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16 - Discours historique sur l'apocalypse /

Welcher Balletmeister sich eine richtige Idee von seiner Kunst machen will, der betrachte nur mit Aufmerksamkeit die Schlachten Alexanders, vom Le Brun gemahlt, oder die Schlachten Ludewigs XIV.vom Van der Meulen, und er wird finden, daß diese zwey Helden, ob sie schon die vornehmsten Gegenstände in jedem einzeln Gemählde sind, dennoch nicht einzig und allein das bewundernde Auge auf sich ziehen; jene ausserordentliche Menge von Streitern, von Besiegten und Siegern, theilen auf eine angenehme Weise, unsere Blicke, und tragen zur Schönheit und Vollkommenheit dieser Meisterstücke, jeder das seinige, bey; jeder Kopf hat seinen besondern Ausdruck und eigenthümlichen Charakter; jede Stellung ist bedeutend und kräftig; die Gruppen, die Niederwerfungen und Stürzungen sind eben so mahlerisch, als sinnreich; alles spricht, alles interessiret, weil alles wahr ist, weil die Nachahmung der Natur überall getreu geblieben, weil, mit einem Worte, die Leinewand zu leben scheinet. Man versuche es und ziehe hernach einen Vorhang über dieses Gemählde, um die Belagerungen, die Schlachten, die Trophäen und Triumphe zu bedecken, und weiter nichts als die zwey Helden sehen zu lassen: sogleich ist das Interesse geschwächt, und es bleibet nichts als die Portraite zweyer großen Regenten übrig.


17 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ich wüßte nicht, wie ichs machen sollte, die Idee eines Mahlers auszufinden, und zu errathen, was er auf der Leinewand habe vorstellen wollen, wenn alle Köpfe seiner Figuren so einförmig wären, als die Köpfe in der Oper, und sich durch keine Züge und Charaktere unterscheideten. Ich würde nicht begreifen, sag' ich, aus was Ursachen eine Person den Arm aufhebt, und eine andere die Hand an den Säbel legt; es würde mir unmöglich seyn, die Empfindung zu ergründen, nach welcher der eine mit emporgehobnen Kopf und Armen da steht, und der andere zurück weicht; wären auch alle Figuren kunstrichtig und nach der besten Proportion gezeichnet, würde ich doch die Meinung des Künstlers sehr schwerlich treffen. Vergebens würde ich alle Physionomien zu Rathe ziehen, sie wären stumm; ihre monotonische Züge würden mich nicht belehren; ihre Blicke ohne Feuer, ohne Leidenschaft, ohne Leben, würden mir nichts sagen; am Ende könnte ich dieses Gemählde nicht anders betrachten, als eine unvollkommene Nachahmung der Natur, weil ich nicht diese Mannichfaltigkeit, die sie immer schön und neu vorstellt, darinn anträfe.


18 - L'art du Theatre /

Je croirois avoir tout dit, s'il étoit poſſible qu'un homme ſçut aſ- ſez bien ſon art pour avoir tout vû, mais je ne me flatte pas juſqu'à ce point. Tout l'art du Théâtre ſe ré- duit à un très-petit nombre de principes. Il faut toujours imiter la nature. L'affectation eſt le plus grand de tous les défauts, quoique ce ſoit L'Art du Théâtre. le plus commun. Le goût ſeul peut nous contenir dans les étroites limites de la vérité.


19 - Die Schauspielkunst /

Jch würde alles gesagt zu haben glauben, wenn es möglich wäre, daß es ein Mensch in seiner Kunst könne so weit gebracht haben, daß er alles gesehen hätte; so weit aber schmeichle ich mir nicht gekommen zu seyn: die ganze Schauspielkunst ist in wenig Grundsätze eingeschlossen. Man muß allezeit dieNatur nachahmen. Das Gezwungene ist der größte von allen Fehlern, ob es gleich der gemeinste ist. DerGeschmack allein muß uns in den engen Gränzen derWahrheit erhalten.


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Umsonst rühmt sich die Mahlerey, daß sie die Leinewand belebe; es kommen aus ihren Händen nichts als unbelebte Werke. Die dramatische Dichtkunst hingegen, giebt den Wesen, welche sie schaft, Gedanken und Empfindungen, ja so gar, Schauspieler. vermittelst des theatralischen Spiels, Sprache und Bewegung. Die Mahlerey verführt die Augen allein. Die Zauberey der Bühne fesselt die Augen, das Gehör, den Geist und das Herz. Der Mahler stellt die Begebenheiten nur vor. Der Schauspieler läßt sie auf gewisse Weise noch einmal geschehen. Seine Kunst ist daher eine von denjenigen, welchen es am meisten zukömmt, uns ein vollständiges Vergnügen zu verschaffen. Bey den übrigenKünsten, welche die Natur nachahmen, muß unsre Einbildungskraft ihrem Unvermögen fast immer nachhelfen. Nur die Kunst des Schauspielers braucht diese Nachhülfe nicht; und wenn ihre Täuscherey unvollkommen ist, so liegt es nicht an ihr, sondern an den Fehlern derjenigen, welche sie ausüben.

