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46 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jedes von den Stücken, auf die man, wie ich gesagt habe, sorgfältig Acht haben muß, ist nothwendig, und trägt das seine zu dem Fortgange eines iungen Menschen in den Wissenschaften bey; das meiste aber kömmt noch immer auf das Genie an: denn haben wir nicht Beyspiele, daß Leute, welche dieses gehabt haben, ob sie gleich erst nach ihrer Jugend zu studiren angefangen, ob sie gleich schlechte Lehrer gehöret, ob sie gleich nicht aus ihrem Orte gekom

*) Ου'κἐϛι δε των ἐτων αριθμῳ περιορισαι ταυτας (ἡλικιας) καθαπερ ε'νιοι πεποιηκασι, πλην ἠ κατα πλαθος.

men, und in ihrem Fleisse sehr unordentlich gewesen sind, in weniger Zeit sehr grosse Gelehrte geworden sind? Wenn aber das Genie fehlt, sagt Hippokrates, so ist alle andre Sorgfalt vergebens. *) Cicero drückt dieses noch stärker aus, wenn er, bey Gelegenheit seines Sohnes, der aller angewandten Mittel ohngeachtet, nichts lernte, und zu des Vaters größter Betrübniß, ein dummer Kopf blieb, sagt: **) „Was sieht dem Streite der Riesen wider die Götter ähnlicher, als wenn sich ein Mensch auf die Wissenschaften legt, dem das Genie dazu fehlt?“ Wie die Riesen die Götter nicht überwanden, sondern allezeit von ihnen überwunden wurden, so wird auch ein Studirender, der mit seinem schlechten Kopfe kämpfet, ihm allezeit unterliegen müssen. Cicero giebt daher selbst den Rath, uns nicht wider unsre Natur zu zwingen, und mit Gewalt Redner werden zu wollen, weil alle Mühe vergebens seyn würde, wenn dasGenie darzu mangele.


47 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn Wahrheit aber entstehet aus dieser Beschaffenheit keine Verschiedenheit des Genies, und Aristoteles hat eigentlich auch nicht sagen wollen, daß ein kaltes, sondern, daß ein am wenigsten hitziges Geblüte die Ursache eines grössern Verstandes sey. Gleichfalls rühret die Unbeständigkeit eines Menschen nur von der allzugrossen Hitze her, welche die Bilder in dem Gehirne erhebet, und so zu reden zum Aufsieden bringt, so daß sich deren allzuviele dem Geiste darstellen, und ihn, sie zu betrachten, einladen; da er denn, weil er sie alle geniessen will, von einem auf das andre springen muß. Das Gegentheil hiervon äussert sich bey der Kälte, die, weil sie die Bilder unterdrückt, und nicht aufkommen läßt, den Menschen bey einer Meynung feste erhält, indem keine andre aufsteigen, die ihn davon abziehen könnten. Ueberhaupt ist das die Eigenschaft der Kälte, daß sie die Bewegungungen nicht allein der körperlichen Dinge, sondern auch der Bilder und Begriffe, welche dieWeltweisen für etwas geistiges halten, verhindert, und sie in dem Gehirne unbeweglich macht; diese Festigkeit aber ist vielmehr für eine Trägheit, als für eine Verschiedenheit des Genies zu halten. Doch giebt es auch noch eine andre Art der Festigkeit, welche daher entstehet, weil der Verstand allzusehr eingeschlossen ist, nicht aber, weil das Gehirn zuviel Kälte hat. Es bleiben also bloß die Trockenheit, die Feuchtigkeit, und die Wärme, die Werkzeuge der vernünfti gen Vermögenheiten. Welcher Weltweise aber kann denn bey jeder Gattung des Genies dasjenige bestimmen, was eigentlich ihre Verschiedenheit ausmacht? Heraklitus*) sagte: ἀυγη jηρη, ψυχη σοφωτατη, und will uns durch diesen Ausspruch zu verstehen geben, die Trockenheit wäre es, welche den Menschen weise mache; er sagt aber nicht, welche Art der Weisheit er hier verstehe. Eben dieses sagt Plato, wenn er vorgiebt, unsere Seele komme sehr weise in den Körper; durch die viele Feuchtigkeit aber, die sie in demselben fände, würde sie träge und thöricht, bis sich diese mit der Zeit verlöre, und die Trockenheit ihre erste Weisheit wieder entdecke. Unter den unvernünftigen Thieren, sagt Aristoteles, sind diejenigen die klügsten, in deren Temperamente die Kälte und Trockenheit herrschet, dergleichen die Ameisen und Bienen sind, welche an Klugheit mit den allervernünftigsten Menschen um den Rang streiten. Jm Gegentheil ist das Schwein dasjenige Thier, welches die meiste Feuchtigkeit und also den wenigsten Verstand hat; daher auch Pindarus, wenn er die Dummheit der Böotier beschreiben will, sagt: ἠν ὁτε συας βοιωτιον οὐθνος ἐνεπον, **)

*) Galenus führt ihn an in seinem Buche, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Wenn Homer sagen will, daß Ulysses nicht thöricht und unverständig gewesen wäre; so beweiset er es durch die Erdichtung, weil er in kein Schwein sey verwandelt worden.

