Suchbegriff: grie
Treffer: 313

46 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Zu unserm Unglücke, ist keine einzige von denMethoden auf uns gekommen, nach welchen dieAusübung dieser Künste, die in Griechenlandund in Italien so viele Lehrer hatten, beygebrachtwurde. Uebrigens haben diejenigen alten Schriftsteller, welche von der Musik geschrieben haben, und deren Werke übrig geblieben sind, von demMechanischen der der Musik untergeordneten Künste nur sehr wenig beygebracht, weil sie dieselbenals leichte und gewöhnliche Sachen angesehen, mit denen sich nur die gemeinen Lehrmeister umGeld abzugeben hätten. Der hl. Augustinus,(*) Inst. lib. I. cap. 12.(**) Luciani Gymnast. Plutar. de Musica.von den theatr. Vorstell. der Alten.zum Exeempel, welcher von der Musik ein Werkin sechs Büchern geschrieben hat, sagt, daß ervon allen diesen geringern Künsten nicht redenwerde, weil es Dinge wären, die auch die allermittelmäßigsten Schauspieler zu wissen pflegten.Non enim tale aliquid hic dicendum est, quale quilibet Cantores Histrionesque noverunt. (*)


47 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Die Griechen erkannten eben so wohl, alswir, vier Dinge in der Musik. Die Progressionder Töne in dem Hauptsatze, oder den Gesang; dieHarmonie, oder die Uebereinstimmung der verschiedenen Partieen; den Takt und die Bewegung desselben, oder das Tempo. Die letztern zwey also lehrte die Rithmopäie, welche, wie wir schon angemerkt haben, von dem Porphyrius in die metrische Kunst, das ist, in die Kunst des Takts, und in die rithmische, oder in die Kunst der Bewegung, eingetheilt wird.


48 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Da nun aber, bey den Griechen und Römernjedermann von Kindheit an den Werth einer jeden Sylbe wußte, ohne eine besondere Bemühung darauf verwendet zu haben, so wußte er auchzugleich den Werth einer jeden Noten, weil dieser mit jenem einerley war.


49 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Weit neugieriger wird man seyn, noch etwasanders zu wissen; die Art nehmlich, wie die metrische Musik in jeder Art von Bewegungen desKörpers den Takt angezeiget habe. Wie konnten die Alten, wird man gleich Anfangs fragen, (*) Hr. Burette, Mitglied der Königl. Akademieder schönen Wissenschaften; im 5ten Theile ihrerGeschichte. von den theatr. Vorstell. der Alten.die Gebehrden in Noten bringen? Wie fiengensie es an, jede Bewegung der Füsse und Hände,jede Stellung, jeden Gang durch eine besondereFigur auszudrücken, die jede von diesen Bewegungen deutlich bezeichnete? Auf diese Fragenwill ich hier bloß antworten; daß die Kunst dieGebehrden mit Noten auszudrücken, oder, wennman so sagen will, die Wörterbücher der Gebehrden (denn wir werden sehen, daß die Alten wirklich dergleichen Wörterbücher hatten, wenn mansich anders dieses Ausdrucks hier bedienen darf)kein Werk der rithmischen Musik, von welcherwir gegenwärtig handeln, waren. Sie setzte dieKunst, die Gebehrden in Noten auszudrücken,als eine schon erfundene und in Ausübung gebrachteKunst voraus; welche von der hypocritischen Musik, oder der Saltation, gelehret wurde. Von ihr weiter zu reden, wollen wir alsobis dahin versparen, wo wir von derjenigen musikalischen Kunst handeln werden, welche die GriechenΟρχησις, und die Römer saltationannten. Wie aber, wird man versetzen, fieng esdie rithmische Musik an, daß sie den Schauspieler, welcher recitirte, und den Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, in einerley Falle erhalten und beyde mit einerley Takte regierenkonnte? Ich antworte, daß dieses eines von denDingen gewesen sey, von welchen der h. Augustinus sagt, sie wären einem jeden bekannt, dersich mit der Schaubühne zu thun mache, und du Bos,eben deswegen halte er es nicht für werth, sie langezu erklären. Weil wir aber die Sachen, worauf es hier ankömmt, nicht mehr vor Augen haben, so kann man sich nun das so leicht nicht vorstellen, wovon der h. Augutßinus sagt, daß esjedermann zu seiner Zeit gewußt habe. DieStellen, die wir weiter unten aus den alten Verfassern anführen werden, beweisen zwar, daß derSchauspieler, welcher recitirte, und der, welcherdie Gebehrden machte, sehr wohl mit einanderübereinstimmten, und mit der vollkommenstenGenauigkeit einerley Takt hielten; allein die Art,wie dieses geschah, erklären sie nicht. Doch aberfindet man bey dem Quintilian etwas von denGrundsätzen, auf welche die Art und Weise, beyde Schauspieler zu vereinigen, war gebauetworden.


