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61 - Discours historique sur l'apocalypse /

Man hat zu unsern Zeiten, besonders in Frankreich, eine Art von Lustspielen ver sucht, welche nicht allein die Gemüther der Zu schauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie ihnen so gar Thränen auspresse. Man hat dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Ver spottung, in der französischenSprache, come-Abhandlung für dasdie larmoyante, * das ist die weinerlich genennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels getadelt zu werden. Jch bin zwar nicht Willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse können gebracht werden, zu vertheidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst ret ten, und wo möglich erweisen, daß die Komö die, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne. Dacier ** und andre, welche die von dem Ari stoteles entworfene Erklärung weitläuftiger haben erleutern wollen, setzen die ganze Kraft und Stärke der Komödie in das Lächerlich<Lächerliche>. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Theil derselben darauf ankomme, obgleich, nach dem Voßius, *** auch dieses zweifelhaft seyn könnte; allein so viel ist auch gewiß, daß in dem Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend be

* S. die Vorrede des Hrn. v. Voltaire zu seiner Nanine im IX. Theile seiner Werke, Dresdner Ausgabe.

** Jn den Anmerkungen zu des AristotelesDicht= kunst Hauptst. V. S. 58. Pariser Ausgabe von 1692. Ariſtote en faiſant la definition de la Comedie decide, quelles choſes peuvent faire le ſujet de ſon imitation. Il n'y a que celles qui ſont purement ri- dicules, car tous les autres genres de mechanceté ou de vice, ne ſçauroient y trouver place, parce qu'ils ne peuvent attirer que l'indignation, ou la pitie, pasſions, qui ne doivent nullement regner dans la Co- medie.

*** Jn seiner Poetik. lib. I. c. V. p. 123.

rührende Lustspiel.stehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke des Terenz keine Komödien zu nennen; oder die Komödie hat ihre ernsthaften Stellen, und muß sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde. Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug, oder ermüdet das Ge müth, indem es dasselbe allzusehr rührt. Jch glaube also, daß aus der Erklärung des Aristo teles weiter nichts zu folgern ist, als dieses, was für eine Art von Lastern die Komödie vornehmlich durchziehen soll. Es erhellt nehmlich daraus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, obschon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche Lachen und Satyre, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber doch wederPlautus, noch diejenigen, die er unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja man muß so gar zugestehen, daß es eine Art Laster giebt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und künstmäßige Art geschieht. Jch sehe also nicht, wor inne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der Abhandlung für das Kunst dann und wann bey Seite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann:


62 - Discours historique sur l'apocalypse /

Man hat zu unsern Zeiten, besonders in Frankreich, eine Art von Lustspielen ver sucht, welche nicht allein die Gemüther der Zu schauer zu ergötzen, sondern auch so zu rühren und so anzutreiben vermögend wäre, daß sie ihnen so gar Thränen auspresse. Man hat dergleichen Komödie, zum Scherz und zur Ver spottung, in der französischenSprache, come-Abhandlung für dasdie larmoyante, * das ist die weinerlich genennt, und von nicht wenigen pflegt sie als eine abgeschmackte Nachäffung des Trauerspiels getadelt zu werden. Jch bin zwar nicht Willens, alle und jede Stücke, welche in diese Klasse können gebracht werden, zu vertheidigen; sondern ich will bloß die Art der Einrichtung selbst ret ten, und wo möglich erweisen, daß die Komö die, mit allem Ruhme, heftiger bewegen könne. Dacier ** und andre, welche die von dem Ari stoteles entworfene Erklärung weitläuftiger haben erleutern wollen, setzen die ganze Kraft und Stärke der Komödie in das Lächerlich<Lächerliche>. Nun kann man zwar nicht leugnen, daß nicht der größte Theil derselben darauf ankomme, obgleich, nach dem Voßius, *** auch dieses zweifelhaft seyn könnte; allein so viel ist auch gewiß, daß in dem Lächerlichen nicht durchaus alle ihre Tugend be

* S. die Vorrede des Hrn. v. Voltaire zu seiner Nanine im IX. Theile seiner Werke, Dresdner Ausgabe.

