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61 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Um von einer Geburt des Geistes richtig zu urtheilen, muß man sie nicht gegen eine andere halten. Das war der Fehltritt, den einer von unsern ersten Kunstrichtern that. Er sagte: die Alten haben keine Opern gehabt, folglich ist die Oper eine Gattung, die nichts taugt. Wäre er vorsichtiger, oder besser unterrichtet gewesen, so hätte er vielleicht gesagt: Die Alten hatten bloß eine Oper, und folglich kann unsere Tragödie nicht gut seyn. Hätte er hingegen eine richtigere Logik inne gehabt, so würde er weder so, noch so geschlossen haben. Es mögen Muster vorhanden seyn, oder nicht, daran ist nichts gele gen. Es giebt eine Regel, die älter als alles ist; und die poetischen Gründe waren, ehe noch Poeten waren: denn wie hätte man sonst von dem ersten Gedichte urtheilen können? War es gut, weil es gefiel? Oder gefiel es, weil es gut war?


62 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Als ich die Scenen des Bauers in demFälschlich Grosmüthigen hörte, sagte ich: Ganz gewiß, das muß in der ganzen Welt, daß muß zu allen Zeiten gefallen; dabey wird man in Thränen zerfließen. Die Wirkung hat mein Urtheil bestätiget. Diese Episode ist völlig aus der ehrbaren und ernsthaftenGattung.


63 - Von der dramatischen Dichtkunst /

kann nichts beweisen. Und wenn Sie das einförmige Gespräch von Tugend nicht durch einige lächerliche und wohl gar, wie es mehrere gethan haben, durch ein wenig übertriebene Charaktereunterbrechen: so fürchte ich sehr, ihre ehrbare und ernsthafte Gattung, Sie mögen davon sagen was Sie wollen, wird zu nichts als frostigen und unscheinbaren Scenen, zu einer langweiligen und traurigen Moral, zu einer Art von dialogischen Predigten verhelffen.

64 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Lassen Sie uns die verschiednen Stücke eines Drama durchgehen, und zusehen. Ist es der Inhalt, nach welchem man es beurtheilen muß? In der ehrbaren und ernsthaften Gattung ist der Inhalt nicht weniger wichtig, als in der lustigen Komödie, und ist dabey mit mehr Wahrheit behandelt. Oder muß man es nach den Charakterenbeurtheilen? Sie können hier eben so verschieden, eben so original seyn, und der Dichter ist noch dazu gezwungen, sie mit mehrerer Stärke zu zeichnen. Oder nach den Leidenschaften? Diese werden sich um so viel wirksamer zeigen, je größer das Interesse seyn wird. Oder nach dem Style? Dieser wird hier weit nachdrücklicher, weit ernsthafter, weit erhabener, weit gewaltiger, und dessen was man Empfindung nennet, (eine Eigenschaft, ohne welche kein Styl ans Herz redet,) weit fähiger seyn. Oder nach dem Mangel des Lächerlichen? Als ob thörichte Handlunngen und Reden, die durch ein übelverstandenes Interesse, oder durch heftige Leidenschaften veranlaßt werden, nicht das wahre Lächerliche der Menschen und des Lebens wären.


65 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ich beruffe mich auf die schönen Stellen im Terenz; und frage, nach welcher Gattung die Auftritte der Väter und Liebhaber abgefaßt sind?


66 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Habe ich, in dem Hausvater, der Wichtigkeit meines Inhalts nicht gleich kommen können; ist der Verlauf frostig; sind die Leidenschaften geschwätzig und moralisirend; fehlet den Charakteren des Vaters, des Sohnes, des Commthurs, Cäciliens, Sophiens, Germeuils, das komischeLeben: so ist es ganz sicher meine Schuld und nicht die Schuld derGattung.