50 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Was die Bewegung des Takts anbelangt, dievon den Alten eben so hoch geschätzt wurde, als von den theatr. Vorstel. der Alten.von dem Lulli, dem la Lande und andernguten französischen Tonkünstlern; so scheint esmir unmöglich zu seyn, daß ihm die Griechenund Römer, so zu reden, in Noten hätten schreiben können, oder daß sie, vermittelst eines gewissen Zeichens, die eigentliche Dauer, welche jederTakt haben sollte, hätten bestimmen können. Siemußten sich ohne Zweifel hierinn, so gut wie wir, auf den Geschmack und die Beurtheilungskraftdesjenigen verlassen, welcher den Takt schlug, auf denjenigen, welcher aus der rithmischen Kunstseine besondere Profession machte. Zwar habeneinige Neuern geglaubt, man könne noch aufeine andre Art, als durch den mündlichen Unterricht, die Dauer, welche eine Arie haben solle, lehren, und also auch der Nachwelt die Bewegung, mit welcher man sie spielen müsse, hinterlassen; allein ihr Geheimniß bestand in dem Gebrauche einer Taschenuhr, durch welche sie zu ihrem Zwecke zu kommen gedachten. Indem sie, zum Exempel bestimmten, wie viel Secundendie ersten zwanzig Takte in der Chaconne desPhaetons dauern sollten, so vermeinten sie dadurch die Bewegung, mit welcher der Takt indiesem Stücke zu schlagen sey, lehren zu können. Doch ohne mich viel in die Untersuchung der Möglichkeit dieses Anschlags einzulassen, will ich bloßanmerken, daß die Alten auf keine Weise darauffallen konnten, weil ihre Uhrmacherkunst viel zuunvollkommen war, sie auf einen solchen Gedandu Bos,cken zu bringen. Sie hatten nicht einmal Uhren mit Rädern, geschweige, daß sie Secundenuhren hätten haben sollen; und es ist ganz bekannt, daß sie ihre Zeit bloß vermittelst der Sonnenuhren, oder der Sanduhren und Wasseruhren abzumessen pflegten.


51 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Man sindet bey dem Athenäus, bey demMartianus Capella und bey verschiednenandern alten Schriftstellern, die erstaunlichstenErzehlungen von den wunderbaren Wirkungen,welche die Musik der Griechen und Römergehabt. Verschiedne Neuern, als Meibom undder jüngere Caspar Bartholin, haben diese Erzehlungen in ihren Werken zusammen getragen; jener in der Sammlung alter MusikalischerSchriftsteller, die er herausgegeben und mit Anmerkungen erläutert hat, und dieser in seinemBuche de tibiis veterum. Wenn Herr Tanaquill Faber dieses letzte Buch, ehe er seineAnmerkungen über den Terenz drucken lassen, hätte sehen können; so würde er ohne Zweifel dieschönen lateinischen Verse weggelassen haben, dieer wider die alte Flöte und wider diejenigen gevon den theatr. Vorstell. der Alten.macht hatte, welche die Structur und den Gebrauch derselben zu erklären wagen wollten.


