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1 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn Wahrheit aber entstehet aus dieser Beschaffenheit keine Verschiedenheit des Genies, und Aristoteles hat eigentlich auch nicht sagen wollen, daß ein kaltes, sondern, daß ein am wenigsten hitziges Geblüte die Ursache eines grössern Verstandes sey. Gleichfalls rühret die Unbeständigkeit eines Menschen nur von der allzugrossen Hitze her, welche die Bilder in dem Gehirne erhebet, und so zu reden zum Aufsieden bringt, so daß sich deren allzuviele dem Geiste darstellen, und ihn, sie zu betrachten, einladen; da er denn, weil er sie alle geniessen will, von einem auf das andre springen muß. Das Gegentheil hiervon äussert sich bey der Kälte, die, weil sie die Bilder unterdrückt, und nicht aufkommen läßt, den Menschen bey einer Meynung feste erhält, indem keine andre aufsteigen, die ihn davon abziehen könnten. Ueberhaupt ist das die Eigenschaft der Kälte, daß sie die Bewegungungen nicht allein der körperlichen Dinge, sondern auch der Bilder und Begriffe, welche dieWeltweisen für etwas geistiges halten, verhindert, und sie in dem Gehirne unbeweglich macht; diese Festigkeit aber ist vielmehr für eine Trägheit, als für eine Verschiedenheit des Genies zu halten. Doch giebt es auch noch eine andre Art der Festigkeit, welche daher entstehet, weil der Verstand allzusehr eingeschlossen ist, nicht aber, weil das Gehirn zuviel Kälte hat. Es bleiben also bloß die Trockenheit, die Feuchtigkeit, und die Wärme, die Werkzeuge der vernünfti gen Vermögenheiten. Welcher Weltweise aber kann denn bey jeder Gattung des Genies dasjenige bestimmen, was eigentlich ihre Verschiedenheit ausmacht? Heraklitus*) sagte: ἀυγη jηρη, ψυχη σοφωτατη, und will uns durch diesen Ausspruch zu verstehen geben, die Trockenheit wäre es, welche den Menschen weise mache; er sagt aber nicht, welche Art der Weisheit er hier verstehe. Eben dieses sagt Plato, wenn er vorgiebt, unsere Seele komme sehr weise in den Körper; durch die viele Feuchtigkeit aber, die sie in demselben fände, würde sie träge und thöricht, bis sich diese mit der Zeit verlöre, und die Trockenheit ihre erste Weisheit wieder entdecke. Unter den unvernünftigen Thieren, sagt Aristoteles, sind diejenigen die klügsten, in deren Temperamente die Kälte und Trockenheit herrschet, dergleichen die Ameisen und Bienen sind, welche an Klugheit mit den allervernünftigsten Menschen um den Rang streiten. Jm Gegentheil ist das Schwein dasjenige Thier, welches die meiste Feuchtigkeit und also den wenigsten Verstand hat; daher auch Pindarus, wenn er die Dummheit der Böotier beschreiben will, sagt: ἠν ὁτε συας βοιωτιον οὐθνος ἐνεπον, **)

*) Galenus führt ihn an in seinem Buche, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Wenn Homer sagen will, daß Ulysses nicht thöricht und unverständig gewesen wäre; so beweiset er es durch die Erdichtung, weil er in kein Schwein sey verwandelt worden.

Sogar das Blut, sagt Galenus, *) macht die Menschen wegen der allzuvielen Feuchtigkeit einfältig. Er erzählt daher, die Komödienschreiber hätten über die Söhne des Hippokrates, als über Leute gespottet, die viel natürliche Wärme hätten, als welches eine sehr feuchte und flüchtige Substanz ist. **) Diesem Fehler sind fast alle Söhne weiser Leute unterworfen, wovon wir weiter unten den Grund angeben wollen. Unter den vier Flüssigkeiten endlich ist die Melancholie die kälteste und trockenste von allen; und gleichwohl versichert Aristoteles, ***) daß alle, die sich jemals in der Welt durch die Gelehrsamkeit hervorgethan hätten, Melancholici gewesen wären. Kurz, alle kommen darinnen überein, daß die Trockenheit den Menschen geschickt mache; keiner aber bestimmt zu welchen Wirkungen der vernünftigen Seele eigentlich die Trockenheit am vortheilhaftesten sey. Der einzige Prophet Jesaias nennt sie mit Namen, wenn er (im 28. Hauptst.) sagt: Anfechtung giebt Verstand; denn die Anfechtung, die Traurigkeit, die Betrübniß verzehret nicht allein die Feuchtigkeit des Gehirns, sondern trocknet auch die Gebeine aus, daß sie also durch die Trockenheit, welche sie verursacht, den Verstand weit schärfer und

*) in seiner Abhandlung, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Οι δε Ιπποκρατους ὑιεις ους ἐπι μωρια σκωπ-τουσιν οἱ κωμικοι δια την ἀμετρον θερμην.

***) προβλ. τμημ. λα.

durchdringender macht. Einen unwidersprechlichen Beweis kann man daraus nehmen, wenn man überlegt, daß oft Leute, so lange sie in Armuth und Verachtung gelebt, die bewundernswürdigsten Lehren gesagt und geschrieben haben; sobald sie aber in bessere Umstände, zum guten Essen und Trinken gekommen sind, haben sie selten was gescheutes mehr reden können, weil das köstliche Leben, die Ruhe, der gute Fortgang, die Erlangung aller Wünsche das Gehirn schlaff und feuchte machen. Dieses ist es, was Hippokrates*) unter dem ἡ ἐυθυμιη ἀφιει καρ-διην verstehet; die Zufriedenheit erweitert das Herz, und giebt ihm Wärme und Fettigkeit. Man kann dieses auch auch ganz leicht auf eine andre Art beweisen: wenn nämlich die Traurigkeit und die Anfechtung das Fleisch austrocknet und verzehret, und also den Verstand des Menschen vermehret, so muß ihr Gegentheil, welches die Freude ist, nothwendig das Gehirn feuchte, und den Verstand schwach machen. **) Diejenigen also, die ein solch Genie bekommen sollen, legen sich sogleich auf Zeitvertreib, wohnen den Schmausereyen, der Musik, und andern lustigenGesellschaften bey, und fliehen im Gegentheil alles, was ihnen vordem Freude und Vergnügen machte. Hieraus mag das gemeine Volk die

*) ἐπιδημιων το ἑπον τμημοα πεμπον.

**) Das Herz der Weisen ist im Klaghause, und das Herz der Narren im Hause der Freuden.Pred. Sal. 7.

Ursache einsehen lernen, woher es komme, daß ein weiser und tugendhafter Mann, der vorher in Armuth und Verachtung gelebt hat, wenn er zu einer grossen Ehrenstelle erhaben wird, sogleich alle seine Gewohnheiten, und sogar seine Art zu denken ändert. Diese Veränderung nämlich entsteht daher, weil er ein ganz anderes, feuchtes und dunstiges Temperament bekommen hat, welches die Bilder, die er vorher im Gedächtnisse hatte, auslöscht, und den Verstand träge macht.