Sogar das Blut, sagt Galenus, *) macht die Menschen wegen der allzuvielen Feuchtigkeit einfältig. Er erzählt daher, die Komödienschreiber hätten über die Söhne des Hippokrates, als über Leute gespottet, die viel natürliche Wärme hätten, als welches eine sehr feuchte und flüchtige Substanz ist. **) Diesem Fehler sind fast alle Söhne weiser Leute unterworfen, wovon wir weiter unten den Grund angeben wollen. Unter den vier Flüssigkeiten endlich ist die Melancholie die kälteste und trockenste von allen; und gleichwohl versichert Aristoteles, ***) daß alle, die sich jemals in der Welt durch die Gelehrsamkeit hervorgethan hätten, Melancholici gewesen wären. Kurz, alle kommen darinnen überein, daß die Trockenheit den Menschen geschickt mache; keiner aber bestimmt zu welchen Wirkungen der vernünftigen Seele eigentlich die Trockenheit am vortheilhaftesten sey. Der einzige Prophet Jesaias nennt sie mit Namen, wenn er (im 28. Hauptst.) sagt: Anfechtung giebt Verstand; denn die Anfechtung, die Traurigkeit, die Betrübniß verzehret nicht allein die Feuchtigkeit des Gehirns, sondern trocknet auch die Gebeine aus, daß sie also durch die Trockenheit, welche sie verursacht, den Verstand weit schärfer und

*) in seiner Abhandlung, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Οι δε Ιπποκρατους ὑιεις ους ἐπι μωρια σκωπ-τουσιν οἱ κωμικοι δια την ἀμετρον θερμην.

***) προβλ. τμημ. λα.

durchdringender macht. Einen unwidersprechlichen Beweis kann man daraus nehmen, wenn man überlegt, daß oft Leute, so lange sie in Armuth und Verachtung gelebt, die bewundernswürdigsten Lehren gesagt und geschrieben haben; sobald sie aber in bessere Umstände, zum guten Essen und Trinken gekommen sind, haben sie selten was gescheutes mehr reden können, weil das köstliche Leben, die Ruhe, der gute Fortgang, die Erlangung aller Wünsche das Gehirn schlaff und feuchte machen. Dieses ist es, was Hippokrates*) unter dem ἡ ἐυθυμιη ἀφιει καρ-διην verstehet; die Zufriedenheit erweitert das Herz, und giebt ihm Wärme und Fettigkeit. Man kann dieses auch auch ganz leicht auf eine andre Art beweisen: wenn nämlich die Traurigkeit und die Anfechtung das Fleisch austrocknet und verzehret, und also den Verstand des Menschen vermehret, so muß ihr Gegentheil, welches die Freude ist, nothwendig das Gehirn feuchte, und den Verstand schwach machen. **) Diejenigen also, die ein solch Genie bekommen sollen, legen sich sogleich auf Zeitvertreib, wohnen den Schmausereyen, der Musik, und andern lustigenGesellschaften bey, und fliehen im Gegentheil alles, was ihnen vordem Freude und Vergnügen machte. Hieraus mag das gemeine Volk die

*) ἐπιδημιων το ἑπον τμημοα πεμπον.

**) Das Herz der Weisen ist im Klaghause, und das Herz der Narren im Hause der Freuden.Pred. Sal. 7.

Ursache einsehen lernen, woher es komme, daß ein weiser und tugendhafter Mann, der vorher in Armuth und Verachtung gelebt hat, wenn er zu einer grossen Ehrenstelle erhaben wird, sogleich alle seine Gewohnheiten, und sogar seine Art zu denken ändert. Diese Veränderung nämlich entsteht daher, weil er ein ganz anderes, feuchtes und dunstiges Temperament bekommen hat, welches die Bilder, die er vorher im Gedächtnisse hatte, auslöscht, und den Verstand träge macht.