** Jn den Anmerkungen zu des AristotelesDicht= kunst Hauptst. V. S. 58. Pariser Ausgabe von 1692. Ariſtote en faiſant la definition de la Comedie decide, quelles choſes peuvent faire le ſujet de ſon imitation. Il n'y a que celles qui ſont purement ri- dicules, car tous les autres genres de mechanceté ou de vice, ne ſçauroient y trouver place, parce qu'ils ne peuvent attirer que l'indignation, ou la pitie, pasſions, qui ne doivent nullement regner dans la Co- medie.

*** Jn seiner Poetik. lib. I. c. V. p. 123.

rührende Lustspiel.stehe. Denn entweder sind die reizenden Stücke des Terenz keine Komödien zu nennen; oder die Komödie hat ihre ernsthaften Stellen, und muß sie haben, damit selbst das Lächerliche durch das beständige Anhalten nicht geschwächt werde. Denn was ohne Unterlaß artig ist, das rührt entweder nicht genug, oder ermüdet das Ge müth, indem es dasselbe allzusehr rührt. Jch glaube also, daß aus der Erklärung des Aristo teles weiter nichts zu folgern ist, als dieses, was für eine Art von Lastern die Komödie vornehmlich durchziehen soll. Es erhellt nehmlich daraus, daß sie sich mit solchen Lastern beschäftigen müsse, welche niemandem ohne Schande, obschon ohne seinem und ohne andrer Schaden, anhängen können; kurz, solche Laster, welche Lachen und Satyre, nicht aber Ahndung und öffentliche Strafe verdienen, woran sich aber doch wederPlautus, noch diejenigen, die er unter den Griechen nachgeahmet hat, besonders gekehrt zu haben scheinen. Ja man muß so gar zugestehen, daß es eine Art Laster giebt, welche gar sehr mit eines andern Schaden verbunden ist, als zum Exempel die Verschwendung, und dennoch in der Komödie angebracht werden kann, wenn es nur auf eine geschickte und künstmäßige Art geschieht. Jch sehe also nicht, wor inne derjenige Lustspieldichter sündige, welcher, in Betrachtung der Nützlichkeit, die Regeln der Abhandlung für das Kunst dann und wann bey Seite setzt, besonders wenn man von ihm sagen kann:


63 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es sey also immer die sinnreiche Verspottung der Laster und Ungereimtheiten die vornehmste Verrichtung der Komödie, damit eine mit Nutzen verbundene Fröhlichkeit die Gemüther der Zuschauer einnehme; nur merke man auch zu gleich, daß es eine doppelte Gattung des Lächer lichen giebt. Die eine ist die stammhafte und, so zureden, am meisten handgreifliche, weil sie in ein lautes Gelächter ausbricht; die andere ist feiner und bescheidener, weil sie zwar ebenfalls Beyfall und Vergnügen erweckt, immer aber nur einen solchen Beyfall und ein solches Vergnügen, welches nicht so starck ausbricht, sondern gleichsam in dem Jnnersten des Herzens verschlossen bleibt. Wann nun die ausgelassene und heftige Freude, welche aus der ersten Gat tung entspringt, nicht leicht eine ernsthaftere Ge müthsbewegung verstattet; so glaube ich doch, daß jene gesetztere Freude sie verstatten werde. Und wenn ferner die Freude nicht das einzige Vergnügen ist, welches bey den Nachahmungen des gemeinen Lebens empfunden werden kann; so sage man mir doch, worinne dasjenige Lust spiel zu tadeln sey, welches sich einen solchen Jnnhalt erwählet, durch welchen es, ausser der Freude, auch eine Art von Gemüthsbewegung rührende Lustspiel. hervorbringen kann, welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süsse ist. * Da nun aber dieses alsdann sehr leicht geschehen kann, wenn man die Komödie nicht nur die Laster, sondern auch die Tugenden schildern läßt; so sehe ich nicht warum es ihr nicht vergönnt seyn sollte, mit den tadelhaften Personen auch gute und liebenswürdige zu verbinden, und sich dadurch sowohl angenehmer als nützlicher zu machen, damit einigermaassen jener alten Klage des komischen Trupps bey dem Plautus abgeholfen werde.