52 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wenn man weis, wie groß die Zärtlichkeitder Griechen in der Beredsamkeit gewesen, undbesonders wie sehr sie durch eine schlechte Aussprache beleidiget wurden, so wird man sich ohne viel Mühe vorstellen können, daß einige vonihren Städten gar leicht auf die Ehre, in allen du Bos,Dingen keine andre als die besten und anständigsten Manieren zu haben, so eifersüchtig könnengewesen seyn, daß sie dem öffentlichen Ausrufer, welcher die Gesetze bekannt machen mußte, durchaus die Freyheit nicht lassen wollten, sie nach seiner Weise herzusagen, weil er gar leicht auf einen Ausdruck, oder auf ein Wort, einen Tonhätte legen können, der die Zuhörer, die ohnedem gebohrne Spötter waren, zum Lachenbewegt hätte. Aus Furcht also, die Fehler derAussprache, in welche der Ausrufer fallen könne, möchten eine Art von Lächerlichkeit auf die Gesetze selbst zurückwerfen, brauchten diese Republicken die Vorsicht, die Declamation ihrer Gesetzecomponiren, und denjenigen, welcher sie hersagte, mit Instrumenten accompagniren zu lassen, die ihn aus dem gehörigen Tone nicht fallen liessen. Sie wollten also, daß er die Gesetze miteben der Hülfe, und eben der Unterstützung, dieder Schauspieler auf dem Theater bey seiner Aussprache hatte, kund machen sollte. Martianus Capella, indem er die Musik erheben will, sagt, daß in verschiedenen Städten Griechenlandes derjenige, welcher die Gesetze publicirte, von einer Leyer sey accompagnirt worden. Quidpacis munia? Nonne nostris cantibus celebrata? Græcarum quippe urbium multæ legesad lyram recitabant. (*) Es versteht sich aber,daß der Redner und das Instrument nimmer(*) In Nupt. Philolog.von den theatr. Vorstell. der Alten.mehr hätten können zusammen treffen, wenn dieDeclamation des ersteren willkührlich gewesenwäre. Sie mußte nothwendig bestimmt, undfolglich componirt seyn. Es würde nicht unmöglich seyn, bey den alten Schriftstellern vondem Gebrauche, dessen Capella erwehnet, nochSpuren anzutreffen. Bey dem Plutarch, zumExempel, lieset man, daß Philippus, Königvon Macedonien, als er die Athenienser bey Chäronea geschlagen, und das Gesetz lächerlich machenwollte, welches sie wider ihn gegeben hatten, daßer, sag ich, auf dem Schlachtfelde selbst, denAnfang dieses Gesetzes recitirt, und zwar nacheiner abgemessenen und bestimmten Declamationrecitirt habe. (*) Als nun, sagt Plutarchus,Philippus die Schlacht gewonnen hatte, warder so ausserordentlich vergnügt darüber, daß ihnseine Freude bis zu Ausschweifungen brachte. Denn nachdem er mit seinen Freunden wackergetrunken hatte, begab er sich in ihrer Gesellschaft auf das Schlachtfeld, und fieng ausSpötterey den Anfang des Decrets an zu singen, welches Demosthenes wider ihn herausgebracht, und dem zu Folge die Athenienser denKrieg wider ihn beschlossen hatten:Demosthenes, der Sohn des Demosthenesaus Päanea etc. wobey er seine Stimmeerhob, und den Takt bey jedem Abschnitte dazu schlug. Als er aber wieder nichtern worden(*) Im Leben des Demosthenes, Hauptst. 5.du Bos,war, und der Gefahr, in welcher er sich befunden, ein wenig nachgedacht hatte, standenihm die Haare zu Berge.Diodorus vonSicilien (*) schreibt, es habe Philippus an demTage, von welchem wir reden, nachdem er sichim Trunke allzusehr überladen, auf dem Schlachtfelde verschiedene unanständige Dinge begangen; die Vorstellungen des Atheniensers Demadesaber, hätten ihn wieder zu sich selbst gebracht,und die Reue über seine Ausschweifungen hätteihn hernach viel nachgebender gemacht, als ermit dem überwundnen Feinde in Unterhandlunggetreten wäre.


53 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Ganz gewiß aber werden Athen, und dieübrigen Städte Griechenlandes, welche mitden Atheniensern, hierinn einerley Gebrauchhatten, ihre Gesetze, bey Kundmachung derselben, nicht so haben singen lassen, als wir dasWort singen, nach der Bedeutung, welchees gemeiniglich in unserer Sprache hat, zu nehmen pflegen.


54 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Da diese meine Meinung in der gelehrten Welteine Neuigkeit ist, so muß ich nichts vorbey lassen, was mich einigermaassen wegen ihrer Behauptung rechtfertigen kann. Ehe ich also dieStellen aus den Griechen und Lateinern anführe, die, wenn sie gelegentlich ihrer Musik gedacht, Dinge gesagt haben, welche, so zureden, die Existenz einer Melodie, die nichtsals eine blosse Declamation gewesen, beweisen; will ich, mit Erlaubniß meiner Leser, ihnen einige Stellen aus denjenigen alten Verfassernvorlegen, die von ihrer Musik dogmatisch gehandelt haben, und welche diese Existenz beweisen.


