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61 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Von der Feuchtigkeit ist es schwer zu bestimmen, welche Gattung des Genies aus ihr entstehe, weil sie sogar sehr den vernünftigen Vermögenheiten widerstrebet. Nach der Meynung wenigstens des Galenus, machen alle Feuchtigkeiten unsers Körpers, wenn sie allzufliessend sind, den Menschen dumm und unverständig. Το μεν ὀjυ, spricht er, *) και συνετον ἐν τῃ ψυχῃ δια τον χολωδη χυμον ἐϛαι. Το δ' ἑδραιον και βεβαιον δια τον μελαγχο-λικον. Το δ' ἁπλουν και ἠλιθιωτερον δια το ἁιμα. Του δε φλεγματος ἡ φυσις εἰς μεν ἠθοποιϊαν ἀχρηϛος. Die Klugheit, will er sagen, und die Stärke des Geistes, entstehen von der Galle; die Beständigkeit des Menschen entspringt aus der melancholischen Feuchtigkeit; die Dummheit und Einfalt aus dem Blute; das Phlegma aber kann die See

*) Υπομνη. α. εἰς το περι Φυσεως ἀνθρωπου του Ιπποκρατους.

le zu nichts brauchen, als zum Schlafen. Das Blut also, weil es flüssig ist, und das Phlegma machen, daß die Seele ihre vernünftigen Vermögenheiten und ihr Genie verliert; doch ist dieses nur von den thätigen, und nicht von den leidenden vernünftigen Vermögenheiten zu verstehen, wie zum Beyspiel das Gedächtniß ist, welches von der Feuchtigkeit abhänget, so wie der Verstand von der Trockenheit. Wir nennen aber das Gedächtniß deswegen eine vernünftige Vermögenheit, weil ohne dasselbe der Verstand und die Einbildungskraft ohne allen Nutzen ist. *) Beyden muß es den Stoff zum Schliessen und die Bilder hergeben; daher Aristoteles sagt: ὁταν δε θεωρῃ, ἀναγκη ἁμα φαντασμα τι θεωρειν. Diese Bilder muß das Gedächtniß beständig in Bereitschaft halten, so oft sie der Verstand betrachten will. Wenn also das Gedächtniß verloren geht, so ist es unmöglich, daß die übrigen Vermögenheiten wirken können. Daß aber seine ganze Verrichtung in weiter nichts besteht, als in Behaltung dieser Bilder, ohne daß sie eigene Erfindungen hat, dieses drückt Galenus**) folgender Gestalt aus: την μνημην ἀποτι-

*) Wenn Cicero daher das Genie erkläret, so rückt er in die Erklärung das Gedächtniß mit hinein: docilitas et memoria, quae fe- re appellatur uno ingenii nomine. De fi- nib. bon. et mal. lib. 1.

**) εἰς το κατ' ἰητρειον του Ιπποκρατους.

θεσϑαι τε και φυλαττειν ἐν ἀυτῃ γνωσϑεν-τα δἰ αἰσϑησεως και νου, ταμειον τι των εἰρημενων ἀτοις οὐσα, οὐκ ἀυτην ἑυρισκουσαν ἑκαϛου πραγματος φυσιν. Seine Verrichtung erhellet auch daraus, daß es von der Feuchtigkeit abhänget, weil diese das Gehirn weich macht, und die Bilder sich ihm, vermittelst des Eindrucks, einverleiben. Dieses zu beweisen, kann man keinen stärkern Beweis, als die Kindheit anführen, als in welchem Alter man mehr in das Gedächtniß faßt, als in allen übrigen, weil das Gehirn zu der Zeit am feuchtesten ist. Auch Aristoteles legt *) die Frage vor: δια τι πρεσβυτεροι μεν γινομενοι μαλλον νουν ἐχο-μεν, νεωτεροι δε ὀντες, θαττον μανθανο-μεν; das ist: warum wir im Alter mehr Verstand haben, und in der Jugend leichter lernen? Er antwortet hierauf: weil das Gedächtniß alter Leute von allen den Sachen, die sie Zeit ihres Lebens gesehen und gehört haben, schon so erfüllt sey, daß es nichts mehr fassen könne, was sie auch noch hereinbringen wollten, indem kein leerer Platz in dem Gehirne zu finden wäre; bey jungen Leuten aber, die seit noch nicht langer Zeit gebohren worden, sey das Gedächtniß noch ganz unbesetzt, und können also alles, was man sie lehre, ganz leichte fassen. Dieses noch deutlicher zu machen, vergleiche ich das Morgengedächtniß mit dem Abendgedächtnisse, und sage, daß man des Morgens weit besser lerne, weil