64 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beyder Gattungen möchten ver mengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig seyn, und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben dieselben Mittel, als die Tragödie zu thun pflegt. Es wäre freylich unsinnig, wenn sich die Komö die jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaassen wollte; allein wenn hat sie dieses jemals gethan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weis von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weis nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder durch ihre ausserordentliche Häßlichkeit ausneh men; sie weis nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was Abhandlung für das hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff thue? Können denn die kleinen Uebel, welche sie dieser oder jener Personen zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herhohlt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigen thums der Tragödie anmaasse. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschicht<Geschieht> es nicht meistentheils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und ausserordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeitzes, entweder unzertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertren net wird; es ist nicht jene lermende Liebe, wel rührende Lustspiel.che von eine Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu seyn pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu be fürchten, so lange sich nicht die Komödie mit eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärcke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerley halten kann; ja wie so gar die Ge walt, die sie über die Gemüther der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt, und mit lächelnd trauriger Mine und angenehm unruhigen Augen seinen Kum mer verräth: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beyden Spielen gebraucht wird, ganz Abhandlung für das und gar nicht von einerley Art und kann also auch nicht auf einerley, oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tra gödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beystimme, welche, durch das Ansehen einiger alten Tragö dienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Jnnhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemüthsbewegungen, welche der Tra gödie Hoheit, Glanz und Bewunderung ertheilen, gelegentlich beygefügt werden, damit sie dieselben bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, wel ches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen That hergehohlet ist, zeiget deutlich genug, daß es al lein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Theil bey Seite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allen Recht anmaas rührende Lustspiel. sen. Der vortrefliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Ko mödie sey *. Wie viel weniger kann daher dasje nige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiel angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe, und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet wer den, welche die Gemüther zu bewegen vermö gend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freygebigkeit, von dem dankbaren Gemüthe, und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschafnen, nicht aber zu einem gros sen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Pri vatlebens sind, wovon die Komödie eine Ab schilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaassen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüther auf eine angenehme Art zu rühren, darbiethen können. Allein auf diese Art, kann

* S. die erste Abhandlung des P. Corneille über das dramatische Gedicht.

Abhandlung für das man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Wehrenfels * saget, weise, ge lehrte, rechtschafne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das schick liche, als auf das lächerliche, mehr auf das artige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabey nicht klatschen, so wird sie doch denen gefallen, wel che, mit dem Plautus zu reden, pudicitiæ præmium eſſe volunt.


65 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beyder Gattungen möchten ver mengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig seyn, und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben dieselben Mittel, als die Tragödie zu thun pflegt. Es wäre freylich unsinnig, wenn sich die Komö die jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaassen wollte; allein wenn hat sie dieses jemals gethan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weis von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weis nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder durch ihre ausserordentliche Häßlichkeit ausneh men; sie weis nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was Abhandlung für das hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff thue? Können denn die kleinen Uebel, welche sie dieser oder jener Personen zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herhohlt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigen thums der Tragödie anmaasse. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschicht<Geschieht> es nicht meistentheils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und ausserordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeitzes, entweder unzertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertren net wird; es ist nicht jene lermende Liebe, wel rührende Lustspiel.che von eine Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu seyn pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu be fürchten, so lange sich nicht die Komödie mit eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärcke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerley halten kann; ja wie so gar die Ge walt, die sie über die Gemüther der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt, und mit lächelnd trauriger Mine und angenehm unruhigen Augen seinen Kum mer verräth: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beyden Spielen gebraucht wird, ganz Abhandlung für das und gar nicht von einerley Art und kann also auch nicht auf einerley, oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tra gödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beystimme, welche, durch das Ansehen einiger alten Tragö dienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Jnnhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemüthsbewegungen, welche der Tra gödie Hoheit, Glanz und Bewunderung ertheilen, gelegentlich beygefügt werden, damit sie dieselben bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, wel ches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen That hergehohlet ist, zeiget deutlich genug, daß es al lein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Theil bey Seite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allen Recht anmaas rührende Lustspiel. sen. Der vortrefliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Ko mödie sey *. Wie viel weniger kann daher dasje nige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiel angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe, und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet wer den, welche die Gemüther zu bewegen vermö gend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freygebigkeit, von dem dankbaren Gemüthe, und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschafnen, nicht aber zu einem gros sen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Pri vatlebens sind, wovon die Komödie eine Ab schilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaassen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüther auf eine angenehme Art zu rühren, darbiethen können. Allein auf diese Art, kann

* S. die erste Abhandlung des P. Corneille über das dramatische Gedicht.