48 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Diesen letztern allein ist es erlaubt, Bücher zu schreiben, den andern aber nicht. *) Denn, wenn die Wissenschaften von Tag zu Tag zunehmen und vollkommener werden sollen; so muß dasjenige, was uns die Alten in ihren Schriften hinterlassen haben, mit den neuen Erfindungen der jetzt lebenden vermehrt werden. Wenn jeder zu seiner Zeit dieses thäte, so würden die Künste nothwendig steigen, und die Nachwelt würde die Erfindungen und Arbeiten der vergangenen Zeiten nützen können. Allen denen, welche keine Erfindungskraft haben, sollte man es in einem Staate gar nicht erlauben, daß sie Bücher schrieben, und ans Licht stellten; weil alles, was sie thun, darinn besteht, daß sie in beständigen Zirkeln von Meynungen und Aussprüchen grosser Schriftsteller, die sie ohn Unterlaß anführen und wieder anführen, herumlaufen. Wenn man hier ein Stück borgen und dort ein Stück stehlen darf, so wird jeder ein Werk schreiben können. Die toscanische Sprache nennt die erfindenden Köpfe wegen der Gleichheit, die sie mit den Ziegen im Gehen

*) Bey den Wissenschaften und in Ausfertigung der Bücher, sagt Galenus, (εἰς το κατ' ἰη- τρειον ὑπομν. α.) braucht man entweder den Verstand, oder die Einbildungskraft, oder das Gedächtniß: diejenigen aber, die aus ihrem vollen Gedächtnisse schreiben, können nichts Neues vorbringen.

undnnd in dem äusserlichen Betragen haben, ca- pricciosi. *) Die Ziege geht nicht gern auf dem Ebenen; sie liebt die Hügel und Felsen, auf welchen sie ganz allein herumklettert, und die Abgründe überschauet; sie bleibt auf keinem gebahnten Wege, und sondert sich immer von der Heerde ab. Eben diese Eigenschaften hat die vernünftige Seele, wenn sie in einem wohlorganisirten und gemässigten Gehirne wohnet; sie kann sich bey keiner Betrachtung lange aufhalten; sie geht, ohne sich wo aufzuhalten, immer weiter fort, und sucht stets neue Sachen zu entdecken und zu begreifen. Von solchen Seelen trift der Ausspruch des Hippokrates ein: ψυ-χης περιπατος φροντις ἀνθρωποισιν. **) Jm Gegentheile giebt es andere Leute, die an einer einzigen Betrachtung hängen bleiben, und sich nicht einbilden können, daß in der Welt noch etwas mehr zu entdecken sey. Diese haben die Eigenschaften der Schafe, welche niemals die Fußtapfen ihres Vorgängers verlassen, noch in wüsten und ungebähnten Orten herumzuschweifen sich getrauen; sie müßten denn dem betretenen Wege, oder dem, der sie anführt, folgen. Beyde Gattungen des Genies sind unter den Ge=

*) Diese Genies sind der Theologie sehr gefährlich. Sie müssen daher ihren Verstand sich sorgfältig an das halten lassen, was unsere Mutter, die Katholische Kirche sagt, und lehrt.

**) ἐπιδημ. βιβλ. ϛ. τμημ. ε.

lehrten nicht selten: die einen sind kühn, verfahren nie nach den gemeinen Meynungen, beurtheilen und treiben alles auf eine besondere Art, entdecken alle ihre Gedanken frey, und sind sich selbst ihre eignen Führer. Die andern sind furchtsam, demüthig, ruhig, und haben zu den Meynungen eines angesehenen Gelehrten geschworen, welchem sie in allen folgen, dessen Meynungen und Aussprüche sie für lauter Wahrheiten und unwidersprechliche Beweise halten, und dem allein zu glauben sey, wenn andre, die von ihm abgehen, nichts als Grillen und Lügen vorbringen müssen. *)


49 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Auf den neunten Einwurf antworte ich, daß die Klugheit und Fähigkeit des Geistes, von welcher Galenus redet, zur Einbildungskraft gehöret, durch die man das Zukünftige vorher sieht.Cicero*) spricht daher: memoria praeterito- rum, futurorum prudentia. Das Gedächtniß, will er sagen, geht auf das Vergangene und die Klugheit auf das Zukünftige. Diese Fähigkeit des Geistes ist das, was der Spanieragudeza, List, Verschlagenheit nennet. Cicero **) sagt es selbst: prudentia est callidi- tas, quae ratione quadam potest delectum ha- bere bonorum et malorum. Diese Art der Klugheit und Fähigkeit nun fehlt Leuten von grossem Verstande, weil ihnen die Einbildungskraft fehlet. Die Erfahrung lehrt es uns deutlich an allen grossen Gelehrten in denjenigen Wissenschaften, welche von dem Verstande abhängen: wenn man sie aus ihrer Sphäre nimmt, so taugen sie nirgends, am wenigsten aber in den Welthändeln. Daß aber diese Klugheit aus der Cholera entsteht, darinnen hat Galenus ganz recht. Wenn Hippokrates seinem Freunde dem Damaget erzählt, wie er den Demokrit angetroffen, als er ihn habe besuchen und

*) dial. de senectute.

