ein kaltes einförmiges Spektakel. Es leidet durchaus keine Mittelmäßigkeit; es verlangt, wie dieMahlerey, eine Vollkommenheit, die um so viel schwerer zu erreichen ist, je mehr sie der allertreulichsten Nachahmung der Naturuntergeordnet seyn muß; es soll den Zuschauer täuschen, und ihn so täuschen, daß er sich in einem Augenblicke an den wirklichen Ort der Scene versetzt zu seyn glaubet, daß seineSeele eben so gerühret wird, als sie die Handlung selbst rühren würde, von welcher ihm die Kunst eine bloße Nachahmung darstellet. Welche Genauigkeit erfodert es nicht, weder unter dem Gegenstande, den man nachahmen will, zu bleiben, noch sich über denselben zu erheben! Es ist eben so gefährlich, sein Musterschöner, als häßlicher zu machen: beide Fehler streiten mit der Aehnlichkeit; der eine, indem er die Natur verunstaltet, der andere, indem er sie durch Liebäugeleyen, durch Schminke und Schönpflästerchen unkenntlich macht.


49 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die Kunst der Pantomime ist unstreitig heut zu Tage weit eingeschränkter, als sie unter der Regierung des Augustus war; es giebt eine Menge Dinge, die sich, vermittelst der Gebehrden, keinesweges deutlich ausdrücken lassen. Alles, was ruhige Unterredung heißt, kann in der Pantomime keine Statt finden. Wenn der Kompositeur nicht die Geschicklichkeit hat, von seinem Stoffe alles, was ihm kalt und monotonisch scheinet, abzusondern, so wird sein Ballet wenig oder keinen Eindruck machen. Die Schuld, warum die Spektakel des Hrn. Servandoniweniger als gleichgültig ausfielen, lag nicht an den Gebehrden; die Arme seiner Akteurs waren nichts weniger als unthätig; gleichwohl waren seine pantomimischen Vorstellungen so kalt, wie Eis; denn in ganzen anderthalb Stunden, voller Bewegungen und Gebehrden, äußerte sich kaum ein einziger Augenblick, den ein Mahler hätte nutzen können.


50 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es ist ein Hauptfehler, wenn man ganz verschiedne Gattungen mit einander vermischt, und das Ernsthafte mit dem Lustigen, das Edle mit dem Gemeinen, das Galante mit dem Burlesken verbindet. Durch nichts verräth sich der kleine Geist, der üble Geschmack und die Unwissenheit des Kompositeurs mehr, als durch diesen Fehler, der, so grob er auch ist, dennoch sehr häufig begangen wird. Der Charakter und die Gattung des Ballets müssen durch keine Episoden von einer andern Gattung und einem andern Charakter, entstellt werden. Die Veränderungen und Verwandlungen, die in den englischen Pantomimen der Seiltänzer so gewöhnlich sind, schicken sich zu ernsthaften und edeln Vorwürfen nicht. Auch ist es ein Fehler, wenn die nehmlichen Gegenstände zwey, dreymal vorkommen; dergleichen Wiederholungen von einerley Scene machen die Handlung frostig, und zeigen von der Armseligkeit des Inhalts.


51 - Discours historique sur l'apocalypse /

Kaum können heftige Leidenschaften der Tragödie nothwendiger seyn, als sie der Pantomime sind. Unsere Kunst ist gewissermaaßen der Perspektiv unterworfen; das Kleine verliert sich in der Entfernung. Die Gemählde des Tanzes erfordern Züge, die sich ausnehmen, große kühne Massen, kräftige Charaktere, und Gegenstellungen und Kontraste, die eben so künstlich ausgesparet, als in die Augen fallend seyn müssen.


52 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es ist sehr sonderbar, daß man es bis itzt gar nicht gewußt zu haben scheinet, daß dietragische Gattung gerade diejenige ist, welche sich zu dem Ausdrucke des Tanzes am meisten schickt; denn sie hat die größten Gemählde, die edelsten Situationen und die glücklichsten Theaterspiele. Da hiernächst die Leidenschaften bey Helden weit stärker und entschiedener sind, als bey gewöhnlichen Menschen, so muß die Nachahmung derselben leichter, und die Handlung der Pantomime feuriger, wahrer und verständlicher werden.


