Suchbegriff: haes
Treffer: 35

31 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ein wohl eingerichtetes Ballet ist ein lebendiges Gemählde der Leidenschaften, der Sitten, der Gebräuche, des ganzen Costums aller Völker auf Erden; folglich muß es in allen seinen Gattungenpantomimisch seyn, und sich durch die Augen der Seele verständlich machen. Fehlt es ihm an Ausdruck, an kräftigen Gemählden, an starken Situationen, so ist es nichts, als ein kaltes einförmiges Spektakel. Es leidet durchaus keine Mittelmäßigkeit; es verlangt, wie dieMahlerey, eine Vollkommenheit, die um so viel schwerer zu erreichen ist, je mehr sie der allertreulichsten Nachahmung der Naturuntergeordnet seyn muß; es soll den Zuschauer täuschen, und ihn so täuschen, daß er sich in einem Augenblicke an den wirklichen Ort der Scene versetzt zu seyn glaubet, daß seineSeele eben so gerühret wird, als sie die Handlung selbst rühren würde, von welcher ihm die Kunst eine bloße Nachahmung darstellet. Welche Genauigkeit erfodert es nicht, weder unter dem Gegenstande, den man nachahmen will, zu bleiben, noch sich über denselben zu erheben! Es ist eben so gefährlich, sein Musterschöner, als häßlicher zu machen: beide Fehler streiten mit der Aehnlichkeit; der eine, indem er die Natur verunstaltet, der andere, indem er sie durch Liebäugeleyen, durch Schminke und Schönpflästerchen unkenntlich macht.


32 - Discours historique sur l'apocalypse /

Auch der Mahler studieret die Anatomie nicht, um Gerippe zu mahlen; er übt sich nicht, geschundene Körper zu zeichnen, um diese häßliche Figuren in seinen Gemählden anzubringen: und doch sind ihm diese Uebungen unumgänglich nöthig, um dem Menschen die gehörigen Verhältniße zu ertheilen, um sie in allen Bewegungen und Stellungen, in welchen er ihn mahlet, beobachten zu lernen.