**) in Tuscul. quaest.

gesund machen wollen, so schreibt er: er habe auf dem Felde unter einem Ahornbaume in blossen Beinen, ohne Schuhe, auf einem Steine gesessen, und ein Buch in der Hand gehabt; *) um ihn herum hätten todte und lebendige Thiere gelegen. Hippokrates habe sich darüber gewundert und ihn gefragt, was er mit diesen Thieren mache? Worauf Demokrit geantwortet habe: er untersuche, welche Flüssigkeit den Menschen unbeständig, listig, falsch, tückisch, betriegerisch mache, und habe durch die Zergliederung dieser Thiere gefunden, daß die Cholera die Ursache dieser Unarten sey; er wolle also um sich an den listigen Menschen zu rächen, gegen sie eben so verfahren, als die Menschen gegen den Fuchs, die Schlange und den Affen verführen. Diese Art der Klugheit ist nicht allein den Menschen verhaßt, sondern auch Paulus sagt: fleischlich gesinnet seyn, ist eine Feindschaft widerGOtt. Röm. 8. Daher hat Plato Recht, wenn er der Klugheit diesen Namen abspricht, und sie Verschlagenheit nennet, sobald sie sich von der Gerechtigkeit entfernet. Diese ist es, deren sich der Teufel bedient, wenn er den Menschen schaden will: es ist nicht die, welche von

*) Man bemerke hier, daß Leute von grossem Verstande sich die Ausschmückung ihrer Person nicht sehr angelegen seyn lassen. Die Ursache davon werde ich in dem 8 und 14 Hauptstücke anführen.

oben herab kömmt, sagt St. Jacobus, sondern es ist die irrdische, menschliche und teuflische. Die wahre Klugheit aber ist die, welche mit Aufrichtigkeit und Einfalt verbunden ist, und die Menschen das Gute zu erkennen, dasBöse aber zu verabscheuen lehrt. Und diese nur, sagt Galenus, *) geht den Verstand an, als welche Vermögenheit keiner Arglist, keiner Falschheit, keines Bösen fähig ist; alles ist an ihr gerecht, untadelhaft, billig und unverfälscht. Denienigen, welcher zu dieser Art des Genies gelangt, nennt man schlecht und recht. Daher auch Demosthenes, als er in der Rede wider den Aeschines um die Wohlgewogenheit seiner Richter bittet, sie schlechte und gerechte Männer, in Ansehung der Einfalt ihres Amtes nennet, von welchem Cicero (pro Sylla) sagt: sim- plex est officium atque vna bonorum omnium caussa. Für diese Art der Weisheit ist die Kälte und Trockenheit der schwarzen Galle das bequemste Werkzeug; nur muß sie aus den feinsten und zartesten Theilen zusammengesetzt seyn.


50 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Es ist doch sonderbarsonberbar, daß hier der Verfasser die Geschichte und Chronologie, da doch beyde unter die Haupttheile der Gelehrsamkeit gehören, gar nicht genannt hat. E.


51 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Docti male scribunt ist ein bekanntes Sprichwort, welches man aber auch von Malern und andern Künstlern gebrauchen könnte. Denn man wird selten einen grossen Maler finden, der eine gute Hand schreibt, und gleichwohl müßte es jedem grossen Maler, da es niemand, ohne einen hohen Grad von Einbildungskraft zu besitzen, werden kann, sehr leicht seyn, eine gute Hand schreiben zu lernen, wenn der V. recht hätte, daß eine gute Hand unter die Wirkungen der Einbildungskraft gehöre. Die Ursache, warum grosse Künstler und Gelehrten gemeiniglich schlecht schreiben, liegt wohl vorzüglich im Mangel an Geduld, die man viel häufiger bey einfältigen und phlegmatischen Leuten, als bey Personen von grossen Fähigkeiten und von vieler Lebhaftigkeit antrifft. E.