*) προβλ. τμημ. λ.

das Gedächtniß noch leer sey, daß man aber des Abends sehr schwer lerne, weil das Gedächtniß mit allem angefüllet sey, was uns den Tag über begegnet ist. Doch die Antwort des Aristoteles auf diese Aufgabe ist nichts weniger als richtig. Wenn die Bilder in dem Gedächtnisse körperlich und also einen Platz einnähmen, so möchte sie ganz gut seyn; da diese Bilder aber unkörperlich und geistig sind, so können sie den Ort, wo sie sind, weder voll noch leer machen. Und sehen wir nicht aus der Erfahrung, daß das Gedächtniß von Tag zu Tag stärker, und desto fähiger wird, je mehr man es angreift? Aus meinen Grundsätzen folgt eine weit klärere Auflösung dieses Problems, diese nämlich: die Alten haben viel Verstand, weil sie viel Trockenheit haben, und haben wenig Gedächtniß, weil sie wenig Feuchtigkeit haben. Die Substanz ihres Gehirns wird also hart, und kann den Eindruck der Bilder nicht annehmen; so wie das harte Wachs den Abdruck des Siegels sehr schwer, das weiche aber sehr leicht annimmt. Das Gegentheil ereignet sich an iungen Leuten, welche wegen der vielen Feuchtigkeit ihres Gehirns die verständigsten nicht sind, wegen seiner grossen Weiche aber ein weit stärkeres Gedächtniß haben; weil die Bilder, welche von aussen in das Gehirn kommen, in dasselbe, vermöge seiner Feuchtigkeit, einen weit grössern, leichtern, tiefern und deutlichern Eindruck machen können. Daß das Gedächtniß des Morgens weit fähiger sey, als des Abends, kann man nicht leugnen; nur trift Aristoteles die rechte Ursache nicht, welche diese ist: der Schlaf der vergangenen Nacht hat das GehirnGehien befeuchtet und gestärkt, da es das Wachen den ganzen Tag über austrocknet und harte macht. Daher sagt Hippokrates*): ὀκοσοισι δε πινειν ὀρεjιες νυκτωρ τοισι πλην διψωσιν, ἠν ἐπικοιμη-θωσιν, αγαθον; das ist: diejenigen, welche des Nachts grossen Durst empfinden, verlieren ihn durch das Schlafen, weil der Schlaf das Fleisch befeuchtet, und alle Kräfte, durch die der Mensch regieret wird, stärket. Daß aber der Schlaf diese Wirkung habe, bekennet Aristoteles selbst. **)


62 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Von der Feuchtigkeit ist es schwer zu bestimmen, welche Gattung des Genies aus ihr entstehe, weil sie sogar sehr den vernünftigen Vermögenheiten widerstrebet. Nach der Meynung wenigstens des Galenus, machen alle Feuchtigkeiten unsers Körpers, wenn sie allzufliessend sind, den Menschen dumm und unverständig. Το μεν ὀjυ, spricht er, *) και συνετον ἐν τῃ ψυχῃ δια τον χολωδη χυμον ἐϛαι. Το δ' ἑδραιον και βεβαιον δια τον μελαγχο-λικον. Το δ' ἁπλουν και ἠλιθιωτερον δια το ἁιμα. Του δε φλεγματος ἡ φυσις εἰς μεν ἠθοποιϊαν ἀχρηϛος. Die Klugheit, will er sagen, und die Stärke des Geistes, entstehen von der Galle; die Beständigkeit des Menschen entspringt aus der melancholischen Feuchtigkeit; die Dummheit und Einfalt aus dem Blute; das Phlegma aber kann die See

*) Υπομνη. α. εἰς το περι Φυσεως ἀνθρωπου του Ιπποκρατους.