55 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Dem Verfasser lag also ob, als Redner,die Fabel oder Handlung seines Stücks zu erfinden; als Philosoph, seinen Personen Sitten und anständige Charaktere zu geben, und sienützliche Lehrsprüche vorbringen zu lassen; undals Dichter, wohl abgemessene Verse zu machen, das geschwindere oder langsamere Tempoderselben vorzuschreiben, und die Melodie zucomponiren, von welcher grossen Theils die guteAufnahme des Trauerspiels abhing. Wenn mandarüber, was Aristoteles von der Wichtigkeitder Melopäie sagt, erstaunen wollte; so müßteman gar niemals Tragödien haben vorstellen sehen; und wenn man sich darüber wunder wollte, daß er die Composition der Melodie demPoeten selbst auflegt, so müßte man es schonwieder vergessen haben, was wir oben angemerkt von den theatr. Vorstell. der Alten.und zu beweisen versprochen, daß nehmlich diegriechischen Poeten die Declamation ihrer Stücke selbst componirten, anstatt daß die lateinischenDichter diese Arbeit denjenigen Künstlern überliessen, welche weder Verfasser noch Komödianten waren, sondern bloß Profeßion davon machten, die dramatischen Werke auf das Theater zubringen. Wir haben sogar angemerkt, daßeben aus diesem Grunde Porphyrius aus derVerfertigung der Verse und der Verfertigungder Melodie nicht mehr als eine Kunst macht, welche er die Poetik in ihrem ganzen Umfangenennet, weil er damit auf den Gebrauch derGriechen sahe, anstatt daß Aristides Quintilianus, welcher sich nach dem Gebrauche der Römer richtete, die Kunst Verse zu machen, und dieKunst die Melodie zu machen, für zwey verschiedene Künste zehlet.


56 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Es ist zwar nicht gewiß, daß Aristoteles seineAufgaben selbst aufgeschrieben habe; aber genug, daß dieses Werk wenigstens von seinen Schülern verfertiget worden, und daß man es allezeit als ein Denkmal des Alterthums betrachtethat, welches folglich aus den Zeiten seyn muß,da die Bühnen der Griechen und Römer nochoffen waren.


57 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Diese sorgfältige Befleißigung aller Kunstgriffe, welche die Declamation stark und angenehm zu machen vermögend sind, diese Ausgrüblungen der Kunst, seine Stimme auf dasvortheilhafteste zu zeigen, werden hoffentlich vondenen, welche das alte Griechenland und dasalte Rom kennen, nicht für die Tändeleyeneiniger Grillenfänger angesehen werden. Die(*) Serm. 198.du Bos,Beredsamkeit bahnte nicht nur in beyden Staaten den Weg zu Ehre und Glück, sondern siewar auch, so zu reden, das Verdienst nach derMode. Jeder wohlgebohrne Jüngling, auchselbst von denen, die man im scherzhaften Styledie feinste Blüthe des Hofes nennet, wollte gern ein schöner Redner seyn, und sich vorGerichte in den Rechtshändeln seiner Freunde mit Beyfall hören lassen; so wie er heute zuTage gern eine artige Equipage und Kleidernach dem besten Geschmake haben will. Auchin den galantesten Versen die man auf ihn machte, ward er wegen seiner juristischen Beredsamkeit gelobt.


58 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Unsre (*) Verse führen zwar ihre Abmessungnicht gleich mit sich, wie es wohl die metrischenVerse der Griechen und Römer thun. Alleinman hat mir auch gesagt, daß man im Declamiren den Noten nur die Helfte ihres gewöhnlichenWerths geben könnten. Man könnte einer weissen Note nur den Werth einer schwarzen, undeiner schwarzen nur den Werth einer Achtelnotegeben; und auch den übrigen Noten könnte mannach diesem Verhältnisse ihren Werth bestimmen, so wie sie sich nach demselben angeben liessen.


59 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

(*) Nehmlich die französischen, nicht die deutschen,welche den griechischen und römischen in diesemStücke sehr gleich kommen können. Ueb.

60 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Man kann sogar mit gutem Grunde glauben, daß die erste Ursache, warum die theatralischeDeclamation zu den Zeiten des Cicero verändertworden, diese gewesen, weil die Römer, dieseit hundert Jahren mit den Griechen viel umgegangen waren, und bey ihnen die Künste undWissenschaften studirten, ihre ganze Art auszusprechen damals veränderten, und das Theateralso weiter nichts that, als daß es der Weltfolgte und sich nach seinem Muster bequemte.