Abhandlung für das man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Wehrenfels * saget, weise, ge lehrte, rechtschafne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das schick liche, als auf das lächerliche, mehr auf das artige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabey nicht klatschen, so wird sie doch denen gefallen, wel che, mit dem Plautus zu reden, pudicitiæ præmium eſſe volunt.


66 - Discours historique sur l'apocalypse /

Was den ersten Grund anbelangt, so scheint es mir gar nicht, daß man zu befürchten habe, die Grenzen beyder Gattungen möchten ver mengt werden. Die Komödie kann ganz wohl zu rühren fähig seyn, und gleichwohl von der Tragödie noch weit entfernt bleiben, indem sie weder eben dieselben Leidenschaften rege macht, noch aus eben derselben Absicht, und durch eben dieselben Mittel, als die Tragödie zu thun pflegt. Es wäre freylich unsinnig, wenn sich die Komö die jene großen und schrecklichen Zurüstungen der Tragödie, Mord, Verzweiflung und dergleichen, anmaassen wollte; allein wenn hat sie dieses jemals gethan? Sie begnügt sich mit einer gemeinen, obschon seltnen, Begebenheit, und weis von dem Adel und von der Hoheit der Handlung nichts; sie weis nichts von den Sitten und Empfindungen großer Helden, welche sich entweder durch ihre erhabne Tugend, oder durch ihre ausserordentliche Häßlichkeit ausneh men; sie weis nichts von jenem tragischen hohen und prächtigen Ausdrucke. Dieses alles ist so klar, daß ich es nur verdunkeln würde, wenn ich es mehr aus einander setzen wollte. Was Abhandlung für das hat man also für einen Grund, zu behaupten, daß die rührende Komödie, wenn sie dann und wann Erbarmen erweckt, in die Vorzüge der Tragödie einen Eingriff thue? Können denn die kleinen Uebel, welche sie dieser oder jener Personen zustoßen läßt, jene heftige Empfindung des Mitleids erregen, welche der Tragödie eigen ist? Es sind kaum die Anfänge dieser Empfindung, welche die Komödie zuläßt und auf kurze Zeit in der Absicht anwendet, daß sie diese kleine Bewegung durch etwas erwünschtes wieder stillen möge; welches in der Tragödie ganz anders zu geschehen pflegt. Doch wir wollen uns zu der vornehmsten Quelle wenden, aus welcher die Komödie ihre Rührungen herhohlt, und zusehen, ob sie sich vielleicht auf dieser Seite des Eigen thums der Tragödie anmaasse. Man sage mir also, wenn rühret denn diese neue Art von Komödie, von welcher wir handeln? Geschicht<Geschieht> es nicht meistentheils, wenn sie eine tugendhafte, gesetzte und ausserordentliche Liebe vorstellet? Was ist aber nun zwischen der Liebe, welche die Tragödie anwendet, und derjenigen, welche die Komödie braucht, für ein Unterscheid? Ein sehr großer. Die Liebe in der Komödie ist nicht jene heroische Liebe, welche durch die Bande wichtiger Angelegenheiten, der Pflicht, der Tapferkeit, des größten Ehrgeitzes, entweder unzertrennlich verknüpfet, oder unglücklich zertren net wird; es ist nicht jene lermende Liebe, wel rührende Lustspiel.che von eine Menge von Gefahren und Lastern begleitet wird; nicht jene verzweifelnde Liebe: sondern eine angenehm unruhige Liebe, welche zwar in verschiedene Hindernisse und Beschwerlichkeiten verwickelt wird, die sie entweder vermehren oder schwächen, die aber alle glücklich überstiegen werden, und einen Ausgang gewinnen, welcher, wenn er auch nicht für alle Personen des Stücks angenehm, doch dem Wunsche der Zuschauer gemäß zu seyn pflegt. Es ist daher im geringsten keine Vermischung der Kunst zu be fürchten, so lange sich nicht die Komödie mit eben derselben