le zu nichts brauchen, als zum Schlafen. Das Blut also, weil es flüssig ist, und das Phlegma machen, daß die Seele ihre vernünftigen Vermögenheiten und ihr Genie verliert; doch ist dieses nur von den thätigen, und nicht von den leidenden vernünftigen Vermögenheiten zu verstehen, wie zum Beyspiel das Gedächtniß ist, welches von der Feuchtigkeit abhänget, so wie der Verstand von der Trockenheit. Wir nennen aber das Gedächtniß deswegen eine vernünftige Vermögenheit, weil ohne dasselbe der Verstand und die Einbildungskraft ohne allen Nutzen ist. *) Beyden muß es den Stoff zum Schliessen und die Bilder hergeben; daher Aristoteles sagt: ὁταν δε θεωρῃ, ἀναγκη ἁμα φαντασμα τι θεωρειν. Diese Bilder muß das Gedächtniß beständig in Bereitschaft halten, so oft sie der Verstand betrachten will. Wenn also das Gedächtniß verloren geht, so ist es unmöglich, daß die übrigen Vermögenheiten wirken können. Daß aber seine ganze Verrichtung in weiter nichts besteht, als in Behaltung dieser Bilder, ohne daß sie eigene Erfindungen hat, dieses drückt Galenus**) folgender Gestalt aus: την μνημην ἀποτι-

*) Wenn Cicero daher das Genie erkläret, so rückt er in die Erklärung das Gedächtniß mit hinein: docilitas et memoria, quae fe- re appellatur uno ingenii nomine. De fi- nib. bon. et mal. lib. 1.

**) εἰς το κατ' ἰητρειον του Ιπποκρατους.

θεσϑαι τε και φυλαττειν ἐν ἀυτῃ γνωσϑεν-τα δἰ αἰσϑησεως και νου, ταμειον τι των εἰρημενων ἀτοις οὐσα, οὐκ ἀυτην ἑυρισκουσαν ἑκαϛου πραγματος φυσιν. Seine Verrichtung erhellet auch daraus, daß es von der Feuchtigkeit abhänget, weil diese das Gehirn weich macht, und die Bilder sich ihm, vermittelst des Eindrucks, einverleiben. Dieses zu beweisen, kann man keinen stärkern Beweis, als die Kindheit anführen, als in welchem Alter man mehr in das Gedächtniß faßt, als in allen übrigen, weil das Gehirn zu der Zeit am feuchtesten ist. Auch Aristoteles legt *) die Frage vor: δια τι πρεσβυτεροι μεν γινομενοι μαλλον νουν ἐχο-μεν, νεωτεροι δε ὀντες, θαττον μανθανο-μεν; das ist: warum wir im Alter mehr Verstand haben, und in der Jugend leichter lernen? Er antwortet hierauf: weil das Gedächtniß alter Leute von allen den Sachen, die sie Zeit ihres Lebens gesehen und gehört haben, schon so erfüllt sey, daß es nichts mehr fassen könne, was sie auch noch hereinbringen wollten, indem kein leerer Platz in dem Gehirne zu finden wäre; bey jungen Leuten aber, die seit noch nicht langer Zeit gebohren worden, sey das Gedächtniß noch ganz unbesetzt, und können also alles, was man sie lehre, ganz leichte fassen. Dieses noch deutlicher zu machen, vergleiche ich das Morgengedächtniß mit dem Abendgedächtnisse, und sage, daß man des Morgens weit besser lerne, weil

*) προβλ. τμημ. λ.

