Suchbegriff: lany
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16 - Discours historique sur l'apocalypse /

Lassen Sie uns sehen, was der Balletmeister bey diesem Schauspiele thut, und untersuchen, was man ihm für Arbeit zuschneidet. Man giebt ihm die ausgeschriebene erste Violinstimme zum Repetiren, er schlägt sie auf und liest: Prolog, Passepied für die Spiele und Scherze; Gavotte für die Amouretten und Rigaudon für die angenehmen Traumgötter. Im ersten Akt, March für die Krieger, Grave für dieselben; Müsette für die Priesterinnen. Im zweeten Akt, Loure für das Volk, Tambourin und Rigaudon für die Schäfer. Im dritten Akt, Grave Staccato für die Teufel, Presto für dieselben. Im vierten Akt, Entree der Griechen und Chacconne, die Winde, die Tritonen, die Najaden, die Stunden, die Zeichen des Zodiakus, die Bachanten, die Zephyre, die Gnomen, die unglücklichen Träume nicht mit gezählt, denn wir kämen nicht zu Ende. Da hat nun der Balletmeister seinen völligen Unterricht; nun mag er den prächtigen und sinnreichen Plan ausführen! Was verlangt der Poet? daß alle Personen des Ballets tanzen sollen, und man giebt ihnen zu tanzen: aus diesem Mißbrauche entspringenlächerliche Foderungen. Mein Herr, sagt der erste Tänzer zum Balletmeister, ich bin an dieses oder jenes Stelle gekommen und ich muß dieß oder jenes Stück tanzen. Aus eben der Ursache verlangt eine Tänzerin die Passepieds; diese die Tambourins; dieser die Louren; jener die Chacconnen für sich alleine zu behalten; und dieses eingebildete Recht, dieses Haberechten über Stellen und Gattungen veranlaßt in jeder Oper zwanzig Soloentreen, welche man in entgegengesetzten Kleidungen, Geschmack und Gattungen tanzt, die aber weder durch den Charakter, noch durch den Sinn, durch die Zusammensetzung der Pas, noch durch die Stellungen verschieden sind. Diese Eintönigkeit kömmt von der maschienenmäßigenNachahmung. Monsieur Vestris ist der erste Tänzer, er tanzt nicht eher, als im letzten Akt; das ist die Regel; sie geht auch nach dem Sprichworte, das Beste zuletzt. Was thun die übrigen Tänzer dieser Gattung? Sie verstümmeln ihr Original, überladen es, und behalten nur seine Fehler; denn es ist leichter, sich das Lächerliche, als Vollkommenheit zu eigen zu machen; Alexanders Höflinge, die seine Tapferkeit nicht erreichen konnten, fanden es leichter, seinen schiefen Hals nachzuahmen. Es sind also die frostigen Copien, welche das Original auf hunderterley Arten vervielfältigen, und es unaufhörlich verstellen. Die von einer andern Gattung sind eben so schaal und eben so lächerlich: sie wollen die Präcision, die Munterkeit und die schön durchflochtnen Schritte des Monsieur Lanyerhaschen, und sind unausstehlich. Alle Tänzerinnen wollen tanzen wie Mademoiselle Lany, und dadurch werden sie alle sehr lächerlich. Kurz, mein Herr, die Oper, wenn ich so sagen darf, ist ein Schauspiel der Affen. Der Mensch vermeidet und scheuet, sich in seiner eignen Gestalt zu zeigen, er borget immer eine fremde, und er würde erröthen, sich selbst ähnlich zu seyn; daher muß man das Vergnügen, ein Paar gute Originale zu bewundern, mit der Langenweile erkaufen, vorher eine Menge elender Copien zu sehen. Und was will man denn mit dieser Anzahl Soloentreen sagen, die mit nichts in der Welt Zusammenhang oder Aehnlichkeit haben? Was stellen diese seelenlose Körper vor, die, ohne angenehm zu seyn, herum trippeln, ohne Geschmack mit den Armen wedeln, ohne sich grade zu tragen ohne Festigkeit Pirouetten schneiden, und die von Akt zu Akt mit eben demselben Froste wiederkommen? Kann man diese Arten von Interesse und Ausdruck entblößte Entreen wohl Monologen nennen? Nein, auf keine Weise, denn der Monolog gehört zur Aktion, und geht mit der Handlung fort, mahlt und unterrichtet. Wie kann man aber ein Soloentree reden lassen, fragen Sie? Nichts ist leichter, mein Herr, und ich will Sie deutlich davon überführen.