Liebe beschäftiget, welche in der Tragödie vorkömmt, sondern von ihr in Ansehung der Wirkungen und der damit verknüpften Umstände eben so weit, als in Ansehung der Stärcke und Hoheit, entfernt bleibt. Denn so wie die Liebe in einem doppelten Bilde strahlt, welche auf so verschiedene Weise ausgedrückt werden, daß man sie schwerlich für einerley halten kann; ja wie so gar die Ge walt, die sie über die Gemüther der Menschen hat, von ganz verschiedner Art ist, so daß, wenn der eine mit zerstreuten Haaren, mit verwirrter Stirn, und verzweifelnden Augen herumirret, der andere das Haar zierlich in Locken schlägt, und mit lächelnd trauriger Mine und angenehm unruhigen Augen seinen Kum mer verräth: eben so, sage ich, ist die Liebe, welche in beyden Spielen gebraucht wird, ganz Abhandlung für das und gar nicht von einerley Art und kann also auch nicht auf einerley, oder auch nur auf ähnliche Art rühren. Ja es fehlt so viel, daß die Komödie in diesem Stücke die Rechte der Tra gödie zu schmälern scheinen sollte, daß sie vielmehr nichts als ihr Recht zu behaupten sucht. Denn ob ich schon denjenigen nicht beystimme, welche, durch das Ansehen einiger alten Tragö dienschreiber bewogen, die Liebe gänzlich aus der tragischen Fabel verbannen wollen; so ist doch so viel gewiß, daß nicht jede Liebe, besonders die zärtlichere, sich für sie schickt, und daß auch diejenige, die sich für sie schickt, nicht darinne herrschen darf, weil es nicht erlaubt ist, die Liebe einzig und allein zu dem Jnnhalte eines Trauerspiels zu machen. Sie kann zwar jenen heftigern Gemüthsbewegungen, welche der Tra gödie Hoheit, Glanz und Bewunderung ertheilen, gelegentlich beygefügt werden, damit sie dieselben bald heftiger antreibe, bald zurückhalte, nicht aber, damit sie selbst das Hauptwerk der Handlung ausmache. Dieses Gesetz, wel ches man der Tragödie vorgeschrieben hat, und welches aus der Natur einer heroischen That hergehohlet ist, zeiget deutlich genug, daß es al lein der Komödie zukomme, aus der Liebe ihre Haupthandlung zu machen. Alles derohalben, was die Liebe, ihren schrecklichen und traurigen Theil bey Seite gesetzt, im Rührenden vermag, kann sich die Komödie mit allen Recht anmaas rührende Lustspiel. sen. Der vortrefliche Corneille erinnert sehr wohl, daß dasjenige Stück, in welchem allein die Liebe herrschet, wann es auch schon in den vornehmsten Personen wäre, keine Tragödie, sondern, seiner natürlichen Kraft nach, eine Ko mödie sey *. Wie viel weniger kann daher dasje nige Stück, in welchem nur die heftige Liebe einiger Privatpersonen aufgeführet wird, das Wesen des Trauerspiel angenommen zu haben scheinen? Das, was ich aber von der Liebe, und von dem Anspruche der Komödie auf dieselbe, gesagt habe, kann, glaube ich, eben so wohl von den übrigen Stücken behauptet wer den, welche die Gemüther zu bewegen vermö gend sind; von der Freundschaft, von der Beständigkeit, von der Freygebigkeit, von dem dankbaren Gemüthe, und so weiter. Denn weil diese Tugenden denjenigen, der sie besitzt, zwar zu einem rechtschafnen, nicht aber zu einem gros sen und der Tragödie würdigen Manne machen, und also auch vornehmlich nur Zierden des Pri vatlebens sind, wovon die Komödie eine Ab schilderung ist: so wird sich auch die Komödie die Vorstellung dieser Tugenden mit allem Rechte anmaassen, und alles zu gehöriger Zeit und an gehörigen Orte anwenden dürfen, was sie, die Gemüther auf eine angenehme Art zu rühren, darbiethen können. Allein auf diese Art, kann

* S. die erste Abhandlung des P. Corneille über das dramatische Gedicht.