das Gedächtniß noch leer sey, daß man aber des Abends sehr schwer lerne, weil das Gedächtniß mit allem angefüllet sey, was uns den Tag über begegnet ist. Doch die Antwort des Aristoteles auf diese Aufgabe ist nichts weniger als richtig. Wenn die Bilder in dem Gedächtnisse körperlich und also einen Platz einnähmen, so möchte sie ganz gut seyn; da diese Bilder aber unkörperlich und geistig sind, so können sie den Ort, wo sie sind, weder voll noch leer machen. Und sehen wir nicht aus der Erfahrung, daß das Gedächtniß von Tag zu Tag stärker, und desto fähiger wird, je mehr man es angreift? Aus meinen Grundsätzen folgt eine weit klärere Auflösung dieses Problems, diese nämlich: die Alten haben viel Verstand, weil sie viel Trockenheit haben, und haben wenig Gedächtniß, weil sie wenig Feuchtigkeit haben. Die Substanz ihres Gehirns wird also hart, und kann den Eindruck der Bilder nicht annehmen; so wie das harte Wachs den Abdruck des Siegels sehr schwer, das weiche aber sehr leicht annimmt. Das Gegentheil ereignet sich an iungen Leuten, welche wegen der vielen Feuchtigkeit ihres Gehirns die verständigsten nicht sind, wegen seiner grossen Weiche aber ein weit stärkeres Gedächtniß haben; weil die Bilder, welche von aussen in das Gehirn kommen, in dasselbe, vermöge seiner Feuchtigkeit, einen weit grössern, leichtern, tiefern und deutlichern Eindruck machen können. Daß das Gedächtniß des Morgens weit fähiger sey, als des Abends, kann man nicht leugnen; nur trift Aristoteles die rechte Ursache nicht, welche diese ist: der Schlaf der vergangenen Nacht hat das GehirnGehien befeuchtet und gestärkt, da es das Wachen den ganzen Tag über austrocknet und harte macht. Daher sagt Hippokrates*): ὀκοσοισι δε πινειν ὀρεjιες νυκτωρ τοισι πλην διψωσιν, ἠν ἐπικοιμη-θωσιν, αγαθον; das ist: diejenigen, welche des Nachts grossen Durst empfinden, verlieren ihn durch das Schlafen, weil der Schlaf das Fleisch befeuchtet, und alle Kräfte, durch die der Mensch regieret wird, stärket. Daß aber der Schlaf diese Wirkung habe, bekennet Aristoteles selbst. **)


63 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Ferner haben wir in dem vorhergehenden Hauptstücke, nach der Meynung des Galenus, behauptet, daß das Gedächtniß keine andere Verrichtung in dem Gehirne habe, als die Bilder und die Eindrücke der Dinge zu bewahren, nicht anders, als wie die Kiste das Kleid, oder was man sonst hineingelegt hat, bewahret. Wenn wir aus dieser Vergleichung das ganze Amt dieser Vermögenheit begreifen sollen, so müssen wir noch eine andere vernünftige Kraft annehmen, welche die Bilder des Gedächtnisses hervorzieht, und sie dem Verstande darstellt; eben wie bey der Kiste auch einer seyn muß, der sie öfne, und das, was darinnen verschlossen war, herausnehme.


64 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Nachfolger des Aristoteles, weil sie es aus der Erfahrung erkannten, daß immer ein Mensch besser schliesse, als der andere, sind auf folgende scheinbare Ausflüchte gefallen. Diese Verschiedenheit, sagen sie, kömmt nicht daher, weil der Verstand eine organische Vermögenheit ist, welche in einem eine bessere Verfassung hat, als in dem andern; sondern daher, weil der menschliche Verstand, so lange die vernünftige Seele in dem Körper ist, die Bilder und Phantasien der Einbildungskraft und des Gedächtnisses nöthig hat. Wenn also der Verstand falsch denkt und schließt, so denkt und schließt er nicht aus eigner Schuld, oder deswegen falsch, weil er mit einer übel organisirtenMaterie verbunden ist, sondern deswegen, weil ihm jene Bilder und Phantasien fehlen. Doch diese Antwort ist wider die eigene Lehre des Aristoteles, welcher ausdrücklich behauptet, *) je ungeschickter das Gedächtniß sey, desto stärker sey der Verstand, und je fähiger der Verstand sey, desto unfähiger sey das Gedächtniß. Ein gleiches haben wir in dem Vorhergehenden von der Einbildungskraft bewiesen. Zur Bekräftigung dieser Meynung wirft Aristoteles**) noch die Frage auf: woher es komme, daß im Alter das Gedächtniß so schwach, und der Verstand so stark sey, und warum sich in der Jugend das Gegentheil ereigne, da das Gedächtniß nämlich sehr stark, und der Verstand sehr schwach ist? Auch die Erfahrung, wie Galenus sehr wohl an

*) περι μνημης και ἀναμνησεως.