17 - Discours historique sur l'apocalypse /

Aber zu den eigenen Gewohnheitsmienen; dieser Einwurf ist so schwach, daß es mir leicht seyn wird, darauf zu antworten. Die Mienen, die Verzerrungen und Grimassen entstehen nicht so wohl von der Gewohnheit, als von der heftigen Anstrengung beym Springen; diese Anstrengungen, welche alle Muskeln zusammen drängen, verzerren das Gesicht auf hunderterley Arten, und zeigen mir blos einen zur Arbeit geprügelten Sklaven, keinen Tänzer, keinen Artisten. Jeder Tänzer, der durch Anstrengung seine Züge verändert, und dessen Gesicht in beständiger Convulsion ist, ist ein Tänzer ohne Seele, der nur auf seine Beine denkt, der das A. B. C. seiner Kunst nicht weiß, der nur an den groben Theilen seiner Kunst hängt, und ihr wahres Wesen niemals gefühlt hat. Ein solcher Mensch hat gerade so viel Geschicke, als zu einem Salto Mortale gehört. Das Tramplain und die Batudo (*) mögen sein Theater seyn, weil er die Nachahmung, das und den Reitz seiner Kunst einem elenden Schlendriane aufgeopfert; weil er, statt zu studieren, wie er empfinden soll, sich nur auf das Mechanische seiner Profeßion beflissen hat; weil endlich seine Physionomie, da, wo sie mir Leidenschaften und das Gefühl seiner Seele zeigen sollte, nichts weist, als ängstliche Mühe: kurz, ein solcher Mensch ist ein Stümper, dessen Execution allezeit schwerfällig und unangenehm bleibt. Geben Sie mir nicht Beyfall, m. H., daß uns nichts angenehmer ist, als ungezwungene Leichtigkeit? Die Schwierigkeiten können uns nur dann gefallen, wann sie sich mit Zügen des Geschmacks und der Grazie zeigen, und wann(*) Bretter, welche solchergestallt gelegt sind, daß sie hohl liegen, und eine große Elasticität haben, wodurch sie den Luftspringern ihre gefährlichen Sprünge erleichtern. sie dieses leichte und edle Wesen annehmen, das mir die mühsame Arbeit verbirgt, und gewandte Fertigkeit finden läßt. Verhältnißmäßig betrachtet, haben die Tänzerinnen heut zu Tage mehr Execution als die Tänzer; sie machen alles, was nur möglich zu machen ist. Mademoiselle Lany wird jedem Tänzer viel zu schaffen machen, der nicht sicher, stark, lebhaft, glänzend und genau ist. Ich frage also: woher kömmt es, daß die Tänzerinnen selbst in den Augenblicken der heftigsten Execution ihre lächelnde Physionomie beybehalten? Warum ziehen sich ihre Gesichtsmuskeln nicht zusammen, wenn die ganze Maschiene durch die heftigsten Bewegungen und wiederholte Anstrengungen erschüttert wird? Warum, sag' ich, das Frauenzimmer, das vonNatur weniger Nerven, Muskeln und Stärke hat, als wir, auch dann noch eine zärtliche, wollüstige, lebhafte, seelen- und ausdrucksvolle Physionomie behält, wenn die Sehnen und Muskeln, die bey den Bewegungen mitwirken, auf eine gewaltsame und widernatürliche Art gespannt sind? Woher kömmt es endlich, daß sie die Kunst wissen, die Mühe des Körpers und die unangenehmen Eindrücke zu verbergen, indem sie, statt