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Man wird sie zwar mit Recht tadeln, wenn ihre Action mit ihrem Charakter, oder mit der Stellung, in welcher sie sich befindet, nicht überein kömmt, und wenn sie, anstattFeuer zu zeigen, nichts als convulsivische Verzückungen sehen, und nichts als ein überlästiges Geschrey hören läßt. Allein alsdenn werden Leute von Geschmack ihr nicht allzuviel Feuer Schuld geben, sondern sie werden sich vielmehr beklagen, daß sie nicht Feuer genug hat; so wie sie, anstatt mit dem Publico bey gewissen Schriftstellern allzuviel Witz zu finden, vielmehr finden, daß es ihnen daran fehlt. Ein Schrift= Schauspieler. steller leihet zum Exempel in einem Lustspiele dem Bedienten oder dem Mägdchen die Sprache eines witzigen Kopfes; er legt einer Person, welche von einer heftigen Leidenschaft getrieben wird, Madrigale oder Sinnschriften in Mund: und alsdenn sagt man, er habe allzuviel Witz. Genauer zu reden, sollte man vielmehr sagen, er habe nicht Witz genung, die Natur zu erkennen, und sie nachzuahmen. So auch mit dem Schauspieler; kömmt er bey Stellen außer sich, wo er nicht außer sich kommen soll, so ist dieses unnatürlich. Allein er verfällt in diesen Fehler nicht aus Ueberfluß, sondern aus Mangel der Hitze. Er empfindet alsdenn nicht das, was er empfinden sollte; und drückt das nicht aus, was er ausdrücken sollte. Es ist daher kein Feuer, was wir bey ihm gewahr werden, sondern es ist Ungeschicklichkeit; es ist Unsinn

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Ein Schauspieler kann die meisten der nur gedachten Bedingungen beobachten, und dennoch nicht natürlich spielen. Der Verfasser untersucht also in dem eilften Hauptstücke, worinne das natürliche Spiel bestehe, und ob es auf dem Theater allezeit nöthig sey. Wenn man unter dem natürlichen Spiele dasjenige meint, welches nicht gezwungen und mühsam läßt, so ist es wohl gewiß, daß es überhaupt alle Schauspieler haben müssen. Versteht man aber eine durchaus genaue Nachahmung der gemeinen Natur darunter, so kann man kühnlich behaupten, daß der Schauspieler unschmackhaft Auszug aus dem werden würde, wenn er beständig natürlich spielen wollte. Der komische Schauspieler darf nicht nur, sondern muß auch dann und wann seine Rolle übertreiben. Allein man merke wohl, daß unter diesem Uebertreiben nicht die Heftigkeit der Declamation eines tragischen Acteurs begriffen ist, und daß man sie nur dem komischen Acteur erlaubet, um etwas lächerliches desto stärker in die Augen fallen zu lassen. Doch auch hier müssen gewisse Bedingungen und Umstände beobachtet werden. Der Schauspieler muß noch immer bey seinem Uebertreiben eine Art von Regeln beobachten; er kann wohl weiter gehen, als die Natur geht, aber keine Ungeheuer muß er uns deswegen nicht vorstellen. So erlaubt man zum Exempel wohl einem Mahler, daß er, in der Hitze einer lustigen Raserey, eine Figur mit einer außerordentlich langen Nase mache; aber diese Nase muß doch sonst mit den andern Nasen übereinkommen, und muß sich an der Stelle befinden, welche ihr die Natur angewiesen hat. Gleichfalls muß der Schauspieler, wenn er übertreiben will, zuerst eine Art von Vorbereitung anwenden, und es nicht eher wagen, als bis er den Zuschauern in eine Art von freudiger Trunkenheit versetzt hat, welche ihn nicht so strenge zu urtheilen erlaubt, als wenn er bey kaltem Blute wäre. Außer diesen zwey Bedingungen muß das Uebertreiben auch nicht allzuhäufig und auch nicht am falschen Orte ange Schauspieler.bracht werden. Am falschen Orte würde es zum Exempel angebracht seyn, wenn es diejenigen Acteurs brauchen wollten, die das, was man in der Welt rechtschafne ehrliche Leute nennt, vorzustellen haben, und uns für sich einnehmen sollen. Ein deutliches Exempel übrigens daß das Uebertreiben durchaus nothwendig seyn kön ne, kömmt in den Betriegereyen des Scapins, (Aufz. 1. Auft. 3.) vor, wo Scapin den Argante nachmacht, um den Octavio die Gegenwart eines aufgebrachten Vaters aushalten zu lehren. Der Acteur kann hier übertreiben so viel als er will, weil die Wahrscheinlichkeit dadurch mehr aufgeholfen, als verletzet wird. Es würde nehmlich weniger wahrscheinlich seyn, daß Octav ganz betäubt wird, und nicht weis, was er sagen soll, wenn nicht die außerordentliche Heftigkeit des Scapins und die Gewaltsamkeit seines Betragens, diesen jungen Liebhaber so täuschte, daß er wirklich den fürchterlichen Argante in dem Scapin zu sehen glaubte.