52 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Es ist eine sehr gebräuchliche, und nicht allein von den Gelehrten oft vorgelegte Frage, sondern auch das gemeine Volk trägt sich damit, und giebt sie fast täglich unter einander auf: woher es komme, daß ein Gottesgelehrter, welcher auf dem Katheder sehr groß ist, viel Scharfsinnigkeit in Streitunterredungen, viel Fertigkeit in Antworten, und eine bewundernswürdige Gelehrsamkeit in seinen Schriften, wie in seinen Vorlesungen, zeigt, wenn er auf die Kanzel tritt, nicht predigen könne; und daß gegentheils ein beliebter, angenehmer und beredter Prediger, um den sich das Volk drängt, gemeiniglich (oder es würde ein grosses Wunder seyn) in der scholastischen Theologie nicht weit gekommen sey? Niemand läßt daher den Schluß als richtig gelten: dieser oder jener ist ein grosser scholastischer Gottesgelehrter, er muß also auch ein grosser Prediger seyn; oder umgekehrt: dieser oder jener ist ein vortreflicher Prediger, folglich muß er auch ein grosser scholastischer Gottesgelehrter seyn. Sowohl das eine als das andere zu widerlegen, fallen einem jeden mehr Beyspiele ein, als er vielleicht Haare auf dem Kopfe hat.


53 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Es muß nothwendig etwas darunter verborgen liegen, daß, da in der spanischen Sprache der Name eines Litteratus die allgemeine Benennung ist, welche einem jeden Gelehrten, er mag ein Theolog oder ein Rechtsgelehrter, oder ein Arzt, oder ein Dialektiker, oder ein Philosoph, oder ein Redner, oder ein Meßkünstler, oder ein Astrolog seyn, zukömmt: gleichwohl, wenn man sagt: der und der ist ein Litteratus, alle und jede einmüthig einen Rechtsgelehrten darunter verstehen, gleich als hätte nur dieser und kein andrer das Recht, diesen Namen zu führen. Ob nun gleich dieser Zweifel mit sehr wenig Mühe aufzulösen wäre, so wird es doch nöthig seyn, wenn wir die rechte Auflösung ertheilen sollen, vorher zu wissen, was das Gesetze sey, und was diejenigen zu thun verbunden sind, welche sich dieser Wissenschaft befleißigen, wenn sie dieselbe einmal als Richter oder Advo caten ausüben wollen? Das Gesetz, wenn man es wohl überlegt, ist nichts anders, als der vernünftige Wille des Gesetzgebers, wodurch er erklärt und bestimmt, auf was für Art er dasjenige, was gemeiniglich in einem Staate vorzufallen pflegt, wolle entschieden haben, damit seine Unterthanen im Frieden leben, und wissen können, was sie thun und was sie lassen sollen. Jch sage, ein vernünftiger Wille; weil es nicht genug ist, daß ein König oder ein Kayser (welche die wirkenden Ursachen des Gesetzes sind) seinen Willen auf irgend eine Art erkläre, wenn er ein Gesetz seyn soll. Denn, wenn dieser Wille nicht auch billig und gerecht ist, so kann er unmöglich weder den Namen noch die Verbindlichkeit eines Gesetzes haben, eben so wenig, als man den einen Menschen nennen kann, welchem die vernünftige Seele fehlt. Es ist daher ausgemacht, daß die Könige ihre Gesetze mit Zuziehung weiser und verständiger Männer machen müssen, damit sie nichts, als was recht, billig und gut ist, zur Absicht haben, damit sie die Unterthanen desto williger aufnehmen, und desto eher verbunden sind, sie zu halten, und zu erfüllen. Die Causa materialis der Gesetze muß darinnen bestehen, daß sie über Fälle gemacht werden, welche sich nach dem Laufe der Natur in einem Staate zuzutragen pflegen, nicht aber über unmögliche oder über sehr seltene Fälle.


54 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Weil die Menschen von diesem mühseligen Zustande des Verstandes nicht unterrichtet sind, so pflegen sie alle ihre Meynungen ganz zuversichtlich zu entdecken; ohne daß einer genau weiß, wie sein Genie beschaffen, und ob es in der Zusammenfügung der Wahrheiten glücklich oder unglücklich sey. Man darf nur den und jenen Gelehrten, welcher anfangs etwas vorgegeben, und mit unzähligen Gründen erwiesen, hernach aber seine Meynung geändert und widerrufen hat, fragen: wenn und wie er es wohl erfahren könne, daß er die Wahrheit unfehlbar getroffen habe? Das erstemal gesteht er es selbst, daß er geirret hat, weil er, was er damals gesagt hat, zurückzieht. Das anderemal behaupte ich, muß er schon weniger Vertrauen auf seinen Verstand setzen, weil diejenige Fähigkeit, welche einmal in der Zusammensetzung der Wahrheit geirrt hat, ob ihre Gründe gleich noch so sicher und zuverlässig schienen, auch zum zweytenmal irren kann, ob sie gleich noch so starke Gründe zu haben glaubt: besonders da man aus der Erfahrung weiß, daß ein Gelehrter oft anfangs die rechte Wahrheit gehabt, und sie gleichwohl hernach mit einer schlimmern und viel unwahrscheinlichern verwechselt hat.