der convulsivischen Grimasse, welche die Anstrengungen hervorzubringen pflegt, die Feinheit des gewähltesten und zärtlichsten Ausdrucks zeigen? Daher kömmt es, daß die Tänzerinnen bey ihren Uebungen äußerst sorgfältig auf sich selbst Acht haben; daß sie wissen, wie eine Verzerrung die Züge verunstaltet und den Charakter der Physionomie verändert; daß sie fühlen, wie die Seele sich auf dem Gesichte entfaltet, sich in den Augen abdrückt, und die Bildung beseelt und belebt; daß sie endlich überzeugt sind, daß die Physionomie, wie ich schon gesagt habe, der Theil unsers Körpers ist, wo sich der Ausdruck versammlet, und daß solche ein getreuer Spiegel unserer Empfindungen, Regungen und Affecten ist. Sie bringen auch weit mehr Geist, Ausdruck und Interesse in ihre Execution, als die Mannspersonen. Laß uns nur eben so sorgfältig werden, so werden wir weder häßlich noch unangenehm scheinen; so werden wir keine fehlerhafte Gewohnheiten annehmen; wir werden nicht mehr den eignen Tic haben, und wir werden der Larve nicht länger bedürfen, welche in diesem Falle das Uebel ehe verschlimmert als wegnimmt; sie ist ein Pflaster, welches dem Auge die Unvollkommenheiten entzieht und dabey fortdauren läßt. Das Mittel kann auch nicht einmal gebraucht werden, wenn man seine Physionomie beständig verbirgt. Was kann man wohl einer Larve für einen Rath geben? Man sage ihr so viel man will, sie wird immer kalt und abgeschmackt bleiben. Man befreye aber nur die Physionomie von diesem fremden Körper; man hebe diese Gewohnheit auf, die derSeele Fesseln anlegt, und sie hindert, sich auf der Gesichtsbildung zu enthüllen: so wird man den Tänzer beurtheilen und sein Spiel schätzen können. Derjenige, der mit den Schwierigkeiten und Anmuthsvollen der Kunst, eine lebhafte und geistreiche Pantomime, und einen seltnen Ausdruck der Empfindungen verbindet, wird zugleich den Ruhm eines vortreflichen Tänzers und vollkommnen Schauspielers erhalten; Lobsprüche werden ihn aufmuntern, und der Rath und die Erinnerungen der Kenner werden ihn zurVollkommenheit in seiner Kunst führen. Dann würde man zu ihm sagen: In dieser oder jener Stelle war eure Physionomie zu kalt; in jener andern waren eure Blicke nicht beseelt genug; die Empfindung, die ihr nachbilden solltet, fühltet ihr selbst nicht stark genug, ihr konntet sie also nicht mit der gehörigen Stärke und Energie zeigen, daher merkte man auch euren Gestus und Stellungen an, daß ihr wenig Feuer in die Aktion legtet; ein andermal müßt ihr euch derselben mehr überlassen; setzt euch ganz in die Situation, die ihr vorstellen sollt, und vergeßt niemals, daß man empfinden, lebhaftempfinden muß, wenn man glücklich mahlen will. Dergleichen Rath, mein Herr, würde die Tanzkunst zu eben dem Flor bringen, worinn die Pantomime bey den Alten war, und würde ihr einen Glanz geben, den sie niemals erreichen kann, so lange die Gewohnheit über den guten Geschmack herrscht.