33 - Discours historique sur l'apocalypse /

Aber zu den eigenen Gewohnheitsmienen; dieser Einwurf ist so schwach, daß es mir leicht seyn wird, darauf zu antworten. Die Mienen, die Verzerrungen und Grimassen entstehen nicht so wohl von der Gewohnheit, als von der heftigen Anstrengung beym Springen; diese Anstrengungen, welche alle Muskeln zusammen drängen, verzerren das Gesicht auf hunderterley Arten, und zeigen mir blos einen zur Arbeit geprügelten Sklaven, keinen Tänzer, keinen Artisten. Jeder Tänzer, der durch Anstrengung seine Züge verändert, und dessen Gesicht in beständiger Convulsion ist, ist ein Tänzer ohne Seele, der nur auf seine Beine denkt, der das A. B. C. seiner Kunst nicht weiß, der nur an den groben Theilen seiner Kunst hängt, und ihr wahres Wesen niemals gefühlt hat. Ein solcher Mensch hat gerade so viel Geschicke, als zu einem Salto Mortale gehört. Das Tramplain und die Batudo (*) mögen sein Theater seyn, weil er die Nachahmung, das und den Reitz seiner Kunst einem elenden Schlendriane aufgeopfert; weil er, statt zu studieren, wie er empfinden soll, sich nur auf das Mechanische seiner Profeßion beflissen hat; weil endlich seine Physionomie, da, wo sie mir Leidenschaften und das Gefühl seiner Seele zeigen sollte, nichts weist, als ängstliche Mühe: kurz, ein solcher Mensch ist ein Stümper, dessen Execution allezeit schwerfällig und unangenehm bleibt. Geben Sie mir nicht Beyfall, m. H., daß uns nichts angenehmer ist, als ungezwungene Leichtigkeit? Die Schwierigkeiten können uns nur dann gefallen, wann sie sich mit Zügen des Geschmacks und der Grazie zeigen, und wann(*) Bretter, welche solchergestallt gelegt sind, daß sie hohl liegen, und eine große Elasticität haben, wodurch sie den Luftspringern ihre gefährlichen Sprünge erleichtern. sie dieses leichte und edle Wesen annehmen, das mir die mühsame Arbeit verbirgt, und gewandte Fertigkeit finden läßt. Verhältnißmäßig betrachtet, haben die Tänzerinnen heut zu Tage mehr Execution als die Tänzer; sie machen alles, was nur möglich zu machen ist. Mademoiselle Lany wird jedem Tänzer viel zu schaffen machen, der nicht sicher, stark, lebhaft, glänzend und genau ist. Ich frage also: woher kömmt es, daß die Tänzerinnen selbst in den Augenblicken der heftigsten Execution ihre lächelnde Physionomie beybehalten? Warum ziehen sich ihre Gesichtsmuskeln nicht zusammen, wenn die ganze Maschiene durch die heftigsten Bewegungen und wiederholte Anstrengungen erschüttert wird? Warum, sag' ich, das Frauenzimmer, das vonNatur weniger Nerven, Muskeln und Stärke hat, als wir, auch dann noch eine zärtliche, wollüstige, lebhafte, seelen- und ausdrucksvolle Physionomie behält, wenn die Sehnen und Muskeln, die bey den Bewegungen mitwirken, auf eine gewaltsame und widernatürliche Art gespannt sind? Woher kömmt es endlich, daß sie die Kunst wissen, die Mühe des Körpers und die unangenehmen Eindrücke zu verbergen, indem sie, statt der convulsivischen Grimasse, welche die Anstrengungen hervorzubringen pflegt, die Feinheit des gewähltesten und zärtlichsten Ausdrucks zeigen? Daher kömmt es, daß die Tänzerinnen bey ihren Uebungen äußerst sorgfältig auf sich selbst Acht haben; daß sie wissen, wie eine Verzerrung die Züge verunstaltet und den Charakter der Physionomie verändert; daß sie fühlen, wie die Seele sich auf dem Gesichte entfaltet, sich in den Augen abdrückt, und die Bildung beseelt und belebt; daß sie endlich überzeugt sind, daß die Physionomie, wie ich schon gesagt habe, der Theil unsers Körpers ist, wo sich der Ausdruck versammlet, und daß solche ein getreuer Spiegel unserer Empfindungen, Regungen und Affecten ist. Sie bringen auch weit mehr Geist, Ausdruck und Interesse in ihre Execution, als die Mannspersonen. Laß uns nur eben so sorgfältig werden, so werden wir weder häßlich noch unangenehm scheinen; so werden wir keine fehlerhafte Gewohnheiten annehmen; wir werden nicht mehr den eignen Tic haben, und wir werden der Larve nicht länger bedürfen, welche in diesem Falle das Uebel ehe verschlimmert als wegnimmt; sie ist ein Pflaster, welches dem Auge die Unvollkommenheiten entzieht und dabey fortdauren läßt. Das Mittel kann auch nicht einmal gebraucht werden, wenn man seine Physionomie beständig verbirgt. Was kann man wohl einer Larve für einen Rath geben? Man sage ihr so viel man will, sie wird immer kalt und abgeschmackt bleiben. Man befreye aber nur die Physionomie von diesem fremden Körper; man hebe diese Gewohnheit auf, die derSeele Fesseln anlegt, und sie hindert, sich auf der Gesichtsbildung zu enthüllen: so wird man den Tänzer beurtheilen und sein Spiel schätzen können. Derjenige, der mit den Schwierigkeiten und Anmuthsvollen der Kunst, eine lebhafte und geistreiche Pantomime, und einen seltnen Ausdruck der Empfindungen verbindet, wird zugleich den Ruhm eines vortreflichen Tänzers und vollkommnen Schauspielers erhalten; Lobsprüche werden ihn aufmuntern, und der Rath und die Erinnerungen der Kenner werden ihn zurVollkommenheit in seiner Kunst führen. Dann würde man zu ihm sagen: In dieser oder jener Stelle war eure Physionomie zu kalt; in jener andern waren eure Blicke nicht beseelt genug; die Empfindung, die ihr nachbilden solltet, fühltet ihr selbst nicht stark genug, ihr konntet sie also nicht mit der gehörigen Stärke und Energie zeigen, daher merkte man auch euren Gestus und Stellungen an, daß ihr wenig Feuer in die Aktion legtet; ein andermal müßt ihr euch derselben mehr überlassen; setzt euch ganz in die Situation, die ihr vorstellen sollt, und vergeßt niemals, daß man empfinden, lebhaftempfinden muß, wenn man glücklich mahlen will. Dergleichen Rath, mein Herr, würde die Tanzkunst zu eben dem Flor bringen, worinn die Pantomime bey den Alten war, und würde ihr einen Glanz geben, den sie niemals erreichen kann, so lange die Gewohnheit über den guten Geschmack herrscht.