**) προβλ. τμημ. λ.

merkt, ist für diesen Satz: denn, wenn das Temperament und die gute Beschaffenheit des Gehirns in einer Krankheit verändert wird, so verlieren sich sehr oft die Wirkungen des Verstandes; die Wirkungen des Gedächtnisses und der Einbildungskraft aber bleiben, wie sie waren. Dieses nun könnte nimmermehr geschehen, wenn der Verstand nicht sein bestimmtes Werkzeug, das von den Werkzeugen der andern Vermögenheiten unterschieden wäre, hätte. Jch weiß nicht, was man hierauf antworten kann; man müßte denn mit einer metaphysischen Unterscheidung, mit einem actualiter und potentialiter, das ist, mit Wörtern antworten, die weder die, welche sie brauchen, noch sonst jemand auf der Welt verstehet. Nichts verhindert das Wachsthum der menschlichenWeisheit mehr, als wenn man die Wissenschaften mit einander vermenget; wenn man das, was in die Naturlehre gehört, in der Metaphysik, und das, was in die Metaphysik gehört, in der Naturlehre abhandeln will.


65 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Gründe, auf die sich Aristoteles stützet, sind von keiner besondern Wichtigkeit; weil es gar nicht folgt, daß der Verstand deswegen, weil er die körperlichen Sachen erkennen muß, mit keinem körperlichen Werkzeuge verbunden seyn könne: denn die körperlichen Beschaffenheiten, aus welchen das Werkzeug bestehet, verändern seine Vermögenheiten nicht, und bringen auch keine Bilder hervor, sondern das, was Aristoteles von den äusserlichen Sinnen sagt, gilt auch hier: ἐπιτιθεμενων γαρ ἐπι το ἀισθητη-ριον, οὐκ αἰσϑανεται. *) Dieses sieht man deutlich an dem Gefühle. Ob es gleich aus den vier körperlichen Beschaffenheiten zusammengesetzt, und entweder weich oder hart ist, so erkennet die Hand dennoch, ob etwas kalt oder warm, hart oder weich, groß oder klein ist. Fragt man nun, warum die natürliche Wärme in der Hand das Gefühl nicht verhindere, die Wärme, welche z. E. in einem Steine ist, zu empfinden: so antworte ich: weil die Beschaffenheiten, die das Werkzeug vermöge seiner Zusammensetzung hat, das Werkzeug selbst nicht ändern, und auch keine Bilder, wodurch sie könnten empfunden werden, hervorbringen. Gleichfalls ist es die Verrichtung des Auges, daß es die Gestalten und Grössen der ausser ihm befindlichen Dinge erkennet. Sehen wird denn aber nicht, daß das Auge selbst seine Gestalt und Grösse hat, und daß die Flüssigkeiten und Häute, aus welchen es bestehet, theils farbicht, theils durchsichtig, theils von sonst einer Beschaffenheit sind? Gleichwohl verhindert dieses nicht, durch das Auge die

*) Empedokles behauptete, die Vermögenheiten müßten von eben der Natur seyn, als ihre Gegenstände wären, wenn diese ihnen empfindlich seyn sollten. Er sagte daher: Γαιῃ μεν γαρ γαιαν ἐπωπαμεν, ὑδατι δ' ὐδορ,Αἰθερι δ' αἰθερα δια, ἀταρ πυρι πυρ ἀϊδη-λον. Galenus billiget diese Meynung περι των καθ' Ιπποκρ. και Πλατ. δογματων βιβλ. z.

Gestalten und Grössen aller Sachen, die uns vorkommen, zu erkennen; weil die Flüssigkeiten und Häute, die Gestalt und Grösse des Auges, die Vermögenheit, zu sehen, nicht verändern, noch den Verstand an der Empfindung der äusserlich befindlichen Gestalten verhindern können. Eben dieses muß man von dem Verstande sagen, daß er nämlich sein eigenes Werkzeug, ob es gleich körperlich und mit ihn verbunden ist, nicht empfinden kann, weil keine Bilder aus demselben entstehen, die auf ihn wirken können: denn ἐπιτιθεμενων ἐπι τον νουν οὐ νοειται. Er kann also alles, was ausser ihm ist, empfinden, ohne, daß ihn etwas daran verhindert. Der zweyte Grund, worauf sich Aristoteles stützet, ist noch schwächer, als der vorhergehende; weil weder der Verstand, noch sonst ein ander Accidens ποιον wird, indem es an und für sich selbst keiner Beschaffenheit fähig seyn kann. Daraus also, daß der Verstand das Gehirn, nebst der Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten zu seinen Werkzeugen hat, folgt es noch gar nicht, daß er ποιος seyn müsse; weil nicht der Verstand, sondern das Gehirn der Wärme und Kälte, der Feuchtigkeit und Trockenheit unterworfen ist. Auf das dritte endlich, worauf sich die Peripatetiker stützen, daß nämlich, wenn man den Verstand zu einer organischen Fähigkeit mache, ein Grundsatz verlohren gehe, aus welchem man die Unsterblichkeit der Seele herleiten könne, antworten wir, daß man zu dieser Absicht schon andere und weit stärkere Beweise habe, die wir in dem folgenden Hauptstücke abhandeln werden.