53 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die Schwierigkeit liegt also nicht darinn, daß man dem Ajax oder Ulysses einen unterscheidenden und vorragenden Charakter zu geben weiß, weil sie, als die Helden der Scene, diesen von selbst haben; sondern darinn, daß man die Figuranten auf eine anständige Art dabey einzuführen, ihnen allen mehr oder weniger starke Rollen zu geben, sie an der Handlung der zwey Helden mehr oder weniger Antheil nehmen zu lassen, das Frauenzimmer in diesem Ballete schicklich anzubringen, einige davon für den Ajax, die mehresten aber für den Ulysses zu interessiren verstehet. Der Triumph des einen, und derTod des andern, bieten dem Genie eine MengeGemählde an, unter denen es nur die kräftigsten und mahlerischsten, deren Kontrast und Kolorit die lebhaftesten Empfindungen hervorbringen müssen, zu wählen braucht. Man begreift, nach meiner Idee, leicht, daß ein pantomimisches Ballet beständig in Handlung seyn muß, und daß die Figuranten, wenn sie an die Stelle des abgehenden Akteurs treten, die Scene nun auch ihres Theils füllen müssen, und zwar nicht blos durch symmetrische Figuren und abgemessene Schritte, sondern durch einen lebhaften und begeisterten Ausdruck, welcher die Zuschauer beständig auf den, von den vorhergehenden Akteurs angekündigten und eröfneten Inhalt aufmerksam erhalte.


54 - Discours historique sur l'apocalypse /

Weg mit den Kabriolen, den Entrechats und den allzu verwickelten Schritten! Weg mit diesen liebäugelnden Grimassen, um euch ganz den Empfindungen, den ungekünstelten Reitzen und dem Ausdrucke zu überlassen! Befleißiget euch einer edeln Pantomime, vergesset nie, daß sie die Seele eurer Kunst ist; bringt Geist und Verstand in euer Pasdedeux; Anmuth und Wollust bezeichne den Gang desselben, und das Genie ordne jede seiner Stellungen; leget die frostigen Larven ab, diese unvollkommene Kopieen derNatur; sie verbergen eure Gesichtszüge, sie verfinstern, so zu reden, eure Seele, und berauben euch desjenigen, was zu dem Ausdrucke das unentbehrlichste ist; werffet die großen gräßlichen Parruquen, die ungeheuren Aufsätze weg, die den Kopf um das gehörige Verhältniß bringen, welches er mit dem Körper haben muß; schaffet den Gebrauch der runden, steifen Fischbeinröcke ab, welche die Ausführung alles Reitzes berauben, den Stellungen ihre Zärtlichkeitbenehmen, und die sanften Aussenlinien verderben, welche die Form in allen verschiednen Lagen haben muß.

