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31 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Diese Pedanterie, die sonst überall dem leichten Charakter der Nation so zuwider ist, wird den Fortgang der Pantomime, dieses so wichtigen Theiles der dramatischen Kunst, noch lange Zeit aufhalten.


32 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ich habe gesagt, die Pantomime sey ein Stück des Drama; der Verfasser müsse sich ihrer ernstlich befleißigen; er werde, wenn sie ihm nicht geläuffig und immer gegenwärtig ist, keine Scene, so wie es die Wahrheiterfordert, weder anzufangen, noch fortzuführen, noch zu endigen wissen. Ich habe gesagt, der Gestus müsse oft anstatt der Rede hingeschrieben werden.


33 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Es gehet in der Welt nichts vor, was nicht auf der Bühne seinen Platz finden könnte. Nun nehme man zwey Personen, die nicht recht wissen, ob sie mit einander zufrieden, oder unzufrieden seyn sollen, und die einen dritten erwarten, der ihnen Licht geben soll. Was werden die sich, bis zu der Ankunft dieses dritten, sagen? Nichts. Sie werden gehen, und kommen, und sich ungeduldig erweisen, aber kein Wort reden. Sie werden sich wohl hüten, einander etwas zu sagen, was sie vielleicht hernach bereuen müßten. Das wäre der Fall einer ganz, oder doch fast ganz pantomimischen Scene; und dergleichen Fälle giebt es mehr.


34 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Pamphilus ist mit dem Chremes und Simo auf der Bühne. Chremes hält alles, was ihm sein Sohn sagt, für Unwahrheiten eines lockern Jünglings, der seine Thorheiten gern entschuldigen möchte. Der Sohn bittet ihn, einen Zeugen stellen zu dürfen. Chremes läßt sich endlich von ihm und dem Simo bewegen, diesen Zeugen zu hören. Pamphilus geht ihn aufzusuchen; Simo und Chremes bleiben da. Nun frage ich, was machen sie mittlerweile, da Pamphilus bey der Glycerium ist, mit dem Crito spricht, ihm die Sache erklärt, ihm sagt, was er von ihm erwarte, und ihn bewegt mitzugehen, um selbst mit seinem Vater dem Chremes zu sprechen? Entweder muß man glauben, sie sind unbeweglich und stumm; oder man muß annehmen, daß Simo den Chremes zu unterhalten fortfähret; daß Chremes, mit niedergeschlagenen Augen, das Kinn auf die Hand gestützet, ihn bald geduldig, bald zornig anhört, und daß eine völlig pantomimische Scene unter ihnen vorfällt.


35 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wenn sich Terenz die Mühe genommen hätte, die Pantomime aufzuschreiben, so würden wir aus aller Ungewißheit seyn. Aber was liegt daran, ob er sie aufgeschrieben hat oder nicht; sie ergiebt sich hier von selbst. Immer ist es aber nicht so. Wer würde sie zum Exempel im Geitzigen errathen haben? Harpagon ist wechselsweise lustig und traurig, nach dem Euphrosine bald von der Armuth, bald von der Zärtlichkeit der Mariane mit ihm spricht. Das Gespräch ist hier zwischen der Rede und den Gebehrden.


36 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Man muß die Pantomime niederschreiben, so oft sie ein Gemälde macht; so oft die Rede dadurch nachdrücklicher, oder deutlicher wird; so oft sie charakterisiert; so oft sie in einem feinen Spiele besteht, das sich nicht errathen läßt; so oft sie statt der Antwort dienet; und fast beständig zu Anfange des Auftritts.


37 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Sie ist so wesentlich, daß zwey Stücke, wovon die eine mit Absicht auf die Pantomime, und die andere ohne Absicht auf sie gemacht worden, so verschieden ausfallen müssen, daß die, wobey die Pantomime als ein Stück des Drama in Betrachtung gekommen, nicht ohne Pantomime, und die, bey welcher die Pantomime vernachläßiget worden, nicht mit Pantomime wird gespielet werden können. Dem Gedichte, das damit versehen ist, wird man sie bey der Vorstellung nicht nehmen, und demjenigen, dem sie mangelt, nicht geben können. Sie ist es, die die Länge der Auftritte bestimmt, und dem ganzen Drama feine Colorite giebt.