18 - Discours historique sur l'apocalypse /

Herr Preville hat keine Königsrollen gewählt, weil der drolligte und lustige Charakter seiner Figur statt Ehrfurcht Lachen erregt haben würde; und er würde nicht so vortrefflich in seiner Art Rollen seyn, wenn er nicht diejenige zu wählen verstanden hätte, die sich am besten für ihn schickte, und wofür er gebohren war. Herr Lany hat sich aus eben der Ursache zum komischen Tanzen begeben; er ist darinn vortrefflich, weil diese Gattung für ihn, oder vielmehr, er für diese Gattung gemacht zu seyn scheint; er würde an der unrechten Stelle stehn, und es nicht so hoch gebracht haben, wenn er des berühmten Dupre seine erwählt hätte.


19 - Discours historique sur l'apocalypse /

Ich habe gesagt, daß die Dachsbeinigen Tänzer schwach wären; sie sind schmächtig und gewandt; die starken und machtvollenSäbelbeinigen sind völlig von Gliedmaaßen und nervigt. Man pflegt dafür zu halten, daß ein dicker untersetzter Mann schwer seyn müsse; und in Ansehung der wirklichen Schwere des Körpers ist dieser Grundsatz wahr, falsch aber in Beziehung aufs Tanzen, denn hier entspringt die Leichtigkeit bloß aus der Stärke der Muskeln. Ein jeder Mensch, der schwache Muskeln hat, wird immer schwer niederfallen. Die Ursache ist sehr begreiflich; die schwachen Partien, welche in dem Augenblicke des Fallens, den stärkern, das ist, dem Gewichte des Körpers, welches nach dem Verhältniß der Höhe, woraus er fällt, zunimmt, nicht widerstehen können, geben nach und weichen aus, und gerade in den Augenblicken dieses Weichens und Nachgebens läßt sich das Getöse des Niederfallens hören, ein Getöse, welches merklich schwächer wird, oder sich gar verlieren mag, wenn sich der Körper in einer genauen senkrechten Linie erhalten kann, und wenn die Muskeln und Flechsen stark genug sind, der Gewalt zu widerstehen und den Stoß auszuhalten, der sie zum Nachgeben bringen könnte. Eh ich diesen Brief schliesse, lassen Sie uns noch ein mal auf die verschiedentlich gebildeten Tänzer kommen, und erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zwey lebendige Beyspiele anführe: es sind die Herren Lany und Vestris; alle beide berühmt, beide unnachahmlich, die Sie überführen werden, daß es eine Kunst giebt, welche der Natur zu Hülfe kommen, und dadurch verschönern kann. Der erste ist Säbelbeinig; er hat sich diesen Fehler auf eine Art zu Nutze gemacht, die den klugen Mann verräht; er hält sich gestreckt, auswärts, hat Stärke, aber ist dabey behende; Genauigkeit ist die Seele seiner Execution; er macht seine Pas mit einer Nettigkeit, Abwechselung und einem Schimmer, die man nur bey ihm findet; er ist der gelehrteste Tänzer, den ich kenne, mein Herr, und es ist ihm kein geringer Ruhm, daß er, Trotz der Natur, das Muster in seiner Gattung ist. Herr Vestris hat eingebogene Kniee, aber selbst die Künstler würdens ihm nicht anmerken, wenn ihn der gerade Entrechat nicht zuweilen verriethe; er ist der beste oder der einzige serieuse Tänzer, den wir auf dem Theater haben; er ist elegant, er verbindet mit der edelsten und ungezwungensten Ausführung das seltene Verdienst, zu rühren, zu interessiren und ans Herz zu reden.