Abhandlung für das man einwenden, wird die Komödie allzu frostig und trocken scheinen; sie wird von jungen Leuten weniger geliebt, und von denjenigen weniger besucht werden, welche durch ein heftiges Lachen nur ihren Bauch erschüttern wollen. Was schadet das? Genug, daß sie alsdann, wie der berühmte Wehrenfels * saget, weise, ge lehrte, rechtschafne und kunstverständige Männer ergötzen wird, welche mehr auf das schick liche, als auf das lächerliche, mehr auf das artige als auf das grimassenhafte sehen: und wann schon die, welche nur Possen suchen, dabey nicht klatschen, so wird sie doch denen gefallen, wel che, mit dem Plautus zu reden, pudicitiæ præmium eſſe volunt.


67 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


68 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


69 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


70 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


71 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


72 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


73 - Discours historique sur l'apocalypse /

Dieser ganze Tadel kann, glaube ich, sehr leicht durch diejenigen Beyspiele nichtig gemacht werden, welche unter den dramatischen Dichtern der Franzosen sehr häufig sind. Den wenn Destouches, de la Chaussee, Marivaux, Voltaire, Fagan und andre, deren Namen und Werke längst unter uns bekannt sind, dasjenige glücklich geleistet haben, was wir verlangen, wann sie nehmlich, mit Beybehaltung der Freu de und der komischen Stärcke, auch Gemüthsbe wegungen an dem gehörigen Orte angebracht haben, welche aus dem Jnnersten der Hand lung fliessen und den Zuschauern gefallen; was bedarf es alsdann noch für andre Beweise? Doch wenn wir auch ganz und gar kein Exempel für uns anführen könnten, so erhellet wenigstens aus der verschiedne Natur derjenigen Personen, welche der Dichter auf die Bühne bringt, daß sich die Sache ganz wohl thun lasse. Denn da, wie wir oben gezeugt haben, den bösen Sitten ganz füglich gute entgegen gesetzt werden können, damit durch die Annehmlichkeit der letztern, die Häßlichkeit der erstern sich desto mehr ausnehme; und da diese rechtschaffnen und edeln Gemüthsarten, wenn sie sich hinlänglich äussern sollen, in schwere und eine Zeit lang minder glückliche Zufälle, bey welchem sie ihre Kräfte zeugen können, verwickelt seyn müssen: so darf man nur diese mit dem Stoffe der Fabel gehörig verbinden und kunstmäßig einflechten, wenn Abhandlung für das diejenige Komödie, die sich am meisten mit Ver spottung der Laster beschäftiget, nichts destowe niger die Gemüther der Zuhörer durch ernsthaf tere Rührungen vergnügen soll. Zwar ist allerdings eine grosse Behutsamkeit anzuwenden, daß dieses zur rechten Zeit, und am gehörigen Orte und im rechten Maasse geschehe; ja der komische Dichter, wenn er unser Herz entflammen will, muß glauben, daß jene Warnung, nihil citius in- arceſcere quam lacrumas, welche man dem Redner zu geben pflegt, ihm noch weit mehr als dem Redner angehe. Vornehmlich hat er dahin zu sehen, daß er nicht auf eine oder die andere lustige Scene, sogleich eine ernsthafte folgen las se, wodurch das Gemüth, welches sich durch das Lachen geruhig erhohlt hatte, und nun auf einmal durch die volle Empfindung der Menschlichkeit dahin gerissen wird, eben den verdrüßlichen Schmerz empfindet, welchen das Auge fühlt, wenn es aus einem finstern Orte plötzlich gegen ein helles Licht gebracht wird. Noch vielweniger muß einer gesetzten Person alsdann, wenn sie die Gemüther der Zuschauer in Bewegung setzt, eine allzulächerliche beygesellet werden; überhaupt aber muß man nichts von dieser Gattung anbringen, wenn man nicht die Gemüther genugsam dazu vorbereitet hat, und muß auch bey eben denselben Affecten sich nicht allzulange aufhalten. Wenn man also die rührenden Scenen auf den bequemen Ort versparet, rührende Lustspiel. welchen man alsdann, wann sich die Fabel am meisten verwirret, noch öftrer aber, wenn sie sich aufwickelt, findet: so kann das Lustspiel nicht nur seiner satyrischen Pflicht genug thun, sondern kann auch noch dabey dabey<dabey> das Gemüth in Bewegung setzen. Freylich trägt hierzu der Stoff und die ganze Einrichtung des Stückes viel bey. Denn wenn dasjenige, was der Dichter, glückliches oder unglückliches, wider alle Hoffnung sich ereignen läßt, und zu den Gemüthsbewegungen die Gelegenheit geben muß, aus den Sitten der Personen so natürlich fließt, daß es sich fast nicht anders hätte zutragen kön nen: so überläßt sich alsdann der Zuschauer, dessen sich Verwundrung und Wahrscheinlichkeit bemächtiget haben, er mag nun der Person wohl wollen oder nicht, willig und gern den Bewegungen, und wird bald mit Vergnügen zür nen, bald trauren, und bald über die Zufälle, derjenigen Personen, deren er sich am meisten annimmt, für Freuden weinen. Auf diese Art, welches mir ohne Ruhmredigkeit anzuführen er laubt seyn wird, pflegen die Zuschauer in dem letzten Auftritte des Looses in der Lotterie gerührt zu werden. Damons Ehegattin, und die Jungfer Caroline haben durch ihre Sitten die Gunst der Zuschauer erlangt. Jene hatte schon daran verzweifelt, daß sie das Looß wiederbekommen würde, welches für sie zehn tausend Thaler gewonnen hatte, und war auf eine an= Abhandlung für das ständige Art deswegen betrübt. Ehe sie sichs aber vermuthet, kömmt Caroline, und bringt ihrer Schwägerin mit dem willigsten Herzen dasjenige wieder, was sie für verlohren gehalten hatte. Hieraus nun entstehet zwischen beyden der edelste Streit freundschaftlicher Gesinnungen, so wie bald darauf zwischen Carolinen und ihrem Liebhaber ein Liebesstreit; und da sowohl dieser als jener schon für sich selbst, als ein an genehmes Schauspiel, sehr lebhaft zu rühren vermögend, zugleich auch nicht weit hergehohlet, sondern in der Natur der Sache, gegründet, und freywillig aus den Charakteren selbst geflossen sind: so streitet ein solcher Ausgang nicht allein nicht mit der Komödie, sondern ist ihr vielmehr, wenn auch das übrige gehörig beobachtet worden, vortheilhaft. Mir wenigstens scheint eine Komödie, welche, wenn sie den Witz der Zuhörer genugsam beschäftiget hat, endlich mit ei ner angenehmen Rührung des Gemüths schliesset, nicht tadelhafter, als ein Gastgeboth, welches, nachdem man leichtern Wein zur Gnüge dabey genossen, die Gäste zum Schlusse durch ein Glas stärkern Weins erhitzen und so auseinander gehen läßt.


74 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es ist aber noch eine andre Gattung, an welcher mehr auszusetzen zu seyn scheinet, weil Scherz und Spott weniger darinne herrschen, als die Gemüthsbewegungen, und weil ihre vornehmsten Personen entweder nicht gemein und tadel rührende Lustspiel.haft, sondern von vornehmen Stande, von zier lichen Sitten und von einer artigen Lebensart sind, oder, wenn sie ja einige Laster haben, ihnen doch nicht solche ankleben, dergleichen bey dem Pöbel gemeiniglich zu finden sind. Von dieser Gattung sind ungefehr die verliebten Philosphen<Philosophen> des Destouches, die Mela nide des la Chaussee, das Mündel des Fa gan, und der Sidney des Gressets. Weil nun aber diejenige Person, auf die es in dem Stücke größten Theils ankömmt, entweder von guter Art ist, oder doch keinen allzulächerlichen Fehler an sich hat, so kann daher ganz wohl gefragt werden, worinne denn ein solches Schauspiel mit dem Wesen der Komödie übereinkomme? Denn obschon mei sten Theils auch lustige und auf gewisse Art lächerliche Charaktere darinne vorkommen, so erhält doch genugsam aus der Ueberlegenheit der andern, daß sie nur der Veränderung wegen mit eingemischt sind und das Hauptwerk ganz und gar nicht vorstellen sollen. Nun gebe ich sehr gerne zu, daß dergleichen Schauspiele in den Grenzen, welche man der Komödie zu setzen pflegt, nicht mit begriffen sind; allein es fragt sich, ob man nicht diese Grenzen um so viel erweitern müsse, daß sie auch jene Gattung dramatischer Gedichte mit in sich schliessen können. *

* Wenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine enständige Gemüthsergötzung ist, und diese durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschaft wird: so werden sich die ver= schiednen Formen der Komödie gar leicht erfin= den und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen giebt, indem einige Lachen, und andre ernsthaftere Ge= müthsbewegungen erwecken: so muß es auch eine doppelte Art von Komödie geben, welche die Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine muß zu Erregung des Lachens, und die andre zu Erregung ernsthaftrer Gemüthsbewegungen geschickt seyn. Und da es endlich auch Handlun= gen giebt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Theile, und in Ansehung der verschiednen Per= sonen von welchen sie ausgeübt werden, beydes hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine vermischte Gattung von Komödien geben, von wel= cher der Cyclops des Euripides, und der Ruhm= redige des Destouches sind. Dieses hat der jüngst in Dennemark verstorbene Hr. Prof. Schlegel, ein Freund dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst seyn wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe was in den Anmer= kungen zu der deutschen Uebersetzung der Schrift des Herrn Batteux, Les beaux Arts reduits à un même principe, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch un= gedruckten Abhandlungen, über diese Materie angeführet worden. S. 316.

Abhandlung für das Wenn dieses nun der Endzweck der Komödie verstattet, so sehe ich nicht, warum es nicht erlaubt seyn sollte? Das Ansehen unsrer Vorgänger wird es doch nicht verwehren? Es wird doch kein Verbrechen seyn, dasjenige zu versuchen, was sie unversucht gelassen haben, oder aus eben der Ursache von ihnen abzugehen, aus welcher wir ihnen in andern Stücken zu folgen pflegen? Hat nicht schon Horatius gesagt:


75 - Discours historique sur l'apocalypse /

* Wenn der Endzweck der Komödie überhaupt eine enständige Gemüthsergötzung ist, und diese durch eine geschickte Nachahmung des gemeinen Lebens verschaft wird: so werden sich die ver= schiednen Formen der Komödie gar leicht erfin= den und bestimmen lassen. Denn da es eine doppelte Art von menschlichen Handlungen giebt, indem einige Lachen, und andre ernsthaftere Ge= müthsbewegungen erwecken: so muß es auch eine doppelte Art von Komödie geben, welche die Nachahmerin des gemeinen Lebens ist. Die eine muß zu Erregung des Lachens, und die andre zu Erregung ernsthaftrer Gemüthsbewegungen geschickt seyn. Und da es endlich auch Handlun= gen giebt, die in Betrachtung ihrer verschiednen Theile, und in Ansehung der verschiednen Per= sonen von welchen sie ausgeübt werden, beydes hervorzubringen fähig sind: so muß es auch eine vermischte Gattung von Komödien geben, von wel= cher der Cyclops des Euripides, und der Ruhm= redige des Destouches sind. Dieses hat der jüngst in Dennemark verstorbene Hr. Prof. Schlegel, ein Freund dessen Verlust ich nie genug betauren kann, und ein Dichter der eine ewige Zierde der dramatischen Dichtkunst seyn wird, vollkommen wohl eingesehen. Man sehe was in den Anmer= kungen zu der deutschen Uebersetzung der Schrift des Herrn Batteux, Les beaux Arts reduits à un même principe, welche vor einiger Zeit in Leipzig herausgekommen, aus einer von seinen noch un= gedruckten Abhandlungen, über diese Materie angeführet worden. S. 316.