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31 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das Stück ist romanenhaft, wenn dasWunderbare aus der Simultaneität der Begebenheiten entspringt; wenn die Götter oder Menschen entweder allzuböse oder allzugut darinn erscheinen; wenn die Fälle und dieCharaktere fast ganz und gar nicht so sind, als wir sie aus der Erfahrung und aus derGeschichte kennen; und vor allen Dingen, wenn die Verbindung der Begebenheiten allzuausserordentlich, und allzuverwickelt ist.


32 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Alten hatten Tragödien, in welchen alles von der Erfindung des Dichters war. Die Geschichte hatte nicht einmal die Namen der Personen dazu geliehen. Und was liegt auch daran, wenn der Dichter das wahre Maaß des Wunderbaren nur nicht überschreitet?


33 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wenige Personen wissen, wie viel in demDrama aus der Geschichte entlehnt worden; wenn also das Gedicht nur sonst gut ist, so wird es alle und jede gleich stark interessiren, und vielleicht den unwissenden Zuschauer noch stärker, als den unterrichteten. Denn für jeden hat alles einerley Wahrheit, anstatt daß für diesen die Episoden nur wahrscheinlich, nur mit Wahrheiten so künstlich vermischte Lügen sind, daß er sie ohne Widerwillen annehmen kann.


34 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ich komme zurück. Wenn man die Geschichte Carls des zwölften in Verse brächte, so würde sie darum nichts weniger eine Geschichte bleiben. Wenn man die Henriade in Prosa brächte, so würde es doch noch immer ein Gedicht seyn. Allein der Geschichtschreiber hat die Begebenheiten blos so, wie sie vorgefallen sind, aufgezeichnet: und daher nehmen sich die Charaktere nicht immer so aus, als sie sich wohl ausnehmen könnten; daher werde ich nicht so stark interessirt, nicht so stark bewegt, als ich wohl interessirt und bewegt werden könnte. Der Dichter hingegen würde alles so beschrieben haben, wie es amrührendsten ist. Er würde Fälle dazu erdichtet, er würde Reden dazu ersonnen, er würde die ganze Begebenheit fruchtbarer gemacht haben. Er würde überall auf das Wunderbare bedacht gewesen seyn, ohne das Wahrscheinliche dabey aus den Augen zu setzen: und dieses würde ihm gelungen seyn, wenn er sich genau nach der Natur gerichtet hätte, die, so oft sie ausserordentliche Vorfälle zusammen verbindet, diese ausserordentlichen Vorfälle von ganz gemeinen Umständen begleiten läßt.


35 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Hieraus sieht man, daß eine Tragödie in Prosa eben so wohl ein Gedicht ist, als eineTragödie in Versen; daß es mit der Komödie und mit dem Roman gleiche Bewandtniß hat; daß aber die Absicht der Dichtkunst weit allgemeiner ist, als die Absicht der Geschichte. Man lieset in der Geschichte, was ein Mann von dem Charakter Heinrichs des vierten, gethan und gelitten hat. Wie viel Umstände aber sind möglich, in welchen er auf eine seinemCharakter gemässe und weit wunderbarere Art hätte handeln können, als uns die Geschichte meldet; und diese wunderbarere Art eben ist es, welche die Poesie erdichtet.


36 - Von der dramatischen Dichtkunst /

So sprach Arist mit sich selbst, und sahe, daß er noch sehr vieles zu lernen habe. Er ging nach Hause; verschloß sich funfzehn Jahre; legte sich auf die Geschichte, auf dieWeltweisheit, auf die Moral, auf die Wissenschaften und Künste; und ward in seinem fünf und funfzigsten Jahre ein ehrlicher Mann, ein gelehrter Mann, ein Mann von Geschmack, ein grosser Schriftsteller, ein vortrefflicher Kunstrichter.


37 - Fils naturelle /

Je voudrois bien (dit-il d'abord) persuader à ces esprits timides qui ne connoissent rien au-delà de ce qui est, que, si les choses étoient autrement, ils les trouveroient également bien; & que, l'autorité de la raison n'étant rien devant eux, en comparaison de l'autorité du tems, ils approuveroient ce qu'ils reprennent, comme il leur est souvent DRAMATIQUE. 181 arrivé de reprendre ce qu'ils avoient approuvé .... Pour bien juger dans les beaux arts, il faut réunir plusieurs qualités rares ... Un grand goût suppose un grand sens, une lon gue expérience, une ame honnête & sensi ble, un espritélevé, un tempérament un peu mélancolique, & des organes délicats...