55 - Discours historique sur l'apocalypse /

Und ihr besonders, ihr jungen Leute, die ihr euch mit Verfertigung der Ballette selbst abgeben wollt, und in der Meinung stehet, um darinn glücklich zu seyn, brauche es weiter nichts, als ein Paar Jahre unter einem Manne von Genie figurirt zu haben: vor allen Dingen müßt ihr selbst Genie besitzen! Wie könnt ihr ohne Feuer, ohne Geist, ohne Einbildungskraft, ohne Geschmack und ohne Kenntnisse, Mahler zu werden hoffen? Ihr wollt nach der Historie komponiren, und ihr wißt nichts von der Historie; nach den Dichtern, und ihr kennt die Dichter nicht. Lernt sie kennen; denn eure Ballette müssen Gedichte seyn, aber Gedichte, deren Inhalt gut gewählt ist. Unterfangt euch nie, große Vorwürfe zu behandeln, ohne vorher einen vernünftigen Plan gemacht zu haben; bringt eure Gedanken zu Papiere, und überleset sie hundertmal; theilt euer Drama in Scenen, deren jede interessant sey und uns ohne Verwirrung, ohne Umschweiffe einem glücklichen Ausgange immer näher und näher bringe; vermeidet sorgfältig alles Gedehnte, welches die Handlung kalt und den Verlauf schläfrig macht! Bedenkt, daß Gemählde und Stellungen die schönsten Augenblicke einer Komposition sind; laßt also eure Figuranten und Figurantinnen nicht blos tanzen, sondern durch Tanzen reden und mahlen; sie müssen allesamt Pantomimen seyn, sie müssen sich alle in alle Gestalten zu verwandeln wissen. Wenn ihre Gebehrden und ihre Physiognomie beständig mit ihrer Seele übereinstimmen, so wird der daraus entspringende Ausdruck der wahre Ausdruck der Empfindung seyn, und euer Werk beleben. Wenn ihr zu den Proben geht, so habt nicht den Kopf blos von euren Figuren voll, nehmt auch euern Verstand mit, und seyd von euerm Vorwurfe ganz durchdrungen. Wenn eure Einbildungskraft von dem Gegenstande, den ihr mahlen wollt, lebbaft gerührt ist, so wird sie euch Züge und Farben und Pinsel geben. Eure Gemählde werden Feuer und Energie haben, sie werden ganzWahrheit seyn, wenn euer Vorbild nur die rechte Wirkung auf euch gehabt hat. Treibet die Liebe zu eurer Kunst bis zum Enthusiasmus. Denn in theatralischen Kompositionen nicht zu verunglücken, muß das Herz gerührt und die ganze Seele in Bewegung seyn; die Leidenschaften müssen donnern und das Genie muß leuchten.


56 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die meiste Hülfe gewähren, in diesem Stücke, noch die Pariser und Londner Bühnen. Die Engländer sind sinnreich; ihre theatralischeMaschienen sind einfacher als unsere; die Wirkung derselben ist daher auch geschwinder und feiner. Alles was zur Auszierung und Veränderung des Theaters erforderlich ist, ist bey ihnen von einer bewundernswürdigen Sauberkeit und Geschmeidigkeit; diese Pracht, diese Sorgfalt, diese Genauigkeit, die sie in den kleinsten Stücken beobachten, müssen nothwendig vieles zu der Geschwindigkeit und Richtigkeit des Ganzen beytragen. Besonders bringen sie in ihren Pantomimen wahre Meisterstücke des Mechanismus zum Vorscheine; in dieser sonst so gemeinen Gattung, die immer auf der allerniedrigsten Intrigue beruhet, und ohne allen Geschmack, ohne alles Interesse ist. Man kann sagen, daß dieses Schauspiel, welches unendliche Kosten erfodert, nur für Augen gemacht ist, die ganz und gar nichts zu beleidigen fähig ist; und daß es auf unsern Theatern nur sehr mäßigen Beyfall finden dürfte, wo man das Luftige nur in so fern liebt, als es sich mit dem Anständigen verträgt; nur in so fern, als es fein ist, nicht in das Unsinnige fällt, und weder die Sitten, noch die Menschheit beleidiget.


57 - Discours historique sur l'apocalypse /

Die Scene mit dem Ringe, die Scene wo der Geitzige den Bedienten visitiret, die Scene wo Euphrosine ihn von seiner Geliebten unterhält, alle diese Scenen lassen sich sehr deutlich ausdrücken; und zu der wüthenden Verzweiflung des Harpagon werdet ihr eben so wahre und lebhafte Farben finden, als die sind, mit welchen sie Moliere geschildert hat, wenn ihr anders nicht ganz ohne Geist undGefühl seyd. Was der Mahler nutzen kann, muß auch der Tänzer brauchen können. Man beweise mir also erst, daß die Stücke der Verfasser, welche ich genannt habe, ohneCharakter, ohne Intresse, ohne starke Situationen sind; man beweise mir, das ein Boucher und ein Vanloo nichts als frostige und unangenehme Gemählde nach diesen Meisterstücken machen könnte: und dann will ich es zugeben, daß es nichts wie Grillen sind, auf die ich verfallen bin. Wenn aber aus diesen Stücken eine Menge vortrefflicher Gemählde können gezogen werden: so habe ich meine Sache gewonnen; und es ist nicht meine Schuld, wenn es uns an mahlerischenPantomimen fehlt, und unsere Tänzer ohneGenie sind.