55 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Der vornehmste Grund, worauf sich diejenigen stützen, welche diese Staffeln auf den Universitäten vertheidigen, ist dieser: damit die Studirenden, wenn sie sehen, daß ein jeder nach der Geschicklichkeit, die er zeigt, belohnt werde, so zu reden Essen und Trinken bey ihrem Fleisse vergessen möch ten. Dieses würden sie ohne Zweifel unterlassen, wenn man den Fleissigen nicht belohnte, und den Faulen und Nachlässigen nicht bestrafte. Doch dieser Grund ist sehr seichte, und hat kaum den Schein der Wahrheit, indem er eine offenbare Unwahrheit voraussetzt, diese nämlich, daß man nicht anders gelehrt werden könne, als wenn man unablässig über den Büchern liege, und immer gute Lehrmeister höre, von deren Vorlesungen man auch nicht das geringste verlieren dürfe. Sie bedenken nicht, daß, wenn dem Studierenden das Genie und die Fähigkeit fehlt, welche die Wissenschaft, auf die er sich legt, erfordert, es ganz vergebens ist, wenn er sich auch Tag und Nacht den Kopf über den Büchern zerbricht. Jhr Jrrthum ist auch schon hieraus klar, da sie Genies, welche himmelweit von einander unterschieden sind, unter sich streiten lassen. Das eine, weil es fein und durchdringend ist, macht sich in einem Augenblicke mit der Wissenschaft bekannt, ohne ein Buch angesehen zu haben; ein anderes hingegen ist zeitlebens unermüdet fleissig, und lernet doch nichts, weil es von Natur roh und träge ist. Die Richter nun, als Menschen, ertheilen demjenigen den ersten Preis, welchen die Natur und nicht der Fleiß geschickt gemacht hat; den letzten aber demjenigen, welcher ohne Genie gebohren wurde, an seinem Fleisse aber es niemals ermangeln ließ: gleich als wenn jener seine Wissenschaft durch beständiges Lesen der Bücher erhalten, dieser aber seine Zeit mit Müssiggehen und Schlafen zugebracht hätte. Es ist eben so, als wenn sie zween Läufern einen Preiß aussetzten, wovon der eine gesunde und schnelle Füsse hätte, der andere aber auf einem Beine hinkte. Ja, wenn die Universitäten niemanden zu den Wissenschaften liessen, als diejenigen, welche das erforderliche Genie darzu haben, und wenn dieses Genie bey allen gleich wäre; so wäre es sehr wohl gethan, daß man Strafen und Belohnungen aussetzte. Denn alsdenn wäre es offenbar, daß derjenige, welcher das meiste wüßte, auch der Fleissigste gewesen wäre; derjenige hingegen, welcher weniger könnte, seine Zeit mit Müssiggehen zugebracht habe.


56 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wie schädlich einer Wissenschaft es sey, wenn man die übrigen nicht damit verbinden kann, dieses hat schon Plato angemerkt, wenn er behauptet, die Vollkommenheit in einer jeden Wissenschaft insbesondere, hänge von der allgemeinen Erkenntniß aller Wissenschaften ab: denn kein Theil derGelehrsamkeit ist von dem andern so sehr entfernt, daß die Kenntniß des einen nicht zur Vollkommen heit in dem andern vieles beytragen könne. Was soll man aber denken, daß ich, so sorgfältig ich auch diese Art des Genies aufgesucht habe, nicht mehr als ein einziges Beyspiel davon in Spanien habe finden können? Sollte nicht daraus deutlich folgen, daß Galenus mit Recht behaupte, dieNatur habe es sich nicht einmal im Traume einkommen lassen, ausser Griechenland einen Menschen von einem gemässigten Temperamente, und einem Genie, daß sich zu allen Wissenschaften zugleich schicke, zu machen? Die Ursache davon giebt Galenus*) selbst an, wenn er versichert, daß Griechenland die allergemäßigste Gegend in der ganzen Welt sey, wo weder die Wärme der Luft die Kälte, noch die Feuchtigkeit die Trockenheit übertreffe. Diese Temperatur bringt die allerklügsten und zu allen Wissenschaften geschicktesten Leute hervor, wie es deutlich aus der grossen Anzahl der berühmten Männer, welche in Griechenland sind gebohren worden, erhellt. Sokrates,Plato, Aristoteles, Hippokrates, Galenus, Theophrastus, Demosthenes, Homerus, Thales, Diogenes, Solon und unzählige andre Weise, deren die Geschichte gedenkt, zeigen in ihren Werken eine allgemeine Kenntniß des ganzen Umfanges der Gelehrsamkeit. Schriftsteller aus andern Ländern hingegen, wenn sie etwas schreiben, das in die Medicin oder in eine andere Wissenschaft schlägt, rufen selten oder gar nicht die übrigen Wissenschaften, woraus sie Erläuterungen für ih