34 - /

Dieses also wäre der Jnhalt des ersten Theils. Er handelt, wie man gesehen hat, nichts anders ab, als diejenigen natürlichen Gaben, ohne welche es nicht einmal möglich ist, ein guter Schauspieler zu werden. Wie viel häßliche Gegenstände würden wir unter ihnen entbehren, wenn sie alle so billig gewesen wären, sich darnach zu prüfen. Noch weniger Stümper aber würden wir sehen, wenn diejenigen die diese Prüfung vorgenommen, und darinne bestanden haben, nicht geglaubt hätten, daß sie nunmehr schon vollkommne Schauspieler wären, und nichts mehr als diese natürlichen Vorzüge nöthig hätten, um den Beyfall der Zuschauer zu erzwingen. Sie mögen sich ja nicht betriegen; sie haben aufs höchste nur die Anlage von dem, was sie seyn müssen, und wenn sie sich nicht durch Kunst und Fleiß ausarbeiten wollen, so werden sie zeitlebens auf dem halben Wege stehen bleiben. Wie dieses aber geschehen müsse und worauf sie insbesondere zu sehen haben, handelt unser Verfasser in seinem zweyten Theile ab, welcher, ohne einige Unterabtheilungen, aus neunzehn Haupt Auszug aus demstücken besteht, deren Jnhalt ich gleichfalls anzeigen will.


35 - /

Alles was ich sagen kan, es dir zur geneigten Aufnahme anzupreisen, ist dieses: ich hoffe, es befinde sich etwas daran, so dir eigenthümlich zugehöret, und die Kraft deines theuren Blutes sey nicht ganz vergebens daran gewesen. Es schauet sich immer nach dir um; es seufzet nach dir, es eilet dir nach, und will sich nicht mehr mit den Scheingütern dieser Welt, oder etwas, das geringer, als du, begnügen lassen. Es liegt an deiner Thür, und will entweder eingelassen seyn, oder sonst nicht ruhen. Es will entweder dich, oder gar nichts haben. Ob es schon dich nicht liebet, wie es gern wolte, so sage ich doch frey, es begehret dich zu lieben, und es möchte dich gar gerne lieben. Es suchet und wünschet sich keine grössere Glückseligkeit als vollkommene und unendliche Liebe gegen einander. Es ist dir gewidmet, und zwar dir allein, und will sich nimmermehr mit Schatten abweisen lassen. Es ist fest entschlossen, sich bis in den Tod zu grämen, wann du nicht seine Ruhe und Freude seyn willst. Es hasset sich selbst, weil es dich nicht mehr liebet, und hält keinen Mangel, keine Häßlichkeit, keine Schande und Pein für ein so grosses und schweres Leiden.