20 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es giebt verdorbne Ohren, welche gegen die einfachsten und fühlbarsten Tackarten<Tacktarten> stumpf sind; man findet andre, die nicht so hart sind, welche den Tackt empfinden, seine Feinheiten aber nicht fassen können; endlich so giebt es auch welche, die von Natur und ohne Aengstlichkeit auch die unmerklichstenBewegungen der Melodie auffassen. MademoiselleCamargo und Herr Lany besaßen dieses köstliche Gefühl und diese besondre Genanigkeit, welche dem Tanze einen Geist, ein Leben und eine Munterkeit verleihen, welche man bey solchen Tänzern, die kein so reitzbares und feines Ohr haben, nicht antrift; es ist indessen gewiß, daß die Art und Weise, dieBewegungen aufzunehmen, zu der Geschwindigkeit beytragen, und dadurch gewissermaassen die Empfindlichkeit des Ohrs vermehren, ich will so viel sagen, daß ein Tänzer einen sehr richtigen Tackt haben, und ihn doch den Zuschauer nicht fühlbar machen kann, wenn er nicht die Kunst besitzt, sich der Sennen mit Leichtigkeit zu bedienen, welche den Mittelfuß bewegen; die Unbehendigkeit widerstrebt der Richtigkeit, und ein Pas, der sich würde ausgenommen, und eine ausserordentlich gute Wirkung gethan haben, wenn er richtig und mit Ausgange des Tackts angehoben worden, fällt matt und frostig aus, wenn alle Partien auf einmal wirken. Es erfodert mehr Zeit, eine ganze Maschine zu bewegen, als einige ihrer Theile; das Beugen und Anziehn des Mittelfußes geschieht schneller und plötzlicher, als das Beugen und Anziehn aller Gelenke auf einmal. Diesen Grundsatz angenommen, so fehlt demjenigen die Präcision, der zwar Gehör hat, aber seinen Schritt nicht mit Schnelligkeit anzuheben weiß. Die Schnellkraft des Mittelfußes, und das mehr oder weniger thätige Spiel der Springfedern, vermehren die Empfindlichkeit der Ohren und geben dem Tanze Werth und Schimmer; dieses Wohlgefallen, welches die Eintracht der Bewegungen des Tänzers mit den Bewegungen der Musik erweckt, ergreift selbst diejenigen, welche das stumpfeste Gehör haben, und der Eindrücke der Musik am wenigsten fähig sind.


21 - Discours historique sur l'apocalypse /

diese kostbare Sammlung; Ihr Cabinet enthält alles, was dieDupres, die Camargos, die Lanys, die Vestris, vielleicht gar die Blondis, an feinen, kühnen und gelehrten Schritten und Verflechtungen erfunden haben, und ich kann nichts gegen die Schönheit der Collection einwenden; aber ich sehe mit Bedauren, daß alle diese gesammleten Reichthümer Sie nicht haben vor der Armuth an solchen Dingen schützen können, wodurch Sie sich hätten aus dem Stande der Mittelmäßigkeit ziehen können. Häufen Sie von diesen schwachen Denkmählern unsrer berühmten Tänzer so viel zusammen, als es Ihnen gefällt; ich sehe nichts daran und andre mit mir werden nichts daran sehen, als die ersten Reißkohlen, oder die ersten Einfälle ihrer Talente; ich kann nichts daran erkennen, als hin und wieder zerstreute Schönheiten, ohne Einheit, ohneColorit; die großen Züge darinn sind verloschen; die Proportions, die anmuthigen Umrisse fallen mir nicht in die Augen; ich bemerke bloß Spuren und Ueberreste von einer Aktion in den Füßen, welche weder von den Stellungen des Körpers, noch den Lagen der Arme, noch dem Ausdrucke des Kopfes begleitet werden; kurz, Sie zeigen mir nichts, als den unvollkommnen Schatten vorzüglicher Verdienste, und eine frostige stumme Copie von unnachahmlichen Originalen.