38 - Fils naturelle /

Mais dans l'art, ainsi que dans la nature, tout est enchaîné; si l'on se rapproche d'un côté de ce qui est vrai, on s'en rapprochera de beaucoup d'autres. C'est alors que nous verrons sur la scène des situations naturelles qu'une décence ennemie du génie & des grands effets a proscrites, Je ne me lasserai 190 DE LA POÉSIE point de crier à nos François: La Vérité! La Nature! Les Anciens! Sophocle! Philoctete! Le poëte l'a montré sur la scène, couché à l'entrée de sa caverne, & couvert de lambeaux déchirés. Il s'y roule; il y éprouve une attaque de douleur; il y crie; il y fait entendre des voix inarticulées. La décoration étoit sauvage; la piece marchoit sans appareil. Des habits vrais, des discoursvrais, une intrigue simple & naturelle. No- tre goût seroit bien dégradé, si ce spectacle ne nous affectoit pas davantage que celui d'un homme richement vêtu, apprêté dans sa parure.


39 - Der natürliche Sohn /

Ich möchte gar zu gern (sagte er gleich anfangs) diese furchtsamen Geister, die sich außer dem, was sie wirklich vor sich haben, nichts einbilden können,überreden, daß wenn die Sachen ganz anders wären, sie doch nichts weniger damit zufrieden seyn würden; daß sie alsdenn, da das Ansehen der Vernunft bey ihnen nichts gilt, dasjenige billigen würden, was sie itzt tadeln, so wie sie oft gnug das 178 getadelt haben, was sie vorher billigten. -- In den schönen Künsten richtig zu urtheilen, muß man verschiedne seltene Eigenschaften verbinden -- Ein grosser Geschmack setzet einen grossen Verstand voraus, eine lange Erfahrung, eine rechtschaffne undempfindliche Seele, einen erhabnenGeist, ein etwas melancholisches Temperament, und feine sinnliche Werkzeuge. --


40 - Der natürliche Sohn /

In der Kunst aber hängt alles, so wie in der Natur, zusammen; so bald man sich dem Wahren auf einer Seite nähert, nähert man sich ihm zugleichauf verschiednen andern. Alsdenn werden wir auf der Scene eine Menge natürlicher Stellungen erblicken, welche die Wohlanständigkeit, diese Feindindes Genies und aller grossen Wirkungen, davon verbannt hat. Ich will unsern Franzosen unablässig zurufen: die Wahrheit! die Natur! die Alten! Sophokles! Philoktet! Der Dichter hat ihn vor dem Eingange seiner Höhle liegend, und mit zerrissenen Lumpen bedeckt, auf der Bühne gezeigt. Er läßt ihn sich herumwälzen. Er läßt ihn einen Anfall seiner Schmerzen bekommen. Er läßt ihn schreyen. Er läßt ihn unarticulirte Töne von sich geben. Die Verzierung war wild; keine von den artigen Ausstaffirungen, in dem ganzen Stücke. Wahre Kleider; wahre Reden; eine einfache und natürliche Verwicklung. Unser Geschmack müßte sehr verderbt seyn, wenn uns dieser Anblick nicht weit mehr rührte, als der Anblick einer reichgekleideten, ausgeschmückten Person --


41 - An Essay on Dramatick Poesy /

Add to this, the more than common Emulation that was in those times of writing well; which though it be found in all Ages, and all Persons that pretend to the same Reputation; yet Poesy being then in more Esteem than now it is, had greater Honours decreed to the Professors of it; and consequently the Rivalship was more high between them; they had Judges ordain'd to decide their Merit, and Prizes to reward it; and Historians have been diligent to record of Æschylus, Euripides, Sophocles, Lycophron, and the rest of them, both who they AnEssayof Dramatick Poesy. were that vanquissi'd in these Wars of the Theatre, and how often they were crown'd: While the Asian Kings and Grecian Common-wealths scarce afforded them a nobler Subject, than the unmanly Luxuries of a debauch'd Court, or giddy Intrigues of a Factious City. Alit æmulatio ingenia (saith Paterculus) & nunc invidia, nunc admiratio incitationem accendit: Emulation is the Spur of Wit, and sometimes Envy, sometimes Admiration quickens our Endeavours.