*) ὑγιεινων βιβλ. β.

re Materie nehmen könnten, zu Hülfe. Alle sind arm und bald erschöpflich, weil sie kein Genie haben, das zu allen Wissenschaften bequem ist.


57 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Was aber noch wunderbarer von Griechenland ist, ist dieses, daß obgleich das Genie derWeibspersonen, wie wir in dem folgenden beweisen werden, zu den Wissenschaften ganz und gar ungeschickt ist, gleichwohl so viele Griechinnen sich finden, die sich in der Gelehrsamkeit so sehr hervorgethan haben, daß sie mit den allergrößten Mannspersonen um den Rang streiten können. †) Man betrachte nur die einzige Leontium, jenes gelehrte Frauenzimmer, welches wider den Theophrast, ob er gleich einer von den größten Weltweisen seiner Zeit war, schrieb, und ihm nicht wenige Jrrthümer in der Weltweisheit zeigte. Wenn wir die übrigen Gegenden der Welt betrachten, so haben sie kaum ein Genie hervorgebracht, welches Aufmerksamkeit verdiente. Die Ursache hiervon ist ihre schlechte natürliche Beschaffenheit, wodurch die Menschen dumm, von trägem Genie, und von übeln Sitten werden. Aristoteles fragt daher: *) δια τι θηριωδεις τα ἐθη και τας ὀψεις, οἱ ἐν ταις ὑπερβολαις ὀντες, ἠ ψυχοις ἠ καυματος; das ist, warum die Menschen, welche in allzu

†) Aus diesen Beyspielen hätte der V schon einsehen können, daß das Genie der Frauenzimmer gar nicht so ungeschickt zu den Wissenschaften sey, als er sich einbildet. E.

*) προβλ. τμημ. ιδ.

heissen oder allzukalten Gegenden wohnen, sowohl von Gesicht, als von Sitten, wild sind. Er antwortet auf diese Frage sehr wohl, wenn er sagt, daß die gute Temperatur nicht allein dem Körper ein gutes Ansehen gebe, sondern auch dem Genie und der Fähigkeit sehr zuträglich sey. *) Wie also eine unmässige Wärme die Natur an der schönen Ausbildung des Menschen verhindert, eben so stört sie die Harmonie der Seele, und macht ihr Genie faul und träge.


58 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

An allen denjenigen Vermögenheiten vollkommen seyn, welche den Menschen regieren, und in den erwähnten drey Gliedern ihren Sitz haben, ist einem Könige anständiger, als irgend einem andern Künstler oder Gelehrten. Denn, wie Plato**) sagt, so müssen in einer wohlgeordne

*) περι καλου.

**) περι ἐπιϛημης.

ten Republik Brautwerber und Ehestifter seyn, welche die Eigenschaften derjenigen, die sich verbinden wollen, durch Kunst zu erkennen wissen, damit eine jede Mannsperson dasjenige Frauenzimmer bekomme, welches ihm am gemäßesten ist; und jedes Frauenzimmer diejenige Mannsperson, die sich am besten für sie schickt. Auf diese Weise würde niemand des Endzwecks der Ehe verfehlen; da wir ietzt aus der Erfahrung sehen, daß oft eine Weibsperson mit ihrem ersten Manne keine Kinder bekömmt, mit dem zweyten aber fruchtbar genug ist; daß auf eben diese Art eine Mannsperson mit der ersten Frau keine Nachkommen erzielt, in der zweyten Ehe aber ohne Anstand welche erhält. Diese Kunst, sagt Plato, sollte vornehmlich bey Verheyrathungen der Könige angewendet werden. Denn da zur Erhaltung des Friedens und der Ruhe des Reichs nicht wenig darauf ankömmt, daß der Regent eheliche Kinder, die ihm in seinenStaaten folgen können, habe; so kann es ja wohl geschehen, daß ein König, wenn er sich nur auf gutes Glück verheyrathet, eine unfruchtbare Gemahlin findet, mit der er zeitlebens, ohne Hofnung, Erben zu erhalten, beschäftiget seyn muß. Stirbt er nun ohne Erben, so entstehen alsobald wegen Erwählung eines Nachfolgers bürgerliche Kriege.