22 - Discours historique sur l'apocalypse /

Es giebt indessen Leute, die sich für Balletmeister ausgeben, die, wenn sie ihre Ballette machen, anderer Leute Arbeit verstümmeln und plündern, und sich dabey des Papiers und gewisser angenommner Zeichenbedienen, woraus sie sich eine eigne Choregraphie machen; denn die Art, die Gänge zu zeichnen, bleibt immer dieselbe, und weicht nur in den Farben von einander ab; aber nichts ist schaaler und langweiliger, als ein auf dem Papiere komponirtes Ballet, die ängstliche Mühe leuchtet allenthalben daraus hervor. Es wäre ein artiger Anblick, einen Opernballetmeister mit einem Folianten in der Hand zu sehen, der sich den Kopf zerbräche, die Ballette aus den Indesgalantes, oder einer andern mit Tänzen vermischten Oper, wieder aufzuführen; wie viele verschiedene Gänge müßte man nicht für ein zahlreiches Ballet aufschreiben! Denken Sie sich über vier und zwanzig, bald regelmäßiger bald unregelmäßiger Gänge, noch alle die verflochtenen Schritte hinzu, mein Herr, so haben Sie freylich eine sehr gelehrte Schrift, die aber mit einer solchen Menge verzogner Linien, Strichen und Charakteren überladen ist, daß Ihnen die Augen davon weh thun werden, und daß das Licht, so sie darinn zu finden hoften, von dem Schwarzen, womit dieses Repertorium übersäet ist, so zu sagen, verschlungen wird. Im Uebrigen glauben Sie nicht, daß Herr Lany, wenn er Ballets zu einer Oper gemacht, die dem Publikum gefallen haben, genöthigt wäre, seinem Gedächtnisse auf diese Art zu Hülfe zu kommen, um solche nach fünf oder sechs Jahren eben so schön wieder aufzuführen; wenn er eine solche Hülfe verachtet: so wird er sie von neuem mit desto mehr Geschmack verfertigen; er wird sogar die kleinen unmerklichen Fehler, die sich eingeschlichen haben könnten, verbessern; denn unsre Fehler bleiben uns am längsten im Gedächtniß, und wenn er sich der Bleyfeder bedient, so wird es nur deswegen geschehen, um die vornehmsten Gänge und die am meisten vorragende Figuren auf dem Papier zu entwerfen; er wird sich gewiß nicht dabey aufhalten, alle Wendungen, die diese Gänge einleiteten und diese Figuren zusammen brachten, aufzuzeichnen; und wird seine Zeit nicht verschwenden, die Pas, noch die verschiedenen Stellungen, welche die Gemählde verschönerten, niederzuschreiben. Ja, mein Herr, die Choregraphie tödtet dasGenie; sie schwächt und verdirbt den Geschmack des Kompositeurs, der sich ihrer bedient; er wird steif und schwerfällig, unfähig zum Erfinden; aus einem Schöpfer, der er war, oder hätte werden können, wird ein bloßer Plagiarius; seine Imagination ist erstorben; er bringt nichts Neues hervor, und sein ganzes Verdienst besteht darinn, die Arbeiten andrer zu verunstalten. Die Wirkung der Betäubung und Schlafsucht, worinn sie den Geist versetzt, geht so weit, daß ich verschiedene Balletmeister gesehn habe, die genöthigt waren, aus der Probe zu gehn, weil sie ihr Papier vergessen hatten, und ihre Figuranten nicht in Bewegung setzen konnten, ohne das Gedenkbuch, von dem, was andre komponirt hatten, vor Augen zu haben. Ich wiederhole und behaupte es, mein Herr: nichts ist schädlicher, als eine Methode, die unsre Ideen zusammen schrumpft, oder uns gar keine mehr erlaubt, man müßte sich denn sehr vor der Gefahr in Acht zu nehmen wissen, die man läuft, wenn man sich daran gewöhnt. Feuer, Geschmack, Genie, Kenntnisse sind der Choregraphie weit vorzuziehn; diese sind es, mein Herr, welche uns eine Menge neuer Schritte, Figuren, Gemählde und Stellungen an die Hand geben; diese sind die unerschöpflichen Quellen der unzähligen Veränderungen, welche den wahren Artisten von dem stumpfen schwerfälligen Choregraphen unterscheiden.