42 - An Essay on Dramatick Poesy /

Among their Comedies, we find a Scene or two of Tenderness, and that where you would least expect it, in Plautus; but to speak generally, their Lovers say little, when they see each other, but anima mea, vita mita; ζωὴ κκαὶ ψυχὴ, as the Women in Juvenal's time us'd to cry out in the Fury of their Kindness: Any sudden gust of Passion (as an Ecstasy of Love in an unexpected Meeting) cannot better be express'd than in a Word, and a Sigh, breaking one another. Nature is dumb on such Occasions, and to make her speak, would be to represent her unlike her self. But there are a thousand other Concernments of Lovers, as Jealousies, Complaints, Contrivances, and the like, where not to open their Minds at large to each other, were to be wanting to their own Love, and to the Expectation of the Audience; who watch the Movements of their Minds, as much as the Changes of their Fortunes. For the imagining of the first is properly the Work of a Poet, the latter he borrows from the Historian.


43 - An Essay on Dramatick Poesy /

He so interweaves Truth with probable Fiction, that he puts a pleasing Fallacy upon us, mends the intrigues of Fate, and dispenses with the severity of History, to reward the Virtue which has been render'd to us there unfortunate. Sometimes the Story has left the Success so doubtful, that the Writer is free, by the privilege of a Poet, to take that which of two or more Relations will best suit with his Design: As for Example, In the death of Cyrus, whom Justin and some others report to have perish'd in the Scythian War, but Xenophon affirms to have died in his Bed of extream old Age. Nay more, when the Event is past dispute, even then we are willing to be deceiv'd, and the Poet, if he contrives it with appearance of Truth, has all the Audience of his Party; at least during the time his Play is acting: So naturally we are kind to Virtue, when our own Interest is not in Question, that we take it up as the general Concernment of Mankind. On the other side, if you consider the Historical Plays of Shakespear, they are rather so many Chronicles of Kings, or the Business many times of thirty or forty Years, crampt into a Representation of two Hours aad a half, which is not to imitate or paint Nature, but rather to draw her in miniature, to take AnEssayof Dramatick Poesy. her in little; to look upon her through the wrong End of a Perspective, and receive her Images not only much less, but infinitely more imperfect than the Life: This, instead of making a Play delightful, renders it ridiculous.


44 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Hierzu kömmt noch der mehr als gemeine Eifer, den man in diesen Zeiten, wohl zu schreiben hatte. Zwar findet er sich in allen Zeitaltern und bey allen Personen, die auf die nehmliche Ehre Anspruch machen; doch die Poesie war damals in grösserm Ansehen, als itzt, und auf die, welche sich darinn hervorthaten, warteten grössere Ehren; die Nacheiferung war folglich unter ihnen stärker; sie hatten ihre Richter, die über ihre Verdienste sprechen mußten, und Belohnungen, die sie zu erlangen hoffen konnten; die Geschichtschreiber vergassen einesAeschylus, Euripides, Sophokles, Lykophrons und anderer von ihnen nicht, sondern merkten fleißig an, wer sie gewesen, die in diesen Theaterkriegen, siegten, und wie oft sie gekrönet worden, indessen da die asiatischen Könige und griechischen Republiken ihnen keinen edlern Stof, als die unmännlichen Schwelgereyen eines wollüstigen Hofes, oder die leichtsinnigen Meutereyen einer unruhigen Stadt darboten. Alit æmulatio ingenia, sagt Paterculus, & nunc invidia, nunc admiratio incitationem accendit.


45 - Von Johann Dryden und dessen dramatischen Werken /

Unter ihren Lustspielen finden wir eine oder zwey zärtliche Scenen, und zwar wo man sie am wenigsten vermuthen sollte, bey dem Plautus. Ueberhaupt aber davon zu reden, so sagen ihre Liebhaber wenig mehr, als anima mea, vita mea, ζωη και ψυχη, so wie das Frauenzimmer zu Juvenals Zeiten in ihren zärtlichen Entzückungen auszurufen pflegte. Der plötzliche Ausbruch einer Leidenschaft (z. E. die Ekstasis der Liebe bey einer unerwarteten Zusammenkunft) kann zwar nicht besser als durch ein Wort, und einen Seufzer, die einander unterbrechen, ausgedrückt werden; denn die Natur ist bey solchen Gelegenheiten stumm, und sie hier viel reden lassen, würde eine ganz falsche Vorstellung von ihr machen heissen. Doch fallen ja tausend andere Dinge zwischen Liebhabern vor, als Eifersucht, Klagen, Anschläge sich einander zu überkommen, worüber sie sich nothwendig gegen einander umständlich erklären müssen, wenn sie ihrer Liebe und der Erwartung der Zuhörer ein Genüge leisten wollen, die auf ihre Gemüthsveränderungen eben so aufmerksam warten, als auf die Veränderungen ihres Glücks; denn die Erdichtung der erstern ist das eigentliche Geschäfte des Dichters, indem er die andern von dem Geschichtschreiber entlehnet.“