66 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jch komme auf den fünften Einwurf, auf welchen ich folgendes antworte. Es giebt eine doppelte Feuchtigkeit in dem Gehirn: die eine entsteht von der Luft, wenn diese nämlich in der Mischung das die andern übersteigende Element ist; die andere von dem Wasser, mit welchem zugleich die übrigen vermengt sind. Wenn es die erste Art der Feuchtigkeit ist, welche das Gehirn weich macht, so wird das Gedächtniß sehr gut seyn; es wird die Bilder leicht annehmen, und ihren Eindruck auch lange behalten: denn die Feuchtigkeit der Luft ist ölicht und voller Fett, daß sich also die Bilder darinnen recht feste setzen können. Wir sehen ein gleiches nicht nur an den Gemählden, die mit Oel überstrichen sind, und die weder in der Sonne noch im Wasser den geringsten Schaden leiden, sondern auch an jeder Schrift, die man nur mit Oel überziehen darf, wenn sie unauslöschlich bleiben soll, oder wenn man ihr, nachdem sie schon blaß und unleserlich geworden ist, Deutlichkeit und Glanz wieder ertheilen will. Wenn aber die Weiche des Gehirns aus der zweyten Art der Feuchtigkeit entstehet, so hat der Einwurf seine gute Richtigkeit; das Gedächtniß nimmt die Bilder sehr geschwind an, und läßt mit eben der Geschwindigkeit die Eindrücke derselben wieder vergehn. Diese zwey Arten der Feuchtigkeit erkennt man auch aus den Haaren; die erste macht sie klebricht, voller Oel und Fett, die andre aber macht sie fein und weich.


67 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Was der Verfasser von den Bildern im Gehirne mit so vieler Zuversicht sagt, ohne sich um den Beweis seiner Meynung sehr zu bekümmern, verdient wohl keine Widerlegung. E.


68 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die letzte Frage endlich habe ich müssen beyfügen, weil sie vielen Schwierigkeit gemacht hat, ob sie gleich an sich selber sehr leicht aufzulösen ist, und zwar auf folgende Art. Diejenigen, welche einen grossen Verstand haben, sind deswegen nicht ganz und gar des Gedächtnisses beraubt, weil sie bey dem gänzlichen Mangel desselben unmöglich überlegen und schliessen könnten, da es eben diejenige Fähigkeit ist, welche die Materie und die Bilder enthalten muß, worüber der Verstand seine Betrachtungen anstellt. Weil aber ihr Gedächtniß sehr schwach ist, so können sie von den drey Graden der Vollkom menheit, in welcher man die lateinische Sprache erlernen kann, (nämlich so, daß man sie entweder verstehen, oder schreiben, oder gar sprechen lernt,) nur den ersten Grad, und zwar auch diesen noch mit vieler Mühe und Noth erreichen.


69 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Eine von den Gaben, woraus der Pöbel dieWeisheit und Klugheit eines Menschen am liebsten zu schliessen pflegt, ist eine grosse Beredsamkeit, wenn er ihn nämlich mit Anmuth einen Strom süsser und zierlicher Worte hervorstossen, und viele Gleichnisse und Beyspiele, die sich zu seinem Zwecke schicken, vorbringen hört. *) Allein in der That entsteht diese Fähigkeit aus der Verbindung des Gedächtnisses und der Einbildungskraft, die aber nur den mittelsten Grad der Wärme haben muß, damit sie die Feuchtigkeit des Gehirns nicht zu vertrocknen, wohl aber die Bilder gleichsam zu reizen, und aufsiedend

*) Cicero sagt, daß es dem Menschen eine Ehre sey, Witz zu haben, und dem Witze, zur Beredsamkeit geschickt zu seyn. De claris Oratoribus.