38 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wenn ein Dichter den Orest und Pilades auf der Bühne zeigte, wie sie einander denTod streitig machen, und er hätte die Annäherung der Eumeniden auf diesen Augenblick verspart, in welches Schrecken würde er mich nicht setzen, wenn den Orest, indem er mit seinem Freunde spricht, die Gedanken nach und nach verliessen; wenn er seine Augen verkehrte; wild um sich schaute; innehielte; wieder fortführe; aufs neue innehielte; wenn die Verwirrung in seinen Bewegungen und Reden sich immer stärker und stärker äusserte; wenn die Furien sich seiner bemächtigten und ihn quälten; wenn er unter diesen grausamen Qualen erläge; wenn er zu Boden fiele; wenn Pilades ihn aufrichtete, ihn hielte, ihm mit der Hand das Gesicht und den Mund abtrocknete; wenn der unglückliche Sohn der Klytemnestra in diesem Stande der Todesangst einen Augenblick bliebe; wenn er dann die Augen wieder aufschlüge, wie ein Mensch der aus einem tiefen Schlafe erwacht, und fühlte, daß er in den Armen seines Freundes wäre, und sein Haupt gegen ihn sinken liesse, und mit schwacher Stimme zu ihm sagte:Und du, Pilades, solltest sterben? Welche Wirkung müßte diese Pantomime nicht haben? Könnte mich eine Rede in der Welt so rühren, als die Action des Pilades, wenn er den Orest aufhebt und ihm mit der Hand das Gesicht und den Mund abtrocknet? Man trenne hier einmal die Pantomime von dem Gespräche, und man wird beide vernichtet haben. Der Dichter, der diese Scene erfände, würde sein Genie besonders dadurch zeigen, daß er die Raserey des Orest auf diesen Augenblick versparte. Der Grund, den Orest aus seiner Situation hernimmt, ist ohne Widerspruch.


39 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Aber ich bekomme Lust Ihnen die letzten Stunden des Sokrates zu entwerffen. Es ist eine Reihe von Gemälden, die zum Besten der Pantomime mehr beweisen werden, als alles, was ich noch hinzufügen könnte. Ich werde fast ganz und gar bey der Geschichte bleiben. Welch ein Stoff für einen Dichter!


40 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wer will, versuche diese Scene. Ich eile zu meinem Zwecke. So wie ein Vater mitten unter seinen Kindern stirbt, so war das Ende des Sokrates mitten unter den Weltweisen, seinen Schülern.


41 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Man wende die Regeln der mahlerischen Composition auf die Pantomime an, und man wird finden, daß beide einerley Regeln haben.


42 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Worinn sich der häusliche Roman von dem Drama vornehmlich mit unterscheidet, ist dieses, daß der Roman die Gebehrden undPantomime bis tief ins Kleine verfolgt; daß sich sein Verfasser vornehmlich angelegen seyn läßt, die Bewegungen und Eindrücke zu mahlen; anstatt daß sie der dramatische Dichter nur im Vorbeygehen mit einem Worte berühret.


43 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Unterdessen gestehe ich, wenn die Pantomime auf der Bühne zu einer recht hohen Stuffe der Vollkommenheit gebracht wäre, so könnte man es oft überhoben seyn, sie niederzuschreiben; und das ist vielleicht die Ursache, warum die Alten sie nicht beygeschrieben haben. Aber wie kann einer von unsern Lesern, wenn er schon mit dem Theater nicht unbekannt ist, sie sich wärend dem Lesen selbst denken, wenn er sie niemals in dem Spiele unserer Komödianten gesehen hat? Müßte er nicht selbst ein größrer Schauspieler seyn, als der Komödiant von Profession?


44 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Da die Pantomime also auf unsern Theatern noch nicht eingeführt ist, so muß wohl der Dichter, der seine Stücke nicht vorstellen läßt, das Spiel beyschreiben, wenn er nicht oft kalt und unverständlich seyn will. Ja, ist es nicht für den Leser ein Vergnügen mehr, wenn er sieht, wie sich der Dichter selbst das Spiel dabey vorgestellt hat? Und da wir an eine so abgemessene, so gezwungene und von der Wahrheit so entfernte Declamation gewöhnt sind, werden wohl viel Personen unter uns seyn, für die es unnöthig seyn dürfte?


45 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Pantomime ist das Gemälde, das in der Einbildungskraft des Dichters, als er schrieb, existierte, und das, nach seiner Meinung, die Bühne bey der Vorstellung alle Augenblicke zeigen soll. Es ist der einfältigste Weg dem Publico zu sagen, was es von seinen Komödianten zu fordern berechtiget ist. Der Dichter sagt zu ihm: vergleiche dieses Spiel mit dem Spiele deiner Schauspieler, und richte.