58 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was sagen Sie, mein Herr, zu allen den Titeln, mit welchen man täglich jene elenden Lustbarkeiten ausschmücket, die gewissermaaßen der Langenweile geheiliget sind, und denen nichts als Kälte und Melancholienachfolgt? Man nennt sie alle pantomimische Ballette, ob sie gleich in der That wenig oder nichts sagen. Die meisten Tänzer und Kompositeurs sollten den Gebrauch annehmen, den die Mahler in den Jahrhunderten der Unwissenheit hatten; anstatt des mahlerischen Ausdruckes bedienten sie sich schmaler Papierstreife, die aus dem Munde der Personen gingen, und auf welchen die Handlung oderEmpfindung, die jede haben oder äußern sollte, geschrieben war. Diese nützliche Vorsicht, welche den Betrachter auf die Idee des Mahlers half, die in der unvollkommnen Ausführung so unverständlich geblieben war, würde bey den mechanischen und unbestimmten Bewegungen unserer Pantomimen eben so gute Dienste leisten können. Das sinnreiche Gespräch in den Pas de deux, die angenehmen Betrachtungen in den Soloentreen, die zusammenhangende Unterredung der Figuranten und Figurantinnen heutiges Tages, würden bald erkläret seyn. Ein Blumenstrauß, ein Rechen, ein Vogelbauer, eine Leyer oder eine Guitarre: das ist es ungefehr alles, was den Stoff zu den Intriguen unsrer prächtigen Ballette giebt; das sind die grossen und erhabnen Gegenständen, welche der schöpferischeGeist unsrer Kompositeurs hervor bringt. Bekennen sie nur, mein Herr, daß ein sehr besonders Talent dazu gehöret, sie nach Würden zu behandeln. Ein kleiner Schritt, auf der Spitze des Fußes schlecht genug gehüppelt, dient diesen Meisterstücken zur Einleitung, zum Knoten, und zur Entwicklung. Das heißt so viel, als: wollt ihr mit mir tanzen? und dann tanzen sie. Solche sinnreiche Dinge sind es, mit denen man uns, unter den Namen der Ballette von Erfindung, der pantomimischen Tänze, abspeiset. Doch ihre Verfasser — mögen sie doch nur ruhig fortkriechen! Flügel sind eine unschickliche Zierde und ganz unnütze Werkzeuge für den, der sich nicht aus eignen Kräften erheben, der sich seinen Glanz nicht selbst geben kann, sondern ihn, wie die leuchtenden Würmchen, den Schatten und der Dunkelheit verdanken muß.