zu machen vermögend sey, als wodurch viel Begriffe in dem Kopfe entstehen, und der Redner immer etwas zu sagen findet. Bey dieser Verbindung kann unmöglich sich auch ein grosser Verstand befinden; weil wir schon oben gewiesen haben, daß diese Fähigkeit die Wärme sehr verabscheuet, die Feuchtigkeit aber durchaus nicht leiden kann. †) Wenn die Athenienser diese Lehre eingesehen hätten, so würden sie sich nicht so sehr gewundert haben, daß ein so verständiger Mann, als Sokrates war, nicht wohl reden konnte. Diejenigen, die seine Weisheit einsahen, sagten von ihm, seine Worte und Sprüche wären gleich einem Behältnisse von schlechtem Holze, welches von aussen weder behobelt noch angestrichen sey; mache man aber dieses Behältniß auf, so fände man die schönsten Bilder und wunderbarsten Malereyen darinnen. Jn eben dieser Unwissenheit sind diejenigen gewesen, welche die Ursache von der Dunkelheit und schlechten Schreibart des Aristoteles haben angeben wollen; sie sagten nämlich: dieser Weltweise habe mit Fleiß eine so verworrene Sprache geredet, und alle Zierlichkeiten in Wort und Ausdruck mit Fleiß vermieden, damit er seinen Worten ein gewisses Ansehen geben möchte. Wenn man ferner das Verfahren des Plato,

†) Demosthenes und Cicero müssen also in des Verfassers Augen Männer von sehr geringem Verstande gewesen seyn. E.

seine harte und kurze Schreibart, die Dunkelheit seiner Gründe, die schlechte Zusammenfügung der Theile der Rede betrachtet; so wird man finden, daß man unmöglich eine andere Ursache davon angeben könne. *)


70 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das andere, was bey einem vollkommenen Redner durchaus seyn muß, ist, daß er an Erfindung reich sey, und sehr viel gelesen habe:

*) Sogar die Erwählung eines Hauptsatzes aus verschiedenen Hauptsätzen, die man alle erwählen könnte, gehöret der Einbildungskraft zu.

denn wenn er einen jeden Hauptsatz, der ihm vorkömmt, mit vielen Gründen und Aussprüchen, die sich alle darzu schicken, soll erweitern und beweisen können; so muß er nothwendig eine geschwinde Einbildungskraft haben, die ihm, wie ein Spürhund, alles aufsuche und zubringe, was er etwa brauchen könne; die sogar im Falle der Noth, wenn er nichts mehr zu sagen hat, etwas erfinde, ob es gleich niemals wirklich gewesen ist. Oben aber haben wir gesagt, daß die Wärme das Werkzeug sey, dessen sich die Einbildungskraft bediene; weil die Wärme die Bilder erwecke und gleichsam aufsiedend mache. Hierdurch nun wird alles deutlich gemacht, was in dem Gehirne eingedrückt zu sehen ist; und, wenn nichts mehr darinnen zu sehen ist, so hat die Einbildungskraft Stärke genug, nicht allein ein mögliches Bild mit dem andern zusammen zu setzen, sondern sogar, nach der Ordnung der Natur, unmögliche Bilder zu verbinden, und auf diese Art güldne Berge und geflügelte Ochsen hervorzubringen.


71 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Hieraus also ist der Schluß zu ziehen, daß diejenigen, bey welchen die schwarze verbrannte Galle herrscht, einen grossen Verstand mit viel Einbildungskraft verbinden; hingegen aber haben sie alle am Gedächtnisse Mangel, weil die verbrannte Galle alles in dem Gehirne austrocknet und dürre macht. Diese nun schicken sich am besten zum Predigen, und sind wenigstens nach den ganz Vollkommenen, die wir vorhin genannt haben, die besten. Denn ob ihnen gleich das Gedächtniß fehlt, so ist doch die eigene Erfindungskraft, die sie besitzen, so stark, daß ihnen eben diese Erfindungskraft anstatt des Ge dächtnisses und der Erinnerung dienet, indem sie ihnen Bilder und Gedanken, die sie zum Reden nöthig haben, an die Hand giebt, so daß sie sonst nicht des geringsten benöthiget sind. Hierauf können sich diejenigen nicht verlassen, welche ihre Predigt von Wort zu Wort auswendig lernen müssen, weil sie sich, wenn sie einmal aus dem Gleisse kommen, auf keinerley Art wieder zurechte helfen können, indem ihnen alle Materie weiter fortzufahren fehlt.


