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46 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Allein wie soll man den Plan machen? Es findet sich in der Dichtkunst des Aristoteles hierüber eine sehr schöne Idee. Sie ist mir nützlich gewesen; sie kann auch andern nützlich seyn, und sie ist folgende.


47 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Unter den unzehlichen Schriftstellern von der Dichtkunst, sind vornehmlich dreye berühmt:Aristoteles, Horaz und Boileau.Aristoteles ist ein Philosoph, der methodisch verfährt, allgemeine Regeln festsetzt, und Folgerungen daraus ziehen und Anwendungen davon machen läßt. Horaz ist ein Mann vonGenie, der sich der Unordnung recht zu befleißigen scheinet, und mit den Dichtern als Dichter spricht. Boileau ist ein Meister der seinen Schülern, zugleich mit der Vorschrift, das Exempel zu geben sucht.


48 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Ein Plan ist eine wunderbare Geschichte, die nach den Regeln der dramatischenDichtkunst vertheilt ist; eine Geschichte, die der tragische Dichter zum Theil, und der komische Dichter ganz und gar erfindet.

49 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das ist unwidersprechlich. Man hat dieDichtkunst mit der Mahlerey verglichen, und man hat sehr wohl gethan; aber eine noch weit nützlichere und an Wahrheiten fruchtbarere Vergleichung, würde die Vergleichung der Geschichte mit der Dichtkunst gewesen seyn. Auf diese Weise würde man sich richtige Begriffe von dem Wahren, dem Wahrscheinlichen und dem Möglichen gemacht, und den Begriff von dem Wunderbaren festgesetzt haben, als das allen Gattungen der Dichtkunst gemein ist, und das nur wenige Dichter wohl zu erklären im Stande sind.


50 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Das ist unwidersprechlich. Man hat dieDichtkunst mit der Mahlerey verglichen, und man hat sehr wohl gethan; aber eine noch weit nützlichere und an Wahrheiten fruchtbarere Vergleichung, würde die Vergleichung der Geschichte mit der Dichtkunst gewesen seyn. Auf diese Weise würde man sich richtige Begriffe von dem Wahren, dem Wahrscheinlichen und dem Möglichen gemacht, und den Begriff von dem Wunderbaren festgesetzt haben, als das allen Gattungen der Dichtkunst gemein ist, und das nur wenige Dichter wohl zu erklären im Stande sind.


51 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Er begnügt sich auch wirklich manchmal damit; besonders der tragische Dichter. Dem komischen Dichter hingegen ist die Voraussetzung sich zu gleicher Zeit eräugnender Vorfälle, nicht so wohl erlaubt.


52 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Hieraus sieht man, daß eine Tragödie in Prosa eben so wohl ein Gedicht ist, als eineTragödie in Versen; daß es mit der Komödie und mit dem Roman gleiche Bewandtniß hat; daß aber die Absicht der Dichtkunst weit allgemeiner ist, als die Absicht der Geschichte. Man lieset in der Geschichte, was ein Mann von dem Charakter Heinrichs des vierten, gethan und gelitten hat. Wie viel Umstände aber sind möglich, in welchen er auf eine seinemCharakter gemässe und weit wunderbarere Art hätte handeln können, als uns die Geschichte meldet; und diese wunderbarere Art eben ist es, welche die Poesie erdichtet.


53 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Welches aber ist der Augenblick, da er sein Gedächtniß zu üben aufhört, und seine Einbildungskraft zu brauchen anfängt? Dieses erfolgt alsdenn, wenn man ihn von Frage zu Frage, sich Bilder zu machen, das ist, von den abgezogenen und allgemeinen Tönen, auf weniger abgezogene und allgemeine Töne zu kommen zwingt, bis er endlich auf eine sinnlicheVorstellung gelangt, welche das letzte Ziel und der Ruhepunkt seines Verstandes ist. Und was wird er alsdenn? Mahler oder Dichter.


54 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Allein der Dichter darf sich nicht der ganzen Hitze seiner Einbildungskraft überlassen; es sind ihm gewisse Grenzen vorgeschrieben. Sein Muster sind die seltnen Fälle, die sich in dem Lauffe der Natur eräugnen. Und folgendes ist seine Regel.


55 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Aber dem sey wie ihm wolle; gnug, ich machte aus diesem Theile eines Possenspiels in drey Aufzügen, das Lustspiel der natürliche Sohn in fünf Aufzügen; und weil ich gar nicht gesonnen war, mein Stück auf dasTheater zu bringen, so fügte ich einige Gedanken über die Dichtkunst, die Musik, die Declamation und die Pantomime bey, und machte aus allem zusammen eine Art vonRoman, den ich den natürlichen Sohn oder die Probe der Tugend, nebst der wahren Geschichte des Stücks, nennte.


56 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wie würde es ohne die Voraussetzung, daß sich die Begebenheit des natürlichen Sohnes wirklich zugetragen habe, mit der Illusion dieses Romans, und mit allen den Anmerkun gen, die ich in den Unterredungen, über den Unterschied zwischen einem wahren und erdichteten Facto, zwischen wirklichen und erdichteten Personen, zwischen in der That gehaltenen und nur in den Mund gelegten Reden, eingestreuet habe; kurz, mit der ganzen Dichtkunst stehen, wo die Wahrheit mit der Erdichtung in eine beständige Parallel gesetzt wird?


57 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Der Dichter bewerkstelliget durch sein Geheimniß eine kurze Ueberraschung; und in welche anhaltende Unruhe hätte er uns stürzen können, wenn er uns kein Geheimniß daraus gemacht hätte!


58 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Die Deutlichkeit will, man soll alles sagen. Die Dichtungsart will, man soll fort eilen. Wie aber kann man alles sagen und doch forteilen?


59 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Wenn man glaubt, daß ein Drama ohne contrastierte Personen, darum leichter ist, so betriegt man sich. Wenn der Dichter seine Rollen nur durch ihre Verschiedenheit kann geltend machen: so wird er sie desto stärker zeichnen, desto kräftiger colerieren müssen; so wird er, um nicht eben so frostig zu seyn, als ein Mahler, der weisse Gegenstände auf einen weissen Grund leget, seine Augen beständig auf die Verschiedenheit der Stände, des Alters, der Situationen und des Interesse haben müssen; so wird er, anstatt in der Nothwendigkeit zu seyn, den einen Charakter zu schwächen, um dem andern desto mehr Stärke zu geben, sich bemühen müssen, sie alle stark und kräftig zu machen.


60 - Von der dramatischen Dichtkunst /

Man lese aber auch die Lehrbücher der Dichtkunst, und man wird kein Wort von diesen Contrasten finden. Ich glaube also, es ist mit dieser Regel gegangen, wie mit vielen andern; man hat sie dem Werke eines Genies zu Folge gemacht, wo der Contrast eine grosse Wirkung gehabt hat, und sogleich hat man geschlossen: Hier ist der Contrast gut, folglich kann ohne Contrast nichts gut seyn. Das ist der meisten ihre Logik, die sich unterstanden haben, einer Kunst Schranken zu setzen, in der sie sich niemals geübt hatten. Das ist aller unerfahrnenKunstrichter ihre Logik, die uns nach diesen Autoritäten beurtheilen.