67 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Es nehme sich nur ein guter Kopf vor, den Stand des Richters auf die Bühne zu bringen; er verwickele seinen Inhalt auf eine so interessante Weise, als er es nur immer leiden will, und ich mir es ohngefehr vorstelle; die Person werde durch die Pflichten ihres Standes gezwungen, entweder der Würde und Heiligkeit ihres Amtes zu ent stehen, und sich in ihren und anderer Augen zu entehren, oder ihre Leidenschaften, alles was ihr am liebsten ist, Vermögen, Geburt, Weib und Kinder, dem Amte aufzuopfern: und dann thue man, wenn man will, den Ausspruch, ob die ernsthafte und ehrbare Gattung ohne Feuer, ohne Glanz, ohne Nachdruck ist.


68 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Lassen Sie uns dieses Hülfsmittel hier brauchen. Lassen Sie uns zwey Komödien nehmen, eine von der ernsthaften, und eine von der lustigen Gattung; lassen Sie uns von beiden, Scene vor Scene, zwey Gallerieen von Gemählden aufstellen; und lassen Sie sehen, in welcher von beiden wir uns am längsten, am willigsten verweilen werden, wo wir die stärksten und angenehmsten Empfindungen haben werden, wo wir am liebsten wieder hingehen werden.


69 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Je unwahrscheinlicher eine Gattung ist, desto leichter kann man gedrungen und feurig darinn seyn. Man schaft sich Feuer auf Unkosten der Wahrheit und des Wohlstandes. Das allerabgeschmackteste Ding ist eine frostige Burleske. In den ernsthaften Gattungen macht es die Wahl der Zwischenfälle schwer, beständig feurig zu bleiben.


70 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Je unwahrscheinlicher eine Gattung ist, desto leichter kann man gedrungen und feurig darinn seyn. Man schaft sich Feuer auf Unkosten der Wahrheit und des Wohlstandes. Das allerabgeschmackteste Ding ist eine frostige Burleske. In den ernsthaften Gattungen macht es die Wahl der Zwischenfälle schwer, beständig feurig zu bleiben.


71 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ob nun gleich Bewegung und Leben nach den verschiedenen Gattungen, in welchen man arbeitet, verschieden ist, so gehet die Handlung doch darum immer fort. Sie muß nicht einmal in den Zwischenaufzügen stehen bleiben. Sie ist ein Bruchstück, das sich von dem Gipfel eines Felsen losreisset: je weiter es fällt, desto geschwinder fällt es, und die Hindernisse, auf die es von Zeit zu Zeit aufschlägt, vermehren seine Gewalt.


72 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Idee des Aristoteles schickt sich zu allendramatischenGattungen; und auf folgende Weise habe Ich mir sie zu Nutze gemacht.


73 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das ist unwidersprechlich. Man hat dieDichtkunst mit der Mahlerey verglichen, und man hat sehr wohl gethan; aber eine noch weit nützlichere und an Wahrheiten fruchtbarere Vergleichung, würde die Vergleichung der Geschichte mit der Dichtkunst gewesen seyn. Auf diese Weise würde man sich richtige Begriffe von dem Wahren, dem Wahrscheinlichen und dem Möglichen gemacht, und den Begriff von dem Wunderbaren festgesetzt haben, als das allen Gattungen der Dichtkunst gemein ist, und das nur wenige Dichter wohl zu erklären im Stande sind.


74 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Nicht aus allen historischen Begebenheiten lassen sich Tragödien machen; auch können nicht alle häusliche Vorfälle Stoffe zu Komödien abgeben. Die Alten schränkten die tragische Gattung auf die Familien des Alkmäons, des Oedipus, des Orest, des Meleagers, des Telephus, und des Herkules ein.


75 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Hieraus läßt sich schliessen, daß der Roman, aus welchem man ein gutes Drama machen kann, darum nicht schlecht ist; daß es aber kein gutes Drama giebt, aus welchem man einen vortrefflichen Roman machen könnte. Die Regeln sind es, durch die sich diese zweyGattungen der Poesie unterscheiden.