72 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Dieser Bedeutung nach können die Gottesgelehrten keine Litterati heissen, weil in der heil. Schrift (1. Cor. III.) der Buchstabe tödtet, der Geist aber lebendig macht. Jhr Buchstabe ist geheimnißvoll, voller Figuren und Bilder, dunkel und nicht einem jeden verständlich. Jhre Worte und Redensarten haben ganz andere Bedeutungen, als die gemeinen dreyer Sprachen Kundige damit zu verknüpfen pflegen. Derjenige also, welcher eine grammatikalische Zergliederung darinnen vornehmen, und nur den Sinn daraus ziehen wollte, welchen diese Zergliederung mit sich bringt, würde in nicht wenig Jrrthümer verfallen.


73 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das Gedächtniß, wie wir schon in dem Vorhergehenden bewiesen haben, hat in dem Kopfe keine andere Verrichtung, als die Abdrücke und Bilder der Dinge wohl zu bewahren: der Verstand aber und die Einbildungskraft sind diejenigen Seelenkräfte, welche mit diesen Bildern und Abdrücken wirken. Wenn also ein Rechtsgelehrter seine ganze Wissenschaft in dem Gedächtnisse hat, es fehlt ihm aber an dem Verstande und an der Einbildungskraft; so hat er zu dem Amte eines Richters oder eines Advocaten nicht mehr Geschicklichkeit, als der Codex selbst oder die Digesta darzu haben, welche zwar auch alle Gesetze und Vorschriften des Gesetzes in sich fassen, gleichwohl aber keine Klageschrift oder ein Urtheil abfassen können.


74 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Woher es aber komme, daß die Sinne von ihren Gegenständen so gewiß seyn können, und der Verstand hingegen mit den seinigen sich so leicht irre, wird man ohne Mühe begreifen, wenn man überlegt, daß die Gegenstände der fünfSinne und die Bilder, wodurch sie empfunden werden, ihrer Natur nach, ein gewisses, festes und beständiges Wesen, ehe man sie noch empfindet, haben. Die Wahrheit aber, womit der Verstand umgehet, ist an und für sich selber nichts gewisses, wenn sie der Verstand nicht zu etwas gewissen macht. Sie ist ganz und gar zerstreuet, und ihre Materialien liegen nicht anders untereinander, als die Steine, die Erde, das Holz und die Ziegel eines niedergerissenen Hauses, womit in dem Baue selbst so viel verschiedene Jrrthümer können begangen werden, als verschiedene Menschen sich mit ihrer Einbildungskraft daran machen. Eben dieses ereignet sich an dem Baue, welchen der Verstand durch die Verbindung der Wahrheiten aufführt; wenn sich nicht ein gutes Genie damit beschäftiget, so werden alle andere tausend Fehler begehen, ob sie gleich alle einerley Grundsätze haben. Daher kömmt es, daß unter den Menschen von eben derselben Sache so viel verschiedene Meynungen sind. Jeder ordnet und verbindet die Wahrhei ten auf diejenige Art, die ihm sein Verstand an die Hand giebt.


75 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

An welchen Merkmalen man es erkennen könne, ob der, welcher sich den Gesetzen widmen will, diejenige Beschaffenheit des Verstandes habe, welche diese Facultät nothwendig erfordert; dieses haben wir gewisser Maassen schon in dem Vorhergehenden gesagt. Damit es aber in desto frischerm Gedächtnisse bleibe, und wir uns in den Beweis desto umständlicher einlassen können, so muß man auf folgendes Achtung haben. Derjenige Knabe, welcher, wenn er zum Lesen angehalten wird, die Buchstaben leicht kennen lernt, und ohne

*) βιβλ. α. των μετα τα Φυσικα κεφ. α.

Mühe einen jeden auch ausser der Ordnung des Alphabets bald zu nennen weiß, zeigt von einem starken Gedächtnisse; weil dieses unwidersprechlich weder eine Wirkung des Verstandes, noch der Einbildungskraft seyn kann; es ist vielmehr die Verrichtung des Gedächtnisses, daß es die Bilder der Sachen behalte, und den Namen eines jeden, wenn es erfordert wird, ohne Anstand angeben kann. †) Wenn aber der Knabe ein starkes Gedächtniß hat, so ist dieses starke Gedachtniß, wie wir schon bewiesen haben, ein Zeichen, daß er am Verstande Mangel leide.