59 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was sagen Sie, mein Herr, zu allen den Titeln, mit welchen man täglich jene elenden Lustbarkeiten ausschmücket, die gewissermaaßen der Langenweile geheiliget sind, und denen nichts als Kälte und Melancholienachfolgt? Man nennt sie alle pantomimische Ballette, ob sie gleich in der That wenig oder nichts sagen. Die meisten Tänzer und Kompositeurs sollten den Gebrauch annehmen, den die Mahler in den Jahrhunderten der Unwissenheit hatten; anstatt des mahlerischen Ausdruckes bedienten sie sich schmaler Papierstreife, die aus dem Munde der Personen gingen, und auf welchen die Handlung oderEmpfindung, die jede haben oder äußern sollte, geschrieben war. Diese nützliche Vorsicht, welche den Betrachter auf die Idee des Mahlers half, die in der unvollkommnen Ausführung so unverständlich geblieben war, würde bey den mechanischen und unbestimmten Bewegungen unserer Pantomimen eben so gute Dienste leisten können. Das sinnreiche Gespräch in den Pas de deux, die angenehmen Betrachtungen in den Soloentreen, die zusammenhangende Unterredung der Figuranten und Figurantinnen heutiges Tages, würden bald erkläret seyn. Ein Blumenstrauß, ein Rechen, ein Vogelbauer, eine Leyer oder eine Guitarre: das ist es ungefehr alles, was den Stoff zu den Intriguen unsrer prächtigen Ballette giebt; das sind die grossen und erhabnen Gegenständen, welche der schöpferischeGeist unsrer Kompositeurs hervor bringt. Bekennen sie nur, mein Herr, daß ein sehr besonders Talent dazu gehöret, sie nach Würden zu behandeln. Ein kleiner Schritt, auf der Spitze des Fußes schlecht genug gehüppelt, dient diesen Meisterstücken zur Einleitung, zum Knoten, und zur Entwicklung. Das heißt so viel, als: wollt ihr mit mir tanzen? und dann tanzen sie. Solche sinnreiche Dinge sind es, mit denen man uns, unter den Namen der Ballette von Erfindung, der pantomimischen Tänze, abspeiset. Doch ihre Verfasser — mögen sie doch nur ruhig fortkriechen! Flügel sind eine unschickliche Zierde und ganz unnütze Werkzeuge für den, der sich nicht aus eignen Kräften erheben, der sich seinen Glanz nicht selbst geben kann, sondern ihn, wie die leuchtenden Würmchen, den Schatten und der Dunkelheit verdanken muß.


60 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was sagen Sie, mein Herr, zu allen den Titeln, mit welchen man täglich jene elenden Lustbarkeiten ausschmücket, die gewissermaaßen der Langenweile geheiliget sind, und denen nichts als Kälte und Melancholienachfolgt? Man nennt sie alle pantomimische Ballette, ob sie gleich in der That wenig oder nichts sagen. Die meisten Tänzer und Kompositeurs sollten den Gebrauch annehmen, den die Mahler in den Jahrhunderten der Unwissenheit hatten; anstatt des mahlerischen Ausdruckes bedienten sie sich schmaler Papierstreife, die aus dem Munde der Personen gingen, und auf welchen die Handlung oderEmpfindung, die jede haben oder äußern sollte, geschrieben war. Diese nützliche Vorsicht, welche den Betrachter auf die Idee des Mahlers half, die in der unvollkommnen Ausführung so unverständlich geblieben war, würde bey den mechanischen und unbestimmten Bewegungen unserer Pantomimen eben so gute Dienste leisten können. Das sinnreiche Gespräch in den Pas de deux, die angenehmen Betrachtungen in den Soloentreen, die zusammenhangende Unterredung der Figuranten und Figurantinnen heutiges Tages, würden bald erkläret seyn. Ein Blumenstrauß, ein Rechen, ein Vogelbauer, eine Leyer oder eine Guitarre: das ist es ungefehr alles, was den Stoff zu den Intriguen unsrer prächtigen Ballette giebt; das sind die grossen und erhabnen Gegenständen, welche der schöpferischeGeist unsrer Kompositeurs hervor bringt. Bekennen sie nur, mein Herr, daß ein sehr besonders Talent dazu gehöret, sie nach Würden zu behandeln. Ein kleiner Schritt, auf der Spitze des Fußes schlecht genug gehüppelt, dient diesen Meisterstücken zur Einleitung, zum Knoten, und zur Entwicklung. Das heißt so viel, als: wollt ihr mit mir tanzen? und dann tanzen sie. Solche sinnreiche Dinge sind es, mit denen man uns, unter den Namen der Ballette von Erfindung, der pantomimischen Tänze, abspeiset. Doch ihre Verfasser — mögen sie doch nur ruhig fortkriechen! Flügel sind eine unschickliche Zierde und ganz unnütze Werkzeuge für den, der sich nicht aus eignen Kräften erheben, der sich seinen Glanz nicht selbst geben kann, sondern ihn, wie die leuchtenden Würmchen, den Schatten und der Dunkelheit verdanken muß.