59 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Wahrheit von dieser Lehre erhellt ganz deutlich, wenn man die erste Weibsperson, die in der Welt gewesen ist, betrachtet. Ob sie gleichGOtt mit seinen eigenen Händen gebaut, und sie so vollkommen gemacht hatte, als eine ihres Geschlechts werden kann, so ist es doch eine ausgemachte Sache, daß sie weit weniger Verstand, als Adam hatte. Der Teufel merkte dieses sehr wohl; er versuchte daher sie, und wagte es nicht, seine Gründe dem Manne vorzulegen, vor dessen Genie und Weisheit er sich fürchtete. Denn, daß man sagen wollte, Eva hätte aus eigener Schuld nicht eine so grosse Weisheit besessen, als Adam, das wäre eine Behauptung, die man nicht beweisen könnte, weil sie damals noch nicht gesündiget hatte. Die Ursache also, warum schon das erste Weib nicht so viel Genie hatte, als der Mann, ist offenbar diese, weil sie GOtt kalt und feucht erschuf, als welches Temperament nothwendig zur Fruchtbarkeit erfordert wird, dem Verstande aber ganz zuwider ist. Hätte sie GOtt von einem so gemässigten Temperamente gemacht, als denAdam, so würde sie auch eben so vollkommen weise gewesen seyn, als er; sie würde aber weder gebohren, noch die monatliche Zeit gehabt haben, wenn GOtt nicht etwas Uebernatürliches hätte thun wollen. Auf diese Natur gründet sich der heil. Paulus, wenn er befiehlt, daß keinWeib lehren, sondern schweigen und lernen, und ihrem Manne unterthänig seyn solle. Dieses aber versteht sich nur alsdenn, wenn das Weib keinen göttlichen Geist oder eine andere natürli che Gnadengabe hat: denn wenn diese da ist, so ist es ihr ganz wohl erlaubt zu reden und zu lehren. Dieses sieht man an jener weisen Frau, der Judith, welche, als die Jsraeliten von den Assyrern in Bethulien eingeschlossen wurden, die Aeltesten Chambri und Charmi zu sich holen ließ, und zu ihnen sagte: was soll das seyn, daß Osias gewilliget hat, die Stadt den Assyrern aufzugeben, wenn uns in fünf Tagen nicht geholfen wird? Wer seyd ihr, daß ihr GOtt versucht? Das dient nicht, Gnade zu erwerben, sondern vielmehr Zorn und Ungnade. Wollt ihr dem HErrn eures Gefallens Zeit und Tage bestimmen, wenn er helfen soll? Nachdem sie ihnen auf diese Art ihr Unrecht vorgehalten hatte, so zeigte sie ihnen auch, wie sie GOtt versöhnen, und das Gebetene von ihm erlangen müßten. Auf gleiche Art lehrte die Elbora, ein nicht weniger weises Weib, das Jsraelitische Volk, wie es GOtt für den gegen seine Feinde erfochtenen grossen Sieg gehörig danken sollte. Wenn aber eine Weibsperson in ihrer natürlichen Beschaffenheit bleibt, so sind alle Theile der Gelehrsamkeit und Weisheit ihrem Genie ganz und gar zuwider. Die katholische Kirche hat es also aus sehr gutem Grunde befohlen, daß kein Weib, weder lehren noch predigen, noch Beichte hören soll, weil ihr Geschlecht keiner Klugheit, und Kirchenzucht fähig sey.


60 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Daß die Beraubung der Testikeln oft eine Schwächung der Geisteskräfte nach sich ziehe, kann wohl nicht geleugnet werden; allein daß eine castrirte Mannsperson das vorher gehabteGenie und die Geistesfähigkeiten gänzlich verliehre, ist eine Behauptung, die mit derErfahrung streitet. Abälard war auch nach seiner Entmannung noch immer ein Mann von grossen Fähigkeiten. Unter den gewöhnlichen Castraten giebt es freylich nicht viel grosseGelehrte; welches aber daher kömmt, weil man diejenigen Kinder, welche man castriren läßt, nicht zur Gelehrsamkeit, sondern zur Musik anhält, worinnen sie der Verf. ohne Grund höchst unwissend nennt. E.